Kaum ein Jugendlicher ist heute noch kirchlich geprägt benswelten, Kulturen und Weltbil<strong>der</strong> landet über Fernsehen und Internet heute direkt in unseren Wohnzimmern. So lernt, wer erwachsen wird, eine pluralistische Welt kennen. Und es ist ihm selbst überlassen, sich sein Welt- und Gottesbild zusammenzustellen. Viele junge Leute bestehen sogar darauf, dass ihnen da niemand reinzureden hat. In den Gesprächen <strong>mit</strong> meinen Konfirmandengruppen taucht Wi<strong>der</strong>stand immer verstärkt dort auf, wo es um die Einzigartigkeit des christlichen Glaubens geht. Dass Gott uns nur einen Weg zu sich anbietet, über Jesus, das wi<strong>der</strong>spricht allem, was sie in ihrem bisherigen Leben –unbewusst – verinnerlicht haben. Das postmo<strong>der</strong>ne Denken prägt sie hintergründig und nachhaltig. Erosion des Christlichen Aber war das nicht schon immer so, dass die Jungen an<strong>der</strong>s denken als die Älteren? Ist das nicht <strong>der</strong> übliche Generationenkonflikt? Werden diese Jugendlichen nicht auch später irgendwann schon wie<strong>der</strong> in die <strong>Kirche</strong>n zurückkehren? Solches Denken relativiert die Herausfor<strong>der</strong>ung, vor <strong>der</strong> wir stehen. Es greift entschieden zu kurz. In die letzte EKD-Mitglie<strong>der</strong>studie „<strong>Kirche</strong> in <strong>der</strong> Vielfalt <strong>der</strong> Lebensbezüge“ ist eine Sozialstudie integriert. Dort wird die deutsche Gesellschaft idealtypisch in sechs Milieus aufgeteilt <strong>mit</strong> unterschiedlichen Denk- und Lebensmustern. Die Studie zeigt klar auf, dass in <strong>der</strong> Gruppe <strong>mit</strong> dem niedrigsten Altersdurchschnitt <strong>der</strong> größte Anteil an <strong>Kirche</strong>nfernen zu finden ist. Ein Großteil <strong>der</strong> jungen Leute ist faktisch nicht mehr kirchlich geprägt! Die innerfamiliäre christliche Erziehung hat rapide abgenommen und die Unkirchlichkeit potenziert sich in die nächste Generation hinein. Wie sollen die christlich erziehen, die das selbst kaum mehr genossen haben? Generell kommen solche neuen kulturellen Epochen nicht über Nacht. Während die einen schon erfasst sind, sind an<strong>der</strong>e noch im alten Weltbild verwurzelt. Trotzdem muss man heute davon ausgehen, dass auch die nicht mehr ganz Jungen (die 35- 50jährigen) bereits zu einem Drittel postmo<strong>der</strong>n geprägt sind. Wir werden auch sie <strong>mit</strong> <strong>der</strong> üblichen rationalen Art von Glaubensver<strong>mit</strong>tlung nicht mehr ansprechen können. Der unbekannte liebe Gott Wie können wir Menschen <strong>für</strong> den Glauben gewinnen, <strong>der</strong>en Denken und Erleben ganz an<strong>der</strong>s gestrickt ist als das unsere? Dan Kimball hat in <strong>der</strong> Jugendgemeinde, die er <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en gegründet hat, in einem Prozess des Suchens, Fragens und Betens vieles ausprobiert. Er ist überzeugt, dass wir Altbewährtes in Frage stellen, neu das Gespräch <strong>mit</strong> den Menschen suchen und dabei genau hinhören müssen. Schnelle Lösungen finden sich da nicht. Aber Spuren kristallisieren sich heraus: Viele Christen wollen, wenn sie Nichtchristen ansprechen, zunächst ein<strong>mal</strong> Vorurteile abbauen. So versuchen sie z. B., das Bild vom strafenden Gott durch das vom gnädigen zu ersetzen. Nur: Einen strafenden Gott hat die jüngere Generation gar nicht mehr ver<strong>mit</strong>telt bekommen – sie hat schon immer bloß vom lieben Gott gehört. Für einen lieben Gott jedoch, <strong>der</strong> ihnen unbekannt ist, interessieren sich die Menschen nicht. Wir können Interesse bei ihnen nur wecken, wenn wir ihre eigenen Lebensthemen treffen. Wonach viele ernsthaft suchen Mir kommen dazu drei Stichworte in den Sinn: Freundschaft, Lebenshilfe, Orientierung. Lebenshilfe brauchen Menschen immer wie<strong>der</strong>, und darin sind wir als <strong>Kirche</strong> eigentlich ganz gut. Je<strong>der</strong> stolpert in seinem Leben über Probleme, die er nicht ohne weiteres lösen kann. Findet er dann jemanden, <strong>der</strong> ihm praktisch helfen kann? Jemand, <strong>der</strong> ihm nebenbei von Gott erzählt, <strong>der</strong> uns gerade in diesen Situationen Kraft und Mut geben kann? Und Orientierung brauchen Menschen mehr denn je in einer unübersichtlichen Welt. Vor allem junge Menschen schauen sich um: Wer hat einen überzeugenden Lebensentwurf? Wo kann sich Leben entfalten? Wo wird es auch <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e relevant? Wo haben Menschen offensichtlich einen Sinn in ihrem Leben gefunden? Auf Christen aufmerksam werden solche Menschen in <strong>der</strong> Regel nicht über Inhalte, son<strong>der</strong>n über Beziehungen. Über Freundschaften, die wachsen. Die Offenheit und die Bereitschaft, An<strong>der</strong>sdenkenden freundschaftlich zu begegnen, können Türöffner sein. Für viele ist das vermutlich <strong>der</strong> einzige Weg, um innere Vorurteile abzulegen und sich auf unseren Glauben einlassen zu können. Will jemand, <strong>mit</strong> dem wir in wachsen<strong>der</strong> Freundschaft verbunden sind, dann irgendwann kennen lernen, was unser Leben prägt, kommt er auch <strong>mit</strong> über die Schwelle <strong>der</strong> <strong>Kirche</strong>ntür. Dort angekommen, will er es aber vermutlich auch genau wissen. Kein „Gottesdienst light“ Dan Kimball erzählt von einem jungen Mann, <strong>der</strong> deutlich sagte: Ich möchte keinen „Gottesdienst light“ erleben, son<strong>der</strong>n – wenn schon – das volle Programm! Ich will sehen, ob Gott lebendig ist und wie man ihn anbeten kann. Da<strong>mit</strong> werden in den Gottesdiensten wie<strong>der</strong> Rituale wichtig. Die Leute schätzen die Wirkung alter <strong>Kirche</strong>ngebäude wie<strong>der</strong> ganz neu. Wir sollten uns bemühen, eine sinnliche Atmosphäre zu schaffen durch Kerzen und Kreuze, durch sorgfältig gestaltete Kreis<strong>mit</strong>telpunkte o<strong>der</strong> Altäre. Dazu gesellt sich <strong>der</strong> Wunsch, selbst aktiv werden zu können. Je mehr die Medienwelt interaktiv wird, desto mehr entsteht das Bedürfnis, nicht nur zu konsumieren, son<strong>der</strong>n <strong>mit</strong>zugestalten. Da<strong>für</strong> eignen sich offene Gottesdienstphasen, in denen man Gebete schreiben, Kerzen anzünden, das Gespräch suchen und gesegnet werden kann. So bleibt Raum, dass Gott auf individuell verschiedene Weise wirken kann. Die postmo<strong>der</strong>ne Lebenshaltung beinhaltet ein starkes Interesse an Echtheit und Erfahrung und eine neue Offenheit <strong>für</strong> Rituale. Das steht teils im direkten Gegensatz zu den Gottesdienstformen <strong>der</strong> „mo<strong>der</strong>nen“ Gemeinden wie Willow Creek und an<strong>der</strong>en, die sich vor ca. 30 Jahren in Abgrenzung zu den traditionellen Gottesdiensten gebildet haben. In <strong>der</strong> neuesten Willow-Creek-Studie ist aber gerade eines deutlich geworden: Auch die Menschen dort wollen offensichtlich weniger konsumieren, son<strong>der</strong>n ihre Gottesdienste gern spiritueller und ihr Glaubensleben in mehr Eigeninitiative gestalten. 3 Unterwegs im Auftrag des Herrn <strong>Kirche</strong> definiert sich neutestamentlich nicht als „Gebäude“ und „Institution“, son<strong>der</strong>n als Gemeinschaft von Menschen, die im Auftrag Jesu unterwegs sind, die sich bewegen lassen zu an<strong>der</strong>en Menschen hin. Wo Christen vermehrt außerhalb des kirchlichen Milieus Kontakt suchen, wo Gott dort in ihren Beziehungen Freundschaft, Lebenshilfe und Orientierung schenkt, da kann <strong>Kirche</strong> noch ein<strong>mal</strong> neu und an<strong>der</strong>s entstehen. Wie sie sich dort dann genau organisiert, ist sicherlich ein längerer Prozess. Aber langen Atem braucht immer, wer Neues wachsen lassen will. Wenn Menschen wie Florian, die kirchlich und christlich nicht „vorgewärmt“ sind, den Weg in unsere Gemeinden finden, ist das immer was sehr Bewegendes. Wenn dieser Weg <strong>für</strong> sie nur nicht ein so schwerer wäre … Sucht die <strong>Kirche</strong> nach konkreten Antworten auf die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Gegenwart, schafft sie tatsächlich Raum <strong>für</strong> neue Lebenswelten, dann kann <strong>mit</strong>ten im Wandel heutiger Zeiten Gottes Gnade neu sichtbar werden. Sind wir bereit, uns dazu in Frage stellen, herausfor<strong>der</strong>n und bewegen zu lassen? 1 Name geän<strong>der</strong>t 2 Das Stichwort „Emerging Church“ könnte man übersetzen <strong>mit</strong> „<strong>Kirche</strong>, die neu entsteht“. 3 Näheres zur „Reveal“-Studie <strong>der</strong> Willow-Creek- Gemeinde siehe unten S.14. Marc Stippich, Pfarrer in Grunbach im Remstal, schätzt die Gottesdienstvielfalt in unserer Landeskirche und die vielen Begabungen, die dabei in Miedelsbach und an<strong>der</strong>swo zum Tragen kommen. Menschen wollen nicht konsumieren, son<strong>der</strong>n ihr Glaubensleben selbst gestalten