Desperately Seeking Madonna”: wechselnde - Michael Rappe
Desperately Seeking Madonna”: wechselnde - Michael Rappe
Desperately Seeking Madonna”: wechselnde - Michael Rappe
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Madonna“:<br />
<strong>wechselnde</strong> Weiblichkeitsinszenierungen<br />
als mediale Konstruktion eines Popstars<br />
Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten<br />
Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II<br />
mit Zusatzprüfung für die Sekundarstufe I, dem<br />
Staatlichen Prüfungsamt für Lehrämter an Schulen in Köln<br />
vorgelegt von:<br />
Friedrike Mimberg<br />
29. September 2005<br />
Prof. <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong><br />
Hochschule für Musik Köln<br />
4
INHALTSVERZEICHNIS<br />
0. Einleitung<br />
1. Die Macht der Bilder<br />
Seite<br />
1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche Hintergründe 8<br />
1.1.1 Die Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm und<br />
Synästhesie-Experiment<br />
1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als<br />
Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als<br />
Ausdrucksform der Popkultur<br />
1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips 11<br />
1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das Fernsehen 12<br />
1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte 15<br />
1.3.1 Clipästhetik 16<br />
1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung 17<br />
1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips 18<br />
1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und<br />
MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder“<br />
1.6 Methodisches Vorgehen dieser Arbeit 23<br />
2. Die Macht der Imagewechsel<br />
2.1 Burning up (1983) 24<br />
2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin<br />
zur Musikerin – Clubszene – erster Plattenvertrag<br />
2.1.2 Image 29<br />
2.1.3 Clipanalyse 30<br />
2.2 Express Yourself (1989) 38<br />
2.2.1 Image 41<br />
2.2.2 Daten zum Clip 43<br />
2.2.3 Clipanalyse 45<br />
2.3 Frozen (1998) 58<br />
2.3.1 Image 60<br />
4<br />
8<br />
8<br />
10<br />
21<br />
24<br />
25<br />
5
2.3.2 Clipanalyse 61<br />
2.4 What It Feels Like For A Girl (2001) 68<br />
2.4.1 Image 69<br />
2.4.2 Clipanalyse 70<br />
2.4.2.1 Clipbeschreibung 71<br />
2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik 84<br />
2.4.2.3 Cover 86<br />
2.4.2.4 Interpretation 87<br />
3. Madonnas Macht über die Bilder<br />
4. Ausblick und Schlusswort<br />
5. Quellenverzeichnis<br />
Clipliste 104<br />
Anhang<br />
Anhang I: Abbildungsverzeichnis<br />
Anhang II: Songtexte<br />
Madonna-Clips (DVD)<br />
93<br />
100<br />
102<br />
6
0. EINLEITUNG<br />
I’ve had so many lives<br />
Since I was a child<br />
And I realise<br />
How many times I’ve died<br />
[…]<br />
Nobody knows me<br />
[…] 1<br />
Das Einzigartige an dem Popstar Madonna ist, dass es ihr gelungen ist, seit<br />
mehr als zwanzig Jahren die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf sich zu<br />
ziehen, alle Medienskandale zu überleben und mit ihrer Musik immer aktuell zu<br />
bleiben. Sie ist omnipräsent wie kaum ein anderer Popstar: Kein Tag vergeht, an<br />
dem es nichts von der Künstlerin zu sehen oder zu hören gibt, im Radio, Internet,<br />
Fernsehen, oder der Tages- und Boulevardpresse. Nach Angabe des Guiness-Buch<br />
der Rekorde ist Madonna mit 250 Millionen verkauften Tonträgern die international<br />
erfolgreichste Sängerin unserer Zeit und gehört mit einem geschätzten Vermögen<br />
von 600 Millionen US-Dollar zu den reichsten Frauen der Welt. Seit fast einem<br />
viertel Jahrhundert vermarktet sich die Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin,<br />
Kinderbuchautorin und Geschäftsfrau mit beispielhafter Effizienz.<br />
Madonna hat sich im Laufe ihrer langen Karriere immer wieder neu<br />
erfunden, sich weibliche und männliche Gesten und Posen bestimmter celebrities<br />
angeeignet, sie nach dem Prinzip der bricolage zusammengesetzt und für ihre<br />
eigenen Aussagen umfunktionalisiert. Durch die ständigen Umwandlungen, das<br />
Tragen und Austauschen von Masken, den permanenten Imagewechsel, der zu<br />
ihrem Markenzeichen geworden ist, ist es ihr gelungen, der Abnutzung der Bilder,<br />
die mit ihrer medialen Omnipräsenz einhergeht, entgegenzuwirken; denn Pop muss<br />
sich pausenlos erneuern, um weiterleben zu können. Das chamäleonhafte<br />
„Switchen“ von einem Image zum nächsten wird im Popgeschäft von niemandem<br />
mit einer solchen Professionalität beherrscht wie von Madonna: Ob „Girlie“ oder<br />
Marilyn Monroe, Domina, Dietrich, Dita Parlo, Mystikern, Auftragskillerin oder Mrs.<br />
Ritchie, in allen Rollen ist sie überzeugend und führt auf diese Weise vor, dass sie<br />
den Imagewechsel als Spiel betreibt. Madonna, die Meisterin der artifiziellen<br />
Authentizität, legt sich dabei auf keines ihrer Images fest, was ihr die Möglichkeit<br />
einräumt, sich immer wieder neu und als eine ganz Andere zu erfinden. Auf diese<br />
1 Madonna in ihrem Song „Nobody Knows Me“ vom Album „American Life“, 2003.<br />
7
Weise ist es ihr möglich, ein möglichst breites Publikum anzusprechen auch noch<br />
nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze des Popbusiness zu stehen. Jede dieser<br />
Rollen, so behauptet sie selbst, ist eine Facette von ihr, die sie nacheinander<br />
künstlerisch auslebt. Doch keine davon zeigt die „wahre“ Madonna, der Biografen<br />
unermüdlich auf der Spur sind, „desperately seeking...“. 2<br />
Der permanente Imagewechsel ist folglich das, was Madonna unter anderem<br />
zu ihrem heutigen Status als Popikone verholfen hat. So scheint der Wechsel bei<br />
allen Veränderungen eine Konstante in ihrem Werk darzustellen. Im Wechsel liegt<br />
Madonnas Kontinuität. So lässt sich die erste These, der in dieser Arbeit<br />
nachgegangen werden soll, folgendermaßen formulieren: Trotz der Imagewechsel<br />
lässt sich eine Kontinuität ausmachen. Oder anders formuliert: Die Kontinuität des<br />
Medienstars Madonna liegt gerade in der Veränderung, in den <strong>wechselnde</strong>n<br />
Weiblichkeitsinszenierungen: „Changing her image is her image.“ 3<br />
Ein weiteres Madonna-Merkmal ist es, dass keines der Images eine jeweils<br />
komplette Neuerfindung darstellt. In all ihren alter egos, die sie im letzten<br />
Vierteljahrhundert entworfen hat, präsentiert sie ein Bild von Weiblichkeit, das sie<br />
von Anfang an für ihre Fans so anziehend gemacht hat: Es ist das Bild einer<br />
unabhängigen, selbstbewussten Frau mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg. In<br />
einer Gesellschaft, in der Gesundheit, Körperkult und ein hohes Konsumniveau von<br />
großer Bedeutung sind, ist es nicht verwunderlich, dass Madonna für Mädchen und<br />
junge Frauen ein Rollenideal darstellt. Die Artikulation von weiblichem<br />
Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ist ein Aspekt, der sich ebenso<br />
kontinuierlich durch ihr Werk zieht. Dies erreicht sie dadurch, dass sie sich selbst<br />
von Anfang an als eigenständige Künstlerin und unabhängige, selbstbewusste Frau<br />
mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg definiert und darstellt.<br />
Die Themen, die sie behandelt, sind ebenfalls seit Beginn ihrer Karriere die<br />
gleichen: Die Beziehung zwischen den Geschlechtern, der geschlechtliche Zwiespalt,<br />
weibliche sexuelle Autonomie in einer von weißen Männern dominierten Welt.<br />
Madonna verkörpert für weibliche Fans einen Zugang zu Privilegien, die traditionell<br />
nur Männern zugesprochen werden: Der Anspruch auf (sexuelles) Vergnügen, Geld<br />
2 Der Titel dieser Arbeit bezieht sich auf den Spielfilm mit dem Titel „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ (Regie:<br />
Susan Seidelman, 1985), in dem Madonna die Rolle der Susan spielt. Dieser Film hat erheblich dazu<br />
beigetragen, Madonnas „Girlie-Look“ der Anfangsjahre populär zu machen.<br />
3 Watts, Mark: „Electrifying Fragments: Madonna And Postmodern Performance (1996)“, in: Benson,<br />
Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S.<br />
297.<br />
8
und Autorität. Dies führt zur zweiten These: In all ihren Inszenierungen geht es um<br />
das Aushandeln von Macht und Kontrolle, das Infragestellen der Zuschreibung<br />
traditioneller Geschlechterrollen und deren konventioneller Darstellung im<br />
Patriarchat, alles im Dienste der Artikulation von weiblicher Selbstbestimmung.<br />
Madonna ist ohne Bilder nicht denkbar. Erst mit der visuellen Vermarktung<br />
Madonnas kam der Erfolg. Ihre Musik allein hätte sie nicht zu der gemacht, die sie<br />
heute ist. Mit jedem Album, fast mit jedem Videoclip, liefert die Künstlerin ein<br />
neues Image und ein neues Design mit, die Kritiker wie Fans mitunter mehr zu<br />
interessieren scheinen als der Inhalt ihrer Werke. Bei Madonna sind es im<br />
wesentlichen die visuellen Eindrücke, die im Gedächtnis bleiben.<br />
Das Musikvideo erweist sich als das für Madonnas Intentionen am meisten<br />
geeignete Medium. Ohne Musikvideos, die, ausgestrahlt von MTV, schnell für eine<br />
flächendeckende Verbreitung ihres Images sorgten, wäre sie vermutlich eines der<br />
One-Hit-Wonder der Popmusik geblieben, wie es ihr Kritiker in den 1980er<br />
vorhergesagt hatten. So profitierte Madonna zu Beginn der 1980 Jahre von der<br />
Entstehung von MTV wie kaum ein anderer Popstar. Mehr als jeder andere erkannte<br />
sie im Medium des Musikvideos eine Möglichkeit, die eigene Popularität aufzubauen<br />
und für Songs zu werben. Darüber hinaus erkannte sie in den Clips von Anfang an<br />
ein Forum, in dem sich ihr Image als Virtuosin der Verwandlung formulieren und<br />
manifestieren ließ. 4 Die meisten Kontroversen in Presse und Wissenschaft<br />
entstanden weniger um ihre Songs als um die dazugehörigen Videobilder; denn<br />
nicht selten erhalten die Songs erst durch den Clip ihre eigentliche Bedeutung. So<br />
scheint es gerechtfertigt, Madonna als vornehmlich visuelles Phänomen zu<br />
begreifen.<br />
Madonna ist ohne Videobilder nicht denkbar, die „Macht der Bilder“ und ihre<br />
Präsenz auf MTV haben ihren weltweiten „Siegeszug“ erst möglich gemacht. Der<br />
Videoclip ist das Genre Madonnas, das sie ― im Gegensatz zum Film 5 ―, perfekt<br />
beherrscht; denn in den Clips ist es ihr möglich, geschlechtliche Identitäten als<br />
Maskeraden durchzuspielen oder die Grenzen zwischen Männlichkeit und<br />
Weiblichkeit aufzulösen. Somit kommen wir zur dritten These: Madonnas Erfolg<br />
4 So behauptet Ramona Curry, dass „die Herstellung und Umwandlung von Madonnas Starimage“ in<br />
erster Linie in ihren Videoclips stattfindet. Vgl. Curry, Ramona: „Madonna von Marylin zu Marlene:<br />
Pastiche oder Parodie?“, in: Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen,<br />
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 184.<br />
5 Für ihre schauspielerischen Leistungen kassierte sie insgesamt acht Mal den „Golden Raspberry Award“<br />
(Die goldene Himbeere) für die schlechteste schauspielerische Darbietung.<br />
9
steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die das Medium<br />
Video bietet.<br />
Der Aufbau der Arbeit entspricht den aufgestellten Thesen in umgekehrter<br />
Reihenfolge. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die <strong>wechselnde</strong>n<br />
Weiblichkeitsinszenierungen der Kunstfigur Madonna und die Frage, wie sie diese<br />
medial inszeniert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf ihren Videoclips, die sich<br />
wie kein anderes Medium zur Visualisierung ihrer permanenten „Häutungen“<br />
eignen. Am Anfang dieser Arbeit steht deshalb die Betrachtung des Mediums<br />
„Videoclip“ im Hinblick auf seine historischen, wirtschaftlichen und popkulturellen<br />
Hintergründe, aber auch hinsichtlich seiner Ästhetik und seiner Rezeption. Auch<br />
Gründung und Wirkungsweise des Musiksenders MTVs finden im ersten Teil insofern<br />
Berücksichtigung, als dass er durch die Ausstrahlung von Madonna-Videoclips<br />
wesentlich zur globalen Verbreitung des jeweiligen Madonna-Images beigetragen<br />
hat.<br />
Der Videoclip, betrachtet als ein spezifisch audiovisuelles Medium, stellt<br />
bestimmte Anforderungen an eine Videoclipanalyse und bildet die Voraussetzung<br />
für die methodische Grundlage für das Vorgehen im zweiten Teil dieser Arbeit,<br />
dessen Gegenstand die diachronen Imagewechsel Madonnas sind. Die<br />
Themenstellung der Arbeit, nämlich das Aufzeigen der Imagewechsel als<br />
kontinuierliches Phänomen im Gesamtwerk der Künstlerin, visualisiert in ihren<br />
Clips, erfordert die Berücksichtigung mehrerer Clips, die im Hinblick auf Image und<br />
Themenkontinuität untersucht werden sollen. Zu diesem Zweck wurden vier Clips<br />
der Künstlerin ausgewählt, die jeweils unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere ―<br />
markiert von ihrem ersten Album mit dem sprechenden Titel „The First Album“<br />
(1983) und ihrem 2000 erschienen Album „Music“ ― zuzuordnen sind. Der Analyse<br />
eines jeden Clips geht eine Beschreibung der dominanten Konstruktionselemente<br />
des jeweiligen Madonna-Images voraus, wobei auch Alben- und Single-Cover<br />
Berücksichtigung finden.<br />
Der dritte Teil dieser Arbeit soll im Hinblick auf die Ergebnisse des zweiten<br />
Teils noch einmal der Frage nachgehen, inwieweit Madonna sich die Welt der Bilder<br />
für ihre Imagekonstruktionen nutzbar macht, bevor der vierte Teil mit einem<br />
Ausblick auf die „neue“ Madonna, die sich für das Ende diesen Jahres mit einem<br />
neuen Album angekündigt hat, schließt.<br />
10
1. DIE MACHT DER BILDER<br />
1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche<br />
Hintergründe<br />
1.1.1 Die Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm und Synästhesie-<br />
Experiment<br />
Videoclips sind in der Regel drei- bis fünfminütige Kurzfilme, die der<br />
bildlichen Untermalung eines Musiktitels dienen. Die Geburtsstunde des Videoclips<br />
ist in der Literatur umstritten. Fernsehauftritte der Rock ’n’ Roller wie Elvis Presley<br />
Mitte der 1950er Jahre im US-Fernsehen können schon als Vorläufer des Clips<br />
betrachtet werden: Die Rockstars wurden singend und musizierend gezeigt in der<br />
Absicht, den Schallplattenverkauf zu fördern. Die Plattenfirmen erhofften sich,<br />
durch die visuelle Abbildung im Fernsehen die Stars ihren Fans näher zu bringen,<br />
als es durch das reine Hör-Erlebnis, die Schallplatte, möglich war. Darüber hinaus<br />
bot sich auf diese Weise die Möglichkeit, ein größeres Publikum anzusprechen, als<br />
man allein durch das Radio erreichen konnte. Da es bis zu der Gründung MTVs<br />
Anfang der 1980er Jahre noch keine Fernseh-Musiksender gab, beschränkte sich<br />
die Präsentation von entsprechenden „Kurzfilmen“ auf TV-Shows in den<br />
Programmen öffentlich rechtlicher Sender. 6<br />
Von Vorteil gegenüber dem Radio sollte sich außerdem die Tatsache<br />
erweisen, dass die Ausstrahlung eines aktuellen Musiktitels über das landesweite<br />
Fernsehen geographisch ein größeres Publikum erreichen konnte als dieselbe<br />
Sendezeit bei einer lokalen Radiostation.<br />
Üblicherweise handelte es sich hierbei um Auftritte vor einem<br />
Studiopublikum mit dokumentarischem Charakter, wenigen Kameras und ohne<br />
große Effekte, da die Videotechnik noch nicht weit entwickelt war. Gesendet wurde<br />
regulär live, um die Kosten für die Produktion auf chemischem Film so niedrig wie<br />
möglich zu halten. Für die Fernsehsender waren diese Sendeformen wegen der<br />
geringen Produktionskosten bei gleichzeitigen hohen Einschaltquoten besonders<br />
6 Zur Übersicht von Rock- und Popmusik im Fernsehen vor der Gründung von MTV und MTV Europe seien<br />
hier einige Daten genannt: 1951 Bandstand, tägliche TV-Sendung (auf Philadelphia beschränkt). – Bis<br />
1989 als American Bandstand US-weite Ausstrahlung durch den Sender ABC. – 1963-1966: Ready,<br />
Steady, Go! in Großbritannien. – 1.01.1964: Erste Ausstrahlung von Top of the Pops in GB. – 1965-<br />
1972: Radio Bremen produziert 83 Folgen Beat-Club und verkauft sie weltweit. – 1984: In der BRD<br />
wurden Formel 1 (ARD) und Tele 5 die Sendungen für Videoclips. – Vgl. Maas, Georg: „Videoclips.<br />
Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend?“, in: Musik und Unterricht 51/1998, S. 9.<br />
11
attraktiv. Das, was im Fernseher zu sehen war, zeigte sich deshalb sehr uniform<br />
und war den Vorstellungen des jeweiligen Senders unterworfen.<br />
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre änderte sich die Situation mit dem<br />
von den „Beatles“ in eigener Regie gedrehten Film zu ihrem Song „Strawberry<br />
Fields Forever“ (1967). Alle vier Musiker sind hier zu sehen, allerdings nicht mit<br />
ihren Instrumenten. Die Musik fungiert hier erstmals nur als Untermalung der<br />
Handlung und Zuspielung zur Bilder. Obwohl es sich um einen chemischen Film<br />
handelt und nicht um einen magnetisch aufgezeichneten ― also ein Video ― wird<br />
das Werk der „Beatles“ oftmals als Urform aller Videoclips bezeichnet 7 ; denn hier<br />
wird im Gegensatz zu den damals üblichen Fernsehsendungen mit den technischen<br />
Möglichkeiten des Films gespielt, wie etwa Zeitlupe, rückwärtslaufenden Sequenzen<br />
oder dem Einsetzen von Bildnegativen zur Unterstützung des surrealen Charakters<br />
des Songs. So steht der Film eher in der Tradition experimenteller Musikfilme wie<br />
jenen von Len Lye, Oskar Fischinger, Walther Ruttmann oder Walt Disney, und<br />
nicht in der Reihe der bis dahin zu Demonstrations- und Werbezwecken<br />
produzierten Filme von Rockmusikern, die in erster Linie der Selbstdarstellung des<br />
jeweiligen Künstlers dienten. Den Liverpoolern ging es um das Erschaffen<br />
neuartiger Verbindungen zwischen filmischen und musikalischen Abläufen, und dies<br />
im Sinne audiovisueller Synästhesie. 8<br />
Doch zunächst blieb der „Beatles“-Film ein experimentelles Einzelwerk. Erst<br />
Mitte der 1970er Jahre begann man unter dem Eindruck rückgängiger<br />
Schallplattenverkäufe mit der systematischen Herstellung von Videoclips. 9 Somit ist<br />
die Entwicklung des Musikvideos sehr eng mit den Absatzschwierigkeiten der<br />
Tonträgerindustrie und den Maßnahmen zu deren Überwindung verknüpft. Die Ende<br />
der 1970er Jahre einsetzenden, musiktechnologischen und popkulturellen<br />
Umwälzungen schafften den Nährboden für diese Entwicklung.<br />
7 So argumentiert auch <strong>Michael</strong> Fink: „In 1967 the Beatles introduced a new song, ‘Strawberry Fields<br />
Forever’, which what was probably the first modern music video. The clip made liberal use of editing<br />
techniques and humorous optical tricks for which the Beatles’ films had become famous, but ‘Strawberry<br />
Fields Forever’ projected a distinctive image, a unique mood that perfectly complimented the psychedelic<br />
nature of the song.” Fink, <strong>Michael</strong>: Inside the Music Business, New York 1989, S. 163.<br />
8 Siehe hierzu Kap. 1.5 dieser Arbeit, das den Videoclip als spezifisch audiovisuelles Medium darstellt.<br />
9 Als Prototyp der damaligen Clips wurde der 1975 zu dem Song „Bohemian Rhapsody“ der Gruppe<br />
„Queen“ produzierte Film betrachtet. Vgl. Maas 1998, S. 6. Oftmals wird auch dieses „Queen“-Video als<br />
das erste Musikvideo der Geschichte bezeichnet.<br />
12
1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als<br />
Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als Ausdrucksform<br />
der Popkultur<br />
Die Ende der 1970er Jahre einsetzende Revolutionierung der Produktions-<br />
und Reproduktionstechnologien in der Musikbranche ermöglichte die Erzeugung<br />
völlig neuer Sounds: Mit Drumcomputern, Synthesizern und Sequenzern war es nun<br />
möglich, künstliche Sounds zu kreieren, die abgespeichert und beliebig oft<br />
reproduziert werden konnten. Das Computer-Sampling machte es möglich, Stücke<br />
zu schreiben, ohne die jeweiligen Instrumente spielen zu können.<br />
Diese Umwälzungen im Produktionsbereich veränderten folglich auch die<br />
traditionelle Live-Performance: So hielten die Reproduktionstechnologien Einzug in<br />
die „Live-Acts“ der Popmusik, weil es nicht mehr möglich war, die technisch<br />
aufwendig produzierten Songs in einer konventionellen Live-Präsentation<br />
aufzuführen. 10 In den frühen 1980er Jahren veränderte sich die Live-Performance<br />
dahingehend, dass die erzeugte Musik den unterschiedlichsten Quellen entnommen<br />
wurde und dass die Band, die live zu sehen war, nicht unbedingt im herkömmlichen<br />
Sinne live spielte. Auf diese Weise fand eine „Grenzauflösung zwischen künstlicher<br />
und Live-Darbietung“ 11 statt, verbunden mit einem „displacement of the<br />
musician“ 12 , wodurch sich die auditive Qualität der Musik relativierte, während die<br />
visuelle in den Vordergrund rückte. Live-Auftritte waren so immer seltener<br />
Präsentationen musikalischen Könnens als vielmehr perfekt inszenierte Shows, die<br />
auf das Image des jeweiligen Stars zugeschnitten wurden. So wie sich im Laufe der<br />
1980er Jahre Popmusik immer mehr zu einem visuellen Gesamtkunstwerk<br />
entwickelte, wurde auch der Musiker immer mehr zum Performer. Wie sehr<br />
Madonna ein „Kind ihrer Zeit“ ist, zeigen schon die Mitschnitte ihrer ersten, als<br />
Gesamtkunstwerk angelegten Konzerte Mitte der 1980er Jahre, in denen sie sich<br />
selbst als Mittelpunkt der Show inszeniert, die weit mehr war als die Darbietung von<br />
Musikstücken. Die visuellen Effekte drängten in Madonnas Shows die auditiven<br />
Aspekte von Anfang an in den Hintergrund. So nannte die Künstlerin selbst ihre<br />
10<br />
Die Produktion des oben angeführten Films der „Beatles“ fand schon Mitte der sechziger Jahre u.a. vor<br />
dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen statt: Seit August 1966 trat die Band u.a. nicht mehr<br />
öffentlich auf, weil ihnen ihre in den Studios aufwendig produzierte Musik auf der Bühne nicht mehr<br />
reproduzierbar erschien. So wurde der Film u.a. auch gedreht, um dennoch in den TV-Sendungen wie<br />
etwa Top of the Pops in Erscheinung treten zu können. Vgl. Maas 1998, S. 6.<br />
11<br />
Schmidt, Axel: „Sound and Vision Go MTV ― die Geschichte des Musiksenders bis heute”, in:<br />
Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 96.<br />
12<br />
Goodwin, A.: Dancing in the Distraction Factory. Music Television and Popular Culture, London 1992,<br />
S. 32.<br />
13
90minütige Show der „Who’s That Girl“-Tour (1987) ein „theatralisches Multimedia-<br />
Spektakel”. 13<br />
So begann, hervorgerufen durch die technologischen Neuerungen jener Zeit,<br />
die Live-Ideologie als Authentizitätsprädikat des traditionellen Rocks zu schwinden<br />
und eine Welle der Artifizialisierung die Werte der Rock- und Popwelt zu erfassen.<br />
[...] Lippensynchrones Singen und die Selbstpräsentation zur Musik wurden zum<br />
integralen Bestandteil der Pop-Performance und bereiteten damit den Boden für den<br />
Videoclip als der popkulturellen Ausdrucksform der kommenden Jahre. 14<br />
Den in Folge dieser Entwicklung entstandenen Popclips fehlte es nun an<br />
geeigneten Foren, die ihnen mit der Gründung des Musikfernsehens geboten<br />
wurden.<br />
1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips<br />
Ende der 1970er Jahre suchte die Musikindustrie wegen Umsatzeinbußen<br />
nach effektiveren Formen der Produktwerbung, denn Konzerttourneen und das<br />
Radio ― damals die einzigen Foren, in denen Pop-Künstler Promotion für sich und<br />
ihre Werke machen konnten ― erwiesen sich als zu kostenintensiv, konservativ und<br />
in der Reichweite als zu begrenzt. In Verbindung mit den oben bereits erwähnten,<br />
popkulturellen Wandlungsprozessen zeigte sich der Videoclip als ein sehr viel<br />
effektiveres Werbemedium. So knüpft der Clip zwar an die Idee der Live-<br />
Performance an, stilisiert und artifizialisiert jedoch den Auftritt des Künstlers zu<br />
Werbezwecken: Die Inszenierung des Künstlers im Clip ist „performance-as-<br />
promotion“ 15 , also Auftritt und Werbung gleichermaßen. Auf diese Weise wird das<br />
Produkt Popmusik ― synästhetisch erweitert ― in noch größerem Umfang<br />
reproduzierbar und distribuierbar. Im Vergleich zu Tourneen erwies sich der Clip als<br />
eine kostengünstige, durch die Verbreitung durch das Fernsehen als eine globale<br />
und kontrollierbare Form der Werbung von Popmusik. Die Gründung der<br />
Musiksender machten diese Art der Promotion erst möglich, so dass MTV „zum<br />
Retter der angeschlagenen Tonträgerindustrie“ avancierte und sich darüber hinaus<br />
als ein Medium erwies, „das mit den Tendenzen des Strukturwandels innerhalb<br />
einer wiedererstarkenden Musikindustrie perfekt harmonierte.“ 16<br />
13<br />
Madonna zit.n.: Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2002, S. 257.<br />
14<br />
Schmidt 1999, S. 96.<br />
15<br />
Goodwin 1992, S. 25.<br />
16<br />
Schmidt 1999, S. 99.<br />
14
1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das<br />
Fernsehen<br />
Erst mit dem Aufkommen des Kabel- und Satellitenfernsehens in den USA<br />
Ende der 1970er Jahre wurde es möglich, Spartenkanäle zu schaffen und damit<br />
einen Sender wie MTV zu gründen, der sich bei spezialisiertem<br />
(jugendspezifischem) Programmangebot an ein globales Publikum richtete und<br />
ausschließlich dazu geschaffen wurde, als Übertragungsmedium für Videoclips zu<br />
fungieren.<br />
Die Gründung des amerikanischen Senders MTV (Music Television) im Jahr<br />
1981 17 und seine seit August 1987 bestehende westeuropäische Dependance in<br />
London radikalisierten das Konzept der Fernsehsender (s. Kap. 1.1.1), indem sie<br />
ein Rund-um-die-Uhr-Fernsehprogramm, bestehend aus Werbung und Musik, 18<br />
lieferten, das äußert kostengünstig produziert werden konnte: Der Sender stellt den<br />
Sendeplatz zur Verfügung, die Musikbranche beschafft das Programm, und das<br />
kostenlos. Sehr schnell zeigte sich, wie attraktiv und profitabel die kleinen Filme<br />
waren. Das Publikum schien die neue Darbietungsform von Rock- und Popmusik zu<br />
akzeptieren und zu nutzen. Die soziokulturellen Rahmenbedingungen der<br />
beginnenden 1980er Jahre zeigten sich sehr günstig hinsichtlich des Musikkonsums:<br />
Das träger und älter werdende Rockpublikum und die Entstehung einer<br />
Jugendkultur, in deren Zentrum nicht mehr allein die Musik stand, „ebneten den<br />
Weg der widerständigen Rockmusik der Siebziger ins kommerzielle Fernsehen der<br />
Achtziger.“ 19<br />
Es kam zur Neubildung kultureller Nischen, auf die die Werbebranche mit<br />
einem differenzierteren Warenangebot reagierte. Axel Schmidt spricht in diesem<br />
Zusammenhang von einer „zielgruppenorientierte[n] Fragmentierung der populären<br />
Medienkultur“ 20 . Dabei sollte „MTV mehr sein als ein visuelles Radio [...]. Mit dem<br />
17 Erster ausgestrahlter Clip auf MTV: „Video Killed The Radio Star“ von den „Buggles“. Nachdem am<br />
1.08.1987 MTV Europe den Sendebetrieb in London aufgenommen hat, folgt 1991 MTV Asia. Vgl. Maas<br />
1998, S. 9.<br />
18 Eine Nähe zwischen Werbespot und Videoclip besteht nicht nur in der Funktion, nämlich ein Produkt,<br />
im Falle des Clips den Musiker oder die Band zu bewerben, sondern auch in der Ästhetik. Denn seit den<br />
Anfängen des Clips haben sich Clipregisseure an der Ästhetik der Werbefilme orientiert. Das Verhältnis<br />
zwischen Werbespot und Clip hat sich allerdings inzwischen dahingegen verändert, dass nun die<br />
Werbespots die Clipästhetik adaptieren oder diese zitieren: „Die Videocliptechnik von Sendern wie MTV<br />
hat einen wahnsinnigen Einfluss [auf die Gestaltung von Werbung] ausgeübt“, so Konstantin Jacoby,<br />
Gründer der erfolgreichsten deutschen Werbeagentur Springer & Jacoby in Hamburg, zitiert im Stern<br />
2/1998 vom 31.12.1997, S. 100.<br />
19 Schmidt 1999, S. 100.<br />
20 Ebd.<br />
15
Sender sollte ein ungewöhnlicher und neuer kultureller Service etabliert werden.“ 21<br />
Der Inhalt des Senders sah seine Hauptaufgabe darin, die spezifischen Bedürfnisse<br />
seiner Zielgruppe zu befriedigen.<br />
Im Laufe der Jahre gründeten sich die unterschiedlichsten MTV-Ableger ―<br />
MTV Europe, MTV Russia, MTV Africa ―, die dafür sorgten, dass nicht nur die<br />
Popmusik des Westens, sondern auch die Gesichter der Musiker auf der ganzen<br />
Welt verbreitet wurden. 22 Somit ist die Gründung von MTV Anfang der 1980er Jahre<br />
im Zusammenhang mit Madonnas Karriere von entscheidender Bedeutung; denn<br />
auf diese Weise wurde ein Forum geschaffen, in dem die kleinen Werbefilme um<br />
den Globus geschickt werden konnten, was Madonna zu ihrem heutigen Status als<br />
internationaler Megastar verholfen hat.<br />
Inzwischen gibt es kaum mehr einen Haushalt ohne MTV. Musiksender<br />
gelten als Trendsetter bei seinem jugendlichen Publikum und genießen eine heute<br />
kaum zu überbietende Popularität. 23<br />
Aus diesem Grund gibt es auch heute keinen Charthit mehr ohne<br />
Videobilder. Für Promotionzwecke und aus marketingtechnischen Gründen hat sich<br />
der Clip als effizientes Medium bewährt ― vorausgesetzt, das Musikfernsehen<br />
erklärt sich bereit, den jeweiligen Clip auszustrahlen, was von verschiedenen<br />
Faktoren (Qualität, Inhalt, Musikgenre, Label des Künstlers etc.) abhängig ist. Denn<br />
Musiksender bestimmen heute über Popkarrieren und produzieren Stars, ähnlich<br />
wie früher das Radio. Wer heute zu seiner Musik keine Clips produziert oder dessen<br />
21<br />
Ebd., S. 102.<br />
22<br />
Auch in der BRD wurden seit Anfang der neunziger Jahre Musiksender gegründet und eine<br />
zunehmende Diversifizierung und Spezifizierung des Musikprogramms hinsichtlich der Zielgruppen<br />
vorgenommen. So gesellte sich am 1. Dezember 1993 zu MTV Europe der Kölner Videokanal VIVA. Mit<br />
der Gründung von VIVA 2 am 21. März 1995 wurde speziell die Zielgruppe der jüngeren Erwachsenen<br />
angesprochen, der seit 1995 aus Hamburg sendende deutschsprachige Musikkanal VH-1 richtet sich an<br />
die 25- bis 49-Jährigen. 1996 ging der Dortmunder Videoclipkanal ONYX auf Sendung, der sich mit<br />
einem Programm aus Pop, Jazz, Country, deutschem Schlager, Klassik, Musical und Oldies an die 30- bis<br />
55-Jährigen adressiert. So zeigte sich bis Mitte der neunziger Jahre, ähnlich wie beim Rundfunk, eine<br />
zunehmende Spezialisierung hinsichtlich der Zielgruppe und des Musikgenres sowie eine zunehmende<br />
Nationalisierung bzw. Regionalisierung ab. - Durch die im Sommer 2004 durchgeführte Übernahme der<br />
VIVA Media AG durch den amerikanischen Medienkonzern Viacom ― Muttergesellschaft von MTV ―<br />
zeichnet sich allerdings eine zunehmende Uniformierung und ein Aufheben der Diversität hinsichtlich der<br />
Programmvielfalt ab. Der Videoclip-Anteil macht in den USA ohnehin nur noch einen Anteil von etwa<br />
einem Drittel am MTV-Programm aus. Somit scheint alles, was traditionell unter Musikfernsehen<br />
verstanden wird, nicht mehr zu existieren. Vgl.<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/042406_viva.html;<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041711_viva_viacom.html;<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041606_viva.html<br />
23<br />
1992 wurde MTV deshalb auch für Wahlkampfzwecke von Bill Clinton hinsichtlich der<br />
Präsidentschaftswahl genutzt. Vgl. Maas 1998, S. 6.<br />
16
Clips nicht ausgestrahlt werden, läuft Gefahr, von einer breiteren Öffentlichkeit<br />
nicht wahrgenommen zu werden.<br />
Ob ein Clip in die sogenannte Playlist bei MTV aufgenommen wird, hängt<br />
unter anderem davon ab, welchem Label der oder die Künstler angehören. Neue<br />
Künstler großer Plattenfirmen erhalten regulär Eingang in die Playlist, 24 die der<br />
Independent Label werden kritischer betrachtet. So hatte Madonna von Anfang an<br />
das Glück, bei einem der größten Musiklabel Amerikas (Warner Brothers, wenn<br />
auch zunächst bei Sire Records, einer kleinen Tochterfirma) unter Vertrag<br />
genommen zu werden, was die Ausstrahlung ihrer Clips garantierte.<br />
1984 etablierte der Musiksender MTV auf politischen Druck hin einen<br />
Ausschuss, dessen Aufgabe es war, anstößige und nicht jugendfreie Inhalte aus den<br />
Clips zu verbannen oder die Ausstrahlung von als gefährdend eingestuften Clips von<br />
vornherein zu unterbinden. Anhand der Kriterien „Anstößiges“ (Sex, Drogen,<br />
Gewalt) und „Schleichwerbung“ wird eine „hochgradig subjektiv[e]“ 25 Entscheidung<br />
gefällt, ob ein Clip der Kategorie „angenommen“, „abgelehnt“ oder<br />
„Nachbearbeitung erforderlich“ zugeteilt wird:<br />
Der Umfang der Zensuren nahm im Laufe der Zeit zunehmend restriktivere Formen<br />
an: 1989 wurden 10% aller Clips beanstandet, 1994 waren es bereits über 30%. Die<br />
Definitionskämpfe um ‚Erlaubtes’ und ‚Verbotenes’ führte dazu, dass in einigen Fällen<br />
die Clips bis zu sechsmal zwischen MTV und den Plattenfirmen hin- und<br />
hergeschoben wurden. 26<br />
Auch einige Madonna-Clips wurden von MTV mit der Zensur belegt und nicht in die<br />
Playlist aufgenommen. So widersetzte sich MTV aufgrund vermeintlich<br />
pornographischer Inhalte in den 1990er Jahren der Ausstrahlung ihrer Clips zu den<br />
Songs „Justify My Love“ (1990) und „Erotica“ (1992). 2001 wurde der Clip zu „What<br />
It Feels Like For A Girl“ mit der Begründung abgelehnt, dass er zu viel Gewalt<br />
darstelle. Doch Madonna verstand es schon 1990, die Diskussionen um die geplante<br />
Zensur für sich nutzbar zu machen, indem sie sich in der Talkshow Nightline<br />
entschieden gegen die Zensur erotischer Phantasien aussprach und sich damit den<br />
Ruf einer widerständigen Künstlerin erstritt. Darüber hinaus schlug sie aus dem<br />
Sendeverbot erheblichen finanziellen Profit, indem sie „Justify My Love“ als<br />
Kaufvideo vermarktete und etwa 500 000 Kopien davon absetzte. 27<br />
24<br />
Darüber hinaus verpflichten vertragliche Regelungen zwischen MTV und großen Plattenfirmen den<br />
Musiksender dazu, einen bestimmten Anteil an Clips in die Liste zu übernehmen. Vgl. Schmidt 1999, S.<br />
122.<br />
25<br />
Schmidt 1999, S. 122.<br />
26<br />
Ebd., S. 123. – Auch Songtexte mussten mit eingereicht und einer Prüfung unterzogen werden. Für<br />
Beispiele siehe ebd.<br />
27<br />
Ebd. – Siehe auch Kap. 2.2 dieser Arbeit.<br />
17
1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte<br />
Wegen des enormen Publikumszuspruchs zu MTV kam Mitte der 1980er<br />
Jahre eine Diskussion über moralische Werte von Videoclips auf. Die wesentlichen<br />
Kritikpunkte waren latenter Rassismus, 28 explizite Sexualitätsdarstellung und die<br />
Zurschaustellung von Gewalt. 29<br />
Auf der Gegenseite plädierten die Verfechter einer eigenen<br />
kunstästhetischen Videoclipkultur für die Clips als einen neuen Kunsttypus, „der die<br />
Gegensätze von Avantgarde und Kommerz aufhebt, indem sich Medienkunst und<br />
Populärkultur zu einer neuen Art der Alltagskunst verbinden.“ 30 Die weltweite<br />
Verleihung von Videopreisen ― Grammies, MTV-Award, Goldene Europa etc. ―<br />
spricht für eine solche Einschätzung.<br />
Dass der Videoclip inzwischen als eigenständige Kunstgattung anerkannt ist,<br />
steht außer Zweifel: In Sonderprogrammen auf Festivals (wie seit 1998 bei den<br />
„Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen“), in Museen oder Galerien (z.B. im<br />
„Deutschen Filmmuseum Frankfurt“, 1993; Kunstverein Köln, 1996) oder im<br />
Fernsehen selbst (wie etwa die sechsteilige Reihe „Fantastic Voyages ― eine<br />
Kosmologie des Musikvideos“, 3sat, 2000) wird es ermöglicht, den Clip<br />
dekontextualisiert und in einer anderen Programmatik als der des Musikfernsehens<br />
im Hinblick auf seinen ästhetischen Wert, seine bildgebende Macht, Themen und<br />
Rhetoriken zu betrachten und einen genauen Blick auf unterschiedliche<br />
Autorensprachen oder nationale Besonderheiten zu werfen.<br />
Auch anhand der in dieser Arbeit analysierten Videoclips lässt sich die<br />
Entwicklung des Mediums ablesen: Innerhalb von weniger als zwanzig Jahren hat<br />
sich der Clip zu einer eigenständigen Kunstgattung entwickelt, wovon gerade der<br />
Clip „Frozen“ ― produziert von Chris Cunningham, einem der renommiertesten<br />
Clipregisseure ― Zeugnis ablegt.<br />
28<br />
Bis zum Erfolg von <strong>Michael</strong> Jacksons Album „Thriller“ (1982) strahlte MTV keine Clips farbiger Musiker<br />
aus! Schwarze Konkurrenz-Sender hingegen konnten sich wegen geringer Werbeeinnahmen nicht allein<br />
auf Videoclips schwarzer Musiker beschränken. Vgl. Sanjek, Russell: American Popular Music and its<br />
Business: The First Four Hundred Years, vol. 3: From 1900 to 1984, Oxford: Oxford University Press<br />
1988, S. 640 f.<br />
29<br />
Glogauer, Werner: „Sex und Gewalt als auffälligste Inhalte von Videoclips“, in: Musik und Bildung<br />
20/1988, Heft 11, S. 835-840.<br />
30<br />
Bódy, Veruschka/Weibel, Peter (Hrsg.): Clip, Klap, Bum: Von der visuellen Musik zum Musikvideo,<br />
Köln 1987. Zitat aus dem Klappentext.<br />
18
1.3.1 Clipästhetik<br />
Dass Videoclips Werbefilme, 31 sogenannte „Promos“, d.h. Absatzförderer<br />
sind, schließt nicht aus, dass in ihnen auch ein ästhetisches Ideal umgesetzt wird.<br />
So wurde die Technik des Verweisens auf populäre Kunstgattungen wie<br />
Comicstrips, Filme bzw. Filmgenres zu einem Charakteristikum des Clips. Das<br />
folgenlose Zitieren, wie in der klassischen Pop-Art, wurde stilprägend für<br />
ambitionierte Clips und macht sie zu typischen Repräsentanten der Postmoderne.<br />
Das im zweiten Teil dieser Arbeit analysierte Musikvideo zu Madonnas Song<br />
„Express Yourself“ kann hier als beispielhaft angeführt werden, denn es lehnt sich<br />
in Kulisse und Personenkonstellation an den Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang<br />
aus dem Jahre 1927 an, womit es sich als ein typischer postmoderner Text erweist.<br />
Regisseure und Produzenten von Musikclips machten sich die Neuerungen<br />
des experimentellen Films, einiger Fernsehshows, populärer Musik des Filmmusicals<br />
und Filmproduktionen von und mit Rockstars wie den „Beatles“ („Sgt. Pepper“),<br />
Frank Zappa („200 Motels“) oder Elvis Presley („Heartbreak Hotel“) zunutze. Die<br />
Techniken der Montage und Collage wurden durch Trickfilmtechniken und<br />
Computeranimation erweitert, so dass das Ergebnis eine Vermischung von Stilen<br />
darstellt. So wurde es möglich, die Künstlerin Madonna in „Frozen“ (1998, Chris<br />
Cunningham) mit Hilfe von Computeranimation in einen Hund oder einen Raben zu<br />
verwandeln und sie durch die Wüste schweben zu lassen; und in einem Clip wie<br />
„What It Feels Like For A Girl“ (2001, Guy Ritchie) scheinen sich die Grenzen<br />
zwischen Clip und Spielfilm beinahe aufzulösen.<br />
Aufgrund der Nutzung neuester Technologien und die durch den<br />
musikalischen Rhythmus bedingten, schnellen Bildfolgen wurden Produzenten von<br />
Musikvideos aber auch immer wieder mit dem Vorwurf der „Bilderflut“ oder<br />
inkohärenter, traumartiger Gebilde konfrontiert. 32 Gegenstimmen weisen allerdings<br />
darauf hin, dass Detailanalysen von Clips sowohl ein breites Spektrum an<br />
verwendeten Filmtechniken zum Vorschein bringen, als auch über mehr Kohärenz<br />
verfügen, als von den Kritikern behauptet wird. 33<br />
31 Zentrales Anliegen der Clips liegt in der Vermittlung der Personality des Stars: Die Botschaft ist das<br />
Produkt, das der Star ist. Vgl. Daniels, A.: „Die Genesis eines Popvideos“, in: Bódy, V./Weibel, P.<br />
(Hrsg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 182-195.<br />
32 Vgl. Kaplan, E.A.: Rocking Around the Clock. Music Television, Postmodernism and Consumer Culture,<br />
London 1987. Vgl. auch Neumann-Braun/Schmidt 1999, S.13 f.<br />
33 Dennoch ist die Mehrheit der Clips, die in den Musiksendern in der „heavy-rotation“ präsentiert<br />
werden, weit davon entfernt, ambitioniert zu sein und sind vom Selbstverständnis her als Werbefilme<br />
konzipiert: Die visuelle Verpackung erscheint oftmals ohne innere Beziehung zur Musik, aufgeladen mit<br />
Klischees und Metaphern. In diesen Fällen dominiert die verkaufsfördernde Funktion der Clips die<br />
Verwirklichung eines ästhetischen Konzepts.<br />
19
1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung<br />
Musikvideos unterscheiden sich unter anderem von Filmmusiken dadurch,<br />
dass sie der Musik folgen, wohingegen Filmmusik der Filmhandlung folgt. Dabei hat<br />
die Musik ― ihre Form, ihr Rhythmus und ihr Sound ― ordnungsstiftende Funktion<br />
innerhalb des Clips.<br />
Zur Musik und ihrem Text können Bilder auf die unterschiedlichste Weise in<br />
Beziehung gesetzt werden, wodurch sich komplexe, synchronisierte oder<br />
gegenläufige bzw. widersprüchliche Verweisungszusammenhänge zwischen Musik,<br />
Text und Bild ergeben. Die Bilder können allerdings auch von der Musik relativ<br />
unabhängige Wirkungen erzielen: Das Visuelle erzeugt Bedeutungen, die über die<br />
Musik hinausgehen, so dass oftmals auch dem Bild im Clip Vorrang vor der Musik<br />
als ordnungsstiftendendes Element eingeräumt wird. 34<br />
Das Ergebnis aller Möglichkeiten, die sich bieten, ein Musikvideo zu<br />
gestalten, führen zu einer für die Gattung des Musikclips charakteristischen<br />
Polysemie. So muss eine Clipsanalyse die Beziehungen zwischen den<br />
unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen: Musik, Bilder und Songtexte, werden sie<br />
als Sprache oder sprachähnliche Gebilde verstanden, erzählen eine je eigene<br />
Geschichte, wobei sich die Geschichten wechselseitig verstärken, hemmen oder<br />
widersprechen können. So wird die Analyse der Madonna-Videoclips verdeutlichen,<br />
dass Musik und Text bei ihr eine eher untergeordnete Rolle spielen und es legitim<br />
erscheint, Madonna vor allen Dingen über ihre visuelle Inszenierung zu<br />
beschreiben.<br />
Zentrales Element der Gattung Videoclip ist allerdings die Starinszenierung,<br />
auf die sich Musik und Bild in den meisten Fällen als ordnungsstiftende Funktionen<br />
beziehen. So ist Madonna in all ihren Videoclips Hauptakteurin, um die herum sich<br />
das Geschehen abspielt.<br />
Clips stehen zwar ― wie oben ausgeführt ― im Dienst der Musik, doch in<br />
avancierten Clipproduktionen einiger renommierter Regisseure ― Julian Temple,<br />
Hype Williams, Spike Jones, Chris Cunningham oder Michel Gondry ― sind<br />
Tendenzen erkennbar, dieses Verhältnis umzukehren. So scheint bei einer Reihe<br />
der oben angeführten Clipregisseure, die oftmals auch in Kinofilmen Regie führen ―<br />
wie etwa Spike Jones, der 1999 „Being John Malkovitch“ drehte ―, die Musik nur<br />
34 Vgl. Sierek, K.: „Monolog und Ekstase ― Zum Bildbau im Musikclip“, in: Faulstich, W./Schäffner, G.<br />
(Hrsg.): Die Rockmusik der 80er Jahre, 4. Lüneburger Kolloquium der Medienwissenschaften, Bordowick<br />
1994, S. 186-197.<br />
20
noch Soundtrack zu sein. 35 In dem am Ende dieser Arbeit analysierten Clip „What It<br />
Feels Like For A Girl“ (Kap. 2.4) von Guy Ritchie wird sehr deutlich, was Olaf Karnik<br />
meint, wenn er von „Picture Pop“ spricht, oder anders gesagt: „Video directors<br />
reprove what good film directors knew all along ― that visuals can also be music.<br />
When executed with élan, an edit becomes a backbeat, a crane shot a solo, a closeup<br />
a hook.” 36<br />
1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips<br />
In Anbetracht der in den Musikvideos enthaltenen Komplexität und<br />
Vieldeutigkeit stellt sich die Frage nach ihrer Rezeption durch ein vor allem<br />
jugendliches Publikum. Untersuchungen hinsichtlich der Rezeption von Musikclips<br />
und der Nutzung von Musikkanalsendern haben bislang ergeben, dass sich der<br />
Rezeptionsprozess vornehmlich an der Musik und weniger an den Bildern orientiert.<br />
Letztere dienen Teenagern eher als Illustrationen zur Musik und weniger als<br />
narrativ strukturierte Szenen einer eigenständigen Filmhandlung.<br />
Ein weiterer Gegenstand der Untersuchung bei der Rezeptionsanalyse stellt<br />
die Untersuchung der Wahrnehmung und Verarbeitung der in den Videoclips<br />
präsentierten Geschlechterrollen dar. Es wird unterschieden zwischen „male-<br />
adressed-videos“ und „female-adressed-videos“. 37 So haben Inhaltsanalysen von<br />
Musikclips gezeigt, dass häufig traditionelle Geschlechtsrollenstereotype, Sexismus<br />
und Aggressivität präsentiert werden. So wurde Madonna oftmals von<br />
Feministinnen der Vorwurf gemacht, mit der Zurschaustellung ihrer Sexualität<br />
bestehende Geschlechterrollenklischees zu festigen und sich dem männlichen Blick<br />
zu unterwerfen. Die in den Videoclips angelegte Mehrdeutigkeit ermöglicht<br />
andererseits aber auch eine emanzipatorische Lesart. Die Ambivalenz vieler<br />
Madonna-Clips besteht gerade in der Verwendung sexuell aufgeladener Bilder in<br />
Verbindung mit der Proklamation weiblicher Macht, und eben nicht in der Erfüllung<br />
hegemonialer Machtstrukturen, wie die Darstellung der Clips zeigen wird.<br />
Feministische Analysen sprechen dem Phänomen Musikvideo ― wegen ihrer<br />
engen Bindung zum Pop ― ein enormes emanzipatorisches Potential zu, durch das<br />
es möglich wäre, Männlichkeits- und Weiblichkeitsstereotype aufzubrechen, um auf<br />
35 Vgl. Karnik, Olaf: „Musikvideo ― Hybrid im Spannungsfeld von Popmusik und Kurzfilm, Musikindustrie<br />
und Musikfernsehen“, aus: http://www.miz.org/musikforum/mftxt/mufo9414.htm; Zugang: 18.11.2003.<br />
36 Farber, Jim: „The 100 top music videos“, Rolling Stones, October 14/1993, in: Reiss,<br />
Steve/Feinemann, Neil (Hrsg.): Thirty Frames Per Second. The Visionary Art Of The Music Video, New<br />
York: Abrams 2000, S. 24. Vgl. auch Karnik 2003.<br />
37 Lewis, L. A.: Gender Politics and MTV: Voicing the Difference, Philadelphia 1990.<br />
21
diese Weise Kritik an der patriarchalen Gesellschaftsordnung zu üben. Doch um die<br />
idealtypische Dichotomisierung von Rock und Pop und die damit verbundene<br />
stereotype Assoziation mit Männlichkeit und Weiblichkeit zu stützen ― denn auch<br />
auf das Genre Videoclip sei das Konzept des „male-gaze“ der feministischen<br />
Filmtheorie zu übertragen ―, werde auf traditionelle Konstruktionsweisen der<br />
Geschlechterdifferenz zurückgegriffen und das kulturelle System der<br />
Zweigeschlechtlichkeit im Musikfernsehen laufend reproduziert. 38 Gegenstimmen<br />
verweisen gerade auf den symbolischen Machtgewinn des weiblichen Geschlechts,<br />
der dadurch entstehe, dass Frauen in den Clips ihre Sexualität in sonst Männern<br />
vorbehaltener Weise inszenieren, was Madonna in ihrem „Express Yourself“-<br />
Videoclip exemplarisch demonstriert. 39<br />
Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass Musikclips<br />
je nach Geschlecht, 40 ethnischer Zugehörigkeit, Alter, allgemeiner Medienerfahrung<br />
und familiär geprägtem Umgangsstil mit Medien sehr unterschiedlich<br />
wahrgenommen und verstanden werden können. Es muss also davon ausgegangen<br />
werden, dass es sich bei den Rezipienten nicht um eine homogene Gruppe handelt<br />
und Videoclips folglich unterschiedliche Wirkungen haben können. So werden auch<br />
Erfahrene im Umgang mit Videoclips manche Bilder ― und ganz besonders Zitate ―<br />
anders entschlüsseln als Unerfahrene. So verwundert es auch nicht, dass Madonna-<br />
Clips von ihren Fans positiv, von ihren Gegnern kritisch beurteilt werden. Das<br />
Phänomen der Möglichkeit verschiedener Lesarten wird durch die heterogene<br />
Rezipientengruppe hervorgerufen.<br />
Kennzeichnend für den Videoclip ist ein offenes Zeichenangebot, das nicht<br />
nur eine einzig „richtige“ Interpretation erlaubt, sondern mehrere Lesarten, die vom<br />
Betrachter aktiv bei der Rezeption konstruiert werden. Voraussetzung ist hierbei<br />
eine mehrdeutige Adressierung, d.h. die Gewährleistung von Anknüpfungspunkten<br />
für seine Erfahrungen und Vorlieben. Videoclips sind „unfertige“ Texte, was sie zu<br />
einem populären Medium macht, und verlangen einen aktiven, partizipierenden und<br />
produktiven Leser, der aus den Bildern des Clips seine Erzählung konstruiert. 41<br />
38 Vgl. Bechdolf, U.: „Music Video Histories. Geschichte ― Diskurs ― Geschlecht“, in: Hackl, C./Prommer,<br />
E./Scherer, B. (Hrsg.): Models und Machos? Frauen- und Männerbilder in den Medien, Konstanz 1996, S.<br />
277-299. – Weitere Literaturangaben siehe: Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 25.<br />
39 Vgl. Turim, M.: “Gesang der Frauen, Gesten der Frauen”, in: Frauen und Film 58/59 1996, S. 25-43.<br />
40 Vgl. Müller, Renate: „Geschlechtsspezifisches Umgehen mit Videoclips: Erleben Mädchen Videoclips<br />
anders?“, in: Kaiser, Hermann J. (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Aspekte des Musiklernens, Essen:<br />
Musikpädagogische Forschung Bd. 17 1996, S. 73-93.<br />
41 Vgl. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1 (1989), hrsg. von: Lutter,<br />
Christina/Reisenleitner, Markus, Wien: Löcker Verlag 2003.<br />
22
Ramona Curry hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Inhalte von<br />
Clips und deren Wirkungen auf das Publikum nicht isoliert betrachtet werden<br />
können, sondern in ihrer Intertextualität, d.h. in ihrer multimedialen Einbettung,<br />
interpretiert werden müssen. 42 Intertextualität wird unter Zuhilfenahme des<br />
Konzepts der Transtextualität des Linguisten Gérard Genette definiert, die die<br />
Relation zwischen zwei oder mehreren Texten innerhalb des zu analysierenden<br />
Textes beschreibt. Neue Bedeutungen entstehen dadurch, dass Bekanntes anders<br />
arrangiert und kontextualisiert wird. Die These der Intertextualität bzw. der<br />
Offenheit und Globalität popkultureller Texte zeige sich insbesondere daran, dass<br />
Rezipienten mit kulturell völlig verschiedenen Hintergründen ähnliche Bezüge<br />
herstellen und außerdem in der Lage seien, kulturspezifische Interpretationen zu<br />
erarbeiten. 43<br />
In Bezug auf die Rezeption von Madonna-Videoclips bedeutet dies, dass die<br />
Bedeutung, die ein Rezipient einem Clip zuschreibt, immer auch von der Bedeutung<br />
anderer Texte über Madonna bestimmt wird. Demnach ist die Rezeption eines<br />
Madonna-Clips immer auch in einem Verhältnis zu Madonnas Image zu sehen, das<br />
sich aus vielen verschiedenen Texten zusammensetzt (Radio, Fernsehen,<br />
Videoclips, Konzertmitschnitte, Presseberichte etc.).<br />
Das in diesem Kapitel angesprochene Phänomen der Möglichkeit<br />
verschiedener Lesarten eines Videoclips spielt im Hinblick auf den<br />
Gültigkeitsanspruch einer Clip-Interpretation eine entscheidende Rolle; denn als ein<br />
synästhetisches Phänomen spricht der Videoclip gleichzeitig die auditive und<br />
visuelle Wahrnehmung an, und ruft bei jedem einzelnen Rezipienten jeweils<br />
unterschiedliche Assoziationen, sowohl auf visueller als auch auf auditiver Ebene,<br />
hervor. Allgemeingültigkeit für eine Videoclipanalyse zu erheben ist vor dem<br />
Hintergrund der Betrachtung des Videoclips als audiovisuelles Medium nicht<br />
möglich.<br />
42 Curry 1999, S. 175-204.<br />
43 Diese Schlussfolgerungen erinnern an Äußerungen, die in der Bildersprache eine Möglichkeit sehen,<br />
grenzüberschreitend, kulturunabhängig und weltweit Kommunikation gewährleisten zu können:<br />
„Während die geschriebenen Sprachen die Menschen innerhalb ihrer eigenen kulturellen Monaden<br />
einschlossen, wird die Sprache des technologischen Menschen, indem sie sich aller Kulturen dieser Welt<br />
bedient, zwangläufig jene Medien bevorzugen, die am wenigsten national sind. Deshalb steht die<br />
Bildersprache wie ein unbenutztes Esperanto zur Verfügung. Diese [Bildersprachen] überschreiten<br />
mühelos die Länderbarrieren so leicht wie Chaplin oder Disney und scheinen konkurrenzlos als kulturelle<br />
Grundlage des kosmischen Menschen.“ Mc Luhan, Marshall: „Das Medium ist die Message“, in: Baltes,<br />
Martin/Höltschl, Rainer (Hrsg.): Absolute Marshall Mc Luhan, Freiburg: orange press 2002, S. 106.<br />
23
1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und<br />
MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge ― Klangwelt der<br />
Bilder“ 44<br />
Der Videoclip als eine Synthese von Musik und Bild ist nicht neu: Die<br />
Verschmelzung von Ton und Bild kann auf eine lange kulturhistorische Tradition<br />
zurückblicken und basiert auf der Tatsache, dass menschliche Wahrnehmung<br />
generell auf der Komplementarität von Auge und Ohr beruht, d.h. intermodal<br />
angelegt ist. Als Beispiele für intermodale Wahrnehmung kann auf „archaische<br />
Kulturen mit ihren ganzheitlichen Lebensformen und die direkte Verknüpfung von<br />
Musik und Kult verwiesen [werden]“ 45 , auf das alte China und dessen Zuordnung<br />
von Tönen und Jahren zu Jahreszeiten, auf die griechische Antike mit ihrem „Prinzip<br />
der kosmischen Weltordnung und der Kongruenz von Zahlenverhältnissen,<br />
Intervallen, Zusammenklängen mit der Harmonie der Sphären.“ 46 Um 350 v.Chr.<br />
wies Aristoteles bereits darauf hin, dass der Mensch über einen übergeordneten<br />
Sinn verfüge, der die Wahrnehmung der einzelnen Sinne koordiniere. 47<br />
Diese in der Antike entstandenen, universalästhetisch-philosophischen<br />
Konzeptionen hatten bis in das europäische Mittelalter und die beginnende Neuzeit<br />
Bestand, was sich z.B. in dem 1650 vorgenommenen Versuch widerspiegelt, „die<br />
Identität von Licht und Schall auf der Grundlage von übereinstimmenden<br />
Zahlenverhältnissen bzw. Intervallen zu erklären“, 48 oder auch in den Bemühungen<br />
Isaac Newtons (1704), die Zusammenhänge zwischen den sieben Spektralfarben<br />
und den sieben Tönen der diatonischen Skala darzustellen, was Louis-Bertrand<br />
Castel dazu veranlasste, ein Farbenklavier zu konstruieren (1725). 49<br />
Sehen und Hören sind folglich von jeher auf das engste miteinander<br />
verknüpft und aufeinander bezogen. Die audiovisuelle Konzeption des Videoclips<br />
macht sich die Deutungsvielfalt zu eigen, die das Hören von Musik bei jedem<br />
44<br />
Mit dieser Kapitelüberschrift und in den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen<br />
auf: Geuen, Heinz: „BilderHören und MusikSehen: Musikverstehen im Medienkontext“, unveröffentlichter<br />
Vortrag im Rahmen der Arbeitstagung „Jugend, Kultur und Kreativität. Suche nach neuen Praktiken des<br />
Lernens und Lehrens“ vom 18.-20. Juli 2005 an der Musikhochschule Köln. Außerdem: Rösing, Helmut:<br />
„Bilderwelt der Klänge, Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne“, in: Helms,<br />
Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences. Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo,<br />
Beiträge zur Popularmusikforschung 31, Bielefeld: transcript 2003, S. 9-25.<br />
45<br />
Rösing 2003, S. 10.<br />
46<br />
Ebd.<br />
47<br />
Vgl. Hurte, <strong>Michael</strong>: Musik, Bild, Bewegung. Theorie und Praxis auditiv-visueller Konvergenzen, Bonn:<br />
Verlag für Systematische Musikwissenschaft 1982. Zit.n. Ebd.<br />
48<br />
Ebd., S. 19.<br />
49<br />
Vgl. Ebd., S. 10 f.<br />
24
Einzelnen hervorruft. Denn alle musikalischen Schallereignisse, die ein Hörer in<br />
einer bestimmten Situation aufnimmt, stehen, so Helmut Rösing, in einer<br />
„Wechselbeziehung mit dem bisherigen Musikkonzept und mit dem allgemeinen<br />
Erfahrungsinventar einer Person, mit emotionalen, assoziativen, kognitiven<br />
Schemata und Prototypen“. 50 Wie ein erklingendes Musikstück bewertet bzw.<br />
verstanden und in den eigenen Erfahrungshorizont integriert wird, hängt von der<br />
jeweiligen Sozialisation ― mit den Variablen Alter, Geschlecht, Familie, Ausbildung,<br />
soziales Milieu, Medien etc. ― ab. In einem Videoclip als spezifisch audiovisuelles<br />
Medium illustrieren die Bilder nicht einfach die Musik oder den Text, sondern<br />
beeinflussen ihrerseits durch ihre Bedeutungen und die durch sie ausgelösten<br />
Assoziationen die Musik und den Rezipienten. 51<br />
Je nach Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit gegenüber dem<br />
audiovisuellen Gesamtgeschehen ändert sich die Wahrnehmung des Rezipienten: Je<br />
nach Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst Musik die Bildwahrnehmung oder<br />
aber die Bilder die Musikwahrnehmung. Durch die Musik z.B. fokussiert der<br />
Rezipient seine Aufmerksamkeit, was dazu führen kann, dass er aus dem gesamten<br />
visuellen Informationsangebot nur einen bestimmten Ausschnitt bewusst<br />
wahrnimmt. Somit beeinflusst die erklingende Musik die Wahrnehmung des<br />
visuellen Geschehens. Das gleiche ist natürlich auch im umgekehrten Falle denkbar:<br />
Dadurch, dass sich der Rezipient bewusst auf ein visuelles Geschehen fokussiert,<br />
wird auch nur ein Teil der Musik und ihrer Strukturen wahrgenommen und in Bezug<br />
zum Bild interpretiert. Damit beeinflusst das filmische Geschehen die Bedeutung<br />
der Musik.<br />
Somit ist die Struktur eines multimedialen Produktes wie dem Videoclip<br />
durch eine Informationsdichte gekennzeichnet, die den Rezipienten zu einer<br />
Aufmerksamkeitsfokussierung zwingt. Jeder Rezipient nimmt demnach anders wahr<br />
und verfügt über eigene Assoziationen. Eine vorgenommene Interpretation kann<br />
50 Ebd., S. 13.<br />
51 Heinz Geuen bemängelt in seinem Vortrag die nur sehr zurückhaltende Bereitschaft der<br />
musikwissenschaftlichen Forschung, sich mit der doch so offenkundigen Bildgeprägtheit der<br />
musikalischen Wahrnehmung, den Aspekten der Medialität und Performanz zu befassen und sich nur<br />
zögerlich für kulturwissenschaftliche Diskurse und neue methodische Anätze zu öffnen. Als<br />
richtungsweisend bezüglich einer Bild-Musik-Forschung betrachtet er die Habilitationsschrift<br />
„BilderMusik“ des Bonner Musikwissenschaftlers Anno Mungen aus dem Jahre 2001, der „das die<br />
Kunstmusik des 18. und 19. Jahrhunderts bestimmende Paradigma absoluter Musik deutlich relativiert.“<br />
Denn die „Verknüpfung von Instrumentalmusik mit medialen Inszenierungen [...] entsprach spätestens<br />
seit Beginn des 19. Jahrhunderts einem offensichtlich starken Bedürfnis, ‚semantische Leerstellen’ zu<br />
füllen und die Aufführung von Musik auratisch zu stärken.“ Diese Arbeit sei deshalb ein wichtiger Impuls,<br />
weil sie aufzeigt, dass Musik – entgegen dem überlieferten Paradigma der absoluten Hörkunst – immer<br />
auch eine Medienkunst war. Eine musikwissenschaftlich verortete Auseinadersetzung mit dem<br />
Gegenstand Videoclip befindet sich deshalb erst in den Anfängen. Vgl. Geuen 2005.<br />
25
und darf demnach nicht zu einer Verabsolutierung führen. Sie kann immer nur ein<br />
Interpretationsangebot darstellen, das mitunter auch zeitgeschichtlich bedingt ist.<br />
Im Videoclip, der sich durch das Zusammenspiel von Musik, Sprache und<br />
bewegten Bildern auszeichnet, erhöht sich die „interpretatorische<br />
Unschärferelation“ 52 um ein Vielfaches. Denn je mehr Dimensionen ein<br />
Wahrnehmungsobjekt enthält, umso vielfältiger sind die Assoziations- und<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten, bei denen sowohl intra- als auch intersubjektive<br />
Erfahrungen berücksichtigt werden.<br />
1.6 Methodisches Vorgehen in dieser Arbeit<br />
Bei den im folgenden Kapitel vorgenommenen Videoclipanalysen liegt die<br />
Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit auf dem visuellen Geschehen; denn Ziel<br />
dieser Arbeit ist die Darstellung von Madonnas <strong>wechselnde</strong>n<br />
Weiblichkeitsinszenierungen auf visueller Ebene. Die analytische Ebene der Musik<br />
tritt hierbei in den Hintergrund, obgleich sie in allen hier analysierten Clips narrativ-<br />
strukturierende Funktion hat und in ihrem jeweiligen Ausdruck die Aussage der<br />
Bilder unterstreicht.<br />
Unter Berücksichtigung der angeführten Hinweise Ramona Currys<br />
hinsichtlich der Intertextualität postmoderner Texte wird davon ausgegangen, dass<br />
Textbedeutungen nicht allein durch die Erfahrung eines Lesers ― im Falle von<br />
Videoclips des Zuschauers und -hörers ― beim Lesen eines einzelnen, in sich<br />
geschlossenen Textes entstehen. Die Bedeutungen eines Videoclips, als<br />
postmoderner Text betrachtet, werden hingegen von dem Leser aus seiner<br />
diskursiven Rezeption im Zusammenhang mit mehreren Texten, die mit diesem in<br />
Verbindung stehen, erschlossen. Im Fall von Madonna bedeutet dies, dass das<br />
Verständnis eines Clips nie unabhängig von Madonnas Image als Star zu sehen ist.<br />
Ein „Starimage“ ― auf der Grundlage der Analyse der Entstehung und Aufnahme<br />
von Starimages nach Richard Dyer 53 ― setzt sich aus vielen verschiedenen Texten<br />
zusammen: Madonnas Starimage entsteht aus ihren Auftritten in verschiedenen<br />
Medienformen ― Schallplatten (CD), Radio, Videoclips, Konzerten und deren<br />
Mitschnitten, aus Filmen und öffentlichen Auftritten in Talkshows und Werbespots,<br />
sowie der ständigen Kommentierung von Madonnas Aktivitäten und Auftritten in der<br />
Tages- und Boulevardpresse.<br />
52<br />
Rösing 2003, S. 22.<br />
53<br />
Vgl. Dyer, Richard: Stars, London 1979, insbesondere S. 38-72; vgl. auch: Ders.: Heavenly Bodies:<br />
Film Stars and Society, New York 1986.<br />
26
Aus diesem Grund wird dem jeweiligen Clip, der im Zentrum der Analyse<br />
steht, eine Skizzierung des jeweiligen Madonna-Images vorangestellt. Wie sich<br />
zeigen wird, gibt das jeweilige Cover des Albums bereits aufschlussreiche<br />
Informationen über die jeweils dominanten Konstruktionselemente des Madonna-<br />
Images der jeweiligen Phase.<br />
2. DIE MACHT DER IMAGEWECHSEL<br />
2.1 BURNING UP (1983)<br />
Bei dem 1983 entstandenen Musik-Video zu „Burning Up“ handelt es sich um<br />
den ersten Videoclip zu einem Madonna-Song, der von MTV gesendet wurde.<br />
Gleichzeitig fällt seine Entstehung in die Phase vor dem künstlerischen Durchbruch<br />
der Sängerin in die Top Ten der Charts, der ihr allerdings noch im selben Jahr mit<br />
„Holiday“, der vierten Singleauskopplung aus ihrem Debütalbum, gelang.<br />
Schon 1978 ging Madonna ― nach abgebrochenem Tanzstudium in<br />
Michigan 54 ― nach New York, wo sie ― finanziert durch Gelegenheitsjobs 55 ―<br />
darum bemüht war, ihre Karriere voranzutreiben. Mit der Unterstützung der<br />
Tanzclub-DJs Mark Kamins und Jellybean Benitez gelang es ihr 1982 schließlich,<br />
ihren ersten kleinen Plattenvertrag bei Sire Records abzuschließen, „wo Warner<br />
Brothers die Leute [unterbrachten], von denen sie nicht glauben, daß sie sich<br />
verkaufen werden“ 56 . Der Vertrag bezog sich zunächst nur auf die beiden Singles<br />
„Ain’t No Big Deal“ und „Everybody“. Nachdem „Everybody“, zu dem man allerdings<br />
lediglich einen firmeninternen Promotion-Clip herstellte, ein Erfolg in den Dance-<br />
Charts wurde, entschloss man sich, auch die zweite Single, „Burning Up“, zu<br />
produzieren.<br />
Ein kurzer Einblick in das New York der späten 1970er und beginnenden<br />
1980er Jahre soll einen Eindruck von den Hintergründen und der Stimmung<br />
54 Geboren am 16. August 1958 in Bay City, Michigan, als das sechste von acht Kindern, beginnt<br />
Madonna nach der High School mit einem Begabten-Stipendium ein Studium des klassischen und<br />
modernen Tanzes an der University of Michigan Ann Arbor, das sie anderthalb Jahre später, im Juli 1978,<br />
abbricht. Vgl. Bullerjahn, Claudia: „Populäres und Artifizielles in den Musikvideos von Madonna“, in:<br />
Bullerjahn, C./Erwe, H.-J. (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und<br />
Erscheinungsformen, Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag 2001, S. 209.<br />
55 So tanzte sie am Alvin Ailey Dance Theatre und in der Pearl Lang Dance Company, finanzielle Nöte<br />
zwangen sie zur Annahme von Nebenjobs, etwa die Arbeit als Aktmodell in Kunsthochschulen und für<br />
einzelne Künstler und Fotografen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209.<br />
56 Countdown Magazin, Special Annual 2/1985, zit. n. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural<br />
Studies Bd. 1, hrsg. von Lutter, Christina/Reisenleiter, Markus, Wien: Erhard Löcker Verlag 2003, S.<br />
103.<br />
27
vermitteln, die Ausgangspunkt für Madonnas Karriere waren und die ihren Stil und<br />
ihr erstes Image entscheidend geprägt haben.<br />
2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin zur<br />
Musikerin ― Clubszene ― erster Plattenvertrag<br />
Entscheidend für Madonnas Entwicklung ist die Tatsache, dass sich<br />
Manhattan gegen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre zum „Dreh- und<br />
Angelpunkt der Musikindustrie“ 57 entwickelte. Die Tänzerin Madonna lernte<br />
Schlagzeug und Gitarre zu spielen, sang ein halbes Jahr als Backgroundsängerin in<br />
der Gruppe von Patrick Hernandez 58 , mit der sie schließlich nach Paris und andere<br />
europäische Städte reiste, während sie gleichzeitig weiterhin Tanz- und<br />
Gesangsunterricht nahm. Zurück in New York engagierte sie sich als Schlagzeugerin<br />
und Sängerin in der Band Breakfast Club, die sie allerdings wegen Streitigkeiten<br />
verließ, um ihre eigene Band, Emmy, zu gründen. 59<br />
Die Erfahrungen, die sie als Musikerin und durch kleinere Engagements als<br />
Backgroundsängerin sammelte und die ihr erste Tonstudioerfahrungen einbrachten,<br />
spielten sich in einem New York ab, in dem eine kulturelle Entwicklung ihrem<br />
Höhepunkt zustrebte, die sich „in der zwielichtigen Atmosphäre der Afterhours-<br />
Klubs am unteren Ende des Broadway in den schwarzen Schwulendiskos und<br />
Drogenkellern zusammengebraut hatte“ 60 und den Namen „Disco“ trug. Ihre<br />
Quellen waren vielfältig und hatten eine Mischung aus Musik, Mode, Lifestyle, Sex<br />
und Drogen hervorgebracht, die in einem „ekstatischen Tanzkult“ 61 ihren Ausdruck<br />
fand, bei dem der „Selbstgenuss der eigenen Körperlichkeit“ 62 im Vordergrund<br />
stand. Die Nachtclubszene Manhattans, ein Melting Pot verschiedenster<br />
subkultureller Milieus, wie der der Homosexuellen, Afroamerikaner, Puertoricaner<br />
und anderen Minderheiten, der allerdings auch anderen zugängig war, machte die<br />
Körperkulte der Schwulendiskos „salonfähig“, und trug dazu bei, dass sie sich zur<br />
einer Massenbewegung des Mainstream entwickeln konnten. Das „Studio 54“ etwa<br />
entwickelte sich zu einem jener inzwischen legendären Disco-„Paläste“, in denen<br />
Madonna als Go-Go-Girl, Backgroundsängerin und -tänzerin für Hernandez auftrat,<br />
57<br />
Vgl. Bego, Mark: Madonna. Who’s That Girl? Andrä-Wördern 1992, S. 51-57; zit.n. Bullerjahn 2001, S.<br />
209.<br />
58<br />
Patrick Hernandez, puertoricanischer Sänger und DJ, hatte 1979 mit dem Song „Born to Be Alive“<br />
einen gigantischen Hit gelandet und tourte seitdem um die Welt. Vgl. Wicke, Peter: Von Mozart zu<br />
Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig: Gustav Kiepenheuer Verlag 1998, S. 274.<br />
59<br />
Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209 f.<br />
60<br />
Wicke 1998, S. 269.<br />
61<br />
Ebd.<br />
62<br />
Ebd.<br />
28
evor sie selbst 1982 mit ihrem bereits erwähnten Solo-Debüt „Everybody“ einen<br />
Dancefloor-Hit landete.<br />
So schien das New York am Ende der 1970er Jahre für Madonna wie<br />
geschaffen zu sein, ihre Extrovertiertheit auszuleben: Als Tänzerin verfügte sie über<br />
ein besonderes Körperbewusstsein, das sie in einer Umgebung, in der die<br />
körperliche Inszenierung im Vordergrund stand, gezielt einsetzen konnte. Sowohl<br />
ihre Ausbildung als Tänzerin als auch der Einfluss dieser New Yorker Anfangszeit, in<br />
der der Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen zu einer Quelle der Inspiration<br />
wurde, haben ihre künstlerische Entwicklung als Sängerin bzw. Performerin stark<br />
beeinflusst, wie in vielen ihrer Videoclips 63 und auch in Mitschnitten ihrer<br />
Konzerttourneen 64 ersichtlich ist.<br />
Anfang der 1980er Jahre gehörte Madonna einer New Yorker Clique an, die<br />
sich aus jungen Künstlern, Sängern und Performern zusammensetzte. 65 Man traf<br />
sich in den Clubs, die als Treffpunkt als auch als gemeinsames „Büro“ fungierten:<br />
Man kam dort zusammen, um zu tanzen, sich zu amüsieren und Beziehungen zu<br />
knüpfen. Die angesagtesten Clubs der 1980er Jahre - ein Sammelbecken für<br />
aufstrebende Künstler und Musiker 66 - waren die „Danceteria“, das „Roxy“ und der<br />
„Mudd Club“. 67 Madonnas Freundeskreis, der ebenfalls in diesen Clubs zuhause<br />
war 68 , lieferte starke künstlerische Impulse und erweiterte darüber hinaus ihr<br />
Interesse an der bildenden Kunst. Niederschlag findet dieser Einfluss zum einen in<br />
zahlreichen Videoclips, in denen sie mit kunst- 69 und filmhistorischen Zitaten 70<br />
arbeitet, zum anderen aber auch in ihrem fortlaufenden ― äußerlichen ―<br />
63<br />
So z.B. in „Borderline“, „Open Your Heart“, „Like A Prayer“, „Vogue“ oder „Secret“, um nur einige zu<br />
nennen.<br />
64<br />
So handelt es sich bei der Mehrheit ihrer Tänzer, die sie auf ihren Konzerttourneen begleiten, um<br />
Homosexuelle, Schwarze und andere nicht-weiße Minderheitengruppen. Siehe z.B. „The Girlie Show“.<br />
65<br />
Vgl. Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Krüger Verlag 2002, S. 176 ff.<br />
66<br />
Wie z.B. die Beastie Boys, Grandmaster Flash oder der schwarze Graffiti-Künstler Jean-Michel<br />
Basquiat, mit dem Madonna 1983 ein Verhältnis haben sollte, der 1988 im Alter von 27 Jahren an einer<br />
Überdosis Drogen starb. Vgl. Morton 2002, S. 177 u. 197.<br />
67<br />
So arbeitete die englische Sängerin Sade an der Bar, der Graffiti-Künstler Keith Haring als Garderobier<br />
in der Danceteria.<br />
68<br />
Dazu zählten die schon verstorbenen Künstler Andy Warhol, Keith Haring und Martin Burgoyne, die<br />
Club-Besitzerin Erika Belle, Make-up Künstlerin, inzwischen Hollywoodschauspielerin Debi Mazar oder die<br />
Modehändlerin Maripol. Vgl. Morton 2002, S. 177; siehe auch Bullerjahn 2001, S. 220. - Viele<br />
Freundschaften Madonnas aus der New-York-Anfangszeit bestehen noch immer: So wirkte Debi Mazar in<br />
vielen ihren Videoclips mit, zuletzt in „Music“, außerdem in „Papa Don’t Preach“ oder „True Blue“.<br />
69<br />
In „Open Your Heart“ und „Vogue“ verwendet sie z.B. Bilder der polnischen Malerin Tamara de<br />
Lempicka. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 224.<br />
70<br />
Einen Nachweis des „artifiziellen Charakters“ der Madonna-Musikvideos liefert Claudia Bullerjahn in<br />
dem hier schon angeführten Artikel: Bullerjahn 2001, S. 203-268. Dem im Folgenden zu analysierende<br />
Clip, „Express Yourself“ wird durch das Zitieren des Stummfilms „Metropolis“ ein besonders hoher<br />
künstlerischer Wert zugesprochen. Weitere Filmzitate finden sich u.a. im Video zu „Material Girl“<br />
(„Gentlemen Prefer Blondes“), „Oh Father“ (Szenen aus „Citizen Cane“) und „Ray Of Light“ (Zeitrafferund<br />
Zeitlupeneffekte aus „Koyaaniqatsi“). Vgl. Ebd., S. 223 ff.<br />
29
Imagewechsel: von der Marilyn-Monroe-Imitation über Anlehnungen an Liza Minelli,<br />
Marlene Dietrich, Rita Hayworth, Greta Garbo und Mae West bis hin zu einzelnen<br />
Gesten Elvis Presleys oder sogar <strong>Michael</strong> Jacksons.<br />
Die Vermarktung ihrer ersten Single „Eyerybody“ richtete sich an ein<br />
modernes Großstadtpublikum, das sich größtenteils aus Schwarzen und<br />
Puertoricanern zusammensetzte. Aus diesem Grund entschied Madonnas<br />
Plattenfirma Sire Records, die Single in der Kategorie „schwarze Dancefloor-Musik“<br />
zu veröffentlichen und die Künstlerin selbst ― die sich kurz zuvor die Haare<br />
blondiert hatte ― als schwarze Sängerin zu bewerben. Um das Marketing-Konzept<br />
nicht zu gefährden, wählte man daher für das Cover von „Everybody“ ― im Oktober<br />
1982 erschienen und produziert von Mark Kamins ― nicht etwa eine Fotografie der<br />
Künstlerin selbst, sondern ein Bild von Downtown New York im Stil einer Hip-Hop-<br />
Collage (Anhang I, Abb. 10). 71<br />
Zu Werbezwecken ließ Sire Records ein firmeninternes Video von einem<br />
Auftritt Madonnas im „Paradise Garage“ 72 anfertigen, durch das auch dem Rest des<br />
Werbeteams in ganz Amerika ein Eindruck von Musik und Darstellung der neuen<br />
Künstlerin vermittelt werden sollte. Ed Steinberg, Betreiber der Rock-America-<br />
Videofirma, erhielt für diesen Auftrag ein Budget von 1500 Dollar ― ein Betrag, der<br />
umso geringer erscheint, wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit für <strong>Michael</strong><br />
Jacksons Videos bereits sechsstellige Summen ausgegeben wurden. 73 Obwohl allein<br />
dieser Umstand zu belegen scheint, dass die Plattenfirma an einer Ausstrahlung des<br />
Clips bei dem Musiksender MTV offensichtlich nicht interessiert war, ist zu<br />
bedenken, das der Sender MTV selbst noch weit am Anfang stand und bis zu<br />
diesem Zeitpunkt keine Tanz-Videos im Stil Madonnas ― einer Mischung aus<br />
Gesang und Tanz ― in sein Programm aufgenommen hatte.<br />
Steinberg hingegen erkannte die visuelle Wirkung Madonnas und verschickte<br />
Exemplare des Videos an Nachtclubs in ganz Amerika. So hielt „Everybody“ im<br />
November 1982 Einzug in die Dance-Charts und Wochen später schaffte es die<br />
Single sogar auf Platz 1. Erst nach dem Erfolg von „Everybody“ schienen die<br />
71 Vgl. Ebd., S. 210. – Die Entscheidung der Plattenfirma spiegelt die Realitäten jener Zeit wieder: Zu<br />
Beginn der achtziger Jahre war die Popmusik in den USA noch in Kategorien unterteilt, die durch die im<br />
Radio und in ein paar Fernsehprogrammen aufgestellten Playlists bestimmt wurden. Noch war die Zeit<br />
nicht da, in der Diskjockeys in Clubs oder MTV im Fernsehen über Aufstieg oder Fall einer Single<br />
entscheiden sollten. Vgl. Morton 2002, S. 189 f.<br />
72 Das „Paradise Garage“, eine Downtown-Schwulendisco und ehemalige LKW-Werkstatt in Lower<br />
Manhattan, hatte sich als subkultureller Gegenpol zum „Studio 54“ etabliert. Vgl. Wicke 1998, S. 274. -<br />
Die Entscheidung des Regisseurs, das Video dort abzudrehen, hatte vor allen Dingen ökonomische<br />
Gründe, denn dort konnte er kostenlos drehen. Vgl. Ebd., S. 194.<br />
73 Vgl. Ebd., S. 193 f.<br />
30
Plattenfirmen Madonnas Potential zu erkennen und konkurrierten miteinander<br />
darum, die Künstlerin unter Vertrag zu nehmen. 74<br />
So lässt sich feststellen, dass es Madonnas visuelle Präsentation war, die ihr<br />
den ersten Erfolg verschaffte; denn ihre minimale Stimmkraft, ihr geringer<br />
Stimmumfang und der sehr mädchenhafte Charakter ihrer Stimme wurden in den<br />
Anfängen ihrer Karriere immer wieder stark kritisiert. Eine Bezeichnung wie „Minnie<br />
Mouse on helium“ 75 bringt zum Ausdruck, dass das Interesse der Fans und Kritiker<br />
an Madonna weniger der „Sängerin“ Madonna galt als vielmehr ihrer<br />
provozierenden, visuell vermittelten „Verpackung“. Dieser Vorwurf prägt bis heute<br />
den Madonna-Diskurs. Madonna, sich ihrer stimmlichen Schwäche und visuellen<br />
Wirksamkeit bewusst, hat im Videoclip das Medium erkannt, das es ihr ermöglicht,<br />
ihre Fähigkeiten gezielt einzusetzen und ihre Botschaften zu vermitteln.<br />
Nachdem „Burning Up“, der Song für die zweite Single ― produziert von<br />
Reggie Lucas von Warner Brothers ― Anfang 1983 aufgenommen worden war, gab<br />
Sire den Dreh eines Videos in Auftrag, um für die Single zu werben. Dieses<br />
Musikvideo, bei dem Steve Baron Regie führte, 76 „war Amerikas erste Einführung in<br />
Madonnas berechnend sexuelle Präsentation und wurde bei MTV, die inzwischen mit<br />
der Vorführung von Dance-Videos begonnen hatten, zu einem kleinen Hit.“ 77 Wie<br />
die folgende Analyse des Clips zeigen wird, ist die durch die Bilder vermittelte<br />
Botschaft, nämlich als Frau Macht und Kontrolle auszuüben, seit Beginn von<br />
Madonnas Karriere Thema ihrer Videoclips.<br />
Der schnelle Erfolg von „Burning up“ ― im März 1983 erschienen und kurz<br />
danach auf Platz 3 der Dance-Charts ― veranlasste Madonnas Plattenfirma dazu,<br />
die Produktion ihres Debüt-Albums in Auftrag zu geben, das bereits im Juli 1983<br />
veröffentlicht wurde. 78 Die Abbildung des Konterfeis der Künstlerin auf Album- und<br />
Singlecover (Anhang I, Abb. 01 und 11) ― letzteres eine Collage aus verschiedenen<br />
74 Vgl. Ebd., S. 199.<br />
75 Bullerjahn 2001, S. 211.<br />
76 Steve Baron war durch die Produktion von <strong>Michael</strong> Jacksons „Billie Jean“-Video bekannt geworden.<br />
77 Der erste „richtige“ Videoclip ― d.h. mit dem Ziel der Ausstrahlung bei MTV ―, erwies sich als eine Art<br />
„Familienproduktion“: Martin Burgoyne entwarf das Cover für die Single, Debi Mazar wurde als<br />
Maskenbildnerin für das Video engagiert, Maripol, die Madonna mit ihrem modischen Markenzeichen, den<br />
Gummiarmbändern, bekannt gemacht hatte, war die Stylistin. Madonnas „Immer-mal-wieder-Lover“ Ken<br />
Compton spielte den männlichen Part im Clip. Vgl. Morton 2002, S. 200 f.<br />
78 Produziert wurde das Album von Reggie Lucas und Jellybean Benitez. Obgleich Madonna sich den<br />
Soundvorstellungen der Plattenfirma zunächst fügte, traf sie schon in dieser frühen Phase ihrer Karriere<br />
die Entscheidung, einige schon fertiggestellte Songs noch einmal abmischen zu lassen, die dann ― nun<br />
ihren Vorstellungen entsprechend ― auf ihrem ersten Album erscheinen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 211.<br />
31
Madonna-Portraits im Pop-Art-Stil ― und ihre zunehmende Präsenz auf MTV<br />
machten die Diskussion um ihre Hautfarbe schließlich überflüssig.<br />
2.1.2 Image<br />
Das Image der jungen Madonna in dieser ersten Phase ihrer Karriere ist das<br />
eines frechen, verführerischen, sexy und selbstbewussten Mädchens. Ihr Outfit, in<br />
ihren ersten Videoclips zur Schau getragen und deutlich abzulesen an den Covern<br />
ihrer ersten beiden Alben (Anhang I, Abb. 01 und 02), entwickelt in ihrer „New-<br />
York-Anfangs-Pleite-Zeit“, ist gekennzeichnet durch eingerissene Second-Hand-<br />
Kleidung, den freien Bauchnabel, Stofffetzen in auftoupiertem blondierten Haaren,<br />
Leggins aus ihrer Tänzerinnenzeit, Spitzenhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern<br />
und jeder Menge billigem Modeschmuck wie Gummiarmbänder ― ursprünglich<br />
Treibriemen aus elektrischen Schreibmaschinen ―, Rosenkränze und Kruzifixe. Ihr<br />
Stil zeigt sich als eine Mischung aus Hip Hop und Punk. Sie brachte „die<br />
Begleitrituale ihrer strengen katholischen Erziehung auf die Showbühne und<br />
stilisierte sich im Juli 1983 zur Promotion ihrer ersten LP mit Dutzenden von<br />
Kruzifixen [...].“ 79 Ihre ersten Videos ― neben „Burning Up“ vor allem die<br />
populäreren Clips zu „Lucky Star“ (Clip 02) und „Borderline“ ihres Debütalbums ―<br />
und der 1985 in den Kinos laufende Film „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ 80 , in dem die<br />
Künstlerin die Hauptrolle spielte, haben die Verbreitung des Madonna-Looks<br />
vorangetrieben, der schließlich weltweit von Mädchen und jungen Frauen kopiert<br />
wurde. Erfolgsrezept für ihren großen Durchbruch 1984 mit ihrem zweiten Album<br />
„Like A Virgin“ war eine provozierende Mischung aus Religion und Sexualität, die sie<br />
in ihren Clips und ihren öffentlichen Auftritten zur Schau stellte: Zur Verleihung der<br />
MTV Awards im September 1984 erschien sie ― wie in ihrem Videoclip zu „Like a<br />
Virgin“ (Clip 03) ― in einem nur auf den ersten Blick bieder erscheinenden Outfit,<br />
einem weißen Brautkleid, dessen Anblick aber durch den inzwischen berühmten<br />
„Boy Toy“-Gürtel, das auftoupierte Haar und die Menge an wertlosem Modeschmuck<br />
sowie großen Kruzifix-Ohrringen um so provozierender wirkte. Darin räkelte sie sich<br />
auf der Bühne und ahmte in ihren Bewegungen unmissverständlich einen<br />
Geschlechtsakt nach, womit sie zwar in erster Linie die anwesenden Kritiker und<br />
das Publikum schockierte, in zweiter Linie aber nicht unwesentlich zur Steigerung<br />
79<br />
Graves, Barry/Schmidt-Joos, Siegfried/Halbscheffel, Bernward: Rock-Lexikon, Bd. 2, Reinbek bei<br />
Hamburg: Rowohlt Verlag 1998, S. 560.<br />
80<br />
1985, Regie: Susan Seidelman, dt.: „Susan...verzweifelt gesucht“, Madonna in der Rolle der „Susan“<br />
an der Seite von Rosanna Arquette.<br />
32
ihrer Popularität beitrug: „Es war der Auftritt, der ihre Karriere machte. Er zeigte,<br />
dass sie clever genug war, zu wissen, wie sie die Kamera zu ihrem Vorteil nutzen<br />
konnte.“ 81 Dieses Image wurde von ihr in den ersten Jahren ihrer Karriere<br />
weitgehend beibehalten. Erst mit der Veröffentlichung ihres dritten Albums „True<br />
Blue“ im Jahre 1986 vollzog Madonna die erste tiefgreifende Veränderung in ihrem<br />
Auftreten.<br />
2.1.3 Clipanalyse<br />
Schon in Madonnas erstem Videoclip wird die Bedeutung der Bilder für die<br />
Aussage des Songs und die Botschaft der Sängerin deutlich, was folgende<br />
Ausführungen veranschaulichen werden.<br />
Der Videoclip „Burning Up“ (Clip 01) zeigt eine Frau ― Madonna ― in einem<br />
weißen Kleid. Auf einer dunklen, verlassenen Landstraße liegend, singt sie über die<br />
Leidenschaft für einen Mann, der ihre Liebe offensichtlich nicht erwidert, während<br />
sie ― sich auf dem Asphalt windend ― den hilflos leidenden Zustand ihrer<br />
unerwiderten Liebe auch körperlich zum Ausdruck bringt. Den Besungenen sieht<br />
man zur gleichen Zeit am Steuer eines Autos sitzend ― scheinbar auf der gleichen,<br />
verlassenen dunklen Landstrasse ―, offensichtlich mit dem Vorsatz, die auf der<br />
Strasse Liegende zu überfahren. Die unerwiderte Liebe, von der Madonna singt und<br />
die sie in Gebärden der Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit zum Ausdruck bringt,<br />
scheint sie zu einem hilflosen Opfer zu machen. Die letzte Einstellung des Clips<br />
allerdings zeigt Madonna selbst am Steuer des Wagens, mit einem wissenden und<br />
verächtlichen Lächeln auf den Lippen. Der Mann, der sie zuvor zu überfahren<br />
drohte, ist nicht mehr zu sehen.<br />
Die Bilder des Clips, die durch die letzte Einstellung den Eindruck weiblicher<br />
Hilflosigkeit und Unterlegenheit zurückweisen, erweisen sich somit als<br />
Gegenentwurf zum Text (Anhang II). So singt sie „Do you wanna see me down on<br />
my knees? / Or bending over backwards now would you be pleased?”, wobei sie ―<br />
eine aus dem Tierreich entlehnte Geste äußerster Unterwerfung nachahmend ― auf<br />
der Straße kniet, sich nach hinten beugt, den Kopf zurückwirft und dem Betrachter<br />
und ihrem virtuellen Angreifer ihren Hals präsentiert, ein Verhalten, durch das sie<br />
sich zum symbolischen Opfer stilisiert. Der Ton ihrer Stimme und ihr Blick in die<br />
Kamera haben hingegen nichts von dieser Unterwürfigkeit, sondern zeigen Härte<br />
81 Arthur Baker, zit. n. Morton 2002, S. 213. - Die Single „Like A Virgin” sollte bis heute Madonnas<br />
größter Hit werden, mehrere Platin-Schallplatten gewinnen und sich sechs Wochen lang an der Spitze<br />
der Charts halten. Vgl. Ebd., S. 213.<br />
33
und Verachtung, die ihrer Körpersprache zuwiderlaufen. Unter dem Eindruck von<br />
Stimme und Blick wird die oben zitierte Frage so in eine Herausforderung<br />
verwandelt.<br />
Auf textlicher Ebene dient die Feuersymbolik als Ausdruck brennender Liebe<br />
der Frau für den Mann: „I’m on fire“, „I’m burning up for your love“. Sie ist verliebt,<br />
doch die Liebe wird nicht erwidert, weil sie als nicht stark genug empfunden wird:<br />
„Don’t you know that I’m burning up for your love / You’re not convinced that that<br />
is enough“, „And day and night I cry for your love / You’re not convinced that that<br />
is enough“. Sie ist bereit, alles zu tun, damit er sie liebt und schreckt nicht einmal<br />
davor zurück, sich dafür zu erniedrigen: „Unlike the others I’d do anything / I’m not<br />
the same, I have no shame“. Sie ist eben “on fire”, und deshalb bereit, alles zu tun.<br />
Auf textlicher Ebene begibt sie sich demnach in die Rolle der unterwürfigen<br />
Frau, die darauf wartet, dass der Mann, den sie liebt, sie in ihrem Leid wahrnimmt<br />
und sie aus ihrer Opferrolle erlöst. Als Opfer ihrer Gefühle ist sie diesen hilflos<br />
ausgeliefert, womit ihr Verhalten scheinbar der stereotypen Vorstellung von der<br />
verzweifelten, an Eisenbahnschienen gefesselten Frau in vielen Stummfilmen<br />
entspricht. 82 Sie erniedrigt sich vor ihm, weil sie hofft, seine Liebe auf diese Weise<br />
zu gewinnen und sie ist bereit, alles dafür zu tun, damit er die Liebe zulässt, die sie<br />
in ihm erkennt: „I’m not blind and I know / That you want to want me but you can’t<br />
let go.“<br />
Die Sprache der Bilder ist allerdings eine andere. Zwar scheinen auf den<br />
ersten Blick die Art und Weise, in der Madonna das Leiden über die unglückliche<br />
Liebe durch ihre unterwürfige Haltung, das Liegen und Winden auf der Straße, zum<br />
Ausdruck bringt, der stereotypen Vorstellung einer an der Liebe leidenden Frau und<br />
damit der Aussage des Textes zu entsprechen. Ihr Umgang mit der Kamera, ihr<br />
fordernder Blick und die Art und Weise, in der sie singt, unterlaufen allerdings eine<br />
solche Lesart: Sie scheint die Erniedrigung als Lustgewinn zu empfinden,<br />
ausgedrückt durch das fast schon masochistische Spiel mit der Kette um ihren Hals,<br />
das sich insofern als ein Spiel mit der Opferrolle erweist, indem sie es selbst<br />
kontrolliert und zur Förderung ihrer Lust einsetzt. Damit erfüllt sie nicht die passive<br />
Rolle der von der Liebe enttäuschten Frau, denn sie fordert die Liebe ein, sie ist<br />
aktiv, sie ruft auf. Auf diese Weise kann ihre Erniedrigung auch als Stärke<br />
verstanden werden, denn sie verweigert die passive Opferrolle, die ihr durch ihr<br />
82 Vgl. Fiske 2003, S. 115.<br />
34
männliches Gegenüber zugeschrieben wird. Sie artikuliert ihren Schmerz, und dies<br />
auf eine aggressive Art und Weise, was durch Stimme und Musik unterstützt wird.<br />
Der Sound ist reduziert im Gegensatz zum Discosound der 1960er bzw.<br />
1970er Jahre. Madonnas Stimme, die Text und Gesang deutlich artikulierend,<br />
skandierend und bissig hervorbringt, erscheint relativ isoliert über einer Mischung<br />
aus elektronischen Beats und Gitarrenriffs, in der der Einfluss von Punk bzw. New<br />
Wave unüberhörbar ist. Dieser Mix ergibt in einem „kalten“ Sound, der der „kalten“<br />
Szenerie entspricht: der glatt asphaltierten, staubig-grauen und menschenleeren<br />
Straße in der Nacht, ein abweisender, kühler Ort, an dem romantische Liebe<br />
offenbar keinen Platz hat. Auf diese Weise wird die Bedeutung des Textes<br />
hervorgehoben und die fast schon aggressive Grundstimmung zum Ausdruck<br />
gebracht, die der Rolle der Frau als Opfer ihrer unglücklichen Liebe widerspricht.<br />
Diese Stimme fordert, zeigt Stärke und nichts von der Unterwürfigkeit ihrer<br />
Gebärden. Somit entspricht der Soundcharakter auch der visuellen Erscheinung der<br />
Sängerin, die sich in ihrem Outfit sehr punkig zeigt.<br />
Madonna kehrt die konventionelle Mediendarstellung der romantischen Liebe<br />
um: Sie übernimmt den traditionell männlichen Part. Sie ist diejenige, die bereit ist,<br />
für die Liebe zu kämpfen, sie umwirbt den Mann. Im Vergleich zur romantischen<br />
Vorstellung würde sie allerdings nie soweit gehen, sich dafür selbst zu opfern, wie<br />
das Ende des Clips verdeutlicht.<br />
Neben dieser emanzipatorischen Lesart des Clips ist es andererseits auch<br />
möglich, Madonna auf die Sexualität ihres Körpers zu reduzieren, die der Clip<br />
auszubeuten scheint, indem er sie in Posen der Unterwerfung zeigt. Die visuelle<br />
Sexualisierung Madonnas befriedigt demnach gleichermaßen den männlichen Blick,<br />
obgleich dieser die letzte Szene ausblenden muss und damit die Aussage des Clips<br />
reduziert. Diese Möglichkeit der verschiedenen Lesarten ist typisch für Madonna-<br />
Clips und trug erheblich zu ihrer Popularität bei. Die Mehrdeutigkeit ihrer Videos<br />
macht mehrere Lesarten nebeneinander möglich. Es gibt nicht nur eine einzig<br />
richtige Interpretation. Dies wird erreicht durch ein offenes Zeichenangebot und ist,<br />
im Gegensatz zum klassischen Hollywoodfilm, ein typisches Merkmal für die<br />
Gattung Videoclip, wie Claudia Bullerjahn konstatiert:<br />
Eine mehrdeutige Adressierung an den Betrachter, das heißt die Gewährleistung von<br />
Anknüpfungspunkten für seine Erfahrungen und Vorlieben, ermöglicht es jedem<br />
Zuschauer, seine persönliche Interpretation des Musikvideos aktiv bei der Rezeption<br />
zu konstruieren. 83<br />
83 Bullerjahn 2001, S. 219. – Siehe auch Kap. 1.4 und 1.5 dieser Arbeit.<br />
35
So ist es einerseits möglich, dass sich junge Frauen durch diesen Clip angesprochen<br />
fühlen, eine Aufforderung darin sehen, selbstbewusst ihren Weg zu gehen, und dies<br />
unabhängig von konventionellen Vorstellungen, die die hegemoniale Gesellschaft<br />
vorgibt. Andererseits ist es auch möglich, dass ein männlicher Blick Gefallen an der<br />
Präsentation findet, der der feministisch-emanzipatorischen Interpretation<br />
zuwiderläuft. Kritiker, die in Madonnas Videos eine Festigung bestehender<br />
Rollenklischees erkennen, haben sie deshalb seit Beginn ihrer Karriere beschuldigt,<br />
für Promiskuität bei Teenagern einzutreten, die Gier nach Macht und Materialismus<br />
zu fördern und zum Verfall der Familie beizutragen. Feministinnen beschuldigen sie<br />
des Revisionismus, der Wiederbelebung der manipulierten Frau, die sich mit<br />
Koketterie und Künstlichkeit durchbringt. 84<br />
Bei aller Kritik ist allerdings zu bedenken, dass es sich bei Videoclips intentional um<br />
Werbefilme handelt, die darauf abzielen, die Verkaufszahlen des jeweils<br />
angepriesenen Produktes, in diesem Fall der Marke „Madonna“ bzw. ihrer Platten, in<br />
die Höhe zu treiben. „Sex sells“ ist eine Devise, die im 20. Jahrhundert nicht erst in<br />
den 1980er Jahren in den Dienst ökonomischer Interessen gestellt wurde.<br />
Madonna-Clips können also als eine Parodierung des „male-gaze“ aufgefasst<br />
werden. Madonnas Sexualität kann eine Herausforderung oder eine Bedrohung der<br />
vorherrschenden Konventionen von Weiblichkeit und Männlichkeit darstellen. Auf<br />
diese Weise liefert die Sängerin jungen Mädchen und Frauen ein emanzipatorisches<br />
Modell weiblicher Identität, das einen Gegenentwurf zum gültigen, vom männlichen<br />
Blick dominierten, Gesellschaftsbild liefert. 85<br />
Eine besondere Art der Parodie und damit der Macht und Kontrolle über das<br />
eigene Image und die eigene Sexualität liegt nach John Fiske in der wissenden Art,<br />
in der Madonna die Kamera dazu benutzt, sich über konventionelle Darstellungen<br />
weiblicher Sexualität lustig zu machen, während sie sich ihnen gleichzeitig anpasst.<br />
Entscheidendes Machtinstrument Madonnas im Clip zu „Burning Up“ ist der Blick,<br />
der Look, wie Fiske darstellt.<br />
Die Anfangssequenz des Clips zeigt insgesamt 21 Einstellungen, bevor<br />
Madonna singend gezeigt wird, in denen nach Fiske zwei wesentliche Typen von<br />
Bildern eine Rolle spielen: solche des Blickes und solche der Unterwerfung oder<br />
Fesselung. 86<br />
84<br />
National Times 23./29.8.1985, S. 10, zit.n. Fiske 2003, S. 111.<br />
85<br />
Vgl. Fiske 2003, S. 106 f.<br />
86<br />
Vgl. Ebd., S. 116 f.<br />
36
1. weibliches Auge, sich öffnend<br />
2. weiße Blumen, eine öffnet sich [wird hell angeleuchtet, Anmerkung d.V.]<br />
3. weiblicher Mund, geschminkt (wahrscheinlich der von Madonna)<br />
4. ein blaues Auto, die Scheinwerfer gehen an<br />
5. Madonna in weiß, auf der Straße liegend<br />
6. männliche griechische Statue mit leeren Augen [Kopf; Anmerkung d.V.]<br />
7. Goldfisch in einem Glas<br />
8. Nahaufnahme der männlichen Statue, die Augen leuchten auf<br />
9. Halbtotale auf die Statue, die Augen werden immer noch beleuchtet<br />
10. extreme Nahaufnahme auf Auge der Statue, immer noch beleuchtet<br />
11. Kette um einen Frauenhals, so eng, daß sie in das Fleisch einschneidet<br />
12. verschwommene Nahaufnahme von Madonna, mit lose baumelnder Kette<br />
13. Laserstrahl, der heftige Kreise beschreibt und sich kettengleich um weibliches<br />
Handgelenk legt<br />
14. Laserstrahl auf Goldfisch im Glas<br />
15. Madonna, die ihre dunklen Brillen [sic!] abnimmt und gerade in die Kamera blickt<br />
16. Madonna, auf der Straße sitzend<br />
17. Madonna, die dunklen Brillen [sic!] abnehmend<br />
18. Madonna, auf ihrem Rücken auf der Straße liegend<br />
19. die dunklen Brillen [sic!] auf der Straße, ein Auge erscheint in einem der<br />
Brillengläser, grünlich elektronische Effekte verschmelzen zu einem realistischen<br />
Bild des Auges<br />
20. Madonna auf der Straße sitzend, Gesicht zur Kamera<br />
21. Nahaufnahme auf Madonna auf der Straße, sie wirft ihren Kopf zurück 87<br />
Traditionellerweise ― darum hier die Augen der griechischen Statue ― wird der<br />
Blick von Männern als Machtinstrument zur Kontrolle der Frauen eingesetzt. Die<br />
daraus hervorgehende weibliche Unterordnung wird durch Madonnas<br />
Unterwerfungsposen auf der Straße zum Ausdruck gebracht. Der im Glas gefangene<br />
Goldfisch, eine ironische Metapher der Frau, wird durch den männlichen Blick<br />
gefangengehalten. Doch im Laserstrahl erkennt Fiske einen modernen,<br />
unpersönlichen „Blick“, der es der Frau ermögliche, sich von den Ketten, die sie<br />
fesselten, zu befreien. Ebenso vermöge Madonna durch das Singen die Kette um<br />
ihren Hals zu lockern. Wenn sie singt, dass sie sich nach ihrem Liebhaber sehnt und<br />
von ihm wissen möchte, was sie tun soll, um ihn für sich zu gewinnen, zieht sie die<br />
Kette zunächst fester zu, um sie anschließend wieder zu lockern. Es folgt eine<br />
Einstellung, die eine Collage von Männeraugen zeigt, darunter Madonnas singende<br />
Lippen.<br />
So kann nach Fiske der Clip als Veranschaulichung aufgefasst werden, wie<br />
Frauen sich vom männlichen Blick und ihrer Macht befreien können. Die Tatsache,<br />
dass sie die dunkle Brille abnimmt, während sie in die Kamera schaut, also den<br />
87 Ebd., S. 116.<br />
37
Betrachter ansieht, zeige ihre Kontrolle über den Blick, denn wir sähen nur das, was<br />
sie uns gestattete. 88<br />
Der Begriff des Look, über dessen Wirksamkeit Madonna sich bewusst ist, ist<br />
nach Fiske als komplexer Begriff zu verstehen: Zum einen meint er Madonnas Blick<br />
an sich (wie sie andere anschaut, insbesondere die Kamera), zum anderen aber<br />
auch ihren Anblick (Aussehen) und den Blick der anderen auf sie. 89 Traditionell<br />
stand der Blick wie oben bereits erwähnt unter männlicher Kontrolle: So ging Freud<br />
davon aus, dass dies eine „grundsätzliche Art und Weise der Ausübung von<br />
Kontrolle durch eine Ausweitung des Voyeurismus“ 90 darstellt. Madonna<br />
beansprucht diese männliche Kontrolle für sich, denn erst durch die Kontrolle der<br />
Frauen über den Blick ― in jeder der drei oben genannten Weisen ― ist es möglich,<br />
„dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Bedeutungen innerhalb des Patriarchats<br />
erlangen.“ 91<br />
Kontrolle über den männlichen Blick ist demnach eine Form der<br />
Machtausübung, die Madonna für sich in Anspruch nimmt und die sie den jungen<br />
Mädchen, die ihre Clips sehen und ihre Musik hören, anbietet.<br />
Ein weitere Form der Machtausübung erreicht Madonna durch die in den<br />
Musikvideos inszenierte Provokation, die sie durch die Vermischung ursprünglich als<br />
antagonistisch oder als unvereinbar empfundener Komponenten erzeugt. So stehen<br />
im Text des Songs „Burning Up“ religiöser und sexueller Diskurs nicht nur<br />
nebeneinander, sondern werden miteinander vermischt. Zwar scheint das Sexuelle<br />
im Vordergrund zu stehen, doch das Singen vom Niederknien („down on my<br />
knees“) und Brennen, ihrem Mangel an Scham („I have no shame“) und dem Teil in<br />
ihrem Herz, der einfach nicht sterben will („And this pounding in my heart just<br />
won’t die“), lassen den religiösen Diskurs als nicht weniger bedeutend erscheinen.<br />
Diese Vermengung von Sexualität und Religion wird von Madonna von<br />
Anfang an als Provokation gewinnbringend vermarktet:<br />
Die reine Jungfrau Maria und die sündige Maria Magdalena als weibliche Stereotype<br />
des Christentums sind Bestandteile der Selbstinszenierung Madonnas als Synthese<br />
einer zuvor als unvereinbar angenommenen Dualität. 92<br />
88<br />
Vgl. Ebd., S. 117. - Auch der Clip zu „Lucky Star“ beginnt und endet mit einer Einstellung, in der<br />
Madonna eine dunkle Sonnenbrille abnimmt und am Ende wieder aufsetzt, während sie ihren Blick<br />
offensiv in die Kamera richtet, den Blick des Betrachters auf diese Weise kontrollierend.<br />
89<br />
Vgl. Ebd.<br />
90<br />
Ebd.<br />
91<br />
Ebd.<br />
92<br />
Bullerjahn 2001, S. 228.<br />
38
Auch die Bilder dieses ersten Clips weisen ― wenn auch mit Blick auf Madonna-<br />
Clips der folgenden Jahre noch sehr harmlos wirkend ― eine Dualität in der<br />
Inszenierung Madonnas auf: In einem weißen Kleid räkelt sich die Sängerin, die den<br />
Namen einer der höchsten Kirchenheiligen, der Jungfrau Maria, trägt, in deutlichen,<br />
der Erwartungshaltung des Betrachters zuwiderlaufenden, sexuell aufreizenden<br />
Gesten auf der schmutzigen Straße. Auch die von ihr getragenen Accessoires ―<br />
schwarze Kruzifixe als Ohrringe ― erhalten in diesem Zusammenhang den<br />
Charakter eines Sakrilegs: Madonna trägt sie als Modeschmuck. Aus ihrem<br />
ursprünglichen Kontext herausgerissen, verlieren sie somit ihre eigentliche<br />
Bedeutung, was Fiske ― im Hinblick auf die noch folgenden Madonna-Videoclips ―<br />
folgendermaßen formuliert:<br />
Sie nimmt Gegenstände des urbanen Lebens, reißt sie aus ihrem ursprünglichen<br />
sozialen und daher bedeutungsgebenden Kontext und kombiniert sie auf neue Arten<br />
und in einem neuen Kontext, der ihre ursprünglichen Bedeutungen leugnet. 93<br />
So wird nicht nur das Kruzifix zweckentfremdet, sondern auch das gebleichte<br />
blonde Haar mit bewusst zur Schau gestelltem dunklen Ansatz ist nicht länger das<br />
Merkmal für eine „nuttige Schlampe“. Dieses „Herauswinden der Produkte des<br />
Kapitalismus aus ihrem ursprünglichen Kontext und ihre Wiederverwertung zu<br />
einem neuen Stil“ sei, so Chambers, „eine für die urbane Popularkultur typische<br />
Praxis.“ 94 Die Straße produziert eine bricolage des Stils, wobei die Waren<br />
kapitalistischer Gesellschaften nur noch als Signifikanten bestehen: Ihre<br />
ideologischen Signifikate werden abgeschüttelt und in ihrem ursprünglichen Kontext<br />
zurückgelassen. Die sinnentlehrten Signifikanten müssen nicht zwangläufig mit<br />
neuer Bedeutung aufgeladen werden, sie erwerben nicht unbedingt neue<br />
Signifikate. Der Akt der Befreiung aus ihrem ideologischen Kontext bedeutet für<br />
diejenigen Freiheit, die von ihnen Gebrauch machen: „Er bezeichnet die Macht [...]<br />
der Beherrschten, etwa Kontrolle im kulturellen Prozeß der Bedeutungsherstellung<br />
auszuüben.“ 95<br />
Auf eben diese Weise handelt Madonna dadurch, dass sie die Kruzifixe als<br />
Schmuck trägt, und zwar ohne in ihnen ihre religiöse Bedeutung zu sehen, sondern<br />
einfach, weil sie sie dekorativ findet. 96 Madonna bedient sich an Produkten des<br />
93<br />
Fiske 2003, S. 112. - Der Film „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ zeigt deutlich Madonnas Fähigkeit,<br />
Produkte der Bourgeoisie zu verwenden, ihren eigenen Stil zu entwickeln und ihnen damit eine<br />
Bedeutung in ihrem Sinne zu verleihen.<br />
94<br />
Ebd.; vgl. auch Chambers, I.: Popular Culture: The Metropolitan Experience, London 1986.<br />
95<br />
Fiske 2003, S. 113.<br />
96<br />
Dabei ist zu bedenken, dass das Tragen christlicher Symbole bei Madonna sicherlich immer auch als<br />
Provokation zu verstehen ist.<br />
39
Kapitalismus, um einen Stil zu entwickeln, der ihr eigener ist: ein Stil, der<br />
Bedeutung zurückweist und in dieser Zurückweisung seine Macht behauptet, die<br />
darin besteht, sich selbst vom ideologischen Ballast zu befreien, der der Bedeutung<br />
zugrunde liegt. 97 Sie löst den polaren Gegensatz zwischen Jungfrau und Hure auf<br />
und bietet jungen Frauen ein Image, das Sexualität positiv und frauenzentriert<br />
repräsentiert, was durch den ständigen Verweis auf ihre Unabhängigkeit, ihr<br />
„Sieselbst-Sein“ zum Ausdruck gebracht wird. Doch, so stellt Fiske fest, kann eine<br />
solch scheinbar unabhängige, selbstdefinierende Sexualität nur innerhalb und<br />
gegen eine bestehende patriarchale Ideologie wirksam werden. Die Bedeutungen,<br />
vom Patriarchat geliefert, müssen also da sein, damit überhaupt Widerstand<br />
geleistet werden kann. 98<br />
Madonna-Videos, so konstatiert Fiske, beziehen sich immer auf die<br />
Herstellung des Images, sie machen sogar die Kontrolle über die Herstellung zu<br />
einem Teil des Images selbst. Diese Hervorhebung der Herstellung des Images<br />
erlaubt es dem Leser, allen voran dem weiblichen, zu erkennen,<br />
daß die Bedeutungen weiblicher Sexualität ihrer Kontrolle unterliegen können, in<br />
ihrem Interesse hergestellt werden können, und daß ihre Subjektivitäten nicht<br />
notwendigerweise zur Gänze vom herrschenden Patriarchat bestimmt sind. 99<br />
Was Madonna also auch schon in ihrem ersten Video vermittelt, ist das<br />
Aufzeigen der Möglichkeit, Macht und Kontrolle über das eigene Image, die eigene<br />
Imagekonstruktion zu erlangen, entgegen patriarchaler Rahmenbedingungen,<br />
weibliche Unabhängigkeit für sich in Anspruch zu nehmen und selbstbestimmt<br />
Entscheidungen zu treffen. Diese Botschaften, vermittelt durch die Musik und die<br />
Art des Gesanges, verstärkt noch durch die Bilder des Clips, mögen einen Eindruck<br />
davon vermitteln, was in den 1980er Jahren junge Mädchen ― eine unbeachtete,<br />
randständige Gruppe in der Gesellschaft ― in ihrem Sozialisationsprozess an<br />
Madonna fasziniert haben mag. Nicht zuletzt unzählige „Madonna-Wannabes“, die<br />
nach deren künstlerischem Durchbruch die Straßen von Amerika bevölkerten,<br />
können ein Zeugnis darüber ablegen.<br />
Im Hinblick auf die weitere Entwicklung des polaren Nebeneinanders von<br />
religiösem und sexuellem Diskurs, der schon Thema ihres ersten Songs ist, mit<br />
„Like A Virgin“ seinen ersten Höhepunkt erreicht und mit den Clips zu „Justify My<br />
97<br />
Auch Subkulturen verfahren auf diese Art und Weise bei der Herstellung von Bedeutungen. Vgl. Ebd.<br />
98<br />
Vgl. Ebd., S. 110.<br />
99<br />
Ebd., S. 113.<br />
40
Love“ und „Erotica“ teilweise bis ins Groteske geführt wird, wirkt die Inszenierung<br />
in „Burning Up“ noch spielerisch und harmlos, fast kindlich. In diesem ersten Clip<br />
ging es Künstlerin sowie Plattenfirma zunächst darum, das neue Gesicht populär zu<br />
machen. Trotz allem wirken ihr Auftreten, ihre Gebärden sowie ihr ganzes Outfit<br />
provozierend 100 und laufen dem Ideal der Leinwandschönheiten klassischer<br />
Hollywoodfilme zuwider. Mag ihr Outfit zu Beginn des 21. Jahrhunderts harmlos<br />
erscheinen, so muß man sich heute immer wieder den gesellschaftlich-kulturellen<br />
Kontext Amerikas der 1980er Jahre vergegenwärtigen, um ermessen zu können,<br />
welchen Eindruck Madonna bei besorgten Eltern und Kulturkritikern hinterlassen<br />
haben muss.<br />
Bereits dieses erste Album von 1983 hatte Madonna zu einem Markennamen<br />
gemacht. 101 Im Laufe der folgenden Jahre, in denen Madonna mit ihren Clips ― vor<br />
allem durch religiösen Tabubruch 102 ― immer wieder auf sich aufmerksam machte,<br />
sollte sie Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre vor allem durch<br />
sexuelle Provokation auffallen. Der im Folgenden zu analysierende Clip wurde sechs<br />
Jahre nach „Burning Up“ gedreht und vermittelt einen Eindruck davon, wie sehr sich<br />
die Madonna der späten 1980er Jahre von der anfänglichen Girlie-Version<br />
entfernt. 103<br />
2.2 EXPRESS YOURSELF (1989)<br />
Der Song „Express Yourself“ stammt von Madonnas viertem Album, „Like A<br />
Prayer“, das 1989 veröffentlicht und wegen seines „musikalischen<br />
Einfallsreichtum[s]“ 104 erstmals von der Kritik gelobt wurde. Mit diesem Album, eine<br />
100 So wirkt Madonna in diesem Clip wesentlich offensiver und sexualisierter als in dem 1984<br />
produzierten Clip zu „Lucky Star“ (Regie: Arthur Pierson), das sie tanzend in ihrem typischen Outfit und<br />
mit bauchfreiem T-Shirt in schwarzer Kleidung zusammen mit zwei weiteren Tänzern vor weißer<br />
Leinwand zeigt (Clip 02).<br />
101 Vgl. Morton 2002, S. 205.<br />
102 Den größten Skandal provozierte Madonna in dieser Zeit wohl mit ihrem Videoclip zu „Like A Prayer“<br />
von ihrem vierten gleichnamigen Album von 1989. Religiöse Fundamentalisten in den USA und der<br />
Vatikan zeigten sich entrüstet über das Musikvideo, in dem die Sängerin mit erotischen<br />
Körperbewegungen vor brennenden Kreuzen tanzt und einen schwarzen Jesus küsst, woraufhin Pepsi<br />
Cola sich gezwungen sah, einen mit Madonna eingegangenen Sponsorenvertrag zu kündigen. Der Clip,<br />
der nach eigener Aussage der Sängerin eigentlich den Rassismus in den USA anprangern wollte, wurde<br />
in der BRD verboten und auf MTV nur nachts ausgestrahlt. So wurde „Like A Prayer“ wohl auch aufgrund<br />
dieser unfreiwilligen Werbung zu einem ihrer größten Erfolge. Vgl. Ebd., 281 f.<br />
103 Darüber hinaus wird offensichtlich, wie sich durch die Erfahrung mit dem Medium Videoclip und<br />
technische Neuerungen der Clip allmählich zu künstlerisch wertvollen Filmen entwickelt hat.<br />
104 Clerk, Carol: Madonna-Style, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002, S. 80.<br />
41
Co-Produktion von Madonna, Steve Bray und Patrick Leonard, 105 entfernte sich die<br />
Künstlerin deutlich vom Dancefloor und integrierte neue Klangfarben, so dass das<br />
Album insgesamt düsterer und gefühlsbetonter als die bisherigen Alben erscheint.<br />
In der Literatur wird immer wieder der sehr persönliche Charakter der Texte der<br />
neuen Songs hervorgehoben, in denen sie unter anderem ihre zu diesem Zeitpunkt<br />
gescheiterte Ehe mit dem Schauspieler Sean Penn, mit dem sie seit 1985<br />
verheiratet war, ihre Kindheit und ihre Auseinandersetzung mit dem Katholizismus,<br />
den frühen Tod der Mutter 106 , sowie nicht zuletzt das gespaltene Verhältnis zu<br />
ihrem Vater verarbeitete. 107 Symbolisch dafür steht der Titel, „Like A Prayer“, der<br />
wie das Album selbst ihrer Mutter gewidmet ist. 108<br />
Darüber hinaus nimmt das Album in höherem Maße persönliche musikalische<br />
Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend auf, wie sie selbst zum Ausdruck bringt:<br />
In the past my records tended to be a reflection of current influences. This album is<br />
more about past musical experiences. The songs “Keep It Together” and ”Express<br />
Yourself” for instance are sort of my tributes to Sly and the Family Stone. “Oh<br />
Father” is my tribute to Simon and Garfunkel, whom I loved. Also the overall<br />
emotional content of the album is drawn from what I was going through when I was<br />
growing up. 109<br />
Das Cover des Albums (Anhang I, Abb. 04) zeigt nicht, wie die bisherigen Alben,<br />
ein Konterfei der Künstlerin selbst, sondern in provozierend-aufreizender Weise den<br />
unteren Teil ihres nackten Bauches bis zur Hüfte. Madonna trägt eine Jeans, deren<br />
oberster Knopf geöffnet ist und in deren Bund beide Daumen eingehängt sind, so<br />
dass ihre Hände rechts und links über den Hosentaschen zu liegen kommen. An<br />
ihren Fingern stecken zahlreiche goldene Ringe, verziert mit großen farbigen<br />
105<br />
Auch „Prince“ war an dem Text des dritten Tracks des Albums, „Love Song“, beteiligt, einem Duett<br />
zwischen Madonna und ihm.<br />
106<br />
Die Mutter Madonnas, von der sie ihren ersten Namen übernommen hat, starb im Alter von 30 Jahren<br />
am 1. Dezember 1963 an Brustkrebs. Der frühe Verlust ihrer Mutter und seine Verarbeitung ist ein<br />
Element in Madonnas musikalischer Biographie, das immer wieder in Erscheinung tritt („Promise To Try“<br />
auf diesem Album). In ihrem Film „Truth or Dare ― in Bed With Madonna“ (1991) wird dieses<br />
offensichtlich traumatische Erlebnis durch einen Besuch des Grabes der Mutter für ein Millionenpublikum<br />
stilisiert und ausgeschlachtet.<br />
107<br />
Vgl. Bullerjahn 2001, S.211 f.; Clerk 2002, S. 80; Morton 2002, S. 281; – Auch das Verhältnis zu<br />
ihrem Vater ist ein gespaltenes, was damit begann, dass er zwei Jahre nach dem Tod der Mutter wieder<br />
heiratete. Er galt als autoritär und streng katholisch und widersetzte sich Madonnas Entscheidung, ihr<br />
Studium abzubrechen um nach New York zu gehen, womit er ihr jegliche finanzielle Unterstützung<br />
untersagte. Auf ihren ersten Konzerttourneen macht sie diesen Konflikt sogar zu einem Bestandteil ihrer<br />
Show. Vgl. hierzu: Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in:<br />
Bronfen, Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München:<br />
Schirmer/Mosel 2002, S. 207. - Auf diesem Album verhandelt der Song „Oh Father“ zum einen den Tod<br />
der Mutter, zum anderen verweist er auf das problematische Verhältnis ihrem Vater gegenüber.<br />
Bullerjahn spricht gar von einem „Elektra-Komplex“ Madonnas, „der infolge überstarker und<br />
unterdrückter Liebe der Tochter zum Vater entsteht.“ Bullerjahn 2001, S. 231. - Selbst auf dem zuletzt<br />
von Madonna veröffentlichten Album – sie ist inzwischen selbst Mutter - „American Life“ (2003), wird das<br />
Thema im Song „Mother and Father“ erneut verhandelt.<br />
108<br />
Vgl. Morton 2002, S. 281.<br />
109<br />
Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 212.<br />
42
Steinen, eine üppig geschmückte, orientalisch anmutende goldene Kette mit bunten<br />
Perlen hängt über dem Hosenbund. Auf der Rückseite des Covers trägt Madonna ein<br />
großes, mit roten Steinen besetztes Kruzifix an einer Halskette. So zitiert die<br />
Vorderseite von „Like A Prayer“ das weithin bekannte Plattencover des „Rolling<br />
Stones“-Albums „Sticky Fingers“ aus den frühen 1970er Jahren mit Jeansausschnitt<br />
und Reißverschluss, allerdings von Madonna auf ihre sehr persönliche Weise<br />
umgedeutet. 110 Auf diese Weise spielt die Künstlerin mit den Erwartungen des<br />
vornehmlich männlich intendierten Betrachters, dessen Phantasie durch die<br />
angedeutete Enthüllung angesprochen werden soll. Das Cover zur Single hingegen<br />
(Anhang I, Abb. 12), das sie in einer auffordernden Tanzpose zeigt, wirkt<br />
vergleichsweise unspektakulär.<br />
Der Clip zu dem Song „Express Yourself“, mit dem die Sängerin zum 15. Mal<br />
eine Platzierung in den Charts erzielte, wurde in den USA am 1. Mai 1989 erstmals<br />
auf MTV ausgestrahlt, kurz nach dem Skandal-Clip zu „Like A Prayer“.<br />
Ausgangspunkt und Schlusspunkt der Geschichte ist die Kunstfigur<br />
Madonna: Sie ist diejenige, die die Fäden zusammenhält, an deren Enden die<br />
anderen Figuren wie Marionetten zu hängen scheinen. Das Bekenntnis „Express<br />
Yourself“ entspricht dabei dem eigenen, dominanten Rollenverständnis der<br />
Künstlerin: Sie ist eine Frau, die in jeder Situation die Kontrolle behält und sich von<br />
niemandem verunsichern oder sich etwas vorschreiben lässt. Dies sind<br />
Eigenschaften, die sonst eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden.<br />
Wie schon in der Analyse zu „Burning Up“ dargestellt, erkennt John Fiske in dem<br />
Begriff „Kontrolle“ das zentrale Motiv von Madonnas Bildersprache. Madonna<br />
adaptiert hier männliches Rollendenken und männliche Verhaltensmuster, indem sie<br />
selbst die Kontrolle übernimmt: Kontrolle über ihre mediale Repräsentation, ihre<br />
diversen Firmen und, zumindest in ihren Clips, auch über ihre Männer.<br />
Als probates Machtinstrument zur Durchsetzung ihrer Interessen und<br />
Wahrung der Kontrolle dient ihr dabei in erster Linie ihre offensiv zur Schau<br />
gestellte Sexualität. Anders aber als noch zu Beginn ihrer Karriere setzt sie sie in<br />
dieser Phase ihrer künstlerischen Entwicklung auf aggressivere Weise ein: Sie<br />
benutzt sie zur Unterstreichung ihrer eigenen Unabhängigkeit. Gleichzeitig setzt sie<br />
sich in „Express Yourself“ expliziter mit Geschlechterrollen und –grenzen<br />
auseinander und kreiert dabei eine neue, androgyne Figur, die männliche Ratio und<br />
weibliche Psyche in sich vereint. Allein optisch wird der Wunsch nach Macht und<br />
110 Vgl. Clerk 2002, S. 83.<br />
43
Kontrolle durch den sportlichen, durchtrainierten Körper der Künstlerin zum<br />
Ausdruck gebracht. Wirkte Madonna bis Mitte der 1980er Jahre noch sehr<br />
jugendlich und rundlich, so verkörpert sie am Ende des Jahrzehnts die<br />
durchtrainierte Frau, die zeigt, wie hart sie an ihrem Körper gearbeitet hat. Dieser<br />
durchtrainierte Körper ist in Clips wie „Express Yourself“ oder auch „Open Your<br />
Heart” 111 deutlicher Ausdruck eines Machtstrebens.<br />
So offensichtlich der Unterschied zwischen einer „Lucky Star“- oder „Burning<br />
Up“-Madonna und der „Express Yourself“-Madonna aber äußerlich sein mag, so<br />
ähnlich sind sie sich doch in der Grundaussage: Stellte Madonna schon in ihrem<br />
ersten Clip die Dominanz des männlichen Geschlechts in Frage, so stellt auch dieser<br />
Clip bestehende gesellschaftliche Rollenverständnisse in Frage, indem er sie subtil<br />
unterläuft. Dies erreicht sie unter anderem dadurch, dass sie zum Teil sehr<br />
unterschiedliche verschiedene Modelle von Weiblichkeit darstellt, die sich ebenso<br />
mühelos männlicher wie weiblicher Rollenmuster bedienen und je nach Situation<br />
zwischen ihnen hin- und herwechseln. Dieses Spiel mit den Masken, das sie seit der<br />
Veröffentlichung ihres dritten Albums „True Blue“ 1986 systematisch betreibt,<br />
entwickelt sie in dieser Zeit zu ihrem Markenzeichen.<br />
2.2.1 Image<br />
Mit dem Erscheinen ihres Musikvideos zu „Papa Don’t Preach“ 112 , das im Juni<br />
1986 zusammen mit dem dritten Album „True Blue“ veröffentlicht wurde, vollzog<br />
Madonna erstmals einen augenfälligen Imagewechsel, der sich nicht zuletzt an dem<br />
Cover des dritten Albums ablesen lässt (Anhang I, Abb. 03). In diesem Clip<br />
präsentiert Madonna sich mit kurzgeschnittenem, blondiertem Haar, in jungenhafter<br />
Kleidung und mit wenig Schmuck, den sie zusammen mit dem dramatischen Make-<br />
up der Anfangsjahre abgelegt hatte. 113 War sie schon mit dem Clip zu „Material<br />
Girl“ 114 kurzzeitig in ein anderes Image, nämlich das der Filmdiva Marilyn Monroe<br />
geschlüpft, so sollte sie sich von nun an mit jedem neuen Album, fast für jeden<br />
neuen Clip, ein neues Äußeres zulegen.<br />
Ihre Videoclips trugen wesentlich dazu bei, ihr neues Image zu prägen, das<br />
vor allem durch die öffentliche Zurschaustellung von gesellschaftlich tabuisierten<br />
111<br />
Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1986, aus dem Album „True Blue“.<br />
112<br />
Regie: James Foley.<br />
113<br />
Vgl. Clerk 2002, S. 59.<br />
114<br />
Regie: Mary Lambert, 1985, aus dem Album „Like A Virgin“.<br />
44
Themen die amerikanische Öffentlichkeit schockierte. Dabei sollte das vorherige<br />
Girlie-Image nicht komplett abgelegt werden. Vielmehr wurde in dieser Phase die<br />
sexuell-erotische Komponente des bereits etablierten Madonna-Mythos in den<br />
Vordergrund gerückt, vor allem mit dem Ziel der Provokation.<br />
Der Videoclip zum Song „Papa Don’t Preach“, dessen Text die<br />
Schwangerschaft eines unverheirateten Teenagers als unproblematisch darzustellen<br />
scheint, löste eine Kontroverse in Amerika aus, ebenso der vier Monate später<br />
erschienene Clip zu „Open Your Heart“ (Clip 04). Dieser wurde wegen der darin zur<br />
Schau gestellten, aufreizenden Kleidung und der sexuellen Andeutungen<br />
insbesondere von politisch rechtsstehenden Gruppierungen in den USA kritisiert,<br />
ebenso wie die im März 1989 bzw. im Dezember 1990 erschienenen Clips zu „Like A<br />
Prayer“ und „Justify My Love“. 115 So trug nach Curry der Videoclip zu „Open Your<br />
Heart“ „wesentlich dazu bei, Madonnas früheres Starimage als ‚trashy iconoclast’<br />
und ‚Material Girl’ in das einer ‚sexy phallic woman’ umzuwandeln.“ 116 Innerhalb<br />
dieses Clips verändert Madonna sogar mehrere Male ihre äußere Erscheinung. Hier<br />
tritt sie in einem schwarzen Lederkorsett als Striptease-Tänzerin in einer Peep-<br />
Show auf, zunächst mit einer schwarzen Kurzhaarperücke, die sie gleich zu Beginn<br />
abnimmt und sich von nun an mit blondem Kurzhaarschnitt zeigt. Ihr Körper ist<br />
schlank und durchtrainiert und zeigt nur noch wenig von den weiblichen Rundungen<br />
der von ihr noch kurz zuvor verkörperten Marilyn Monroe-Figur. Mit ihrem Äußeren<br />
zitiert sie im Clip mehrere Starimages der Filmgeschichte, wie etwa die von Marlene<br />
Dietrich, Liza Minelli und Rita Hayworth, zum Schluß auch Charlie Chaplins und<br />
Impressionen aus dessen Film „The Kid“. 117 Wie die folgende Analyse zu „Express<br />
Yourself“ zeigen wird, wurde für Madonna das Tragen unterschiedlicher Kleidung<br />
und Frisuren zu einem Spiel mit Masken, die sie nach Belieben verändert.<br />
Das Image der Künstlerin Madonna Ende der 1990er Jahre wird neben den<br />
Kontroversen, die ihre Clips in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgelöst haben,<br />
weiterhin von ihrer schlagzeilenträchtigen Verbindung und anschließenden Ehe mit<br />
Sean Penn, ihrer angeblichen lesbischen Liebesbeziehung mit der bisexuellen<br />
Komödiantin Sandra Bernhard sowie durch das Auftauchen früherer Nacktfotos, die<br />
115<br />
So äußerte sich Margaret Scott von der rechten kalifornischen Gruppe United Parents Under God mit<br />
folgenden Worten über Madonna: „Unsere Kinder werden von Madonna ausgenutzt und manipuliert. Sie<br />
nimmt öffentlich Stellung gegen die Moral. Trotzdem verehren Kinder sie. Sie sollte verboten werden,<br />
um unsere Kinder vor dem Untergang zu retten.“ Zit.n. Bullerjahn 2001, S. 218.<br />
116<br />
Curry 1999, S. 185.<br />
117<br />
Vgl. Ebd., S. 184.<br />
45
in Playboy und Penthouse veröffentlicht wurden, mitbestimmt. 118 Zu Merkmalen<br />
ihres Images hatten sich in den letzten Jahren Eigenschaften wie „selbstsichere,<br />
offen ausgedrückte Sexualität“, „Narzissmus“, „jugendliche Vitalität“ und<br />
„Selbständigkeit“ herausgebildet. 119 Passend zu ihrem „neuen“, durchtrainierten<br />
Körper präsentierte sie sich nun während ihrer Konzerte vornehmlich in Bustiers,<br />
Korsetts, BHs, Bodys und Netzstrumpfhosen, unter denen sie viel nackte Haut<br />
zeigte ― wie etwa auf der „Who’s That Girl“-Tour 1987. 120 Zu ihrem Markenzeichen<br />
wurde schließlich das von dem Modedesigner Jean-Paul Gaultier entworfene,<br />
goldene Korsett, das Madonna während der „Blonde Ambition“-Tour 1990 bei der<br />
Performance zu ihrem Song „Like A Virgin“ trägt. Flankiert wird sie dabei von zwei<br />
Tänzern, die ebensolche spitzbrüstigen, überdimensionalen Korsetts tragen. Die von<br />
Gaultier entworfenen Outfits schienen genau das zu repräsentieren, wofür Madonna<br />
in dieser Phase ihrer Karriere stand: nämlich die Zuschauer zur sexuellen Befreiung<br />
zu ermutigen. Die extremen Kreationen des Modedesigners machten es darüber<br />
hinaus möglich, sie bei ihrem Spiel mit Geschlechterrollen zu unterstützen: Durch<br />
die Überbetonung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale provozierte sie<br />
nämlich nicht nur, sondern erzielte gleichzeitig einen Verfremdungseffekt, vor allem<br />
indem sie ihre männlichen Tänzer mit ebensolchen überdimensionalen Brust-Kegeln<br />
ausstatten ließ. Der Zuschauer sah also die Künstlerin selbst, die sich kurz zuvor<br />
noch als Marilyn-Monroe-Lookalike und somit als eine Ikone der Weiblichkeit<br />
dargestellt hatte, durchtrainiert und mit dem Habitus eines Mannes, während ihre<br />
männlichen Tänzer mit auffälligem Make-up und in Damen-Unterwäsche auftraten.<br />
Ihre Erwartungshaltung wurde also so nicht nur ostentativ durchkreuzt, sondern<br />
darüber hinaus wurden durch diese Darstellung bestehende<br />
Geschlechterunterschiede deutlich in Frage gestellt. 121<br />
2.2.2 Daten zum Clip<br />
Der fast fünfminütige Clip zu „Express Yourself“, bei dem David Fincher 122<br />
Regie führte, lehnt sich in Kulisse und Rollenverteilung an Fritz Langs Stummfilm<br />
118<br />
Vgl. Clerk 2002, S. 59 u. 77.<br />
119<br />
Vgl. Curry 1999, S. 184.<br />
120<br />
Schon im Clip zu „Open Your Heart” zeigt sie sich im schwarzem Korsett mit aufgesetzten goldenen<br />
Spitzen auf den Brüsten und Netzstrumpfhose, entworfen von Marlene Stewart.<br />
121<br />
Vgl. Clerk 2002, S. 84. - Ihre Wandelbarkeit beschränkt sich nicht allein auf ihr Äußeres, auch in<br />
ihren Alben greift sie bis heute immer wieder neue musikalische Trends auf oder recyclet alte. Aus<br />
diesem Grund wechselt sie in regelmäßigen Abständen ihre Co-Autoren und –produzenten, um neue<br />
künstlerische Ideen entwickeln zu können. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217.<br />
122<br />
Fincher wurde im Folgenden mit Filmen wie „Alien 3“, „Seven“, „The Game“, „Fight Club“ und „Panic<br />
Room“ bekannt.<br />
46
„Metropolis“ von 1927 an. 123 Madonna beteiligte sich gegen den Rat ihres<br />
damaligen Managers Freddy DeMann 124 mit einer Million Dollar Eigenkapital an den<br />
Produktionskosten des Clips, der neben dem zu <strong>Michael</strong> Jacksons „Thriller“ zu<br />
einem der teuersten Clips zählt, die je produziert wurden. Dies weist zum einen<br />
darauf hin, wie wichtig der Künstlerin der Clip zu sein schien, zum anderen wird<br />
augenfällig, wie viel Einfluss Madonna sich damit auf die Clipproduktion verschaffte.<br />
Folgendes Zitat bringt diese Tatsache zum Ausdruck:<br />
Bei diesem Video hatte ich den größten Einfluß. Ich habe mich um alles gekümmert<br />
― die Kulissen, die Kostüme, das Make-up, die Frisuren, die Beleuchtung ... einfach<br />
alles. Die Besetzung, die Suche nach der richtigen Katze ― um jedes Detail. Es war,<br />
als würde ich einen kleinen Film machen [...]. Ich hatte ein paar Ideen zum<br />
Szenenaufbau, zum Beispiel die Katze und die Idee mit Metropolis [...]. Genau diese<br />
Atmosphäre wollte ich erreichen, dieses Bild von den Männern ― den Arbeitern, die<br />
fleißig und unbeirrt vor sich hin arbeiten. 125<br />
Der Textinhalt (Anhang II) unterstreicht bestimmte Eigenschaften von Madonnas<br />
Image in dieser Phase ihrer Karriere, nämlich das einer rationalen, autonomen und<br />
pragmatischen Karrierefrau, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt<br />
hatte, was allgemein als kluger und auch notwendiger Schritt im Hinblick auf ihre<br />
eigene Karriere bewertet wurde. 126 Madonna präsentiert sich als eine Frau, die alles<br />
unter Kontrolle hat und dadurch unabhängig wirkt. Inhaltlich beschreibt der Clip<br />
nicht nur den Unterschied zwischen den Geschlechtern, sondern bezieht sich auch<br />
auf die polaren thematischen Pole arm ― reich, Unterdrückung ― Herrschaft. Die<br />
Unterscheidung zwischen Ober- und Unterwelt wird von Madonna im Clip dazu<br />
verwendet, ihre Machtposition zum Ausdruck zu bringen.<br />
Auch in der filmischen Vorlage „Metropolis“ geht es um die Aufteilung der<br />
Gesellschaft in zwei „Klassen“: eine Ober- und Unterwelt, die mit einem Fahrstuhl<br />
miteinander verbunden sind. Auch ist es in Langs Film eine (Roboter-)Frau, die die<br />
Unterwelt aus den Fugen geraten lässt. Die Unterwelt bricht durch die Verführung<br />
der Roboterfrau zusammen, Männer werden zum Objekt der Begierde. Der<br />
entscheidende Unterschied zwischen filmischer Vorlage und Madonna-Clip besteht<br />
darin, dass in „Metropolis“ die Roboterfrau im Auftrag des Mannes agiert,<br />
wohingegen Madonna im Clip in eigener Regie das Geschehen bestimmt, sowohl<br />
123<br />
Bullerjahn vermutet, dass Madonna durch die populärmusikalische Bearbeitung des ursprünglichen<br />
Films durch Giorgio Moroder inspiriert wurde, die Mitte der achtziger Jahre in den amerikanischen Kinos<br />
lief. Darüber hinaus weise der Clip zahlreiche andere intertextuelle Bezüge auf, die allerdings nicht von<br />
annähernd plakativer Wirkung seien. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 239.<br />
124<br />
Freddy DeMann, zuvor Manager <strong>Michael</strong> Jacksons, sollte 15 Jahre lang Madonnas Geschäfte managen.<br />
Vgl. Morton 2002, S. 205 f.<br />
125<br />
Schmiedke-Rindt, Carina: „Express Yourself ― Madonna Be With You”. Madonna-Fans und ihre<br />
Lebenswelt, Augsburg 1998, S. 58.<br />
126<br />
Vgl. Curry 1999, S. 193.<br />
47
intern als zentrale Figur, in deren Hand die Fäden zusammenlaufen, als auch<br />
extern, als Co-Produzentin und Investorin. 127<br />
Gleich in Clip und Film ist die Tatsache, dass die weibliche Sexualität Einfluss<br />
auf die vorhandenen Herrschaftssysteme ausübt. Madonna hat die filmische Vorlage<br />
demnach in ihrem Sinne weiterentwickelt und für ihre Zwecke umfunktionalisiert.<br />
2.2.3 Clipanalyse<br />
Die Anfangseinstellung des Videoclips (Clip 05) zeigt Impressionen einer<br />
blau ausgeleuchteten, hinter dampfenden Nebelschwaden hervortreten Kulisse, die<br />
durch das Nebeneinander von Hochhausfassaden und sich bewegenden<br />
Maschinenteilen gleichzeitig den Eindruck einer Großstadtsilhouette und den eines<br />
Uhrwerksinneren vermittelt. Die Bilder der sich drehenden Maschinenräder und der<br />
Stadt wechseln sich mit kurzen Naheinstellungen von nackten Oberkörpern junger<br />
Männer bei der Bedienung schwerer Maschinen in einer Fabrikhalle ab. Besondere<br />
Aufmerksamkeit gilt einem der jungen Arbeiter mit längerem Haar, Madonnas<br />
späterem Liebhaber.<br />
Die Sängerin erscheint auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue,<br />
die sich auf einem der Hochhäuser befindet. Die Sequenz wird von Nebel eingehüllt<br />
als Schnitt und Trennung zwischen Ober- und Unterwelt. Von dem Adler aus<br />
skandiert die Sängerin ihre Botschaft, die sie an ihr weibliches Publikum richtet:<br />
„Come on girls / Do you believe in love? / ’Cause I got something to say about it /<br />
And it goes something like this”.<br />
Im Folgenden findet eine visuelle Trennung der Kulissen in Ober- und<br />
Unterwelt statt. Der Unterwelt, die Welt der Arbeiter, nass und dunkel dargestellt,<br />
steht die Oberwelt gegenüber, die hell, sauber, fast steril und in kräftigen Farben<br />
dargestellt ist. Dies ist die Welt der weiblichen Protagonistin und des<br />
Fabrikbesitzers, der vermutlich ihren Ehemann darstellen soll.<br />
Aus der Unterwelt steigt der langhaarige junge Arbeiter zu der Protagonistin<br />
in ihre Oberwelt auf, nachdem diese ihre schwarze Katze losgeschickt hat, um den<br />
Arbeiter in ihr Schlafzimmer zu bestellen. Während sich die Frau und ihr Liebhaber<br />
hinter verschlossener Tür vermutlich vereinigen, gerät die Situation in der<br />
127 Einem genauerem Vergleich zwischen filmischer Vorlage und Clip kann an dieser Stelle nicht<br />
nachgegangen werden. Es sei verwiesen auf: Huyssen, Andreas: “The Vamp and the Machine: Fritz<br />
Lang’s Metropolis”, in: Ders: (Hrsg.): After the Great Divide. Modernism, Mass Culture, Postmodernism,<br />
Houndmills u.a. 1986, S. 45-81. - Zum Film „Metropolis“ siehe: Patalas, Enno: Metropolis in/aus<br />
Trümmern. Eine Filmgeschichte, Berlin: Bertz 2001; oder auch: Schenk, Imbert: Dschungel Großstadt:<br />
Kino und Modernisierung, Marburg 1999.<br />
48
Fabrikhalle außer Kontrolle: Die Arbeiter zeigen sich in einem aggressiven<br />
Ringkampf, der als filmische Parallelisierung zum angedeuteten „Ringkampf“<br />
zwischen der Protagonistin und ihrem Liebhaber zu verstehen ist.<br />
Der Clip endet im Stil alter Hollywood-Filme mit einer Art Aphorismus, den<br />
Madonna vor allem ihren Zuschauerinnen, die sie zu Beginn des Clips angesprochen<br />
hatte, nahelegt: „Without the heart there can be no understanding between the<br />
hand and the mind.” 128<br />
Vor der Erstausstrahlung des Clips auf MTV wurde der Song in den USA nach<br />
der Veröffentlichung des Albums im Februar 1989 oft im Radio gespielt, so dass der<br />
Text den meisten Radiohörern geläufig war, bevor die dazugehörigen Bilder von<br />
Madonna nachgeliefert wurden. 129 Nach Ramona Curry kann auf semantischer<br />
Ebene der Text des Songs so verstanden werden, dass das Wichtigste in einer<br />
Liebesbeziehung die geistige und emotionale Kommunikation zwischen den<br />
Partnern ist und die offene Mitteilung von Gefühlen eine wichtige Rolle spielt.<br />
Weiterhin werde auf textlicher Ebene die Idee vertreten, dass eine gute<br />
ökonomische Stellung des Mannes allein nicht ausreicht, um eine Beziehung zu<br />
rechtfertigen. Eine materialistische Einstellung wird von Madonna somit im<br />
Songtext ausdrücklich abgelehnt:<br />
[…]<br />
You don’t need diamond rings<br />
Or eighteen karat gold<br />
Fancy cars that go very fast<br />
You know they never last, no, no<br />
[…]<br />
Long stem roses are the way to your heart<br />
But he needs to start with your head<br />
Satin sheets are very romantic<br />
What happens when you are not in bed<br />
You deserve the best in life<br />
So if the time isn’t right then move on<br />
Second best is never enough<br />
You’ll do much better baby on your own.<br />
chorus:<br />
Don’t go for second best baby<br />
Put your love to the test<br />
You know, you know, you’ve got to<br />
Make him express how he feels<br />
128 An dieser Stelle soll eine skizzenhafte Darstellung des Clipinhaltes genügen, der im Verlauf der<br />
Interpretation noch näher erläutert wird. Eine ausführliche Beschreibung des Clips findet sich bei:<br />
Altrogge, <strong>Michael</strong>: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer<br />
Bedeutung für Jugendliche, Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: Vistas Verlag 2000, S. 91-107.<br />
– Ebenso sei verwiesen auf: Curry 1999, S. 190-198.<br />
129 Vgl. Curry 1999, S. 192.<br />
49
And maybe then you’ll know your love is real.<br />
Express yourself<br />
You’ve got to make him<br />
Express himself<br />
Hey, hey, hey, hey<br />
So if you want it right now, make him show you how<br />
Express what he’s got, oh baby ready or not.<br />
[…]<br />
Das nachträglich gelieferte Bildmaterial allerdings verdeutlicht, dass das Wichtigste<br />
in einer intimen Liebensbeziehung nicht (nur) die zwischenmenschliche<br />
Kommunikation zwischen Mann und Frau ist, sondern vielmehr der Austausch auf<br />
sexueller Ebene, verbaler wie körperlicher Art: Mann und Frau sollen nicht nur in<br />
körperliche Interaktion treten, sie sollen sich auch gegenseitig ihre intimsten<br />
Wünsche mitteilen und sie miteinander ausleben. Dabei steht auch die sexuelle<br />
Leistungsfähigkeit des Mannes im Vordergrund: Eine sexuell aktive und<br />
extrovertierte Frau wünscht sich einen ebensolchen Mann, mit dem sie ihre<br />
Phantasien ausleben kann. Die Zeile „Make him express himself“ erscheint als ein<br />
von einer begehrenden und machtvollen Frau ausgesprochener Imperativ, der<br />
ausdrücklich auf die phallische Leistungsfähigkeit des Mannes abzielt. 130<br />
Mit Blick auf den Text und den zahlreichen Anspielungen, die allein auf<br />
semantischer Ebene gegeben werden, ist es allerdings auch möglich, zu behaupten,<br />
dass der Textinhalt der Bilder die verschlüsselte Botschaft Madonnas lediglich<br />
unterstreicht bzw. konkretisiert, d.h. der Text allein sexuelle Konnotationen<br />
hervorruft. So fordern Textzeilen wie „What you need is a big strong hand / To lift<br />
you to your higher ground / Make you feel like a queen on a throne / Make him love<br />
you till you can’t come down“ eindeutig dazu auf, Forderungen zu stellen, die allein<br />
das Ziel sexueller Befriedigung in den Vordergrund rücken: „Denn alles was du<br />
brauchst, ist eine starke Hand / die dich befriedigt und auf eine höhere Ebene<br />
versetzt / dass du dich wie eine Königin auf dem Thron fühlst / bring ihn dazu, dass<br />
er dich derart in Extase versetzt, dass du nicht mehr herunterkommst (von deinem<br />
Thron, aus der Extase).“ Somit ist allein der Text eindeutig sexuell konnotiert, die<br />
Bilder unterstreichen lediglich die im Songtext schon enthaltene Botschaft und<br />
bestätigen ausschließlich das, was die Textebene verschlüsselt darstellt.<br />
Claudia Bullerjahn 131 vertritt die Meinung, dass die Bilder zu „Express<br />
Yourself“ eine alternative Interpretation des Textes anbieten, die darin besteht,<br />
130 Vgl. Curry 1999, S. 193.<br />
131 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 240 ff.<br />
50
dass nicht die geistige und emotionale Verständigung, sondern die sexuelle<br />
Leistung des Mannes in den Vordergrund einer Beziehung rücken sollte. Im Clip<br />
würden die traditionellen Rollen umgedreht, denn Madonna sei diejenige, die die<br />
sexuelle Befriedigung einfordere und der Mann sei das Objekt ihrer sexuellen<br />
Begierde. Ramona Curry bezeichnet das Musikvideo deshalb als „Parodie der sexuell<br />
differenzierten Darstellungskonventionen, wonach der Mann die sexuelle Lust<br />
empfindet und deren Befriedigung aktiv verfolgt, während die Frau (und nur die<br />
Frau) ein passiver Auslöser und das Objekt der männlichen Lust ist.“ 132<br />
Madonna benutzt die Bilder in diesem Clip dazu, um die gängigen<br />
Rollenklischees umzukehren. Sie fordert die „girls“, denen ihr „Schlachtruf“ zu<br />
Beginn des Clips gilt, dazu auf, sich zu nehmen, was ihnen zusteht. Ihre<br />
Performance als androgyne Marlene-Dietrich-Figur im Tanzstil <strong>Michael</strong> Jacksons<br />
zeigt eine aggressive Form männlicher Sexualität. Macht ist bei Madonna verbunden<br />
mit Sexualität und gebunden an bestimmte sexuelle Muster. Männer werden zu<br />
Marionetten, deren Fäden in der Hand der Protagonistin zusammenlaufen. Die<br />
Katze ― traditionell eines der Begleittiere der Hexe oder Zauberin 133 ― wird von ihr<br />
losgeschickt, um ihr den gewünschten Mann in die Oberwelt zu holen. Der wird auf<br />
diese Weise zum Objekt weiblicher Lust.<br />
Die Katze ist in diesem Clip von zentraler Bedeutung, denn „sie ist die<br />
eigentliche Klammer der Handlung und markiert daher den Anfang (die Katze wird<br />
von Madonna zum Vorarbeiter geschickt [...]) und Abschluß bis zum Eintritt des<br />
Vorarbeiters in das Schlafzimmer Madonnas (der Vorarbeiter setzt die Katze im<br />
Schlafzimmer auf den Boden [...]).“ 134 Die Katze ist außerdem Bestandteil fast aller<br />
Bilder, die den Liebhaber Madonnas zeigen sowie das alter ego Madonnas, die sich<br />
in die Katze verwandelt, um sich in die Unterwelt zu schleichen. Auch die<br />
132 Curry 1999, S. 191 f. - Außerdem wird ein Klassenunterschied akzentuiert, nämlich der zwischen der<br />
in der Oberwelt lebenden, reichen Madonna und den armen, in der Unterwelt lebenden Arbeitern.<br />
Madonna verfügt demnach nicht nur über die sexuelle, sondern ebenso über die materielle Macht.<br />
Darüber hinaus wird in einer Nebenszene angedeutet, dass die (weiße) amerikanische Musikindustrie<br />
schwarze Jazzmusiker ausbeutet, jedoch Madonna nicht beherrschen kann. Gemeint ist hier die Szene,<br />
die den (weißen) Fabrikdirektor vor einer Glaskuppel zeigt, die wie in einer Spieluhr drei schwarze<br />
Jazzmusiker gefangen hält, und die er von seinem Sessel aus durch Knopfdruck auf seiner<br />
Fernbedienung an- und abstellen kann. Die Tatsache, dass es dem Fabrikdirektor offensichtlich nicht<br />
gelingt ― so zeigt es der Clip ―, Madonna ebenso zu beherrschen, lasse auf ihre Unabhängigkeit als<br />
Künstlerin schließen. Vgl. Curry 1999, S. 197.<br />
133 Außerdem gilt die schwarze Katze in der Mythologie auch als Begleiterin oder Gespielin der Hexe und<br />
stellt damit ein antichristliches Symbol dar, womit Madonna auf das immer wieder von ihr verhandelte<br />
Thema des Katholizismus rekurriert. Die Funktion der Katze ist außerdem die der Liebesbotin, die von<br />
Madonna losgeschickt wird, um ihr den Mann zu holen, den sie ausgewählt hat. Darüber hinaus stellt die<br />
Katze die Verbindung zwischen Ober- und Unterwelt her.<br />
134 Altrogge 2000, S. 106.<br />
51
Einstellung, in der Madonna katzengleich über den Boden kriecht, legt diese<br />
Interpretation nahe. Die schwarze Katze und Madonna werden im Clip als<br />
austauschbar dargestellt, womit die Doppeldeutigkeit des Wortes „pussy“, das in<br />
der Umgangssprache auch als Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan<br />
Verwendung findet, auf doppeldeutige Weise visualisiert wird. 135<br />
Liebe wird bei Madonna gleichgestellt mit Sexualität: Liebe ist sexuelle<br />
Befriedigung. Es geht in diesem Clip um das Ausspielen von Rollenklischees der<br />
Geschlechter: Sie persifliert die bürgerlich-romantische Vorstellung von Liebe, die<br />
ihre Erfüllung in der geistigen Vereinigung sieht. Somit ist auch anzunehmen, dass<br />
in einer Zeile wie „you hold the key“ oder „I’ll give you love if you, you turn the<br />
key“ wie in „Open Your Heart“ der Schlüssel als Phallussymbol zu verstehen ist, der<br />
Schlüssel, der benötigt wird, um zu ihrem Herzen zu gelangen. Darüber hinaus<br />
spielt Madonna auf provozierende Weise auf bürgerlich-kleingeistige Vorstellungen<br />
von wirtschaftlichem Wohlstand als Basis einer Beziehung oder Ehe an: Sie sagt<br />
explizit, dass materieller Wohlstand nur ein unzureichender Ersatz für wahre, tiefe<br />
Befriedigung sein kann, sowohl auf körperlicher, als auch auf geistiger Ebene.<br />
Außerdem fordert sie die „girls“ dazu auf, sich nicht aufgrund materieller Interessen<br />
von einem Mann abhängig zu machen, um ihm auf diese Weise die Grundlage<br />
seiner Kontrolle über sie zu entziehen.<br />
Liebe ist in der Vorstellung der Künstlerin selbst immer in erster Linie auch<br />
körperliche Liebe. Dieses Liebeskonzept scheint sie somit auch in „Express Yourself“<br />
zum Ausdruck zu bringen. Jim Albright, ehemaliger Leibwächter und Liebhaber<br />
Madonnas, umschreibt seine einstige Arbeitsgeberin als eine Frau, die<br />
zwischenmenschliche Nähe über körperliche Nähe herzustellen sucht:<br />
[...] Was Madonna am meisten braucht, ist Liebe. Deshalb benutzt sie Sex als eine<br />
Form von Liebe, weil sie eben diese übermächtige Sehnsucht hat, sich geliebt zu<br />
fühlen und Liebe zu empfangen: Liebe ist auf jeder Ebene Madonnas Antriebskraft,<br />
sie will, dass die Fans sie lieben, und sie will, dass die Leute, mit denen sie schläft,<br />
sie lieben. Sie nimmt den körperlichen Vorgang von Sex, egal ob mit einem Mann<br />
oder mit einer Frau, und verwandelt ihn in Liebe. Madonna lebt von der Liebe und<br />
leidet am Hunger nach Liebe. 136<br />
135 Wie die Analyse des Clips zu dem Song „Frozen“ zeigen wird, wird die Transformation Madonnas in<br />
ein tierisches Lebewesen zu einem zentralen Element. Die Gleichstellung Madonnas mit der Katze<br />
verfolgt in diesem Clip allerdings eher das Ziel, erotische Assoziationen, die das englische Wort „pussy“<br />
hervorruft, zu wecken. Dort allerdings erfolgen die Verwandlungen mit dem Ziel, Madonnas<br />
Verbundenheit mit der Natur zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Kap. 2.3 dieser Arbeit.<br />
136 Jim Albright, zit. n. Morton 2002, S. 325.<br />
52
Auch in „Open Your Heart“ – wie in „Burning Up“ – ist Madonna diejenige, die die<br />
Männer dazu bringt, sie zu lieben. Die Zeile „Open your heart, I’ll make you love<br />
me“ drückt auch hier wieder die Bedingungen ihres Liebeskonzepts aus: Öffnest du<br />
dein Herz, dann werde ich dich dazu bringen mich zu lieben. Dabei handelt es sich<br />
immer um einen aktiven Prozess, der Zeitpunkt des Sich-Verliebens wird von ihr<br />
selbst bestimmt, ebenso wie der Mann, den sie lieben wird, von ihr ausgewählt<br />
wird: Sie verfügt mittels Sexualität über die Macht, alle Männer dazu zu bringen, sie<br />
zu lieben. In „Express Yourself“ wird die sexuelle Macht außerdem noch durch ihre<br />
ökonomische Macht über die Männer verstärkt.<br />
Diese Vorstellung widerspricht grundsätzlich dem romantischen<br />
Liebeskonzept, nach dem es das Schicksal zweier durch eine höhere Macht<br />
füreinander bestimmter Menschen ist, vom Pfeil Amors getroffen zu werden, vor<br />
dem es für sie kein Entkommen gibt. 137 Die höchste Form der Liebe ist die<br />
unerfüllte Liebe.<br />
Madonna hingegen funktionalisiert Liebe, um sich Macht zu verschaffen,<br />
weshalb es also auch nicht schwierig ist, sie zu lieben, wie sie in „Open Your Heart“<br />
darlegt: „It’s not that hard, if you just turn the key“. Erfüllte Liebe bedeutet in<br />
Madonnas Vorstellung immer auch ein erfülltes Sexualleben. Die höchste Form der<br />
Liebe ist bei Madonna die höchste Form sexueller Befriedigung.<br />
Madonna verkörpert in „Express Yourself“ sieben verschiedene, zum Teil<br />
androgyne Frauentypen: Zunächst ist sie ein blondgelocktes „Soulgirl“, das ―<br />
göttergleich auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue wie auf dem Olymp<br />
„thronend“ ― in einem violettfarbenen, ärmellosen Kleid ihren weiblichen<br />
Zuhörerinnen ihren Schlachtruf entgegenschleudert. Anschließend sieht sie man sie<br />
als mondäne Dame in einem grünen Abendkleid im Stil der 1930er Jahre, das Haar<br />
ebenfalls blond gefärbt und ― entsprechend dem Stil ihres Kleides ― in<br />
Wasserwellen gelegt. Danach sehen wir die Künstlerin in Dessous und<br />
Seidenstrümpfen, die hinter einem von hinten angeleuchteten Paravent einem<br />
Schattenspiel gleich eine Mischung aus Striptease und Tanz performed, gefolgt von<br />
einer tanzenden, sehr maskulinen, den Marlene-Dietrich-Typ nachahmenden<br />
Frauenfigur: In einem Anzug, unter dem sie lediglich Unterwäsche zu tragen scheint<br />
137 Als klassisches Beispiel hierfür mag Gottfried von Strassburgs „Tristan und Isolde“ dienen: hier<br />
können die Protagonisten und Namensstifter des Epos’ auch nicht ihrer „Bestimmung“ entgehen,<br />
einander zu lieben, so sehr sie sich aufgrund standesbedingter und gesellschaftlicher Grenzen auch<br />
dagegen zur Wehr setzen.<br />
53
und mit einem Monokel, das an einer Kette befestigt ist, imitiert sie ― erkennbar<br />
am inzwischen vielfach parodierten Griff in den Schritt ― eine <strong>Michael</strong>-Jackson-<br />
Performance. Anschließend sieht man die Künstlerin in einem enganliegenden<br />
schwarzen Kleid mit nassem, zerzaustem Haar, wie sie katzengleich auf allen Vieren<br />
unter einen Tisch kriecht, um sich anschließend ― lediglich bekleidet mit einem<br />
Halseisen und einer nicht weniger schweren Kette, die daran befestigt ist ― auf<br />
einem großen weißen Bett unter weißen Seidenlaken zu räkeln. Abschließend sieht<br />
man die Künstlerin dort in Erwartung ihres imaginierten Liebhabers, deren<br />
Nacktheit nur noch durch ein um Schultern und Hüften geschwungenes Bettlaken<br />
verdeckt wird.<br />
Durch diesen Wechsel der Rollen demonstriert Madonna die Kontrolle, die sie<br />
über ihre unterschiedlichen Images hat. Dieser Rollenwechsel verschafft ihr die<br />
nötige Macht, gesellschaftlich determinierte Geschlechterrollen in Frage zu stellen<br />
und für sich als Frau einen Habitus in Anspruch zu nehmen, der eben nicht mehr<br />
geschlechterspezifisch determiniert ist und den eine patriarchal strukturierte<br />
Gesellschaft lediglich dem Mann zugesteht.<br />
Nicoläa Grigat weist darauf hin, dass das „Metropolis“-Zitat nicht nur<br />
dekorative Zwecke zu erfüllen habe: Hierbei handele es sich vielmehr um einen<br />
weiteren „visuellen Fingerzeig auf die Gefährdung eines Herrschaftssystems durch<br />
weibliche Sexualität, da im Film ‚Metropolis’ dieses Thema von zentraler Bedeutung<br />
ist.“ 138 Bezeichnend sei hier das aufgegriffene Element des Molochs, der Allegorie<br />
der „Vagina-Dentata“, dem Sinnbild männlicher Ängste in Bezug auf weibliche<br />
Sexualität. 139 Die Tanzbühne entspreche dem Treppenaufgang als Zugang zum<br />
Moloch der Filmvorlage, auf der Madonna in einem dunklen Anzug erscheint 140 , und<br />
wo sie sich während der Tanzperformance mehrfach ― wie oben bereits erwähnt ―<br />
in den Schritt greift und immer wieder ihr Jackett öffnet, unter dem sie lediglich<br />
einen BH trägt. Am Schluss dieser Szene greift sie sich noch einmal mit einer Hand<br />
zwischen die Beine, während die andere eine Pistole formt, mit der sie einen<br />
imaginären Schuss abfeuert.<br />
138<br />
Grigat, Nicoläa: Madonna Bilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas, Frankfurt<br />
a.M. u.a. 1995, S. 62.<br />
139<br />
Vgl. Ebd., S. 63.<br />
140<br />
Schmiedke-Rindt (1998, S. 80) weißt darauf hin, dass die Tatsache, dass die Knöpfe des Anzugs auf<br />
der linken Seite angebracht sind, den Anzug zu einem weiblichen Kleidungsstück mache, womit Madonna<br />
sozusagen auch in der Kleidung die gleichzeitige Zweigeschlechtlichkeit signalisiere. Auch musikalisch<br />
verweigere sich der Song einem tonalen Zentrum, denn G- und F-Dur stehen gleichberechtigt<br />
nebeneinander, zum Teil ergibt sich sogar eine Polytonalität. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 241.<br />
54
Der Hosenanzug steht für die Kontrolle, die Madonna über ihr Image ausübt.<br />
Die Funktion des Tanzstils ist eine parodistische, denn sie bezieht sich damit,<br />
worauf Curry hinweist, auf <strong>Michael</strong> Jackson, der den männlich-<br />
selbstvergewissernden Griff in den Schritt ― in der Zeichensprache<br />
afroamerikanischer Straßenkultur ursprünglich ein Symbol für extrovertierte<br />
Männlichkeit ― als essentielles Element seiner Bühnenperformance etabliert hat.<br />
Parodistisch ist diese Geste deshalb, weil sie ― ausgeführt von einer Frau mit<br />
eindeutig weiblichen Geschlechtmerkmalen ― männliches Imponiergehabe ad<br />
absurdum führt. Verfremdend wirkt das Zitat darüber hinaus, weil Jackson selbst<br />
eine Parodie der konventionellen Abgrenzung zwischen Mann und Frau darstellt: ein<br />
Mann, der sich ― äußerlich eher wenig maskulin wirkend und sich selbst mehr und<br />
mehr zur Frau stilisierend ― in seiner Performance der klassischen Gesten eines<br />
überzogen-selbstreflexiven männlichen Rollenverständnisses bedient und damit<br />
konventionelle, gesellschaftlich determinierte Geschlechterdefinitionen in Frage<br />
stellt. Madonna parodiert dieses von Jackson bis zur äußersten Grenze getriebene<br />
Image, indem sie ― in Männerkleidung auftretend und einen weiblichen Mann<br />
imitierend ― das Bild einer männlichen Frau entwirft. 141<br />
So kommt Bullerjahn zu dem Schluss, dass „[s]olch Transvestimus [...] als<br />
Kritik an der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtsunterschieden<br />
aufgefasst werden [könnte], allerdings ist auch eine Interpretation als Autoerotik<br />
möglich, da Madonna ebenfalls häufig ihre Brüste berührt.“ 142 Madonna schlüpfe<br />
mit ihrer Hosenrolle symbolisch in die Position des Machthabers und spiele damit<br />
gleichzeitig auf ihr Image als erfolgreiche Geschäftsfrau an. Im Gegensatz zum<br />
klassischen Hollywoodfilm wird die von Madonna dargestellte „femme fatale“ für ihr<br />
Verhalten belohnt und muss nicht untergehen. 143 Grigat weist außerdem darauf hin,<br />
dass Madonna somit auf einer weiteren Ebene ihrem Namen gerecht werde, der<br />
„meine Herrin“ bedeutet.<br />
Und auch in diesem Clip spielt der Blick als Kontrollinstrument ― als<br />
weiterer Beweis für Madonnas Verlangen nach dem Besitz von Macht ― eine Rolle:<br />
So stellt Wieland fest, dass Madonna mit ihrem Monokel, das sie zum Anzug trägt,<br />
die Macht des beobachtenden Mannes unterlaufe, den sie außerdem mit ihrem BH<br />
unter dem Männerjackett konfrontiere. 144 So kann auch die Überblendung von<br />
141 Vgl. Curry 1999, S. 195.<br />
142 Bullerjahn 2001, S. 241.<br />
143 Vgl. Grigat 1995, S. 68.<br />
144 Vgl. Wieland, Karin: „Madonna aus der neuen Welt“, in: Der Alltag 66 (1994), S. 73. (S. 65-80).<br />
55
Madonnas Augen zu Beginn der „Dietrich-Jackson-Tanzszene“ und am Ende des<br />
Clips mit Erscheinen des Mottos als Etablierung des weiblichen Blickes aufgefasst<br />
werden, der sowohl Kontrolle als auch sexuelles Verlangen ausdrücken kann.<br />
Vorwürfe von Feministinnen folgten in Bezug auf Madonnas gefesselte<br />
Erscheinung in den schweren Eisenketten und hinsichtlich der Szene, in der sie wie<br />
eine Katze auf dem Boden unter dem Tisch kriecht und Milch schlürft, denn hierbei<br />
handele es sich um Anspielungen auf klassische „Darstellungskonventionen der<br />
Pornographie.“ 145<br />
Doch tatsächlich entziehen sich die Bilder Madonnas, die zwischen Macht<br />
und Unterwerfung, zwischen Sexualsubjekt und –objekt hin- und herpendeln, einer<br />
eindeutigen Lesart. 146 Durch eine mehrdeutige Adressierung ergeben sich<br />
verschiedenen geschlechtsspezifische Lesarten, wie <strong>Michael</strong> Altrogge in einer<br />
empirischen Untersuchung feststellen konnte. 147 Zum einen könne der Clip als ein<br />
Aufruf zur sexuellen Selbstverwirklichung von jungen Frauen aufgefasst werden,<br />
womit eine emanzipatorisch-feministische Lesart gegeben ist. Diese Lesart ist<br />
vermutlich die von Madonna beabsichtigte, denn in einem Interview behauptete sie,<br />
dass die Aussage des Clips „pussy rules the world“ sei, und eine Frau ― wie der<br />
Text selbst unmissverständlich zum Ausdruck bringt ― sich nicht mit dem<br />
Erstbesten zufrieden geben solle. 148<br />
Zum anderen kann auch der traditionell männliche Blick an diesem Clip ―<br />
wie schon an „Burning Up“ aufgezeigt ― Gefallen finden; doch durch diese<br />
Perspektive verliert der Clip an Komplexität, wird auf einzelne Bilder reduziert, wie<br />
dies auch für den männlichen Blick auf „Burning Up“ dargestellt wurde. Es ist die<br />
Lesart vornehmlich männlicher Jugendlicher, die Madonna lediglich als Sexualobjekt<br />
wahrnehmen und sich ausschließlich an die pornographisch-erotischen Szenen ―<br />
die Künstlerin in Reizwäsche oder nackt und gefesselt im Bett ― erinnern.<br />
Feministinnen, die gerade diese Szenen als äußerst rückschrittlich in Bezug auf<br />
Emanzipationsbestrebungen der Frau bewerten, hält Madonna entgegen, dass das<br />
145 Curry 1999, S. 193.<br />
146 Vgl. Grigat 1995, S. 70 f.<br />
147 Vgl. Altrogge, <strong>Michael</strong>: : “…wo alles drunter und drüber geht”. Zur Ordnung und Wahrnehmung von<br />
Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendkulturen. Inaugural-Dissertation zur<br />
Erlangung des Doktorgrades der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der<br />
Freien Universität Berlin 1996, S. 627-631.<br />
148 Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 242.<br />
56
Anlegen der Ketten schließlich ihre eigene, freie Entscheidung gewesen und ihr<br />
nicht von außen aufgezwungen worden sei. 149<br />
So ist es schließlich die Doppeldeutigkeit der Bilder, die eine mehrdeutige<br />
Adressierung möglich macht und Madonna eine möglichst weitgefächerte Zielgruppe<br />
ihres Clip zusichert. Dabei beschränkt sich die Doppeldeutigkeit der Bilder nicht<br />
allein auf Madonna selbst. So können die muskulösen Arbeiter zum einen die<br />
Wunschvorstellung von Frauen verkörpern. 150 Zum anderen könnte ihre Art der<br />
Darstellung auch einen homosexuellen Blick ansprechen, denn die Ästhetik der<br />
Bilder entspricht der jener Gay-Magazine, die Ende der 1980er Jahre en vogue<br />
waren. So erinnert die Darstellung der Arbeiter in der Fabrikhalle, an deren<br />
muskulösen Oberkörpern Wasser und Schweiß in dicken Perlen herabtropft, nicht<br />
nur an die Szene in „Metropolis“, in der die Stadt überflutet wird, sondern ist „auch<br />
deutlich von Konventionen der zeitgenössischen Gay-Pornographie in den USA<br />
beeinflusst.“ 151 Die Adressierung beschränkt sich also nicht allein auf ein<br />
heterosexuelles Publikum und damit auf heterosexuelle Konventionen. 152<br />
Im Clip tritt Madonna als eine Frau auf, die sowohl in sexueller als auch in<br />
ökonomischer Hinsicht eine Bedrohung für den Mann darstellt. Sie zeigt sich als<br />
eine „femme fatale“, die sich das holt, von dem sie glaubt, dass es ihr zusteht. So<br />
hat Madonna die Sentenz am Ende des Clip an anderer Stelle auch folgendermaßen<br />
kommentiert:<br />
Die grundlegende Aussage des Songs ist, dass, wenn du dich nicht selber offenbarst,<br />
wenn du nicht sagst, was du willst, dann wirst du es auch nicht bekommen. Und die<br />
Unfähigkeit zu sagen, was du fühlst, oder das zu verfolgen, was du willst, hat<br />
schließlich zur Folge, dass du wie ein Gefangener in Ketten liegst. 153<br />
Damit spricht sie dem Song einen appellativen Charakter zu, der junge Frauen dazu<br />
auffordern soll, eigene Bedürfnisse zu artikulieren. Unterstützt wird diese Botschaft<br />
durch die Musik, die gleichzeitig den Rhythmus der Videoschnitte bestimmt.<br />
Insgesamt ist auffällig, dass alle Sequenzen mit hoher Genauigkeit den<br />
musikalischen Formteilen entsprechen, so dass die Dauer der einzelnen Sequenzen<br />
weitgehend von der Länge der musikalischen Formteile bestimmt wird. Gerade der<br />
149<br />
Vgl. Bullerjahn 2001, S. 242.<br />
150<br />
Die Art und Weise, in der die Körper der Männer dargestellt werden, lässt eindeutig einen weiblichen<br />
oder zumindest einen nicht-heterosexuellen Blick erkennen. Wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt,<br />
hatte Madonna entscheidenden Einfluss auf die Produktion dieses Clips, was hier deutlich zum Ausdruck<br />
kommt.<br />
151<br />
Curry 1999, S. 194.<br />
152<br />
Vgl. Altrogge 2000, S. 105.<br />
153<br />
Madonna zit.n. Clerk 2002, S. 83.<br />
57
Anfang des Clips verdeutlicht den Zusammenhang zwischen musikalischem und<br />
Bildschnittrhythmus. 154<br />
Das Verhältnis zwischen Bild und Musik ist demnach sehr eng. Gleiches gilt<br />
für den musikalischen Charakter und die Art, in der Madonna den Song vorträgt,<br />
und die Bildern bzw. Aussage des Songs. Der Sound, der viele funkige Elemente<br />
enthält, wirkt durch den Einsatz eines dichten Bläserapparates äußerst hymnisch<br />
und erhält den Charakter eines musikalischen Statements, womit die Musik die<br />
Aussage des Songs unterstützt. Auffällig ist, dass Madonnas Stimme durch einen<br />
Chor beständig unterstützt wird, wodurch ihre Stimme aufgeladen und sehr kräftig<br />
wirkt und damit dem appellativen Charakter, der Botschaft Madonnas, entspricht.<br />
Im Gegensatz zum Song „Burning Up“, in dem ihre Stimme ― obgleich der Gesang<br />
fordernd vorgetragen wird ― eher isoliert erscheint, wird ihr in diesem Song die<br />
ihrem Status entsprechende Fülle und Wirkkraft verliehen. Was ihre Stimme allein<br />
nicht leistet, wird durch den Computer korrigiert. So scheinen auch Musik und<br />
Stimme im Dienste der Botschaft zu stehen.<br />
Die matriarchalische Machtdemonstration Madonnas in ihrem Clip „Express<br />
Yourself“ basiert auf der Umkehrung der bestehenden patriarchalischen<br />
Herrschaftsstrukturen. So wurde dargestellt, dass durch die Dekonstruktion<br />
bestehender gesellschaftlich vorgegebener Geschlechterrollen der Musikclip<br />
Anknüpfungspunkte sowohl für Hetero- als auch für Homo- und Bisexuelle beiderlei<br />
Geschlechts bietet.<br />
Der 1990 gedrehte Clip zu dem von Lenny Kravitz produzierten Song „Justify<br />
My Love“ 155 (Clip 06) treibt das Spiel mit den Geschlechterrollen noch weiter:<br />
Im Video werden die heterosexuell geprägte Dichotomie Mann/Frau und die<br />
klassischen Definitionen von männlich und weiblich in Frage gestellt, denn kurze oder<br />
verschwommene Einstellungen oder Überblendungen tragen dazu bei, dass<br />
Geschlechteridentitäten unklar bleiben oder die Akteure als androgyn charakterisiert<br />
werden. 156<br />
In diesem Clip, der in einem Pariser Stundenhotel spielt, 157 wird die Unterscheidung<br />
zwischen männlich und weiblich gänzlich aufgehoben und auf ein Rollenspiel<br />
reduziert. Es werden männliche Frauen und weibliche Männer gezeigt, die ― so<br />
Corinna Herr ― „ihre Künstlichkeit durch das Anbringen von Zeichen männlicher<br />
154<br />
Vgl. Altrogge 2000, S. 91 ff.<br />
155<br />
Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1990, aus ihrem ersten „Best Of“-Album „The Immaculate Collection“.<br />
156<br />
Bullerjahn 2001, S. 243, zit.n. Grigat 1995, S. 78.<br />
157<br />
Vgl. Clerk 2002, S. 102.<br />
58
Insignien (Schnurrbart) konterkarieren und betonen [...].“ 158 In diesem Clip wird<br />
die Maskerade bis an ihre extremsten Grenzen geführt, denn „[n]icht nur<br />
Weiblichkeit, sondern auch Männlichkeit ist Maskerade. Die Zeichenhaftigkeit der<br />
Konstruktion beider Geschlechter wird offenbar.“ 159<br />
Darüber hinaus wird hier Sexualität zur Lebensmaxime erhoben: Madonna<br />
selbst verkörpert einen Menschen auf der Durchreise, symbolisiert durch den<br />
Koffer, den sie trägt. Sie kommt in das Hotel, holt sich, was sie braucht, und<br />
verlässt den Ort, augenscheinlich zufriedengestellt. Sie fordert für sich das ein, was<br />
nach konventionellen Vorstellungen der Männerwelt vorbehalten ist, nämlich<br />
Sexualität auch außerhalb der im konservativen Amerika einzig akzeptierten<br />
Gesellschaftsinstitution, die dem ― natürlich heterosexuellen ― Geschlechtsakt<br />
vorbehalten ist, der Ehe, zu praktizieren, ins Bordell zu gehen, seine sexuellen<br />
Wünsche zu artikulieren und sie auszuleben. So nimmt Madonna, wie auch in<br />
„Express Yourself“, für sich dasselbe Recht in Anspruch, das sonst nur Männern<br />
zugesprochen wird: Sie ist selbstbestimmt und nimmt ihr Recht wahr, ihre<br />
sexuellen Phantasien unbeirrt von gesellschaftlichen Konventionen und ohne Angst<br />
vor Tabubrüchen auszuleben. Daher lautet auch das Motto des Songs, das von<br />
Madonna selbst innerhalb des Songs gesprochen und am Ende des Clips noch<br />
einmal eingeblendet wird: „Poor is the man whose pleasures depend on the<br />
permission of another“ (wobei „man“ vermutlich doppeldeutig als „Mann“ und<br />
„Mensch“ verstanden werden kann!).<br />
Dass Madonna Liebe mit körperlicher Liebe gleichstellt ― was bereits bei der<br />
Analyse des Clips „Express Yourself“ herausgestellt wurde ― wird hier auf die<br />
Spitze getrieben. Der Titel des Songs, „Justify My Love“, und das angeführte Motto<br />
haben die Funktion, die im Clip dargestellte sexuelle Freizügigkeit zu<br />
rechtfertigen. 160<br />
Dass das amerikanische Publikum über einen solchen Clip entsetzt war, mag<br />
nicht verwundern. So verweigerte auch der Musiksender MTV die Ausstrahlung des<br />
158 Herr, Corinna: „Madonnas Maskeraden im Kontext von Gender und Hermetik“, in: Hochschule für<br />
Musik und Theater Hannover/Beyer, Kathrin/Kreutziger-Herr, Annette (Hrsg.): Musik. Frau. Sprache.<br />
Interdisziplinäre Frauen- und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover,<br />
Herbolzheim: Centaurus Verlag 2003, S. 350. – So wird in einer Szene gezeigt, wie sich das androgyne<br />
männliche Pärchen gegenseitig Schnurrbärte aufmalt.<br />
159 Ebd.<br />
160 Vgl. Ebd. – Wie man sich denken kann, wurde der Clip besonders von Homosexuellen positiv<br />
aufgenommen. So haben diese und andere Clips erheblich dazu beigetragen, dass Madonna außerdem<br />
zu einer Ikone der gay community geworden ist. Vgl. Volkmann, Laurenz: „Madonna und postmoderne<br />
Identitätskonstruktionen: Die Warenlogik der Unterhaltungsindustrie“, einzusehen in:<br />
http://www.gradnet.de/papers/pomo2.archives/pomo99.papers/volkmann99.htm, Zugang: 28.04.2005.<br />
59
Clips, was Madonna aber lediglich noch mehr Publicity verschaffte. Ihre Reaktion<br />
auf die Zensur bestand darin, die erste Video-Single, die überhaupt je produziert<br />
wurde, herauszugeben. Wie öffentlichkeitswirksam Skandale sein können, zeigt sich<br />
hier auf augenfällige Weise: Die Video-Single war so erfolgreich, dass sie sich<br />
800.000 mal verkaufte. 161 Das Ergebnis der Kontroverse um ihren Clip war, dass<br />
„Justify My Love“ und das dazugehörige Best-Of-Album, „The Immaculate<br />
Collection“, auf den oberen Plätzen der CD- und Videocharts landeten. 162<br />
So war Madonna zu Beginn der 1990er Jahre zu einem Sexsymbol avanciert.<br />
1991 ließ sie schließlich den Videofilm „Truth Or Dare ― In Bed With Madonna“ 163<br />
folgen, einer Dokumentation ihrer „Blond Ambition Tour“: Darin scheint sie allein<br />
durch Titel und Cover des Videos ― es zeigt sie in lasziver Pose mit schwarzen<br />
Dessous auf weißer Satinbettwäsche, mit Marilyn-Monroe-Frisur und<br />
rotgeschminkten Lippen ― eine ungenierte Zurschaustellung ihrer intimsten<br />
Ansichten und Momente zu versprechen. Das 1992 erschienene, und an das<br />
skandalträchtige Image anschließende Album „Erotica“ durfte wegen seines<br />
eindeutig zweideutigen Covers (Anhang I, Abb. 05) teilweise nur in einer<br />
zusätzlichen Verpackung verkauft werden. 164 Es folgte die Veröffentlichung ihres<br />
Buches mit dem Titel „Sex“, einer „publicityträchtige[n] Ausstellung ihres nackten<br />
Körpers in pornographischen Gesten“ 165 zur Unterstützung des parallel<br />
erschienenen Albums „Erotica“. Der 1993 in den Kinos laufende Film „Body Of<br />
Evidence“ 166 , in dem Madonna die Hauptrolle spielte und der aufgrund zahlreicher<br />
Sexszenen Madonnas Wunsch, sich als seriöse Schauspielerin zu etablieren, eher<br />
abträglich war, wurde bei Kritikern zu einem Misserfolg.<br />
So schien Mitte der 1990er Jahre das Thema Sexualität für Madonnas<br />
künstlerische Produkte ausgereizt und eine Phase der Madonna-Müdigkeit machte<br />
sich breit: Das Publikum war übersättigt mit Madonna-Bildern, die nichts mehr über<br />
ihre Künstlerin zu erzählen wussten, was nicht schon erzählt worden wäre.<br />
Offensichtlich war es Madonna nicht mehr möglich, den eingeschlagenen,<br />
exhibitionistischen Weg weiterzugehen, weil es nichts mehr zu zeigen gab, wie ein<br />
Journalist in einer Artikelüberschrift zum Ausdruck bringt: „Alles gezeigt, was es zu<br />
161 Vgl. Morton 2002, S. 284.<br />
162 Vgl. Clerk 2002, S. 102.<br />
163 Regie: Alek Keshishian.<br />
164 Vgl. Volkmann.<br />
165 Wicke 1998, S. 266.<br />
166 Regie: Ulrich Edel.<br />
60
zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen Film ― der<br />
Markenartikel ‚Madonna’ ist out.“ 167<br />
Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt daher die<br />
Sängerin in der Phase nach den körperbetonten Exzessen. In der darauffolgenden<br />
Phase sollte sie sich von der Künstlichkeit entfernen und Natürlichkeit in den<br />
Vordergrund rücken. Die Madonna am Ende der 1990er Jahre zeigte sich mit einem<br />
vollständig neuen Image, das sie weiser und integrativer darstellen sollte. So schien<br />
die Zeit des Brüskierens und Posierens vorbei zu sein. Im Vordergrund stehen nun<br />
Ernsthaftigkeit und Authentizität, Glaubwürdigkeit, Tiefe und Bewusst-Sein statt<br />
Schein, was anhand der Analyse des Clips zum Song „Frozen“ dargestellt werden<br />
soll. Madonna behält weiterhin die Macht über ihr Image, die Kontrolle verschafft<br />
sie sich nun durch Lebensweisheit und die Verbundenheit mit der Natur.<br />
2.3 FROZEN (1998)<br />
„Madonna, Mond und Sterne“ betitelte die taz am 13. März 1998 ihren<br />
Artikel zum neu erschienenen Madonna-Album „Ray of Light“. Und weiter heißt es:<br />
Das Material Girl wohnt hier nicht mehr: Zum neuen Album „Ray of Light“ ist<br />
Madonnas Künstlichkeit einer künstlichen Natürlichkeit gewichen. Der Sound ist<br />
Sphäre und Raum, und über allem liegt ein Hauch Esoterik: Statt Sex setzt es<br />
Kitsch, Kabbala und Liebe. 168<br />
Mit der Veröffentlichung ihres siebten Albums im Frühjahr 1998, das von Madonna<br />
selbst als ihr bestes bezeichnet wird, 169 gelang es der Künstlerin nach einer langen,<br />
auch kommerziell weniger erfolgreichen Phase, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen.<br />
Das Album, „das New-Age- und Weltmusik-Einflüsse integriert und Ambient und<br />
Trance als aktuelle Tanzmusik-Stile mit älteren verknüpft“ 170 , wurde von Kritikern<br />
hoch gelobt und brachte ihr vier Grammies ein, unter anderem einen für das beste<br />
167<br />
Pfister, René: „Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen<br />
Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out“, in: SonntagsZeitung vom 14. Februar 1993, S. 18.<br />
168<br />
Blümner, Heike: „Madonna, Mond und Sterne“, in: taz Nr. 5481 vom 13.03.1998, S. 15.<br />
169<br />
Vgl. Bullerjahn 2001, S. 213.<br />
170<br />
Ebd. - Hatte sie auf ihrem Album „Bedtime Stories“ (1994) schon einen sehr europäischen Sound mit<br />
zeitgemäßen Trance- und Ambient Dance-Rhythmen abgegeben (der Song „Bedtime Story“ ist von Björk<br />
geschrieben), geht das Album „Ray Of Light“, für das sie mit Patrick Leonard, Mario de Vries und dem<br />
britischen Ambient-Produzenten zusammen gearbeitet hat, diesen Weg konsequent weiter. Es ist ein<br />
elektronisches Album, durchzogen von verspielten Effekten, die die Handschrift eines William Orbit<br />
tragen, „so dass es zirpt, raschelt, hallt, surrt und knarzt ohne Unterlass.“ Blümner 1998.<br />
61
Popalbum. Der Song „Frozen“ 171 , eine der Single-Auskopplungen des Albums, war<br />
Madonnas erster Nummer-1-Hit in England seit „Vogue“ im Jahre 1990.<br />
Wie das oben angeführte taz-Zitat andeutet, legte Madonna sich passend<br />
zum neuen Album auch ein neues Image zu, das im Vergleich mit dem der „Sex“-<br />
Phase nicht gegensätzlicher hätte ausfallen können. Mit ihrem 1994 erschienen<br />
Album „Bedtime Stories“ hatte sie ein letztes Mal mit ihrem Image als Sexsymbol<br />
kokettiert: Cover (Anhang I, Abb. 06) und Booklet zeigen sie in einer modernen<br />
Marilyn-Monroe-Dita-Parlo-Version mit Nasenpiercing, roten Lippen, schwarz<br />
umrandeten Augen und blondgelocktem kurzen Haar in weißem Négligé auf einem<br />
großen, türkisfarbenen, plüschigen Bett.<br />
Mit der Veröffentlichung ihres Balladenalbums „Something To Remenber“<br />
(1995) und der Rolle der Evita Peron in Allan Parkers Verfilmung des Webber-<br />
Musicals „Evita“, das 1996 in die Kinos kam, entfernte sie sich mehr und mehr von<br />
ihrem alten Image. Nach ihrer ersten Schwangerschaft und der Geburt ihrer<br />
Tochter Lourdes im Oktober 1998 entdeckte sie Ende der 1990er Jahre den<br />
Buddhismus und kurz darauf die Kabbala-Lehre für sich. Die Boulevardpresse stellte<br />
Madonna in ihrer neuen Rolle als liebevolle und glückliche Mutter dar, die ― vom<br />
Vater des Kindes getrennt lebend ― als bewusster single parent ihre Tochter<br />
großzog. 172 Auf der Suche nach Erneuerung und neuen Wegen entdeckte sie<br />
gleichzeitig einen neuen Modetrend, den sie mit ihrem Album „Ray Of Light“ und<br />
den jeweiligen Videoclips verbreitete: „Ray Of Light“ (Anhang I, Abb. 07)<br />
präsentiert eine in sich ruhende und Zufriedenheit ausstrahlende Madonna mit<br />
langem, gelocktem, naturblond wirkendem, im Wind wehenden Haar und einem<br />
schillernden, hellblauen Kleid. Im Booklet wird eine tanzende Madonna mit offenem<br />
Haar abgebildet, Sensualität und Neubeginn suggerierend. Sexualität wird hier nur<br />
noch auf sehr subtile Weise angedeutet: „Ihre künstliche Künstlichkeit ist einer<br />
künstlichen Natürlichkeit gewichen: Madonnas neuer Look wäre perfekt für eine<br />
Werbekampagne für Parfüms mit den Namen ‚Joy’, ‚Sun’, ‚Life’ oder ‚Optimism’.“ 173<br />
Von der „femme fatale“ der früheren Jahre hat sie sich verabschiedet, in die Stelle<br />
von sexueller Erfahrungen tritt Lebenserfahrung, geprägt durch eine neue Form von<br />
Esoterik und Spiritualität. So sieht nach Heike Blümner das Cover des Albums so<br />
aus, „wie geschmackvolle Menschen sich visualisiertes ‚positives Denken’<br />
171<br />
„Frozen“ wurde produziert von Madonna und Patrick Leonard.<br />
172<br />
Vgl. Volkmann.<br />
173<br />
Blümner 1998.<br />
62
vorstellen: sehr, sehr sauber und ordentlich sind die Fotos auf krisp-blauen<br />
Hintergrund gelegt.“ 174<br />
Die Trance-Ballade „Frozen“ steht damit ganz im Zeichen ihres neuen<br />
Images, dass sich die Sängerin während ihrer ersten Schwangerschaft zugelegt hat.<br />
Der dazugehörige Videoclip ― 1998 von Chris Cunningham 175 produziert ― zeigt<br />
Madonna von einer dunklen, mystischen Seite. Das Cover zur Single (Anhang I,<br />
Abb. 13) zeigt das Portrait der Künstlerin in der der Tendenz des Albums folgenden,<br />
harmonischen Atmosphäre vor einem okkafarbenen, Wärme suggerierenden<br />
Hintergrund. Somit wird ersichtlich, dass das im Clip dargestellte Image als nur<br />
eine Facette ihrer neu definierten Künstlerpersönlichkeit angesehen werden darf,<br />
auf das im folgenden Kapitel explizit eingegangen werden soll. Die Analyse des<br />
Clips soll sich dem anschließen.<br />
2.3.1 Image<br />
Mit ihrem neuen Image als glückliche alleinerziehende Mutter bewegte sich<br />
Madonna weg von der Sexualisierung und hin zu einer Sensualisierung. Eine neue<br />
Ernsthaftigkeit prägte ihre Wirkung nach außen, gepaart mit beinahe als archaisch<br />
zu bezeichnender Mütterlichkeit. Dies bedeutete gleichzeitig das Ende von grotesker<br />
Übersteigerung oder Karikierung des verwendeten kulturellen Zeichensystems. Das<br />
Spiel mit den Erwartungen und der Reiz an der Provokation sind Kategorien wie<br />
Ernsthaftigkeit, Sinnfälligkeit und Authentizität gewichen. 176<br />
So sind nicht nur ihr Album, sondern auch ihre Videoclips durchzogen von<br />
esoterischem Gedankengut, von kabbalistischen, buddhistischen und<br />
konfuzianischen Glaubenslehren bis hin zu südostasiatischen Lebensweisheiten, die<br />
sich auch stilistisch niederschlagen, z.B. in der Art der Kleidung, bestimmten<br />
rituellen Gebährden, traditionell definierten, artifiziellen Zeichen und einem stark<br />
reduzierten Make-up, um nur einige Aspekte zu nennen. Äußerlichkeiten stehen<br />
weiterhin im Vordergrund, daneben aber gewinnen inhaltliche Aspekte zunehmend<br />
an Gewicht. Das Bild der betont extrovertierten Kunstfigur früherer Clips, die ihre<br />
174 Ebd.<br />
175 Cunningham, britischer Regisseur für Videoclips, Werbeclips und Videokunst, ist u.a. bekannt<br />
geworden mit Videoclips für Leftfield („Africa Shox“), Autechre („Second Bad Vilbel“), Portishead („Only<br />
You“), Björk („All is Full Of Love“) oder für Aphex Twin („Come to Daddy“, „Windowlicker“ und „Monkey<br />
Drummer“).<br />
176 Bei aller „Natürlichkeit” handelt es sich natürlich auch bei diesem „neuen“ Image um eine mediale<br />
Inszenierung, die nur bedingt etwas mit der natürlichen Privatperson Madonna zu tun hat, da es sich ja<br />
auch bei der „neuen“ Madonna um ein „Markenprodukt“ handelt, dessen mediale Wirkung genauesten<br />
kalkuliert ist.<br />
63
erotische Ausstrahlung offen zu Markte trug und die ihren Sexappeal als höchstes<br />
Kapital einsetzte, wird abgelöst von einer deutlich zurückgenommenen<br />
Künstlerpersönlichkeit, die augenscheinlich das Interesse an der Provokation<br />
verloren hat und mehr an inhaltlichen denn an äußerlichen Veränderungen<br />
interessiert zu sein scheint. Wirkte die Künstlerin vorher hart und kompromisslos,<br />
erscheint sie nun weicher, warmherziger und verständnisvoller. Was vorher auf<br />
Konfrontation hinauslief, zeigt sich jetzt als Einsicht, Güte und Gelassenheit.<br />
Die Sängerin, die sich nun öffentlich mit dem Namen ihres mystischen alter<br />
ego „Veronica Electronica“ ansprechen ließ, 177 hatte den Schritt vom Körperlichen<br />
zum Spirituellen vollzogen, „in Madonnas Fall also vom Material Girl zur ätherischen<br />
Mutter“ 178 , eben so, wie es die Lehre der Kabbala 179 vorgibt. So handeln die<br />
Songtexte des Albums „Ray Of Light“ auch nicht mehr von sexueller Befreiung,<br />
sondern predigen Lebensweisheit, zelebrieren Mutterglück und erzählen von den<br />
Schattenseiten einer Starexistenz. Die Anfangszeilen des ersten Songs „Drowned<br />
World / Substitute For Love“ können als Motto des Albums gelesen werden: „I<br />
traded fame for love / Without a second thought / It all became a silly game /<br />
Some things cannot be bought“. Der dazugehörige Videoclip 180 (Clip 08), in dem<br />
„Madonna ihr nicht immer erfreuliches Leben als Star, ständig auf der Flucht vor<br />
Paparazzi [reflektiert]“ 181 , zeigt eine Madonna, die erstmals Authentizität zu<br />
suggerieren und das Spiel mit den Masken aufgegeben zu haben scheint. Doch die<br />
Bilder des Videoclips zu „Frozen“ machen deutlich, dass die Künstlerin auch Ende<br />
der 1990er Jahre weiterhin mit Weiblichkeitsinszenierungen spielt.<br />
2.3.2 Clipanalyse<br />
Der Clip (Clip 07) zeigt Madonna in einer Wüste als eine mystische Gestalt,<br />
die sich abwechselnd in einen oder mehrere schwarze Raben oder einen schwarzen<br />
177<br />
Vgl. Morton 2002, S. 377.<br />
178<br />
Ebd.<br />
179<br />
Hebr. „Überlieferung“. Seit dem 13. Jh. Name der jüdischen Mystik, die sich als esoterische Lehre der<br />
Juden in eigenen Schulen von Spanien und Südfrankreich aus verbreitet hat. Die Kabbala ist eine<br />
Sammlung überlieferter jüdischer, mystischer Texte, die auf dem Sohar-Text basieren, einer 2000 Jahre<br />
alten Schrift. „Die Kabbala erklärt die Beziehungen zwischen dem Selbst, Gott und dem Universum und<br />
betont dabei das Bedürfnis nach Frieden und Harmonie zwischen dem Physischen und dem Spirituellen.“<br />
Morton 2002, S. 375 f. - Das Kabbalazentrum, eine Organisation mit Zweigstellen in der ganzen Welt,<br />
hat mit Rabbi Philip Berg, einem ehemaligen Versicherungsvertreter, eine „Kabbala Light“-Version<br />
entwickelt, die in den USA inzwischen einen Kultstatus erlangt hat. Die anziehende Wirkung dieser<br />
mystischen Lehre auf Madonna besteht nach Andrew Morton darin, dass sie ihr eine „spirituelle<br />
Begründung, einen metaphysischen Kontext für die Kernwerte und Überzeugungen, die sie bisher<br />
angetrieben haben“ liefert. Ebd., S. 176 f.<br />
180<br />
„Drowned World / Substitute For Love“, 1998, Regie: Walter Stern.<br />
181<br />
Bullerjahn 2001, S. 219.<br />
64
Hund verwandelt, während sie von der Liebe singt, die es nur geben könne, wenn<br />
man bereit sei, sein Herz zu öffnen. 182<br />
Der Clip beginnt mit einer Kamerafahrt über einen ausgedorrten<br />
Wüstenboden, erkennbar an der harten lehmigen Erde, die von einem Geflecht aus<br />
tiefen Rissen durchzogen ist und den Eindruck höchster Trockenheit hinterlässt. Das<br />
Licht ist bläulich-kühl, die Wüste erscheint vollkommen unbelebt. Am weiten<br />
Horizont erscheint über den Boden schwebend mit gesenktem Kopf eine reglose<br />
schwarze Gestalt, eingehüllt in von kräftigen Windstößen aufgeblähte schwarze<br />
Tücher und schwarzen, weiten Gewändern.<br />
Am Ende des Intros ist die Kamera bei der fokussierten Gestalt<br />
angekommen und zeigt sie beim Singen der ersten Strophe. Der obere Teil ihres<br />
hüftlangen, glatten schwarzen Haares ist am Hinterkopf kunstvoll<br />
zusammengesteckt, das Gesicht wirkt blass und kaum merklich geschminkt. Die<br />
Figur trägt einen weiten, seidig glänzenden, bodenlangen schwarzen Rock. Der<br />
schwarze Tüll der Ärmel lässt die Blässe ihrer Haut erahnen, die Rücken und<br />
Decolleté unverhüllt freilegen. Im Kontrast zu dem muskulösen und mitunter<br />
maskulinen Auftreten der Künstlerin Anfang der 1990er Jahre wirkt sie hier deutlich<br />
angreifbarer, weicher und verletzlicher. Der durch exzessives Fitnesstraining<br />
gestählte Körper und der Habitus der Unnahbarkeit sind einem zwar noch immer<br />
kraftvollen und sehnigen, aber weitaus natürlicherem Erscheinungsbild gewichen:<br />
Er dokumentiert auf körperlicher Ebene die Abkehr der Künstlerin von der reinen<br />
Äußerlichkeit als Zeichen von Vitalität und Leistungsfähigkeit und die Hinwendung<br />
zu einem veränderten Körperbewusstsein, das den Körper nicht mehr nur als<br />
„Ausstellungs-Objekt“ begreift, sondern als Teil einer Einheit, als „Gefäß“ und<br />
Ausdruck der Seele. Die Figur in „Frozen“ hat nichts mehr von dem vorlauten<br />
Mädchen der „Girlie Show“: Ihr Blick ist gesenkt, wirkt beinahe verunsichert und<br />
suchend und weicht der Kamera aus, während sie das Motto des Songs vorträgt:<br />
„You only see what your eyes want to see / How can life be what you want it to be /<br />
You’re frozen / When your heart’s not open.” (Anhang II) Dabei bewegt sich ein<br />
schwarzes Tuch ― verwirbelt vom Wind ― in schlängelnden Bewegungen über den<br />
Wüstenboden auf sie zu, bis es schließlich in ihren Händen liegt.<br />
182 Der 350 000 Dollar teure Clip wurde in der Mojave-Wüste, im Südwesten der USA, gedreht.<br />
Ursprünglich waren vier Drehtage geplant, doch wegen Regengüssen musste der Dreh nach zwei Tagen<br />
abgebrochen werden. Durch digitale Nachbearbeitung konnte Cunningham das Material allerdings retten.<br />
Vgl. Beier, Lars-Olav/Wellersdorf, Marianne: „Die Entfesselung der Kamera“, in: Der Spiegel 1/2004.<br />
65
Mit Einsetzen des Refrains kippt ihre Gestalt in Richtung Kamera und<br />
zerschellt auf dem Wüstenboden in viele schwarze Einzelteile, die als Raben in alle<br />
Richtungen davonfliegen. Im Anschluss erscheint die Figur wiederhergestellt, aber<br />
verdreifacht, als eine mystische „Madonna Selbdritt“: Nebeneinander stehend bzw.<br />
auf dem Boden kauernd befinden sich entsprechend drei zeitlich<br />
aufeinanderfolgenden Phasen oder drei Facetten einer Persönlichkeit drei<br />
identische, schwarzgekleidete Frauengestalten, die der Reihe nach in die Kamera<br />
singen, sich von ihr abwenden und auf den Wüstenboden sinken.<br />
In der zweiten Strophe findet eine weitere Verwandlung statt: Die in sich<br />
versunken scheinende Figur, die ― eine fast vollkommene tänzerische Einheit mit<br />
dem sie umspielenden schwarzen Tuch bildend ― mit trancehaften, ästhetische<br />
Perfektion anstrebenden Tanzbewegungen ihr imaginäres Gegenüber zu<br />
beschwören scheint, nimmt schließlich die Gestalt eines großen, schwarzen Hundes<br />
an. Der Dobermann, in seiner hochgewachsenen und athletischen Erscheinung ein<br />
Sinnbild maskuliner Eleganz und Schönheit, wirkt durch seine Stärke gleichzeitig<br />
bedrohlich und einschüchternd wie majestätisch und würdevoll: In weiten,<br />
kraftvollen Sprüngen bewegt er sich auf die Kamera zu, die seinen geraden, einen<br />
imaginären Punkt am Horizont fixierenden Blick einfängt.<br />
Die zweite Wiederholung des Refrains zeigt wieder die mystische Gestalt, die<br />
ihre tanzartigen, kraftvollen Bewegungen vollführt, das schwarze Tuch immer in<br />
den Händen, das sie um ihren Körper windet und unter anderem dazu benutzt, die<br />
Transformierung ihrer menschlichen Gestalt in eine andere visuell zu unterstützen.<br />
Das auf die zweite Wiederholung des Refrains folgende Intermezzo,<br />
dominiert von Streichern und orientalisch anmutend in der Melodieführung, zeigt<br />
die Wüste zunächst menschenleer: Wolken ziehen am Himmel entlang, der<br />
Einbruch der Nacht wird in Zeitraffer dargestellt. Schatten der Wolken fallen auf<br />
den trockenen Wüstenboden, vor dem sich verdunkelnden Himmel zeichnen sich<br />
Sterne ab und vermitteln Impressionen wie aus einem „Märchen aus 1001 Nacht“.<br />
Die Frauenfigur schwebt ― eingehüllt in flatternde Tücher, die sie wie schwarze<br />
Flammen umspielen ― in den Himmel, als fast ätherische, körperlose Erscheinung.<br />
Der Hund ― gebannt von dem imponierenden Naturschauspiel und angezogen von<br />
der gleichzeitig herrisch-gebieterischen und lockenden Geste der Frauenfigur, die<br />
ihn zu sich zu rufen scheint ― fixiert sie mit smaragdgrünen Augen und lenkt den<br />
Blick des Betrachters so in das Zentrum des Geschehens: die Veränderungen, die<br />
sich anschließend vor dem Horizont der Wüstenlandschaft abspielen. Im weissen,<br />
66
kalten Licht des Mondes erscheinen die Bilder nun noch düsterer als zuvor. Die<br />
Frauenfigur wirkt in ihrer Unnahbarkeit und schwarzen Erscheinung bedrohlich,<br />
einem Vampir gleich durch die Dunkelheit schwebend, wie eine stillschweigende<br />
Verbündete mit den imaginären Mächten der Finsternis. Sie ist nicht mehr<br />
menschliches Wesen, sondern schwarze Magierin, Hexe, Göttin der Nacht, Dämon,<br />
oder einfach ein Alptraum in der Nacht, um nur einige menschliche Angstphantasien<br />
zu zitieren. In der nächsten Einstellung wird aus dem Himmel der Wüstenboden,<br />
aus dem Madonna mit ihren Händen das Wasser saugt.<br />
Mit wieder einsetzender Strophe ist die Kamera auf Madonna gerichtet, die<br />
nun auf dem Boden kniet, den Oberkörper nach vorn gelehnt, in einer<br />
Demutsgeste, oder aber als Ausdruck ihrer Erdverbundenheit.<br />
Beim Refrain erscheint sie wieder in der dreifachen Version, in<br />
Dreiecksformation mit den Rücken einander zugeordnet. Die Figuren führen<br />
kontrollierte, langsame Bewegungen durch, schreiben mit ihren Händen Zeichen in<br />
die Luft. In den letzten Einstellungen erscheint sie spinnengleich. Sie kniet auf dem<br />
Boden, der Oberkörper ist nach vorn übergebeugt und mit ihren hennabemalten<br />
Händen und den dunkel lackierten Nägeln scharrt sie in der trockenen Erde.<br />
Auffällig ist in diesem Clip wieder, wie in den bisher betrachteten Clips auch,<br />
wie stark die Formteile der Musik die Struktur des Clips bestimmen: Mit jedem<br />
neuen Formteil verändern sich die Bilder. Die Visualisierung der Musik erscheint<br />
außerdem als eine direkte Übersetzung des Sounds, was Cunningham durch die<br />
Kamerabewegung, die fließend scheinenden Übergänge zwischen den einzelnen<br />
Einstellungen, surrealistische Motive, die Farbgestaltung und die Wahl der Kulisse<br />
erreicht. Wirkt die Musik allein schon bedrohlich durch den pulsierenden Beat, „kalt“<br />
durch den Techno-Sound und sphärisch durch die Streicher ― vor allem in dem<br />
kurzen, orientalisch anmutenden Intermezzo, das durch die Glissandi und den<br />
unregelmäßigen Rhythmus die Bodenhaftung zu verlieren scheint ―, so<br />
unterstreichen die Bilder ihren mystisch-entrückten Charakter. Visuell umgesetzt<br />
werden diese Assoziationen in der über den Boden schwebenden, „ätherischen“<br />
Frauengestalt vor dem nächtlichen Sternenhimmel. Die Kälte wird erzeugt durch die<br />
mit kühlen Farben ausgeleuchtete Kulisse, die Trockenheit und Leblosigkeit der<br />
menschenleeren Wüste, die dunkle Erscheinung der Frauengestalt und der Blick<br />
ihrer eisblauen Augen, ihre Transformationen und die Symbole, die Assoziationen<br />
wie Angst und Bedrohung hervorrufen.<br />
67
Darüber hinaus entspricht das Tempo der Bilder dem balladenhaften<br />
Charakter des Songs. „Frozen“ ist ein langsamer Clip. Die wenigen Schnitte wirken<br />
weich durch Überblendungen, Morphing und langsame Kamerafahrten, die den Blick<br />
des Betrachters leiten. Die Bilder vermitteln den Eindruck von Ruhe, womit sie der<br />
Erscheinung Madonnas als ein in sich ruhendes, autarkes Wesen entsprechen.<br />
Auch Madonnas Stimme ist der Botschaft und dem Charakter des Songs<br />
angepasst: Sie wirkt klar und ungeschützt in den Strophen, im Refrain unterstützt<br />
durch Streicher und Chor. Sie ist weich und natürlich, alles andere als aufgeladen<br />
und aggressiv wie in „Express Yourself“, aber bestimmend. Die Stimme entspricht<br />
damit der körperlichen Erscheinung der Sängerin, die, obgleich sehr viel zarter,<br />
dennoch kraft- und energiegeladen wirkt.<br />
Madonna zeigt sich in diesem Clip als die Weise, als Magierin, die auf ihren<br />
Händen magische Symbole trägt und mit der Natur in tiefer, ursprünglicher<br />
Verbindung steht: Sie ist Herrscherin über die Elemente, die den Tag zur Nacht<br />
machen kann und das Wasser aus der scheinbar ausgetrockneten Erde zieht. 183<br />
In diesem Clip geht es um die Abkehr vom puren Materialismus und<br />
einseitiger Diesseitsbezogenheit, kurz, einer hedonistischen Lebensweise. Madonna<br />
vollzieht den Schritt von der vita activa zur vita contemplativa, durch den der Blick<br />
auf das Wesentliche geschärft werden soll und bei dem inhaltliche Werte im<br />
Vordergrund stehen. Der Tod scheint in diesem Clip allgegenwärtig, der Topos des<br />
memento mori durchdringt die Sprache der Bilder, hervorgerufen durch die<br />
Symbolik (s.u.). So ruft Madonna die Zuhörer bzw. Betrachter dazu auf, ihre Zeit<br />
nicht mit „hate and regret“ zu verschwenden und sich von materialistischen<br />
Interessen zu distanzieren („You’re so consumed with how much you get“).<br />
Auch in diesem Clip betreibt Madonna ein Spiel mit der Androgynie, doch<br />
steht nicht mehr das Körperlich-Sexuelle im Vordergrund. Androgynie wird hier als<br />
ein Spiel mit dem Verwischen der Grenzen zwischen den Geschlechtern verstanden.<br />
Die Protagonistin verwandelt sich in einen Hund und einen Raben, beides Tiere, die<br />
bestimmte Assoziationen wecken und über symbolhafte Bedeutungen verfügen. So<br />
gilt der schwarze Hund als das Symbol des Wächters der Unterwelt. Der Hund als<br />
183 Nicht nur aufgrund der visuellen Effekte ― wie etwa das Aufsaugen des Wassers mit ihren Händen<br />
aus dem Wüstenboden ― erinnert der Clip an die 1992 von Bram Stroker neuverfilmte Version von<br />
„Dracula“ mit Anthony Hopkins, Winona Ryder und Keanu Reeves. Denn auch Madonna zeigt sich in ihrer<br />
Fähigkeit, die Elemente zu beherrschen, ihren Körper zu verlassen, ihrer Transformationsfähigkeit in<br />
Tiere, „vampirgleich“.<br />
68
die zivilisierte Form des Wolfes ist ein Dobermann, ein Symbol für Macht,<br />
ausgedrückt durch seinen athletischen Körperbau. Durch seine maskuline und<br />
heroische Erscheinung strahlt er Macht, Dominanz und Kontrolle aus, was zusätzlich<br />
durch seine smaragdgrünen 184 Augen zum Ausdruck gebracht wird. Auffällig sind<br />
diese Augen deshalb, weil es sonst im Clip keine Farbe gibt. Doch die Farbe grün,<br />
die traditionell für die Hoffnung steht, ist hier fluoreszierend, kühl und stechend,<br />
der Blick des Hundes durchdringend und bedrohlich. So könnte die Verwandlung der<br />
Frauenfigur in einen Hund ― wie oben bereits erwähnt ― ihre männlichen Anteile<br />
zum Ausdruck bringen, ebenso wie ihren Willen nach Macht.<br />
Der Rabe kann unterschiedliche symbolische Funktionen erfüllen: Verkörpert<br />
er im Glauben vieler Völker einen Unglücks- und Seelenvogel oder gilt als<br />
Personifikation des Teufels, so wird er auch als kluger und beratender Begleiter des<br />
Menschen angesehen (aber auch der Hexe). Allgemein steht er für den Tod, aber<br />
eben auch für Weisheit. 185 Madonna bedient sich in diesem Clip der<br />
Doppeldeutigkeit, die das Bild des Raben impliziert. Zum einen erinnert er daran,<br />
dass der Tod allgegenwärtig ist, wenn alles erfriert, weil man sein Herz nicht öffnet.<br />
Zum anderen steht er für die (Lebens-)Weisheit, die Madonna für dieses Image für<br />
sich in Anspruch nimmt. Daß die Frauenfigur sich in viele davonfliegende Raben<br />
transformiert, kann als Indiz für ihren Facettenreichtum und ihre geistige<br />
Beweglichkeit angesehen werden. Sie ist lebenserfahrener und weiser geworden,<br />
versteht sich als Botschafterin der Wahrheit.<br />
Madonna stellt sich als Naturphänomen dar, sie bewegt sich mit den<br />
Elementen, d.h. sie folgt den Bewegungen des Windes. Sie ist Teil der Natur,<br />
vereint sich mit ihr und zieht ihre Energie aus ihrer Umgebung. Diese<br />
Wandelbarkeit, das Auflösen der Grenzen zwischen Mensch und Tier, die Belebung<br />
von leblosen Dingen (Tuch) wird hier zum Ausdruck von Macht. Sie ist wandelbar<br />
und anpassungsfähig. Gleichzeitig wirkt sie wie ein autarkes Wesen, das nur für<br />
sich selbst steht.<br />
Die Bilder des Clips werden von dunklen Farben dominiert. Madonna hat<br />
schwarzes Haar, trägt schwarze Kleidung, Raben und Hund sind schwarz, die Nacht<br />
ist schwarz. Schwarz ist die Farbe des Todes, der Trauer und des feierlichen<br />
Ernstes, des Geheimnisvollen, Gesetzwidrigen und Bösen. Die Nacht ist darüber<br />
184 Auch hier gibt es wieder einen Verweis auf das Märchenhafte, Surrealistische: Smaragde gibt es in<br />
den Märchen von 1001 Nacht. Grün ist eine magische Farbe, auch die Farbe von Absinth.<br />
185 So bringen im germanischen Mythos die Raben Huginn und Odin Nachrichten aus aller Welt. Bei den<br />
nördlichen Stämmen der Nordwestamerikaner spielt der Rabe Yelch die Rolle des Kulturheroes, der den<br />
Menschen die Sonne bringt, und die eines listenreichen Tierhelden.<br />
69
hinaus traditionell weiblich konnotiert. Sie spiegelt die dämonische Seite der<br />
Weiblichkeit wieder, wie auch ganz deutlich in diesem Clip zum Ausdruck gebracht<br />
wird. Die dämonische Seite Madonnas in diesem Clip wirkt sowohl kraftvoll, mächtig<br />
und verführerisch, als auch rätselhaft.<br />
In diesem Videoclip wird ein anderes Bild von Weiblichkeit inszeniert, als<br />
das, was bislang von Madonna entworfen wurde. Die Frau wird als mystisches,<br />
weises Wesen dargestellt. Erfolgte ihre Selbstbestimmtheit zuvor in Bezug zu<br />
Männern, die von Männern dominierte Welt, so zeigt sich das gesamte Album „Ray<br />
of Light“ unabhängig vom anderen Geschlecht. Sex steht nicht im Mittelpunkt,<br />
sondern die Einkehr, die Lebensweisheit. Auch hier wird Macht verhandelt, doch auf<br />
eine andere Art. Madonna demonstriert ihre Stärke nun durch Weisheit. Wurde<br />
zuvor ihre Macht und Stärke auf andere projiziert, benötigt sie nun kein männliches<br />
Gegenüber mehr, um ihre Macht zu demonstrieren. Sie vereint, wie schon zuvor<br />
auch, männliche und weibliche Anteile in sich. Ende der 1990er Jahre tut sie dies<br />
allerdings weniger plakativ und aggressiv, sondern in einem übergeordneten<br />
mystischen Systemzusammenhang.<br />
Macht wurde zuvor immer in Relation zum Äußeren dargestellt, als das<br />
Unterjochen von anderen, mit dem Fokus auf das, was sie umgibt. In der Wüste, in<br />
der der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist, verkündet sie geistige<br />
Autarkie, die explizite Abkehr vom Fleisch in einer lebensfeindlichen Umgebung.<br />
Textzeilen wie „give yourself to me“ oder „you hold the key“ erwecken in diesen<br />
Clip keinerlei sexuelle Konnotationen. Denn im Vordergrund steht nun die<br />
Betrachtung der Liebe als eine geistige Vereinigung.<br />
Die verschiedenen Facetten, die sie zuvor auf viele Personen verteilt hat,<br />
vereint sie hier. Doch auch dies ist wieder eine Maske, und zwar die Maske von der<br />
geistig herrschenden Frau. Mit dem Album „Ray Of Light“ hat sich ein Bruch in der<br />
Symbolik vollzogen, doch sind die Bilder ebenso symbolgeladen wie zuvor; die<br />
Sprache ist allerdings eine andere.<br />
Mit Erscheinung ihres folgenden Albums „Music“ im Jahre 2000 erfuhr ihr<br />
Image wieder eine Umakzentuierung. Die Millenium-Madonna zeigt sich nach<br />
Mutterschaft und Meditationsphase wieder sehr viel extrovertierter und glamouröser<br />
als die „Ray Of Light“-Madonna. Der „Veronica Electronica“ folgt die „Lady<br />
<strong>Madonna”</strong>, das neue alter ego mit Platz in der britischen Gesellschaft. „Sie hat jetzt<br />
70
die englische Aristokratie im Sinn und will ihr Image verändern. Sie will jetzt eine<br />
Lady werden und die Vergangenheit vergessen.“ 186<br />
Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt ein<br />
weiteres Modell von Weiblichkeit, das wenig gemein hat mit der neuen „Mrs.<br />
Ritchie“, die mit der Gesellschaft konform zu gehen scheint. Die Analyse des 2001<br />
gedrehten Clips „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass das Thema um<br />
Macht und Kontrolle weiterhin Madonnas visuelle Inszenierungen bestimmt, wieder<br />
in einer anderen Variation.<br />
2.4 WHAT IT FEELS LIKE FOR A GIRL (2001)<br />
Der Song „What It Feels Like For A Girl” 187 ist die dritte und letzte<br />
Singleauskopplung aus Madonnas achtem, im Jahre 2000 erschienenen Album<br />
„Music“, dem ersten Madonna-Album, was außerhalb der USA aufgenommen wurde.<br />
Der dazugehörige Clip, bei dem der britische Regisseur Guy Ritchie 188 , mit dem sie<br />
seit Dezember 2000 verheiratet ist, Regie führte, löste aufgrund der darin zur<br />
Schau gestellten Brutalität eine heftige Kontroverse über Gewaltdarstellungen in<br />
den Medien aus. Der Musiksender MTV, der „Haussender“ Madonnas, beschränkte<br />
sich deshalb in den USA auf eine einmalige Ausstrahlung des Clips im Rahmen einer<br />
kritischen Berichterstattung über den Dreh. 189<br />
Das Album „Music“, das Madonna gemeinsam mit William Orbit und dem<br />
franco-schweizerischen DJ Mirwais Ahmadzai produzierte, steht wieder mehr in der<br />
Tradition ihrer Anfangsjahre: Die Songs sind funkiger und weniger ätherisch als die<br />
des letzten Albums. Euro-Dancebeats bestimmen den Grundton und geben eine<br />
Mischung aus French-Disco, leichtem Pop, Folk und Electronica.<br />
Doch im Vordergrund der Rezensionen stand wie immer die Kommentierung<br />
ihres neuen Looks, der mit den dazugehörigen Clips via MTV weltweit verbreitet<br />
wurde. Das bekannteste Accessoire, was zum Markenzeichen dieser Phase wurde,<br />
war ihr Stetson-Cowboyhut, mit dem sie ― vergleichbar mit dem Beginn ihrer<br />
Karriere ― einmal mehr einen „Trend“ setzte. „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“,<br />
betitelt die Berliner Zeitung ihren Artikel zur Neuveröffentlichung des Albums. 190<br />
186 Ed Steinberg, zit. n. Morton 2002, S. 401.<br />
187 Produziert von Madonna, Guy Sigsworth und Mark „Spike“ Stent.<br />
188 Regisseur von „Bube, Dame, König, grAs“ („LOCK, STOCK AND TWO SMOKING BARRELS“), GB 1998;<br />
und „Snatch ― Schweine und Diamanten“ („SNATCH“), USA 2000. Ritchie ist außerdem der Vater ihres<br />
zweiten Kindes Rocco, das im Jahr 2000 geboren wurde.<br />
189 Vgl. Netzeitung. http://www.netzeitung.de; Zugang: 19.03.2001.<br />
190 Böker, Carmen: „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, in: Berliner Zeitung vom 25.09.2000.<br />
71
2.4.1 Image<br />
Auf ihrem Albumcover (Anhang 1, Abb. 08) zeigt sie sich in einer<br />
glamourösen Cowgirl-Kostümierung, mit blondem ― im Vergleich zu „Ray Of Light“<br />
um einige Nuancen hellerem ―, schulterlangem lockigen Haar, einem<br />
breitkrempigen, hellblauen Cowboyhut, einer dunkelblaufarbenen, glänzenden und<br />
mit Pailletten bestickten Bluse und einer dunklen Denimhose, auf deren Taschen<br />
Strasssteine appliziert sind (Rückseite des Covers). Das ganze äußere<br />
Erscheinungsbild des Album wird dominiert von Cowboy- und Westernmotiven,<br />
symbolischen Accessoires, die wesentlicher Bestandteil der rassistischen und<br />
sexistischen Kultur sind, die sie als Künstlerin einst so vehement ablehnte.<br />
Überhaupt scheint es, als habe Madonna mit diesem Album begonnen, sich von<br />
ihrer Vergangenheit zu verabschieden. So ist nach Andrew Morton ihr Videoclip zu<br />
dem Song „Music“ (Clip 09), in dem sie in einer Stretchlimousine mit zwei<br />
Freundinnen aus ihrer New Yorker Anfangszeit durch die Stadt fährt, als „eine<br />
liebevolle Hommage und ein Abschiedsgruß an ihre Vergangenheit“ 191 zu verstehen.<br />
Diese These wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die Künstlerin im Clip ― wie in<br />
einem Kampf gegen das eigene, ungeliebte Image der Vergangenheit ― als<br />
Comicfigur Leuchtreklamen und Schriftzüge ihrer eigenen Produktionen angreift und<br />
somit symbolisch wie in einem „Rundumschlag“ ihre ungeliebten alter egos<br />
bekämpft, die sich nicht mehr in ihr neues, bürgerliches Selbstverständnis<br />
einfügen: „Cherrish“ (1988), „Rain“ (1992), „Borderline“ (1982), „Bad Girl“ (1992)<br />
und „Material Girl“ (1984), um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu passt auch,<br />
dass Madonna zur gleichen Zeit bei öffentlichen Auftritten begann, sich von ihrer<br />
Vergangenheit zu distanzieren 192 .<br />
So entsteht der Eindruck, als habe die neue „Lady Madonna“, wie die<br />
Zeitschrift Rolling Stone sie in ihrer Ausgabe vom Oktober 2000 bezeichnete, nichts<br />
mehr gemein mit der gegen bestehende gesellschaftliche Konventionen<br />
rebellierenden Künstlerin der vergangenen 18 Jahre, die sich als Verfechterin der<br />
Interessen von gesellschaftlichen und nationalen Randgruppen wie Homosexuellen,<br />
191 Morton 2002, S. 370. – Denn in der Tat ist diese Szene im Clip eine Reminiszenz an die frühen<br />
achtziger Jahre, als Madonna mit ihren ersten Erfolgen in den Clubs New Yorks auftrat und anschließend<br />
in einer Limousine, die die Plattenfirma stellte, mit ihren Freundinnen um die Häuser zog. Vgl. Ebd., S.<br />
201.<br />
192 So habe Madonna, der bei einer Fernsehshow ihr erster MTV-Auftritt mit „Like A Virgin“ präsentiert<br />
wurde, mit der rhetorischen Frage geantwortet: „Kannst du dir vorstellen, dass ich mir ein altes Paar<br />
Strumpfhosen in die Haare gewickelt habe“, womit sie diese ganze Inszenierung, die ihr doch letztlich<br />
den gewünschten Erfolg gebracht hat, „auf den Status eines ‚Fernsehulks’ herabgestuft“ habe. Ein<br />
solcher Auftritt erscheine als eine Verleugnung ihrer Vergangenheit, ihrer Musik, sogar ihrer früheren<br />
Persönlichkeit. Vgl. Ebd., S. 370.<br />
72
Nicht-Weißen und jungen Frauen verstanden hatte. Nach der „bürgerlichen<br />
Wende“ 193 in ihrem Privatleben war es in den letzten Jahren um Madonna ruhiger<br />
geworden. Das Bild in der Presse und das, was sie bei offiziellen Anlässen<br />
präsentierte, war stets das einer glücklichen Mutter und Ehefrau, die mit Ehemann<br />
und Kindern ein zurückgezogenes Leben auf einem englischen Landgut führt und<br />
offensichtlich „erwachsen“ geworden ist, wie Andrew Morton schlussfolgert:<br />
Offenbar hat sich Madonnas ständig präsentes Alter Ego von der „Dita Parlo“, der<br />
goldzähnigen Domina ihrer „Erotica“- und Sex-Ära, in die gute alte Mrs. Ritchie ―<br />
wie sie auf eigenen Wunsch jetzt heißt ―, eine pflichtbewusste Ehefrau und Mutter<br />
verwandelt. 194<br />
Und weiterhin heißt es:<br />
Die Frau, die einst die Titelseite des Playboy schmückte, ist jetzt eher auf Good<br />
Housekeeping zu finden, eine Mutter, die Tugenden von Vollwerternährung,<br />
„liebevoller Strenge“ und Fernsehverbot preist. 195<br />
Die Analyse des Clips zum Song „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass<br />
auch die Figur „Mrs. Ritchie“ offensichtlich wieder nur eine von Madonnas<br />
unzähligen Imagevariationen darstellt. Im Clip zeigt sie sich allerdings in der Rolle<br />
einer Rächerin an der Männerwelt, die darstellt, wie groß die Bedeutung<br />
permanenter gesellschaftlicher Unterdrückung und männlicher Gewalt für Frauen<br />
und Mädchen ist und welche dramatischen Folgen sie haben kann. Das Thema<br />
Macht und Kontrolle bestimmt dabei weiterhin ihre künstlerische Arbeit. Die Analyse<br />
des vorliegenden Clips, die in einem zugleich narrativen als auch analysierenden<br />
Verfahren vorgenommen werden soll, erfolgt deshalb in einer ausführlicheren Form<br />
als die der vorangegangenen, da darin ein Diskurs über ein zeitgenössisches<br />
Geschlechterrollenmodelle geführt wird und ein starker aktueller Zeitbezug gegeben<br />
ist.<br />
2.4.2 Clipanalyse<br />
Der Clip (Clip Nr. 10) zeigt Madonna in der Rolle einer sich als Auftragkillerin<br />
gebenden Frau, die in einem muscle car „eine Spur der Vernichtung hinter sich<br />
herzieht, um am Schluss bei einem Frontalzusammenstoß zu sterben.“ 196<br />
193<br />
Geuen, Heinz/<strong>Rappe</strong>, <strong>Michael</strong>: „Chromatische Identität und Mainstream der Subkulturen. Eine<br />
audiovisuelle Annäherung an das Stilphänomen Madonna am Beispiel des Songs ‚Music’“, in: Helms,<br />
Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences ― Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo,<br />
Bielefeld: Transcript Verlag/ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 31, 2003, S. 51.<br />
194<br />
Morton 2002, S. 369.<br />
195<br />
Ebd.<br />
196<br />
Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 47.<br />
73
2.4.2.1 Clipbeschreibung<br />
[0’00’’] Die ersten Einstellungen des Clips zeigen die Sängerin Madonna in einem<br />
Motelzimmer im Stil der 1950er Jahre, dunkelbraunem, billigem Mobiliar, braunem<br />
Teppichboden, hellen Wänden, einem cremefarbenem Überwurf auf einem breiten<br />
Bett, an dessen Fußende die Sängerin sitzt, die Unterarme auf die Oberschenkel<br />
gestützt, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, so dass ihr Gesicht nicht zu sehen<br />
ist. Sie ist bekleidet mit einem schwarzen BH und einem dunkelblauen Overall, der<br />
nur bis zur Hüfte hochgezogen ist. Ihre Oberarme sind muskulös und sehnig, auf<br />
ihrem linken Unterarm ist eine Tätowierung zu erahnen. Ihre Sitzposition ist<br />
„männlich“, Körper und Körpersprache wirken androgyn. Ihre Haare sind glatt,<br />
kinnlang, von hellblonden und dunklen Strähnen durchzogen.<br />
Links neben ihr auf dem Bett liegt ein Paar schwarzer Handschuhe, hinter ihr<br />
ein silberner Hartschalenkoffer. Auf den beiden Nachttischen rechts und links<br />
neben dem Kopfende des Bettes befindet sich je eine Lampe, beide sind<br />
eingeschaltet. Auf dem rechten Nachttisch (vom Betrachter aus gesehen) befindet<br />
sich ein altes grau-weißes Telefon, eine Toilettenpapierrolle und einige weitere<br />
Utensilien, die aber nicht deutlich zu erkennen sind. Eine Standbildanalyse lässt<br />
erkennen, dass es sich auf dem rechten Nachttisch um Tabletten handelt, auf dem<br />
linken um eine Tablettendose und eine halbleere Flasche mit braunem Inhalt,<br />
vermutlich Alkohol.<br />
Die Protagonistin, nun ganz in den blauen Overall eingekleidet, steht vor einem<br />
Spiegel in ihrem Zimmer, schminkt sich mit einem lachsfarbenen Lippenstift die<br />
Lippen, ihre Augen sind dezent mit dunklem Kajal umrandet. Make-up und<br />
Haarschnitt wirken sehr „Lady-like“ im Gegensatz zu ihrem sehr sehnigen Körper.<br />
Die Perspektive ändert sich: Der Betrachter (die Kamera) ist nun der Spiegel und<br />
zeigt die Künstlerin in einer Portraitaufnahme, die, sich selbst im Spiegel<br />
betrachtend, sich mit beiden Händen am Scheitel ansetzend durch die Haare<br />
streicht. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst.<br />
[0’06’’] Ortswechsel. Der Blick ist auf die Knie einer alten Frau gerichtet, die in einem<br />
Sessel vor einem niedrigen, kniehohen Tisch sitzt. Sie trägt ein türkis-blaues<br />
geblümtes Kleid mit rot-weiß-blauem Blumendruck, eine cremefarbene Strickjacke<br />
mit Lochmuster an Bündchen und Saum, die Brustseiten sind mit einer Art<br />
Alpenmuster bedrückt oder bestickt. Ihre Hände sind faltig, am linken Mittelfinger<br />
trägt sie einen großen, silberfarbenen, rautenförmigen Ring, der in der Mitte einen<br />
weißen Stein einfasst. In der rechten Hand hält sie zwischen Daumen und<br />
Zeigefinger ein Puzzleteil. Auf dem Tisch liegt ein umgedrehter kleiner roter Karton<br />
eines Puzzlespiels, auf dem der Betrachter POCKET PUZZLE lesen kann. Hinter<br />
diesem Puzzlekarton am linken Bildrand befindet sich ein Weidenkorb, in dem<br />
Wollknäuel und zwei Stricknadeln liegen. Die Kamera folgt den Bewegungen der<br />
74
Hände, die die richtige Stelle für das Puzzleteil gefunden zu haben scheinen und es<br />
an der passenden Stelle einsetzen. Die Hände zittern, wobei unklar ist, ob dies von<br />
einer neurologischen Krankheit herrührt oder Ausdruck des Suchens nach der<br />
richtigen Stelle des Puzzleteils im Puzzle ist.<br />
Die Kamera richtet sich nun auf das Gesicht der Person, womit bestätigt wird,<br />
dass es sich um eine alte Dame handelt. Sie trägt den „gängigen“ Kurzhaarschnitt<br />
einer alten Frau, allerdings kastanienrot gefärbt, eine große, silber- bis<br />
[0’10’’]<br />
kupferfarbene Brille und einen bordeauxroten Lippenstift.<br />
Hotelzimmer. Die Protagonistin wieder vor dem Spiegel wie in der letzten<br />
Hotelzimmer-Einstellung. Mit der linken Hand hängt sie sich einen Ohrring an ihr<br />
linkes Ohr: ein silberner Schriftzug mit den Lettern L-A-D-Y, aneinandergereiht zu<br />
einem schillernden, glitzernden, etwa kinnlangen Ohrring. Zurechtrücken des<br />
Kragens. Die Kamera schwenkt vom Gesicht der Frau auf einen Teil des<br />
overallummantelten Arms und ihre Hand um, die einen schwarzen, spitzen<br />
Lackschuh mit einem schmalen hohen Absatz der Marke Prada über den rechten<br />
Fuß zieht. Sie schließt, nun die schwarzen Handschuhe tragend, den auf dem Bett<br />
liegenden silbernen Koffer, dessen Inhalt nicht genau zu erkennen ist. Auf den<br />
ersten Blick scheint es Wäsche zu sein, ungeordnet, achtlos hineingeworfen (eher<br />
eine männliche Art des Kofferpackens). Eine Standbildanalyse lässt erkennen, dass<br />
sich zwischen der Kleidung ein Tablettendöschen und ein „Flachmann“ befinden.<br />
Sie zieht den Koffer mit der rechten Hand vom Bett.<br />
Die nächste Einstellung zeigt sie von hinten auf einer offenen Treppe, die sie<br />
hinuntergeht, in dem die mit der rechten Hand das weißlackierte Geländer umfaßt.<br />
Die Protagonistin befindet sich nun vor dem weißen, steril wirkenden Motel mit<br />
türkisfarbenen Türen, dessen Treppe sie zuvor hinuntergegangen ist, mit dem<br />
Koffer in der Hand. Es ist Tag, rechts und links von ihr sind ein paar<br />
Palmengewächse zu erkennen. Es scheint ein leichter Wind zu wehen, was an dem<br />
leicht wehenden Haaren der Protagonistin und den Blättern der Pflanzen zu<br />
erkennen ist. Das vordere Drittel des Bildschirmes wird von dem Dach eines gelben<br />
Autos eingenommen, auf das, wie sich in den nächsten Einstellungen zeigen wird,<br />
die Frau in dem Overall zielstrebig zugeht. Ihre behandschuhte Hand öffnet die<br />
Autotür, sie wirft einen kurzen Blick über beide Schultern und lädt den Koffer in<br />
den Wagen.<br />
[0’24’’] Ortswechsel. Portrait der alten Frau, sie hebt ihren Blick in den linken oberen<br />
Bildrand. Der Betrachter sieht sie in der nächsten Einstellung von hinten in ihrem<br />
Sessel sitzend. Links von ihr befindet sich ein kräftiger schwarzer Mann in einem<br />
weißen Kittel ― offensichtlich ein Pfleger ―, der der alten Dame unter den linken<br />
Arm greift, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Die Kamera zeigt den Raum,<br />
in dem sich die alte Dame befindet: Offensichtlich ein Senioren- oder Pflegeheim,<br />
75
an den Wänden hängen viele gerahmte Photodrucke, hauptsächlich Stilleben und<br />
Blumenbilder, links in der Zimmerecke befindet sich ein Spazierstock. Vor der alten<br />
Dame wird ein laufender Fernseher gezeigt, offensichtlich ein älteres Modell, auf<br />
dem ein kleiner Ventilator zu sehen ist. Links hinter dem Fernseher steht an der<br />
Wand ein Bücherregal, in dem sich kleine Bilderrahmen und andere Gegenstände<br />
befinden. Links vom Sessel ist ein kleiner runder Beistelltisch mit einem Telefon<br />
und einer Kaffeetasse platziert. Hinter dem Pfleger erahnt der Betrachter ein Bett.<br />
Das Inventar passt zu der alten Frau und steht im Kontrast zur sterilen<br />
Motelkulisse der Protagonistin. Alles wirkt alt und abgenutzt.<br />
[0’27’’] Die Protagonistin sitzt im Auto hinter dem Steuer des Wagens, in den sie zuvor<br />
ihren Koffer geladen hat. Sie bricht die Lenkradsperre auf, schließt das Auto kurz<br />
und startet den Wagen (alles männliches Gangsterverhalten). Die Kamera zeigt aus<br />
der Froschperspektive von links (Weitwinkel) das vordere Nummernschild des<br />
Autos ― ein gelber Chevrolet Camaro von 1978 ―, auf dem in weißen Lettern auf<br />
schwarzem Grund P-U-S-S-Y zu lesen ist. Das Auto fährt rückwärts aus dem auf<br />
dem Asphalt eingezeichneten Parkplatz heraus. Die Kamera befindet sich nun<br />
hinter dem Auto, das auf sie zufährt und in gerade so weit vor ihr zum Stehen<br />
kommt, dass durch das Aufleuchten der roten Bremslichter das hintere<br />
Nummernschild zu erkennen ist: Ebenso gestaltet wie das vordere, ist darauf der<br />
Schriftzug C-A-T zu entziffern (der Betrachter fügt also zusammen: PUSSY-CAT).<br />
Das Auto verlässt darauf zügig den Motel-Parkplatz.<br />
[0’35’’] Die Protagonistin wird in einer Portrait-Aufnahme im Auto gezeigt, nun<br />
offensichtlich in mäßigem Tempo auf der Straße fahrend. Ihr Blick ist selbstsicher,<br />
ihr linker Ellbogen auf der Fahrertür abgestützt, bei der das Fenster<br />
heruntergelassen ist (typisch männliche Geste). Die Bilder vermitteln den Eindruck<br />
einer bürgerlichen Kleinstadtatmosphäre, hervorgerufen durch die akkurat<br />
geschnittene Hecke und gepflegte Vorgärten. Die Protagonistin hebt ihren linken<br />
Unterarm, senkt ihn wieder und formt dabei eine Pistole mit der behandschuhten<br />
Hand, indem sie Zeigefinger und Daumen abspreizt. Dabei umspielt ein süffisantes,<br />
überlegenes Lächeln ihre Lippen.<br />
Die Protagonistin hält vor einem einfachen weißen Haus im Stil der 1950er<br />
Jahre und steigt aus. Ein paar Treppenstufen führen zum verglasten<br />
Eingangsbereich, über dem der Schriftzug OL KUNTZ GUEST HOME zu lesen ist. Die<br />
Protagonistin geht um das Heck des Autos herum auf den Eingang des Hauses zu,<br />
zielstrebig und bestimmt, aber ohne Eile.<br />
[0’42’’] Im Gebäude. Im Mittelpunkt des Bildes befinden sich die Protagonistin und die alte<br />
Frau. Die Protagonistin hat die Dame an ihrer rechten Seite untergehakt und stützt<br />
sie beim Gehen. Die alte Dame geht leicht gebeugt, während ihr Gesicht dem<br />
Boden zugewandt ist. Sie wirkt klein und labil und ihre unsicheren, wankenden<br />
76
Schritte vermitteln den Eindruck, dass das Gehen ohne Hilfe nicht mehr möglich<br />
ist. Beide Frauen bewegen sich langsam auf die Kamera zu, Madonnas Blick ist<br />
regungslos.<br />
Der Raum, der im Hintergrund gezeigt wird, scheint ein Aufenthaltsraum oder<br />
Gesellschaftsraum des Pflegeheims zu sein. Die Einrichtung wirkt wie seine<br />
Bewohner alt, aber gepflegt.<br />
Das Paar tritt vor das Haus ― wobei die Protagonistin die alte Frau noch immer<br />
stützt ― und nähert sich langsam dem Camaro, der vor dem Haus am Fuße der<br />
Treppe parkt.<br />
[0’45’’] Beide Frauen sitzen nun im Auto. Die Protagonistin schließt den Anschnallgurt der<br />
alten Dame und die Fahrt beginnt. Die Kamera zeigt das ungleiche Paar, von dem<br />
nicht klar ist, in welchem Verhältnis es zueinander steht, von vorne im Auto<br />
sitzend: Die Protagonistin, mit einem angedeuteten Grinsen, die alte Dame, von<br />
der man ausschließlich den oberen Teil des Gesichtes sieht, leicht lethargisch,<br />
teilnahmslos wirkend, der Blick scheint leer. Am Rückspiegel des Wagens hängen<br />
zwei silberne Würfel an einer silbernen Kette, die durch die Fahrtbewegungen des<br />
Autos hin- und herpendeln.<br />
In einem Zeitrafferverfahren verdunkelt sich der Himmel, womit angedeutet<br />
wird, dass die beiden offensichtlich schon ein ganze Weile zusammen „spazieren<br />
fahren“. Die Straßenlaternen gehen an, es wird Nacht.<br />
[0’52’’] 1. „Gewalt“-Szene: Männerauto an der Kreuzung.<br />
Der gelbe Camaro bleibt an einer Kreuzung neben einem anderen Auto stehen,<br />
einem blauen Chrysler, in dem drei junge Männer sitzen. Die Protagonistin blickt in<br />
das benachbarte Auto (sie ist diejenige, die die Kontaktaufnahme initiiert),<br />
woraufhin die jungen Männer zu ihr herüberstarren, während sie mit den Köpfen zu<br />
einer nicht hörbaren Musik nicken. Der Fahrer des Wagens ― mit<br />
kurzgeschnittenem Haar und Dreitagebart offensichtlich vollkommen überzeugt von<br />
seiner einnehmenden Wirkung auf Frauen ― deutet mit seinen Lippen einen Kuss<br />
an, den er Madonna zuwirft, den diese mit einem Augenzwinkern beantwortet.<br />
Kurz darauf fährt der gelbe Camaro ― obwohl die Ampel noch rot zeigt ― in<br />
einer weiten Linkskurve quer über die Kreuzung, lässt das Männerauto hinter sich<br />
und fährt aus dem Bild heraus. Die Kamera zeigt eine menschenleere Strasse. In<br />
der nächsten Einstellung sieht man den Lackpump der Protagonistin, der das<br />
Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt. In ihrem starren, zielgerichteten Blick der<br />
Frau zeigen sich Wut und Aggression, doch auch Überlegenheit. Mit wachsender<br />
Geschwindigkeit ― erkennbar an dem aus dem Auspuff aufsteigenden Rauch und<br />
dem durch die durchdrehenden Reifen erzeugten Qualm ― steuert der Camaro auf<br />
den blauen Chrysler zu, der noch immer an der roten Ampel steht, und rast frontal<br />
in dessen Fahrerseite hinein und schiebt den Wagen nach rechts aus dem Bild. Die<br />
77
alte Dame wird durch den Aufprall nach vorne geschleudert und eine Glasscheibe<br />
― vermutlich das Fenster in der Fahrertür des Chryslers ― zersplittert. Die beiden<br />
Frauen im Camaro, der durch den Aufprall zum Stehen gekommen ist, sind<br />
unversehrt. Die Protagonistin wirft ihrer Beifahrerin, deren Brille durch den Aufprall<br />
heruntergerutscht ist, einen prüfenden Blick zu, und rückt sie schließlich mit dem<br />
Zeigefinger der behandschuhten rechten Hand wieder zurecht. Der Blick der alten<br />
Dame ist noch immer starr ins Leere gerichtet.<br />
Die Protagonistin legt daraufhin den Rückwärtsgang ein, setzt das Auto, dessen<br />
Vorderfront nun stark demoliert ist, ein Stück zurück und verlässt den Unfallort.<br />
[1’20’’] 2. „Gewalt“-Szene: Überfall Geldautomat.<br />
Der Camaro hält am Straßenrand, der Gehweg ist erleuchtet. Im Eingang eines<br />
öffentlichen Gebäudes steht ein untersetzter Mann mit dem Rücken zur Kamera an<br />
einem Geldautomaten. Die Protagonistin steigt aus dem Wagen, wirft mit einer<br />
schwungvollen und tänzerisch anmutenden Geste des rechten Arms die Wagentür<br />
zu, führt dann in einer fließenden Bewegung den Arm bis fast über den Kopf,<br />
während ihr Blick den Mann am Geldautomaten fokussiert. Ihre Körperhaltung<br />
gleicht der einer tänzerischen Position, bei der sie das rechte Bein leicht anwinkelt<br />
und vor das linke schiebt. In ihrer linken Hand wird nun ein Elektroschockgerät<br />
sichtbar, das sie ebenso kunstvoll mit über der Brust angewinkeltem linken Arm,<br />
von ihrer rechten Achsel bis zu ihrem Kinn führt und dabei provokativ seine<br />
Funktionstüchtigkeit demonstriert, sichtbar durch kleine blaue Blitze und begleitet<br />
von einem surrenden Geräusch, das die Stromstöße signalisiert, die von ihrer<br />
Waffe ausgehen. Begleitet wird das Einnehmen dieser Position von einem leichten<br />
Öffnen ihrer Lippen, die sie beim Anwinkeln des linken Armes wieder schließt,<br />
wobei sie sich leicht auf die Unterlippe beißt.<br />
Sie nimmt hier die Position eines Stierkämpfers ein, als wolle sie ihr Opfer zum<br />
„Paso Doble“ auffordern, der sich im traditionellen Verständnis als tänzerische<br />
Interpretation des Stierkampfes versteht. Diese Szene zeigt die Selbstsicherheit der<br />
Protagonistin, die sich darum bemüht, ihre Auftritte so auffällig wie möglich zu<br />
gestalten. Obgleich sich mehrere Männer auf dem Gehweg befinden, reagiert<br />
niemand auf ihre beabsichtigte Gewalttat oder versucht, die Frau davon abzuhalten.<br />
Die Protagonistin, die sich aus ihrer Angriffsposition gelöst hat, bewegt sich auf den<br />
Mann am Geldautomaten zu, ein vielsagendes, selbstsicheres und gleichzeitig<br />
spöttisches Grinsen im Gesicht. Die Kamera zeigt in einer Einstellung, die an<br />
Duellszenen alter Western erinnert, ihren beschwingt bewegten Hintern in<br />
Nahaufnahme, während sie sich mit lässigen Schritten ihrem Opfer nähert. Trotz<br />
des Overalls, der ― obgleich natürlich im Stil Madonnas figurbetont und sexy<br />
geschnitten ― ein Arbeits-Utensil ist, das aufgrund seines eher groben Schnittes<br />
78
und Materials weniger modischen Ansprüchen entgegenkommt, sondern allein<br />
praktischen Zwecken dient, wirkt sie dabei elegant wie eine Lady! Es gehen<br />
Menschen vorbei, von denen niemand sich jedoch für das offensichtliche Vorhaben<br />
der Frau, die das Elektroschockgerät ostentativ vor sich herträgt, zu interessieren<br />
scheint. Sie sind das Abbild einer teilnahmslosen Gesellschaft, in der jegliche Form<br />
von Sozialkontrolle verloren gegangen scheint, sei es aus mangelndem<br />
Verantwortungsbewußsein, Feigheit, oder einer durch die mediale Bilderflut<br />
übersättigten Geisteshaltung, für die ein Gewaltverbrechen nur noch eine<br />
willkommene Abwechslung in einem ansonsten ereignislosen Leben darstellt.<br />
Abwechselnd zeigt die Kamera den Hintern der Protagonistin und das<br />
Elektroschockgerät in ihrer linken Hand, von dem blaue Blitze ausgehen, begleitet<br />
von einem Surren der kleinen Stromstöße.<br />
Die nächste Einstellung zeigt die Protagonistin mit einem Bündel Geldscheine in<br />
der rechten Hand. Im Hintergrund sieht man das Opfer, den untersetzten Mann,<br />
der zuvor am Geldautomaten gezeigt wurde, zusammengesunken am Boden<br />
liegend. Im gleichen lässigen Gang wie zuvor sieht man die Täterin ― die<br />
Geldscheine achtlos in der Hand haltend ― zu ihrem Wagen zurückgehen, wobei<br />
ihr einige Scheine zu Boden fallen. Mit durchdrehenden, qualmenden Hinterreifen<br />
verlässt der Camaro zum Schluss blitzschnell die Szenerie.<br />
Auch in dieser zweiten „Gewalt“-Szene wird nicht explizit gezeigt, wie die<br />
Protagonistin den Mann zu Boden streckt, ebenso wenig wie in der ersten „Gewalt“-<br />
Szene, in der das Männerauto aus dem Bild geschoben wird und die Auswirkungen<br />
der Gewalt nicht sichtbar sind. Es bleibt damit unklar, ob das Opfer nur gering oder<br />
ernsthaft durch das Elektroschockgerät verletzt wurde. So scheint es, als stünde<br />
nicht der Akt selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die Beweggründe der Frau,<br />
diese Gewalttaten auszuüben. Für diesen Gedanken spricht außerdem die Art und<br />
Weise, in der die Täterin mit ihrer „Beute“ umgeht: Das Geld nimmt sie nicht an<br />
sich, um sich zu bereichern, sondern um eine „Trophäe“ vom Tatort mitzunehmen.<br />
Darüber hinaus ist Geld ein unmissverständliches Symbol für Macht.<br />
Die Atmosphäre im Clip scheint sich immer stärker aufzuladen: Das<br />
Verlassen des zweiten „Tatortes“ mit dem Auto erscheint aggressiver als das des<br />
ersten ― dafür sprechen das visuelle und hörbare Durchdrehen der Reifen und das<br />
hohe Tempo beim Verlassen des Geschehens.<br />
79
[1’40’’] 3. „Gewalt“-Szene: Drive-In-Szene / Polizisten.<br />
Der Camaro, langsam von rechts nach links in das Bild fahrend, hält an einem<br />
Drive-In-Restaurant. Zwei Fast-food essende Polizisten ― beide halten in der<br />
linken Hand einen Hamburger und in der rechten einen großen Pappbecher mit<br />
Strohhalm ― stehen neben ihrem Dienstwagen. Beide Männer tragen Uniform, der<br />
rechte hat eine Schnurrbart, der linke ist kräftig und bullig. Im Hintergrund erkennt<br />
man parkende Autos.<br />
Die Protagonistin und ihre Beifahrerin nehmen ihre Bestellung am Drive-In von<br />
einer beleibten jungen Frau entgegen, die ihnen auf einem Kunststofftablett zwei<br />
große Getränkebecher und Pommes Frites durch das heruntergelassene Fenster<br />
des Autos reicht. In einer herablassenden Geste, die an großspuriges männliches<br />
Zahlungsverhalten gegenüber vorgeblich niederen weiblichen Dienstleistungen<br />
erinnert, steckt die Protagonistin der Angestellten die zuvor gestohlenen<br />
Geldscheine in ihren Kittel, ein Betrag, der ― wie der überraschte Blick der jungen<br />
Bedienung erahnen lässt ― im Verhältnis zur Bestellung offensichtlich viel zu hoch<br />
ist.<br />
Die Bedienung ist die erste und einzige Frau in diesem Videoclip, die neben dem<br />
Protagonistinnen-Paar in Erscheinung tritt. Sie entspricht der typischen<br />
Durchschnittsfrau der amerikanischen Mittelschicht: übergewichtig, weiblich, im<br />
Service arbeitend. Allein die Tatsache, dass sie eine Frau ist, schützt sie<br />
offensichtlich davor, nicht angegriffen zu werden; dass die Protagonistin ihr das<br />
gestohlene Geld zusteckt, könnte aber nicht nur als herablassender, männliches<br />
Verhalten gegenüber Frauen imitierender Gestus verstanden werden. Er könnte<br />
auch als symbolische Wiedergutmachung bzw. Entschädigung eines typischen<br />
weiblichen Opfers durch das Geld eines typischen männlichen Täters verstanden<br />
werden. Im übertragenen Sinn wird somit die Macht des Mannes ― symbolisiert<br />
durch die Dollarscheine ― auf die Frau übertragen und die Besitzverhältnisse<br />
werden auf sinnbildliche Weise umgekehrt.<br />
Die Protagonistin und die alte Dame saugen im Auto an den Strohhalmen in ihren<br />
Getränkebechern, während die Protagonistin gleichzeitig ihre Pommes Frites isst.<br />
Als sie ihre Fahrt wieder aufnimmt, schrammt sie im Vorbeifahren scheinbar<br />
genüsslich an der vollen Längsseite des Polizeiwagens entlang und fixiert dabei ―<br />
weiterhin ihre Pommes Frites kauend ― die beiden verdutzten Polizisten mit den<br />
Augen. Anschließend fährt sie wieder zurück und zückt eine Pistole, die sie auf die<br />
beiden Polizisten richtet, die sich hinunter beugen, um in das Auto hineinsehen zu<br />
können. In Erwartung eines weiteren Gewaltszenarios sieht man die Protagonistin<br />
ihre Waffe auf die Köpfe der Polizisten richten. Im selben Augenblick, indem man<br />
80
einen Schuss erwarten würde, zeigt sich aber, dass es sich um eine Wasserpistole<br />
handelt ― ein weiterer Ausdruck höchster Verachtung des männlichen Gegenübers.<br />
Die Protagonistin macht die beiden Polizisten im wörtlichen Sinne „nass“: Sie<br />
erniedrigt sie, indem sie sie mit einem Kinderspielzeug einschüchtert. Darüber<br />
hinaus könnte das Spritzen mit der Wasserpistole auch als symbolische<br />
„Ejakulation“ verstanden werden. Die Protagonistin würde sich somit eines<br />
weiteren, demütigenden männlichen Verhaltens gegenüber Frauen bedienen, das<br />
vor allem aus Pornofilmen bekannt ist, dem sogenannten „Come Shot“: Dabei<br />
handelt es sich um den sprichwörtlichen Höhepunkt einer jeden Szene, bei dem der<br />
Mann auf die Frau ejakuliert. Indem die Protagonistin mit ihrer Pistole ― ein<br />
klassisches Symbol für das männliche Geschlechtsteil, das Madonna auch schon in<br />
ihren früheren Videos 197 benutzt ― die beiden Polizisten, die angesichts der<br />
täuschend echten Waffe vermuten müssen, erschossen zu werden, mit Wasser<br />
bespritzt, erniedrigt sie sie auf zweifache Weise: als Hüter von Ordnung und Gesetz<br />
und als Männer.<br />
Unberührt von den Ereignissen setzt sie ihr Auto am Ende der Szene ein Stück<br />
zurück und lässt die Polizisten, die die Verfolgung aufgenommen haben, frontal<br />
auffahren. Durch den Aufprall lösen sich die Airbags im Polizeiauto, wodurch sie<br />
ihre Verfolgungsjagd abbrechen müssen, die noch gar nicht begonnen hat.<br />
Die Protagonistin bedient sich als Frau sämtlicher männlicher stereotyper<br />
Verhaltensweisen: Sie benutzt deren Statussymbole (muscle cars, Waffen), imitiert<br />
ihre Körpersprache (breitbeiniges Sitzen auf dem Bett, Cowboy-Gang vor dem<br />
Geldautomaten), trägt ihre Tätowierungen und ahmt ihr Imponiergehabe nach (das<br />
Zuzwinkern in der Szene an der Kreuzung, das Zustecken der Geldscheine im<br />
Drive-In-Restaurant). Sie holt sich, was sie will, und sie bekommt es durch<br />
männliches Verhalten. Madonna geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zwar<br />
bedient sie sich der Verhaltensweisen der männlichen Welt, um sich in einer<br />
männlichen Welt Respekt zu verschaffen und sich durchsetzen zu können,<br />
gleichzeitig aber zerstört sie die Illusion von gewaltbasierter Macht, indem sie sie in<br />
ihren schockierenden destruktiven Folgen ostentativ zur Schau stellt.<br />
[2’17’’] 4. „Gewalt“-Szene: Parkplatz, Hockeyspieler.<br />
Die Protagonistin fährt auf einen Parkplatz, auf dem einige junge Männer Roller-<br />
Hockey spielen, rammt zunächst wahllos parkende Autos und fährt ein Motorrad<br />
197 Z.B. in „Express Yourself“ oder „Open Your Heart”.<br />
81
um. Anschließend fährt sie zwischen den Männern durch, steuert dann mit dem<br />
Wagen auf sie zu, fährt zuerst eines der Hockey-Tore um und nimmt zum Schluss<br />
einen von ihnen auf die Motorhaube, während sie weiterhin genüsslich ihre<br />
Pommes Frites isst. Während die anderen jungen Männern wütend hinter dem<br />
Camaro herjagen, um ihn mit wütenden Hieben ihrer Hockeyschläger zu<br />
bearbeiten, verlässt die Protagonistin den Parkplatz, nicht ohne allerdings ein paar<br />
weitere Autos zu rammen.<br />
Um ihre Pommes-Frites-Tüte zu entsorgen, bringt sie den inzwischen auffallend<br />
ramponierten Camaro neben einem Mülleimer aus voller Fahrt zum Stehen, wobei<br />
die Kamera einen Schwenk in das Fahrzeuggetriebe ― genauergesagt auf die<br />
Bremsscheiben ― macht. Die Protagonistin streckt ihren Arm aus und wirft die<br />
noch halbgefüllte Pommes-Frites-Tüte in den Mülleimer.<br />
[2’49’’] 5. „Gewalt“-Szene: Tankstellenszene.<br />
In der nächsten Einstellung sieht man wieder den Lackpump der Protagonistin, in<br />
Machomanier mit dem Gaspedal spielend. Der Motor heult und die Reifen drehen<br />
durch, so dass Straßendreck aufgewirbelt wird. Der Camaro schießt schließlich<br />
nach vorn, Reifenquietschen und Motorengeräusche sind zu hören, die am<br />
Rückspiegel aufgehängten Würfel pendeln hin und her. Das Aggressionsniveau der<br />
Protagonistin ist weiter angestiegen. Sie vermittelt dem Zuschauer den Eindruck<br />
eines Stieres, der kurz vor seinem Angriff wutschnaubend die Nüstern bläht und<br />
mit den Hufen scharrt.<br />
[2’54’’] Tankstelle: Die Protagonistin fährt auf eine Tankstelle, hält hinter einem roten<br />
Pontiac Firebird an einer Zapfsäule (im Folgenden wird diese Einstellung<br />
„Tankstelle“ genannt).<br />
An dieser Stelle wird die bislang chronologische Abfolge unterbrochen, die seit der<br />
Abfahrt der beiden Frauen vom Seniorenheim durchgehalten wurde. Flashbacks in<br />
das Hotelzimmer und das Seniorenheim wechseln sich mit den Bildern des Firebirds<br />
und der fortschreitenden Handlung ab. Die Frequenz der Schnitte erhöht sich mit<br />
dem Anstieg des Aggressionsniveaus. Dabei haben die Rückblenden die Funktion,<br />
die fehlenden Sequenzen der Anfangsszenen durch wichtige Details zu ergänzen.<br />
[2’56’’] Flashback Hotelzimmer: Die Protagonistin sitzt auf dem Bett. Der herabgelassene<br />
Overall gewährt einen Blick auf ihren nackten Rücken, links neben ihr liegt der<br />
geöffnete Koffer. Auf beiden Unterarmen trägt sie Tätowierungen, ebenso im<br />
Nacken, wo in schwarzen Lettern L-O-V-E-D zu lesen ist. Die Tätowierung auf<br />
ihrem rechten Arm zeigt eine Pistole, aus deren Öffnung Rauch aufsteigt, auf ihrem<br />
linken Arm ein Kreuz. Über dem Kreuz ist das Wort NO, unter dem Kreuz<br />
82
SURREND[ER] zu erkennen, wobei die letzten beiden Buchstaben nicht mehr mit<br />
Sicherheit zu entziffern sind.<br />
NO SURRENDER meint „keine Kapitulation“, „kein Aufgeben“, „keine Auslieferung“.<br />
Die Tätowierungen muten dilettantisch an und sehen aus, als stammten sie nicht<br />
von einem Profi. Die Wahl des Kruzifix-Motives als Symbol des christlichen<br />
Glaubens rekurriert auf vergangene Madonna-Videos wie „Like A Prayer“ oder „Like<br />
A Virgin“. In diesem Clip muss es aber vermutlich weniger als Provokation denn ―<br />
im Gegenteil ― als ein Sinnbild eines intensiv empfundenen, stark verinnerlichten<br />
Glaubens verstanden werden, der der Protagonistin Hoffnung und Kraft auf ihrem<br />
persönlichen Kreuzzug gegen die Männerwelt verleihen soll.<br />
Nach dieser Szene im Hotelzimmer verdunkelt sich die Szenerie, bevor es in<br />
die nächste Einstellung geht. Im Vordergrund steht bis zu Minute [3’27’’] die<br />
Inszenierung des roten Sportwagens.<br />
[3’01’’] Firebird: Man sieht den roten Pontiac Firebird mit eingeschalteten Scheinwerfern.<br />
Auf der Kühlerhaube ist das Emblem des Firebirds abgebildet: ein stilisierter<br />
goldener Adler mit ausgebreiteten Flügeln und flammenförmiger, kranzartiger<br />
Umrandung. Während einer anschließenden Kranfahrt, die vor dem Auto beginnt,<br />
über die Motorhaube und bis zum Dach hinaufführt, gibt die Kamera dem<br />
Betrachter Zeit, den Firebird in seiner beeindruckenden Erscheinung genau zu<br />
betrachten. Die Zeit scheint währenddessen stillzustehen. Es ist ein anerkennendästhetisierender<br />
Blick, der sich vornehmlich an ein männliches Publikum richtet,<br />
das auf den Abonnentenlisten von Motorsport-Magazinen zu finden ist, sich auf<br />
Automobil-Messen über die neuesten Tuning-Trends austauscht und am<br />
Wochenende mit der Freundin im Kino Blockbuster wie „Too fast, too furious“ in<br />
Dolby Surround-Qualität ansieht.<br />
[3’04’’] Tankstelle: Die Protagonistin steigt aus dem ramponierten gelben Camaro,<br />
während der Mann, der vor ihr seinen Firebird betankt, in ihre Richtung sieht. Das<br />
rote Auto des Mannes wird als das erkennbar, das in der vorherigen Einstellung<br />
detailliert gezeigt wurde.<br />
[3’05’’] Firebird: Die Kamera setzt ihre Fahrt über das Autodach fort.<br />
[3’07’’] Tankstelle: Die Protagonistin hat der alten Dame aus dem Camaro geholfen und<br />
führt sie an der Hand, an einer Zapfsäule vorbei, zielstrebig zu dem Firebird.<br />
[3’08’’] Firebird: Die Kamera ist nun fast über der Mitte des Autodaches.<br />
[3’10’’] Tankstelle: Die junge Frau führt ihre greise Beifahrerin an der Hand zwischen dem<br />
Camaro und dem Firebird durch. Der Autobesitzer, der lange, wellige Haare und<br />
eine Lederweste mit Silberapplikationen trägt, schenkt dem Frauenpaar keine<br />
Beachtung. Am Firebird angekommen, öffnet die junge Frau der alten Dame die<br />
Beifahrertür.<br />
83
[3’12’’] Firebird: Die Kamera ist nun direkt über dem Autodach und schwenkt von der<br />
Vertikalen in die Horizontale um, so dass das Auto waagerecht im Bild ist.<br />
[3’16’’] Tankstelle: Nachdem die Protagonistin der alten Dame auf den Beifahrersitz des<br />
Firebirds geholfen hat, geht sie um das Auto herum und setzt sich ans Steuer. Der<br />
Besitzer ist so mit der Tankanzeige an der Zapfsäule beschäftigt, dass er nicht<br />
bemerkt, dass die beiden Frauen in sein Auto gestiegen sind.<br />
[3’17’’] Firebird: Die Kamera hat wieder umgeschwenkt und ist nun am hinteren Ende des<br />
Wagens angekommen, wo langsam sie an ihm herunterfährt, bis sie dieselbe<br />
Position wie zu Beginn der Kranfahrt eingenommen hat, nur diesmal in<br />
entgegengesetzter Richtung.<br />
[3’27’’] Der Fuß der Protagonistin mit dem schwarzen Lackpump tritt wieder auf das<br />
Gaspedal, während die Kamera auf den Tacho des Firebird und in den Motorraum<br />
zoomt.<br />
[3’28’’] Tankstelle: Die beiden Frauen sitzen im Firebird, an dessen Rückspiegel die Figur<br />
eines kleinen grünen „Aliens“ hängt. Als die Reifen des Wagens durchdrehen, blickt<br />
der Besitzer kurz auf. Die Protagonistin stößt daraufhin einen Lenkradwürfel an ―<br />
ein Spielzeug des Wagenbesitzers ― und fährt los. Bei dem verzweifelten, aber<br />
sinnlosen Versuch des von den Ereignissen überrumpelten Firebirdbesitzers, den<br />
Wagen festzuhalten, stürzt dieser, während gleichzeitig der Einfüllstutzen des<br />
Benzinschlauchs aus dem Tank gerissen wird. Durch die Wucht des abrupten<br />
Herausreißens hin- und herspringend verspritzt der Schlauch weiter Benzin, das<br />
nach und nach den Boden vor der Zapfsäule überschwemmt. Die Protagonistin<br />
fährt über die Tankstelle, wendet dann um 180 Grad, steuert auf den<br />
Wagenbesitzer zu und fährt ihn so an, dass er auf die Windschutzscheibe<br />
geschleudert wird. Anschließend rammt sie eine Zapfsäule derart, dass sie umkippt<br />
und fontänengleich Benzin aus ihr herausschießt. Daraufhin verlässt sie mit dem<br />
Firebird die Tankstelle, zieht ein silberfarbenes Feuerzeug aus der Tasche, zündet<br />
die Flamme und lässt es aus dem Fenster fallen. Ein Schwenk zurück auf die<br />
Tankstelle zeigt noch einmal den benzinspeienden Schlauch, der sich über den<br />
Boden windet. Es folgt die erwartete Detonation, die allerdings nur durch eine<br />
kurzzeitige, orange-gelbe Überblendung angedeutet wird. Die Kamera zeigt das<br />
Wageninnere des Firebirds, wobei sie zwischen den beiden Vordersitzen positioniert<br />
scheint, mit dem Fokus auf Armatur und Schaltknüppel. Unterstützt wird der<br />
Eindruck einer Detonation nicht nur visuell durch Farbeffekte, sondern auch<br />
akustisch durch das knallend-berstende Geräusch einer Explosion und einen großen<br />
Gegenstand, der ― vermutlich der Tankstelle zuzuordnen ―, gegen die<br />
Windschutzscheibe des fahrenden Firebirds prallt.<br />
84
Die Brutalität hat sich mit jeder „Gewalt“-Szene erhöht. Doch auch hier wird sie<br />
nicht detailliert in ihren Auswirkungen gezeigt: Man sieht weder tote Menschen<br />
noch durch die Luft wirbelnde Leichenteile, die inzwischen zum Standardrepertoire<br />
von Gewaltvideos und Dokumentationen von Katastrophen gehören und deren<br />
höchstes Interesse es ist, möglichst nah an das eigentliche Geschehen<br />
heranzukommen, um dem Betrachter zu suggerieren, er befinde sich mitten im<br />
Geschehen. 198 Guy Ritchie befriedigt mit seiner Inszenierung den Voyeurismus der<br />
Zuschauer nicht: Die Explosion wird lediglich angedeutet durch das orange-gelbe<br />
Licht und den Gegenstand, der gegen die Windschutzscheibe des sprichwörtlichen<br />
Feuervogels prallt. Das vernichtende Ausmaß der Detonation und der sich darin<br />
dokumentierende Gewaltakt bleibt als Leerstelle bestehen, die von der<br />
Vorstellungskraft des jeweiligen Zuschauers gefüllt werden kann. Auf diese Weise<br />
bezieht Madonna den Betrachter nicht nur aktiv mit in das Geschehen ein, indem er<br />
ihn zwingt, das Gesehene zu reflektieren. Er führt ihm auch eindrücklich die<br />
gesellschaftliche Teilnahmslosigkeit vieler Menschen vor Augen, die tagtägliche<br />
Gewalt um sich herum zwar zu registrieren, aber glauben, sich durch Ignoranz der<br />
sozialen Verantwortung entziehen zu können.<br />
[3’48’’] Flashback Senioren-/Pflegeheim: Die alte Dame sitzt in ihrem Sessel vor dem<br />
laufenden schwarz-weiß-Fernseher, der das Bild eines über die Straße<br />
schleudernden Autos zeigt. Die sonst sehr lethargisch wirkenden alte Frau krallt bei<br />
diesem Anblick unter Anspannung ihre Finger in die Armlehne, womit sie erstmals<br />
eine innerliche Teilnahme am äußeren Geschehen signalisiert.<br />
[3’50’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich eine kugelsichere Weste an.<br />
[3’51’’] Firebird/Tacho/Armatur: Die Nadel des Tachos schlägt nach oben aus.<br />
Alters-/Pflegeheim: Die alte Dame legt sich Schienbeinschoner an.<br />
[3’53’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich weiter die Weste an. Unter der rechten<br />
Brust ist ein etwa faustgroßes, dunkles Hämatom zu erkennen.<br />
[3’54’’] Firebird: Die Protagonistin schaltet in einen höheren Gang,<br />
Geschwindigkeitssteigerung suggerierend.<br />
198 Man vergegenwärtige sich die Fernsehbilder vom 11. September 2001, die fast bis zur<br />
Unerträglichkeit immer wieder den Einschlag der beiden Boeings in das World Trade Center zeigten, und<br />
danach stundenlang die verzweifelten Rettungsversuche der New Yorker Feuerwehr zu dokumentieren,<br />
während im Hintergrund die Häuser hinter Rauchwolken verschwanden, Gebäudeteile plötzlich<br />
einstürzten und Rettungsmannschaften unter sich begruben. Unvergessen auch die aktuelleren Bilder<br />
von den vernichtenden Auswirkungen des Tsunamis in Sri Lanka: Immer tauchten neue Amateurvideos<br />
auf, die dokumentierten, wie die meterhohe Sturmflut auf die Küste zurollte, um dann bei ihrem<br />
Einbruch in die Strassen alles unter sich zu begraben.<br />
85
[3’54’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin schließt die Weste, wobei sie ihr Gesicht vor<br />
Schmerz verzieht. Sie steht nun angezogen vor dem Bett und wirft den<br />
„Flachmann“ in den noch geöffneten Koffer.<br />
[3’57’’] Firebird: Die Kamera zeigt, Tempo suggerierend, Motor und Schaltknüppel, der von<br />
der rechten Hand der Protagonistin betätigt wird.<br />
[3’59’’] Hotelzimmer: Die behandschuhten Hände der Protagonistin blättern einen Stapel<br />
Personalausweise durch. Offensichtlich handelt es sich um ihre alter egos, die sie je<br />
nach Bundesstaat wechselt.<br />
[4’00’’] Firebird/Tacho<br />
Hotelzimmer: Die Kamera zeigt einen der Nachttische, auf dem sich acht<br />
Tablettendöschen, eine halbvolle Wodkaflasche, ein alter Radiowecker und eine<br />
Waffenzeitschrift befinden, auf der wiederum ein kleiner Schlüssel mit blauem<br />
Anhänger sowie die Personalausweise liegen. Mit den Händen blättert die<br />
Protagonistin durch die Ausweise und entscheidet sich für ihre „Ohio“-Identität.<br />
Noch einmal wird kurz die LOVED-Tätowierung in ihrem Nacken gezeigt.<br />
[04:02] Firebird/Schaltknüppel: Von der Hand der Protagonistin geschaltet.<br />
Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht die schwarzen Handschuhe an, blickt in die<br />
Kamera (wir erinnern uns an den Anfang des Clips: Sie blickt in den Spiegel) und<br />
deutet einen Kuss an, den sie sich sozusagen selbst zuwirft (ebenso wie der Fahrer<br />
des Männerwagens ihr einen Kuss zugeworfen hat).<br />
[4’03’’] Firebird auf der Strasse, von außen: Das Auto fährt mit eingeschalteten<br />
Scheinwerfern rechts ins Bild, die Strasse ist menschenleer und grau, noch immer<br />
ist es Nacht.<br />
[4’04’’-<br />
4’13’’] Hotelzimmer: Die Protagonsitin verlässt ihr Zimmer.<br />
Firebird/Schaltknüppel: Wieder wird geschaltet, der Motor gezeigt, dann der Tacho,<br />
das zunehmende Tempo suggerierend.<br />
Hotel: Die Protagonistin verlässt ihr Zimmer, schaut beim Heraustreten kurz zu<br />
beiden Seiten und zieht die Tür hinter sich zu, die die Zahl 669 trägt. Beim<br />
Zuschlagen der Tür kippt die letzte Ziffer nach unten, so dass aus 669 die Zahl 666<br />
wird, das Zahlensymbol für den Antichrist bzw. den Teufel.<br />
Firebird: Die alte Frau krallt ihre rechte Hand in den Autositz. Damit zeigt sie<br />
erstmals eine Reaktion seit Beginn der gemeinsamen Autofahrt. Der Fuß der<br />
jungen Frau befindet sich auf dem Gaspedal, ihre Hand am Schaltknüppel. Die<br />
Kamera zeigt Bilder vom Auto, Madonnas Gesicht, Motor und Tacho.<br />
Rückblende im Zeitraffer: Die immer schneller werdenden Schnitte (siehe<br />
Zeitangaben) enden in einer Art Rückblende des Clips im Zeitrafferverfahren ―<br />
vergleichbar mit der Rekapitulation des eigenen Lebens beim Sterben. Ein Bild folgt<br />
dicht dem anderen. Die Kamera fokussiert das Gesicht der alten Dame, deren<br />
86
Augen weit aufgerissen sind und ins Leere starren, der Kopf der Protagonistin liegt<br />
auf dem Lenkrad.<br />
Die Serie beginnt mit der ersten Einstellung des Clips: Die Kamera zeigt die<br />
Protagonistin auf dem Hotelbett sitzend, den Kopf geneigt. Es folgen Bilder des<br />
hinteren Nummernschildes des Camaro (CAT), der Würfel, der Wasserpistole und<br />
des Feuerzeugs. Die Protagonistin, deren Augen geschlossen sind, sitzt mit<br />
zurückgelehntem Kopf hinter dem Steuer. Sie wirkt entspannt und ohne Ausdruck,<br />
während der Firebird auf die Kamera zurast. Vor der Kamera befindet sich ein<br />
(Laternen-)Pfahl. Die Scheinwerfer des Firebirds sind ausgeschaltet.<br />
[4’13’’-<br />
4’29’’] Aufprall. Das Auto prallt mit so hoher Geschwindigkeit gegen den Pfahl, dass es<br />
sich durch die Schubkraft um ihn herumzuwickeln scheint. Zeitlupeneffekte zeigen<br />
den Zusammenstoß in seiner ganzen Wucht. Der aufsteigende Rauch und die durch<br />
die Luft fliegenden Splitter signalisieren, dass der Aufprall tödlich ist. Er ereignet<br />
sich parallel zum letzten Rhythmusschlag in der Musik. Danach setzt Stille ein, bis<br />
schließlich sprichwörtlich der „Vorhang fällt“, für die Beteiligten wie für die<br />
Inszenierung insgesamt. Die letzte Einstellung wird ausgeblendet.<br />
2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik<br />
Das Video zu „What it Feels Like For A Girl“ illustriert nicht die balladenhafte<br />
Album-Version des Songs, sondern bedient sich eines House-Beat-Remixes, der<br />
nichts mit der melancholischen Grundstimmung der Album-Version gemeinsam hat.<br />
Zu Beginn des Clips werden folgende Textzeilen von der Sängerin gesprochen, die<br />
ihm als Motto vorangestellt werden:<br />
Girls can wear jeans<br />
And cut their hair short,<br />
Wear shirts and boots,<br />
‘Cause it’s OK to be a boy,<br />
But for a boy to look like a girl is degrading,<br />
‘Cause you think that being a girl is degrading,<br />
But secretly you’d love to know what it’s like.<br />
Wouldn’t you (s.u.)<br />
What it feels like for a girl<br />
Anschließend wiederholt sich der von Madonna gesungene Chorus immer wieder:<br />
„For a girl / In this world” und „Do you know / What it feels like for a girl? / Do you<br />
know / What it feels like / In this world / For a girl?”<br />
87
Das „Motto” ist ein Zitat aus dem Film „The Cement Garden”, in dem die<br />
Schauspielerin Charlotte Gainsbourg folgende Zeilen spricht: „It’s OK for a girl to<br />
look like a boy, but for a boy to look like a girl is degrading”. 199<br />
Von Madonna werden die ersten Zeilen fast stimmlos und kühl mit dem<br />
Timbre eines jungen Mädchens gesprochen. Darunter läuft ein pulsierender,<br />
synthetischer, anschwellender Rhythmus. Auffällig ist in diesem Clip, dass die Musik<br />
nur einen Kommentar zum Bild stellt, das im Mittelpunkt steht. Die Musik ist eine<br />
zusätzliche Ebene, die sich unterhalb der der Bilder befindet. Im Vergleich mit den<br />
bislang in dieser Arbeit analysierten Clips spielt sie hier eine nur untergeordnete<br />
Rolle. Durch die Schnelligkeit der Beats und die dadurch suggerierte latente Unruhe<br />
unterstützt sie lediglich die Botschaft der Bilder.<br />
Dennoch erfüllt die Musik ― wie auch in den vorangegangenen Clips ― eine<br />
strukturierende Funktion: Die einleitende, gesprochene Sequenz endet, als die<br />
Protagonistin ihren Wagen gestartet hat und ihren Roadtrip beginnt. Während des<br />
Sprechparts steht die Stimme Madonnas im Vordergrund, der Rhythmusapparat ist<br />
zurückgenommen. Mit zunehmender Spannungssteigerung innerhalb der Handlung<br />
wird die Stimme der Sängerin, die den Chorus in einer Endlosschleife singt,<br />
kräftiger und bestimmter.<br />
Ein zweites Mal wird das Motto in derselben Weise wie am Anfang bei der<br />
„Firebird-Inszenierung“ vorgetragen. An dieser Stelle scheint, wie oben dargestellt,<br />
die Zeit für einen Augenblick zu still zu stehen, bevor der Showdown beginnt. Das<br />
gesprochene Motto mit dem zurückgenommenen beats unterstützt damit die<br />
visuelle Wirkung dieser Szene.<br />
Der Anfang des Clips erinnert eher an einen Werbespot ― ausgelöst durch<br />
die Verknüpfung von Bild und Sprechpart ― und weist viele spielfilmähnliche<br />
Elemente auf. So wird eine stringente Geschichte erzählt, die Story ist in sich<br />
geschlossen und auch die Schnitte entsprechen zeitgenössischer Film-Ästhetik. Die<br />
Charaktere werden ― clipuntypisch ― in ihrer jeweiligen Umgebung eingeführt,<br />
bevor beide Erzählstränge zusammengeführt werden und die Story beginnt. Wie<br />
schon die letzten Clips deutlich gemacht haben, ist auch dieser Clip bis in das letzte<br />
Detail durchkonzipiert und jedes Symbol wurde sorgfältig ausgewählt, wie die<br />
Clipbeschreibung zum Ausdruck bringt.<br />
199 Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan wurde 1992 von Andrew Birkin verfilmt.<br />
Das Drama erzählt eine düstere Geschichte über Geschwisterliebe, Inzest und Tod.<br />
88
„What It Feels Like For A Girl“ ist ein „schneller“ Clip. Dieser Eindruck wird in<br />
erster Linie durch die Schnelligkeit der Schnitte hervorgerufen. Die Frequenz der<br />
Bilder nimmt im Laufe zu, ein filmästhetisches Stilelement, das der dramatischen<br />
Entwicklung des Geschehen entspricht.<br />
2.3.2.3 Cover<br />
Das Cover zum Clip (Anhang I, Abb. 14) vermittelt einen anderen Eindruck<br />
als der Clip selbst. Es zeigt Madonna dem Western-Image des Albums entsprechend<br />
als Cowgirl, an dem die Zeit spurlos vorbei gegangen zu sein scheint 200 : Bekleidet<br />
mit einem weißen, durch Büroklammern zusammengehaltenen T-Shirt ― eine<br />
Reminiszenz an ihre Tänzerinnenzeit, in der die zerrissene und durch<br />
Sicherheitsnadeln zusammengehaltene Kleidung zu ihrem Markenzeichen wurde ―,<br />
einer dunkelblauen Denimhose, einem breiten, schwarzen Gürtel mit silberner<br />
Gürtelschnalle, Nietenbesatz und Strasssteinen und mit platinblonden, leicht<br />
gewellten und dunkel gesträhnten Haaren, einer silberfarbenen Kette um den Hals<br />
und nur dezent geschminkt, lehnt sie in lasziver Haltung an der Seite eines<br />
silberfarbenen Trucks. Den rechten Arm hält sie hinter dem Kopf verschränkt, so<br />
dass das weiße T-Shirt ein Stück Haut knapp über der tief sitzenden Jeans freilegt.<br />
Ihre Zungenspitze berührt herausfordernd die mit pinkfarbenem Lippenstift<br />
geschminkte Oberlippe, wobei sie ihren Blick ― ihr Gesicht ist ins Dreiviertelprofil<br />
gedreht ― seitlich in die Kamera richtet.<br />
Die Diskrepanz zwischen Cover und Inhalt des Clips verweist einmal mehr<br />
auf die Tatsache, dass es sich wie immer bei Madonna um ein Spiel mit Masken<br />
handelt. Das Cover lässt einen anderen Inhalt vermuten, als der Clip offenbart: Er<br />
ruft beim Betrachter Erwartungen hervor, die konsequent nicht erfüllt werden.<br />
Während das Cover sich augenscheinlich an ein männliches Klientel richtet, die an<br />
dem darauf gebildeten „girl“ Gefallen finden könnte, läuft der Inhalt des Clips jeder<br />
männlichen Erwartungshaltung, die mit dem Cover verknüpft werden könnte,<br />
zuwider: Die radikale, kompromisslose und selbstbewusste Protagonistin hat mit<br />
dem mit der Kamera kokettierenden Girl nichts gemeinsam. Durch diesen Bruch<br />
zwischen suggeriertem Anspruch und tatsächlicher Botschaft des Clips werden die<br />
darin präsentierten Bilder noch wirksamer. Bei genauer Betrachtung hinterlässt<br />
allerdings selbst das Cover eine gewisse Irritation: Auf den ersten Blick durchaus<br />
200<br />
Immerhin ist die Künstlerin zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt und dem Mädchen-Alter längst<br />
entwachsen!<br />
89
als sexistisch zu bezeichnen, gewinnt man doch den Eindruck dezenter Ironie und<br />
eines Überlegenheitsanspruches, die Madonna in ihren Blick und die<br />
herausfordernde Zungenbewegung legt. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass<br />
hinter jedem neuen Madonna-Produkt immer auch eine Marketing-Strategie steckt,<br />
der es darum geht, das Produkt möglichst gewinnbringend zu verkaufen.<br />
2.4.2.4 Interpretation<br />
Das Video veranschaulicht nach Madonnas eigener Aussage ihren Charakter:<br />
„Ich lebe meine Phantasie aus und mache Dinge, die Mädchen nicht machen<br />
dürfen“ 201 ― ein Bekenntnis, das ― im Hinblick auf die durch die Bilder zur Schau<br />
gestellte Brutalität ― nicht nur befremdlich, sondern beinahe zynisch anmutet. Auf<br />
der anderen Seite zeigt der Videoclip „What It Feels Like For A Girl“ eine starke,<br />
selbstbewusste, aber auch vom Leben gezeichnete Frau (Alkoholismus,<br />
Tablettensucht), die sich nicht länger von Männern Vorschriften darüber machen<br />
läßt, wie sie sich zu verhalten habe, und wo ihr Platz in der Gesellschaft sei. Dieser<br />
Anspruch auf Selbstbestimmung geht aber ― und das ist die zynische Botschaft des<br />
Clips ― nicht mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen konform,<br />
sondern fordert Opfer ― was, wie der Clip zeigt, auch im wörtlichen Sinne zu<br />
verstehen ist ―: zuletzt auch das eigene Leben.<br />
Der Clip prangert in einer radikalen Umkehrung der realen Verhältnisse die<br />
gesellschaftlichen Zustände in einer von Männern dominierten Welt an und greift<br />
damit ein „traditionelles“ Thema der Künstlerin Madonna auf: die unterprivilegierte<br />
Stellung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft und der Entwurf alternativer<br />
Rollenmodelle. 202 Dies geschieht in erster Linie durch ein Spiel mit Klischees: Sie<br />
parodiert stereotypes männliches Rollenverhalten, indem sie es übertrieben und vor<br />
allem akkumulierend adaptiert.<br />
Als „Lady“ tritt sie Männern gegenüber, um sie mit ihrem eigenen, zum Teil<br />
absurd-lächerlichen Verhalten zu konfrontieren, und sie die Demütigungen und<br />
Verletzungen erfahren zu lassen, die Frauen alltäglich durch männliche Gewalt<br />
erfahren. Sie ist eine Gangsterin, die in Motels wohnt, in denen sie ihre Anonymität<br />
wahren kann, da sie sich offensichtlich permanent auf der Flucht befindet. Ihre<br />
zahlreichen Personalausweise dienen aber nicht nur dazu, ihre wahre Identität zu<br />
201 Madonna, zit.n. Morton 2002, S. 409.<br />
202 Wobei durch die zahlreichen Menschenleben, die der im Videoclip unterbreitete Alternativentwurf<br />
fordert, deutlich wird, dass es sich dabei nicht um einen ernstzunehmenden Vorschlag handeln kann! Er<br />
spielt nur ein Modell durch, dass der gegenwärtigen, von Männern dominierten Gesellschaft den Spiegel<br />
vorhalten soll!<br />
90
verschleiern, sondern sind auch ein Symbol dafür, dass sie als Figur austauschbar<br />
ist: Sie könnte jede Frau, in jedem beliebigen amerikanischen Bundesstaat sein,<br />
ihre wahre Identität spielt bei der „Mission“, die sie zu erfüllen hat, keine Rolle:<br />
nämlich, durch ihren „Kreuzzug“ alle Frauen zu rächen, die Opfer männlicher<br />
Gewalt waren und noch sind. Dafür nimmt sie die Rolle des Täters an, indem sie<br />
sich dessen Gewohnheiten zu eigen macht (Wodkatrinken), sich über seine<br />
Interessen informiert (Waffenzeitschrift, Tattoos, Kraftsport, schnelle Autos) und<br />
sogar straffällig wird (Kurzschließen des Camaro).<br />
Auch der Blick im Clip scheint männlich: Die muscle cars stehen im<br />
Mittelpunkt, zum Ausdruck gebracht durch die vielen Details wie Tacho,<br />
Schaltknüppel, Motor oder durchdrehende Reifen. Ganz besonders deutlich wird der<br />
männliche Blick bei der Inszenierung des Firebirds: Die höchste<br />
Steigerungsmöglichkeit männlicher Automobilträume wird präsentiert wie ein<br />
Sportler kurz vor dem Wettkampf. Die Kamerafahrt, die den filmischen Effekt des<br />
Verliebens zitiert, erzeugt einen Moment lang den Eindruck, als handele es sich bei<br />
dem Wagen um ein libidinöses Subjekt, in dessen Gegenwart dem Betrachter der<br />
Atem stocken müsste.<br />
Auch die Art und Weise, in der die Protagonistin Auto fährt, ist männlich:<br />
Der Gestus des linken Arms, der lässig aus dem Fenster hängt, das Aufheulenlassen<br />
des Motors, die quietschenden Reifen beim Anfahren, die Vollbremsung vor dem<br />
Mülleimer. Sie eignet sich alle Dinge an, denen Männer besondere Wertschätzung<br />
entgegenbringen: Macht, Kontrolle, Besitz, dargestellt durch Geld und getunte<br />
Autos. Konfrontiert mit der Absurdität des eigenen Verhaltens sind sie ratlos. Dabei<br />
macht sich die Protagonistin den Überraschungseffekt zunutze: Nur solange<br />
niemand von ihr ein solches Verhalten erwartet, kann sie mit ihrem Handeln Erfolg<br />
haben. Das zeigt sich bereits in der ersten „Gewalt“-Szene, in der die Protagonistin<br />
an der Ampel wartend den jungen Männern im Auto neben sich begegnet. Obwohl<br />
sie diejenige ist, die den Kontakt sucht, und obwohl die an ihrem Rückspiegel<br />
baumelnden Würfel in der Sprache der Straße ihre Bereitschaft zu einem<br />
Straßenrennen signalisieren, scheint die Möglichkeit, dass die Protagonistin etwas<br />
anderes als einen Flirt im Sinn haben könnte, völlig außerhalb des<br />
Vorstellungsbereichs der jungen Männer zu liegen. Sie wird von den Männern auf<br />
ihre weibliche Rolle der „Pussycat“ reduziert, was schließlich der Auslöser für ihre<br />
ausbrechende Aggressivität zu sein scheint. Dabei ist aufgrund der akribischen<br />
Vorbereitungen der Protagonistin im Motel davon auszugehen, dass sie das<br />
91
Missverständnis bewusst provoziert, um den Überraschungseffekt für sich zu nutzen<br />
und ihr Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes „vor den Kopf“ zu stoßen.<br />
Madonna beschränkt sich allerdings nicht auf die Imitation der Männerwelt,<br />
sondern zerstört sie gleichermaßen, wörtlich wie im übertragenden Sinn: Um dem<br />
Betrachter die destruktive Kraft männlicher Gewalt vor Augen zu führen, richtet sie<br />
diese gegen ihre Urheber selbst. Die Opfer, die sie sich dabei aussucht, wählt sie<br />
scheinbar willkürlich aus ― so zufällig wie die verschiedenen Identitäten, derer sie<br />
sich selbst bedient. Daher ist auch nicht davon auszugehen, dass es sich um einen<br />
persönlichen „Rachefeldzug“ handelt, sondern es ihr vielmehr darum geht, ein<br />
Exempel zu statuieren, im Namen aller Frauen, die Opfer männlicher Gewalt<br />
geworden sind. Somit liefert der Videoclip zu „What It Feels Like For A Girl“ die<br />
abschreckende Antwort auf die bereits im Titel aufgeworfene Frage, wie sich ein<br />
Mädchen in einer Gesellschaft fühlt, in der Frauen eine unterprivilegierte Stellung<br />
einnehmen und in der in bestimmten Kreisen die Bezeichnung „Mädchen“ die<br />
größtmögliche Form der Beleidigung darstellt. Sie lässt die Männer, an die der Clip<br />
adressiert ist, und die sich mit den Opfern identifizieren sollen, spüren, wie es sich<br />
anfühlt, ein Opfer körperlicher Gewalt zu sein, bedroht, vorgeführt und erniedrigt zu<br />
werden, zumal von einer vermeintlich schwächeren Person. Darüber hinaus kann er<br />
auch als Anklage gegen eine Gesellschaft verstanden werden, in der Opfer erst zu<br />
Tätern werden müssen, um mit ihren Interessen wahrgenommen zu werden.<br />
Madonna inszeniert ein Gewaltszenario um einem gewalttätigen System den Spiegel<br />
vorzuhalten. Gleichzeitig streicht sie aber ― vorgeführt durch das drastische Ende<br />
der Protagonistin ― auch heraus, dass es aus dieser Spirale der Gewalt an einem<br />
bestimmten Punkt keinen Ausweg mehr gibt, nämlich dann, wenn sich die<br />
Aggression des Täters gegen sich selbst richtet.<br />
Die Rolle der alten Dame scheint zunächst ungewiß. Sie und die<br />
Protagonistin gehören unterschiedlichen Generationen an und leben in<br />
unterschiedlichen Welten: Während sich die junge Frau als Straftäterin permanent<br />
auf der Flucht befindet, lebt die alte Frau in einem Pflegeheim und ist auf die Hilfe<br />
Anderer angewiesen. Wie eine in der Erzählchronologie weiter hinter angeordnete<br />
Einstellung zeigt, scheint die alte Dame allerdings großes Interesse an schnellen<br />
Autos zu haben: Während sie vor dem Fernseher sitzt und sich ein Autorennen, ein<br />
Roadmovie oder etwas ähnliches ansieht, wird sie vom Geschehen derart ergriffen,<br />
dass sich ihre innere Anteilnahme in körperlichen Reaktionen äußert: Sie krallt sich<br />
92
― wie in der Beschreibung des Clips bereits erwähnt ― mit den Fingern in der<br />
Armlehne des Sessels fest. Diese Reaktion ist um so auffälliger, da die alte Dame<br />
sich in ihrem sonstigen Verhalten eher lethargisch, geistig abwesend zeigt. So<br />
könnte man zu dem Schluss kommen, dass die beiden Frauen die Freude an<br />
schnellen Autos und das damit verbundene männliche Verhalten zu verbinden<br />
scheint. Die Protagonistin lebt es aus, und gibt der alten Dame die Möglichkeit,<br />
daran teilhaben zu können. Diese ist als Stellvertreterin einer Generation<br />
anzusehen, in der die Rollenzuweisung der Geschlechter eine noch viel restriktivere<br />
war als in der gegenwärtigen Zeit. Auch die alte Dame ist ein „girl in this world“,<br />
und hat sich ihr Leben lang vermutlich männlichen Wünschen und Vorstellungen<br />
unterordnen müssen.<br />
Die Tatsache, dass die beiden Frauen sich für die Autofahrt präparieren, in<br />
dem sie sich Schutzkleidung anlegen, lässt auf eine gewisse Routine der<br />
Vorgehensweise schließen. Offensichtlich unternimmt das ungleiche Paar des<br />
öfteren diese Art von Ausflügen. Madonnas Hämatom unter der Brust unterstützt<br />
diese Vermutung zusätzlich.<br />
Der Selbstmord gilt als das typische Ende eines Roadmovies und ist<br />
Ausdruck von Nicht-Passivität. Die Protagonistin bestimmt selbst über das eigene<br />
Leben und darüber, wann sie es beenden will. Andererseits hat sie aus moralisch-<br />
ethischer Perspektive keine andere Möglichkeit, als sich das Leben zu nehmen,<br />
denn als Täterin hat sie sich der gleichen Verbrechen schuldig gemacht, die sie<br />
ihren Opfern zum Vorwurf gemacht hat, als diese noch Täter und sie selbst das<br />
Opfer war. Darüber hinaus müssen starke Frauen am Ende von Hollywoodfilmen<br />
immer sterben, denn für sie gibt es ― das vermittelt auch der Videoclip zu „What It<br />
Feels Like For A Girl“ ― keinen Platz in der Gesellschaft.<br />
Das Thema des weiblichen outlaw, auf das dieser Clip referiert, kann im<br />
Mainstream als vorausgesetzt angenommen werden. Hollywoodfilme wie der 1991<br />
produzierte „weibliche“ Roadmovie „Thelma & Louise“ 203 zeigen in systemkritischer<br />
Weise auf, wie eine von Männern dominierte Gesellschaft auf weibliche<br />
„Ausbruchs“-Versuche reagiert. Auch hier bleibt dem Frauenpaar am Ende nur noch<br />
die Flucht in den Selbstmord, denn als outlaws gibt es für sie keinen Platz mehr in<br />
der Gesellschaft. 204<br />
203 Regie: Ridley Scott, mit Susan Surandon und Geena Davis in den Hauptrollen.<br />
204 Zwei Freundinnen, eine Hausfrau und ein Serviererin, wollen ein Wochenende ohne Männer<br />
verbringen. Bei diesem Versuch, ihre Freiheit zu finden, geraten sie in unvorhergesehene Probleme: Eine<br />
der beiden Frauen wird von einem rüden Kneipengänger sexuell belästigt, woraufhin ihre Freundin den<br />
93
Heinz Geuen und <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong> verweisen außerdem auf den spirituellen<br />
Zusammenhang, der zwischen dem Madonna-Clip und den Arbeiten von Virginie<br />
Despentes und Coralie Trinth Thi besteht, die in ihrem Film „Baise Moi“ aus dem<br />
Jahre 2000 „die Ausweglosigkeit weiblichen Aufbegehrens zutiefst verstörend<br />
darstellen.“ 205<br />
Auch die Protagonistin in „What It Feels Like For A Girl“ „verspielt“ durch ihr<br />
Verhalten ihren Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft, in die eine Rückkehr<br />
nicht mehr möglich ist, auch weil er einen persönlichen Rückschritt bedeuten<br />
würde. Neben den beiden oben angeführten filmischen Referenzen legt die<br />
Thematik des Clips einen Vergleich mit der zu Tode verurteilten, als erster<br />
weiblicher amerikanischer „serial killer“ bekannt gewordenen Aileen Wuornos nahe.<br />
Der „Fall“ Wuornos erregte in den 1990er Jahren in der amerikanischen<br />
Öffentlichkeit nicht nur deshalb so viel Aufsehen, weil sie eine mordende Frau war,<br />
sondern weil sie ihre Opfer scheinbar willkürlich auswählte und dabei mit äußerster<br />
Brutalität vorging. Die ehemalige Prostituierte, die von frühester Kindheit an den<br />
Umgang mit Männern als gewalttätig, sexualisiert, verletzend und demütigend<br />
erfahren hatte, und in den 1980er und 1990er Jahren sieben ihrer Freier tötete,<br />
wurde 1992 zum Tode verurteilt und zehn Jahre später hingerichtet. Der Prozess<br />
avancierte zu einem regelrechten Medienspektakel und verhalf nicht nur der<br />
Hauptverdächtigen, sondern auch ihrem Anwalt zu zweifelhafter Popularität, wie der<br />
Dokumentarfilmer Nick Broomfield in seinen beiden Portraits über Wuornos<br />
darlegte. 206 Zuletzt erinnerte der von Patty Jenkins im Jahre 2003 gedrehte Film<br />
„Monster“ mit Charlize Theron in der Hauptrolle an das Leben und die Hinrichtung<br />
von „Amerikas erster weiblicher Serienkillerin.“ Auch der Fall Wuornos’ beschreibt<br />
das Schicksal einer Frau, die sich mit ihrer Opferrolle nicht länger abfinden wollte.<br />
Aus Wuornos’ Lebensbeschreibungen und dem Film „Monster“ geht hervor, wie sich<br />
ein Mädchen fühlt, das am untersten Ende der sozialen Hierarchie steht: verletzt,<br />
mißbraucht, ausgenutzt, gedemütigt, verlassen und um die eigenen Lebensträume<br />
betrogen. Wie in Madonnas Video-Clip sieht Wuornos ihre einzige Möglichkeit, sich<br />
Mann erschießt. Für den Rest des Films werden sie vom FBI gejagt. Auf ihrer Flucht streben sie<br />
kompromisslos ihre Freiheit an und emanzipieren sich so von der Männerwelt. Am Ende ihres<br />
Rachefeldzugs, von männlichen Polizisten umstellt, entscheiden sie sich für den Selbstmord.<br />
205 Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 47. – Nach einer Vergewaltigung ermordet Nadine ihren Peiniger. Auf der<br />
Flucht trifft sie Manu, die ebenfalls Schlimmes erlebt hat. Die beiden Frauen begeben sich zusammen auf<br />
die Flucht durch die französische Provinz, wobei sie ein Leben jenseits aller Konventionen und<br />
Wertvorstellungen führen, aus dem es schließlich kein Zurück gibt. Auch hier steht am Ende der Tod, die<br />
Kapitulation.<br />
206 „Aileen Wuornos: The Selling of a Serial Killer“ (1992) und „Aileen: Life ans Death of a Serial Killer“<br />
(2003), Regie: Nick Broomfield. – Ebenfalls 1992 entstand unter der Regie von Jean Smart der<br />
Fernsehfilm „Overkill: The Aileen Wuornos Story“.<br />
94
in dieser als gewalttätig und rücksichtslos erfahrenen Welt zu behaupten, darin,<br />
männliches Verhalten anzunehmen: Sie verhält sich im Alltag wie ein Mann, kleidet<br />
sich wie ein Mann, geht wie Mann, lacht wie Mann, umgibt sich nur mit Männern,<br />
besucht Männer-Kneipen, trinkt Bier und Schnaps und erzählt Männer-Witze. Einzig<br />
ihr „Beruf“ und nicht zuletzt die Beziehung zu einer anderen Frau, von der sie zum<br />
ersten Mal in ihrem Leben Liebe erfährt, bringen sie immer wieder mit ihrer eigenen<br />
Weiblichkeit und ihrer emotionalen Seite in Konflikt.<br />
Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels dargestellt, wurde die<br />
Verweigerung einer Ausstrahlung von „What It Feels Like A Girl“ von den<br />
Musiksendern mit dem Argument der darin zur Schau gestellten Gewalt begründet.<br />
Tatsächlich werden, wie die Clipbeschreibung darstellt, die entscheidenden Szenen<br />
jedoch gar nicht gezeigt. Doch gerade darin, dass die Auswirkungen der Gewalt für<br />
den Betrachter nicht sichtbar sind, sehen Medienwissenschaftler die eigentliche<br />
Gefahr, da auf diese Weise das Ausmaß und die Tragweite der Handlungen<br />
verharmlost bzw. heruntergespielt werde. Betroffen seien vor allem junge<br />
Rezipienten, deren soziale Kompetenz und ethisches Verantwortungsbewusstsein<br />
noch nicht voll ausgereift und bei denen das Gesehene daher zu<br />
Handlungsmodifikationen führen könnte. Im Bezug auf den oben besprochenen Clip<br />
könnte das zum Beispiel bedeuten, dass sich jugendliche Zuschauer, die sehen, wie<br />
eine Tankstelle „in die Luft“ geht und sich von der Darstellung ästhetisch<br />
angesprochen fühlen, dadurch zur Nachahmung animiert werden könnten.<br />
Es stellt sich allerdings die Frage, zu welchen Konsequenzen es in der<br />
Gesellschaft führen würde, wenn die Masse der täglich in Filmen und<br />
Fernsehsendungen konsumierten Gewaltdarstellungen in Taten umgesetzt würde.<br />
So scheint es eher plausibel hinsichtlich der Wirkungen von Videoclips von dem<br />
Verständnis eines eindimensionalen Ursache-Wirkung-Modells abzurücken. Darüber<br />
hinaus kann es nicht ausreichen, einzelne Bildelemente ― ähnlich wie Freud ― aus<br />
dem Gesamtzusammenhang zu isolieren und auf ihre einseitige Funktion als<br />
Symbole für gefährliche Triebwünsche zu reduzieren, etwa ein zertrümmertes Auto<br />
als Propagierung von Gewalt, oder hautenge Kleidung, rote Lippen und nackte Haut<br />
als Aufforderung zu Promiskuität.<br />
So scheint letztlich die Tatsache, dass eine Frau, die einen Rachfeldzug<br />
gegen die Männerwelt führt, die Musiksender dazu bewegt zu haben, den Clip nicht<br />
auszustrahlen. Obgleich Madonna einer von MTVs „Darlings“ ist, verbietet es ihr<br />
95
allein die simple Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihre Meinung zu äußern ― ganz<br />
im Gegensatz zu den zahlreichen rappenden Männern, die den Betrachter nicht<br />
selten selbstverliebt an ihren intimsten Phantasien teilhaben lassen und dafür<br />
anerkennenden Beifall ernten. Auch das zeigt auf augenfällige Weise, „what it feels<br />
like for a girl“!<br />
Der Madonna Clip spiegelt den Zorn der Künstlerin über das nicht<br />
vorhandene Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern wieder. Andrew Morton<br />
erkennt in ihr eine „zeitgemäße Popversion von Puccinis Opernheldin Turandot“ 207 ,<br />
die sich an der Männerwelt rächt. Dabei stehen, so Morton, das Video „wie die<br />
ganze Bilderwelt ihres Drowned World-Konzertes völlig im Kontext der Themen, mit<br />
denen sie sich während der letzten vergangenen 20 Jahre beschäftigt hat.“ 208 Denn<br />
auch hier verhandelt sie die Beziehung zwischen den Geschlechtern, den<br />
geschlechtlichen Zwiespalt und den ungelösten Konflikt der Frau in der<br />
patriarchalen Gesellschaft, die durch und durch weiblich und sich ihrer Sexualität<br />
bewusst sein, doch zugleich die Kontrolle über ihr Leben haben will. War sie in<br />
ihrem „Drowned World / Substitute for Love“-Clip (1998, Clip 08) noch Opfer von<br />
der von Männern dominierten Massenmedien, so sei sie in „What It Feels Like For A<br />
Girl“ zur Rächerin geworden.<br />
Rache ist ein Thema, was sie in ihrer „Drowned World“-Tour 2001 noch<br />
weiter ausgebaut hat:<br />
In einer Szene erschießt Madonna ihren männlichen Peiniger, in einer anderen erhebt<br />
sie als rachsüchtige Geisha gekleidet das Schwert gegen ihren Angreifer. Bilder<br />
geschlagener Frauen [drängen] von Videoschirmen auf die Zuschauer ein. 209<br />
Die von Madonna kultivierte „Mrs. Ritchie“-Gestalt ist demnach genauso kalkuliert<br />
wie alle anderen Madonna-Gestalten auch.<br />
3. MADONNAS MACHT ÜBER DIE BILDER<br />
Diesmal fühlt es sich seltsam an, anders als sonst. Der Bedeutungs- und<br />
Zeichenkomplex „Madonna“ ist dabei, aktualisiert zu werden, aber das Wichtigste<br />
scheint irgendwie zu fehlen. Die Single „American Life“ steht in den Läden und läuft<br />
im Radio, ab Dienstag wird auch das gleichnamige Album zu haben sein ― aber dort,<br />
wo man das Zentrum vermutet, klafft eine riesige Lücke. [...] Madonna hat das<br />
Video, das ihr Image auf den Stand der Gegenwart gebracht hätte, praktisch<br />
207 Morton 2002, S. 410.<br />
208 Ebd., S. 409.<br />
209 Ebd., S. 410.<br />
96
während der Veröffentlichung schon wieder zurückgezogen. [...] Ein Madonna-Album<br />
ohne neue Madonna-Bilder hinterlässt eine frappierende Leere, die auch vom Rest<br />
des Popbetriebs nicht gefüllt werden kann. Da, wo sie noch vor kurzem war, klafft<br />
nun praktisch ein Krater, gefüllt mit nichts. 210<br />
Obgleich diese Zeilen, mit denen Tobias Kniebe seinen Artikel über die<br />
Veröffentlichung von Madonnas neuntem Album „American Life“ 211 in der<br />
Süddeutschen Zeitung vom 17. April 2003 einleitet, theatralisch anmuten, lassen<br />
sie dennoch erkennen, wie sehr der Madonna-Diskurs vom Visuellen bestimmt wird.<br />
„Hören statt sehen“, schreibt Der Spiegel, „das ist eine neue Dimension der<br />
Madonna-Rezeption, so erscheint es beinahe logisch, dass ‚American Life’ in vielen<br />
Kritiken schlechter abschneidet als die beiden vorherigen Alben ‚Ray Of Light’ und<br />
‚Music’“. 212<br />
Das Cover (Anhang I, Abb. 09) zeigt ein schwarz-weißes, im Siebdruck-Stil<br />
gehaltenes Portrait der Künstlerin, das durch Kappe, Haltung und Mimik an das<br />
berühmte Konterfei des kubanischen Guerillakämpfers und Revolutionärs Ernesto<br />
„Che“ Guevara erinnert ― seit den 1960er Jahren, vor allem bei der politisch<br />
Linken, ein Symbol für Widerstand ―, wodurch offensichtlich die Stoßrichtung<br />
vorgegeben werden soll: Zwei blutrote Streifen ziehen sich auf Höhe des linken<br />
Auges und der Stirn als einzige farbliche Elemente über das Portrait, während im<br />
Hintergrund eine zerrissene, stilisierte amerikanische Flagge zu erkennen ist. Das<br />
dazugehörige Video wurde allerdings nach nur einem Tag Ausstrahlung „[o]ut of<br />
respect for armed forces“ von Madonna wieder zurückgezogen 213 , denn der Clip<br />
zeigt die Künstlerin, wie sie als „paramilitärische Kämpferin über den Laufsteg<br />
flaniert und mit drastischen Bildern die Kriegstreiberei George W. Bushs anprangert<br />
[...]“ 214 ― offensichtlich eine zu große Zumutung für den amerikanischen<br />
Durchschnittskonsumenten.<br />
Durch das Zurückziehen des Videos verzichtete sie auf einen wesentlichen<br />
Teil ihrer Performance, der dazu hätte beitragen können, die „neue“ Madonna zu<br />
verorten ― eine Tatsache, die bei Kniebe zu einer „irrationalen Sehnsucht nach<br />
Madonna-Bildern“ führt. Seiner Meinung nach hätte ein Videoclip „vielleicht alles<br />
210<br />
Kniebe, Tobias: „Madonnas Neue“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.04.2003.<br />
211<br />
Produziert von Madonna und Mirwais Ahmadzai, mit dem sie schon bei ihrem letzten Album „Music“<br />
zusammengearbeitet hat.<br />
212<br />
Borcholte, Andreas: „Madonnas ‚American Life’. Adieu Jugendwahn“, in: Spiegel online vom<br />
23.04.2003, http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,245642,00.html, Zugang: 29.06.2005.<br />
213<br />
Vgl. Mertin, Andreas: „Abgesang einer Madonna“, in: Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003,<br />
http://theomag.de/23/am92.htm; Zugang: 14.06.2005.<br />
214<br />
Borcholte 2003.<br />
97
geklärt [was durch Musik und Text des neuen Albums allein eben unklar geblieben<br />
ist; Anmerkung d.V.], genial auf den Punkt gebracht und eine gültige Madonna für<br />
die nächsten Monate geschaffen“ 215 ; denn dass die Bilder dem jeweiligen Song<br />
oftmals erst die eigentliche Bedeutung verleihen, konnte an allen im Zentrum<br />
dieser Arbeit stehenden Videoclips aufgezeigt werden.<br />
Die Madonna-Rezeption ist ― wie in den obigen Zitaten stellvertretend für<br />
den Madonna-Diskurs zum Ausdruck gebracht wurde ― in erster Linie eine visuelle,<br />
wobei die materiale Beschaffenheit ihrer Musik und ihre Qualitäten als Sängerin von<br />
nur sekundärem Interesse waren und sind. So vertritt Laurenz Volkmann auch die<br />
Meinung, dass<br />
Madonna [...] wohl mit ihrer dünnen Trällerstimme und den zweideutigen Texten<br />
eines der damaligen One-Hit-Wonders geblieben [wäre], eine Pop-Saisongröße wie<br />
die Go-Go’s, Bananarama, die Bangles, Cyndi Lauper [...], hätte sie nicht passend<br />
zum neuen Medium MTV ein visuelles Image kreiert, das von Pop-Journalisten als<br />
Auftritt eines grellen Nightlife-Girls beschrieben wurde, wie bei „dem Mädchen von<br />
der Straße, mit dem freien Bauchnabel und den ausgefallenen Oberteilen, mit den<br />
Netzröcken, den dicken Socken, den Kruzifix-Ohrringen und den unzähligen Gummi-<br />
Armreifen.“ 216<br />
Das Medium Videoclip wurde von Anfang an von Madonna genutzt, um ihre<br />
Popularität aufzubauen, ihr jeweiliges Image zu kreieren und umzuwandeln. Die<br />
Wandelbarkeit der Kunstfigur Madonna ist ihre zentrale Eigenschaft und<br />
wahrscheinlich auch der wichtigste kommerzielle Aspekt des bis heute fast<br />
lückenlos erfolgreichen Stars. So hebt Claudia Bullerjahn als Madonnas<br />
wesentlichstes, verkaufsförderndes Merkmal ihre „chamäleonartige visuelle<br />
Wandlungsfähigkeit“ hervor 217 , während Boris Penth und Natalia Wörner in ihr „die<br />
wandelbarste Projektionsfläche in Form eines menschlichen Stars“ 218 erkennen, die<br />
dieses Jahrhundert geschaffen hat.<br />
Mit ihrer unerschöpflichen Verwandlungsfähigkeit fordert sie den Betrachter<br />
jedes Mal wieder heraus, sie als Künstlerin neu zu begreifen. 219 Bullerjahn erkennt<br />
in diesen fortwährenden Imagewechseln eine Möglichkeit, das „Produkt Madonna“<br />
215<br />
Kniebe 2003.<br />
216<br />
Voller, Debbi: Madonna. Eine illustrierte Biographie von Debbi Voller, Rastatt: Moewig 1990 [engl.<br />
Original 1988], S. 48; zit.n. Volkmann.<br />
217<br />
Bullerjahn 2001, S. 217.<br />
218<br />
Penth, Boris/Wörner, Natalia: „Das elfte Gebot: Madonna Ciccone“, in: Diederichsen,<br />
Diedrich/Dormagen, Christel/Penth, Boris/Wörner, Natalia: Das Madonna Phänomen, Hamburg 1993, S.<br />
28.<br />
219<br />
Vgl. Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen,<br />
Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer/Mosel<br />
2002, S. 204. – Wie der Titel dieses Aufsatzes schon andeutet, wird Madonnas Aneignung von Images<br />
populärer Stars (Monroe, Dietrich, Minelli, Hayworth, ...), die die Einzigartigkeit eines Stars damit als<br />
eine Täuschung enttarnt, oftmals mit den Fotoaufnahmen Cindy Shermans verglichen, in denen sie<br />
verkleidet Posen verschiedener Hollywoodstars der fünfziger Jahre einnimmt.<br />
98
immer wieder neu beim Konsumenten anpreisen zu können, und mit jeder neuen<br />
Single, jedem dazugehörigen Clip und jedem Album die Erwartungshaltung bei Fans<br />
und Kritikern zu erhöhen. Sie vergleicht dieses Marketing-Konzept mit der<br />
Vermarktung von Alltagsgegenständen, bei denen ebenfalls von Zeit zu Zeit das<br />
Design verändert werden müsste, um es für den Verbraucher erneut interessant<br />
wirken zu lassen und ihn zum kaufen zu bewegen. 220<br />
Durch ihre Musikvideos hat Madonna von Anfang an „Einblick in die<br />
Herstellung ihres Starkörpers geboten.“ 221 Das Musikvideo versteht sie, wie sie<br />
selbst erklärt, „als filmischen Ausdruck ihrer Songs, als lyrische Kurzform des<br />
Spielfilms, die das visuell umsetzt, wovon der Song erzählt.“ 222 Das Musikvideo ist<br />
das Medium, in dem sie<br />
unter eigener Regie das Spiel zwischen Macht und Lust für die Definition weiblicher<br />
Subjektivität erproben, weibliche Stereotypen auf die Spitze treiben und fröhlich<br />
demontieren, und die Blickverhältnisse kritisch beleuchten, die in konventionellen<br />
Darstellungen weiblicher Stars wirksam sind. 223<br />
In den Clips ist es ihr möglich, die geschlechtlichen Identitäten als Maskeraden<br />
durchzuspielen und die fließenden Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit<br />
(„Express Yourself“ und „What It Feels Like For A Girl“) aufzuzeigen. Madonnas<br />
Maskerade der exzessiven Weiblichkeit, wie sie sie z.B. in den frivolen Dessous<br />
eines Jean-Paul Gautier inszeniert, bewirkt eine Kritik der „natürlichen“<br />
Geschlechtsunterschiede; denn eine solche Darstellung verweist auf die soziale<br />
Konstruktion der Geschlechtsunterschiede, im Gegensatz zur natürlichen<br />
Determination. Sie trägt nicht nur „Weiblichkeit als Maskerade“ („Open Your<br />
Heart“), sondern auch „Männlichkeit als Maskerade“ („Justify My Love“), wie<br />
Corinna Herr in ihrem Aufsatz darstellt. 224 Dieser Austausch von Masken erfolgt<br />
entweder zwischen ihren Auftritten, oder aber innerhalb einer einzelnen<br />
Performance, wie etwa in „Express Yourself“.<br />
Madonna sucht in ihren Videobildern nach einer erotischen Sprache, die die<br />
Frau nicht zwangsläufig zum Sexualobjekt degradiert. Indem sie Körpergrenzen<br />
überreitet und durch immer wieder neue Inszenierungen die unerschöpfliche Vielfalt<br />
an Möglichkeiten der Imagekonstruktionen darstellt, zeigt sie auf, dass es keine<br />
essentiellen Kategorien von Geschlechtlichkeit gibt. So ist es kein Widerspruch,<br />
220<br />
Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217.<br />
221<br />
Bronfen 2002, S. 208.<br />
222<br />
Ebd.<br />
223<br />
Ebd.<br />
224<br />
Vgl. Herr 2003, S. 343 ff.<br />
99
wenn sich das „Girlie“ zur Domina, danach zur Mystikerin und zur Auftragskillerin<br />
entwickelt. Madonna hat viele Gesichter. 225 Sie erscheint in immer wieder neuen,<br />
dem Zeitgeist entsprechenden Erscheinungen, womit sie sich als Künstlerin nicht<br />
nur ― wie oben ausgeführt ― immer wieder neu „erfindet“, sondern auch auf die<br />
Schnelllebigkeit der Medienkultur reagiert. Die Popbranche lebt von der<br />
Veränderung, der Madonna ihre <strong>wechselnde</strong>n Weiblichkeitsinszenierungen<br />
entgegensetzt. Denn durch die stete Wiederholung in Radio, Fernsehen und<br />
Internet, in der sie „on heavy rotation“ zu hören und sehen ist, nutzen sich die<br />
Bilder schnell ab und nicht nur ihre Attraktivität, sondern vor allem ihre Wirkkraft.<br />
Durch ihre permanenten kreativen Imagewechsel entgeht Madonna der<br />
nivellierenden Wirkung durch die postmodernen Medien.<br />
Heinz Geuen und <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong> sprechen von einer „chromatischen<br />
Identität der Pop-Künstlerin Madonna.“ 226 Damit bezeichnen sie<br />
die Facetten einer permanenten musikalischen und visuellen Neu-Konstruktion, die<br />
soziokulturell geprägte Stile und Habitualisierungen ebenso umfasst wie<br />
Versatzstücke von Kunst und Mode und sich dabei genauso eindeutig wie in den<br />
Mainstream-Traditionen des Pop bewegt wie in deren Randbereichen. 227<br />
Dabei spiele die Visualisierung eine zentrale Rolle, wenn auch nicht die<br />
ausschließliche. 228<br />
Der Videoclip ist allerdings das ideale Medium für eine Künstlerin, die auf simultanen<br />
Ebenen musikalische, narrative und symbolische Strukturen aufspaltet und so eine<br />
permanente polysemantische Multidiskursivität erreicht, mit der sie ihr Thema ―<br />
Macht, Kontrolle und Unterwerfung ― stets aufs Neue inszeniert. 229<br />
So konnte aufgezeigt werden, dass es in all ihren unterschiedlichen Visualisierungen<br />
dennoch immer um die Themen um Macht und Kontrolle geht, das dem jeweiligen<br />
Image entsprechend in einer anderen Variation erscheint. So ist es in „Burning Up“<br />
die Kontrolle über den Look, in „Express Yourself“ die sexuelle Selbstbestimmtheit<br />
und Unabhängigkeit, die ihr die Macht verschafft. In „Frozen“ sind es<br />
Lebensweisheit und Naturverbundenheit, und in „What It Feels Like For A Girl“ die<br />
Dekonstruktion des männlichen Geschlechts durch einen ― wenn auch zynisch<br />
konnotierten ― Rollentausch.<br />
225<br />
„Alle Charaktere, die ich mir ausdenke, sind Teile von mir. Selbst wenn ich lüge ― die Lüge, die man<br />
sich aussucht, erzählt viel über einen selbst.“ Madonna in einem Interview mit Detlef Diederichsen, in:<br />
Diederichsen, Detlef: „Es gibt keine Grenzen“, in: Die Woche vom 21.10.1994.<br />
226<br />
Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 51.<br />
227<br />
Ebd.<br />
228<br />
So zeige das Album „Music“ „einen Grad musikalischer Autonomie Madonnas, der in früheren<br />
Veröffentlichungen kaum je erreicht worden war.“ Ebd.<br />
229<br />
Ebd.<br />
100
Den Widerspruch zwischen dargestellter Person und Darstellerin setzt sie<br />
dabei selbstbewusst ein, indem sie ihren Inszenierungen immer die Person der<br />
disziplinierten Künstlerin gegenüberstellt. Dabei streicht sie deutlich heraus, dass<br />
sie alle Entscheidungen ― vom Entwurf über die Produktion bis zur Vermarktung<br />
ihres Starkimages ― selbst trifft. Sie hat die Kontrolle über alles, was sie tut. 230 Im<br />
Hinblick auf diese höchst perfektionierte Form der Selbstbestimmung spricht<br />
Claudia Bullerjahn deshalb auch von der „Macht der Selbsterfindung“ 231 , der sich<br />
die Künstlerin bediene, um die Kontrolle über ihr Image zu wahren; und nach John<br />
Fiske beruht Madonnas Attraktivität für ihre Fans „weitgehend auf ihrer Kontrolle<br />
über ihr eigenes Image und ihrer Bekräftigung ihres Rechtes auf eine unabhängige<br />
feminine Sexualität.“ 232<br />
Die Bilder des „Produktes Madonna“, die zwischen Macht und Unterwerfung,<br />
Sexualsubjekt und –objekt hin und herpendeln, entziehen sich einer eindeutigen<br />
Lesart. Die Entschlüsselung hängt von verschiedensten Faktoren wie der sozialen<br />
Herkunft, dem Bildungsniveau und persönlichen Erfahrungen des Rezipienten ab.<br />
Dies bedeutet, dass Madonna-Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
wahrgenommen werden können.<br />
Ein Beispiel für eine absolut konträre Wahrnehmung von Madonna-Bildern<br />
bietet die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks, die in einem<br />
Artikel mit der Überschrift „Sklavenhalterin oder Soul Sister?“ 233 „Madonnas<br />
vermeintlich feministisches Programm der sexuellen Befreiung als Adaption<br />
männlicher Sexualität [beschreibt], die diese für ihre mittelschichtorientierte<br />
Aufstiegsideologie funktionalisiere.“ 234 So ist nach Hooks „die künstlerische<br />
Adaption von Ausdrucksformen der schwulen Subkultur [...] von männlicher<br />
Sexualität dominiert“, so dass sie zu dem Schluss kommt, „dass von<br />
emanzipatorischem Denken bei Madonna nicht im Entferntesten die Rede sein<br />
könne.“ 235<br />
230<br />
Auf diese Weise unterlaufe sie den „Mythos des spontanen, authentischen Rock-’n’-Roll-Musikers.“<br />
Bronfen 2002, S. 206. - Nach Lisa A. Lewis verkörpert sie deshalb das kulturelle Phänomen des „Pop“,<br />
denn die Popkultur erhebt nicht, im Gegensatz zum „Rock“, den Anspruch auf Authentizität des<br />
Rockmusikers, die Übereinstimmung von öffentlichem Image und persönlicher Subjektivität. Vgl. Lewis,<br />
Lisa A.: „Gender Politics And MTV: Voicing The Difference” (1990), in: Benson, Carol/Metz, Allan (Hrsg.):<br />
The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 229.<br />
231<br />
Bullerjahn 2001, S. 223.<br />
232<br />
Fiske 2003, S. 133.<br />
233<br />
Vgl. Hooks, Bell: „Madonna. Sklavenhalterin oder Soul Sister?“, in: Dies. (Hrsg.): Black Looks.<br />
Popkultur ― Medien ― Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994, S. 194-203.<br />
234<br />
Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 50.<br />
235<br />
Ebd., S. 50 f.<br />
101
Somit ist es gerade und vor allem die in Madonnas Songs und Musikvideos<br />
angelegte Mehrdeutigkeit, die ihr zum Erfolg verholfen hat, denn Ambivalenz<br />
eröffnet den größten Zuschauerkreis. So ist es möglich, dass sowohl Teenager, als<br />
auch junge Frauen, Männer, Feministinnen und Wissenschaftler Anknüpfungspunkte<br />
finden. So bezeichnet Claudia Bullerjahn die Videobilder Madonnas auch als<br />
„Vexierbilder“,<br />
die je nach Standpunkt des Betrachters in ihrer Bedeutung „umkippen“. Sie sind im<br />
Sinne Umberto Ecos (1977) „offene Kunstwerke“. Es macht die Popularität von<br />
Madonnas Videos aus, dass sie auch aus patriarchalem Blickwinkel rezipiert werden<br />
können. 236<br />
Somit verfehlen ihre Videoclips jede klare Aussage und erlauben eine mehrdeutige<br />
Auslegung. Dabei ist die Mehrdeutigkeit postmoderner Texte nicht als ein Makel zu<br />
betrachten. Die Bedeutungen eines Clips liegen nicht im Clip selbst, sondern in der<br />
Praxis, d.h. in dessen Rezeption, denn die Wirkungen eines Clips werden im Diskurs<br />
um den jeweiligen Star festgelegt. Clips, die von MTV mit der Zensur belegt<br />
werden, sind besonders wirkungsvoll, weil sie dadurch zum Gegenstand lebhafter<br />
Diskussionen werden. Am Beispiel von „Justify My Love“ konnte darüber hinaus<br />
dargestellt werden, wie die Künstlerin jeden Skandal geschickt zu<br />
Selbstvermarktungszwecken nutzt; denn ihre umstrittensten Clips ― neben dem<br />
oben genannten außerdem die zu den Songs „Erotica” (1992) 237 und „What It Feels<br />
Like For A Girl“ ― verkauften sich aufgrund des Verbots noch besser, als sie es<br />
vermutlich ohne einen handfesten Skandal im Hintergrund getan hätten.<br />
Nach fast einem Vierteljahrhundert steht die Künstlerin Madonna noch<br />
immer an der Spitze des Musikgeschäfts, hat alle Medienskandale erfolgreich<br />
überlebt und es gleichzeitig geschafft, mit ihrer Musik aktuell zu bleiben. Auch für<br />
das Ende diesen Jahres hat sich wieder eine „neue“ Madonna angekündigt. So<br />
schrieb schon 1994 Thomas Groß in seiner Rezension in der taz zu Madonnas Album<br />
„Bedtime Stories“, dass es fast so scheine, als sei nicht Madonnas „offensives Sex-<br />
Posing ihr größter Tabubruch, sondern die pure Weigerung, von der Bildfläche zu<br />
verschwinden.“ 238<br />
236 Bullerjahn 2001, S. 257 f.<br />
237 Regie: Fabien Baron, 1992, aus: „Erotica“.<br />
238 Groß, Thomas: „Kein böser Blick“, in: taz Nr. 4454 vom 28.10.1994.<br />
102
4. AUSBLICK UND SCHLUSSWORT<br />
Seit einiger Zeit überschlagen sich die Nachrichten bezüglich des Mitte<br />
November diesen Jahres erwarteten neuen Album von Madonna. Ihre Homepage<br />
kündigt an, dass sie mit diesem Album mit dem sprechenden Titel „Confessions On<br />
A Dancefloor“ zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehre, wobei die Songs eine<br />
Giorgio-Moroder- 239 und Abba-Nostalgie mit „future-music“ verbänden. Das Cover<br />
zum Album, 240 das dort ebenfalls bereits abgebildet ist, 241 zeigt die Künstlerin mit<br />
orange-rot gelocktem, wallendem Haar, gekleidet in eine pinkfarbene Chiffonbluse<br />
mit Puffärmeln, ein pinkfarbenes Höschen und pinkfarbene Glitzerpumps und ―<br />
„very british“ ― sehr viel weiße Haut zeigend. Mit dem Rücken zur Kamera eine<br />
artistische Pose einnehmend ― das linke Bein und der linke Arm sind nach hinten<br />
geschwungen ―, scheint sie gleichsam durch den Diskohimmel zu schweben, den<br />
Kopf in einer exstatischen Geste in den Nacken geworfen, so dass ihr Gesicht nur<br />
andeutungsweise zu erkennen ist. Darunter steht in großen Lettern, die an die<br />
Schriftzüge ihrer Discojahre erinnern, der Name der Künstlerin, wobei der<br />
Buchstabe „O“ zu einer Diskokugel stilisiert ist.<br />
Somit scheint sich der Kreis zu schließen. Im 21. Jahrhundert, nach neun<br />
Alben und unzähligen Images, kehrt die Künstlerin Madonna dorthin zurück, wo ihre<br />
Karriere begann: In das New York der frühen 1980er Jahre, zurück zu den<br />
Vorläufern von House-Music, in die damalige Club-Community, wo sie als junge,<br />
toughe Frau mit großen Ambitionen und einfachen Pop-Tanzstücken entdeckt<br />
wurde.<br />
Neue Videobilder werden wieder eine neue Madonna hervorbringen, die<br />
„Altes“ und „Neues“ kunstvoll zu verbinden weiß, und zumindest für die nächsten<br />
Monate Gültigkeit hat; und es werden sich auch weiterhin Madonna-Biografien mit<br />
der Frage beschäftigen, welches Image denn nun der „echten“ Madonna Louise<br />
Veronica Ciccone entspricht, obgleich der Selbstentwurf der Künstlerin die<br />
Möglichkeit einer Biografie ausschließt. Denn die „echte“ Madonna hinter all ihren<br />
Inszenierungen zu finden scheint aussichtslos. Wie soll man sich auch einem Star<br />
nähern, der sich seine ganze Karriere lang mit der Veränderung seines<br />
künstlerischen Images beschäftigt hat und dessen Wandlungsfähigkeit zu seinem<br />
Markennamen wurde? Abgesehen davon scheinen all diese Biografen, die ―<br />
239 Giorgio Moroder, Südtiroler Produzent, verschaffte der Disco Queen Donna Summer 1975 mit dem<br />
von ihm produzierten Song „Love to Love You, Baby“ einen Hit.<br />
240 Coverartwork gestaltet von Steven Klein und Giovannin Bianco.<br />
241 http://home.madonna.com/MADONNA_COVER_NEW_g_flat.jpg<br />
103
„desperately seeking...“ ― auf der Spur einer ominösen „Wahrheit“ bleiben, die<br />
Tatsache zu übersehen, dass die unterschiedlichen Frauenfiguren, aus denen das<br />
Produkt „Madonna“ sich zusammensetzt, nur die Erfindung einer durchaus<br />
kreativen und kritischen Künstlerin, aber noch viel versierteren Geschäftsfrau und<br />
Marketingexpertin sind, die mit der Privatperson Mrs. Ritchie, geborene Madonna<br />
Louise Veronica Ciccone, nur den Namen teilt.<br />
104
5. QUELLENVERZEICHNIS<br />
Literatur<br />
Altrogge, <strong>Michael</strong>: “…wo alles drunter und drüber geht”. Zur Ordnung und Wahrnehmung von Musik<br />
und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendkulturen. Inaugural-Dissertation zur<br />
Erlangung des Doktorgrades der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I<br />
der Freien Universität Berlin 1996.<br />
Ders.: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung<br />
für Jugendliche, Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: Vistas Verlag 2000.<br />
Bechdolf, U.: „Music Video Histories. Geschichte ― Diskurs ― Geschlecht“, in: Hackl, C./Prommer,<br />
E./Scherer, B. (Hrsg.): Models und Machos? Frauen- und Männerbilder in den Medien, Konstanz<br />
1996, S. 277-299.<br />
Bego, Mark: Madonna. Who’s That Girl? Andrä-Wördern 1992.<br />
Beier, Lars-Olav/Wellersdorf, Marianne: „Die Entfesselung der Kamera“, in: Der Spiegel 1/2004.<br />
Blümner, Heike: „Madonna, Mond und Sterne“, in: taz Nr. 5481 vom 13.03.1998.<br />
Bódy, Veruschka/Weibel, Peter (Hrsg.): Clip, Klap, Bum: Von der visuellen Musik zum Musikvideo,<br />
Köln 1987.<br />
Böker, Carmen: „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, in: Berliner Zeitung vom 25.09.2000.<br />
Borcholte, Andreas: „Madonnas ‚American Life’. Adieu Jugendwahn“, in: Spiegel online vom<br />
23.04.2003, http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,245642,00.html, Zugang: 29.06.2005.<br />
Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen,<br />
Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München:<br />
Schirmer/Mosel 2002, S. 195-217.<br />
Bullerjahn, Claudia: „Populäres und Artifizielles in den Musikvideos von Madonna“, in: Bullerjahn,<br />
C./Erwe, H.-J. (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und<br />
Erscheinungsformen, Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag 2001, S. 203-268.<br />
Chambers, I.: Popular Culture: The Metropolitan Experience, London 1986.<br />
Clerk, Carol: Madonna-Style, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002.<br />
Curry, Ramona: „Madonna von Marylin zu Marlene: Pastiche oder Parodie?“, in: Neumann-Braun, Klaus<br />
(Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 175-204.<br />
Daniels, A.: „Die Genesis eines Popvideos“, in: Bódy, V./Weibel, P. (Hrsg.): Clip, Klapp, Bum. Von der<br />
visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 182-195.<br />
Diederichsen, Detlef: „Es gibt keine Grenzen“, in: Die Woche vom 21.10.1994.<br />
Dyer, Richard: Heavenly Bodies: Film Stars and Society, New York 1986.<br />
Ders.: Stars, London 1979.<br />
Farber, Jim: „The 100 top music videos“, Rolling Stones, October 14/1993, in: Reiss, Steve/Feinemann,<br />
Neil (Hrsg.): Thirty Frames Per Second. The Visionary Art Of The Music Video, New York: Abrams<br />
2000, S. 24 ff.<br />
Fink, <strong>Michael</strong>: Inside the Music Business, New York 1989.<br />
Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1 (1989), hrsg. von: Lutter,<br />
Christina/Reisenleitner, Markus, Wien: Löcker Verlag 2003.<br />
105
Geuen, Heinz/<strong>Rappe</strong>, <strong>Michael</strong>: „Chromatische Identität und Mainstream der Subkulturen. Eine<br />
audiovisuelle Annäherung an das Stilphänomen Madonna am Beispiel des Songs ‚Music’“, in: Helms,<br />
Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences ― Geschlechterrepräsentationen im<br />
Musikvideo, Bielefeld: Transcript Verlag/ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 31, 2003, S. 41-<br />
53.<br />
Geuen, Heinz: „BilderHören und MusikSehen: Musikverstehen im Medienkontext“, unveröffentlichter<br />
Vortrag im Rahmen der Arbeitstagung „Jugend, Kultur und Kreativität. Suche nach neuen Praktiken<br />
des Lernens und Lehrens“ vom 18.-20. Juli 2005 an der Musikhochschule Köln.<br />
Glogauer, Werner: „Sex und Gewalt als auffälligste Inhalte von Videoclips“, in: Musik und Bildung<br />
20/1988, Heft 11, S. 835-840.<br />
Goodwin, A.: Dancing in the Distraction Factory. Music Television and Popular Culture, London 1992.<br />
Graves, Barry/Schmidt-Joos, Siegfried/Halbscheffel, Bernward: Rock-Lexikon, Bd. 2, Reinbek bei<br />
Hamburg: Rowohlt Verlag 1998.<br />
Grigat, Nicoläa: Madonna Bilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas, Frankfurt a.M.<br />
u.a. 1995.<br />
Groß, Thomas: „Kein böser Blick“, in: taz Nr. 4454 vom 28.10.1994.<br />
Herr, Corinna: „Madonnas Maskeraden im Kontext von Gender und Hermetik“, in: Hochschule für Musik<br />
und Theater Hannover/Beyer, Kathrin/Kreutziger-Herr, Annette (Hrsg.): Musik. Frau. Sprache.<br />
Interdisziplinäre Frauen- und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover,<br />
Herbolzheim: Centaurus Verlag 2003, S. 343-356.<br />
Hooks, Bell: „Madonna. Sklavenhalterin oder Soul Sister?“, in: Dies. (Hrsg.): Black Looks. Popkultur ―<br />
Medien ― Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994, S. 194-203.<br />
Hurte, <strong>Michael</strong>: Musik, Bild, Bewegung. Theorie und Praxis auditiv-visueller Konvergenzen, Bonn:<br />
Verlag für Systematische Musikwissenschaft 1982.<br />
Huyssen, Andreas: “The Vamp and the Machine: Fritz Lang’s Metropolis”, in: Ders: (Hrsg.): After the<br />
Great Divide. Modernism, Mass Culture, Postmodernism, Houndmills u.a. 1986, S. 45-81.<br />
Kaplan, E.A.: Rocking Around the Clock. Music Television, Postmodernism and Consumer Culture,<br />
London 1987.<br />
Karnik, Olaf: „Musikvideo ― Hybrid im Spannungsfeld von Popmusik und Kurzfilm, Musikindustrie und<br />
Musikfernsehen“, aus: http://www.miz.org/musikforum/mftxt/mufo9414.htm; Zugang: 18.11.2003.<br />
Kniebe, Tobias: „Madonnas Neue“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.04.2003.<br />
Lewis, Lisa A.: „Gender Politics And MTV: Voicing The Difference” (1990), in: Benson, Carol/Metz, Allan<br />
(Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 226-232.<br />
Maas, Georg: „Videoclips. Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend?“, in: Musik und Unterricht<br />
51/1998, S. 5-12.<br />
Mc Luhan, Marshall: „Das Medium ist die Message“, in: Baltes, Martin/Höltschl, Rainer (Hrsg.):<br />
Absolute Marshall Mc Luhan, Freiburg: orange press 2002.<br />
Mertin, Andreas: „Abgesang einer Madonna“, in: Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003,<br />
http://theomag.de/23/am92.htm; Zugang: 14.06.2005.<br />
Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2002.<br />
Müller, Renate: „Geschlechtsspezifisches Umgehen mit Videoclips: Erleben Mädchen Videoclips<br />
anders?“, in: Kaiser, Hermann J. (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Aspekte des Musiklernens, Essen:<br />
Musikpädagogische Forschung Bd. 17 1996, S. 73-93.<br />
Netzeitung. http://www.netzeitung.de; Zugang: 19.03.2001.<br />
106
Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999.<br />
Neumann-Braun/Schmidt, Axel: „McMusic. Einführung“, in: Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva<br />
MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, 7-42.<br />
Patalas, Enno: Metropolis in/aus Trümmern. Eine Filmgeschichte, Berlin: Bertz 2001.<br />
Penth, Boris/Wörner, Natalia: „Das elfte Gebot: Madonna Ciccone“, in: Diederichsen,<br />
Diedrich/Dormagen, Christel/Penth, Boris/Wörner, Natalia: Das Madonna Phänomen, Hamburg<br />
1993, S. 26-88.<br />
Pfister, René: „Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen<br />
Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out“, in: SonntagsZeitung vom 14. Februar 1993, S. 18 f.<br />
Rösing, Helmut: „Bilderwelt der Klänge, Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der<br />
Sinne“, in: Helms, Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences.<br />
Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo, Beiträge zur Popularmusikforschung 31, Bielefeld:<br />
transcript 2003, S. 9-25.<br />
Sanjek, Russell: American Popular Music and its Business: The First Four Hundred Years, vol. 3: From<br />
1900 to 1984, Oxford: Oxford University Press 1988.<br />
Schenk, Imbert: Dschungel Großstadt: Kino und Modernisierung, Marburg 1999.<br />
Schmidt, Axel: „Sound and Vision Go MTV ― die Geschichte des Musiksenders bis heute”, in:<br />
Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 93-131.<br />
Schmiedke-Rindt, Carina: „Express Yourself ― Madonna Be With You”. Madonna-Fans und ihre<br />
Lebenswelt, Augsburg 1998.<br />
Sierek, K.: „Monolog und Ekstase ― Zum Bildbau im Musikclip“, in: Faulstich, W./Schäffner, G. (Hrsg.):<br />
Die Rockmusik der 80er Jahre, 4. Lüneburger Kolloquium der Medienwissenschaften, Bordowick<br />
1994, S. 186-197.<br />
Turim, M.: “Gesang der Frauen, Gesten der Frauen”, in: Frauen und Film 58/59 1996, S. 25-43.<br />
Volkmann, Laurenz: „Madonna und postmoderne Identitätskonstruktionen: Die Warenlogik der<br />
Unterhaltungsindustrie“, (o.J.), einzusehen in:<br />
http://www.gradnet.de/papers/pomo2.archives/pomo99.papers/volkmann99.htm, Zugang:<br />
28.04.2005.<br />
Voller, Debbi: Madonna. Eine illustrierte Biographie von Debbi Voller, Rastatt: Moewig 1990 (engl.<br />
Original 1988).<br />
Watts, Mark: „Electrifying Fragments: Madonna And Postmodern Performance (1996)“, in: Benson,<br />
Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999,<br />
S. 290-301.<br />
Wicke, Peter: Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig: Gustav<br />
Kiepenheuer Verlag 1998.<br />
Wieland, Karin: „Madonna aus der neuen Welt“, in: Der Alltag 66 (1994), S. 65-80.<br />
Internetadressen<br />
http://madonna.com<br />
http://home.madonna.com/MADONNA_COVER_NEW_g_flat.jpg<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/042406_viva.html;<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041711_viva_viacom.html;<br />
http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041606_viva.html<br />
107
Clip-Liste<br />
01. Burning Up (1983, Regie: Steve Barron, aus: Madonna. The First Album)<br />
02. Lucky Star (1984, Regie: Arthur Pierson, aus: Madonna. The First Album)<br />
03. Like A Virgin (1984, Regie: Mary Lambert, aus: Like A Virgin)<br />
04. Open Your Heart (1986, Regie: Jean-Baptiste Mondino, aus: True Blue)<br />
05. Express Yourself (1989, Regie: David Fincher, aus: Like A Prayer)<br />
06. Justify My Love (1990, Regie: Jean-Baptiste Mondino, aus: The Immaculate Collection)<br />
07. Frozen (1998, Regie: Chris Cunningham, aus: Ray Of Light)<br />
08. Drowned World/Substitute For Love (1998, Regie: Walter Stern, aus: Ray Of Light)<br />
09. Music (2000, Regie: Jonas Akerlund, aus: Music)<br />
10. What It Feels Like For A Girl (2001, Regie: Guy Ritchie, aus: Music)<br />
108