Erdbeben, Hangrutschungen und Tsunamis an ... - Marum
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<strong>Erdbeben</strong>, <strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Tsunamis</strong> <strong>an</strong> Oze<strong>an</strong>rändern<br />
von Achim Kopf, Bremen<br />
Dieser Artikel ist erschienen<br />
im Magazin »expedition Erde«<br />
herausgegeben von Gerold Wefer<br />
MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften<br />
Universität Bremen<br />
Leobener Straße<br />
D-28359 Bremen<br />
2., überarbeitete <strong>und</strong> erweiterte Auflage, 2006<br />
37 Artikel, 336 S.<br />
Selbstkostenbeitrag: 5 Euro<br />
Erhältlich unter www.marum.de<br />
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung <strong>und</strong> Verbreitung<br />
sowie der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil der<br />
MARUM-Bibliothek darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers<br />
reproduziert oder in eine von Maschinen verwendbare Sprache übertragen<br />
werden.<br />
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Pl<strong>an</strong>et Erde<br />
<strong>Erdbeben</strong>,<br />
<strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Tsunamis</strong><br />
<strong>an</strong> Oze<strong>an</strong>rändern<br />
von Achim Kopf, Bremen<br />
Zwei der sieben Weltw<strong>und</strong>er, nämlich der<br />
Koloss von Rhodos <strong>und</strong> der Leuchtturm<br />
von Pharos sowie die bronzezeitliche Kultur<br />
im Mittelmeerraum fielen <strong>Erdbeben</strong> zum<br />
Opfer. Seit dem der Mensch baut, zerstören<br />
<strong>Erdbeben</strong> seine Errungenschaften. Heute bedrohen sie<br />
mehr Menschen denn je, denn gerade die besonders gefährdeten<br />
Küstenregionen gehören zu den am engsten besiedelten<br />
Regionen der Erde. Millionenstädte wie das jap<strong>an</strong>ische<br />
Kobe leben täglich mit der Bedrohung durch die<br />
unruhige Erde. Wie Kobe liegen viele große Küstenstädte<br />
<strong>an</strong> so gen<strong>an</strong>nten Subduktionszonen, wo sich die oze<strong>an</strong>ische<br />
Platte unter die kontinentale Platte schiebt (s. Artikel<br />
von C.-D. Reuther). An solchen Stellen entlädt sich 90<br />
Prozent der Sp<strong>an</strong>nung, die durch die fortwährende Bewegung<br />
der Kontinente aufgebaut wird. Welche Energie bei<br />
einem solchen <strong>Erdbeben</strong> freigesetzt werden k<strong>an</strong>n, <strong>und</strong> wie<br />
62<br />
verheerend die Folgen auch über Tausende von Kilometer<br />
Entfernung sein können, wurde uns am 26. Dezember<br />
2004 mehr als deutlich vor Augen geführt. Bei dem Beben<br />
der Stärke 9 verschob sich ruckartig der Meeresboden <strong>und</strong><br />
löste eine gig<strong>an</strong>tische Flutwelle, einen so gen<strong>an</strong>nten Tsunami,<br />
aus, der mehr als 300.000 Menschen in den Tod<br />
riss. Solche Wellen können bis zu 30 Meter hoch werden.<br />
Die, nach <strong>Erdbeben</strong>, zerstörerischsten Ereignisse der<br />
Erde kennt kaum jem<strong>an</strong>d: Erdrutsche unter Wasser, so<br />
gen<strong>an</strong>nte submarine <strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong>. Sie bedrohen alle<br />
Küstenregionen, entweder direkt durch die seismische<br />
Erschütterung, die sie auslösen, oder indem sie den Kontinentalr<strong>an</strong>d<br />
destabilisieren. Auch sie können <strong>Tsunamis</strong><br />
auslösen, allerdings seltener als <strong>Erdbeben</strong> dies tun.<br />
Etwa drei Viertel aller Großstädte befinden sich in unmittelbarer<br />
Meeresnähe. Insbesondere die Metropolen,<br />
die <strong>an</strong> aktiven Nahtstellen liegen, also dort, wo sich Erdkrustenplatten<br />
überein<strong>an</strong>der schieben, werden episodisch<br />
von <strong>Erdbeben</strong> <strong>und</strong> deren Folgeerscheinungen heimgesucht.<br />
Dies gilt u.a. für Jap<strong>an</strong>, Alaska, sowie die Küsten<br />
Nord- Mittel- <strong>und</strong> Südamerikas (Abb. 1). Doch auch im<br />
südlichen Europa erschüttern seismische Ereignisse regelmäßig<br />
das Leben. Vor knapp 250 Jahren erschütterte eine<br />
Serie gig<strong>an</strong>tischer Erdstöße minutenl<strong>an</strong>g die portugiesische<br />
Hauptstadt Lissabon. Als eine der folgenreichsten<br />
Naturkatastrophen der Neuzeit vernichtete das <strong>Erdbeben</strong><br />
Kirchen <strong>und</strong> Paläste; Brücken <strong>und</strong> Türme stürzen ein.<br />
Abb. 2: Zeitgenössische Illustration<br />
des <strong>Erdbeben</strong>s von Lissabon<br />
im Jahr 1755<br />
Etwa 60.000 Menschen<br />
– ein Viertel der Bevölkerung<br />
f<strong>an</strong>d den Tod durch<br />
herabstürzende Trümmer,
Flammen oder den durch das Beben ausgelösten Tsunami<br />
(Abb. 2). Lissabon verlor aufgr<strong>und</strong> dieser Katastrophe<br />
seine Stellung als eine der damaligen Kulturhauptstädte<br />
Europas. Doch das Beben von 1755 war nicht das letzte<br />
seiner Stärke. Auch in jüngster Zeit erschüttern aufgr<strong>und</strong><br />
von Überschiebungen vor Sp<strong>an</strong>ien <strong>und</strong> Portugal Beben großer<br />
Magnitude die Region (1964: Stärke ~6.9; 1969: ~7.9).<br />
Abb. 1: Bilder der Verwüstung<br />
des Interstate Freeway 880<br />
nach dem <strong>Erdbeben</strong> in Kalifornien<br />
im Jahr 1989<br />
expedition Erde<br />
Ein Ziel heutiger<br />
geowissenschaftlicher<br />
Oze<strong>an</strong>r<strong>an</strong>dforschung ist<br />
es, das Verständnis von<br />
<strong>Erdbeben</strong>prozessen zu<br />
erweitern. Das Hauptaugenmerk gilt hierbei der Untersuchung<br />
der beim <strong>Erdbeben</strong> mech<strong>an</strong>isch versagenden<br />
Gesteine sowie den verschiedenen Mech<strong>an</strong>ismen, die<br />
<strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong> auslösen. Zukünftig sollen Methoden<br />
zur Risikoabschätzung solcher <strong>und</strong> ähnlicher Naturkatastrophen,<br />
die Menschen in küstennahen Gebieten <strong>und</strong> die<br />
dortige Infrastruktur der Gesellschaft wie Anlagen zur<br />
Energieversorgung, Schifffahrt <strong>und</strong> Telekommunikation<br />
bedrohen, eines der Haupt<strong>an</strong>liegen geowissenschaftlicher<br />
Oze<strong>an</strong>r<strong>an</strong>dforschung sein.<br />
Geologischer Hintergr<strong>und</strong><br />
Etwa <strong>an</strong> der Hälfte allen Oze<strong>an</strong>r<strong>an</strong>ds auf der Erde schiebt<br />
sich eine oze<strong>an</strong>ische Krustenplatte unter eine kontinentale<br />
Platte (Abb. 3). Insbesondere der Ring um den<br />
Pazifischen Oze<strong>an</strong> besteht aus solchen so gen<strong>an</strong>nten Subduktionszonen,<br />
die die topographisch steilsten Regionen<br />
der Erde darstellen. Wenn sich die beiden Platten überein<strong>an</strong>der<br />
schieben, k<strong>an</strong>n es aufgr<strong>und</strong> der dabei ablaufenden<br />
Prozesse <strong>und</strong> der großen Reibung zu sehr heftigen <strong>Erdbeben</strong><br />
kommen. Die Nahtstelle zwischen den konvergierenden<br />
Platten am Meeresboden bildet der Tiefseegraben,<br />
der bis zu elf Kilometer<br />
Wassertiefe erreichen k<strong>an</strong>n<br />
(z.B. der Mari<strong>an</strong>engraben<br />
im Südwest-Pazifik).<br />
Erodiertes Gestein vom<br />
Abb. 3: Weltkarte mit den<br />
größten Krustenplatten <strong>und</strong><br />
schwersten <strong>Erdbeben</strong><br />
(rote Punkte)<br />
63
Pl<strong>an</strong>et Erde<br />
Abb. 3: Schematischer Schnitt durch eine Subduktionszone. Im morphologisch tiefsten Bereich, dem Tiefseegraben,<br />
sammelt sich viel wasserreiches Sediment <strong>an</strong>. Wird es durch die Plattenkonvergenz in große Tiefen geschoben,<br />
baut es in der Tiefe starke Kräfte (sog. Porenwasserdruck; Schraffur) auf, der die darüber liegenden Gesteine <strong>an</strong>zuheben oder zu<br />
sprengen in der Lage ist.<br />
Kontinentalr<strong>an</strong>d, der häufig von einer vulk<strong>an</strong>ischen Gebirgskette<br />
gesäumt ist, gel<strong>an</strong>gt in diese Senke. Flüsse <strong>und</strong><br />
submarine C<strong>an</strong>yons tr<strong>an</strong>sportieren weiteres Material in<br />
den Tiefseegraben, in den zudem auch abgestorbene Mikroorg<strong>an</strong>ismen<br />
aus dem Meerwasser absinken. Als Folge<br />
finden sich in den Tiefseegräben rasch abgelagerte Sedimente<br />
mit zunächst extrem hohen Wassergehalten von 70<br />
bis 80 Prozent. Diese Schlämme verdichten sich im Laufe<br />
der Zeit u. a. durch darüber geschüttetes Sediment.<br />
Auf dem flüssigen Erdm<strong>an</strong>tel driftend, gel<strong>an</strong>gt die Oze<strong>an</strong>krustenplatte<br />
mit den auf ihr liegenden Sedimenten<br />
unter die Kontinentalplatte. Dabei wirkt das wasserhaltige<br />
Tiefseegrabensediment zunächst als Gleitfilm zwischen<br />
den Platten (Abb. 3). Je tiefer die Platte gel<strong>an</strong>gt, umso<br />
mehr wird sie verformt <strong>und</strong> erhitzt. Dadurch wird der<br />
Großteil des Wassers sowie enthaltenes Gas aus den Poren<br />
im Sediment gequetscht <strong>und</strong> steigt auf. Diese unter<br />
hohem Druck stehenden Wässer <strong>und</strong> Gase können, wenn<br />
sie in die Nähe des Meeresbodens gel<strong>an</strong>gen, den Kontinentalh<strong>an</strong>g<br />
destabilisieren <strong>und</strong> Rutschungen auslösen.<br />
Ist ihnen der Weg hinauf bis zum Meeresboden jedoch<br />
verwehrt, können sie auch in der Tiefe verharren <strong>und</strong> dort<br />
die Gesteinsbewegung <strong>und</strong> -deformation mitbestimmen.<br />
Physikalischer Hintergr<strong>und</strong><br />
Es ist l<strong>an</strong>ge bek<strong>an</strong>nt, dass das mech<strong>an</strong>ische Verhalten von<br />
Meeressedimenten <strong>und</strong> Festgesteinen von zwei physikalischen<br />
Größen abhängt: dem mech<strong>an</strong>ischen Verhalten,<br />
ausgedrückt als Reibungskoeffizient der enthaltenen<br />
Mineralien <strong>und</strong> dem Porenwasserdruck. Der Reibungskoeffizient<br />
eines Gesteins wird bestimmt durch die Scherfestigkeit<br />
des Materials relativ zum gerichteten Druck<br />
von oben <strong>und</strong> ist so ein Maß dafür, w<strong>an</strong>n ein Gestein in<br />
64<br />
der Tiefe zerbricht. Dies wird primär von der mineralogischen<br />
Zusammensetzung <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>är von im Material<br />
enthaltenen Flüssigkeiten <strong>und</strong> Gasen, dem Fluidgehalt<br />
kontrolliert. Der Fluiddruck stellt die Kraft dar, die im<br />
Porenraum von Sedimenten <strong>und</strong> Gesteinen vorh<strong>an</strong>dene<br />
Gase <strong>und</strong> Wasser auf ihre Umgebung ausüben. Der Fluiddruck<br />
wirkt folglich dem Umgebungsdruck des Gesteins<br />
entgegen <strong>und</strong> fördert so mech<strong>an</strong>ischen Bruch <strong>und</strong> Instabilität.<br />
Dieser Vorg<strong>an</strong>g ist ähnlich einer Sprengung des Gesteins,<br />
bei der Frakturen gebildet werden (siehe Abschnitt<br />
<strong>Erdbeben</strong> unten).<br />
Da das Fluid zudem weniger dicht ist als sein umgebendes<br />
Gestein, drängt es nach oben, ähnlich einem<br />
Stück Holz unter Wasser.<br />
Reibungsverhalten <strong>und</strong> Porenfluiddruck können in der<br />
Natur nicht einzeln betrachtet werden, insbesondere dort<br />
nicht, wo Tonminerale vorkommen. Da Tonminerale in<br />
marinen Sedimenten <strong>und</strong> Sedimentgesteinen häufig sind,<br />
gilt das nahezu überall. Zudem können magmatische <strong>und</strong><br />
metamorphe Gesteine unter Wassereinwirkung zu Tonmineralen<br />
verwittern. Tonminerale sind Schichtsilikate <strong>und</strong><br />
bestehen aus unterschiedlich zusammengesetzten Lagen.<br />
Insgesamt resultiert eine tafelförmige Geometrie. In, aber<br />
auch zwischen den einzelnen Lagen können Wassermoleküle<br />
integriert werden, so dass Tonminerale quellen <strong>und</strong><br />
ihre Dichte sowie Scherfestigkeit verändern. Im wassergesättigten<br />
Zust<strong>an</strong>d haben Tonminerale einen um den<br />
Faktor drei bis fünf niedrigeren Reibungskoeffizienten als<br />
beispielsweise Quarz <strong>und</strong> Feldspat (die beiden wichtigsten<br />
Minerale in Krustengesteinen) oder Kalzit (der Hauptbest<strong>an</strong>dteil<br />
von Kalksteinen <strong>und</strong> Marmor) (Abb. 4).<br />
Der Hauptgr<strong>und</strong> für den geringen Reibungswiderst<strong>an</strong>d<br />
der Tone ist – neben der Quellfähigkeit in Wasser – die
parallele Anordnung der Abb. 5: oben: Laboraufbau<br />
einzelnen Tonmineralplätt- eines Deformationstests, wo<br />
chen bei Deformation. ratenabhängig das Oberteil<br />
Sowohl in der Natur als einer Probe vom Unterteil<br />
auch im Laborversuch<br />
abgeschert wird. Die Rolle<br />
(Abb. 5) k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nahe- des Porenfluiddrucks misst<br />
zu spiegelglatte, polierte m<strong>an</strong> über poröse Stifte, die in<br />
Scherflächen sehen, <strong>an</strong> die Bruchfläche hineinragen<br />
denen sich die Gesteine mit Drucksensoren; unten:<br />
gegenein<strong>an</strong>der bewegt Scherfläche eines Tiefseetons,<br />
haben. Diese Scherflächen der die Einregelung der Ton-<br />
sind oft <strong>an</strong> der Basis submariner<br />
<strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong><br />
mineralplättchen illustriert<br />
<strong>und</strong> – in ungleich größerer Tiefe – auch <strong>an</strong> der Plattengrenzstörung<br />
von Subduktionszonen zu finden. Beim<br />
Studium von Naturkatastrophen <strong>an</strong> Oze<strong>an</strong>rändern<br />
kommt diesen Störungssystemen <strong>und</strong> den herrschenden<br />
physikalischen Größen eine besondere Bedeutung zu.<br />
<strong>Erdbeben</strong><br />
Obwohl Geowissenschaftler verschiedenster Disziplinen<br />
seit Jahrzehnten erforschen, wie <strong>Erdbeben</strong> entstehen, gibt<br />
es nach wie vor eine Reihe offener Fragen. Verständlich,<br />
da der Großteil aller <strong>Erdbeben</strong> in Tiefen von fünf bis<br />
fünfzehn Kilometern bei Temperaturen von 120 bis 350<br />
Grad Celsius <strong>an</strong> der tektonischen Plattengrenzüberschiebung<br />
in Subduktionszonen entsteht. Ein direktes Studium<br />
ihrer Prozesse ist daher nicht möglich (vgl. Abb. 6).<br />
Nur in den seltensten Fällen brechen bei <strong>Erdbeben</strong><br />
intakte Gesteinseinheiten, meist entstehen sie entl<strong>an</strong>g<br />
vorgegebener »Sollbruchstellen«. Dies sind ältere tekto-<br />
expedition Erde<br />
nische Störungen, die aufgr<strong>und</strong> der <strong>an</strong>dauernden Kontinentaldrift<br />
immer wieder aktiviert werden. Entl<strong>an</strong>g<br />
solcher Verwerfungen zerbricht das mech<strong>an</strong>isch be<strong>an</strong>spruchte<br />
Gestein, es entstehen so gen<strong>an</strong>nte Störungsbreckzien.<br />
Diese können weiter verformt werden, entweder<br />
durch Zerbrechen, kataklastisch gen<strong>an</strong>nt oder plastisch,<br />
mylonitisch oder duktil gen<strong>an</strong>nt. Solch stark zerschertes,<br />
aufgemahlenes Gestein, so gen<strong>an</strong>nte Störungsletten,<br />
können zudem aufgr<strong>und</strong> des Fluidflusses entl<strong>an</strong>g dieser<br />
Flächen zu Tonmineralen verwittern. Bewegen sich hypersaline,<br />
übersättigte Lösungen im Gestein, k<strong>an</strong>n es zu<br />
chemischer Ausfällung <strong>und</strong> Zementation kommen. Die<br />
beschriebenen Prozesse beeinflussen die Belastbarkeit der<br />
Verwerfung <strong>und</strong> die Festigkeit des Gesteinsverb<strong>an</strong>des<br />
unterschiedlich. Während mech<strong>an</strong>ische Zerkleinerung<br />
(auch Kataklase gen<strong>an</strong>nt), Fluidbewegung <strong>und</strong> Verwitterung<br />
die Reibung entl<strong>an</strong>g der Störung senken, nimmt<br />
die Festigkeit bei Zementationsprozessen zu. Umgekehrt<br />
vermag der Zementationsprozess ein Gesteinspaket zu<br />
„versiegeln“ <strong>und</strong> für Wässer <strong>und</strong>urchdringlich zu machen.<br />
Die Porenfluide stauen sich auf, nehmen <strong>an</strong> Druck zu<br />
<strong>und</strong> können <strong>an</strong>dernorts das Gestein wieder sprengen <strong>und</strong><br />
Abb. 4: Reibungskoeffizient<br />
verschiedener gesteinsbildender<br />
Minerale bei unterschiedlicher<br />
Einsp<strong>an</strong>nung<br />
so gen<strong>an</strong>nte Hydrofrakturen<br />
hervorrufen. In dem<br />
komplexen Wechselspiel<br />
von Stabilisierung <strong>und</strong><br />
Destabilisierung des Ge-<br />
65
Pl<strong>an</strong>et Erde<br />
steinskörpers spielen zwei geophysikalische Parameter die<br />
Hauptrolle: der Reibungskoeffizient des Gesteins <strong>und</strong> der<br />
Porenwasserdruck im Gestein (s.o.).<br />
Der Reibungskoeffizient von Sedimenten <strong>und</strong> Gesteinen<br />
resultiert aus dem Reibungsverhalten der einzelnen<br />
Komponenten. Folglich ist er mineralspezifisch. In der<br />
Natur sind reine Tone die reibungsärmsten Gesteine,<br />
denn sie setzen einer <strong>an</strong>gelegten Schersp<strong>an</strong>nung den geringsten<br />
Widerst<strong>an</strong>d entgegen. Alle Tonminerale zeigen<br />
stabiles Gleiten, also keine ruckartigen Bewegungen, sie<br />
fördern folglich erschütterungsarme Deformation. Bei<br />
Quarz, Feldspat <strong>und</strong> <strong>an</strong>deren gesteinsbildenden Mineralen<br />
hingegen nimmt die Reibungsstabilität ab, wenn<br />
die Scherbewegung zunimmt. Dadurch kommt es zu<br />
instabiler Bewegung <strong>und</strong> Erschütterungen. Dort wo diese<br />
Minerale vorkommen, können also <strong>Erdbeben</strong> entstehen.<br />
Vereinfachend k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> daher sagen, dass Tonminerale<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer Materialeigenschaften Störungszonen<br />
stabilisieren, wohingegen die meisten <strong>an</strong>deren Minerale<br />
selbige destabilisieren.<br />
Wenn primäre Tonminerale in große Tiefen verfrachtet<br />
werden, haben sie einen großen Einfluss auf den Porenwasserdruck:<br />
Der steigende Druck in der Tiefe presst das<br />
im Kristallgitter geb<strong>und</strong>ene Wasser aus. Zudem w<strong>an</strong>deln<br />
sich z.B. das weniger stabile Smektit in das stabilere Illit<br />
um. Diese Reaktion beginnt in Tiefen, die eine Temperatur<br />
von etwa 60 Grad Celsius haben <strong>und</strong> ist abgeschlossen,<br />
wenn das Tonmineral 120 bis 150 Grad Celsius<br />
66<br />
Abb. 6: Synoptische Darstellung einer Subduktionszone, die Stabilität der Plattengrenzstörung, sowie der <strong>Erdbeben</strong>häufigkeit<br />
in verschiedenen Tiefen (nach Scholz, 1998)<br />
erreicht hat. Das bei dieser Reaktion freigesetzte Wasser<br />
übt zusätzlichen Druck auf die Sedimente <strong>und</strong> Gesteine<br />
dieser Tiefe auf, die bereits recht wenig Porenraum<br />
besitzen. Dieser Porenwasserdruck erreicht lokal solche<br />
Dimensionen, dass er die überlagernden, oft kilometerdicken<br />
Gesteinseinheiten <strong>an</strong>hebt <strong>und</strong> so Bewegung auf<br />
der Verwerfung ermöglicht. Tone können also bei einem<br />
<strong>Erdbeben</strong> auf zweierlei Weise das Rutschen des überlagernden<br />
Materials erleichtern, entweder als reibungsarme<br />
Gleitfläche oder durch den mit ihnen einhergehenden<br />
Anstieg des Porenwasserdrucks. Geotechnische Untersuchungen<br />
belegen jedoch, dass die extrem niedrigen<br />
Reibungskoeffizienten von Smektit-reichen Sedimenten<br />
allein die Bewegung <strong>an</strong> flach einfallenden Überschiebungen<br />
zu erklären vermögen.<br />
H<strong>an</strong>grutsche<br />
H<strong>an</strong>grutsche bestimmen nicht nur stark die Geomorphologie<br />
von Gebirgsgürteln <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d, sondern stellen auch<br />
untermeerisch einen wichtigen Prozess dar. Im letzten<br />
Jahrzehnt nutzen wir Schelfe <strong>und</strong> Kontinentalhänge<br />
immer stärker für marine Bauwerke <strong>und</strong> Konstruktionen<br />
der Offshore-Industrie, hinzu kommt eine dichtere<br />
Besiedelung küstennaher Regionen. Kein W<strong>und</strong>er also,<br />
dass das Interesse <strong>an</strong> submarinen <strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong> <strong>und</strong><br />
ihrem Gefährdungspotential in gleichem Maße gestiegen<br />
ist. Gr<strong>und</strong>sätzlich kommen Rutschungen <strong>an</strong> allen Kon-
Abb. 7: Ausmaß einer 1997 vor Nizza stattgef<strong>und</strong>enen H<strong>an</strong>grutschung, die eine kleine<br />
Flutwelle vor der benachbarten Küste im Golf von Antibes auslöste<br />
tinentalrändern in verschiedenen Größenordnungen vor.<br />
Meistens wird hier Lockersediment mobilisiert, aber es<br />
sind auch Fälle bek<strong>an</strong>nt, wo die Fl<strong>an</strong>ken untermeerischer<br />
Vulk<strong>an</strong>e (z. B. K<strong>an</strong>aren) abbrechen. Haupt<strong>an</strong>trieb ist<br />
in jedem Fall die Gravitation, wobei im Regelfall schon<br />
H<strong>an</strong>gneigungen von einem Grad ausreichen, das Lockermaterial<br />
abrutschen zu lassen. Hierbei kommt es zunächst<br />
zu l<strong>an</strong>gsamen Kriechprozessen, ehe die Rutschmasse so<br />
viel Momentum aufgebaut hat, dass sie abschert. Hierbei<br />
werden in m<strong>an</strong>chen Fällen Volumina von mehr als 20.000<br />
Kubikkilometer umgelagert. Damit stellen untermeerische<br />
H<strong>an</strong>grutsche einen weit wichtigeren Massenumsatzprozess<br />
dar, als vergleichbare Phänomene <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d, die im<br />
Regelfall 20 Kubikkilometer nicht überschreiten. Auch<br />
die Auslaufdist<strong>an</strong>zen submariner Rutschungen liegen mit<br />
oftmals weit über 100 Kilometer deutlich über jenen auf<br />
den Kontinenten.<br />
Zu den wichtigsten Auslösemech<strong>an</strong>ismen untermeerischer<br />
H<strong>an</strong>grutsche zählen: a) Gas- oder Fluidausstoß, b)<br />
Gashydratzersetzung, c) Belastung durch Sturmwellen,<br />
Gezeitenwechsel, Gletscher, überlagernde Sedimente oder<br />
tektonische Sp<strong>an</strong>nung, d) <strong>Erdbeben</strong>, e) H<strong>an</strong>gversteilung<br />
<strong>und</strong> f) rasche Ablagerungsraten der Sedimente. Während<br />
m<strong>an</strong>che dieser Prozesse (z.B. Gezeitenschw<strong>an</strong>kungen) nur<br />
kleine Rutschungen auslösen, können selbstverstärkende<br />
Prozesse wie die Zersetzung von Gashydrat oder tektonische<br />
Bewegungen durch die Entlastung des Unterlagers<br />
zu Großereignissen führen.<br />
expedition Erde<br />
Neben den natürlichen Prozessen führen vermehrt<br />
<strong>an</strong>thropogene Einflüsse zur Auslösung von Massenumlagerungen.<br />
Insbesondere Bauwerke am Kontinentalschelf<br />
<strong>und</strong> -h<strong>an</strong>g (Bohrinseln, Windparks, etc.) stellen eine starke,<br />
punktuelle Belastung des Meeresgr<strong>und</strong>es dar. Im Mittelmeerraum<br />
entl<strong>an</strong>g der Cote d’Azur kommt es aufgr<strong>und</strong> der<br />
hohen Preise für Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden zu Aufschüttung von<br />
Halbinseln aus Sediment, um das Raum<strong>an</strong>gebot zu vergrößern,<br />
wie beispielsweise in Monte Carlo oder Nizza. In<br />
Nizza wurde der komplette Unterbau einer Start- <strong>und</strong> L<strong>an</strong>debahn<br />
des Flughafens künstlich aufgeschüttet. Dieses Material<br />
hatte sich jedoch zum Zeitpunkt des Baus der L<strong>an</strong>debahn<br />
noch nicht ausreichend gesetzt. Zudem wirkte diese<br />
kleinmaßstäbliche Mehrbelastung des Untergr<strong>und</strong>es physikalisch<br />
wie rasche Sedimentation oder tektonische Beladung.<br />
Die dadurch steigenden Porenwasserdrücke destabilisierten<br />
den Untergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> erzeugten Hydrofrakturen als<br />
Sollbruchstellen (s.o.). In letzter Konsequenz führte dies<br />
zu Massenbewegungen, die einen Teil der L<strong>an</strong>debahnkonstruktion<br />
zum Gleiten <strong>und</strong> Abrutschen nach Südwesten<br />
brachte (Abb. 7). Trotz des relativ geringen Volumens <strong>und</strong><br />
Auslaufdist<strong>an</strong>zen von nur wenigen Kilometern baute sich<br />
eine kleine Flutwelle auf, die im nicht einmal 20 Kilometer<br />
weiter südwestlich gelegenen Golf von Antibes die Hafenpromenade<br />
in Mitleidenschaft zog. Diese Katastrophe hätte<br />
sich vermeiden lassen, wenn die Belastung des Sediments<br />
durch das Bauwerk zuvor gründlich im Labortest simuliert<br />
worden wäre (siehe beispielsweise Abb. 5, unten).<br />
67
Pl<strong>an</strong>et Erde<br />
<strong>Tsunamis</strong><br />
<strong>Erdbeben</strong> <strong>und</strong> H<strong>an</strong>grutsche, aber auch <strong>an</strong>dere geologische<br />
Prozesse wie Vulk<strong>an</strong>ausbrüche vermögen Flutwellen<br />
auszulösen, die eine nennenswerte Bedrohung für nahe<br />
wie ferne Küstenregionen darstellen. Diese <strong>Tsunamis</strong><br />
(von jap<strong>an</strong>isch tsu-nami = Hafen-Welle) entstehen durch<br />
Massenverlagerungen unter Wasser. Ein gegebenes Gesteinsvolumen<br />
verdrängt bei der ruckartigen Bewegung<br />
von Krustenplatten oder Gesteinsblöcken sein Äquivalent<br />
<strong>an</strong> Meerwasser. Dasselbe gilt für eine Rutschmasse.<br />
Die dabei auf das Wasser übertragene Energie w<strong>an</strong>dert<br />
konzentrisch in den Oze<strong>an</strong>, oft tausende von Kilometern<br />
weit. Es h<strong>an</strong>delt sich hierbei nicht um den Tr<strong>an</strong>sport von<br />
Wasser, sondern lediglich um eine Übertragung von kinetischer<br />
Energie von Wassermolekül zu Wassermolekül. In<br />
großen Wassertiefen hat<br />
die entstehende Welle eine Abb. 9: Bilder des <strong>Tsunamis</strong>,<br />
geringe Höhe <strong>und</strong> große der am 26. Dezember 2004 in<br />
Wellenlängen. Sie ist mit Südostasien die Küstenstriche<br />
bis zu 800 Kilometern pro<br />
überrollte. Fotos:<br />
St<strong>und</strong>e etwa so schnell<br />
wie ein Flugzeug. Erreicht<br />
John Thompson<br />
die Welle den Kontinentalschelf, wird sie gebremst, ihre<br />
Wellenlänge nimmt ab, die Wellenhöhe jedoch nimmt zu.<br />
(Abb. 8). An der Küste k<strong>an</strong>n sie bis über 30 Meter erreichen<br />
<strong>und</strong> dort Gebäude <strong>und</strong> Menschenleben gefährden.<br />
68<br />
Schon vor dem verheerenden Tsunami vom 26.12.2004<br />
in Indonesien gab es größere Katastrophen, die jedoch<br />
von der Weltöffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen<br />
wurden. Zum Beispiel löste am 17.07.1998 ein <strong>Erdbeben</strong><br />
der Stärke 7,1 am Meeresgr<strong>und</strong> der Bismarcksee einen<br />
Tsunami aus. Die Welle, die Papua Neuguinea traf, kostete<br />
mindestens 1.600 Menschen das Leben <strong>und</strong> vernichtete<br />
g<strong>an</strong>ze Küstenl<strong>an</strong>dstriche <strong>und</strong> mehrere Dörfer. Wie<br />
heftig die Auswirkungen eines <strong>Tsunamis</strong> sind, wird neben<br />
der absoluten Energie, die durch das <strong>Erdbeben</strong> oder die<br />
Rutschung übertragen wird, auch durch die Strömungsphysik<br />
des Oze<strong>an</strong>s bestimmt. Läuft die Welle z.B. in eine<br />
Bucht, so wird sie noch stärker abgebremst, der hintere<br />
(nach wie vor schnelle) Teil läuft auf, <strong>und</strong> sie k<strong>an</strong>n sich<br />
noch stärker auftürmen.<br />
Abb. 8: Schematischer Aufbau einer Flutwelle durch ein <strong>Erdbeben</strong>;<br />
in Abhängigkeit der Wassertiefe ändert sich Laufgeschwindigkeit,<br />
Wellenlänge <strong>und</strong> -höhe des <strong>Tsunamis</strong>.
Insgesamt treten mehr als drei Viertel aller <strong>Tsunamis</strong><br />
im Pazifischen Oze<strong>an</strong> auf (z. B. in Jap<strong>an</strong>; Abb. 9).<br />
Hauptursache hierfür ist die ringförmige Subduktion<br />
von Oze<strong>an</strong>kruste unter (von Südwest nach Südost) Neuseel<strong>an</strong>d,<br />
Asien, Kurilen, Alaska bis nach Nord-, Mittel-<br />
<strong>und</strong> Südamerika. An diesem so gen<strong>an</strong>nten »ring of fire«<br />
entstehen die stärksten <strong>Erdbeben</strong> der Welt (z. B. Chile,<br />
Alaska, etc.). Die entstehenden Flutwellen können im<br />
Einzelfall den gesamten »Stillen« Oze<strong>an</strong> in weniger als<br />
24 St<strong>und</strong>en durchlaufen <strong>und</strong> Regionen fern der eigentlichen<br />
Naturkatastrophe verwüsten. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
hat m<strong>an</strong> Zentren zur Messung von Druckschw<strong>an</strong>kungen<br />
am Meeresgr<strong>und</strong> errichtet. Die gemessenen Daten sollen<br />
kombiniert mit dem Wissen über Oze<strong>an</strong>bodentopographie<br />
sowie Strömungsmustern helfen, den Verlauf <strong>und</strong> die<br />
potentiellen Auswirkungen von Wellen zu modellieren<br />
<strong>und</strong> frühzeitig zu erkennen.<br />
Im europäischen Raum sind ebenfalls Zeugnisse von<br />
<strong>Tsunamis</strong> überliefert. Rekonstruktionen der Flutwelle, die<br />
durch das 1755er Lissabon<br />
<strong>Erdbeben</strong> ausgelöst wurde,<br />
ergeben für Lissabon selbst<br />
5 Meter Höhe, für das<br />
sp<strong>an</strong>ische Cadiz 15 Meter<br />
<strong>und</strong> für T<strong>an</strong>giers im Norden<br />
Marokkos 17 Meter.<br />
Die Flutwelle erreichte<br />
die Azoren, Madeira <strong>und</strong><br />
die Kapverden in wenigen<br />
St<strong>und</strong>en.<br />
Ähnliche Laufzeiten<br />
erreichte ein Tsunami, der<br />
vor Norwegen durch die<br />
Abb. 10: Bathymetrische Karte<br />
der Storegga-Rutschung in<br />
ihrer jetzigen Ausdehnung<br />
zwischen Norwegen <strong>und</strong><br />
Isl<strong>an</strong>d. In drei Schritten<br />
wurden ca. 1.700 m 3 , 3.900 m 3<br />
<strong>und</strong> 1.700 m 3 gas- <strong>und</strong> wasserreiches<br />
Sediment umgelagert<br />
<strong>und</strong> bis zu 750 km weit<br />
verfrachtet. Die schwarzen<br />
Balken markieren die Höhe<br />
der durch die Rutschung<br />
ausgelösten Flutwelle.<br />
expedition Erde<br />
Storegga-Rutschung ausgelöst wurde (Abb. 10). Die in<br />
mehreren Phasen vom norwegischen Schelf nach Westen<br />
in Richtung Isl<strong>an</strong>d abgeg<strong>an</strong>gene Rutschung erzeugte <strong>an</strong><br />
der schottischen Ostküste Wellenhöhen von drei bis fünf<br />
Metern. Bei der Rutschung wurden insgesamt 5.500<br />
Kubikkilometer Material umgelagert, die zum Teil 750<br />
Kilometer weit ins Becken liefen <strong>und</strong> heute fast 100.000<br />
Quadratkilometer Fläche bedecken. An der schottischen<br />
Küste ist eine charakteristische, chaotisch gelagerte<br />
Schicht von 70 Zentimeter Mächtigkeit entdeckt worden,<br />
die das Ereignis auf etwa 7.000 Jahre vor heute datiert.<br />
Auslöser der Rutschung war mit größter Wahrscheinlichkeit<br />
die Zersetzung von großen Mengen Gashydrats,<br />
einem gefrorenen Meth<strong>an</strong>-Wasser-Gemisch (s. Artikel<br />
von E. Suess <strong>und</strong> G. Bohrm<strong>an</strong>n). Da sich das Volumen<br />
69
Pl<strong>an</strong>et Erde<br />
dabei sehr stark vergrößert, stieg der Porenfluiddruck im<br />
Untergr<strong>und</strong> dramatisch <strong>an</strong>, der H<strong>an</strong>g wurde destabilisiert.<br />
Von der durch die Storegga-Rutschung ausgelösten Flutwelle<br />
waren auch die Küsten Norwegens, Isl<strong>an</strong>ds <strong>und</strong> der<br />
Faroer Inseln betroffen.<br />
Früherkennung von <strong>H<strong>an</strong>grutschungen</strong>,<br />
<strong>Erdbeben</strong> <strong>und</strong> <strong>Tsunamis</strong><br />
Wegen der verheerenden Folgen von Rutschungen, <strong>Erdbeben</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Tsunamis</strong> für die Menschheit wird versucht,<br />
Vorboten dieser Phänomene in Echtzeit zu messen. Wie<br />
70<br />
von Messstationen konstruiert, die eine Risikominimierung<br />
zum Ziel haben.<br />
Die Angst vor <strong>Erdbeben</strong>, Rutschungen oder <strong>Tsunamis</strong><br />
ist tief verwurzelt. Daher gibt es auch schon seit geraumer<br />
Zeit Stationen zur Früherkennung solcher Ereignisse.<br />
Die ersten Seismometer wurden vor genau 100 Jahren<br />
installiert, um <strong>Erdbeben</strong>aktivität zu lokalisieren <strong>und</strong> zu<br />
registrieren. Diese ersten, <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d installierten Stationen<br />
waren denkbar einfach: Eine tonnenschwere, aufgehängte<br />
Metallmasse, die bei <strong>Erdbeben</strong> unbeweglich bleibt, dient<br />
als Referenz. Im Jahr 1923 nutzten Wissenschaftler auf<br />
Hawaii erstmals seismische Messdaten eines <strong>Erdbeben</strong>s<br />
Abb. 11: Messl<strong>an</strong>ze zur Erfassung von Porenwasserdruck-Schw<strong>an</strong>kungen <strong>und</strong> Temperatur über ein Profil von 5 m im flachen Oze<strong>an</strong>gr<strong>und</strong>.<br />
Links ein Bild beim Überbordsetzen der L<strong>an</strong>ze vom Forschungsschiff; das Gerät »fällt« wie ein Fallschirm durch die Wassersäule<br />
<strong>und</strong> dringt ins Meeressediment ein; Mitte: Station während der Messung; rechts sieht m<strong>an</strong>, wie die aufgetriebene Dateneinheit<br />
(obere or<strong>an</strong>ge Kugel) die Druck- <strong>und</strong> Temperaturdaten über Satellit <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d sendet. (Foto: N. Kaul)<br />
aus obigen Ausführungen ersichtlich, sind die Fluidbewegungen<br />
<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Druckschw<strong>an</strong>kungen<br />
jene Größe, die sich im Vorfeld eines <strong>Erdbeben</strong>s oder<br />
einer Rutschung verändern. Von tektonischen Kollisionszonen<br />
<strong>und</strong> Oze<strong>an</strong>rändern ist bek<strong>an</strong>nt, dass tief wurzelnde<br />
Schlammvulk<strong>an</strong>e oder <strong>an</strong>dere Fluidaustrittsstellen <strong>an</strong> der<br />
Oberfläche Aktivität zeigen, wenn sich das Stressregime in<br />
der tiefen Erde ändert. Für die Vorhersage katastrophaler<br />
Ereignisse ist es daher unerlässlich, solche Strukturen zu<br />
vermessen. Sie bilden als Überdruckventil praktisch ein<br />
Fenster in tiefere Bereiche der Subduktionszone. Auch<br />
die tiefe Störungszone selbst muss erforscht <strong>und</strong> mittels<br />
Instrumenten kontinuierlich vermessen werden. Folglich<br />
werden sowohl <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d als auch im Oze<strong>an</strong> Netzwerke<br />
auf den Aleuten, um zu berechnen, wie sich eine Tsunamiwelle<br />
im Pazifischen Oze<strong>an</strong> ausbreitet. Obwohl die<br />
Prognosen relativ präzise waren, wurde von einer Evakuierung<br />
abgesehen, <strong>und</strong> die Katastrophe nahm ihren<br />
Lauf <strong>und</strong> zerstörte den Großteil der Fischereiflotte. In der<br />
Folgezeit wurden größere Netzwerke mit mehr Stationen<br />
errichtet, um seismische Aktivität durch Sp<strong>an</strong>nungsentladung<br />
in der Erde aufzuzeichnen. Diese Messstationen<br />
bef<strong>an</strong>den (<strong>und</strong> befinden) sich, primär aus Kostengründen,<br />
vornehmlich <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d. Als Herzstück beinhalten<br />
sie differentielle Drucksensoren, deren Daten in Echtzeit<br />
via Satellit in Datenzentren ges<strong>an</strong>dt werden, um sie zur<br />
Frühwarnung nutzbar zu machen. Andere Systeme auf<br />
den Kontinenten messen die Erdbewegung über Senso-
en, die ihre Dist<strong>an</strong>z relativ zuein<strong>an</strong>der verändern. Das<br />
digital umgew<strong>an</strong>delte Signal wird d<strong>an</strong>n per Computer<br />
ausgewertet.<br />
Auch im Fall der <strong>Tsunamis</strong> erfassen Zentralstellen die<br />
Druckänderungen, beispielsweise das Center for tsunami<br />
inn<strong>und</strong>ation mapping efforts in Seattle/USA oder das Pacific<br />
tsunami warning center in Honolulu/Hawaii. Dort<br />
stehen auf leistungsstarken Computern Modelle der Oze<strong>an</strong>bodentopographie<br />
<strong>und</strong> der Strömungsverhältnisse verschiedener<br />
Oze<strong>an</strong>e zur Verfügung. Messstationen in der<br />
Tiefsee können ihre Druckdaten über Funkbojen zu den<br />
Forschungsstationen senden. Wird nun seismische Aktivität<br />
erfasst, starten auf den Computern mit den Daten<br />
über Stärke <strong>und</strong> Ausbreitungsrichtung Modellierungen<br />
der Tsunamiausbreitung, um deren möglicherweise katastrophales<br />
Auftreffen auf die Küste vorab zu simulieren.<br />
Auch im Indischen Oze<strong>an</strong> wird nach der Flutkatastrophe<br />
mit Hochdruck <strong>an</strong> einem solchen Warnsystem gearbeitet,<br />
<strong>an</strong> dem auch deutsche Wissenschaftler beteiligt sein werden.<br />
Bisher besteht im Pazifik ein Netz von einem halben<br />
Dutzend solcher Messeinrichtungen, das in absehbarer<br />
Zeit auf ein Dutzend erweitert werden soll. Die höhere<br />
Dichte <strong>an</strong> Messstationen zusammen mit der besseren<br />
Kenntnis der Oze<strong>an</strong>bodentopographie soll zukünftig helfen,<br />
die unmittelbaren Auswirkungen für die Infrastruktur<br />
<strong>an</strong> der Küste zu prognostizieren. Hierbei steht weniger<br />
die <strong>Erdbeben</strong>forschung, sondern die genaue Kartierung<br />
des Meeresgr<strong>und</strong>s <strong>und</strong> die Strömungsphysik im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus,<br />
dass insbesondere im flacheren, besser bek<strong>an</strong>nten Teil des<br />
Kontinentalh<strong>an</strong>ges entschieden wird, ob sich eine Welle<br />
auftürmt <strong>und</strong> mit verheerenden Folgen für die Küstenregion<br />
zu rechnen ist.<br />
Ein <strong>an</strong>derer Ansatz versucht, Schw<strong>an</strong>kungen im<br />
Porenfluiddruck zu nutzen, um seismische Aktivität zu<br />
erkennen. Vor jedem <strong>Erdbeben</strong>, <strong>und</strong> wahrscheinlich auch<br />
im Vorfeld einer H<strong>an</strong>grutschung, wird durch Stressän-<br />
expedition Erde<br />
derungen im wasserhaltigen Sediment eine Zunahme<br />
des Drucks des Porenfluids auf die umgebenden Körner<br />
erzeugt. In m<strong>an</strong>chen Kollisionszonen hat der <strong>an</strong>steigende<br />
Druck besonders vor großen <strong>Erdbeben</strong> Porenwasser <strong>und</strong><br />
Gas <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d, <strong>und</strong> möglicherweise auch am Meeresboden,<br />
ausgepresst. Folglich entwickeln Wissenschaftler Messsysteme,<br />
die <strong>an</strong> solchen Fluidaustrittsstellen über längere<br />
Zeiträume messen können. Da Festinstallationen mit<br />
Funkboje sehr kostspielig sind, wurden Einwegsysteme<br />
entwickelt, deren Sensorl<strong>an</strong>ze (Abb. 11) im Oze<strong>an</strong>boden<br />
stecken bleibt. Nur die Dateneinheit wird nach einem<br />
programmierten Zeitraum von Wochen bis Monaten<br />
abgekoppelt, treibt zur Meeresoberfläche <strong>und</strong> sendet die<br />
Messergebnisse über Satellit zu den Forschern <strong>an</strong> L<strong>an</strong>d.<br />
Der Vorteil dieses Gerätes gegenüber einer fest installierten<br />
Station mit Funkboje ist der um den Faktor 20 geringere<br />
Preis. Umgekehrt muss als Nachteil in Kauf genommen<br />
werden, dass die Daten nur zu bestimmten Zeiten<br />
<strong>und</strong> nicht ständig übermittelt werden. Nichtsdestotrotz<br />
könnten Weiterentwicklungen dieser preiswerten Systeme<br />
zukünftig eine Rolle in der Früherkennung von <strong>Erdbeben</strong><br />
<strong>und</strong> Rutschungen spielen.<br />
Literaturhinweise<br />
Breidert, Wolfg<strong>an</strong>g (Hg.): Die Erschütterung der vollkommenen Welt.<br />
Die Wirkung des <strong>Erdbeben</strong>s von Lissabon im Spiegel europäischer<br />
Zeitgenossen. Darmstadt 1994.<br />
Internetadressen zum Thema:<br />
http://www.lissabonline.de/Lissabon-Spezial-1-Seite-1.phtml<br />
http://www.katastrophendiskurs.de/<br />
http://www.bmbf.de/de/2402.php<br />
http://www.geolba.ac.at/de/geonews/2004-12-26-Tsunami.htm<br />
http://www.disaster-m<strong>an</strong>agement.net/tsunami_brd.htm<br />
http://www.geolba.ac.at/de/geonews/2004-12-26-Tsunami.htm<br />
http://www.spiegel-online/wissenschaft/erde<br />
http://www.learn-line.nrw.de/<strong>an</strong>gebote/agenda21/lexikon/tsunami.htm<br />
Achim Kopf ist Professor für Marine Geotechnik am DFG-<br />
Forschungszentrum Oze<strong>an</strong>ränder der Universität Bremen.<br />
Er arbeitet seit Jahren <strong>an</strong> Deformationsprozessen <strong>an</strong> aktiven<br />
Kontinentalrändern <strong>und</strong> Subduktionszonen.<br />
Anschrift: Prof. Dr. Achim J. Kopf<br />
DFG-Forschungdzentrum Oze<strong>an</strong>ränder<br />
(RCOM)<br />
Universität Bremen<br />
Leobener Straße<br />
28359 Bremen<br />
E-Mail: akopf@uni-bremen.de<br />
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