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Predigt zu Lk 10,25-37

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<strong>Predigt</strong> <strong>zu</strong> <strong>Lk</strong> <strong>10</strong>,<strong>25</strong>-<strong>37</strong><br />

6.9.2009 Meimsheim<br />

Pfarrer Ulrich Harst<br />

Liebe Gemeinde,<br />

welche Frage hat sie in der letzten Woche am meisten beschäftigt?<br />

Die Frage nach ihrer Gesundheit? Werde ich wieder gesund? Was bringt der Befund vom<br />

Arzt? Werden meine Schmerzen endlich weniger werden? – Oder haben sie an ihre Familie<br />

gedacht, um die sich Sorgen machen? Wird es klappen mit den Kindern und Enkeln auch jetzt<br />

nach dem Urlaub und den Ferien? – Oder haben sie Fragen beschäftigt wie: Wo machen wir<br />

nächstes Jahr Urlaub? Sollte ich mir nicht noch ein paar Schuhe kaufen? Wie wird das Wetter<br />

am Wochenende, damit ich feiern oder im Garten arbeiten kann?<br />

Welche Fragen beschäftigen uns? – Vielleicht auch über diese Woche hinaus Fragen wie: Wer<br />

garantiert mir meine Rente, die ich <strong>zu</strong>m Leben brauche? Kann ich mir die optimale ärztliche<br />

Versorgung in Zukunft noch leisten, wenn man überall da<strong>zu</strong>zahlen muss? Kann ich meinen<br />

Arbeitsplatz behalten? Was motiviert mich für die nächsten Jahre? Was sind meine Ziele?<br />

Welche Fragen haben wir? – Jesus begegnet im heutigen <strong>Predigt</strong>text einem Menschen, der<br />

auch eine Frage mit sich herumträgt. Er stellt sie Jesus und erlebt auf eindrückliche Weise,<br />

wie Jesus mit dieser Frage umgeht. Wir hören auf eine Erzählung aus dem Lukasevangelium.<br />

<strong>Lk</strong> <strong>10</strong>,<strong>25</strong>-<strong>37</strong>:<br />

Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich<br />

tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach <strong>zu</strong> ihm: Was steht im Gesetz<br />

geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott,<br />

lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und<br />

deinen Nächsten wie dich selbst«. Er aber sprach <strong>zu</strong> ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so<br />

wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach <strong>zu</strong> Jesus: Wer ist denn mein<br />

Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab<br />

nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich<br />

davon und ließen ihn halb tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße<br />

hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er <strong>zu</strong> der Stelle<br />

kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und<br />

als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging <strong>zu</strong> ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und<br />

verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am<br />

nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn;<br />

und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen<br />

dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach:<br />

Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus <strong>zu</strong> ihm: So geh hin und tu desgleichen!<br />

Soweit dieses Gleichnis Jesu, das wir ja alle sehr gut kennen. – Der Schriftgelehrte kommt <strong>zu</strong><br />

Jesus mit einer Frage, die ihn bewegt: „Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?<br />

Was muss ich tun, damit ich ewig lebe? Was muss ich tun, damit ich ewig bei Gott bin?“ –<br />

Eine Frage, die uns <strong>zu</strong>erst einmal fremd ist. Uns gehen andere Fragen durch den Kopf. Die<br />

Frage nach dem ewigen Leben und dem, was ich dafür tun muss, beschäftigt uns nicht<br />

wirklich und ist recht weit weg für die meisten unter uns.<br />

Nur wenn wir mit einer schweren Krankheit oder dem Tod konfrontiert werden, taucht diese<br />

Frage in unserem Leben auf. Dann öffnet sich für uns der Horizont <strong>zu</strong>r Ewigkeit, <strong>zu</strong>m ewigen<br />

Leben. Und dann fragen wir uns auch, ob es denn überhaupt Leben nach dem Tod, ewiges<br />

Leben gibt. Und was denn dann die Bedingungen sind, um dabei <strong>zu</strong> sein bei diesem Leben in<br />

der Ewigkeit. Wir stellen uns diese Frage, wenn unser eigenes Leben bedroht ist. Immer


wieder höre ich sie am Sterbebett, wenn es jemand wagt, sie auch aus<strong>zu</strong>sprechen. Habe ich so<br />

gelebt und geglaubt, dass ich dabei bin beim ewige Leben? Auch Leute, die ihr Leben lang<br />

geglaubt haben, haben angesichts des Todes schon einmal ihre Zweifel, ob sie denn dabei<br />

sind. – Oder wenn Angehörige sterben und wir eng mit ihnen verbunden waren, fragen wir<br />

uns: Werden sie bei Gott sein nach dem Tod? Gibt es für sie ewiges Leben, so wie sie gelebt<br />

und geglaubt haben?<br />

Es tut gut, wenn wir diese Fragen nach dem ewigen Leben in unserem Leben <strong>zu</strong>lassen. Nicht<br />

nur, wenn wir mit dem Tod oder einer schweren Krankheit konfrontiert werden. Es tut gut,<br />

weil es beim ewigen Leben, wie Jesus es versteht, ja nicht nur um das Leben nach dem Tod<br />

geht. Jesus spricht davon, dass schon hier und heute dieses ewige Leben beginnt im Glauben<br />

an ihn. Wenn wir uns die Frage nach dem ewigen Leben schon heute stellen und Antworten<br />

finden, dann hat das Auswirkungen auf das Leben hier und jetzt und nicht erst auf unser<br />

Leben nach dem Tod. Stellen wir uns diese Frage! Suchen wir nach Antworten darauf!<br />

Schieben wir sie nicht beiseite! Vertrösten wir uns nicht auf unsere letzten Tage oder auf den<br />

nächsten Sterbefall, der uns bewegt und beschäftigt.<br />

Jesus lässt den Schriftgelehrten seine Frage selbst beantworten. »Du sollst den Herrn, deinen<br />

Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem<br />

Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« So steht es in der Bibel und so ist es richtig.<br />

Und wenn wir genau hinschauen, dann bemerken wir, dass der Schriftgelehrte in unsrer<br />

Geschichte auch wahrgenommen hat, dass die Antwort auf die Frage schon sein jetziges<br />

Leben verändert. Oder <strong>zu</strong>mindest verändern sollte. Er merkt, dass die Aufforderung <strong>zu</strong>r<br />

Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe auch ihn und sein Leben betrifft. Er merkt, dass er<br />

etwas tun sollte, dass sich etwas verändern sollte in seinem Leben. Doch er flüchtet sich in die<br />

Rechtfertigung. „Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach <strong>zu</strong> Jesus: Wer ist denn<br />

mein Nächster?“ – so wird es uns von Lukas erzählt. Er wollte sich selbst rechtfertigen.<br />

Dieser Satz zeigt, dass er sich so leicht nicht abspeisen lassen wollte von Jesus. Er wollte<br />

weiter diskutieren und vor allem er wollte nichts in seinem Leben verändern. – So rechtfertigt<br />

er sich, indem er eine zweite Frage stellt: Wer ist denn mein Nächster? Und damit sagt er ja<br />

auch: Hej Jesus, dieses Wort aus dem Alten Testament kenne ich wohl so wie wir alle hier,<br />

aber die ungelöste Frage ist doch: Wer ist denn eigentlich mein Nächster. Es kann doch nicht<br />

jeder mein Nächster sein. Wann bin ich denn gefordert? Wann muss ich denn eingreifen? Für<br />

wen muss ich denn eigentlich da sein?<br />

Bei Lothar Zenetti, einem katholischen Kollegen, habe ich einen Text gefunden, der diese<br />

Frage aufgreift.<br />

Was ich suche,<br />

dachte der junge Mann,<br />

das ist ein Mensch, ein Nächster,<br />

aber ein richtiger,<br />

für den ich mich engagieren kann.<br />

Nicht so einer wie mein Vater,<br />

dieser verknöcherte alte Trottel<br />

mit seinen so genannten Erfahrungen<br />

und seinem engen Horizont.<br />

Oder die Mutter, diese beschränkte<br />

dumme Kuh, die nicht wagt,<br />

sich endlich <strong>zu</strong> emanzipieren.<br />

Erst recht nicht die Oma,<br />

überhaupt keiner aus dieser


ganzen beschissenen Familie…<br />

Nein, schon was Richtiges,<br />

ein Strafentlassener <strong>zu</strong>m Beispiel,<br />

ein Drogenabhängiger oder ein<br />

echt Ausgebeuteter aus der Dritten Welt,<br />

<strong>zu</strong>r Not auch ein Gastarbeiter<br />

oder so was, halt einer, für den man<br />

sich engagieren kann…<br />

Mit solchen Gedanken beschäftigt,<br />

ging er an einem älteren Herrn vorbei,<br />

sah ihn und dachte: Auch so einer,<br />

der von allem keine Ahnung hat!<br />

Und wusste nicht, dass der, als Lehrer,<br />

wie schon so oft auch heute wieder<br />

gefallen war buchstäblich unter die Räuber.<br />

Und ging vorbei und suchte weiter<br />

nach einem Nächsten, dem er<br />

endlich helfen konnte.<br />

Wenn wir so fragen, dann können wir uns leicht aus der Verantwortung stehlen. Wer ist denn<br />

mein Nächster? Wir werden immer Erklärungen finden, die es uns möglich machen, den<br />

Menschen, der uns gerade begegnet, nicht da<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> zählen. Die Frage, wie sie der<br />

Schriftgelehrte stellt, hilft uns nicht weiter. Das macht auch Jesus deutlich. Denn am Ende des<br />

Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter fragt er den Schriftgelehrten noch einmal und wir<br />

müssen gut <strong>zu</strong>hören, um den Unterschied wahr<strong>zu</strong>nehmen. Jesus fragt: „Wer von diesen<br />

dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“ – Haben<br />

sie den Unterschied bemerkt? Jesus fragt nicht „Wer war der Nächste für die drei Männer, die<br />

da von Jericho nach Jerusalem unterwegs waren?“ Er kehrt die Frage um. Nicht mehr der<br />

Hilfsbedürftige ist der Nächste, sondern der, der Hilfe leistet. Nicht mehr der, der Liebe<br />

braucht ist der Nächste, sondern der, der Liebe gibt. „Wer von diesen dreien, meinst du, ist<br />

der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“<br />

Es geht nicht darum, sich ständig Gedanken darüber <strong>zu</strong> machen, wer denn nun mein Nächster<br />

sein könnte und ob ich hier oder dort mich engagieren sollte. Es geht Jesus um die Frage, wie<br />

ich <strong>zu</strong>m Nächsten werden kann. Bei mir muss sich etwas tun. Ich selbst muss <strong>zu</strong>m Nächsten<br />

werden.<br />

Auch Papst Benedikt XVI. hat dies schon in seinem Jesusbuch herausgestellt. Er schreibt <strong>zu</strong>r<br />

Geschichte des Barmherzigen Samariters:<br />

„Nun tritt hier der Samariter auf den Plan. Was wird er tun? Er fragt nicht nach dem Radius<br />

seiner Solidarverpflichtungen und auch nicht nach Verdiensten für das ewige Leben. Es<br />

geschieht etwas anderes: Das Herz wird ihm aufgerissen; das Evangelium gebraucht das<br />

Wort, das im Hebräischen ursprünglich auf den Mutterleib und die mütterliche Zuwendung<br />

verwiesen hatte. Es trifft ihn ins „Eingeweide“, in seine Seele hinein, diesen Menschen so <strong>zu</strong><br />

sehen. „Er wurde von Mitleid ergriffen“, übersetzen wir heute, die ursprüngliche Vitalität des<br />

Textes abschwächend. Durch den Blitz des Erbarmens, der seine Seele trifft, wird er selbst<br />

nun <strong>zu</strong>m Nächsten, über alle Fragen und Gefahren hinweg. Insofern ist hier die Frage<br />

verlagert: Es geht nicht mehr darum, welcher andere mir Nächster ist oder nicht. Es geht um<br />

mich selbst. Ich muss <strong>zu</strong>m Nächsten werden, dann zählt der andere für mich „wie ich selbst“.<br />

(Benedikt XVI.; aus „Jesus von Nazareth“, Kapitel: Vom barmherzigen Samariter)


Liebe Gemeinde,<br />

wenn wir die Menschen, die uns begegnen, mit den väterlichen und mütterlichen Augen<br />

Gottes sehen, wenn wir uns die Liebe Gottes schenken lassen, dann werden auch wir vom<br />

Erbarmen und Mitleid ergriffen und können so <strong>zu</strong>m Nächsten werden für die, die Leid tragen.<br />

Darum geht es in der Geschichte vom Barmherzigen Samariter. Es geht um mich selbst. Ich<br />

muss <strong>zu</strong>m Nächsten werden, dann zählt der andere für mich „Wie ich selbst“.<br />

Welche Frage beschäftigt uns? – so hatten wir <strong>zu</strong> Beginn der <strong>Predigt</strong> überlegt. Diese eine<br />

Frage dürfen wir jedenfalls nicht aus dem Blick verlieren: Für wen kann ich heute ein<br />

Nächster sein, der ihm hilft in seiner Not? Wem kann ich heute mit der mütterlichen Liebe<br />

Gottes begegnen. Amen.

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