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Die drei speziellen niedrigen Beweggründe des § 211 II ... - Ja-Aktuell

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AUFSATZ<br />

AUFSATZ ZIVILRECHT · GRUNDSTÜCKSSCHENKUNG AN MINDERJÄHRIGE<br />

die Bestellung eines Vorkaufsrechtes an einem zu übertragenden<br />

Miteigentumsanteil nicht zur rechtlichen Nachteiligkeit <strong>des</strong><br />

Geschäftes. 53<br />

Bei der Belastung <strong>des</strong> Grundstücks mit einem Nießbrauch<br />

ist zu unterscheiden: Hat der Nießbraucher über <strong>§</strong><strong>§</strong> 1042 S. 2,<br />

1047 BGB hinaus auch die Kosten außergewöhnlicher Ausbesserungen<br />

und Erneuerungen sowie die außergewöhnlichen<br />

Grundstückslasten zu tragen und ist der Eigentümer insoweit<br />

also nicht zum Aufwendungs- oder Verwendungsersatz gem.<br />

<strong>§</strong><strong>§</strong> 1049, 677 ff. BGB verpflichtet, so ist der Erwerb <strong>des</strong><br />

Grundstücks rechtlich lediglich vorteilhaft. 54 Verbleiben die genannten<br />

Lasten beim (neuen) Eigentümer, so ist das Geschäft<br />

demgegenüber nachteilig. 55<br />

E. SCHLUSS<br />

Es ist nun die ganze Zeit die Rede davon gewesen, ob und<br />

unter welchen Voraussetzungen die Grundstücksschenkung an<br />

Minderjährige zulässig ist. Zum Schluss soll die Perspektive für<br />

einen Augenblick verändert und folgende Frage gestellt werden:<br />

AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

Professor Dr. Dr. Kristian Kühl, Universität Tübingen *<br />

<strong>Die</strong> <strong>drei</strong> <strong>speziellen</strong> <strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong> <strong>des</strong> <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

<strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> versieht das Mordmerkmal »aus <strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong>n«<br />

mit dem Adjektiv »sonst«. Das bedeutet für die davor stehenden<br />

Merkmale »aus Mordlust, zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebs, aus<br />

Habgier«, dass sie als spezielle Ausformungen von <strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong>n<br />

zu verstehen sind. Es handelt sich um gesetzliche Beispiele<br />

niedriger <strong>Beweggründe</strong>. 1 Das bedeutet für die Fallbearbeitung, dass<br />

man sich zuerst diesen <strong>speziellen</strong> <strong>Beweggründe</strong>n zuwenden muss, bevor<br />

man überlegt, ob ein »sonst« niedriger Beweggrund vorliegt. Weiterhin<br />

bedeutet diese Systematik, dass ein »sonst« niedriger Beweggrund<br />

nicht mehr zu prüfen ist, wenn ein spezieller niedriger<br />

Beweggrund wie etwa die Habgier das Handeln <strong>des</strong> Täters bestimmt<br />

hat. 2 Man kann auch sagen, dass der »sonst« niedrige Beweggrund<br />

eine »subsidiäre« Generalklausel ist. 3 Das gilt allerdings nur dann,<br />

wenn der Täter nur einen Beweggrund hat, der sowohl als spezieller<br />

niedriger Beweggrund als auch als »sonst« niedriger Beweggrund eingestuft<br />

werden kann. Hat aber z.B. die Ehefrau, die ihren Mann<br />

tötet, sowohl den Beweggrund der Habgier (»frühere Erbschaft«) als<br />

auch einen »sonst« <strong>niedrigen</strong> Beweggrund (»im Stich lassen <strong>des</strong> hilfsbedürftigen<br />

Ehemanns, um sich einem jüngeren Liebhaber zuzuwenden«),<br />

so liegen zwei Mordmerkmale vor.<br />

A. MORDLUST<br />

Mordlust liegt vor, wenn das Motiv, das den Täter zur Tötung<br />

eines anderen Menschen bringt, allein in dieser Tötung – dem<br />

Tötungsvorgang und dem Tötungserfolg – besteht. 4 Auf<br />

diese Definition hat sich im Kern – bei sprachlichen Abweichungen<br />

5 – die Strafrechtswissenschaft in Anlehnung an die Rechtsprechung<br />

<strong>des</strong> BGH inzwischen geeinigt. Sie kann <strong>des</strong>halb der<br />

Fallprüfung zugrunde gelegt werden. <strong>Die</strong>se Fallprüfung kann bei<br />

einschlägigen Sachverhalten in Übungs- und Prüfungsarbeiten<br />

nicht <strong>des</strong>halb verweigert werden, weil man verfassungsrechtliche<br />

Bedenken hinsichtlich dieses Mordmerkmals hat; 6 – das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

hat seine Bedenken auf die Mordmerkmale der<br />

Heimtücke und der Verdeckungsabsicht konzentriert. 7 In der<br />

Übungsfall-Literatur und in der Praxis sind Mordlust-Mordfälle<br />

selten. 8<br />

566<br />

8-9/2009<br />

Können die Eltern ein Grundstück <strong>des</strong> Minderjährigen verschenken,<br />

gar an sich selbst? <strong>Die</strong> Antwort ergibt sich aus<br />

<strong>§</strong> 1641 S. 1 56 und 2 BGB: <strong>Die</strong> Eltern können in Vertretung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> keine Schenkungen machen. Ausgenommen sind<br />

Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf<br />

den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird. Eine<br />

Umgehung <strong>des</strong> <strong>§</strong> 1641 S. 1 BGB durch Pflegerbestellung scheitert<br />

an <strong>§</strong><strong>§</strong> 1915, 1804 BGB. 57<br />

53 BayObLG NJW 1998, 3574 (3576).<br />

54 BGH NJW 2005, 415 (417); OLG Dresden MittBayNot 1996, 288 (290); vgl.<br />

auch BayObLGZ 1979, 49 (54 f.); OLG Celle MDR 2001, 931; OLG Köln<br />

RPfleger 1998, 159; ZMR 2004, 189 (191); Erman/Palm (Fn. 31) <strong>§</strong> 107 Rn. 6;<br />

Palandt/Heinrichs (Fn. 1) <strong>§</strong> 107 Rn. 4; MüKo-BGB/Schmitt (Fn. 15) <strong>§</strong> 107 Rn. 40;<br />

Stürner AcP 173 (1973), 402 (428); Larenz /Wolf (Fn. 9) <strong>§</strong> 25 Rn. 24.<br />

55 BGH NJW 1981, 141 (142); BFH NJW-RR 1990, 1035 (1036); Larenz /Wolf<br />

(Fn. 9) <strong>§</strong> 25 Rn. 26.<br />

56 <strong>§</strong> 1641 S. 1 BGB ist nach h.M. (MüKo-BGB/Huber 5. Aufl. 2008, <strong>§</strong> 1641 Rn. 7<br />

m.w.N.) Verbotsgesetz i.S.d. <strong>§</strong> 134 BGB.<br />

57 Gernhuber/Coester-Waltjen Familienrecht, 5. Aufl. 2006, <strong>§</strong> 61 Rn. 12.<br />

Der Wortlaut <strong>des</strong> Merkmals hat zu dieser Verständigung<br />

und der daraus hervorgehenden Definition beigetragen. Er setzt<br />

mit dem Wortteil ›Mord‹ voraus, was das Merkmal ›Mordlust‹<br />

leisten soll, nämlich zu sagen, wann ein Mord vorliegt. 9 Morde,<br />

die sich aus anderen Mordmerkmalen wie etwa Heimtücke<br />

ergeben, sind ja nicht gemeint. Kein Wunder also, dass sich<br />

die Rechtsprechung zunächst auf den Wortteil ›Lust‹ »warf« 10<br />

und diese mit dem Wort ›Freude‹ persiflierte. Das aber brachte<br />

nicht viel und führte sogar in die Irre, als der BGH diese<br />

›Freude‹ mit dem Adjektiv ›unnatürliche‹ versah. Ganz abgesehen<br />

davon, ob es denn überhaupt eine natürliche Freude an<br />

der Tötung eines anderen Menschen geben kann, 11 legt die<br />

»unnatürliche Freude« 12 eher eine (verminderte) Schuldfähigkeit<br />

nahe, als dass sie ein gesteigertes Tötungsunrecht oder<br />

eine gesteigerte Tötungsschuld ausdrückt. 13<br />

* Der Autor ist Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie<br />

an der Universität Tübingen.<br />

1 BGHSt 3, 132 (133); Lackner/Kühl StGB, 26. Aufl. 2006, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.<br />

2 Rengier BT <strong>II</strong>, 10. Aufl. 2009, <strong>§</strong> 4 Rn. 22a; im Übungsfall Beulke KK I, 4. Aufl.<br />

2008, Fall 8, Rn. 275 u. 280 sowie Hilgendorf Fallsammlung, 5. Aufl. 2008, Fall 5,<br />

S. 25 u. 26.<br />

3 Mitsch JuS 1996, 121 (125).<br />

4 Vgl. Küper BT, 7. Aufl. 2008, S. 237; Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; Schroth<br />

BT, 4. Aufl. 2006, S. 65.<br />

5 Wessels/Hettinger BT 1, 2. Aufl. 2008, Rn. 94, sprechen von »Wunsch« statt von<br />

Motiv.<br />

6 So etwa Kargl StraFo 2001, 365 (366): rechtsstaatswidriges Merkmal.<br />

7 BVerfGE 45, 187 ff.<br />

8 Rengier (Fn. 2) <strong>§</strong> 4 Rn. 11; Eisele BT I, 2008, Rn. 80; zur geringen praktischen<br />

Bedeutung BGHSt 34, 59 (60); für Streichung <strong>des</strong> Merkmals <strong>des</strong>halb Köhne Jura<br />

2009, 100 (102).<br />

9 Zu diesem Tautologie-Einwand näher Kelker Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen<br />

im Strafrecht, 2007, S. 594; Karg StraFo 2001, 365 (366); Schroeder JuS<br />

1984, 272 (277) u. in: Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1, 9. Aufl. 2003, <strong>§</strong> 2 Rn. 31.<br />

10 So noch heute Köhne Jura 2009, 100 (101 f.); in diese Richtung verstehen das<br />

Mordmerkmal auch Gössel/Dölling BT 1, 2. Aufl. 2004, <strong>§</strong> 4 Rn. 40.<br />

11 Arzt/Weber/Hilgendorf BT, 2. Aufl. 2009, <strong>§</strong> 2 Rn. 54; NK/Neumann StGB, 2. Aufl.<br />

2005, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8.<br />

12 So BGH NJW 1953, 1440; heute noch Jäger BT, 2. Aufl. 2007, Rn. 28.<br />

13 Vgl. Rüping JZ 1979, 617 (620); Kargl StraFo 2001, 365 (366); Kelker (Fn. 9)<br />

S. 595; Schönke/Schröder/Eser 27. Aufl. 2006, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15.


AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

Der BGH hat – wohl auch wegen der Kritik aus der<br />

Strafrechtswissenschaft – seine Linie geändert und sich für eine<br />

»Gefährlichkeitserklärung« der Mordlust, die gemeinhin als<br />

ein Beispiel für die »Verwerflichkeit« <strong>des</strong> Beweggrun<strong>des</strong> gilt, 14<br />

entschieden. In Fällen der Mordlust – welche das sind, wird<br />

hier sogleich zu zeigen sein – komme »eine prinzipielle, vom<br />

individuellen Träger gelöste Missachtung fremden Lebens zum<br />

Ausdruck, die das den Mordvorwurf rechtfertigende Gefährlichkeitsurteil<br />

begründet« (BGHSt 34, 59 [61] m. Bspr. Geerds<br />

JR 1986, 519 u. Otto JK 87, StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong>/15). An dieser<br />

Richtungsänderung ist zum einen bemerkenswert, dass erst ein<br />

Gefährlichkeitsurteil – auch wenn es empirisch kaum nachprüfbar<br />

sein dürfte, ist es doch plausibel 15 – die Mordlust als<br />

Mordmerkmal »rechtfertigt«. Zum anderen wird mit der »prinzipiellen<br />

… Missachtung fremden Lebens« in den Kern der<br />

Mordlust vorgestoßen. 16<br />

Mit dieser Richtungsänderung ist die obige einleitende Definition<br />

kompatibel. Der BGH ergänzt sie in seiner richtungsändernden<br />

Leitentscheidung – BGHSt 34, 59 ff. 17 – und nennt<br />

die einschlägigen Fallkonstellationen. Eine Ergänzung ohne inhaltliche<br />

Erweiterung liegt darin, dass bei der Tötung aus<br />

Mordlust »der Tod <strong>des</strong> Opfers als solcher der einzige Zweck<br />

der Tat« sein muss (BGHSt 31, 59 [61]). <strong>Die</strong> gemeinten Fälle<br />

werden danach – noch abstrakt – als Fälle umschrieben, »bei<br />

denen weder ein in der Person <strong>des</strong> Opfers oder in der besonderen<br />

Tatsituation liegender Anlass noch ein über den Tötungsakt<br />

hinausgehender Zweck die Tat bestimmt« (BGH a.a.O.;<br />

wörtlich übernommen von BGH NJW 1994, 2629 f.; jetzt<br />

auch BGH NStZ 2007, 522 [523]). Auch mit dieser Formulierung<br />

wird zur näheren Kennzeichnung und engen Auslegung 18<br />

der Mordlust beigetragen. Das wahllos angegriffene Opfer wird<br />

zufällig zum Opfer und ist durch ein anderes Opfer, das auch<br />

ein »Ersatzopfer« sein kann, 19 ersetzbar. 20 <strong>Die</strong> Missachtung<br />

fremden Lebens ist auch insofern »prinzipiell«, als sie vom<br />

Opfer losgelöst ist. 21 Das Opfer gibt dem Täter keinen konkreten<br />

Anlass 22 zur Tötung.<br />

Das Abstellen auf den fehlenden oder nichtigen Anlass ermöglicht<br />

eine weitere prinzipielle Fundierung der Mordlust.<br />

Sie ist nicht nur verwerflich und gefährlich, sondern sie zeigt<br />

ein Missverhältnis zwischen (nicht vorhandenem oder nichtigem)<br />

Anlass und Mittel schlechthin. 23<br />

<strong>Die</strong> weitere Konkretisierung der gemeinten Fälle wird häufig<br />

dadurch versucht, dass man verlangt, es müsse dem Täter<br />

darauf ankommen (Absicht?), »das Opfer sterben zu sehen«<br />

(BGHSt 47, 133; krit. Köhne Jura 2009, 100 [101]). 24 Abgesehen<br />

von der zweifelhaften Beschränkung auf die Absicht führt<br />

das nicht viel weiter. Konkreter wird der BGH im sog. »Spaßtötungs-Fall«,<br />

25 in dem die Täter das Opfer »ausschließlich<br />

<strong>des</strong>wegen getötet« haben sollen, »weil es ihnen Spaß machte,<br />

einem wehrlosen Menschen, der ihnen nichts getan hatte,<br />

schwere Schmerzen zuzufügen und ihn unter ihren Händen<br />

sterben zu lassen« (BGH NJW 1994, 2629 f. [= Kühl<br />

HRR-BT, Nr. 16, S. 36 f.; Fall 16 auch bei Mitsch JuS 1996,<br />

123; Fall 8 bei Otto Jura 2003, 615] m. krit. Anm. Fabricius<br />

StV 1995, 637). <strong>Die</strong>sem »Spaß am Töten« werden häufig als<br />

gleichwertig an die Seite gestellt: 26<br />

■ (reiner) Mutwille (BGHSt 34, 59 [63])<br />

■ Langeweile/Zeitvertreib/Unterhaltung<br />

■ Angeberei<br />

■ Nervenkitzel<br />

■ Sportliches Vergnügen/sportliches <strong>Ja</strong>gen<br />

■ sexuelle Stimulanz.<br />

In der neueren Rechtsprechung taucht auch die in der älteren<br />

Rechtsprechung dominierende »Freude [»Vergnügen«] an der<br />

Vernichtung <strong>des</strong> Menschenlebens« (BGH NStZ 2007, 522<br />

[523]) 27 wieder auf. Nicht überraschend in einem Fall, in dem<br />

der Täter »triebhafte oder gefühlsmäßige Regungen« aufwies,<br />

so dass seine Steuerungsfähigkeit i.S.d. <strong>§</strong> 21 StGB zweifelhaft<br />

war; seine Mordlust soll dies aber »nicht in Frage stellen«<br />

(BGH a.a.O.). Damit befindet sich die neue Entscheidung in<br />

Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung, nach der<br />

die Steuerbarkeit solcher Regungen – anders als bei den sonstigen<br />

<strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong>n – nicht gefordert wird, 28 denn<br />

»bei dieser Motivation spielen das Tatunrecht mindernde, auf<br />

Vorgänge außerhalb <strong>des</strong> Tatgeschehens bezogene triebhafte<br />

oder gefühlsmäßige Regungen keine Rolle« (BGH NJW 1994,<br />

2629 f.), 29 genauer – so könnte man ergänzen –: sie spielen,<br />

auch wenn sie tatsächlich vorhanden sind, für die strafrechtliche<br />

Einordnung als Mordlust keine Rolle.<br />

Von dieser Problematik zu unterscheiden ist die Frage, mit<br />

welchen Arten <strong>des</strong> Vorsatzes hinsichtlich der Tötung Mordlust<br />

vereinbar ist. Nach fast allgemeiner Meinung ist direkter Tötungsvorsatz<br />

zu verlangen, 30 doch kann man sich »Nervenkitzel«<br />

auch bei Eventual-Tötungsvorsatz vorstellen, z.B. bei<br />

Steinwürfen von einer Brücke auf fahrende Autos. 31 Das bloße<br />

Fehlen eines Tötungsmotivs reicht – wie sich schon aus der<br />

obigen Liste mit Motivbeispielen ergibt – nicht aus. 32 – Eine<br />

Tötung durch Unterlassen kann nicht mit Mordlust begangen<br />

werden. 33<br />

14 Wessels/Hettinger (Fn. 5) Überschrift vor Rn. 92 ff.; ebenso Mitsch JuS 1996, 123;<br />

keine Richtungsänderung will Köhne Jura 2009, 100 (101), erkennen.<br />

15 Otto GK 2, 7. Aufl. 2005, <strong>§</strong> 4 Rn. 5: »für die Sozietät gefährlich«; MüKo-StGB/<br />

Schneider StGB, 2003, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 52: »hochgradige Sozialgefährlichkeit; NK/Neumann<br />

(Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8: »zutreffend«; »problematisch« aber nach Rüping JZ 1979, 617<br />

(620).<br />

16 Vgl. etwa Kelker (Fn. 9) S. 596 f., die noch die Verweigerung der »Anerkennung als<br />

gleichberechtigte, autonome Subjekte« hinzufügt; ein schwerfassbarer Aspekt; vgl.<br />

auch Heine Tötung aus »<strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong>n«, 1988, S. 213: Herabsetzung <strong>des</strong><br />

Rechtswerts Leben überhaupt.<br />

17 Sie wird in Lehrbüchern oft als Einführungsbeispiel verwendet; so etwa von Heghmanns<br />

BT, 2009, Rn. 197; Kindhäuser BT I, 3. Aufl. 2007, <strong>§</strong> 2 Rn. 9: Fall 1;<br />

ausführlicher Eisele (Fn. 8) Rn. 80.<br />

18 Geppert JK 12/05, StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4b.<br />

19 Vgl. BGH NStZ 1988, 268; Fischer StGB, 56. Aufl. 2009, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8.<br />

20 Vgl. Müssig Mord und Totschlag, 2005, S. 263; Schönke/Schröder/Eser (Fn. 13)<br />

<strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15; MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 49: »austauschbar«; krit.<br />

Köhne Jura 2009, 100 (102).<br />

21 Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 9.<br />

22 Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 9; Mitsch JuS 1996, 123: Grundlosigkeit; Fischer<br />

(Fn. 18) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8: Grund- und Anlasslosigkeit nach Schönke/Schröder/Eser<br />

(Fn. 13) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15: kein »sozialer Anlass«.<br />

23 <strong>Ja</strong>kobs NJW 1969, 489 (490); Schroeder JuS 1984, 275 (278).<br />

24 So in Anlehnung an BGHSt 34, 59, etwa Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 9 u. Otto<br />

(Fn. 4) <strong>§</strong> 4 Rn. 5.<br />

25 Hervorgehoben auch von Heine LdR, 2. Aufl. 1996, S. 1013.<br />

26 Nicht alle von allen, aber mehrere davon etwa von Küper (Fn. 4) S. 237; Lackner/<br />

Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 5; Schroth (Fn. 4) S. 65; Eisele<br />

(Fn. 8) Rn. 80; Wessels/Hettinger (Fn. 5) Rn. 94; Maurach/Schroeder/Maiwald (Fn. 9)<br />

<strong>§</strong> 2 Rn. 31; Schönke/Schröder/Eser (Fn. 12) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15. – Zahlreiche Beispielfälle,<br />

auch aus der Tageszeitung bei Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 5.<br />

27 Beibehalten auch in der richtungsändernden Entscheidung BGHSt 34, 59 (62), auch<br />

in: BGH NJW 1994, 2629.<br />

28 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.<br />

29 Krit. Grotendiek/Göbel NStZ 2003, 118 (121): Verstoß gegen Schuldprinzip.<br />

30 Vgl. etwa Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8; NK/Neumann (Fn. 10) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 9;<br />

Schönke/Schröder/Eser (Fn. 12) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15; Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 19; aus<br />

der Rspr.: BGHSt 47, 128 (133) m. zust. Anm. Otto JZ 2002, 567 (568); krit.<br />

Geilen FS Lackner, 1987, S. 571 (572 f.).<br />

31 <strong>Die</strong>se Fälle zählt Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 5, auch zur Mordlust; in einer neueren<br />

Entscheidung <strong>des</strong> LG Oldenburg aus dem <strong>Ja</strong>hre 2009 ist Heimtücke angenommen<br />

worden.<br />

32 Missverständlich BGHSt 47, 128 (133 f.) m. krit. Bspr. Neumann JR 2002, 471<br />

(472) u. Saliger StV 2003, 38 (40); klarstellend Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 8.<br />

33 Rauber Mord durch Unterlassen, 2008, S. 58. – Aus der Übungsfall-Literatur zur<br />

Mordlust vgl.: Kudlich PdW BT <strong>II</strong>, Fall 9 (BGHSt 34, 59, nachgebildet); Mitsch<br />

JuS 1996, 123: Fall 16 (BGH NJW 1994, 2629, nachgebildet); Otto Jura 1994,<br />

144: Fall 5 (BGHSt 34, 59, nachgebildet).<br />

8-9/2009 567<br />

AUFSATZ


AUFSATZ<br />

AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

B. ZUR BEFRIEDIGUNG DES GESCHLECHTSTRIEBS<br />

»Zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebs« tötet, wer das Töten<br />

als Mittel zu seiner geschlechtlichen Befriedigung benutzen<br />

will. 34 Prototyp ist der sog. »Lustmörder«, der »schon im<br />

Tötungsakt geschlechtliche Befriedigung sucht« (BGHSt 7, 353<br />

[354]; 19, 101 [105]). Bereits diese Definition und erst recht<br />

der von ihr erfasste Prototyp lösen Abscheu und Ekel aus,<br />

doch ist damit noch nicht die besondere Verwerflichkeit und/<br />

oder Gefährlichkeit <strong>des</strong> Lustmörders, der dieses Mordmerkmal<br />

erfüllt, begründet. <strong>Die</strong> Möglichkeit einer solchen Begründung<br />

wird sogar bezweifelt, weil die Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebs<br />

in der Natur <strong>des</strong> Menschen liege. Eine u.a. damit begründete<br />

Verfassungsbeschwerde ist aber vom Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

2007 nicht zur Entscheidung angenommen<br />

worden. 35 Beschwert hatte sich der sog. »Kannibale«, der wegen<br />

Mor<strong>des</strong> zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebs vom Bun<strong>des</strong>gerichtshof<br />

in Strafsachen (BGHSt 50, 80) verurteilt worden war.<br />

<strong>Die</strong>se Entscheidung und der von ihr beurteilte Sachverhalt – auf<br />

Sachverhalt und Entscheidung wird unten noch näher einzugehen<br />

sein – hat das hier zu behandelnde Mordmerkmal aus seinem<br />

»Dornröschenschlaf« erweckt und in die aktuelle Diskussion umstrittener<br />

Mordmerkmale zurückgeholt. Dass das Mordmerkmal<br />

auch unter dem Gesichtspunkt seine Relevanz für die juristische<br />

Ausbildung eher am Rande bzw. im Schatten stand, zeigt seine<br />

Nichtbehandlung in den »Definitionen und Erläuterungen« zum<br />

Strafrecht Besonderer Teil von Küper. 36 Für die Praxis ist die Frage<br />

seiner Verfassungsgemäßheit jetzt entschieden. Dennoch ist es<br />

sinnvoll, auch die Begründung für die verfassungsrechtliche Haltbarkeit<br />

dieses Mordmerkmals als »lebenslang« auslösen<strong>des</strong> Mordmerkmal<br />

zur Kenntnis zu nehmen, denn sie muss alle (sogleich vorzustellenden)<br />

Fallgruppen, in denen dieses Merkmal erfüllt ist, bei<br />

seiner teleologischen Auslegung »tragen«.<br />

In – freilich nicht expliziter – Anlehnung an Stimmen aus<br />

der Strafrechtswissenschaft, die zur Legitimation dieses Mordmerkmals<br />

auf das Missverhältnis zwischen Mittel, Tötung und<br />

Zweck – zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebs – als »Grundprinzip«<br />

(anstelle oder neben den Prinzipien der Verwerflichkeit<br />

und Gefährlichkeit) abstellen, 37 rekurriert das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

auf die »Relation von Zweck und Mittel« (BVerfG<br />

NJW 2009, 1061 [1063]). Damit kann und wird die oben<br />

vorgestellte Begründung der Verfassungsbeschwerde mit der<br />

triebhaften Natur <strong>des</strong> Menschen »widerlegt«; auch wenn die<br />

Triebausstattung zum Menschen gehört, kann das Recht es<br />

nicht zulassen, dass die Befriedigung <strong>des</strong> Sexualtriebs sich <strong>des</strong><br />

Lebens anderer bedient. Dass die Tötung eines anderen zum<br />

Zwecke dieser Befriedigung sogar eine besondere Verwerflichkeit<br />

bzw. eine gegenüber sonstigen Tötungen anderer eine<br />

erhöhte Strafwürdigkeit aufweist, begründet das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

überzeugend mit einem BGH-Zitat, wonach der<br />

»Lustmörder« das Leben eines Menschen der Befriedigung seiner<br />

Geschlechtslust »unterordnet« (BVerfG a.a.O.). Der Bun<strong>des</strong>gerichtshof<br />

in Strafsachen hat dieses »Unterordnungsargument«<br />

bereits 1963 (BGHSt 19, 101 [105]) als Sicht <strong>des</strong><br />

»Gesetzes« ausgegeben und in der »Kannibalen-Entscheidung«<br />

wiederholt (BGHSt 50, 80 [86]).<br />

<strong>Die</strong>ser Begründung der Verwerflichkeit wird noch eine Gefährlichkeitsbegründung<br />

»nachgeschoben«: »Ferner spricht<br />

eine Tötung aus sexuellen Motiven regelmäßig für eine besondere<br />

Gefährlichkeit <strong>des</strong> Täters« (BVerfG NJW 2009, 1061<br />

[1063]). Auch diesem empirisch klingenden Argument wird<br />

man – als kriminologischer Laie – eine gewisse Plausibilität<br />

nicht absprechen können. Eine solche Plausibilität sozialwissenschaftlich<br />

nicht exakt zu begründender Zusammenhänge genügt<br />

dem Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht auch sonst bei der verfassungs-<br />

568<br />

8-9/2009<br />

rechlichten Legitimation von Strafvorschriften, wie sich jüngst<br />

in der »Inzest-Entscheidung« <strong>des</strong> Gerichts gezeigt hat (BVerfG<br />

NJW 2008, 1137 [1139]): familien- und sozialschädliche Wirkungen<br />

<strong>des</strong> Geschwisterinzestes i.S.d. <strong>§</strong> 173 <strong>II</strong> StGB seien mit<br />

sozialwissenschaftlichen Methoden nicht ohne weiteres greifbar,<br />

das ändere aber nichts an der »Plausibilität« der Annahme<br />

solcher Wirkungen. Der Unterschied zu der normativen Argumentation<br />

mit der »Unterordnung« <strong>des</strong> Lebens <strong>des</strong> Opfers<br />

unter die sexuelle, triebhafte Zweckverfolgung <strong>des</strong> Täters liegt<br />

darin, dass diese empirisch nicht angreifbar ist; darin mag der<br />

Dogmatiker einen Vorteil sehen, der Kriminologe wird das<br />

wohl anders bewerten, denn ihm sind normative Aussagen<br />

schon wegen ihrer »Gesetztheit« suspekt. So kann man etwa<br />

Kargl verstehen, wenn er die Berücksichtigung empirischer Argumente<br />

der einschlägigen Wissenschaft für die von ihm polemisch<br />

behauptete, etikettierende Degradierung <strong>des</strong> »Lustmörders«,<br />

der gesinnungsstrafrechtlich behandelt werde, vermisst. 38<br />

Da trifft die normative Einordnung <strong>des</strong> Mordmerkmals durch<br />

Kelker die Sache schon besser, wenn sie das »Unterordnungs-<br />

Argument« dahin zuspitzt, dass der Täter das Leben <strong>des</strong> Opfers<br />

für eigene egoistische Zwecke missbrauche. 39 Dass der Täter<br />

außer in das Leben auch noch in die sexuelle Integrität <strong>des</strong><br />

Opfers eingreift, 40 ist zwar richtig, rechtfertigt aber eher eine<br />

Idealkonkurrenz der in Frage kommenden Delikte als die Einordnung<br />

als besonders verwerfliches Mordmerkmal.<br />

Der Wortlaut enthält immerhin zwei Hinweise für die Auslegung.<br />

Zum einen ergibt sich aus dem Wort »zur«, dass die Befriedigung<br />

<strong>des</strong> Geschlechtstriebs nicht erreicht worden sein muss. 41<br />

»Das Gesetz verlangt lediglich ein Handeln mit entsprechender<br />

Zielrichtung, der Zweck muss nur in der Vorstellung <strong>des</strong> Täters<br />

vorhanden gewesen sein und ihn zu seiner Handlung bestimmt<br />

haben; die Zweckerfüllung ist nicht erforderlich« (BGH NStZ<br />

1982, 464 im Anschluss an OGHSt 2, 337 [339]; bestätigt von<br />

BGHSt 50, 80 [86]). Zum anderen reicht der erstrebte Zweck<br />

der sexuellen Erregung nicht, 42 denn Befriedigung ist mehr als<br />

bloße Erregung. Negativ lässt sich dem Wort »zur« noch entnehmen,<br />

dass Fälle auszuscheiden sind, in denen das Bedürfnis nach<br />

sexueller Befriedigung den Täter erst überkommt, nachdem er<br />

»die maßgeblichen Ursachen für den Tod« <strong>des</strong> Opfers »gesetzt«<br />

hat (BGH NStZ 2001, 598 [599]). 43 Denn dann wird nur während<br />

<strong>des</strong> weiteren tödlichen Verlaufs eine sexuelle Befriedigung<br />

gesucht, nicht aber wird die Tötung als Mittel zu dieser Befriedigung<br />

benutzt. Erst recht entfällt das Merkmal »zur«, wenn z.B.<br />

die »Geilheit« beim tödlichen Würgen noch nicht vorhanden<br />

war, sondern »erst nach der Tötung entstanden« ist und den Täter<br />

dann zum Geschlechtsverkehr veranlasst hat (BGH NStZ-RR<br />

2004, 8).<br />

Zu den Fallgruppen, die die Rechtssprechung statt einer<br />

Definition <strong>des</strong> Merkmals in fast jeder neuen Entscheidung<br />

gebetsmühlenhaft abspielt, obwohl diese sich auch in fast jedem<br />

Kommentar und Lehrbuch finden: Wie einleitend nach der<br />

Definition <strong>des</strong> Merkmals »Zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechts-<br />

34 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.<br />

35 BVerfG NJW 2009, 1061.<br />

36 Küper (Fn. 4).<br />

37 Schroeder JuS 1984, 275 (277), im Anschluss an <strong>Ja</strong>kobs NJW 1969, 489 (490 f.);<br />

vgl. auch Heine (Fn. 16) S. 214: die soziale »Alltäglichkeit« der Geschlechtsbefriedigung<br />

um den Preis eines Menschenlebens durchsetzen; krit. Köhne Jura 2009, 100<br />

(103).<br />

38 Kargl StraFo 2001, 365 H (367).<br />

39 Kelker (Fn. 9) S. 602.<br />

40 So Müssig (Fn. 20) S. 267.<br />

41 Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 12.<br />

42 Köhne Jura 2009, 100 (103); Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 83.<br />

43 Ebenso Otto Jura 2003, 612 (616); Köhne Jura 2009, 100 (103 f.); Lackner/Kühl<br />

(Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.


AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

triebs« bereits gesagt, bildet der »Lustmord« die »Kern-Fallgruppe«<br />

(1. Fallgruppe). Beim »Lustmord« findet der Täter<br />

schon im Tötungsakt selbst die geschlechtliche Befriedigung; 44<br />

nach dem beim »Wortlaut« zwischenzeitlich Gesagten reicht<br />

es, wenn er diese Befriedigung dabei erstrebt. Streben nach<br />

sexueller Befriedigung bzw. das Erreichen sexueller Befriedigung<br />

gehen mit der Tötung zeitgleich einher. Entscheidend ist aber,<br />

dass das Töten das Mittel zur (erstrebten) Befriedigung <strong>des</strong><br />

Geschlechtstriebs darstellt, also der funktionelle Zusammenhang.<br />

<strong>Die</strong>ser funktionelle Zusammenhang ist auch dann gegeben,<br />

wenn die (erstrebte) sexuelle Befriedigung zeitlich verschoben<br />

und im Umgang mit der Leiche gesucht wird (2. Fallgruppe).<br />

45 Unter diese Fallgruppe fällt eine Tötung, die der<br />

Täter vornimmt, »um danach das Opfer geschlechtlich zu missbrauchen«<br />

(BGHSt 7, 353 [354]), die auch sog. »Nekrophilie«.<br />

Dabei soll es nach der Rechtsprechung nicht darauf ankommen,<br />

dass der Täter »von vorneherein« aus diesem Grunde<br />

töten will; es soll vielmehr ausreichen, dass er den Tod <strong>des</strong><br />

Opfers »noch während der Tat in seinen Willen aufnimmt,<br />

um danach seine geschlechtliche Lust an der Leiche zu befriedigen«<br />

(BGH a.a.O.; übernommen von BGH StV 1982, 14<br />

[15]). Damit wird zusätzlich zum unbedingt erforderlichen<br />

funktionellen Zusammenhang auch noch die zeitliche Übereinstimmung<br />

von Töten und (erstrebte) sexueller Befriedigung<br />

gewahrt. Dass das sexuelle Tatobjekt in der 1. Fallgruppe ein<br />

noch lebender Mensch, in der 2. Fallgruppe aber schon eine<br />

Leiche ist, macht bei funktionellem und zeitlichem Zusammenhang<br />

keinen wesentlichen Unterschied aus; außerdem bleibt es<br />

bei ein und demselben Opfer in freilich unterschiedlicher<br />

»Qualität« als Mensch und Leiche.<br />

In der 3. Fallgruppe, die – weil sie als letzte von der<br />

Rechtsprechung gebildet wurde – auch als 4. Fallgruppe bezeichnet<br />

wird, 46 ist der zeitliche Zusammenhang »gelockert«,<br />

der entscheidende funktionelle Zusammenhang aber gegeben. 47<br />

<strong>Die</strong> Fallgruppe wird bisher ausschließlich vom bereits mehrfach<br />

angesprochenen »Kannibalen-Fall« (BGHSt 50, 80) gebildet.<br />

Der sog. »Kannibale« hat nicht die Tötung <strong>des</strong> Opfers selbst<br />

zur geschlechtlichen Befriedigung benutzt, er hat sich auch<br />

nicht an der Leiche vergangen, sondern er hat sich beim<br />

Betrachten <strong>des</strong> Videos, das er von der Tötung und »Schlachtung«<br />

<strong>des</strong> zum Teil auch noch verzehrten Opfers angefertigt<br />

hatte, wie geplant selbst befriedigt. <strong>Die</strong>ses zeitliche Auseinanderfallen<br />

von Tötung und (erstrebter) sexueller Befriedigung<br />

ändert jedoch nichts an dem erforderlichen funktionellen Zusammenhang.<br />

Denn die Tötung <strong>des</strong> Opfers war »notwendig«,<br />

um auf die geschilderte Weise sexuelle Befriedigung erlangen<br />

zu können. 48 Auch als Gegenstand einer Videoaufnahme war<br />

der Getötete selbst das »Bezugsobjekt der Sinneslust« <strong>des</strong> Täters<br />

(BGHSt 50, 80 [86]); es besteht also »Personalidentität« zwischen<br />

dem Opfer der Tötung und dem Objekt der sexuellen<br />

Befriedigung. 49 Ein Festhalten am körperlichen Näheverhältnis<br />

zur Leiche 50 ist ebenso wenig zu verlangen wie ein räumlicher<br />

Zusammenhang. 51 <strong>Die</strong> Ersteckung der 3. Fallgruppe auf die<br />

mediale Betrachtung <strong>des</strong> sexuell stimulierenden Tötungsvorgangs<br />

ist keine gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßende<br />

Ausdehnung <strong>des</strong> Bereiches <strong>des</strong> Strafbaren, 52 sondern eine konsequente<br />

Fortentwicklung der bisherigen Fallgruppen <strong>des</strong> Lustmor<strong>des</strong><br />

und der Leichenschänderei. 53 <strong>Die</strong> Entscheidung ist<br />

<strong>des</strong>halb auch in der Lehrbuch-Literatur überwiegend auf Zustimmung<br />

gestoßen 54 und vom Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht bestätigt<br />

worden (BVerfG NJW 2009, 1061 [1064]).<br />

<strong>Die</strong> vor der »Kannibalen«-Entscheidung <strong>des</strong> BGH aus dem<br />

<strong>Ja</strong>hre 2005 sog. 3. Fallgruppe <strong>des</strong> Merkmals »zur Befriedigung<br />

<strong>des</strong> Geschlechtstriebs« wird hier als 4. Fallgruppe behandelt,<br />

weil sie sich nicht nahtlos in die Fallgruppen 1-3 einordnen<br />

lässt. Es geht konkret um Fallgestaltungen, bei denen<br />

der Vergewaltiger den Tod <strong>des</strong> Opfers – so die Rechtsprechung<br />

–, »billigend in Kauf nimmt« (BGHSt 19, 101 [105];<br />

BGH StV 1992, 259); man würde – um das missverständliche<br />

»Billigen« zu vermeiden – besser sagen: sich mit dem Tod <strong>des</strong><br />

Opfers abfindet. 55<br />

<strong>Die</strong> Schwierigkeiten, diese dolus-eventualis Fälle in das<br />

Mordmerkmal einzuordnen, rühren daher, dass der funktionelle<br />

Zusammenhang zwischen dem Töten und der erstrebten sexuellen<br />

Befriedigung lockerer erscheint, 56 weil es dem Täter auf<br />

den Tod <strong>des</strong> Opfers nicht unbedingt ankommt und er auch<br />

nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom<br />

Tod <strong>des</strong> Opfers als Folge seines Handelns – z.B. <strong>des</strong> Würgens<br />

(BGHSt 19, 101 ff.; BGH StV 1992, 259 = Fall 9 bei Otto<br />

Jura 1994, 141 [144]) – ausgeht. Aber Absicht und Wissentlichkeit<br />

als Formen <strong>des</strong> auch sog. direkten Vorsatzes 57 werden<br />

weder für den Totschlag noch für den Mord »zur Befriedigung<br />

<strong>des</strong> Geschlechtstriebs« vom »Gesetz« gefordert. Insoweit hat der<br />

BGH recht, wenn er feststellt, dass der »Wortlaut der Vorschrift<br />

… nicht zu solcher Einschränkung« zwingt (BGHSt 19,<br />

101 [105]).<br />

<strong>Die</strong> weitere Behauptung <strong>des</strong> BGH, »der Zweck« der Vorschrift<br />

stehe der Ausgliederung solcher Fälle »entgegen«, erfordert<br />

größeren Begründungsaufwand als das Wortlaut-Argument.<br />

Im Ansatz überzeugend stellt der BGH auf den Grund<br />

der Verwerflichkeit <strong>des</strong> Mordmerkmals ab, den er – wie bereits<br />

oben zitiert – darin sieht, dass »der Täter das Leben eines<br />

Menschen der Befriedigung seiner Geschlechtslust unterordnet«<br />

(BGHSt 19, 101 [105]; zust. aufgegriffen von BGHSt 50, 80<br />

[86] und von BVerfG NJW 2009, 1061 [1063]). <strong>Die</strong> Subsumtion<br />

der Fallgruppe 4 unter diesen »Zweck« der Vorschrift<br />

bleibt der BGH allerdings schuldig. Versucht man dies nachzuholen,<br />

so kann man zunächst sagen, dass der Täter – konkret:<br />

der Gewalt gegen das Opfer seiner sexuellen Begierde Anwendende<br />

– das Ziel der sexuellen Befriedigung anstrebt; insoweit<br />

unterscheidet er sich nicht vom »Lustmörder«, »Leichenschänder«<br />

und »Videobetrachter«. Fraglich ist nur, ob er wie diese<br />

das Töten als Mittel zur Erreichung dieses Ziels einsetzt, obwohl<br />

er dieses nicht direkt-vorsätzlich (absichtlich oder wissentlich)<br />

vornimmt. Aber auch demjenigen, der sich mit dem als<br />

möglicherweise eintretend erkannten Tod <strong>des</strong> Opfers seiner<br />

sexuellen Begierde abfindet, ist bewusst, dass er das Leben <strong>des</strong><br />

Opfers als Mittel für seine egoistischen sexuellen Ziele benutzt<br />

und also <strong>des</strong>sen Leben der (erstrebten) eigenen Befriedigung<br />

unterordnet. Wer erkennt, dass das Opfer seiner sexuellen Begierden<br />

durch die dabei angewendete Gewalt den Tod finden<br />

kann, »stellt« die Befriedigung seines Geschlechtstriebs »über<br />

alles«, auch über ein Menschenleben. Solch rücksichtsloses<br />

44 Köhne Jura 2009, 100 (102): »am eindeutigsten«.<br />

45 Köhne Jura 2009, 100 (102): »berechtigt«.<br />

46 So etwa von Geppert JK 12/05, StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 46a.<br />

47 Das BVerfG NJW 2009, 1061 (1064), spricht vom gegebenen »unmittelbarem<br />

Zusammenhang«.<br />

48 Momsen/Jung ZIS 2007, 162 (163).<br />

49 Kudlich JR 2005, 342 (344).<br />

50 So aber Schiemann NJW 2005, 2350.<br />

51 Ebenso abl. Kudlich JR 2005, 342 (345) u. Momsen/Jung ZIS 2007, 162 (163).<br />

52 So aber Kreuzer MschrKrim 2005, 412 (422).<br />

53 So Kudlich JR 2005, 342 (343); abl. Köhne Jura 2009, 100 (103).<br />

54 Vgl. etwa Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 10) <strong>§</strong> 2 Rn. 55; Eisele (Fn. 8) Rn. 82; Heghmanns<br />

(Fn. 16) Rn. 198; Kindhäuser (Fn. 14) <strong>§</strong> 2 Rn. 12; Wessels/Hettinger (Fn. 5)<br />

Rn. 94 a.<br />

55 Vgl. Kühl AT, 6. Aufl. 2008, <strong>§</strong> 5 Rn. 85.<br />

56 Zweifel bei Geppert JK 12/05, StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 46a.<br />

57 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> 15 Rn. 20 (21).<br />

8-9/2009 569<br />

AUFSATZ


AUFSATZ<br />

AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

Vorgehen kann man als besonders verwerflich, den Täter als<br />

besonders gefährlich bezeichnen; das Missverhältnis zwischen<br />

Mittel und Zweck ist auch in diesen Fällen gegeben. 58<br />

Weitere Voraussetzung <strong>des</strong> Merkmals »zur Befriedigung <strong>des</strong><br />

Geschlechtstriebs« ist die Identität der getöteten Person mit<br />

dem Opfer der sexuellen Begierde. <strong>Die</strong> Tötung eines Begleiters<br />

oder Beschützers dieses Opfers reicht <strong>des</strong>halb nicht. 59 Zwar<br />

kommt hier jemand aufgrund einer sexuell motivierten Handlung<br />

zu Tode, aber die sexuelle Befriedigung sucht der Täter<br />

nicht auf <strong>des</strong>sen Kosten. 60 Es kommt aber Mord wegen Ermöglichungsabsicht<br />

in Betracht. 61 Das Merkmal ist auch dann<br />

nicht erfüllt, wenn der Entschluss zur Tötung anders als sexuell<br />

motiviert ist, z.B. wenn die sexuelle Begierde erst nach der<br />

Tötung aufkommt (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 8). Das gilt<br />

auch für den Fall, dass der Täter die maßgeblichen Ursachen<br />

für den Tod »<strong>des</strong> Opfers gesetzt hat, bevor ihn ›das Bedürfnis<br />

nach sexueller Bestätigung und Befriedigung‹ überkam« (BGH<br />

NStZ 2001, 598 [599] = Fall 9 bei Otto Jura 2003, 612<br />

[616]). 62 Ein Motivwechsel derart, dass der Täter mittels Drohungen<br />

zunächst den Geschlechtsverkehr zu erzwingen versucht<br />

und dann zur Tötung – nach ergebnisloser Drohung – Gewalt<br />

einsetzt, steht der Erfüllung <strong>des</strong> Mordmerkmals nicht entgegen,<br />

wenn er beim gewaltsamen Würgen auch noch das Ziel weiterverfolgt,<br />

seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen (BGH NStZ<br />

2005, 91).<br />

Auch eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassen gem.<br />

<strong>§</strong><strong>§</strong> 212, 13 StGB kann »zur Befriedigung <strong>des</strong> Geschlechtstriebes«<br />

begangen (und damit zum Mord) werden, allerdings muss<br />

das Unterlassen einem Tun i.S.d. <strong>§</strong> 13 StGB entsprechen. 63<br />

So etwa wenn der Täter durch den To<strong>des</strong>kampf <strong>des</strong> Opfers,<br />

sein Schreien und Wimmern, sexuell stimuliert wird; nicht<br />

dagegen, wenn er die sexuelle Befriedigung in der Ausführung<br />

der Tötungshandlung sucht. 64<br />

C. HABGIER<br />

Habgier erfordert zunächst, dass der Täter zur Erlangung wirtschaftlicher<br />

Vorteile tötet. 65 Mit diesem Erfordernis wird aber<br />

nur der erste Wortteil – das Haben(wollen) – »abgedeckt«.<br />

Der zweite Wortteil – die Gier – verlangt als weiteres Erfordernis<br />

ein qualifiziertes Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen.<br />

Auch wenn die qualifizierenden Adjektive, mit denen dieses<br />

Streben versehen wird, vielfältig sind und in ihrer Kombination<br />

variieren, so kehren doch folgende Qualifizierungen immer<br />

wieder: ungehemmtes 66 /hemmungsloses 67 /ungezügeltes 68 überzogenes<br />

69 /übertriebenes 70 und rücksichtsloses. 71 All diese – und<br />

noch weitere wie: abstoßen<strong>des</strong>, gesteigertes, ungewöhnliches,<br />

ungesun<strong>des</strong>, gewissensloses – Adjektive versuchen, mit umgangssprachlich<br />

verwendeten Begriffen dem Gewinnstreben einen<br />

»gierigen« Charakter beizulegen. Das ist im Ansatz bei der<br />

Habgier <strong>des</strong>halb angebracht, weil auch die zu qualifizierende<br />

›Habgier‹ ein Rechtsbegriff ist, der im allgemeinen Sprachgebrauch<br />

enthalten ist (darauf hebt etwa BGHSt 29, 317 ab). 72<br />

Im Bedeutungswörterbuch <strong>des</strong> Dudens findet sich <strong>des</strong>halb auch<br />

die ›Habgier‹, und sie wird als übertrieben empfundenes Streben<br />

nach Vermehrung <strong>des</strong> Besitzes, als »Besitz- und Geldgier«<br />

sowie »Gewinn- und Habsucht« erläutert. 73 Dass der allgemeine<br />

Sprachgebrauch damit weniger eine rechtliche, sondern<br />

eine moralische Qualifizierung <strong>des</strong> Strebens nach wirtschaftlichen<br />

Vorteilen zum Ausdruck bringt, hindert das Strafrecht<br />

nicht, diese in erster Linie moralischen Qualifizierungen zur<br />

Definition <strong>des</strong> auch in erster Linie moralischen Begriffs ›Habgier‹<br />

heranzuziehen. <strong>Die</strong> Kritik an moralisch aufgeladenen Habgier-Definitionen<br />

74 wäre nur dann berechtigt, wenn es sich bei<br />

den Qualifizierungen der Habgier um ausschließlich der Moral<br />

570<br />

8-9/2009<br />

zugehörige Adjektive handeln würde. Das aber wird man etwa<br />

für ›abstoßend‹ 75 oder ›gewissenlos‹, nicht aber für ›ungehemmt‹<br />

oder ›rücksichtslos‹ sagen können. Deshalb erscheint<br />

die Definition der Habgier als ungehemmtes, überzogenes<br />

und rücksichtsloses Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen<br />

als anschauliche Umschreibung <strong>des</strong> gierigen Gewinnstrebens,<br />

das mit dem Begriff ›Habgier‹ in <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB gemeint ist.<br />

Es ist <strong>des</strong>halb auch nicht von vorneherein unzulässig, in die<br />

Definitionen der Habgier deren sittliche oder sozialethische<br />

Anstößigkeit aufzunehmen. 76 Dass ein Verhalten (Gewinnstreben),<br />

das auf einem bestimmten Motiv (Habgier) beruht, moralisch<br />

(sittlich oder sozialethisch) negativ bewertet wird, spricht<br />

trotz der berechtigten Forderung nach Trennung von Recht<br />

und Moral bei Motiven/Gesinnungen noch nicht dagegen, dass<br />

das so motivierte Verhalten auch rechtlich negativ zu bewerten<br />

ist. <strong>Die</strong> Rücksichtnahme auf andere zu fordern und die entsprechende<br />

negative Bewertung von rücksichtslosem Verhalten<br />

sind auch rechtliche Forderungen und Bewertungen. Erst recht<br />

erscheint die Übernahme der negativen moralischen Bewertung<br />

in das Strafrecht dann berechtigt, wenn man sieht, dass habgieriges<br />

Verhalten nicht als solches, sondern nur dann pönalisiert<br />

wird, wenn es die Tötung eines anderen Menschen bestimmt.<br />

In der Verbindung mit dieser Tötung zeigt sich auch die<br />

Berechtigung der Kennzeichnung der habgierigen Tötung, die<br />

mit den Worten »um jeden Preis« – auch den eines Menschenlebens<br />

– sowohl von der Rechtsprechung 77 als auch von<br />

der Strafrechtswissenschaft 78 durchgehend erfolgt. Das Streben<br />

nach Vermögensvorteilen ist zumin<strong>des</strong>t in unserer Gesellschaft<br />

nicht »verpönt«. Wenn dieses Streben aber so weit geht, dass<br />

es gleichsam »über Leichen geht«, dann ist eine negative Bewertung<br />

durch das Strafrecht angezeigt. Wer auf menschliches<br />

Leben bei der Verfolgung seiner wirtschaftlichen Ziele keine<br />

58 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald (Fn. 9) <strong>§</strong> 2 Rn. 32; gegen die Einbeziehung dieser<br />

Fallgruppe Köhne Jura 2009, 100 (103 f.).<br />

59 BGH GA 1963, 84; Köhne Jura 2009, 100 (104); Fischer (Fn. 17) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 9;<br />

NK/Neumann (Fn. 10) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 12; Schönke/Schröder/Eser (Fn. 12) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 16;<br />

Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 10; Rengier (Fn. 2) <strong>§</strong> 4 Rn. 12; diff. Kubiciel JA 2005, 763<br />

(764); anders Arzt FS Roxin, 2001, S. 855 (858) Fn. 7.<br />

60 Mitsch JuS 1996, 123; vgl. auch schon Geilen FS Lackner, 1987, S. 571 (580).<br />

61 Eisele (Fn. 8) Rn. 83; Jäger (Fn. 11) Rn. 29; Wessels/Hettinger (Fn. 5) Rn. 94a.<br />

62 Zust. MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 56 Fn. 155.<br />

63 Eher abl. Arzt FS Roxin, 2001, S. 855 (858); Mitsch JuS 1996, 123.<br />

64 Rauber (Fn. 33) S. 294 Fn. 59 u. 60. – Aus der Übungsfall-Literatur vgl.: Mitsch<br />

JuS 1996, 123: Fall 17 (Unterlassungsfall); Wagner BT-Fälle, Fall 7, S. 65 u. 69 f.<br />

(BGHSt 19, 101, nachgebildet).<br />

65 NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 13; ähnlich MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong><br />

Rn. 58.<br />

66 BGH NJW 1981, 932 (933); Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4 u. Küper (Fn. 4)<br />

S. 189.<br />

67 BGHSt 29, 317.<br />

68 BGH NJW 1995, 2365 (2366); Eisele (Fn. 8) Rn. 84; Wessels/Hettinger (Fn. 5)<br />

Rn. 94 b.<br />

69 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.<br />

70 BGHSt 10, 399; Gössel/Dölling (Fn. 10) <strong>§</strong> 4 Rn. 44.<br />

71 BGHSt 10, 399; Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 13; Küper (Fn. 4) S. 189; Maurach/<br />

Schroeder/Maiwald (Fn. 9) <strong>§</strong> 2 Rn. 33; Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 12; Rengier (Fn. 8) <strong>§</strong> 4<br />

Rn. 13; Schroth (Fn. 4) S. 66.<br />

72 Ebenso Wessels/Hettinger (Fn. 5) Rn. 94b.<br />

73 Duden 10, 2. Aufl. 1985, S. 317.<br />

74 Etwa von Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 11) <strong>§</strong> 2 Rn. 59; krit. zur moralisierenden Rspr.<br />

NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 14 u. MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong><br />

Rn. 63; krit. auch Kargl StraFo 2001, 365 (367), der gesinnungsstrafrechtliche Momente<br />

ausmacht.<br />

75 Krit. dazu Wolf FS Schreiber, 2003, S. 519 (524): nicht mit <strong>§</strong> 1 StGB, Art. 103 <strong>II</strong><br />

GG vereinbar, da »richterlicher Willkür« überlassen.<br />

76 So etwa Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 12 u. Schroth<br />

(Fn. 4) S. 66.<br />

77 BGHSt 10, 399 u. 29, 317; BGH NJW 1981, 932 (933) u. 2001, 763; BGH StV<br />

1991, 207.<br />

78 Eisele (Fn. 8) Rn. 84; Kindhäuser (Fn. 15) <strong>§</strong> 2 Rn. 13; Küper (Fn. 4) S. 189; Küpper<br />

BT1, 3. Aufl. 2007, I 1 Rn. 39; Rengier (Fn. 8) <strong>§</strong> 4 Rn. 13; Wessels/Hettinger (Fn. 5)<br />

Rn. 94b.


AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

Rücksicht nimmt, greift aus nicht akzeptablen Gründen in die<br />

Freiheitssphäre anderer ein. 79 Es wird <strong>des</strong>halb auch von Kritikern<br />

eines durch Berücksichtigung von Motiven/Gesinnungen<br />

»aufgeladenen«, moralisierenden Strafrechts zur Berechtigung<br />

der Habgier als lebenslange Freiheitsstrafe auslösen<strong>des</strong> Mordmerkmal<br />

auf die grob egoistische, 80 das Opfer »verdinglichende«<br />

81Zwecksetzung <strong>des</strong> Täters abgehoben; auch die Rechtsprechung<br />

sieht den Grund für den gesteigerten Mord-Vorwurf<br />

in der »ungehemmten Eigensucht« (BGH NJW 1981, 932).<br />

In dieser Betonung <strong>des</strong> Egoismus <strong>des</strong> Täters im Umgang mit<br />

anderen Menschen liegt die besondere Strafwürdigkeit <strong>des</strong><br />

Habgier-Mor<strong>des</strong>. <strong>Die</strong>se lässt sich zwanglos als besondere Verwerflichkeit<br />

<strong>des</strong> Vorgehens einordnen, zeigt aber auch <strong>des</strong>sen<br />

Gefährlichkeit, 82 wenn man die Häufigkeit der Situationen<br />

bedenkt, in denen »nur noch« ein anderer Mensch dem Erlangen<br />

von Vermögensvorteilen im Weg steht. 83 Schließlich kann<br />

auch auf ein unerträgliches Missverhältnis zwischen dem Streben<br />

nach materiellen Vorteilen und der Vernichtung menschlichen<br />

Lebens hingewiesen werden. 84 Dass neben der Tötung<br />

ein Einbruch in rechtlich garantierte Besitz- und Eigentumsverhältnisse<br />

erfolgt (so Müssig Mord und Totschlag, 2005,<br />

S. 267 f.), steigert die Strafwürdigkeit der Tötung hingegen<br />

nicht.<br />

Typische Fälle der habgierigen Tötung eines Menschen<br />

sind:<br />

■ der von der Ehefrau für die Tötung <strong>des</strong> Ehemannes engagierte<br />

»Killer«, 85 der für sein Engagement 20.000 A erhält;<br />

aber auch wer sonst gegen Bezahlung oder Belohnung tötet, 86<br />

ist durch Habgier bestimmt; man spricht auch vom »Meuchelmord«<br />

87 oder vom bezahlten Auftragsmord (vgl. BGHSt 50, 1<br />

[7]); 88<br />

■ der Raubmord, 89 bei dem der Täter das Opfer tötet, um<br />

an <strong>des</strong>sen Wertsachen heranzukommen; auch wer das Opfer<br />

erst nach Wegnahme der Sache und damit nach Vollendung<br />

<strong>des</strong> Raubes gem. <strong>§</strong> 249 StGB tötet, um die Beute zu sichern<br />

und damit – nach verbreiteter Meinung, die auch die Rechtsprechung<br />

hinter sich hat90 – den Raub zu beenden, handelt<br />

habgierig (BGH NJW 2001, 763 m. zust. Bspr. Otto JK 01,<br />

StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong>/36), 91 aber nicht weil die Beutesicherung noch<br />

zum Tatbestand <strong>des</strong> Raubes gehört, 92 sondern weil sie der<br />

Festigung <strong>des</strong> durch die Wegnahme erlangten Vorteils und<br />

damit der Vermögensmehrung dient (vgl. den Übungsfall von<br />

Kühl/Schramm JuS 2003, 681 [684]).<br />

Zu den typischen Habgier-Fällen, die im »täglichen Leben«<br />

auch wirklich vorkommen, gehören noch die Tötungen, mit<br />

denen der Täter frühzeitig in den Genuss einer Erbschaft<br />

(BGHSt, 42, 301 [303 f.]; 93 vgl. auch BGH NJW 1993, 1664)<br />

oder einer Lebensversicherung (BGHSt 32, 38) kommen will.<br />

Schon zum nicht unumstrittenen Bereich zählt dagegen die<br />

Tötung, von der sich der Täter zwar keinen Vermögenszuwachs<br />

verspricht, sich aber finanziell doch durch Ersparung von<br />

Aufwendungen, wie z.B. den Wegfall einer Unterhaltspflicht,<br />

besser stellen will (vgl. BGHSt 10, 399 = Fall 12 bei Otto<br />

Jura 2004, 141 [145]; vgl. auch BGHSt 50, 1 [10]). <strong>Die</strong><br />

Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH nimmt in diesen Fällen schon seit<br />

langem Habgier an, »denn in beiden Fällen« – der Täter will<br />

»einen tatsächlichen Gewinn erzielen oder nur Aufwendungen<br />

vermeiden« – gehe der Täter »in der gleichen rücksichts- und<br />

gewissenlosen Weise darauf aus, seine Vermögenslage zu verbessern«<br />

(BGHSt 10, 399 vom 22.10.1957). Bestätigt hat der<br />

BGH seine Rechtsprechung 2002 in einem Fall, in dem der<br />

Täter durch die Tötung die Rückzahlung eines Darlehens verhindern<br />

wollte (BGH bei Altvater NStZ 2003, 21 [22] =<br />

Fall 10 bei Otto Jura 2003, 616). <strong>Die</strong> Literatur stimmt dieser<br />

Gleichstellung zwar weitgehend zu, 94 teilweise mit der Einschränkung,<br />

dass nicht »die ›Lästigkeit‹ <strong>des</strong> Gläubigers, sondern<br />

die eigene Vermögensvermehrung im Vordergrund steht« (Fischer<br />

56. Aufl. 2009, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 11). 95<br />

Doch regt sich auch Widerspruch. So wendet etwa Mitsch<br />

ein, dass eine Tötung in »Vermögenserhaltungsabsicht« nicht<br />

die gleiche »gesteigerte Verwerflichkeit« aufweise wie die Tötung<br />

in »Vermögenserwerbsabsicht«, weil die Bestandssicherung<br />

eine »defensive Struktur« habe. 96 Letzteres ist zwar eine<br />

zutreffende Beschreibung der Absichten und <strong>des</strong> Verhaltens <strong>des</strong><br />

Täters, doch wird damit nicht schon eine unterschiedliche<br />

Bewertung begründet; dass auch ein Handeln in »Besitzerhaltungsabsicht«<br />

den Verwerflichkeitsgrad eines Mor<strong>des</strong> aufweisen<br />

kann, räumt auch Mitsch ein, wenn er dieses unter die sonst<br />

<strong>niedrigen</strong> <strong>Beweggründe</strong> subsumieren will. 97 Für die Gleichbehandlung<br />

von »Vermögenserhaltungsabsicht« und »Vermögenserwerbsabsicht«<br />

spricht, dass der Täter in beiden Fällen zur<br />

Tötung durch die erstrebte Verbesserung seiner Vermögenslage<br />

bestimmt wird. 98 <strong>Die</strong>se egoistische, auf materielle Ziele gerichtete<br />

Vorgehensweise ist besonders strafwürdig, weil sie das Leben<br />

anderer dem Vermögen unterordnet, egal ob dieses Vermögen<br />

vermehrt oder vor Verlust bewahrt werden soll; auch das<br />

Streben nach wirtschaftlicher Entlastung ist habgierig. 99 Das<br />

gilt nicht nur für die oben angesprochenen Fälle der ersparten<br />

Aufwendung, sondern auch für sonstige Fälle der Besitzerhaltung,<br />

obwohl hier die Rechtsprechung nicht so eindeutig ist. 100<br />

Zu denken ist etwa an den Fall, dass der Räuber auf Verfolger<br />

schießt, um von diesem nicht die gerade gemachte Beute abge-<br />

79 Vgl. auch BGHSt 42, 301 (304), zur Verhältnismäßigkeit von Habgier als niedrigem<br />

Beweggrund und lebenslanger Freiheitsstrafe.<br />

80 Vgl. mit differenzierender Begrifflichkeit bei Kelker (Fn. 9) S. 605 f. u. NK-StGB/<br />

Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 13.<br />

81 Heine LdR, S. 1013; ähnlich schon Heine (Fn. 16) S. 214.<br />

82 Vgl. Schönke/Schröder/Eser (Fn. 13) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 17.<br />

83 NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 13; zur Gefährlichkeit <strong>des</strong> Täters, der »über Leichen<br />

geht«, auch Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 11) <strong>§</strong> 2 Rn. 56 u. MüKo-StGB/Schneider<br />

(Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 60: gesteigerte Sozialgefährlichkeit, Beeinträchtigung <strong>des</strong> Sicherheitsgefühls.<br />

84 So etwa von Otto (Fn. 15) <strong>§</strong> 4 Rn. 12 u. von Heghmanns (Fn. 17) Rn. 200; aus der<br />

Rspr.: BGHSt 29, 317; krit. Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 13.<br />

85 BGH StV 1989, 150; Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4.<br />

86 BGH NJW 1981, 932 (933); BGH NStZ 2006, 34 u. 288.<br />

87 MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 62.<br />

88 Maurach/Schroeder/Maiwald (Fn. 9) <strong>§</strong> 2 Rn. 33.<br />

89 BGHSt 39, 159; Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 11; NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong><br />

Rn. 13; Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 11) <strong>§</strong> 2 Rn. 59; Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 13;<br />

Küpper (Fn. 78) I 1 Rn. 39.<br />

90 Vgl. BGHSt 6, 248; BGH NJW 1985, 814 m. krit. Bspr. Küper JuS 1986, 862.<br />

91 Ebenso Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 11; eingehende<br />

Fallanalyse bei Wolf FS Schreiber, 2003, S. 519 (520 ff.).<br />

92 Gegen die Beutesicherung als Beendigungsphase bei <strong>Die</strong>bstahl und Raub Kühl JuS<br />

2002, 729 ff. (732 f.) u. speziell zum Raub Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> 249 Rn. 6<br />

m.w.N.; a.A. und der Rspr. zust. Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> 249 Rn. 16.<br />

93 Dazu Müssig (Fn. 20) S. 268: Einbruch in rechtlich garantierte Besitz- und Eigentumsverhältnisse;<br />

ähnlich Küper GS Meurer, 2002, S. 191 (205): widerrechtlicher<br />

Tatzweck.<br />

94 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 22; Eisele<br />

(Fn. 8) Rn. 86; Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 13; Rengier (Fn. 8) <strong>§</strong> 4 Rn. 13 a: auch<br />

Heghmanns (Fn. 17) Rn. 202 f., mit BGHSt 29, 317, als Bsp., sowie Rn. 204 f. mit<br />

BGHSt 10, 399, als Bsp.<br />

95 Einschr. auch Küpper (Fn. 78) I 1 Rn. 40: nicht, wenn Schuldner getötet, der weitere<br />

Zahlungen verweigert.<br />

96 Mitsch JuS 1996, 121 (124); in diese Richtung auch SK-StGB/Horn 6. Aufl. 2000,<br />

<strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 14; Schönke/Schröder/Eser (Fn. 13) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 17 u. Küper GS Meurer,<br />

2002, S. 191 (205 f.), der der Habgier eine »aggressive Tendenz« oder »immanente<br />

Aggressivität« unterlegen will.<br />

97 Wie Mitsch auch Joecks 8. Aufl. 2009, <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15, der die »Behaltegier« nicht als<br />

Habgier einordnet.<br />

98 Ebenso Köhne Jura 2008, 805: kein Unterschied, ob Täter »mehr« erlangen oder<br />

»weniger« verhindern will, u. S. 807: inakzeptables Missverhältnis.<br />

99 Knapp, aber präzise zum Streitstand Küper (Fn. 4) S. 190 f.<br />

100 Ebenso schon Küper GS Meurer, 2003, S. 191 (206) Fn. 63, der der h.M. vorhält,<br />

dass sie sich nur bei der Schuldbefreiung, nicht bei der Besitzerhaltung auf die Rspr.<br />

berufen könne.<br />

8-9/2009 571<br />

AUFSATZ


AUFSATZ<br />

AUFSATZ STRAFRECHT · NIEDRIGE BEWEGGRÜNDE BEI <strong>§</strong> <strong>211</strong> <strong>II</strong> StGB<br />

nommen zu bekommen (vgl. den Übungsfall von Kühl/<br />

Schramm JuS 2003, 681 [684]). Auch hier will der Täter seine<br />

Vermögenslage verbessern, und zwar dadurch, dass er aus der<br />

ungesicherten Beute einen gesicherten Vermögensbestandteil<br />

machen will.<br />

Widerspruch regt sich in der Strafrechtswissenschaft aber<br />

vor allem in Fällen, in denen dem Täter ein Anspruch auf<br />

den erstrebten wirtschaftlichen Vorteil zusteht. Das ist schon<br />

<strong>des</strong>halb verständlich, 101 weil die zusätzliche – zusätzlich zur<br />

Rechtswidrigkeit der Tötung – Illegalität <strong>des</strong> erstrebten<br />

Zwecks – beim klassischen »Raubmord« der Raub – entfällt. 102<br />

Es fragt sich aber, ob dies für die Verneinung der Habgier<br />

ausreicht. Erscheint die Tötung wegen Gel<strong>des</strong> weniger strafwürdig,<br />

weil man einen Anspruch auf dieses Geld hat? Dass man<br />

wegen Gel<strong>des</strong>, auch wenn es einem rechtlich zusteht, nicht<br />

töten darf, lässt sich nicht bestreiten; – selbst die eigenmächtige<br />

Durchsetzung von Ansprüchen ist von der Rechtsordnung nur<br />

unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Was diskutabel erscheint<br />

ist allenfalls, ob es in den Anspruchfällen an gesteigertem<br />

Tötungsunrecht fehlt. Macht aber der Anspruch auf den<br />

erstrebten wirtschaftlichen Vorteil die zu seiner Durchsetzung<br />

erfolgte Tötung eines Schuldners weniger verwerflich? Das eingesetzte<br />

Mittel 103 – die Tötung – und die Zweck-Mittel-Relation<br />

104 sprechen dagegen. Auch sind »Rechthaber« auch im<br />

Hinblick auf vorsätzliche Tötungen besonders gefährliche Täter.<br />

Andererseits kann der Aspekt der berechtigten Selbsthilfe 105<br />

nicht gänzlich durch die Wahl <strong>des</strong> Mittels – Tötung <strong>des</strong><br />

Schuldners – verdrängt werden, insbesondere wenn das Verhalten<br />

<strong>des</strong> Schuldners über die bloße Nichtzahlung hinausgeht<br />

und der Täter dem hilflos gegenübersteht. 106 Hinzu kommt,<br />

dass der vom Täter verfolgte wirtschaftliche Zweck – isoliert<br />

betrachtet – in Übereinstimmung mit der materiellen Güterrechtsordnung<br />

steht, so dass – anders als bei den typischen<br />

Habgiermorden, die eine »doppelte Illegalität« 107 aufweisen<br />

– »nur« die verwerfliche Zweck-Mittel-Relation bleibt.<br />

Dass man den Täter als doppelt aggressiv – hinsichtlich <strong>des</strong><br />

Lebens und <strong>des</strong> Vermögens <strong>des</strong> Opfers/Schuldners – bezeichnen<br />

könnte, wiegt das nicht auf, weil ersteres ja schon durch<br />

die Annahme eines Totschlags »verbraucht« ist und zweiteres<br />

nur eine Folge von Ersterem ist. <strong>Die</strong> »Anspruchsfälle« stehen<br />

also nicht auf derselben hohen Verwerflichkeitsstufe wie die<br />

typischen Habgierfälle, so dass sie aus diesem Mordmerkmal<br />

ausgeklammert werden können. 108 Der Wortlaut fordert dies<br />

freilich nicht, er steht aber einer einschränkenden Auslegung<br />

auch nicht entgegen. 109<br />

Das Streben nach wirtschaftlich wertlosen Gegenständen<br />

kann nicht als habgierig bezeichnet werden. 110 Wer etwa ihn<br />

belastende Beweisstücke wegnimmt, um sie zu vernichten, handelt<br />

nicht habgierig. 111 Hat der erstrebte Gegenstand dagegen<br />

einen – wenn auch geringen – wirtschaftlichen Wert, so<br />

kommt es auf die Höhe <strong>des</strong> Wertes nicht an. Auch eine<br />

geringwertige Menge an Betäubungsmittel reicht, selbst wenn<br />

sie zum Eigenverbrauch bestimmt ist. 112 Dass dann das Missverhältnis<br />

von Zweck (geringe Beute) und Mittel (Tötung)<br />

besonders auffällig werde (so BGHSt 29, 317 [318]: »besonders<br />

krasses Missverhältnis«), kann man als Beschreibung akzeptieren.<br />

Keinesfalls aber darf daraus der Schluss gezogen werden,<br />

dass das Missverhältnis ab einer gewissen Summe entfällt. 113<br />

An der Habgier fehlt es, wenn die Vermögensmehrung<br />

nicht unmittelbar erstrebt wird. 114 So etwa, wenn der Täter<br />

sich – ohne Druck auszuüben – vom Tod <strong>des</strong> Opfers verspricht,<br />

dass ihm von den durch die Tötung »geschockten«<br />

Prostituierten in Zukunft vermehrt Einnahmen zufließen wer-<br />

572<br />

8-9/2009<br />

den (vgl. BGH NJW 1993, 1664 f. m. zust. Bspr. Otto JK<br />

94, StGB <strong>§</strong> <strong>211</strong>/24 = Kühl HRR-BT, Nr. 17, S. 37 f.). An der<br />

unmittelbaren »Verknüpfung zwischen dem Tod <strong>des</strong> Opfers<br />

und einer Bereicherung <strong>des</strong> Täters« (BGH NJW 1993, 1664<br />

[1665]) fehlt es nicht, wenn es der »Killer« auf die Entlohnung<br />

abgesehen hat; 115 vorausgesetzt es besteht in der Vorstellung<br />

<strong>des</strong> Täters die Aussicht, 116 die ausgemachte Belohnung zu erhalten.<br />

<strong>Die</strong> »Verknüpfung« soll sogar gegeben sein, wenn der<br />

Täter die vorrangige Erbin tötet, um selbst in die Erbenstellung<br />

einzurücken (BGH bei Altvater NStZ 2006, 86 [90]).<br />

Der Tod <strong>des</strong> Opfers muss aus der Sicht <strong>des</strong> Täters nicht<br />

erforderlich sein; Habgier liegt also auch vor, wenn der Täter<br />

das Objekt seines Strebens auch ohne diesen hätte erlangen<br />

können (BGH NStZ 2004, 441).<br />

Habgier kann auch durch Unterlassen begangen werden.<br />

So etwa wenn der Arzt die ihm mögliche Lebensrettung <strong>des</strong><br />

Patienten unterlässt, weil ihm <strong>des</strong>sen Angehörige eine beträchtliche<br />

Geldsumme geboten haben. 117<br />

Habgier fordert – wie schon ›Mordlust‹ und ›zur Befriedigung<br />

<strong>des</strong> Geschlechtstriebs‹ – keinen direkten Vorsatz. Auch<br />

derjenige, der den als möglicherweise eintretend erkannten Tod<br />

<strong>des</strong> Opfers nicht wünscht, räumt dem Gewinnstreben egoistisch<br />

den Vorrang vor dem Leben <strong>des</strong> Opfers ein. 118 Anders<br />

ist das nur in Fällen, in denen der Tod <strong>des</strong> z.B. lebensversicherten<br />

Opfers Voraussetzung für die Vermögensmehrung<br />

ist. 119<br />

Liegen beim Täter außer dem Habgier-Motiv noch weitere<br />

<strong>Beweggründe</strong> vor, so setzt die Annahme von Habgier voraus,<br />

dass diese »bewusstseinsdominant« ist (BGHSt 40, 301 [304];<br />

vgl. auch BGHSt 50, 1 [7]). 120<br />

101 »Diskutabel« nach Eisele (Fn. 8) Rn. 87.<br />

102 Küper GS Meurer, 2003, S. 191, 200 ff. (206).<br />

103 Küper GS Meuer, 2003, S. 191 (203), spricht von einer »Unrechtskonstanten«.<br />

104 Anders Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 11) <strong>§</strong> 2 Rn. 60; dagegen Küper GS Meurer, 2003,<br />

S. 191 (203) u. Köhne Jura 2008, 805 f. (807).<br />

105 Näher Mitsch JuS 1996, 121 (124).<br />

106 Näher Otto Jura 1994, 141 (145).<br />

107 Küper GS Meurer, 2003, S. 191 (205).<br />

108 Dafür Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; Arzt/Weber/Hilgendorf (Fn. 11) <strong>§</strong> 2 Rn. 60;<br />

Rengier (Fn. 8) <strong>§</strong> 4 Rn. 13a; a.A. Gössel/Dölling (Fn. 10) <strong>§</strong> 4 Rn. 45; Heghmanns<br />

(Fn. 17) Rn. 206; Kindhäuser (Fn. 15) <strong>§</strong> 2 Rn. 13; Maurach/Schroeder/Maiwald<br />

(Fn. 9) <strong>§</strong> 2 Rn. 33; NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 23.<br />

109 Eisele (Fn. 8) Rn. 87, nimmt eine teleologische Reduktion vor, allerdings ohne das<br />

»telos« zu nennen.<br />

110 MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 59.<br />

111 Köhne Jura 2008, 805 (806).<br />

112 A.A. NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 18; überzogen scharf dagegen MüKo-StGB/<br />

Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 67 Fn. 189.<br />

113 Köhne Jura 2008, 805 (806); vgl. auch die Kritik bei Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 13.<br />

114 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; NK/Neumann (Fn. 11) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 24; Wessels/<br />

Hettinger (Fn. 5) Rn. 94 b; Kindhäuser (Fn. 17) <strong>§</strong> 2 Rn. 13.<br />

115 Anders Fischer (Fn. 19) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 11.<br />

116 Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4; MüKo-StGB/Schneider (Fn. 15) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 62.<br />

117 Rauber (Fn. 33) S. 312 f.: gedungener Täter.<br />

118 H.M.; vgl. Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 15; a.A. Köhne Jura 2008, 805 (807 f.).<br />

119 Küper (Fn. 4) S. 191.<br />

120 Weitere Nachweise bei Lackner/Kühl (Fn. 1) <strong>§</strong> <strong>211</strong> Rn. 4. – Aus der Übungsfall-<br />

Literatur zur Habgier vgl.: Beulke KK I, Fall 8, Rn. 275 u. 280 (299) (»unmittelbare«<br />

Folge; bei <strong>§</strong> 30 I); Hilgendorf Fallsammlung, Fall 5, S. 25 u. 26 (bezahlter »Killer«);<br />

Kühl/Schramm JuS 2003, 681 u. 684 (Beutesicherung); Küpper in: Gropp/Küpper/<br />

Mitsch, Fallsammlung, Fall 7, S. 133 u. 135 f. (Aufwendungen ersparen, bewusstseinleiten<strong>des</strong><br />

Motiv); Kudlich PdW BT <strong>II</strong>, Fall 10 (BGH NJW 2001, 763, Gewinnstreben<br />

im Motivbündel nicht bewusstseinsdominant) und 20 (BGH NStZ 1998, 352:<br />

tatbeherrschen<strong>des</strong> Motiv); Mitsch JuS 1996, 124 f: Fall 18 (Anspruch) u. Fall 19<br />

(Ersparen von Aufwendungen); Otto Übungen, Anfängerklausur Nr. 5, S. 90 u. 96<br />

(gedungener Mörder); Radtke Jura 1997, 477 (483) (bei Unterlassungsversuch); Rosenau/Zimmermann<br />

JuS 2009, 541 u. 543 (Ersparen von Aufwendungen); Tiedemann<br />

Anfängerübung, Fall 6, S. 189 f. u. 191 (bei <strong>§</strong> 30 <strong>II</strong>), Fall 9, S. 222 f. u. 228 (BGHSt<br />

10, 399: Unterhaltsverpflichtung »erspart«) u. Fall 10, S. 229 f. u. 230 (»um der<br />

Supergage willen«); Weißer JuS 2009, 135 (136) (Erbe verschaffen); Wolters Fortgeschrittenen-Fälle,<br />

Fall 2, S. 27 f. u. 53 (Lebensversicherung »erstrebt«).

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