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Martin Filitz, Der ungeliebte Katechismus – Der Heidelberger ...

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<strong>Martin</strong> <strong>Filitz</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>ungeliebte</strong> <strong>Katechismus</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in der deutschsprachigen und<br />

niederländischen Literatur<br />

I. Wir wollen ihn nicht haben...<br />

<strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> ist ein Schul- und ein Lehrbuch, verfasst „für Kirchen<br />

und Schulen in der Pfalz“. Er versteht sich nicht als selbständiges literarisches Werk,<br />

sondern als Schriftauslegung. Jede seiner Aussagen wird biblisch belegt, und diese<br />

biblischen Belegstellen sind integraler Bestandteil des <strong>Katechismus</strong>.<br />

Natürlich haben auch Schul- und Lehrbücher eine Wirkung auf diejenigen, die mit<br />

ihnen umgegangen sind und umgehen. Aber diese Wirkung ist vor allem<br />

„unterirdisch“. Sie äußert sich weniger in direkten <strong>Katechismus</strong>zitaten, als vielmehr in<br />

Gedankenzusammenhängen, die durch den <strong>Katechismus</strong> beeinflusst sind oder<br />

zumindest beeinflusst sein könnten.<br />

Wenn der <strong>Katechismus</strong> – und das gilt für den katholischen <strong>Katechismus</strong> ebenso wie<br />

für die lutherischen Katechismen und den <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> – überhaupt<br />

zitiert oder rezipiert wird, dann hat das in den meisten Fällen einen durchaus<br />

negativen Akzent. <strong>Katechismus</strong>, das bedeutet in der Literatur vor allem des 19.<br />

Jahrhunderts Enge, Moral, Unaufgeklärtheit, also alles in allem eine Frömmigkeit, die<br />

nicht mehr den Anschauungen der Zeit entspricht, die es zu überwinden gilt und<br />

ohne die man freier und glücklicher ist als in ihr und mit ihr.<br />

Aus dem lippischen Lemgo stammt jenes anonyme Spottgedicht, das wohl recht gut<br />

zusammenfasst, was man in gebildeten Kreisen über den „<strong>Heidelberger</strong>“ dachte:


„Wir wollen ihn nicht haben,<br />

den <strong>Heidelberger</strong> Kohl!<br />

An ihm soll der sich laben,<br />

dem Schimmel schmecket wohl.<br />

Solang das Licht im Innern,<br />

Bewußtsein und Verstand,<br />

Vernunft und Geist erinnern,<br />

daß wir mit Gott verwandt.<br />

Was einst war gute Speise<br />

In altvergangʼner Zeit,<br />

auf langer Erdenreise<br />

verschimmelt ist es heut.<br />

Vom angeborʼnen Bösen<br />

<strong>Der</strong> Geist zu uns nicht spricht.<br />

Zum Haß geschaffʼne Wesen,<br />

gottlob! das sind wir nicht.“ 1<br />

Natürliche Verwandtschaft mit Gott, die nicht durch Erbsünde getrübt wäre: das<br />

erwartet die aufgeklärt-philanthropische Seele von der Religion. <strong>Der</strong> <strong>Katechismus</strong> hat<br />

seine Zeit gehabt. Und so wurde der <strong>Katechismus</strong> auch durch den liberalen<br />

lippischen Generalsuperintendenten Ferdinand Weerth – den Vater des Dichters<br />

Georg Weerth des Vormärz – als Lehrbuch in den Kirchen und Schulen des Landes<br />

Lippe abgeschafft und durch einen vom Generalsuperintendenten selbst verfassten<br />

„Leitfaden“ ersetzt.<br />

1 Zitiert nach Udo Smidt, <strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> im Zeugnis der Bekennenden Kirche, in: W. Herrenbrück, U. Smidt (Hg.), Warum wirst du<br />

2 Jean Jaques Rousseau, Emile, oder über die Erziehung, „Wenn mir die Aufgabe gestellt wäre, die Dummheit in ihrer abstoßendsten Form zur<br />

Darstellung zu bringen, so würde ich einen pedantischen Schulfuchs malen, wie er Kindern <strong>Katechismus</strong>unterricht ertheilt; wenn ich ein Kind<br />

ganz närrisch machen wollte, würde ich es nöthigen, mir deutlich auseinander zu setzen, was es beim Hersagen des <strong>Katechismus</strong> eigentlich<br />

sage. Man wird mir den Einwurf machen, daß ja der größte Theil der christlichen Dogmen Geheimnisse seien und daß deshalb warten wollen, bis<br />

der menschliche Geist die Fähigkeit erlangt habe, sie zu begreifen, nicht warten heiße, bis aus dem Kinde ein Mann geworden sei, sondern bis<br />

der Mensch aufgehört habe zu existieren. Hierauf entgegne ich erstlich, daß es Geheimnisse gibt, die es dem Menschen nicht nur unmöglich fällt<br />

zu begreifen, sondern auch zu glauben. Ich sehe in der That nicht ein, was man dadurch, daß man die Kinder mit denselben bekannt macht,<br />

anders erzielt, als daß man sie schon früh zum Lügen anhält. Weiter bin ich der Ansicht, daß man, will man Geheimnisse gelten lassen,<br />

wenigstens begreifen muß, daß sie unbegreiflich sind, Kinder sind aber nicht einmal dieses Gedankens fähig. Für das Alter, in welchem Alles<br />

Geheimniß ist, gibt es gar keine Geheimnisse im eigentlichen Sinne“. In: Projekt Gutenberg, URL http://gutenberg.spiegel.de/buch/3815/5<br />

[14.6.2011]


II.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Katechismus</strong>unterricht blockiert die Entwicklung des<br />

Menschen<br />

Das Wort „<strong>Katechismus</strong>“ an sich scheint in gebildeten – und dabei vor allem in<br />

schreibenden Kreisen – ein Reizwort gewesen zu sein. Im späten 18. und im Verlauf<br />

des 19. Jahrhunderts hat es keine „gute Presse“. „<strong>Katechismus</strong>“ steht für Enge, für<br />

Unfreiheit, für Zwang, bisweilen, aber weitaus seltener, auch durchaus positiv für die<br />

„Alte Ordnung“ mit ihren Gewissheiten, die im Laufe des aufgeklärten Denkens ihre<br />

Plausibilität verloren haben. Wenn hier und dort in diesem Zusammenhang auch der<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> erwähnt wird, so unterscheidet sich seine Bewertung<br />

durch die einschlägigen Autoren nicht von der Bewertung des lutherischen und des<br />

katholischen <strong>Katechismus</strong>.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Katechismus</strong>unterricht, so schreibt der reformierte Genfer Jean Jaques<br />

Rousseau, hindert die natürliche Entfaltung eines Menschen:<br />

Man hat die gefälligen Talente in zu hohem Grade in Künste verwandelt, hat<br />

sie zu sehr zum Gemeingute zu machen gesucht, sie in Grundsätze und<br />

Regeln gekleidet und dadurch den jungen Mädchen das, was für sie nur<br />

Unterhaltung und heiteres Spiel sein soll, äußerst langweilig gemacht. Ich<br />

kann mir keinen lächerlicheren Anblick vorstellen, als den eines Tanzmeisters<br />

oder Gesanglehrers, wenn er jungen Mädchen, die so schon Alles lächerlich<br />

finden, mit sauertöpfischer Miene entgegentritt und nun beim Unterrichte in<br />

seiner nichtigen Kunst einen so pedantischen und schulmeisterlichen Ton<br />

anschlägt, als handelte es sich um eine <strong>Katechismus</strong>lehre. Ist zum Beispiel<br />

die Gesangeskunst etwa von der geschriebenen Musik abhängig? Sollte man<br />

nicht im Stande sein, die Stimme biegsam und klangvoll zu machen,<br />

geschmackvoll einen Gesang vortragen, ja selbst begleiten zu lernen, ohne<br />

auch nur eine einzige Note zu kennen? 2<br />

Die Natur steht höher als die Kunst und hat nicht durch die Kunst – auch nicht durch<br />

die theologische Kunst – verbildet zu werden.<br />

Ähnlich beschreibt Heinrich Jung-Stilling seine ersten pädagogischen Erfahrungen –<br />

wohl mit dem im Siegerland gebräuchlichen „<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>“:


Henrich Stillings Schulmethode war seltsam, und so eingerichtet, daß er wenig<br />

oder nichts dabei verlor. Des Morgens, sobald die Kinder in die Schule kamen,<br />

und alle beisammen waren, so betete er mit ihnen, und katechisierte sie in den<br />

ersten Grundsätzen des Christentums, nach eigenem Gutdünken ohne Buch;<br />

dann ließ er einen jeden ein Stück lesen, wenn das vorbei war, so ermunterte<br />

er die Kinder den <strong>Katechismus</strong> zu lernen, indem er ihnen versprach schöne<br />

Historien zu erzählen, wenn sie ihre Aufgabe recht gut auswendig können<br />

würden; während der Zeit schrieb er ihnen vor, was sie nachschreiben sollten,<br />

ließ sie noch einmal alle lesen, und denn kam's zum Erzählen, wobei vor und<br />

nach alles erschöpft wurde, was er jemals in der Bibel, im Kaiser Oktavianus,<br />

der schönen Magelone, und andern mehr gelesen hatte; auch die Zerstörung<br />

der königlichen Stadt Troja wurde mit vorgenommen. So war es auf seiner<br />

Schule Sitte und Gebrauch von einem Tag zum andern. 3<br />

<strong>Der</strong> <strong>Katechismus</strong> ist noch Schulpflicht, aber auch der Lehrer scheint nicht restlos von<br />

der pädagogischen Bedeutung überzeugt zu sein. Sonst würde er nicht durch die<br />

Aussicht auf Geschichten und Erzählungen die Schüler zu diesem trockenen<br />

Gegenstand zu motivieren suchen.<br />

<strong>Katechismus</strong>lernen ist stur, das meint auch Jean Paul 4 . <strong>Der</strong> Schweizer Gottfried<br />

Keller hält das <strong>Katechismus</strong>lernen für eine der beiden peinlichsten Schulerfahrungen<br />

des „Grünen Heinrich“:<br />

„Die andere peinliche Erinnerung an jene Schulzeit sind mir der <strong>Katechismus</strong><br />

und die Stunden, während deren wir uns damit beschäftigen mußten. Ein<br />

kleines Buch voll hölzerner, blutloser Fragen und Antworten, losgerissen aus<br />

dem Leben der biblischen Schriften, nur geeignet, den dürren Verstand<br />

bejahrter und verstockter Menschen zu beschäftigen, mußte während der so<br />

unendlich scheinenden Jugendjahre in ewigem Widerkäuen auswendig gelernt<br />

und in verständnislosem Dialoge hergesagt werden“. 5<br />

3 Johann Heinrich Jung-Stilling, Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben 1997 Stuttgart S. 85-194 (1. Auflage<br />

1779). In ähnliche Richtung denkt auch Johann Heinrich Pestalozzi. In seinem Buch, „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ (1801) heißt es: „Ich muß sie<br />

bedauern. Ich habe viele von diesen elenden Wortmenschen mit einer solchen Mischung von Klosterfrauen-Unschuld und Rabbinerweisheit<br />

sagen hören: was kann doch auch schöner sein für das Volk als der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> und der Psalter! – daß ich wahrlich hierin der<br />

Menschheit Rechnung tragen und Achtung für die Fundamente auch dieser Verirrung in mein Herz zurückrufen muß. Ja, Freund! ich will auch<br />

diese Verirrung des menschlichen Geistes an den Irrenden entschuldigen, es war doch immer so und muß immer so sein. Die Menschen sind<br />

sich allezeit selbst gleich, und die Schriftgelehrten und ihre Jünger waren es auch immer. Ich will also gegen den Wortkram ihrer<br />

Menschensatzungen und gegen die klingenden Schellen ihres Zeremoniendienstes und die liebe- und weisheitsleere Gemütsstimmung, die er<br />

seiner Natur nach hervorbringen muß, meinen Mund nicht weiter auftun, sondern mit dem größten Menschen, der je gegen die Irrtümer der<br />

Schriftgelehrten die Sache der Wahrheit, des Volks und der Liebe siegreich behauptet hat, nur dieses sagen: Herr! verzeihe ihnen, denn sie<br />

wissen nicht, was sie tun.“<br />

4 Jean Paul, Selbsterlebtebeschreibung Kap.4: „Vier Stunden vor- und drei nachmittags gab unser Vater uns Unterricht, welcher darin bestand,<br />

daß er uns bloß auswendig lernen ließ, Sprüche, <strong>Katechismus</strong>, lateinische Wörter und Langens Grammatik. Wir mußten die langen<br />

Geschlechtregeln jeder Deklination samt den Ausnahmen, nebst der beigefügten lateinischen Beispiel-Zeile lernen, ohne sie zu verstehen.“ Jean<br />

Paul Richter: Selberlebensbeschreibung - Kapitel 4, zweite Vorlesung, welche den Zeitraum von 1765-1775 umfasst (Joditz-Dorfidyllen) in:<br />

Projekt Gutenberg URL:<br />

http://gutenberg.spiegel.de/buch/3201/3 [14.6.2011]<br />

5 Gottfried Keller, <strong>Der</strong> Grüne Heinrich, zweite Fassung, (1854/55), Köln 1998, S.70


Noch allgemeiner aber sind die Gedanken seiner Zeit im Hinblick auf den<br />

<strong>Katechismus</strong>. Zusammenfassend äußert Heinrich Heine sich in seiner Schrift „Über<br />

Religion und Philosophie in Deutschland (1834).<br />

„Von dem Augenblick an wo eine Religion bei der Philosophie Hülfe begehrt,<br />

ist ihr Untergang unabwendlich. Sie sucht sich zu verteidigen und schwatzt<br />

sich immer tiefer ins Verderben hinein. Die Religion, wie jeder Absolutismus,<br />

darf sich nicht justifizieren. Prometheus wird an den Felsen gefesselt von der<br />

schweigenden Gewalt. ja, Aeschylus läßt die personifizierte Gewalt kein<br />

einziges Wort reden. Sie muß stumm sein. Sobald die Religion einen<br />

räsonierenden <strong>Katechismus</strong> drucken läßt, sobald der politische Absolutismus<br />

eine offizielle Staatszeitung herausgibt, haben beide ein Ende. Aber das ist<br />

eben unser Triumph: wir haben unsere Gegner zum Sprechen gebracht und<br />

sie müssen uns Rede stehn.“ 6<br />

Heinrich Heine spricht sicherlich nicht nur für seine Zunft der jungen, aufgeklärten,<br />

auch atheistischen Autoren des Vormärz, wenn er schon den <strong>Katechismus</strong> an sich<br />

als Sündenfall der Religion ansieht. Viele zeitgenössische Theologen haben es<br />

ähnlich gesehen, so dass zumindest der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> bis über die Mitte<br />

des 18. Jahrhunderts hinaus auch in Theologie und Gemeinde keinerlei Bedeutung<br />

mehr hatte. In diesem Sinne reflektiert die Literatur das Bild, das ihr die Theologie<br />

von sich selbst und ihren Grundlagen bietet.<br />

III.<br />

Auch die historische Bewertung des <strong>Katechismus</strong> ist in der<br />

Regel negativ<br />

Die Erwähnung des (<strong>Heidelberger</strong>) <strong>Katechismus</strong> in historischen Zusammenhängen<br />

lässt sich kaum umgehen, wenn von der Befreiung der Spanischen Niederlande oder<br />

auch vom Schicksal der Lieselotte von der Pfalz gehandelt wird. Aber auch in diesem<br />

Zusammenhang wird der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in polemischer Absicht erwähnt.<br />

Friedrich Schiller schreibt:<br />

6 Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834), in: Heinrich Heine, vierter Band, Schriften über Deutschland,<br />

hg. von Helmut Schanze, Frankfurt 1968, S. 108.


„In der Gegend von Aalst versammeln sie sich in noch größerer Menge<br />

wieder; jetzt aber sind sie schon mit Rappieren, Feuergewehr und Hellebarden<br />

versehen, stellen Posten aus und verrammeln die Zugänge durch Karren und<br />

Wagen. Wen der Zufall hier vorüberführt, muß, gern oder ungern, an dem<br />

Gottesdienst Theil nehmen, wozu besondere Aufpasser bestellt sind. An dem<br />

Eingang haben sich Buchhändler gelagert, welche den protestantischen<br />

<strong>Katechismus</strong>, Erbauungsschriften und Pasquille auf die Bischöfe feil bieten.<br />

<strong>Der</strong> Apostel Hermann Stricker läßt sich von einer Rednerbühne hören, die von<br />

Karren und Baumstämmen aus dem Stegreif aufgethürmt worden. Ein darüber<br />

gespanntes Segeltuch schützt ihn vor Sonne und Regen; das Volk stellt sich<br />

gegen die Windseite, um ja nichts von seiner Predigt zu verlieren, deren beste<br />

Würze die Schmähungen gegen das Papstthum sind. Man schöpft Wasser<br />

aus dem nächsten Fluß, um die neugebornen Kinder, ohne weitere<br />

Ceremonie, wie in den ersten Zeiten des Christentums, von ihm taufen zu<br />

lassen. Hier werden Sakramente auf calvinische Art empfangen, Brautpaare<br />

eingesegnet und Ehen zerrissen. Halb Gent war auf diese Art aus seinen<br />

Thoren gezogen; der Zug verbreitete sich immer weiter und weiter und hatte in<br />

kurzer Zeit ganz Ostflandern überschwemmt. Westflandern brachte ein<br />

anderer abgefallener Mönch, Peter Dathen aus Poperingen, gleichfalls in<br />

Bewegung; fünfzehntausend Menschen drängten sich aus Flecken und<br />

Dörfern zu seiner Predigt; ihre Anzahl macht sie beherzt genug, mit<br />

stürmender Hand in die Gefängnisse zu brechen, wo einige Wiedertäufer zum<br />

Märtyrertod aufgespart waren.“ 7<br />

Mit keinem Wort hebt Schiller die kulturgeschichtliche Leistung hervor, die der<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> für die Befreiung der Niederlande bedeutet hat. Und der<br />

berühmte Pieter Datheen, der die niederländische Übersetzung des Genfer Psalters<br />

schuf, erscheint als fanatischer Prediger, der auf die Wiedertäufer einteufelt.<br />

Gertrude Aretz (1889-1938) beschreibt in einer Monographie (1926) die Erziehung<br />

der Lieselotte von der Pfalz ebenfalls mit langweiligen <strong>Katechismus</strong>stunden, während<br />

sie den Tischreden Luthers immerhin einiges abgewinnen konnte. <strong>Katechismus</strong><br />

bedeutet Lehre und Lehre engt ein. Was zählt, das ist das Leben.<br />

„Einen größeren Raum als der Religionsunterricht nimmt die Anstandslehre im<br />

Stundenplan der Prinzessin ein. Aber daraus macht sie sich ebensowenig wie<br />

aus dem «Moralisiertwerden» in den <strong>Katechismus</strong>stunden. Nur die derben und<br />

kräftigen Tischreden Luthers gefielen ihr. Für Geister- und<br />

Gespenstergeschichten hat sie große Vorliebe, hat auch immer einen großen<br />

Vorrat zur Hand, um selbst welche zum besten zu geben. Das übrige findet sie<br />

langweilig“. 8<br />

7 Friedrich Schiller, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande, Schillers Sämtliche Werke, dritter Band 1879 Stuttgart S.204-460<br />

8 Gertrude Aretz: Berühmte Frauen der Weltgeschichte - Kapitel 1 (1940) in: Projekt Gutenberg, URL: http://gutenberg.spiegel.de/buch/5679/1<br />

[14.6.2011]


Aber gerade in diesem „Moralisiertwerden“ kann auch der positive Beitrag des<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> zur bestehenden Ordnung gesehen werden<br />

„Ich bin in meinem Leben gar oft mit Hausstreit und ehelichem Hader bekannt<br />

geworden, und es hat mich oft betrübt, wenn die Männer roh und unartig ihre<br />

Frauen behandelten«, sagte der Schmiedjakob. »Das ist immer schändlich<br />

und entehrt den Mann. Meist hab' ich solche Rohheit und Misshandlung der<br />

armen Frauen, die ja doch rechte Kreuzträgerinnen sind, bei solchen Männern<br />

gefunden, die sich dem liederlichen Leben, namentlich dem Wirtshaus gehen,<br />

Kartenspielen und Branntweintrinken, ergeben hatten, denn das sind, wie der<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> sagt, »eigene Werke des Teufels.« Dadurch sinkt<br />

der Mann zu wahrhaft tierischer Rohheit, Stumpfheit und Gefühllosigkeit herab<br />

und verliert jene heiligen Gefühle für Weib und Kind, die er am Altare Gottes<br />

doch so teuer gelobt und beschworen hat“. 9<br />

Die Lektüre der Briefe der Lieselotte von der Pfalz gibt ein viel differenzierteres Bild.<br />

Man spürt ihr Bemühen, das protestantische Erbe auch in der neuen katholischen<br />

Umgebung für sich festzuhalten, und ihre gelegentlichen Ausführungen die<br />

Möglichkeit einer „Ökumene“ der christlichen Kirchen betreffend wirken in dem<br />

bigotten Milieu des französischen Hofes eher hilflos entschuldigend: sie hat sich<br />

angepasst. Sie ist katholisch geworden. Aber glücklich wurde sie damit nicht. 10<br />

Auch Theodor Fontane, dem man ein freundlich-distanziertes Verhältnis zu den<br />

preußischen Hugenotten und auch zu seinem heimatlichen reformierten Bekenntnis<br />

nachgesagt hat, erwähnt in seinen Romanen und Gedichten den <strong>Heidelberger</strong><br />

<strong>Katechismus</strong> nicht. 11<br />

9 W.O.von Horn (Friedrich Wilhelm Philipp Oertel, „Wie eine Frau einen Mann einmal kuriert hat“ in: Des alten Schmied Jakobs Geschichten (1852)<br />

In: Projekt Gutenberg, URL: http://gutenberg. spiegel.de/buch/4511/7, [14.6.2011]<br />

10 Siehe Helmuth Kiesel (Hg.), Briefe der Liselotte von der Pfalz, Frankfurt am Main 1995.<br />

11 In dem Roman „Effi Briest“ bringt Frau Briest den <strong>Katechismus</strong> ganz allgemein zur Sprache, wenn es darum geht, die Folgen abzuschätzen, die<br />

es für die Familie haben wird, wenn die verstoßene Effi in ihr Elternhaus zurückkehrt. „Mache mir keine Vorwürfe, Briest; ich liebe sie so wie du,<br />

vielleicht noch mehr, jeder hat seine Art. Aber man lebt doch nicht bloß in der Welt, um schwach und zärtlich zu sein und alles mit Nachsicht zu<br />

behandeln, was gegen Gesetz und Gebot ist und was die Menschen verurteilen und, vorläufig wenigstens, auch noch – mit Recht verurteilen.«<br />

»Ach was. Eins geht vor.«<br />

»Natürlich, eins geht vor; aber was ist das eine?«<br />

»Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Und wenn man gar bloß eines hat ...«<br />

»Dann ist es vorbei mit <strong>Katechismus</strong> und Moral und mit dem Anspruch der 'Gesellschaft'.«<br />

»Ach, Luise, komme mir mit <strong>Katechismus</strong>, soviel du willst; aber komme mir nicht mit 'Gesellschaft'.«<br />

»Es ist sehr schwer, sich ohne Gesellschaft zu behelfen.«<br />

Ohne Kind auch. Und dann glaube mir, Luise, die 'Gesellschaft', wenn sie nur will, kann auch ein Auge zudrücken. Und ich stehe so zu der<br />

Sache: Kommen die Rathenower, so ist es gut, und kommen sie nicht, so ist es auch gut. Ich werde ganz einfach telegrafieren: 'Effi komm.' Bist<br />

du einverstanden?« Sie stand auf und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. »Natürlich bin ich's. Du solltest mir nur keinen Vorwurf machen. Ein


Ebenso findet der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> im Werk des Zürcher Reformierten<br />

Conrad Ferdinand Meyer keinen ausdrücklichen Niederschlag.<br />

Wilhelm Langewiesche (1866-1934) erwähnt den <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> im<br />

Zusammenhang mit der Kabinettsordre, in der der Preußenkönig Friedrich Wilhelm<br />

III. die Bekenntnisunion einführen wollte.<br />

„Auch der in heiliger Allianz ihm und dem Zaren verbrüderte dritte Friedrich<br />

Wilhelm von Preußen erkannte als seine Aufgabe, mit allen Mitteln »die gute<br />

alte Zeit wiederherzustellen«. Noch hatte man in der preußischen<br />

Rheinprovinz der Königlichen Kabinettsorder vom 22. Mai 1815 vertraut, die<br />

die baldige Bildung einer an der Gesetzgebung mitarbeitenden Repräsentation<br />

des Volkes verheißen hatte, und I. P. Wolf, der Bürgermeister, bedauerte<br />

nichts mehr, als daß die Geringfügigkeit seines Städtchens ihm verbot, sich<br />

den Kollegen von Köln, Trier und Koblenz anzuschließen, als sie den König im<br />

Sommer 1817 nachdrücklich an dieses Versprechen erinnerten, wodurch sie<br />

sich freilich nur eine ärgerliche und hochmütige Zurechtweisung zuziehen<br />

sollten. Denn der hohe Herr hatte vorerst Wichtigeres zu tun: er gedachte die<br />

dreihundertste Wiederkehr des Wittenberger Thesenanschlagtages dadurch<br />

zu feiern, daß er in seinen Landen als summus episcopus Reformierte und<br />

Lutheraner zur »Union« zusammenschloß, in welcher er dann allmählich<br />

überall die neue, von ihm selbst verfaßte Agende einzuführen beabsichtigte,<br />

nicht ahnend, daß er durch beides, Union und Agende, manche gläubige<br />

Seele in Gewissensnot bringen, auch Jahrzehnte hindurch unter der<br />

streitbaren Geistlichkeit die unfruchtbarsten Kampfe wachrufen werde. – Doch<br />

soll nicht verschwiegen sein, daß in manchen Landesteilen der alte Zank<br />

durch die Union tatsächlich begraben worden ist. – Pastor Pieper wählte einen<br />

Mittelweg, indem er, den <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> freilich beibehaltend,<br />

seine ursprünglich reformierte Gemeinde hinfort eine »evangelisch-christliche«<br />

nannte.“ 12<br />

Die List des Pfarrers untergräbt die Absicht der Union, die Friedrich Wilhelm III.<br />

zwischen Lutheranern und Reformierten 1817 schaffen wollte, so dass das<br />

Festhalten am <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>, in einer – nur dem Name nach<br />

veränderten Gemeinde zum stillen Protest gegen die Anordnung der (reformierten)<br />

Obrigkeit wird.<br />

leichter Schritt ist es nicht. Und unser Leben wird von Stund an ein anderes.“ In Theodor Fontane, Effi Briest, in: Theodor Fontane, Romane und<br />

Erzählungen in drei Bänden, hg. von Helmuth Nürnberger, Band 2, München,Wien1985, S.705.,<br />

12 Wilhelm Langewiesche, Geschichten um ein Bürgerhaus (1919)-- Erstes Buch: Im Schatten Napoleons - Kapitel 8, in: Projekt Gutenberg<br />

http://gutenberg.spiegel.de/buch/3958/8 [14.6.2011]


<strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> ist – soweit es zu recherchieren war – nirgendwo in<br />

der deutschen Literatur selbständiges Thema. Jenes eingangs zitierte Lemgoer<br />

Spottgedicht bildet die einzige Ausnahme. Wenn er Erwähnung findet, so geschieht<br />

das beiläufig – meist ohne eigenes Gewicht.<br />

Anders ist es bei Washington Irving. Bei ihm gelten Bibel und <strong>Katechismus</strong> noch als<br />

Bollwerk gegen die feindlichen Mächte – vielleicht eine Ahnung, was „Bekenntnis“<br />

einmal bedeutet hat, wenn auch nicht ganz ohne abergläubische Zumutungen.<br />

„Er suchte die Furcht seiner Mutter zu beschwichtigen und ihr zu versichern,<br />

daß alle die Gerüchte, die ihr zu Ohren gekommen, nicht wahr seien; sie<br />

blickte ihn voll Zweifel an und schüttelte ihren Kopf; als sie aber fand, daß sein<br />

Entschluß nicht zu beugen war, brachte sie ihm eine dicke holländische Bibel<br />

mit messingenen Ecken, um sie als ein Schwert gegen die Mächte der<br />

Finsterniß zu gebrauchen; und falls das noch nicht hinreichend sein sollte, gab<br />

ihm die Haushälterin zum Ueberfluß noch einen <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> als<br />

Waffe mit.“ 13<br />

IV. <strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> im Werk einiger<br />

niederländischer Nachkriegsautoren<br />

Während sich – von einigen Ausnahmen in Ostfriesland, im Fürstentum Lippe, im<br />

Siegerland und in den freien Reformierten Gemeinden – die reformierten Milieus eher<br />

in die Union hinein aufgelöst und an Profil verloren haben, ist die Geschichte der<br />

reformierten Kirchen und der reformierten Frömmigkeit in den Niederlanden deutlich<br />

anders verlaufen. Die einzelnen Frömmigkeits- und Erneuerungsbewegungen, die<br />

stets im Rahmen des reformierten Bekenntnisses geblieben sind, haben dazu<br />

geführt, dass sich in diesem heute mehrheitlich konfessionslosen Land Inseln der<br />

Frömmigkeit erhalten haben, die sehr von Psalter und <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong><br />

geprägt sind. Maarten t`Hart (geb. 1944) hat sich die Beschreibung des<br />

calvinistischen Milieus im 20. Jahrhundert zum Thema gemacht. Mit großem<br />

Einfühlungsvermögen schildert er – meist autobiographisch gefärbt – das Leben und<br />

die Zwänge im calvinistisch geprägten Kleinstadtmilieu, das von Bibel, Psalter und<br />

<strong>Katechismus</strong> bestimmt ist. Was Maarten t´Hart, der Autor, dem entgegenzusetzen<br />

13 Washington Irving, (1783 - 1859), Nordamerikanischer Schriftsteller, Bracebridge Hall oder die Charaktere, (1846) Kap.53, in: Projekt Gutenberg<br />

URL: http://gutenberg.spiegel.de /buch/2451/53 [14.6.2011]


hat, ist seine Liebe zur Musik Bachs, die für ihn selbst zur Religion wird (Das Wüten<br />

der ganzen Welt). Im Zusammenhang mit dem qualvollen Krebstod seiner Mutter<br />

beschreibt er in seinem Roman – Ein Schwarm Regenbrachvögel 14 – seine<br />

Abwendung vom Glauben seiner Väter und Mütter. Dem Roman hat er Frage und<br />

Antwort 27 („Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes?“) vorangestellt.<br />

„Während ich umherlaufe, weiß ich plötzlich, und zwar mit unerschütterlicher<br />

Gewißheit , von der die Calvinisten immer reden, daß das Christentum Betrug<br />

ist, ja, daß das ganze Leben eine infame Lüge ist und daß jetzt fern im Weltall<br />

Gott über meinen Kummer satanisch lacht, der Gott des 10. Sonntags 15 , der<br />

meiner Mutter mit väterliche Hand eine Krankheit hat zukommen lassen, einen<br />

Vorgeschmack des Leidens in der Hölle. So ist Gott, der Gott des<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>, der Gott, der die Menschen so abgrundtief haßt,<br />

dass er Kahlkopfkrebs für sie erfunden hat. Selbst Menschen sind nicht<br />

imstande, sich mit so großer niederträchtiger Weise umzubringen, wie Gott es<br />

mit dieser Krankheit kann“. 16<br />

Maarten t´ Hart berührt die alte Frage nach der Gerechtigkeit und vor allem der Liebe<br />

Gottes, wie sie sich angesichts der Leiderfahrung und der Lehre von Gottes<br />

Vorsehung stellt.<br />

Unter dem Stichwort: „Rückkehr der Religion in die Literatur“ bespricht Ulrich Baron<br />

in der Süddeutsche Zeitung vom 9.10.2007 den Roman des Niederländers Jan<br />

Siebelink „In meines Vaters Gaten“ (Knielen op een bed violen 2005) 17 . Aber auch<br />

hier – ganz ähnlich wie bei Maarten t´ Hart – ist die Religion ein Alptraum, hier<br />

gerade auch die von Calvin, dem <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> und einer speziellen Art<br />

reformierter Erweckung und reformierten Freikirchlertums bestimmte Religion. Sie<br />

entfremdet den Menschen seiner engsten Umgebung, seinen ursprünglichen<br />

Gefühlen und sogar dem, was man „Berufung“ nennen möchte. Siebelink beschreibt<br />

den Einfluss, den reformierte Separatisten auf einen Gärtner nehmen, und wie der<br />

14 Maarten t´Hart, Ein Schwarm Regenbrachvögel (Een vlucht regenwulpen 1978), aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert, mit einem<br />

Nachwort von Carel ter Haar, München 2001,<br />

15 Frage und Antwort 27 aus dem <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> sind für den Gottesdienst am 10. Sonntag im Jahr bestimmt, wobei die Sonntage nach<br />

Neujahr oder dem Sonntag nach Neujahr gezählt werden. Siehe auch die Ausgabe des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> im Psalmen- und Gesangbuch<br />

der Domgemeinde Halle. Des Königs und Propheten Davids Psalmen/Nach Frantzösis. Melodey in Teut=/sche Reymen gebracht durch/<br />

D.Ambrosium Lobwasser/Denen auch beygefüget sind/ D.Lutheri und anderer Got=/tesgelehrten/Psalmen u- geistl. Lieder/ nebst dem/Chur-<br />

Pfälzischen/Catechismo/Morgen- und Aben=Gebeten/ Communion=Andachten/ Auch andern/Bey Krancken und Sterbenden/ nöthigen/ Gebeten/<br />

zu desto besserem Gebrauch in diese be=/queme Form gebracht. Halle verlegts Joh.Jacob Schütze 1718.<br />

16 Maarten t´Hart, ebd. S.88.<br />

17 Ulrich Baron, Hingabe als Verhängnis, in: Süddeutsche Zeitung vom 9.10.2007 in URL:<br />

http://www.sueddeutsche.de/kultur/jan-siebelink-im-garten-des-vaters-hingabe-als-verhaengnis-1.790283 [14.6.2011]


Stück für Stück den Bezug zur Wirklichkeit seiner Familie und zur Liebe seiner Frau<br />

verliert. Und auch wenn der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in diesem Roman offenkundig<br />

kaum eine Rolle spielt 18 , so ist dieses Buch dennoch von einer Frömmigkeit und<br />

einer separatistischen Frömmigkeit geprägt, die so nur im Umfeld eines<br />

niederländisch geprägten Calvinismus vorstellbar ist. Besonders bedrückend wirkt<br />

die Szene, in der sich die Glaubensbrüder des Romanhelden annehmen, um ihn, wie<br />

sie es nennen, „aufs Sterben vorzubereiten“. Die Ehefrau wird dabei von den<br />

angereisten Laienbrüdern von dem Kontakt zu dem Sterbenden weitgehend<br />

ferngehalten.<br />

„Sie murmelt bei sich selbst: „Dieses ganze Gerede, das ganze Trara, ... aber<br />

ein menschliches Wort über die Lippen zu bringen, ein einziges Wort des<br />

Trostes? Auf keinen Fall!“ Sie stand auf, ging in die Küche, um Kaffee zu<br />

kochen und Brote zu schmieren. Gleich würden die Kerle Hunger haben.“ 19<br />

Die Ehefrau des Sterbenden, die sich immer abseits von den religiösen Aktivitäten<br />

ihres Mannes gehalten hatte, spürt deutlich, dass dieser orthodox-erweckliche<br />

Umgang mit dem <strong>Katechismus</strong> genau das nicht einlöst, was er zu versprechen<br />

vorgibt. In dieser <strong>Katechismus</strong>praxis der Konventikel bekennt er gerade nicht den<br />

einzigen Trost im Leben und im Sterben. Eine Erinnerung an die erste Frage des<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> und ihre Antwort hätte vielleicht dem Sterbenden diesen<br />

göttlichen und „menschlichen“ Trost ermöglichen können.<br />

Ein dritter niederländischer Autor, der sich besonders mit dem reformierten Milieu in<br />

den Niederlanden des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, ist Geert Mak. Auch er ist<br />

wie Siebelink Sohn eines reformierten Predigers und kennt sich in Sprache und<br />

Milieu der reformierten Szene aus. Sein weit ausgreifender Essay „Das Jahrhunderts<br />

meines Vaters“ 20 erzählt kenntnisreich niederländische Geschichte im Spiegel eines<br />

reformierten Predigers. Und da reformierte Geschichte in den Niederlanden immer<br />

auch Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> ist, kommt<br />

auch dieser zur Sprache. So erklärt Mak das pessimistische Menschenbild des<br />

18 Jan Siebelink, Im Garten meines Vaters, aus dem Niederländischen von Bettina Bach, Zürich, Hamburg 2007. S.371 „Er nahm das glatte<br />

schwarze Psalmbuch in die Hand. Fasst vierhundert dünne Seiten umfasste es, weil es auch den <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> und das<br />

Glaubensbekenntnis nach den Dordrechter Lehrsätzen enthielt.“<br />

19 Ebd. S.501<br />

20 Geert Mak, Das Jahrhundert meines Vaters, aus dem Niederländischen von Gregor Seferenz und Andreas Ecke, original De euew van mijn<br />

vader, Amsterdam 199, Berlin 2003.


profilierten charismatischen Politikers und Theologen Abraham Kuyper mit dem<br />

Menschenbild des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>, der in seiner 4. Frage die natürliche<br />

Neigung des Menschen darin sieht, dass er dazu tendiert, „Gott und den Nächsten zu<br />

hassen“. 21 Dass diese 4. Frage bereits von der 1. Frage nach dem „einzigen Trost im<br />

Leben und im Sterben“ in seiner Tragweite begrenzt und bestimmt ist, sieht Mak so<br />

nicht. Theologisch sachgemäß wäre es, die Verstrickung des Menschen in die Sünde<br />

von seiner Rechtfertigung und Rettung in Person und Werk Jesu Christi in den Blick<br />

zu nehmen.<br />

Die ausdrückliche Rezeption des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in der deutschen<br />

Literaturgeschichte seit dem 30jährigen Krieg ist – wo sie überhaupt erfolgt –<br />

belastet mit Assoziationen wie Zwang, Unverständnis, Glaubensenge und<br />

Fortschrittsfeindlichkeit. Und wenn andernorts neue „Katechismen“ 22 erschaffen<br />

werden, gerät der reformatorische <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> gerade auch in<br />

deutschen und schweizerischen reformierten Gemeinden mehr und mehr in die<br />

Bedeutungslosigkeit.<br />

So ist es kein Wunder, dass im 19. Jahrhundert der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> –<br />

wohl in deutlich stärkerem Maße als der Kleine <strong>Katechismus</strong> Luthers – durch andere<br />

katechetische Texte ersetzt wird. Wie der Genfer Psalter gegen Ende des 18.<br />

Jahrhunderts aus reformierten Gesangbüchern verschwindet, – viele Luther- und<br />

Paul Gerhardt-Lieder auch – , so findet sich auch der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> dort<br />

nicht mehr. Und was einmal aus dem Gesangbuch verschwunden ist, das ist in<br />

Gemeinde, Unterricht und Predigt nicht mehr präsent. 23<br />

21 Ebd. S.40.<br />

22 Moses Hess, Kommunistischer <strong>Katechismus</strong> (1844) Vorwärts, Friedrich Engels, Entwurf eines<br />

Kommunistischen Glaubensbekenntnis (1847) MEGA I/6.<br />

23 Vgl. <strong>Martin</strong> <strong>Filitz</strong>, Die ev.-ref. Domgemeinde Halle und ihr Gesangbuch von 1718, in: Wolfgang Miersemann und Gudrun Busch, Singt dem Herr,<br />

nah und fern“ 300 Jahre Freylinghausesches, Gesangbuch Hallesche Forschungen Band 20, Halle-Tübingen 2008, S.143-162. Im Jahre 1795<br />

erscheint in Halle ein neues Domgesangbuch, das weder den Genfer (Lobwasser) Psalter enthält noch einen Großteil der reformatorischen und<br />

nachreformatorischen Lieder. Auch der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> ist in diesem Gesangbuch nicht mehr enthalten. Erst im Zuge der<br />

konfessionellen Restauration in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und endlich dann im Zusammenhang mit dem Kirchenkampf haben die<br />

Bekenntnisse wieder an Bedeutung gewonnen. In der katechetischen Praxis hat der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> trotz gegenteiliger Bemühungen<br />

nie mehr die Bedeutung erreicht, die er im 16. und im 17. Jahrhundert gehabt hat. Vgl. die Arbeitsbücher Günther Twardella, „Bausteine zum<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>“ (2 Bde. Gladbeck 1982)) Ausschuß für den Konfirmandenunterricht der Ev.-ref. Kirche „Anbahnung“, Aurich 2.Auflage<br />

2004.


V. Die indirekten Wirkungen<br />

Nicht nur das Zitat lässt auf die Rezeption eines Textes schließen. Wie schon gesagt:<br />

Schul- und Lehrbücher wirken vor allem „unterirdisch“. Katechismen wirken, indem<br />

sie Glaubensvorstellungen einzelner Menschen prägen oder sogar schaffen. Sie<br />

wirken durch Themen und Theologien. So ist die Wirkung des <strong>Heidelberger</strong><br />

<strong>Katechismus</strong> auf Karl Barth mehrfach belegt und theologisch bedeutsam gewesen 24 .<br />

Frage 1 des <strong>Heidelberger</strong> zeigt ihre Spuren direkt in der 1. These der „Barmer<br />

Theologischen Erklärung“ 25 .<br />

Katechismen wirken aber auch durch „Memorieren“. Sie wirken durch bestimmte<br />

Formulierungen, die eine ganz bestimmte Denkungsart oder ein verbreitetes<br />

Vorurteil auf den Begriff bringen.<br />

Vom <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> wirkt vor allem die Frage 80 nach, in der die<br />

römische Messe eine „vermaledeite Abgötterei“ genannt wird. Sie wird nach wie vor<br />

in polemischen und in apologetischen Traktaten ausgiebig zitiert. Man hat den<br />

Eindruck, als wäre genau diese Formulierung stärker im Gedächtnis der<br />

Theologinnen und Theologen geblieben als mache andere Zuschreibung, die in Form<br />

und Sache nicht weniger deutlich und verletzend ist. 26<br />

<strong>Der</strong> Nachweis von indirekten literarischen Wirkungen ist problematisch. Anklänge<br />

können viele Mütter und Väter haben, Assoziationen bleiben oft in der Schwebe,<br />

24 Karl Barth, <strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>, München 1948.<br />

25 Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu<br />

vertrauen und zu gehorchen haben.<br />

26 Eva Maria Hagen „Allerhand“ „Aufzeichnungen von unterwegs“ – Tagebucheintrag Badenweiler, 25.7.1979, „Mein Pfarrer schenkte mir ein<br />

Büchlein: Pfarrers M. von Jung – Fröhliche Grablieder zur Laute, vergnüglicher Schwarzer Humor, damals ernst gemeint. Echte Balladen, mit<br />

einer Moral am Schluss.<br />

GTB Gütersloher Taschenbücher, Kinderbriefe an den lieben Gott. Berliner Feministenkongress, Gott als Frau. Aus der Sixtinischen Kapelle die<br />

Erschaffung Adams. Mariä Verkündigung: 25. März. Mariä Empfängnis: 8. Dezember. Mariä Himmelfahrt 15. August. Heilige Anna unbefleckte<br />

Empfängnis Mariä. Mariens frei von Erbsünde geboren sic!). 1870 definiert worden. Jesaja, Kap. 7:<br />

Eine Jungfrau wird ein Kind gebären. Lucas II. Weihnachtsgeschichte, Gegrüßet seist du Maria voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist<br />

gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes. Jesus, heilige Maria Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in<br />

der Stunde unseres Todes. Amen. (Hier fügte der Pfarrer an, das sei vermaledeite Abgötterei.).“ http://www.eva-mariahagen.de/Allerhand/unterwegs.shtml<br />

[20.06.2011]


auch wenn die Umgebung des Autoren oder der Autorin einen Zusammenhang mit<br />

der Wirkung des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> vermuten lässt.<br />

So sind die folgenden Texte kaum mehr als ein Hinweis auf die Weite, die der<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> trotz aller Versuche, ihn aus Kirche und Schule – nicht nur<br />

der Pfalz – zu verbannen, gehabt hat und wohl auch noch hat.<br />

1. Conrad Ferdinand Meyer<br />

gilt als der Schweizer Dichter nicht nur der reformierten Reformation. Sein Roman<br />

„Jürg Jenatsch“, seine Novellen „Das Amulett“ sind genauso bekannt wie die<br />

Erzählung „Gustav Adolfs Page“. Die Ballade „Die Füße im Feuer“ zählt zu den<br />

bedeutendsten Dichtungen dieser Art in deutscher Sprache. Meyer schildert die<br />

Wiederbegegnung eines „Hugenottenjägers“, der die Schlossherrin umgebracht<br />

hatte, indem er ihr die Füße ins Feuer hielt, mit dem Witwer und den Kindern des<br />

Opfers. Obwohl der Witwer alle Möglichkeiten hätte, sich an dem Mörder zu rächen,<br />

leistet er Racheverzicht. Die Spannung der Ballade entsteht dadurch, dass beide<br />

wissen, wer der andere ist. Zum Schluss reiten Schlossherr und Hugenottenjäger<br />

durch den Wald.<br />

<strong>Der</strong> Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,<br />

Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit<br />

Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.<br />

Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!“ <strong>Der</strong> Andre spricht:<br />

„Du sagstʼs! Dem größten König eigen! Heute ward<br />

Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir<br />

Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott.“ 27<br />

Die Doppeldeutigkeit des Wortes: „dem größten König eigen“ lässt eindeutig deutlich<br />

werden, wes Geistes Kind beide sind: Dem König von Frankreich „eigen sein“ oder<br />

„dass ich mit Leib und Seele ... Jesu Christi eigen bin“. Das ist wohl mehr als nur ein<br />

Anklang an den Text des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>.<br />

27 Conrad Ferdinand Meyer, „Die Füße im Feuer“ in: Conrad Ferdinand Meyer, Gedichte und Balladen, Gesammelte Werke Band 6 hg. von<br />

Wolfgang Ignèe, München 1985, S.279-282.


2. Max Frisch (1911-1993)<br />

hat sich selbst als Agnostiker gesehen und verstanden. In seinem umfangreichen<br />

Werk beschreibt er die Welt als einen Ort, der die Gewissheiten abhanden<br />

gekommen sind. Identität wird zum Experiment, Liebe zu einer flüchtigen Begegnung<br />

zweier im Grunde vereinsamter Menschen. Immer wieder kreist Frischs<br />

schriftstellerische Arbeit um das Bilderverbot. Max Frisch interpretiert es<br />

anthropologisch: sich Bilder machen, den anderen festlegen, das ist der Tod der<br />

Beziehung und auch der menschlichen Gemeinschaft. Es dürfte wohl nicht verfehlt<br />

sein, diese Menschensicht im Umfeld der Fragen 96-98 des <strong>Heidelberger</strong><br />

<strong>Katechismus</strong> zu vermuten.<br />

Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben am<br />

mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin<br />

besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der<br />

Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen<br />

in allen seinen möglichen Entfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn<br />

man ihn liebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass aus dem<br />

Liebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte. Vieles sieht er<br />

wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis. Das ist das<br />

Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den<br />

Menschen, die wir lieben, nicht fertig werden: weil wir sie lieben, solange wir sie<br />

lieben. Man höre bloß die Dichter, wenn sie lieben, sie tappen nach<br />

Vergleichen, als wären sie betrunken, sie greifen nach allen Dingen im All, nach<br />

Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen und Meeren. Warum? So wie<br />

das All, wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, schrankenlos, alles Mögliche<br />

voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt. Nur die<br />

Liebe erträgt ihn so....<br />

Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe, jedes<br />

Mal, aber Ursache und Wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen<br />

versucht sind: nicht weil wir das andere kennen, geht unsere Liebe zu Ende,<br />

sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich<br />

erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können<br />

nicht mehr! Wir kündigen ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen<br />

einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch auf alles Lebendige, dass


unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser<br />

Verhältnis nicht mehr lebendig sei. 28<br />

Vermutlich lässt es einen Rückschluss zu auf den wenig vorhandenen Umgang des<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in Gottesdienst und Unterricht der Reformierten Kirche im<br />

Kanton Bern, dass Friedrich Dürrenmatt in seinem literarischen Werk – auch nicht in<br />

den Erinnerungen an den Vater, der reformierter Pfarrer war und dessen ausführliche<br />

Bibellektüre in den Ursprachen Dürrenmatt hervorhebt und auch in den Erinnerungen<br />

an die Mutter, deren Frömmigkeit eher reformiert-erwecklicher Natur war – den<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> überhaupt nicht erwähnt. 29<br />

3. <strong>Der</strong> „kleine kabarettistische <strong>Katechismus</strong>“<br />

wurde 1998 von Günter Ruddat und Harald Schroeter 30 herausgegeben.<br />

Unterschiedlichen Kabarettisten wurden Fragen aus dem Kleinen <strong>Katechismus</strong><br />

Luthers und dem <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> vorgelegt mit der Bitte, sich dazu zu<br />

äußern. Unterschiedliche Kabarettisten haben sich unterschiedlich geäußert. So ist<br />

eine bunte Außensicht auf Glaube und Kirche zustande gekommen, die man gewiss<br />

nicht repräsentativ, aber gewiss dennoch charakteristisch nennen kann. Die<br />

Anthologie zeigt, dass sich Kirche und Gemeinde mit dem, was sie konstituiert, in<br />

diesem Bereich des kulturellen Lebens kaum oder gar nicht mehr verständlich<br />

machen können:<br />

Auf die Frage: „Woher erkennst du dein Elend?“ (Frage 3) antwortet Jürgen<br />

Erdmann: „Im Blick auf meinen Kontoauszug.“ 31<br />

Und auf Frage 4 „Was fordert denn das göttliche Gesetz von uns?“ bemerkt<br />

Richard Rogler: „Nehmt euch mal nicht zu ernst, ihr Erdwichtel auf Zeit!“ 32<br />

28 Max Frisch, Tagebuch 1946-1949, S.31-32, Frankfurt/Main 1950.<br />

29 Friedrich Dürrenmatt, Die Eltern, Sohn des Pfarrers, in: Friedrich Dürrenmatt, Mondfinsternis, der Rebell, Stoffe II/III, Zürich 1981, S.9-25.<br />

30 Günter Ruddat, Harald Schroeter (Hg.), Kleiner kabbaretistischer <strong>Katechismus</strong>, Sketche, Satiren, Sentenzen zur Kirche und allen anderen Fragen<br />

des Glaubens, Rheinbach 1998.<br />

31 Ebd. S.111<br />

32 Ebd.


Die Frage: „Was ist wahrer Glaube?“ (Frage 21) beantwortet Barbara<br />

Hornberger:<br />

„Eine geradezu paläontologische Frage...! <strong>Der</strong> wahre Glaube entstand<br />

vermutlich aus einem akuten Mangel an Wissen und dem gleichzeitigen<br />

Bemühen, diesen Mangel gegenüber den natürlichen Feinden zu verbergen.<br />

Durch eine Art Über-Zeugung, die sich vor allem später in<br />

Selbstüberschätzung und Dogmatismus verlagerte, konnte dieser Fehler der<br />

menschlichen Natur zunächst kompensiert werden. Diese Mutation hat sich<br />

allerdings nicht völlig durchsetzen können. <strong>Der</strong> wahre Glaube, der sich immer<br />

rezessiv vererbt hatte, starb fast völlig aus und sicherte damit vermutlich das<br />

Überleben der Art. Die Natur verteidigt stets ihr Recht auf<br />

Unvollkommenheit.“ 33<br />

Die Aufzählung ähnlicher kabarettistischer Äußerungen ließe sich noch weiter<br />

fortsetzen. Mit wenigen Ausnahmen – meist von Theologinnen und Theologen, die<br />

sich selbst kabarettistisch betätigen – bleibt das schale Gefühl einer kommunikativen<br />

Blockade zurück, die sich nicht leicht überwinden lassen wird.<br />

4. Ein historisch nachempfundener Roman aus jüngster Zeit<br />

Romane, deren Handlung in vergangener Zeit angesiedelt ist, erfreuen sich großer<br />

Beliebtheit. Neben dem Mittelalter – mit seinen oft geschönten Lebensumständen –<br />

ist auch das 17. Jahrhundert eine dankbare Zeit und ein dankbarer Stoff für den<br />

Romancier, der sich mit Kriegen und Hexenverbrennungen beschäftigen möchte.<br />

Marlene Klaus erzählt in ihrem 2010 erschienenen Roman „Beschützerin des<br />

Hauses“ 34 die Geschichte einer jungen pfälzischen Witwe, die in die Mühlen eines<br />

Hexenprozesses gerät. Auch sie bedient die üblichen Klischees, indem sie den<br />

reformierten Pfarrer des Dorfes als einen unentschlossenen Mann schildert, der sich<br />

nur mit <strong>Katechismus</strong>sprüchen zu wehren weiß. Und als die wütenden Dorfbewohner<br />

von ihm verlangen, dass er gegen den Gewitterzauber läuten lassen solle, zitiert er<br />

lediglich die Antwort auf Frage 94, setzt sich dann aber nicht weiter zur Wehr, als die<br />

Dorfbewohner sich den Schlüssel zum Glockenturm von seinem Schreibtisch<br />

33 Ebd. S.112-113<br />

34 Marlene Klaus, Beschützerin des Hauses, Oldenburg 2010.


greifen. 35 Wie das Volk wirklich denkt, das beschreibt Marlene Klaus so, indem sie<br />

ihrer Heldin folgende Worte in den Mund legt:<br />

„Sie wollte Matthias aufmuntern und fügte spöttisch hinzu: „Wusste immer,<br />

dass diese calvinistischen Reinemacher zu engstirnig sind, um das<br />

Segensvolle des Althergebrachten zu verstehen.“<br />

Es war scherzhaft gemeint und doch sah sie für einen Augenblick die<br />

Kräutergärten der Klöster, die neben Bildnissen. Büchern und Altären vor<br />

Jahrzehnten dem neuen Geist des rechten Glaubens zum Opfer gefallen<br />

waren. Es war schändlich und grämte sie wirklich. Welch ein Gerangel und<br />

Gekämpfe um die wahre Religion! Sie selbst hatte in ihrem Leben bereits zwei<br />

Konfessionen durchlaufen – calvinistisch und lutherisch und wieder<br />

calvinistisch – und erinnerte sich an Erzählungen von Leuten über die Zeit, als<br />

man katholisch war und fertig. <strong>Der</strong> alte Glaube steckte den Leuten noch in den<br />

Knochen, da konnten die Kurfürsten mit Neuerungen daherkommen wie sie<br />

wollen. 36<br />

Die literarische Ausbeute auf der Suche nach Erwähnungen oder gar<br />

Auseinandersetzungen mit dem <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> ist nicht besonders<br />

ertragreich. Und es ist auch nicht überraschend, dass der <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong><br />

besonders dort Erwähnung findet und Gegenstand der Auseinandersetzung ist, wo er<br />

in den reformierten Gemeinden auch im lebendigen Gebrauch ist, und das gilt vor<br />

allem für die orthodox- und altreformierten Gemeinden in den Niederlanden. Ob er im<br />

deutschsprachigen Gebiet je wieder eine solche Bedeutung erlangt, das mag man<br />

hoffen und wünschen. Absehbar ist das nicht.<br />

VI.<br />

<strong>Der</strong> Heidelberg-Rap<br />

Was die Suche nach Spuren des <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong> in der Welt der Kunst<br />

und der Literatur betrifft, so erweist sich die Recherche im Internet als eine wahre<br />

Büchse der Pandora. Man findet an Orten, an denen man mit anderen Medien<br />

niemals gesucht hätte. So findet sich in dem Video-Portal Youtube ein Rap auf den<br />

<strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>. <strong>Der</strong> Text bezieht sich an mehreren Stellen auf ein Buch<br />

35 Ebd. S.276f.<br />

36 Ebd. S.312f.


des reformierten Pfarrers Kevin D. Young. „The Good News We Almost Forgot:<br />

Rediscovering the Gospel in a 16th Century Catechism“ 37<br />

Verse 1<br />

Yeah I'm on a mission like a couple spies, and that guys is the reason why I<br />

catechize. The good news we almost forgot I recognize, Heidelberg<br />

rediscovering the gospel prize. It's not scripture but the truth in it will mention<br />

he, introduction hide and seek the 16th century. Written in a time when your<br />

mind was the weaponry, this document is back into the populace shouts to<br />

Kevin D. Better than you think not as bad as you remember, purpose driven<br />

truth, from Frederick the elector. He would initiate, the 129 questions to<br />

illustrate truths like Christ propitiates. All in a document, whose purpose was to<br />

teach children, a guide for preachers, and confessions in a church building.<br />

And this is all fact The Heidelberg Cat has been around but now it's seem like<br />

it is coming back.<br />

Hook
 We believe in the cross, believe in his life, 
We believe in his death,<br />

believe he's the Christ.
We believe that he rose from grave yes it is him 
And we<br />

read the Heidelberg Catechism
. We believe in the after life and we believe<br />

nothing's after Christ, so we stand our ground, cuz the truth's been around<br />

from the word to the Heidelberg.<br />

Verse 2<br />

Year of the Heidelberg resulting in renewed passion, and we could see it in<br />

our lives lights camera action. Let's take a gander and address a few<br />

questions from Heidelberg document then look at the answers. But before that<br />

make sure that, you know how it's broken down, in a Q & A format, a few<br />

sections. Suggestions how to read this not to sound promotional, but Kevin put<br />

it in his book to make it a devotional. Each question each answer has a bit of<br />

commentary, so the application of it is not some involuntary. Mystery, the<br />

history screams through rings true but I'll just leave that up to God, cuz that's<br />

37 Kevin D. Young, Die Frohe Botschaft, die wir beinahe vergessen hätten: Die Wiederentdeckung des Evangeliums in einem <strong>Katechismus</strong> des 16.<br />

Jahrhunderts, Chicago 2010.


etween you. to believe, but to believe you gotta read you and then you<br />

meditate on all the truths that the Heidelberg will illustrate. What's that the<br />

catechism homey where you been the good news we almost forgot let's get it<br />

in!<br />

Verse 3<br />

From the word to the Heidelberg, we see that what's the comfort of life should<br />

come first. And in death that I with, body and soul but belong to the savior,<br />

commentary from me man, tell this to your neighbor. Moving on, how many<br />

things are necessary for thee, enjoying this comfort, to live and die happily?<br />

Three, my sin's misery, deliverance from sin, and gratitude for God is how the<br />

answer ends. Let's stretch it out the Lord's day 23 the grandaddy of them all,<br />

questions 59 and 60. What good does it do to believe in all this? In Christ I am<br />

right heir to the promise. Paraphrase, anyways I'm kinda limited I'm just trying<br />

to say a couple things my man Kevin did. On the Heidelberg, go and get you<br />

one, and by the way CJ homey this was fun. 38<br />

38 „Vers (Strophe) 1<br />

Ja, ich bin auf einer Mission wie ein paar Spione, und das, Leute, ist der Grund, warum ich den Glauben weitersage. Es ist die gute Nachricht, die<br />

wir fast vergessen haben: Ich erkenne den Wert, den der <strong>Heidelberger</strong> bei der Wiederentdeckung des Evangeliums hat. Er selbst ist nicht die<br />

Schrift, aber er erinnert an die Wahrheit in ihr. Er ist eine Einführung in die Schrift aus dem 16. Jahrhundert. Geschrieben in einer Zeit, als der<br />

Geist noch eine Waffenschmiede war, ist dieses Dokument jetzt wieder zurück im Bewusstsein der Bevölkerung, so jedenfalls sagt es Kevin D.<br />

Besser als du denkst, aber nicht so schlecht, wie du es noch in Erinnerung hast: Er war getrieben, die Wahrheit wieder ans Licht zu bringen:<br />

Kurfürst Friedrich von der Pfalz. Er wusste den Anstoß dazu zu geben, in 129 Fragen die Wahrheit, dass Christus versöhnt, zur Geltung zu<br />

bringen. Alles in einem Dokument, dessen Zweck es war, Kinder zu lehren, ein Leitfaden für Prediger und Bekenntnis in einer Kirche zu sein.<br />

Und das ist alles Tatsache: der <strong>Heidelberger</strong> Kat schien abgehakt zu sein, aber jetzt sieht es so aus, als ob er zurückkommt.<br />

Refrain<br />

Wir glauben an das Kreuz, wir glauben an sein Leben,<br />

Wir glauben an seinen Tod, glauben, wir glauben, dass er der Christus ist.<br />

Wir glauben, dass er aus dem Grab auferstand, - ja, er ist es!<br />

Und wir lesen den <strong>Heidelberger</strong> <strong>Katechismus</strong>.<br />

Wir glauben an das Leben danach und wir glauben an nichts außer an Christus,<br />

so stehen wir unseren Boden, weil die Wahrheit in der Welt ist aus dem Wort zum <strong>Heidelberger</strong>.<br />

Vers (Strophe) 2<br />

Year, der <strong>Heidelberger</strong> bringt eine neue Leidenschaft hervor und wir konnten es in unserer Life - Video - Show sehen. Lasst uns einen Blick auf<br />

den <strong>Heidelberger</strong> werfen, nach ein paar Fragen aus dem <strong>Heidelberger</strong> suchen und dann die Antworten ansehen. Aber vorher mach dir klar, wie<br />

kaputt er ist, in einem Q & A-Format, ein paar Kapitel. Vorschläge, wie er zu lesen ist, klingen nicht wie Werbesprüche. Aber Kevin hat es in<br />

seinem Buch geschafft, aus ihm eine Kostbarkeit zu machen. Jede Frage, jede Antwort hat ein bisschen etwas von einem Kommentar, so dass<br />

die Anwendung auf uns nicht etwas gezwungenes hat. Geheimnisvoll erscheint die Geschichte durch die Ringe, das ist wahr!, Aber ich werde es<br />

einfach Gott überlassen, weil es ein Ding zwischen ihm und dir ist, zu glauben. Aber um zu glauben, musst du lesen und dann musst du es dir zu<br />

Herzen gehen lassen, was der <strong>Heidelberger</strong> dir vor Augen führt. Was früher mit uns los war, bevor wir mit dem <strong>Katechismus</strong> vertraut wurden, mit<br />

der Guten Nachricht, das haben wir vergessen. Los, lass uns einsteigen!<br />

Vers (Strophe) 3<br />

Aus dem Text des <strong>Heidelberger</strong>s erfahren wir, dass der Trost an erster Stelle stehen soll. Und im Tod, dass ich mit Leib und Seele dem Heiland<br />

gehöre. Kommentar von mir: Mann, erzähl das deinem Nachbarn. Weiter: wie viele Dinge sind für dich nötig, diesen Trost zu bekommen und<br />

glücklich zu leben und zu sterben? Drei: wie groß meine Sünde und mein Elend ist, die Erlösung von der Sünde und die Dankbarkeit Gott<br />

gegenüber, womit die Antwort endet. Lass uns vorgreifen auf den 23. Sonntag (in der Lesereihe) zu den Fragen 59 und 60, dem „Großvater“ von<br />

allen Fragen. Was nützt es, dies alles zu glauben? In Christus bin ich der rechtmäßige Erbe der Verheißung. So in Paraphrase: Obwohl ich<br />

irgendwie eingeschränkt bin, will ich nur versuchen, ein paar Dinge zu sagen, die mein Mann Kevin auch gesagt. Geh und besorg dir einen


<strong>Heidelberger</strong>! Und, nebenbei: CJ (Christus Jesus?) zum Kumpel haben – das bringt Spaß!“<br />

http://feileadhmor.wordpress.com/2010/10/27/heidelberg-catechism-rap/ [21.06.2011]

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