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Dr. Franziska Uhlig - Kulturamt Friedrichshain-Kreuzberg

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Anne Mundo, o. T., Tusche auf Papier, A 4, 2010 (Ausschnitt)<br />

© <strong>Dr</strong>. <strong>Franziska</strong> <strong>Uhlig</strong>, Fak. Gestaltung, Bauhaus-Universität Weimar<br />

Anne Mundo / Sebastian Russek<br />

Die Urszene der Zeichnung, schreibt Norman Bryson, ist die gezeichnete<br />

Linie, die „immer roh, ständig sichtbar“ ist, die „keinen unsichtbar<br />

machenden Mantel, unter dem sich ihr Hinaustreten in die Welt verbergen<br />

könnte“ besitzt. „Die Unbeschriebenheit des Papiers übt einen <strong>Dr</strong>uck aus,<br />

der nicht verringert oder beseitigt werden kann: Unablässig zwingt er alles<br />

hinaus, in eine Ausgesetztheit ohne Schutzschirme, Filter, ohne Verstecke<br />

– einen Bereich radikaler Offenheit, in dem alle Operationen stets in<br />

Echtzeit vor sich gehen“. 1<br />

Dieser Urszene – dem leeren Blatt, der Hand samt Stiftswerkzeugen und<br />

der festen, zuweilen aber auch weniger gesicherten Überzeugung, einem<br />

Unbekannten, Etwas – wie auch immer – einen Ausgang oder Zutritt zur<br />

Welt der Konkretion zu verschaffen, scheinen sich Anne Mundo, die<br />

gebürtige Rostockerin, Jg. 1982, ehemals Studentin der Malerei u.a. bei<br />

Katharina Grosse und der Zeichnung bei Hanns Schimansky an der KH<br />

Weißensee und der 1979 in Bremen geborene Sebastian Russek, vormals<br />

ebenfalls Studierender an der KH Weißensee (Malerei bei Liebmann) seit<br />

Jahren zu stellen.<br />

1 Bryson, a walk for a walk’s sake....


Beide haben ihren Weg zur Zeichnung über die Malerei und das<br />

raumbezogene Arbeiten gefunden. Mit Blick auf die Urszene des<br />

Zeichnens, wie sie Norman Bryson beschrieb, heißt das, sich der<br />

Situation des Arbeitens im hier und jetzt mit all den Risiken der Verirrung<br />

in die selbstgefällige bis triviale Expression bewusst zuzuwenden. Keine<br />

künstlerische Arbeitsweise steht so stark unter dem Verdikt der<br />

Selbstexpression wie die Zeichnung. Doch wer weiß schon, ob und was im<br />

Akt der Zeichnung zum Vorschein kommt? Die Zeichnung lebt<br />

überwiegend von der Intensität im Jetzt, sie benötigt eine Energie, die im<br />

Moment des Aufsetzens der Stiftwerkzeuge auf das Papier ganz und gar<br />

zur Stelle ist. Dabei geschieht dies aber blind, wie Derrida richtig bemerkt,<br />

insofern die zeichnende Hand sich vor die Kontrolle durch das Auge<br />

schiebt. Retuschen, Überklebungen und Schnitte, opake Farben oder<br />

deckende Lasuren gibt es in dem, was herkömmlich Zeichnung heißt,<br />

nicht.<br />

Entlang von Brysons „Urszene der Zeichnung“ breitet sich vor Ihnen,<br />

meine sehr verehrten Damen und Herren, jenes Feld aus, das das Wagnis<br />

besteckt, dem sich Anne Mundo und Sebastian Russek verpflichtet haben.<br />

Denn im Vergleich zu vielen zeichnerischen Positionen, die sich seit dem<br />

Comeback der Zeichnung in den späten 1990er Jahren herausgebildet<br />

haben und die als Zeichnen Durchpausen und im Zeichnen Nähen,<br />

sticken und stricken, die zeichnend schreiben oder zeichnen, indem sie<br />

falten, oder, indem sie ihr Dargestelltes aus den Resten des<br />

Radiergummis arrangieren, oder, indem sie Milch oder Blut verstreichen,<br />

das Papier bügeln oder perforieren, oder, den Widerstand gegen die<br />

Kontrolle durch die Hand erhöhen – man denke an Brice Mardens etwa 2<br />

m langen dünnen Stöcke, an denen der Tuschpinsel montiert und in der<br />

Hocke ein Alphabet niedergeschrieben wurde – rücken Anne Mundo und<br />

Sebastian Russek die Ausgesetztheit, die dem Zeichnen eignet, neuerlich<br />

ins Blickfeld. Bevorzugt gebrauchen sie den Pinsel und den Bleistift als<br />

Instrumente der Niederschrift.<br />

Bezieht man in die Betrachtung der Blätter ein, wie die dargestellten<br />

Sachen hier zur Ansicht aufs Papier gelangen, dass sie unbeholfen und


nicht vollständig ‚gekonnt’ erscheinen, dass sie sich selbst ungestalt<br />

darbieten, eröffnet sich ein Blick auf die Haltung, mit der gezeichnet wird.<br />

Es ist weniger das vorgestellt Intuitive, dass vor allem bei den Arbeiten<br />

von Anne Mundo auffällt, als vielmehr die radikale Offenheit, in der sich<br />

die Zeichnerin und ihr fiktives Gegenüber, (z.B. die Schirme,<br />

Wohnzimmerszenen – ersichtlich auch auf der Homepage: annemundo.de unter dem Button<br />

Daten_Neues) - all die gezeichneten Sachen, begegnen. Keiner scheint das<br />

Gegenüber beherrschen zu wollen. Die Dinge werden nicht in ihre schöne<br />

Form „gebannt“ und der Hand der Zeichnerin werden ebenso Fehlstriche<br />

zugebilligt. Bezeichnen auf einer Augenhöhe. Doch scheint uns, den<br />

<strong>Dr</strong>itten, denen, die zuschauen dürfen, die tatsächliche Referenz schon fast<br />

zu entgleiten. Nicht die Präsenz der ins Papier gebannten, isoliert vor uns<br />

hingestellten Sachen ist das, was sich einem beim Betrachten einstellt,<br />

sondern ein Abdruck ihrer narrativen und fiktionalen Energie. Zu tief<br />

scheinen die gezeichneten Dinge in den Papiersaum eingesunken, als<br />

dass man den Raum des Papiers überschreiten könnte hin zum Raum der<br />

realen Welt. Die Leere des Papiers hat die Erinnerung an etwas jenseits<br />

der Striche getilgt. Oder ist diese Tilgung ein Effekt, der der<br />

eigentümlichen Zeit geschuldet ist, die sich die Striche selber nehmen?<br />

Sie umrunden sich und schließen sich ab, sie schließen sich zu etwas<br />

zusammen und schließen Anderes aus. Sie bleiben bei sich, weil das<br />

gleich bleibende Tempo der Niederschrift kaum auf Antriebsmomente<br />

schließen lässt, die von außen hineinwirken. Sowohl Anne Mundo als<br />

auch Sebastian Russek sind mit den Dynamisierungen der Strichvolumina<br />

äußerst sparsam umgegangen. Wenn ich richtig sehe, so geht es Mundo<br />

wie Russek um das Auffinden eines Arbeitsprozesses, der sich ernsthaft<br />

ums Begreifen und Bezeichnen durch das Zeichnen bemüht; und das<br />

bedeutet, sich gegenüber dem Gewussten und Gekonnten, dass sich<br />

vielfach vor die Sachen stellt, misstrauisch zu verhalten und den Dingen<br />

stattdessen einen Anblick abzuringen versuchen, der sich von unserem<br />

Bild der Dinge, die sich uns durch die Ubiquität der Sprache und eine<br />

daran orientierte, allgegenwärtige Bildwelt vor diese Sachen geschoben<br />

und unseren Begriff von ihnen geprägt hat.

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