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Desperately Seeking Madonna”: wechselnde - Michael Rappe

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„<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Madonna“:<br />

<strong>wechselnde</strong> Weiblichkeitsinszenierungen<br />

als mediale Konstruktion eines Popstars<br />

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten<br />

Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II<br />

mit Zusatzprüfung für die Sekundarstufe I, dem<br />

Staatlichen Prüfungsamt für Lehrämter an Schulen in Köln<br />

vorgelegt von:<br />

Friedrike Mimberg<br />

29. September 2005<br />

Prof. <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong><br />

Hochschule für Musik Köln<br />

4


INHALTSVERZEICHNIS<br />

0. Einleitung<br />

1. Die Macht der Bilder<br />

Seite<br />

1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche Hintergründe 8<br />

1.1.1 Die Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm und<br />

Synästhesie-Experiment<br />

1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als<br />

Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als<br />

Ausdrucksform der Popkultur<br />

1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips 11<br />

1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das Fernsehen 12<br />

1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte 15<br />

1.3.1 Clipästhetik 16<br />

1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung 17<br />

1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips 18<br />

1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und<br />

MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder“<br />

1.6 Methodisches Vorgehen dieser Arbeit 23<br />

2. Die Macht der Imagewechsel<br />

2.1 Burning up (1983) 24<br />

2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin<br />

zur Musikerin – Clubszene – erster Plattenvertrag<br />

2.1.2 Image 29<br />

2.1.3 Clipanalyse 30<br />

2.2 Express Yourself (1989) 38<br />

2.2.1 Image 41<br />

2.2.2 Daten zum Clip 43<br />

2.2.3 Clipanalyse 45<br />

2.3 Frozen (1998) 58<br />

2.3.1 Image 60<br />

4<br />

8<br />

8<br />

10<br />

21<br />

24<br />

25<br />

5


2.3.2 Clipanalyse 61<br />

2.4 What It Feels Like For A Girl (2001) 68<br />

2.4.1 Image 69<br />

2.4.2 Clipanalyse 70<br />

2.4.2.1 Clipbeschreibung 71<br />

2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik 84<br />

2.4.2.3 Cover 86<br />

2.4.2.4 Interpretation 87<br />

3. Madonnas Macht über die Bilder<br />

4. Ausblick und Schlusswort<br />

5. Quellenverzeichnis<br />

Clipliste 104<br />

Anhang<br />

Anhang I: Abbildungsverzeichnis<br />

Anhang II: Songtexte<br />

Madonna-Clips (DVD)<br />

93<br />

100<br />

102<br />

6


0. EINLEITUNG<br />

I’ve had so many lives<br />

Since I was a child<br />

And I realise<br />

How many times I’ve died<br />

[…]<br />

Nobody knows me<br />

[…] 1<br />

Das Einzigartige an dem Popstar Madonna ist, dass es ihr gelungen ist, seit<br />

mehr als zwanzig Jahren die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums auf sich zu<br />

ziehen, alle Medienskandale zu überleben und mit ihrer Musik immer aktuell zu<br />

bleiben. Sie ist omnipräsent wie kaum ein anderer Popstar: Kein Tag vergeht, an<br />

dem es nichts von der Künstlerin zu sehen oder zu hören gibt, im Radio, Internet,<br />

Fernsehen, oder der Tages- und Boulevardpresse. Nach Angabe des Guiness-Buch<br />

der Rekorde ist Madonna mit 250 Millionen verkauften Tonträgern die international<br />

erfolgreichste Sängerin unserer Zeit und gehört mit einem geschätzten Vermögen<br />

von 600 Millionen US-Dollar zu den reichsten Frauen der Welt. Seit fast einem<br />

viertel Jahrhundert vermarktet sich die Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin,<br />

Kinderbuchautorin und Geschäftsfrau mit beispielhafter Effizienz.<br />

Madonna hat sich im Laufe ihrer langen Karriere immer wieder neu<br />

erfunden, sich weibliche und männliche Gesten und Posen bestimmter celebrities<br />

angeeignet, sie nach dem Prinzip der bricolage zusammengesetzt und für ihre<br />

eigenen Aussagen umfunktionalisiert. Durch die ständigen Umwandlungen, das<br />

Tragen und Austauschen von Masken, den permanenten Imagewechsel, der zu<br />

ihrem Markenzeichen geworden ist, ist es ihr gelungen, der Abnutzung der Bilder,<br />

die mit ihrer medialen Omnipräsenz einhergeht, entgegenzuwirken; denn Pop muss<br />

sich pausenlos erneuern, um weiterleben zu können. Das chamäleonhafte<br />

„Switchen“ von einem Image zum nächsten wird im Popgeschäft von niemandem<br />

mit einer solchen Professionalität beherrscht wie von Madonna: Ob „Girlie“ oder<br />

Marilyn Monroe, Domina, Dietrich, Dita Parlo, Mystikern, Auftragskillerin oder Mrs.<br />

Ritchie, in allen Rollen ist sie überzeugend und führt auf diese Weise vor, dass sie<br />

den Imagewechsel als Spiel betreibt. Madonna, die Meisterin der artifiziellen<br />

Authentizität, legt sich dabei auf keines ihrer Images fest, was ihr die Möglichkeit<br />

einräumt, sich immer wieder neu und als eine ganz Andere zu erfinden. Auf diese<br />

1 Madonna in ihrem Song „Nobody Knows Me“ vom Album „American Life“, 2003.<br />

7


Weise ist es ihr möglich, ein möglichst breites Publikum anzusprechen auch noch<br />

nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze des Popbusiness zu stehen. Jede dieser<br />

Rollen, so behauptet sie selbst, ist eine Facette von ihr, die sie nacheinander<br />

künstlerisch auslebt. Doch keine davon zeigt die „wahre“ Madonna, der Biografen<br />

unermüdlich auf der Spur sind, „desperately seeking...“. 2<br />

Der permanente Imagewechsel ist folglich das, was Madonna unter anderem<br />

zu ihrem heutigen Status als Popikone verholfen hat. So scheint der Wechsel bei<br />

allen Veränderungen eine Konstante in ihrem Werk darzustellen. Im Wechsel liegt<br />

Madonnas Kontinuität. So lässt sich die erste These, der in dieser Arbeit<br />

nachgegangen werden soll, folgendermaßen formulieren: Trotz der Imagewechsel<br />

lässt sich eine Kontinuität ausmachen. Oder anders formuliert: Die Kontinuität des<br />

Medienstars Madonna liegt gerade in der Veränderung, in den <strong>wechselnde</strong>n<br />

Weiblichkeitsinszenierungen: „Changing her image is her image.“ 3<br />

Ein weiteres Madonna-Merkmal ist es, dass keines der Images eine jeweils<br />

komplette Neuerfindung darstellt. In all ihren alter egos, die sie im letzten<br />

Vierteljahrhundert entworfen hat, präsentiert sie ein Bild von Weiblichkeit, das sie<br />

von Anfang an für ihre Fans so anziehend gemacht hat: Es ist das Bild einer<br />

unabhängigen, selbstbewussten Frau mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg. In<br />

einer Gesellschaft, in der Gesundheit, Körperkult und ein hohes Konsumniveau von<br />

großer Bedeutung sind, ist es nicht verwunderlich, dass Madonna für Mädchen und<br />

junge Frauen ein Rollenideal darstellt. Die Artikulation von weiblichem<br />

Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ist ein Aspekt, der sich ebenso<br />

kontinuierlich durch ihr Werk zieht. Dies erreicht sie dadurch, dass sie sich selbst<br />

von Anfang an als eigenständige Künstlerin und unabhängige, selbstbewusste Frau<br />

mit sozialer Macht und finanziellem Erfolg definiert und darstellt.<br />

Die Themen, die sie behandelt, sind ebenfalls seit Beginn ihrer Karriere die<br />

gleichen: Die Beziehung zwischen den Geschlechtern, der geschlechtliche Zwiespalt,<br />

weibliche sexuelle Autonomie in einer von weißen Männern dominierten Welt.<br />

Madonna verkörpert für weibliche Fans einen Zugang zu Privilegien, die traditionell<br />

nur Männern zugesprochen werden: Der Anspruch auf (sexuelles) Vergnügen, Geld<br />

2 Der Titel dieser Arbeit bezieht sich auf den Spielfilm mit dem Titel „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ (Regie:<br />

Susan Seidelman, 1985), in dem Madonna die Rolle der Susan spielt. Dieser Film hat erheblich dazu<br />

beigetragen, Madonnas „Girlie-Look“ der Anfangsjahre populär zu machen.<br />

3 Watts, Mark: „Electrifying Fragments: Madonna And Postmodern Performance (1996)“, in: Benson,<br />

Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S.<br />

297.<br />

8


und Autorität. Dies führt zur zweiten These: In all ihren Inszenierungen geht es um<br />

das Aushandeln von Macht und Kontrolle, das Infragestellen der Zuschreibung<br />

traditioneller Geschlechterrollen und deren konventioneller Darstellung im<br />

Patriarchat, alles im Dienste der Artikulation von weiblicher Selbstbestimmung.<br />

Madonna ist ohne Bilder nicht denkbar. Erst mit der visuellen Vermarktung<br />

Madonnas kam der Erfolg. Ihre Musik allein hätte sie nicht zu der gemacht, die sie<br />

heute ist. Mit jedem Album, fast mit jedem Videoclip, liefert die Künstlerin ein<br />

neues Image und ein neues Design mit, die Kritiker wie Fans mitunter mehr zu<br />

interessieren scheinen als der Inhalt ihrer Werke. Bei Madonna sind es im<br />

wesentlichen die visuellen Eindrücke, die im Gedächtnis bleiben.<br />

Das Musikvideo erweist sich als das für Madonnas Intentionen am meisten<br />

geeignete Medium. Ohne Musikvideos, die, ausgestrahlt von MTV, schnell für eine<br />

flächendeckende Verbreitung ihres Images sorgten, wäre sie vermutlich eines der<br />

One-Hit-Wonder der Popmusik geblieben, wie es ihr Kritiker in den 1980er<br />

vorhergesagt hatten. So profitierte Madonna zu Beginn der 1980 Jahre von der<br />

Entstehung von MTV wie kaum ein anderer Popstar. Mehr als jeder andere erkannte<br />

sie im Medium des Musikvideos eine Möglichkeit, die eigene Popularität aufzubauen<br />

und für Songs zu werben. Darüber hinaus erkannte sie in den Clips von Anfang an<br />

ein Forum, in dem sich ihr Image als Virtuosin der Verwandlung formulieren und<br />

manifestieren ließ. 4 Die meisten Kontroversen in Presse und Wissenschaft<br />

entstanden weniger um ihre Songs als um die dazugehörigen Videobilder; denn<br />

nicht selten erhalten die Songs erst durch den Clip ihre eigentliche Bedeutung. So<br />

scheint es gerechtfertigt, Madonna als vornehmlich visuelles Phänomen zu<br />

begreifen.<br />

Madonna ist ohne Videobilder nicht denkbar, die „Macht der Bilder“ und ihre<br />

Präsenz auf MTV haben ihren weltweiten „Siegeszug“ erst möglich gemacht. Der<br />

Videoclip ist das Genre Madonnas, das sie ― im Gegensatz zum Film 5 ―, perfekt<br />

beherrscht; denn in den Clips ist es ihr möglich, geschlechtliche Identitäten als<br />

Maskeraden durchzuspielen oder die Grenzen zwischen Männlichkeit und<br />

Weiblichkeit aufzulösen. Somit kommen wir zur dritten These: Madonnas Erfolg<br />

4 So behauptet Ramona Curry, dass „die Herstellung und Umwandlung von Madonnas Starimage“ in<br />

erster Linie in ihren Videoclips stattfindet. Vgl. Curry, Ramona: „Madonna von Marylin zu Marlene:<br />

Pastiche oder Parodie?“, in: Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen,<br />

Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 184.<br />

5 Für ihre schauspielerischen Leistungen kassierte sie insgesamt acht Mal den „Golden Raspberry Award“<br />

(Die goldene Himbeere) für die schlechteste schauspielerische Darbietung.<br />

9


steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Möglichkeiten, die das Medium<br />

Video bietet.<br />

Der Aufbau der Arbeit entspricht den aufgestellten Thesen in umgekehrter<br />

Reihenfolge. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen die <strong>wechselnde</strong>n<br />

Weiblichkeitsinszenierungen der Kunstfigur Madonna und die Frage, wie sie diese<br />

medial inszeniert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf ihren Videoclips, die sich<br />

wie kein anderes Medium zur Visualisierung ihrer permanenten „Häutungen“<br />

eignen. Am Anfang dieser Arbeit steht deshalb die Betrachtung des Mediums<br />

„Videoclip“ im Hinblick auf seine historischen, wirtschaftlichen und popkulturellen<br />

Hintergründe, aber auch hinsichtlich seiner Ästhetik und seiner Rezeption. Auch<br />

Gründung und Wirkungsweise des Musiksenders MTVs finden im ersten Teil insofern<br />

Berücksichtigung, als dass er durch die Ausstrahlung von Madonna-Videoclips<br />

wesentlich zur globalen Verbreitung des jeweiligen Madonna-Images beigetragen<br />

hat.<br />

Der Videoclip, betrachtet als ein spezifisch audiovisuelles Medium, stellt<br />

bestimmte Anforderungen an eine Videoclipanalyse und bildet die Voraussetzung<br />

für die methodische Grundlage für das Vorgehen im zweiten Teil dieser Arbeit,<br />

dessen Gegenstand die diachronen Imagewechsel Madonnas sind. Die<br />

Themenstellung der Arbeit, nämlich das Aufzeigen der Imagewechsel als<br />

kontinuierliches Phänomen im Gesamtwerk der Künstlerin, visualisiert in ihren<br />

Clips, erfordert die Berücksichtigung mehrerer Clips, die im Hinblick auf Image und<br />

Themenkontinuität untersucht werden sollen. Zu diesem Zweck wurden vier Clips<br />

der Künstlerin ausgewählt, die jeweils unterschiedlichen Phasen ihrer Karriere ―<br />

markiert von ihrem ersten Album mit dem sprechenden Titel „The First Album“<br />

(1983) und ihrem 2000 erschienen Album „Music“ ― zuzuordnen sind. Der Analyse<br />

eines jeden Clips geht eine Beschreibung der dominanten Konstruktionselemente<br />

des jeweiligen Madonna-Images voraus, wobei auch Alben- und Single-Cover<br />

Berücksichtigung finden.<br />

Der dritte Teil dieser Arbeit soll im Hinblick auf die Ergebnisse des zweiten<br />

Teils noch einmal der Frage nachgehen, inwieweit Madonna sich die Welt der Bilder<br />

für ihre Imagekonstruktionen nutzbar macht, bevor der vierte Teil mit einem<br />

Ausblick auf die „neue“ Madonna, die sich für das Ende diesen Jahres mit einem<br />

neuen Album angekündigt hat, schließt.<br />

10


1. DIE MACHT DER BILDER<br />

1.1 Videoclipgeschichte: Historische und wirtschaftliche<br />

Hintergründe<br />

1.1.1 Die Vorläufer des Clips: Zwischen Werbefilm und Synästhesie-<br />

Experiment<br />

Videoclips sind in der Regel drei- bis fünfminütige Kurzfilme, die der<br />

bildlichen Untermalung eines Musiktitels dienen. Die Geburtsstunde des Videoclips<br />

ist in der Literatur umstritten. Fernsehauftritte der Rock ’n’ Roller wie Elvis Presley<br />

Mitte der 1950er Jahre im US-Fernsehen können schon als Vorläufer des Clips<br />

betrachtet werden: Die Rockstars wurden singend und musizierend gezeigt in der<br />

Absicht, den Schallplattenverkauf zu fördern. Die Plattenfirmen erhofften sich,<br />

durch die visuelle Abbildung im Fernsehen die Stars ihren Fans näher zu bringen,<br />

als es durch das reine Hör-Erlebnis, die Schallplatte, möglich war. Darüber hinaus<br />

bot sich auf diese Weise die Möglichkeit, ein größeres Publikum anzusprechen, als<br />

man allein durch das Radio erreichen konnte. Da es bis zu der Gründung MTVs<br />

Anfang der 1980er Jahre noch keine Fernseh-Musiksender gab, beschränkte sich<br />

die Präsentation von entsprechenden „Kurzfilmen“ auf TV-Shows in den<br />

Programmen öffentlich rechtlicher Sender. 6<br />

Von Vorteil gegenüber dem Radio sollte sich außerdem die Tatsache<br />

erweisen, dass die Ausstrahlung eines aktuellen Musiktitels über das landesweite<br />

Fernsehen geographisch ein größeres Publikum erreichen konnte als dieselbe<br />

Sendezeit bei einer lokalen Radiostation.<br />

Üblicherweise handelte es sich hierbei um Auftritte vor einem<br />

Studiopublikum mit dokumentarischem Charakter, wenigen Kameras und ohne<br />

große Effekte, da die Videotechnik noch nicht weit entwickelt war. Gesendet wurde<br />

regulär live, um die Kosten für die Produktion auf chemischem Film so niedrig wie<br />

möglich zu halten. Für die Fernsehsender waren diese Sendeformen wegen der<br />

geringen Produktionskosten bei gleichzeitigen hohen Einschaltquoten besonders<br />

6 Zur Übersicht von Rock- und Popmusik im Fernsehen vor der Gründung von MTV und MTV Europe seien<br />

hier einige Daten genannt: 1951 Bandstand, tägliche TV-Sendung (auf Philadelphia beschränkt). – Bis<br />

1989 als American Bandstand US-weite Ausstrahlung durch den Sender ABC. – 1963-1966: Ready,<br />

Steady, Go! in Großbritannien. – 1.01.1964: Erste Ausstrahlung von Top of the Pops in GB. – 1965-<br />

1972: Radio Bremen produziert 83 Folgen Beat-Club und verkauft sie weltweit. – 1984: In der BRD<br />

wurden Formel 1 (ARD) und Tele 5 die Sendungen für Videoclips. – Vgl. Maas, Georg: „Videoclips.<br />

Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend?“, in: Musik und Unterricht 51/1998, S. 9.<br />

11


attraktiv. Das, was im Fernseher zu sehen war, zeigte sich deshalb sehr uniform<br />

und war den Vorstellungen des jeweiligen Senders unterworfen.<br />

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre änderte sich die Situation mit dem<br />

von den „Beatles“ in eigener Regie gedrehten Film zu ihrem Song „Strawberry<br />

Fields Forever“ (1967). Alle vier Musiker sind hier zu sehen, allerdings nicht mit<br />

ihren Instrumenten. Die Musik fungiert hier erstmals nur als Untermalung der<br />

Handlung und Zuspielung zur Bilder. Obwohl es sich um einen chemischen Film<br />

handelt und nicht um einen magnetisch aufgezeichneten ― also ein Video ― wird<br />

das Werk der „Beatles“ oftmals als Urform aller Videoclips bezeichnet 7 ; denn hier<br />

wird im Gegensatz zu den damals üblichen Fernsehsendungen mit den technischen<br />

Möglichkeiten des Films gespielt, wie etwa Zeitlupe, rückwärtslaufenden Sequenzen<br />

oder dem Einsetzen von Bildnegativen zur Unterstützung des surrealen Charakters<br />

des Songs. So steht der Film eher in der Tradition experimenteller Musikfilme wie<br />

jenen von Len Lye, Oskar Fischinger, Walther Ruttmann oder Walt Disney, und<br />

nicht in der Reihe der bis dahin zu Demonstrations- und Werbezwecken<br />

produzierten Filme von Rockmusikern, die in erster Linie der Selbstdarstellung des<br />

jeweiligen Künstlers dienten. Den Liverpoolern ging es um das Erschaffen<br />

neuartiger Verbindungen zwischen filmischen und musikalischen Abläufen, und dies<br />

im Sinne audiovisueller Synästhesie. 8<br />

Doch zunächst blieb der „Beatles“-Film ein experimentelles Einzelwerk. Erst<br />

Mitte der 1970er Jahre begann man unter dem Eindruck rückgängiger<br />

Schallplattenverkäufe mit der systematischen Herstellung von Videoclips. 9 Somit ist<br />

die Entwicklung des Musikvideos sehr eng mit den Absatzschwierigkeiten der<br />

Tonträgerindustrie und den Maßnahmen zu deren Überwindung verknüpft. Die Ende<br />

der 1970er Jahre einsetzenden, musiktechnologischen und popkulturellen<br />

Umwälzungen schafften den Nährboden für diese Entwicklung.<br />

7 So argumentiert auch <strong>Michael</strong> Fink: „In 1967 the Beatles introduced a new song, ‘Strawberry Fields<br />

Forever’, which what was probably the first modern music video. The clip made liberal use of editing<br />

techniques and humorous optical tricks for which the Beatles’ films had become famous, but ‘Strawberry<br />

Fields Forever’ projected a distinctive image, a unique mood that perfectly complimented the psychedelic<br />

nature of the song.” Fink, <strong>Michael</strong>: Inside the Music Business, New York 1989, S. 163.<br />

8 Siehe hierzu Kap. 1.5 dieser Arbeit, das den Videoclip als spezifisch audiovisuelles Medium darstellt.<br />

9 Als Prototyp der damaligen Clips wurde der 1975 zu dem Song „Bohemian Rhapsody“ der Gruppe<br />

„Queen“ produzierte Film betrachtet. Vgl. Maas 1998, S. 6. Oftmals wird auch dieses „Queen“-Video als<br />

das erste Musikvideo der Geschichte bezeichnet.<br />

12


1.1.2 Musiktechnologische und popkulturelle Entwicklungen als<br />

Katalysator für die Entwicklung des Videoclips als Ausdrucksform<br />

der Popkultur<br />

Die Ende der 1970er Jahre einsetzende Revolutionierung der Produktions-<br />

und Reproduktionstechnologien in der Musikbranche ermöglichte die Erzeugung<br />

völlig neuer Sounds: Mit Drumcomputern, Synthesizern und Sequenzern war es nun<br />

möglich, künstliche Sounds zu kreieren, die abgespeichert und beliebig oft<br />

reproduziert werden konnten. Das Computer-Sampling machte es möglich, Stücke<br />

zu schreiben, ohne die jeweiligen Instrumente spielen zu können.<br />

Diese Umwälzungen im Produktionsbereich veränderten folglich auch die<br />

traditionelle Live-Performance: So hielten die Reproduktionstechnologien Einzug in<br />

die „Live-Acts“ der Popmusik, weil es nicht mehr möglich war, die technisch<br />

aufwendig produzierten Songs in einer konventionellen Live-Präsentation<br />

aufzuführen. 10 In den frühen 1980er Jahren veränderte sich die Live-Performance<br />

dahingehend, dass die erzeugte Musik den unterschiedlichsten Quellen entnommen<br />

wurde und dass die Band, die live zu sehen war, nicht unbedingt im herkömmlichen<br />

Sinne live spielte. Auf diese Weise fand eine „Grenzauflösung zwischen künstlicher<br />

und Live-Darbietung“ 11 statt, verbunden mit einem „displacement of the<br />

musician“ 12 , wodurch sich die auditive Qualität der Musik relativierte, während die<br />

visuelle in den Vordergrund rückte. Live-Auftritte waren so immer seltener<br />

Präsentationen musikalischen Könnens als vielmehr perfekt inszenierte Shows, die<br />

auf das Image des jeweiligen Stars zugeschnitten wurden. So wie sich im Laufe der<br />

1980er Jahre Popmusik immer mehr zu einem visuellen Gesamtkunstwerk<br />

entwickelte, wurde auch der Musiker immer mehr zum Performer. Wie sehr<br />

Madonna ein „Kind ihrer Zeit“ ist, zeigen schon die Mitschnitte ihrer ersten, als<br />

Gesamtkunstwerk angelegten Konzerte Mitte der 1980er Jahre, in denen sie sich<br />

selbst als Mittelpunkt der Show inszeniert, die weit mehr war als die Darbietung von<br />

Musikstücken. Die visuellen Effekte drängten in Madonnas Shows die auditiven<br />

Aspekte von Anfang an in den Hintergrund. So nannte die Künstlerin selbst ihre<br />

10<br />

Die Produktion des oben angeführten Films der „Beatles“ fand schon Mitte der sechziger Jahre u.a. vor<br />

dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen statt: Seit August 1966 trat die Band u.a. nicht mehr<br />

öffentlich auf, weil ihnen ihre in den Studios aufwendig produzierte Musik auf der Bühne nicht mehr<br />

reproduzierbar erschien. So wurde der Film u.a. auch gedreht, um dennoch in den TV-Sendungen wie<br />

etwa Top of the Pops in Erscheinung treten zu können. Vgl. Maas 1998, S. 6.<br />

11<br />

Schmidt, Axel: „Sound and Vision Go MTV ― die Geschichte des Musiksenders bis heute”, in:<br />

Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 96.<br />

12<br />

Goodwin, A.: Dancing in the Distraction Factory. Music Television and Popular Culture, London 1992,<br />

S. 32.<br />

13


90minütige Show der „Who’s That Girl“-Tour (1987) ein „theatralisches Multimedia-<br />

Spektakel”. 13<br />

So begann, hervorgerufen durch die technologischen Neuerungen jener Zeit,<br />

die Live-Ideologie als Authentizitätsprädikat des traditionellen Rocks zu schwinden<br />

und eine Welle der Artifizialisierung die Werte der Rock- und Popwelt zu erfassen.<br />

[...] Lippensynchrones Singen und die Selbstpräsentation zur Musik wurden zum<br />

integralen Bestandteil der Pop-Performance und bereiteten damit den Boden für den<br />

Videoclip als der popkulturellen Ausdrucksform der kommenden Jahre. 14<br />

Den in Folge dieser Entwicklung entstandenen Popclips fehlte es nun an<br />

geeigneten Foren, die ihnen mit der Gründung des Musikfernsehens geboten<br />

wurden.<br />

1.1.3 Die Krise der Musikindustrie als Geburtshelfer des Videoclips<br />

Ende der 1970er Jahre suchte die Musikindustrie wegen Umsatzeinbußen<br />

nach effektiveren Formen der Produktwerbung, denn Konzerttourneen und das<br />

Radio ― damals die einzigen Foren, in denen Pop-Künstler Promotion für sich und<br />

ihre Werke machen konnten ― erwiesen sich als zu kostenintensiv, konservativ und<br />

in der Reichweite als zu begrenzt. In Verbindung mit den oben bereits erwähnten,<br />

popkulturellen Wandlungsprozessen zeigte sich der Videoclip als ein sehr viel<br />

effektiveres Werbemedium. So knüpft der Clip zwar an die Idee der Live-<br />

Performance an, stilisiert und artifizialisiert jedoch den Auftritt des Künstlers zu<br />

Werbezwecken: Die Inszenierung des Künstlers im Clip ist „performance-as-<br />

promotion“ 15 , also Auftritt und Werbung gleichermaßen. Auf diese Weise wird das<br />

Produkt Popmusik ― synästhetisch erweitert ― in noch größerem Umfang<br />

reproduzierbar und distribuierbar. Im Vergleich zu Tourneen erwies sich der Clip als<br />

eine kostengünstige, durch die Verbreitung durch das Fernsehen als eine globale<br />

und kontrollierbare Form der Werbung von Popmusik. Die Gründung der<br />

Musiksender machten diese Art der Promotion erst möglich, so dass MTV „zum<br />

Retter der angeschlagenen Tonträgerindustrie“ avancierte und sich darüber hinaus<br />

als ein Medium erwies, „das mit den Tendenzen des Strukturwandels innerhalb<br />

einer wiedererstarkenden Musikindustrie perfekt harmonierte.“ 16<br />

13<br />

Madonna zit.n.: Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2002, S. 257.<br />

14<br />

Schmidt 1999, S. 96.<br />

15<br />

Goodwin 1992, S. 25.<br />

16<br />

Schmidt 1999, S. 99.<br />

14


1.2 Die Gründung von MTV oder: Videoclips erobern das<br />

Fernsehen<br />

Erst mit dem Aufkommen des Kabel- und Satellitenfernsehens in den USA<br />

Ende der 1970er Jahre wurde es möglich, Spartenkanäle zu schaffen und damit<br />

einen Sender wie MTV zu gründen, der sich bei spezialisiertem<br />

(jugendspezifischem) Programmangebot an ein globales Publikum richtete und<br />

ausschließlich dazu geschaffen wurde, als Übertragungsmedium für Videoclips zu<br />

fungieren.<br />

Die Gründung des amerikanischen Senders MTV (Music Television) im Jahr<br />

1981 17 und seine seit August 1987 bestehende westeuropäische Dependance in<br />

London radikalisierten das Konzept der Fernsehsender (s. Kap. 1.1.1), indem sie<br />

ein Rund-um-die-Uhr-Fernsehprogramm, bestehend aus Werbung und Musik, 18<br />

lieferten, das äußert kostengünstig produziert werden konnte: Der Sender stellt den<br />

Sendeplatz zur Verfügung, die Musikbranche beschafft das Programm, und das<br />

kostenlos. Sehr schnell zeigte sich, wie attraktiv und profitabel die kleinen Filme<br />

waren. Das Publikum schien die neue Darbietungsform von Rock- und Popmusik zu<br />

akzeptieren und zu nutzen. Die soziokulturellen Rahmenbedingungen der<br />

beginnenden 1980er Jahre zeigten sich sehr günstig hinsichtlich des Musikkonsums:<br />

Das träger und älter werdende Rockpublikum und die Entstehung einer<br />

Jugendkultur, in deren Zentrum nicht mehr allein die Musik stand, „ebneten den<br />

Weg der widerständigen Rockmusik der Siebziger ins kommerzielle Fernsehen der<br />

Achtziger.“ 19<br />

Es kam zur Neubildung kultureller Nischen, auf die die Werbebranche mit<br />

einem differenzierteren Warenangebot reagierte. Axel Schmidt spricht in diesem<br />

Zusammenhang von einer „zielgruppenorientierte[n] Fragmentierung der populären<br />

Medienkultur“ 20 . Dabei sollte „MTV mehr sein als ein visuelles Radio [...]. Mit dem<br />

17 Erster ausgestrahlter Clip auf MTV: „Video Killed The Radio Star“ von den „Buggles“. Nachdem am<br />

1.08.1987 MTV Europe den Sendebetrieb in London aufgenommen hat, folgt 1991 MTV Asia. Vgl. Maas<br />

1998, S. 9.<br />

18 Eine Nähe zwischen Werbespot und Videoclip besteht nicht nur in der Funktion, nämlich ein Produkt,<br />

im Falle des Clips den Musiker oder die Band zu bewerben, sondern auch in der Ästhetik. Denn seit den<br />

Anfängen des Clips haben sich Clipregisseure an der Ästhetik der Werbefilme orientiert. Das Verhältnis<br />

zwischen Werbespot und Clip hat sich allerdings inzwischen dahingegen verändert, dass nun die<br />

Werbespots die Clipästhetik adaptieren oder diese zitieren: „Die Videocliptechnik von Sendern wie MTV<br />

hat einen wahnsinnigen Einfluss [auf die Gestaltung von Werbung] ausgeübt“, so Konstantin Jacoby,<br />

Gründer der erfolgreichsten deutschen Werbeagentur Springer & Jacoby in Hamburg, zitiert im Stern<br />

2/1998 vom 31.12.1997, S. 100.<br />

19 Schmidt 1999, S. 100.<br />

20 Ebd.<br />

15


Sender sollte ein ungewöhnlicher und neuer kultureller Service etabliert werden.“ 21<br />

Der Inhalt des Senders sah seine Hauptaufgabe darin, die spezifischen Bedürfnisse<br />

seiner Zielgruppe zu befriedigen.<br />

Im Laufe der Jahre gründeten sich die unterschiedlichsten MTV-Ableger ―<br />

MTV Europe, MTV Russia, MTV Africa ―, die dafür sorgten, dass nicht nur die<br />

Popmusik des Westens, sondern auch die Gesichter der Musiker auf der ganzen<br />

Welt verbreitet wurden. 22 Somit ist die Gründung von MTV Anfang der 1980er Jahre<br />

im Zusammenhang mit Madonnas Karriere von entscheidender Bedeutung; denn<br />

auf diese Weise wurde ein Forum geschaffen, in dem die kleinen Werbefilme um<br />

den Globus geschickt werden konnten, was Madonna zu ihrem heutigen Status als<br />

internationaler Megastar verholfen hat.<br />

Inzwischen gibt es kaum mehr einen Haushalt ohne MTV. Musiksender<br />

gelten als Trendsetter bei seinem jugendlichen Publikum und genießen eine heute<br />

kaum zu überbietende Popularität. 23<br />

Aus diesem Grund gibt es auch heute keinen Charthit mehr ohne<br />

Videobilder. Für Promotionzwecke und aus marketingtechnischen Gründen hat sich<br />

der Clip als effizientes Medium bewährt ― vorausgesetzt, das Musikfernsehen<br />

erklärt sich bereit, den jeweiligen Clip auszustrahlen, was von verschiedenen<br />

Faktoren (Qualität, Inhalt, Musikgenre, Label des Künstlers etc.) abhängig ist. Denn<br />

Musiksender bestimmen heute über Popkarrieren und produzieren Stars, ähnlich<br />

wie früher das Radio. Wer heute zu seiner Musik keine Clips produziert oder dessen<br />

21<br />

Ebd., S. 102.<br />

22<br />

Auch in der BRD wurden seit Anfang der neunziger Jahre Musiksender gegründet und eine<br />

zunehmende Diversifizierung und Spezifizierung des Musikprogramms hinsichtlich der Zielgruppen<br />

vorgenommen. So gesellte sich am 1. Dezember 1993 zu MTV Europe der Kölner Videokanal VIVA. Mit<br />

der Gründung von VIVA 2 am 21. März 1995 wurde speziell die Zielgruppe der jüngeren Erwachsenen<br />

angesprochen, der seit 1995 aus Hamburg sendende deutschsprachige Musikkanal VH-1 richtet sich an<br />

die 25- bis 49-Jährigen. 1996 ging der Dortmunder Videoclipkanal ONYX auf Sendung, der sich mit<br />

einem Programm aus Pop, Jazz, Country, deutschem Schlager, Klassik, Musical und Oldies an die 30- bis<br />

55-Jährigen adressiert. So zeigte sich bis Mitte der neunziger Jahre, ähnlich wie beim Rundfunk, eine<br />

zunehmende Spezialisierung hinsichtlich der Zielgruppe und des Musikgenres sowie eine zunehmende<br />

Nationalisierung bzw. Regionalisierung ab. - Durch die im Sommer 2004 durchgeführte Übernahme der<br />

VIVA Media AG durch den amerikanischen Medienkonzern Viacom ― Muttergesellschaft von MTV ―<br />

zeichnet sich allerdings eine zunehmende Uniformierung und ein Aufheben der Diversität hinsichtlich der<br />

Programmvielfalt ab. Der Videoclip-Anteil macht in den USA ohnehin nur noch einen Anteil von etwa<br />

einem Drittel am MTV-Programm aus. Somit scheint alles, was traditionell unter Musikfernsehen<br />

verstanden wird, nicht mehr zu existieren. Vgl.<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/042406_viva.html;<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041711_viva_viacom.html;<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041606_viva.html<br />

23<br />

1992 wurde MTV deshalb auch für Wahlkampfzwecke von Bill Clinton hinsichtlich der<br />

Präsidentschaftswahl genutzt. Vgl. Maas 1998, S. 6.<br />

16


Clips nicht ausgestrahlt werden, läuft Gefahr, von einer breiteren Öffentlichkeit<br />

nicht wahrgenommen zu werden.<br />

Ob ein Clip in die sogenannte Playlist bei MTV aufgenommen wird, hängt<br />

unter anderem davon ab, welchem Label der oder die Künstler angehören. Neue<br />

Künstler großer Plattenfirmen erhalten regulär Eingang in die Playlist, 24 die der<br />

Independent Label werden kritischer betrachtet. So hatte Madonna von Anfang an<br />

das Glück, bei einem der größten Musiklabel Amerikas (Warner Brothers, wenn<br />

auch zunächst bei Sire Records, einer kleinen Tochterfirma) unter Vertrag<br />

genommen zu werden, was die Ausstrahlung ihrer Clips garantierte.<br />

1984 etablierte der Musiksender MTV auf politischen Druck hin einen<br />

Ausschuss, dessen Aufgabe es war, anstößige und nicht jugendfreie Inhalte aus den<br />

Clips zu verbannen oder die Ausstrahlung von als gefährdend eingestuften Clips von<br />

vornherein zu unterbinden. Anhand der Kriterien „Anstößiges“ (Sex, Drogen,<br />

Gewalt) und „Schleichwerbung“ wird eine „hochgradig subjektiv[e]“ 25 Entscheidung<br />

gefällt, ob ein Clip der Kategorie „angenommen“, „abgelehnt“ oder<br />

„Nachbearbeitung erforderlich“ zugeteilt wird:<br />

Der Umfang der Zensuren nahm im Laufe der Zeit zunehmend restriktivere Formen<br />

an: 1989 wurden 10% aller Clips beanstandet, 1994 waren es bereits über 30%. Die<br />

Definitionskämpfe um ‚Erlaubtes’ und ‚Verbotenes’ führte dazu, dass in einigen Fällen<br />

die Clips bis zu sechsmal zwischen MTV und den Plattenfirmen hin- und<br />

hergeschoben wurden. 26<br />

Auch einige Madonna-Clips wurden von MTV mit der Zensur belegt und nicht in die<br />

Playlist aufgenommen. So widersetzte sich MTV aufgrund vermeintlich<br />

pornographischer Inhalte in den 1990er Jahren der Ausstrahlung ihrer Clips zu den<br />

Songs „Justify My Love“ (1990) und „Erotica“ (1992). 2001 wurde der Clip zu „What<br />

It Feels Like For A Girl“ mit der Begründung abgelehnt, dass er zu viel Gewalt<br />

darstelle. Doch Madonna verstand es schon 1990, die Diskussionen um die geplante<br />

Zensur für sich nutzbar zu machen, indem sie sich in der Talkshow Nightline<br />

entschieden gegen die Zensur erotischer Phantasien aussprach und sich damit den<br />

Ruf einer widerständigen Künstlerin erstritt. Darüber hinaus schlug sie aus dem<br />

Sendeverbot erheblichen finanziellen Profit, indem sie „Justify My Love“ als<br />

Kaufvideo vermarktete und etwa 500 000 Kopien davon absetzte. 27<br />

24<br />

Darüber hinaus verpflichten vertragliche Regelungen zwischen MTV und großen Plattenfirmen den<br />

Musiksender dazu, einen bestimmten Anteil an Clips in die Liste zu übernehmen. Vgl. Schmidt 1999, S.<br />

122.<br />

25<br />

Schmidt 1999, S. 122.<br />

26<br />

Ebd., S. 123. – Auch Songtexte mussten mit eingereicht und einer Prüfung unterzogen werden. Für<br />

Beispiele siehe ebd.<br />

27<br />

Ebd. – Siehe auch Kap. 2.2 dieser Arbeit.<br />

17


1.3 Der Videoclip: Zur ästhetischen und moralischen Debatte<br />

Wegen des enormen Publikumszuspruchs zu MTV kam Mitte der 1980er<br />

Jahre eine Diskussion über moralische Werte von Videoclips auf. Die wesentlichen<br />

Kritikpunkte waren latenter Rassismus, 28 explizite Sexualitätsdarstellung und die<br />

Zurschaustellung von Gewalt. 29<br />

Auf der Gegenseite plädierten die Verfechter einer eigenen<br />

kunstästhetischen Videoclipkultur für die Clips als einen neuen Kunsttypus, „der die<br />

Gegensätze von Avantgarde und Kommerz aufhebt, indem sich Medienkunst und<br />

Populärkultur zu einer neuen Art der Alltagskunst verbinden.“ 30 Die weltweite<br />

Verleihung von Videopreisen ― Grammies, MTV-Award, Goldene Europa etc. ―<br />

spricht für eine solche Einschätzung.<br />

Dass der Videoclip inzwischen als eigenständige Kunstgattung anerkannt ist,<br />

steht außer Zweifel: In Sonderprogrammen auf Festivals (wie seit 1998 bei den<br />

„Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen“), in Museen oder Galerien (z.B. im<br />

„Deutschen Filmmuseum Frankfurt“, 1993; Kunstverein Köln, 1996) oder im<br />

Fernsehen selbst (wie etwa die sechsteilige Reihe „Fantastic Voyages ― eine<br />

Kosmologie des Musikvideos“, 3sat, 2000) wird es ermöglicht, den Clip<br />

dekontextualisiert und in einer anderen Programmatik als der des Musikfernsehens<br />

im Hinblick auf seinen ästhetischen Wert, seine bildgebende Macht, Themen und<br />

Rhetoriken zu betrachten und einen genauen Blick auf unterschiedliche<br />

Autorensprachen oder nationale Besonderheiten zu werfen.<br />

Auch anhand der in dieser Arbeit analysierten Videoclips lässt sich die<br />

Entwicklung des Mediums ablesen: Innerhalb von weniger als zwanzig Jahren hat<br />

sich der Clip zu einer eigenständigen Kunstgattung entwickelt, wovon gerade der<br />

Clip „Frozen“ ― produziert von Chris Cunningham, einem der renommiertesten<br />

Clipregisseure ― Zeugnis ablegt.<br />

28<br />

Bis zum Erfolg von <strong>Michael</strong> Jacksons Album „Thriller“ (1982) strahlte MTV keine Clips farbiger Musiker<br />

aus! Schwarze Konkurrenz-Sender hingegen konnten sich wegen geringer Werbeeinnahmen nicht allein<br />

auf Videoclips schwarzer Musiker beschränken. Vgl. Sanjek, Russell: American Popular Music and its<br />

Business: The First Four Hundred Years, vol. 3: From 1900 to 1984, Oxford: Oxford University Press<br />

1988, S. 640 f.<br />

29<br />

Glogauer, Werner: „Sex und Gewalt als auffälligste Inhalte von Videoclips“, in: Musik und Bildung<br />

20/1988, Heft 11, S. 835-840.<br />

30<br />

Bódy, Veruschka/Weibel, Peter (Hrsg.): Clip, Klap, Bum: Von der visuellen Musik zum Musikvideo,<br />

Köln 1987. Zitat aus dem Klappentext.<br />

18


1.3.1 Clipästhetik<br />

Dass Videoclips Werbefilme, 31 sogenannte „Promos“, d.h. Absatzförderer<br />

sind, schließt nicht aus, dass in ihnen auch ein ästhetisches Ideal umgesetzt wird.<br />

So wurde die Technik des Verweisens auf populäre Kunstgattungen wie<br />

Comicstrips, Filme bzw. Filmgenres zu einem Charakteristikum des Clips. Das<br />

folgenlose Zitieren, wie in der klassischen Pop-Art, wurde stilprägend für<br />

ambitionierte Clips und macht sie zu typischen Repräsentanten der Postmoderne.<br />

Das im zweiten Teil dieser Arbeit analysierte Musikvideo zu Madonnas Song<br />

„Express Yourself“ kann hier als beispielhaft angeführt werden, denn es lehnt sich<br />

in Kulisse und Personenkonstellation an den Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang<br />

aus dem Jahre 1927 an, womit es sich als ein typischer postmoderner Text erweist.<br />

Regisseure und Produzenten von Musikclips machten sich die Neuerungen<br />

des experimentellen Films, einiger Fernsehshows, populärer Musik des Filmmusicals<br />

und Filmproduktionen von und mit Rockstars wie den „Beatles“ („Sgt. Pepper“),<br />

Frank Zappa („200 Motels“) oder Elvis Presley („Heartbreak Hotel“) zunutze. Die<br />

Techniken der Montage und Collage wurden durch Trickfilmtechniken und<br />

Computeranimation erweitert, so dass das Ergebnis eine Vermischung von Stilen<br />

darstellt. So wurde es möglich, die Künstlerin Madonna in „Frozen“ (1998, Chris<br />

Cunningham) mit Hilfe von Computeranimation in einen Hund oder einen Raben zu<br />

verwandeln und sie durch die Wüste schweben zu lassen; und in einem Clip wie<br />

„What It Feels Like For A Girl“ (2001, Guy Ritchie) scheinen sich die Grenzen<br />

zwischen Clip und Spielfilm beinahe aufzulösen.<br />

Aufgrund der Nutzung neuester Technologien und die durch den<br />

musikalischen Rhythmus bedingten, schnellen Bildfolgen wurden Produzenten von<br />

Musikvideos aber auch immer wieder mit dem Vorwurf der „Bilderflut“ oder<br />

inkohärenter, traumartiger Gebilde konfrontiert. 32 Gegenstimmen weisen allerdings<br />

darauf hin, dass Detailanalysen von Clips sowohl ein breites Spektrum an<br />

verwendeten Filmtechniken zum Vorschein bringen, als auch über mehr Kohärenz<br />

verfügen, als von den Kritikern behauptet wird. 33<br />

31 Zentrales Anliegen der Clips liegt in der Vermittlung der Personality des Stars: Die Botschaft ist das<br />

Produkt, das der Star ist. Vgl. Daniels, A.: „Die Genesis eines Popvideos“, in: Bódy, V./Weibel, P.<br />

(Hrsg.): Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 182-195.<br />

32 Vgl. Kaplan, E.A.: Rocking Around the Clock. Music Television, Postmodernism and Consumer Culture,<br />

London 1987. Vgl. auch Neumann-Braun/Schmidt 1999, S.13 f.<br />

33 Dennoch ist die Mehrheit der Clips, die in den Musiksendern in der „heavy-rotation“ präsentiert<br />

werden, weit davon entfernt, ambitioniert zu sein und sind vom Selbstverständnis her als Werbefilme<br />

konzipiert: Die visuelle Verpackung erscheint oftmals ohne innere Beziehung zur Musik, aufgeladen mit<br />

Klischees und Metaphern. In diesen Fällen dominiert die verkaufsfördernde Funktion der Clips die<br />

Verwirklichung eines ästhetischen Konzepts.<br />

19


1.3.2 Das Zusammenspiel von Bild, Musik und Starinszenierung<br />

Musikvideos unterscheiden sich unter anderem von Filmmusiken dadurch,<br />

dass sie der Musik folgen, wohingegen Filmmusik der Filmhandlung folgt. Dabei hat<br />

die Musik ― ihre Form, ihr Rhythmus und ihr Sound ― ordnungsstiftende Funktion<br />

innerhalb des Clips.<br />

Zur Musik und ihrem Text können Bilder auf die unterschiedlichste Weise in<br />

Beziehung gesetzt werden, wodurch sich komplexe, synchronisierte oder<br />

gegenläufige bzw. widersprüchliche Verweisungszusammenhänge zwischen Musik,<br />

Text und Bild ergeben. Die Bilder können allerdings auch von der Musik relativ<br />

unabhängige Wirkungen erzielen: Das Visuelle erzeugt Bedeutungen, die über die<br />

Musik hinausgehen, so dass oftmals auch dem Bild im Clip Vorrang vor der Musik<br />

als ordnungsstiftendendes Element eingeräumt wird. 34<br />

Das Ergebnis aller Möglichkeiten, die sich bieten, ein Musikvideo zu<br />

gestalten, führen zu einer für die Gattung des Musikclips charakteristischen<br />

Polysemie. So muss eine Clipsanalyse die Beziehungen zwischen den<br />

unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen: Musik, Bilder und Songtexte, werden sie<br />

als Sprache oder sprachähnliche Gebilde verstanden, erzählen eine je eigene<br />

Geschichte, wobei sich die Geschichten wechselseitig verstärken, hemmen oder<br />

widersprechen können. So wird die Analyse der Madonna-Videoclips verdeutlichen,<br />

dass Musik und Text bei ihr eine eher untergeordnete Rolle spielen und es legitim<br />

erscheint, Madonna vor allen Dingen über ihre visuelle Inszenierung zu<br />

beschreiben.<br />

Zentrales Element der Gattung Videoclip ist allerdings die Starinszenierung,<br />

auf die sich Musik und Bild in den meisten Fällen als ordnungsstiftende Funktionen<br />

beziehen. So ist Madonna in all ihren Videoclips Hauptakteurin, um die herum sich<br />

das Geschehen abspielt.<br />

Clips stehen zwar ― wie oben ausgeführt ― im Dienst der Musik, doch in<br />

avancierten Clipproduktionen einiger renommierter Regisseure ― Julian Temple,<br />

Hype Williams, Spike Jones, Chris Cunningham oder Michel Gondry ― sind<br />

Tendenzen erkennbar, dieses Verhältnis umzukehren. So scheint bei einer Reihe<br />

der oben angeführten Clipregisseure, die oftmals auch in Kinofilmen Regie führen ―<br />

wie etwa Spike Jones, der 1999 „Being John Malkovitch“ drehte ―, die Musik nur<br />

34 Vgl. Sierek, K.: „Monolog und Ekstase ― Zum Bildbau im Musikclip“, in: Faulstich, W./Schäffner, G.<br />

(Hrsg.): Die Rockmusik der 80er Jahre, 4. Lüneburger Kolloquium der Medienwissenschaften, Bordowick<br />

1994, S. 186-197.<br />

20


noch Soundtrack zu sein. 35 In dem am Ende dieser Arbeit analysierten Clip „What It<br />

Feels Like For A Girl“ (Kap. 2.4) von Guy Ritchie wird sehr deutlich, was Olaf Karnik<br />

meint, wenn er von „Picture Pop“ spricht, oder anders gesagt: „Video directors<br />

reprove what good film directors knew all along ― that visuals can also be music.<br />

When executed with élan, an edit becomes a backbeat, a crane shot a solo, a closeup<br />

a hook.” 36<br />

1.4 Rezeption und Verstehen von Videoclips<br />

In Anbetracht der in den Musikvideos enthaltenen Komplexität und<br />

Vieldeutigkeit stellt sich die Frage nach ihrer Rezeption durch ein vor allem<br />

jugendliches Publikum. Untersuchungen hinsichtlich der Rezeption von Musikclips<br />

und der Nutzung von Musikkanalsendern haben bislang ergeben, dass sich der<br />

Rezeptionsprozess vornehmlich an der Musik und weniger an den Bildern orientiert.<br />

Letztere dienen Teenagern eher als Illustrationen zur Musik und weniger als<br />

narrativ strukturierte Szenen einer eigenständigen Filmhandlung.<br />

Ein weiterer Gegenstand der Untersuchung bei der Rezeptionsanalyse stellt<br />

die Untersuchung der Wahrnehmung und Verarbeitung der in den Videoclips<br />

präsentierten Geschlechterrollen dar. Es wird unterschieden zwischen „male-<br />

adressed-videos“ und „female-adressed-videos“. 37 So haben Inhaltsanalysen von<br />

Musikclips gezeigt, dass häufig traditionelle Geschlechtsrollenstereotype, Sexismus<br />

und Aggressivität präsentiert werden. So wurde Madonna oftmals von<br />

Feministinnen der Vorwurf gemacht, mit der Zurschaustellung ihrer Sexualität<br />

bestehende Geschlechterrollenklischees zu festigen und sich dem männlichen Blick<br />

zu unterwerfen. Die in den Videoclips angelegte Mehrdeutigkeit ermöglicht<br />

andererseits aber auch eine emanzipatorische Lesart. Die Ambivalenz vieler<br />

Madonna-Clips besteht gerade in der Verwendung sexuell aufgeladener Bilder in<br />

Verbindung mit der Proklamation weiblicher Macht, und eben nicht in der Erfüllung<br />

hegemonialer Machtstrukturen, wie die Darstellung der Clips zeigen wird.<br />

Feministische Analysen sprechen dem Phänomen Musikvideo ― wegen ihrer<br />

engen Bindung zum Pop ― ein enormes emanzipatorisches Potential zu, durch das<br />

es möglich wäre, Männlichkeits- und Weiblichkeitsstereotype aufzubrechen, um auf<br />

35 Vgl. Karnik, Olaf: „Musikvideo ― Hybrid im Spannungsfeld von Popmusik und Kurzfilm, Musikindustrie<br />

und Musikfernsehen“, aus: http://www.miz.org/musikforum/mftxt/mufo9414.htm; Zugang: 18.11.2003.<br />

36 Farber, Jim: „The 100 top music videos“, Rolling Stones, October 14/1993, in: Reiss,<br />

Steve/Feinemann, Neil (Hrsg.): Thirty Frames Per Second. The Visionary Art Of The Music Video, New<br />

York: Abrams 2000, S. 24. Vgl. auch Karnik 2003.<br />

37 Lewis, L. A.: Gender Politics and MTV: Voicing the Difference, Philadelphia 1990.<br />

21


diese Weise Kritik an der patriarchalen Gesellschaftsordnung zu üben. Doch um die<br />

idealtypische Dichotomisierung von Rock und Pop und die damit verbundene<br />

stereotype Assoziation mit Männlichkeit und Weiblichkeit zu stützen ― denn auch<br />

auf das Genre Videoclip sei das Konzept des „male-gaze“ der feministischen<br />

Filmtheorie zu übertragen ―, werde auf traditionelle Konstruktionsweisen der<br />

Geschlechterdifferenz zurückgegriffen und das kulturelle System der<br />

Zweigeschlechtlichkeit im Musikfernsehen laufend reproduziert. 38 Gegenstimmen<br />

verweisen gerade auf den symbolischen Machtgewinn des weiblichen Geschlechts,<br />

der dadurch entstehe, dass Frauen in den Clips ihre Sexualität in sonst Männern<br />

vorbehaltener Weise inszenieren, was Madonna in ihrem „Express Yourself“-<br />

Videoclip exemplarisch demonstriert. 39<br />

Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang ergeben, dass Musikclips<br />

je nach Geschlecht, 40 ethnischer Zugehörigkeit, Alter, allgemeiner Medienerfahrung<br />

und familiär geprägtem Umgangsstil mit Medien sehr unterschiedlich<br />

wahrgenommen und verstanden werden können. Es muss also davon ausgegangen<br />

werden, dass es sich bei den Rezipienten nicht um eine homogene Gruppe handelt<br />

und Videoclips folglich unterschiedliche Wirkungen haben können. So werden auch<br />

Erfahrene im Umgang mit Videoclips manche Bilder ― und ganz besonders Zitate ―<br />

anders entschlüsseln als Unerfahrene. So verwundert es auch nicht, dass Madonna-<br />

Clips von ihren Fans positiv, von ihren Gegnern kritisch beurteilt werden. Das<br />

Phänomen der Möglichkeit verschiedener Lesarten wird durch die heterogene<br />

Rezipientengruppe hervorgerufen.<br />

Kennzeichnend für den Videoclip ist ein offenes Zeichenangebot, das nicht<br />

nur eine einzig „richtige“ Interpretation erlaubt, sondern mehrere Lesarten, die vom<br />

Betrachter aktiv bei der Rezeption konstruiert werden. Voraussetzung ist hierbei<br />

eine mehrdeutige Adressierung, d.h. die Gewährleistung von Anknüpfungspunkten<br />

für seine Erfahrungen und Vorlieben. Videoclips sind „unfertige“ Texte, was sie zu<br />

einem populären Medium macht, und verlangen einen aktiven, partizipierenden und<br />

produktiven Leser, der aus den Bildern des Clips seine Erzählung konstruiert. 41<br />

38 Vgl. Bechdolf, U.: „Music Video Histories. Geschichte ― Diskurs ― Geschlecht“, in: Hackl, C./Prommer,<br />

E./Scherer, B. (Hrsg.): Models und Machos? Frauen- und Männerbilder in den Medien, Konstanz 1996, S.<br />

277-299. – Weitere Literaturangaben siehe: Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 25.<br />

39 Vgl. Turim, M.: “Gesang der Frauen, Gesten der Frauen”, in: Frauen und Film 58/59 1996, S. 25-43.<br />

40 Vgl. Müller, Renate: „Geschlechtsspezifisches Umgehen mit Videoclips: Erleben Mädchen Videoclips<br />

anders?“, in: Kaiser, Hermann J. (Hrsg.): Geschlechtsspezifische Aspekte des Musiklernens, Essen:<br />

Musikpädagogische Forschung Bd. 17 1996, S. 73-93.<br />

41 Vgl. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1 (1989), hrsg. von: Lutter,<br />

Christina/Reisenleitner, Markus, Wien: Löcker Verlag 2003.<br />

22


Ramona Curry hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Inhalte von<br />

Clips und deren Wirkungen auf das Publikum nicht isoliert betrachtet werden<br />

können, sondern in ihrer Intertextualität, d.h. in ihrer multimedialen Einbettung,<br />

interpretiert werden müssen. 42 Intertextualität wird unter Zuhilfenahme des<br />

Konzepts der Transtextualität des Linguisten Gérard Genette definiert, die die<br />

Relation zwischen zwei oder mehreren Texten innerhalb des zu analysierenden<br />

Textes beschreibt. Neue Bedeutungen entstehen dadurch, dass Bekanntes anders<br />

arrangiert und kontextualisiert wird. Die These der Intertextualität bzw. der<br />

Offenheit und Globalität popkultureller Texte zeige sich insbesondere daran, dass<br />

Rezipienten mit kulturell völlig verschiedenen Hintergründen ähnliche Bezüge<br />

herstellen und außerdem in der Lage seien, kulturspezifische Interpretationen zu<br />

erarbeiten. 43<br />

In Bezug auf die Rezeption von Madonna-Videoclips bedeutet dies, dass die<br />

Bedeutung, die ein Rezipient einem Clip zuschreibt, immer auch von der Bedeutung<br />

anderer Texte über Madonna bestimmt wird. Demnach ist die Rezeption eines<br />

Madonna-Clips immer auch in einem Verhältnis zu Madonnas Image zu sehen, das<br />

sich aus vielen verschiedenen Texten zusammensetzt (Radio, Fernsehen,<br />

Videoclips, Konzertmitschnitte, Presseberichte etc.).<br />

Das in diesem Kapitel angesprochene Phänomen der Möglichkeit<br />

verschiedener Lesarten eines Videoclips spielt im Hinblick auf den<br />

Gültigkeitsanspruch einer Clip-Interpretation eine entscheidende Rolle; denn als ein<br />

synästhetisches Phänomen spricht der Videoclip gleichzeitig die auditive und<br />

visuelle Wahrnehmung an, und ruft bei jedem einzelnen Rezipienten jeweils<br />

unterschiedliche Assoziationen, sowohl auf visueller als auch auf auditiver Ebene,<br />

hervor. Allgemeingültigkeit für eine Videoclipanalyse zu erheben ist vor dem<br />

Hintergrund der Betrachtung des Videoclips als audiovisuelles Medium nicht<br />

möglich.<br />

42 Curry 1999, S. 175-204.<br />

43 Diese Schlussfolgerungen erinnern an Äußerungen, die in der Bildersprache eine Möglichkeit sehen,<br />

grenzüberschreitend, kulturunabhängig und weltweit Kommunikation gewährleisten zu können:<br />

„Während die geschriebenen Sprachen die Menschen innerhalb ihrer eigenen kulturellen Monaden<br />

einschlossen, wird die Sprache des technologischen Menschen, indem sie sich aller Kulturen dieser Welt<br />

bedient, zwangläufig jene Medien bevorzugen, die am wenigsten national sind. Deshalb steht die<br />

Bildersprache wie ein unbenutztes Esperanto zur Verfügung. Diese [Bildersprachen] überschreiten<br />

mühelos die Länderbarrieren so leicht wie Chaplin oder Disney und scheinen konkurrenzlos als kulturelle<br />

Grundlage des kosmischen Menschen.“ Mc Luhan, Marshall: „Das Medium ist die Message“, in: Baltes,<br />

Martin/Höltschl, Rainer (Hrsg.): Absolute Marshall Mc Luhan, Freiburg: orange press 2002, S. 106.<br />

23


1.5 Der Videoclip als audiovisuelles Medium: „BilderHören und<br />

MusikSehen“ oder „Bilderwelt der Klänge ― Klangwelt der<br />

Bilder“ 44<br />

Der Videoclip als eine Synthese von Musik und Bild ist nicht neu: Die<br />

Verschmelzung von Ton und Bild kann auf eine lange kulturhistorische Tradition<br />

zurückblicken und basiert auf der Tatsache, dass menschliche Wahrnehmung<br />

generell auf der Komplementarität von Auge und Ohr beruht, d.h. intermodal<br />

angelegt ist. Als Beispiele für intermodale Wahrnehmung kann auf „archaische<br />

Kulturen mit ihren ganzheitlichen Lebensformen und die direkte Verknüpfung von<br />

Musik und Kult verwiesen [werden]“ 45 , auf das alte China und dessen Zuordnung<br />

von Tönen und Jahren zu Jahreszeiten, auf die griechische Antike mit ihrem „Prinzip<br />

der kosmischen Weltordnung und der Kongruenz von Zahlenverhältnissen,<br />

Intervallen, Zusammenklängen mit der Harmonie der Sphären.“ 46 Um 350 v.Chr.<br />

wies Aristoteles bereits darauf hin, dass der Mensch über einen übergeordneten<br />

Sinn verfüge, der die Wahrnehmung der einzelnen Sinne koordiniere. 47<br />

Diese in der Antike entstandenen, universalästhetisch-philosophischen<br />

Konzeptionen hatten bis in das europäische Mittelalter und die beginnende Neuzeit<br />

Bestand, was sich z.B. in dem 1650 vorgenommenen Versuch widerspiegelt, „die<br />

Identität von Licht und Schall auf der Grundlage von übereinstimmenden<br />

Zahlenverhältnissen bzw. Intervallen zu erklären“, 48 oder auch in den Bemühungen<br />

Isaac Newtons (1704), die Zusammenhänge zwischen den sieben Spektralfarben<br />

und den sieben Tönen der diatonischen Skala darzustellen, was Louis-Bertrand<br />

Castel dazu veranlasste, ein Farbenklavier zu konstruieren (1725). 49<br />

Sehen und Hören sind folglich von jeher auf das engste miteinander<br />

verknüpft und aufeinander bezogen. Die audiovisuelle Konzeption des Videoclips<br />

macht sich die Deutungsvielfalt zu eigen, die das Hören von Musik bei jedem<br />

44<br />

Mit dieser Kapitelüberschrift und in den folgenden Ausführungen beziehe ich mich im Wesentlichen<br />

auf: Geuen, Heinz: „BilderHören und MusikSehen: Musikverstehen im Medienkontext“, unveröffentlichter<br />

Vortrag im Rahmen der Arbeitstagung „Jugend, Kultur und Kreativität. Suche nach neuen Praktiken des<br />

Lernens und Lehrens“ vom 18.-20. Juli 2005 an der Musikhochschule Köln. Außerdem: Rösing, Helmut:<br />

„Bilderwelt der Klänge, Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne“, in: Helms,<br />

Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences. Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo,<br />

Beiträge zur Popularmusikforschung 31, Bielefeld: transcript 2003, S. 9-25.<br />

45<br />

Rösing 2003, S. 10.<br />

46<br />

Ebd.<br />

47<br />

Vgl. Hurte, <strong>Michael</strong>: Musik, Bild, Bewegung. Theorie und Praxis auditiv-visueller Konvergenzen, Bonn:<br />

Verlag für Systematische Musikwissenschaft 1982. Zit.n. Ebd.<br />

48<br />

Ebd., S. 19.<br />

49<br />

Vgl. Ebd., S. 10 f.<br />

24


Einzelnen hervorruft. Denn alle musikalischen Schallereignisse, die ein Hörer in<br />

einer bestimmten Situation aufnimmt, stehen, so Helmut Rösing, in einer<br />

„Wechselbeziehung mit dem bisherigen Musikkonzept und mit dem allgemeinen<br />

Erfahrungsinventar einer Person, mit emotionalen, assoziativen, kognitiven<br />

Schemata und Prototypen“. 50 Wie ein erklingendes Musikstück bewertet bzw.<br />

verstanden und in den eigenen Erfahrungshorizont integriert wird, hängt von der<br />

jeweiligen Sozialisation ― mit den Variablen Alter, Geschlecht, Familie, Ausbildung,<br />

soziales Milieu, Medien etc. ― ab. In einem Videoclip als spezifisch audiovisuelles<br />

Medium illustrieren die Bilder nicht einfach die Musik oder den Text, sondern<br />

beeinflussen ihrerseits durch ihre Bedeutungen und die durch sie ausgelösten<br />

Assoziationen die Musik und den Rezipienten. 51<br />

Je nach Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit gegenüber dem<br />

audiovisuellen Gesamtgeschehen ändert sich die Wahrnehmung des Rezipienten: Je<br />

nach Aufmerksamkeitszuwendung beeinflusst Musik die Bildwahrnehmung oder<br />

aber die Bilder die Musikwahrnehmung. Durch die Musik z.B. fokussiert der<br />

Rezipient seine Aufmerksamkeit, was dazu führen kann, dass er aus dem gesamten<br />

visuellen Informationsangebot nur einen bestimmten Ausschnitt bewusst<br />

wahrnimmt. Somit beeinflusst die erklingende Musik die Wahrnehmung des<br />

visuellen Geschehens. Das gleiche ist natürlich auch im umgekehrten Falle denkbar:<br />

Dadurch, dass sich der Rezipient bewusst auf ein visuelles Geschehen fokussiert,<br />

wird auch nur ein Teil der Musik und ihrer Strukturen wahrgenommen und in Bezug<br />

zum Bild interpretiert. Damit beeinflusst das filmische Geschehen die Bedeutung<br />

der Musik.<br />

Somit ist die Struktur eines multimedialen Produktes wie dem Videoclip<br />

durch eine Informationsdichte gekennzeichnet, die den Rezipienten zu einer<br />

Aufmerksamkeitsfokussierung zwingt. Jeder Rezipient nimmt demnach anders wahr<br />

und verfügt über eigene Assoziationen. Eine vorgenommene Interpretation kann<br />

50 Ebd., S. 13.<br />

51 Heinz Geuen bemängelt in seinem Vortrag die nur sehr zurückhaltende Bereitschaft der<br />

musikwissenschaftlichen Forschung, sich mit der doch so offenkundigen Bildgeprägtheit der<br />

musikalischen Wahrnehmung, den Aspekten der Medialität und Performanz zu befassen und sich nur<br />

zögerlich für kulturwissenschaftliche Diskurse und neue methodische Anätze zu öffnen. Als<br />

richtungsweisend bezüglich einer Bild-Musik-Forschung betrachtet er die Habilitationsschrift<br />

„BilderMusik“ des Bonner Musikwissenschaftlers Anno Mungen aus dem Jahre 2001, der „das die<br />

Kunstmusik des 18. und 19. Jahrhunderts bestimmende Paradigma absoluter Musik deutlich relativiert.“<br />

Denn die „Verknüpfung von Instrumentalmusik mit medialen Inszenierungen [...] entsprach spätestens<br />

seit Beginn des 19. Jahrhunderts einem offensichtlich starken Bedürfnis, ‚semantische Leerstellen’ zu<br />

füllen und die Aufführung von Musik auratisch zu stärken.“ Diese Arbeit sei deshalb ein wichtiger Impuls,<br />

weil sie aufzeigt, dass Musik – entgegen dem überlieferten Paradigma der absoluten Hörkunst – immer<br />

auch eine Medienkunst war. Eine musikwissenschaftlich verortete Auseinadersetzung mit dem<br />

Gegenstand Videoclip befindet sich deshalb erst in den Anfängen. Vgl. Geuen 2005.<br />

25


und darf demnach nicht zu einer Verabsolutierung führen. Sie kann immer nur ein<br />

Interpretationsangebot darstellen, das mitunter auch zeitgeschichtlich bedingt ist.<br />

Im Videoclip, der sich durch das Zusammenspiel von Musik, Sprache und<br />

bewegten Bildern auszeichnet, erhöht sich die „interpretatorische<br />

Unschärferelation“ 52 um ein Vielfaches. Denn je mehr Dimensionen ein<br />

Wahrnehmungsobjekt enthält, umso vielfältiger sind die Assoziations- und<br />

Verknüpfungsmöglichkeiten, bei denen sowohl intra- als auch intersubjektive<br />

Erfahrungen berücksichtigt werden.<br />

1.6 Methodisches Vorgehen in dieser Arbeit<br />

Bei den im folgenden Kapitel vorgenommenen Videoclipanalysen liegt die<br />

Schwerpunktsetzung der Aufmerksamkeit auf dem visuellen Geschehen; denn Ziel<br />

dieser Arbeit ist die Darstellung von Madonnas <strong>wechselnde</strong>n<br />

Weiblichkeitsinszenierungen auf visueller Ebene. Die analytische Ebene der Musik<br />

tritt hierbei in den Hintergrund, obgleich sie in allen hier analysierten Clips narrativ-<br />

strukturierende Funktion hat und in ihrem jeweiligen Ausdruck die Aussage der<br />

Bilder unterstreicht.<br />

Unter Berücksichtigung der angeführten Hinweise Ramona Currys<br />

hinsichtlich der Intertextualität postmoderner Texte wird davon ausgegangen, dass<br />

Textbedeutungen nicht allein durch die Erfahrung eines Lesers ― im Falle von<br />

Videoclips des Zuschauers und -hörers ― beim Lesen eines einzelnen, in sich<br />

geschlossenen Textes entstehen. Die Bedeutungen eines Videoclips, als<br />

postmoderner Text betrachtet, werden hingegen von dem Leser aus seiner<br />

diskursiven Rezeption im Zusammenhang mit mehreren Texten, die mit diesem in<br />

Verbindung stehen, erschlossen. Im Fall von Madonna bedeutet dies, dass das<br />

Verständnis eines Clips nie unabhängig von Madonnas Image als Star zu sehen ist.<br />

Ein „Starimage“ ― auf der Grundlage der Analyse der Entstehung und Aufnahme<br />

von Starimages nach Richard Dyer 53 ― setzt sich aus vielen verschiedenen Texten<br />

zusammen: Madonnas Starimage entsteht aus ihren Auftritten in verschiedenen<br />

Medienformen ― Schallplatten (CD), Radio, Videoclips, Konzerten und deren<br />

Mitschnitten, aus Filmen und öffentlichen Auftritten in Talkshows und Werbespots,<br />

sowie der ständigen Kommentierung von Madonnas Aktivitäten und Auftritten in der<br />

Tages- und Boulevardpresse.<br />

52<br />

Rösing 2003, S. 22.<br />

53<br />

Vgl. Dyer, Richard: Stars, London 1979, insbesondere S. 38-72; vgl. auch: Ders.: Heavenly Bodies:<br />

Film Stars and Society, New York 1986.<br />

26


Aus diesem Grund wird dem jeweiligen Clip, der im Zentrum der Analyse<br />

steht, eine Skizzierung des jeweiligen Madonna-Images vorangestellt. Wie sich<br />

zeigen wird, gibt das jeweilige Cover des Albums bereits aufschlussreiche<br />

Informationen über die jeweils dominanten Konstruktionselemente des Madonna-<br />

Images der jeweiligen Phase.<br />

2. DIE MACHT DER IMAGEWECHSEL<br />

2.1 BURNING UP (1983)<br />

Bei dem 1983 entstandenen Musik-Video zu „Burning Up“ handelt es sich um<br />

den ersten Videoclip zu einem Madonna-Song, der von MTV gesendet wurde.<br />

Gleichzeitig fällt seine Entstehung in die Phase vor dem künstlerischen Durchbruch<br />

der Sängerin in die Top Ten der Charts, der ihr allerdings noch im selben Jahr mit<br />

„Holiday“, der vierten Singleauskopplung aus ihrem Debütalbum, gelang.<br />

Schon 1978 ging Madonna ― nach abgebrochenem Tanzstudium in<br />

Michigan 54 ― nach New York, wo sie ― finanziert durch Gelegenheitsjobs 55 ―<br />

darum bemüht war, ihre Karriere voranzutreiben. Mit der Unterstützung der<br />

Tanzclub-DJs Mark Kamins und Jellybean Benitez gelang es ihr 1982 schließlich,<br />

ihren ersten kleinen Plattenvertrag bei Sire Records abzuschließen, „wo Warner<br />

Brothers die Leute [unterbrachten], von denen sie nicht glauben, daß sie sich<br />

verkaufen werden“ 56 . Der Vertrag bezog sich zunächst nur auf die beiden Singles<br />

„Ain’t No Big Deal“ und „Everybody“. Nachdem „Everybody“, zu dem man allerdings<br />

lediglich einen firmeninternen Promotion-Clip herstellte, ein Erfolg in den Dance-<br />

Charts wurde, entschloss man sich, auch die zweite Single, „Burning Up“, zu<br />

produzieren.<br />

Ein kurzer Einblick in das New York der späten 1970er und beginnenden<br />

1980er Jahre soll einen Eindruck von den Hintergründen und der Stimmung<br />

54 Geboren am 16. August 1958 in Bay City, Michigan, als das sechste von acht Kindern, beginnt<br />

Madonna nach der High School mit einem Begabten-Stipendium ein Studium des klassischen und<br />

modernen Tanzes an der University of Michigan Ann Arbor, das sie anderthalb Jahre später, im Juli 1978,<br />

abbricht. Vgl. Bullerjahn, Claudia: „Populäres und Artifizielles in den Musikvideos von Madonna“, in:<br />

Bullerjahn, C./Erwe, H.-J. (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und<br />

Erscheinungsformen, Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag 2001, S. 209.<br />

55 So tanzte sie am Alvin Ailey Dance Theatre und in der Pearl Lang Dance Company, finanzielle Nöte<br />

zwangen sie zur Annahme von Nebenjobs, etwa die Arbeit als Aktmodell in Kunsthochschulen und für<br />

einzelne Künstler und Fotografen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209.<br />

56 Countdown Magazin, Special Annual 2/1985, zit. n. Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural<br />

Studies Bd. 1, hrsg. von Lutter, Christina/Reisenleiter, Markus, Wien: Erhard Löcker Verlag 2003, S.<br />

103.<br />

27


vermitteln, die Ausgangspunkt für Madonnas Karriere waren und die ihren Stil und<br />

ihr erstes Image entscheidend geprägt haben.<br />

2.1.1 Das New York der 1970er / 1980er Jahre: Von der Tänzerin zur<br />

Musikerin ― Clubszene ― erster Plattenvertrag<br />

Entscheidend für Madonnas Entwicklung ist die Tatsache, dass sich<br />

Manhattan gegen Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre zum „Dreh- und<br />

Angelpunkt der Musikindustrie“ 57 entwickelte. Die Tänzerin Madonna lernte<br />

Schlagzeug und Gitarre zu spielen, sang ein halbes Jahr als Backgroundsängerin in<br />

der Gruppe von Patrick Hernandez 58 , mit der sie schließlich nach Paris und andere<br />

europäische Städte reiste, während sie gleichzeitig weiterhin Tanz- und<br />

Gesangsunterricht nahm. Zurück in New York engagierte sie sich als Schlagzeugerin<br />

und Sängerin in der Band Breakfast Club, die sie allerdings wegen Streitigkeiten<br />

verließ, um ihre eigene Band, Emmy, zu gründen. 59<br />

Die Erfahrungen, die sie als Musikerin und durch kleinere Engagements als<br />

Backgroundsängerin sammelte und die ihr erste Tonstudioerfahrungen einbrachten,<br />

spielten sich in einem New York ab, in dem eine kulturelle Entwicklung ihrem<br />

Höhepunkt zustrebte, die sich „in der zwielichtigen Atmosphäre der Afterhours-<br />

Klubs am unteren Ende des Broadway in den schwarzen Schwulendiskos und<br />

Drogenkellern zusammengebraut hatte“ 60 und den Namen „Disco“ trug. Ihre<br />

Quellen waren vielfältig und hatten eine Mischung aus Musik, Mode, Lifestyle, Sex<br />

und Drogen hervorgebracht, die in einem „ekstatischen Tanzkult“ 61 ihren Ausdruck<br />

fand, bei dem der „Selbstgenuss der eigenen Körperlichkeit“ 62 im Vordergrund<br />

stand. Die Nachtclubszene Manhattans, ein Melting Pot verschiedenster<br />

subkultureller Milieus, wie der der Homosexuellen, Afroamerikaner, Puertoricaner<br />

und anderen Minderheiten, der allerdings auch anderen zugängig war, machte die<br />

Körperkulte der Schwulendiskos „salonfähig“, und trug dazu bei, dass sie sich zur<br />

einer Massenbewegung des Mainstream entwickeln konnten. Das „Studio 54“ etwa<br />

entwickelte sich zu einem jener inzwischen legendären Disco-„Paläste“, in denen<br />

Madonna als Go-Go-Girl, Backgroundsängerin und -tänzerin für Hernandez auftrat,<br />

57<br />

Vgl. Bego, Mark: Madonna. Who’s That Girl? Andrä-Wördern 1992, S. 51-57; zit.n. Bullerjahn 2001, S.<br />

209.<br />

58<br />

Patrick Hernandez, puertoricanischer Sänger und DJ, hatte 1979 mit dem Song „Born to Be Alive“<br />

einen gigantischen Hit gelandet und tourte seitdem um die Welt. Vgl. Wicke, Peter: Von Mozart zu<br />

Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig: Gustav Kiepenheuer Verlag 1998, S. 274.<br />

59<br />

Vgl. Bullerjahn 2001, S. 209 f.<br />

60<br />

Wicke 1998, S. 269.<br />

61<br />

Ebd.<br />

62<br />

Ebd.<br />

28


evor sie selbst 1982 mit ihrem bereits erwähnten Solo-Debüt „Everybody“ einen<br />

Dancefloor-Hit landete.<br />

So schien das New York am Ende der 1970er Jahre für Madonna wie<br />

geschaffen zu sein, ihre Extrovertiertheit auszuleben: Als Tänzerin verfügte sie über<br />

ein besonderes Körperbewusstsein, das sie in einer Umgebung, in der die<br />

körperliche Inszenierung im Vordergrund stand, gezielt einsetzen konnte. Sowohl<br />

ihre Ausbildung als Tänzerin als auch der Einfluss dieser New Yorker Anfangszeit, in<br />

der der Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen zu einer Quelle der Inspiration<br />

wurde, haben ihre künstlerische Entwicklung als Sängerin bzw. Performerin stark<br />

beeinflusst, wie in vielen ihrer Videoclips 63 und auch in Mitschnitten ihrer<br />

Konzerttourneen 64 ersichtlich ist.<br />

Anfang der 1980er Jahre gehörte Madonna einer New Yorker Clique an, die<br />

sich aus jungen Künstlern, Sängern und Performern zusammensetzte. 65 Man traf<br />

sich in den Clubs, die als Treffpunkt als auch als gemeinsames „Büro“ fungierten:<br />

Man kam dort zusammen, um zu tanzen, sich zu amüsieren und Beziehungen zu<br />

knüpfen. Die angesagtesten Clubs der 1980er Jahre - ein Sammelbecken für<br />

aufstrebende Künstler und Musiker 66 - waren die „Danceteria“, das „Roxy“ und der<br />

„Mudd Club“. 67 Madonnas Freundeskreis, der ebenfalls in diesen Clubs zuhause<br />

war 68 , lieferte starke künstlerische Impulse und erweiterte darüber hinaus ihr<br />

Interesse an der bildenden Kunst. Niederschlag findet dieser Einfluss zum einen in<br />

zahlreichen Videoclips, in denen sie mit kunst- 69 und filmhistorischen Zitaten 70<br />

arbeitet, zum anderen aber auch in ihrem fortlaufenden ― äußerlichen ―<br />

63<br />

So z.B. in „Borderline“, „Open Your Heart“, „Like A Prayer“, „Vogue“ oder „Secret“, um nur einige zu<br />

nennen.<br />

64<br />

So handelt es sich bei der Mehrheit ihrer Tänzer, die sie auf ihren Konzerttourneen begleiten, um<br />

Homosexuelle, Schwarze und andere nicht-weiße Minderheitengruppen. Siehe z.B. „The Girlie Show“.<br />

65<br />

Vgl. Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Krüger Verlag 2002, S. 176 ff.<br />

66<br />

Wie z.B. die Beastie Boys, Grandmaster Flash oder der schwarze Graffiti-Künstler Jean-Michel<br />

Basquiat, mit dem Madonna 1983 ein Verhältnis haben sollte, der 1988 im Alter von 27 Jahren an einer<br />

Überdosis Drogen starb. Vgl. Morton 2002, S. 177 u. 197.<br />

67<br />

So arbeitete die englische Sängerin Sade an der Bar, der Graffiti-Künstler Keith Haring als Garderobier<br />

in der Danceteria.<br />

68<br />

Dazu zählten die schon verstorbenen Künstler Andy Warhol, Keith Haring und Martin Burgoyne, die<br />

Club-Besitzerin Erika Belle, Make-up Künstlerin, inzwischen Hollywoodschauspielerin Debi Mazar oder die<br />

Modehändlerin Maripol. Vgl. Morton 2002, S. 177; siehe auch Bullerjahn 2001, S. 220. - Viele<br />

Freundschaften Madonnas aus der New-York-Anfangszeit bestehen noch immer: So wirkte Debi Mazar in<br />

vielen ihren Videoclips mit, zuletzt in „Music“, außerdem in „Papa Don’t Preach“ oder „True Blue“.<br />

69<br />

In „Open Your Heart“ und „Vogue“ verwendet sie z.B. Bilder der polnischen Malerin Tamara de<br />

Lempicka. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 224.<br />

70<br />

Einen Nachweis des „artifiziellen Charakters“ der Madonna-Musikvideos liefert Claudia Bullerjahn in<br />

dem hier schon angeführten Artikel: Bullerjahn 2001, S. 203-268. Dem im Folgenden zu analysierende<br />

Clip, „Express Yourself“ wird durch das Zitieren des Stummfilms „Metropolis“ ein besonders hoher<br />

künstlerischer Wert zugesprochen. Weitere Filmzitate finden sich u.a. im Video zu „Material Girl“<br />

(„Gentlemen Prefer Blondes“), „Oh Father“ (Szenen aus „Citizen Cane“) und „Ray Of Light“ (Zeitrafferund<br />

Zeitlupeneffekte aus „Koyaaniqatsi“). Vgl. Ebd., S. 223 ff.<br />

29


Imagewechsel: von der Marilyn-Monroe-Imitation über Anlehnungen an Liza Minelli,<br />

Marlene Dietrich, Rita Hayworth, Greta Garbo und Mae West bis hin zu einzelnen<br />

Gesten Elvis Presleys oder sogar <strong>Michael</strong> Jacksons.<br />

Die Vermarktung ihrer ersten Single „Eyerybody“ richtete sich an ein<br />

modernes Großstadtpublikum, das sich größtenteils aus Schwarzen und<br />

Puertoricanern zusammensetzte. Aus diesem Grund entschied Madonnas<br />

Plattenfirma Sire Records, die Single in der Kategorie „schwarze Dancefloor-Musik“<br />

zu veröffentlichen und die Künstlerin selbst ― die sich kurz zuvor die Haare<br />

blondiert hatte ― als schwarze Sängerin zu bewerben. Um das Marketing-Konzept<br />

nicht zu gefährden, wählte man daher für das Cover von „Everybody“ ― im Oktober<br />

1982 erschienen und produziert von Mark Kamins ― nicht etwa eine Fotografie der<br />

Künstlerin selbst, sondern ein Bild von Downtown New York im Stil einer Hip-Hop-<br />

Collage (Anhang I, Abb. 10). 71<br />

Zu Werbezwecken ließ Sire Records ein firmeninternes Video von einem<br />

Auftritt Madonnas im „Paradise Garage“ 72 anfertigen, durch das auch dem Rest des<br />

Werbeteams in ganz Amerika ein Eindruck von Musik und Darstellung der neuen<br />

Künstlerin vermittelt werden sollte. Ed Steinberg, Betreiber der Rock-America-<br />

Videofirma, erhielt für diesen Auftrag ein Budget von 1500 Dollar ― ein Betrag, der<br />

umso geringer erscheint, wenn man bedenkt, dass zur gleichen Zeit für <strong>Michael</strong><br />

Jacksons Videos bereits sechsstellige Summen ausgegeben wurden. 73 Obwohl allein<br />

dieser Umstand zu belegen scheint, dass die Plattenfirma an einer Ausstrahlung des<br />

Clips bei dem Musiksender MTV offensichtlich nicht interessiert war, ist zu<br />

bedenken, das der Sender MTV selbst noch weit am Anfang stand und bis zu<br />

diesem Zeitpunkt keine Tanz-Videos im Stil Madonnas ― einer Mischung aus<br />

Gesang und Tanz ― in sein Programm aufgenommen hatte.<br />

Steinberg hingegen erkannte die visuelle Wirkung Madonnas und verschickte<br />

Exemplare des Videos an Nachtclubs in ganz Amerika. So hielt „Everybody“ im<br />

November 1982 Einzug in die Dance-Charts und Wochen später schaffte es die<br />

Single sogar auf Platz 1. Erst nach dem Erfolg von „Everybody“ schienen die<br />

71 Vgl. Ebd., S. 210. – Die Entscheidung der Plattenfirma spiegelt die Realitäten jener Zeit wieder: Zu<br />

Beginn der achtziger Jahre war die Popmusik in den USA noch in Kategorien unterteilt, die durch die im<br />

Radio und in ein paar Fernsehprogrammen aufgestellten Playlists bestimmt wurden. Noch war die Zeit<br />

nicht da, in der Diskjockeys in Clubs oder MTV im Fernsehen über Aufstieg oder Fall einer Single<br />

entscheiden sollten. Vgl. Morton 2002, S. 189 f.<br />

72 Das „Paradise Garage“, eine Downtown-Schwulendisco und ehemalige LKW-Werkstatt in Lower<br />

Manhattan, hatte sich als subkultureller Gegenpol zum „Studio 54“ etabliert. Vgl. Wicke 1998, S. 274. -<br />

Die Entscheidung des Regisseurs, das Video dort abzudrehen, hatte vor allen Dingen ökonomische<br />

Gründe, denn dort konnte er kostenlos drehen. Vgl. Ebd., S. 194.<br />

73 Vgl. Ebd., S. 193 f.<br />

30


Plattenfirmen Madonnas Potential zu erkennen und konkurrierten miteinander<br />

darum, die Künstlerin unter Vertrag zu nehmen. 74<br />

So lässt sich feststellen, dass es Madonnas visuelle Präsentation war, die ihr<br />

den ersten Erfolg verschaffte; denn ihre minimale Stimmkraft, ihr geringer<br />

Stimmumfang und der sehr mädchenhafte Charakter ihrer Stimme wurden in den<br />

Anfängen ihrer Karriere immer wieder stark kritisiert. Eine Bezeichnung wie „Minnie<br />

Mouse on helium“ 75 bringt zum Ausdruck, dass das Interesse der Fans und Kritiker<br />

an Madonna weniger der „Sängerin“ Madonna galt als vielmehr ihrer<br />

provozierenden, visuell vermittelten „Verpackung“. Dieser Vorwurf prägt bis heute<br />

den Madonna-Diskurs. Madonna, sich ihrer stimmlichen Schwäche und visuellen<br />

Wirksamkeit bewusst, hat im Videoclip das Medium erkannt, das es ihr ermöglicht,<br />

ihre Fähigkeiten gezielt einzusetzen und ihre Botschaften zu vermitteln.<br />

Nachdem „Burning Up“, der Song für die zweite Single ― produziert von<br />

Reggie Lucas von Warner Brothers ― Anfang 1983 aufgenommen worden war, gab<br />

Sire den Dreh eines Videos in Auftrag, um für die Single zu werben. Dieses<br />

Musikvideo, bei dem Steve Baron Regie führte, 76 „war Amerikas erste Einführung in<br />

Madonnas berechnend sexuelle Präsentation und wurde bei MTV, die inzwischen mit<br />

der Vorführung von Dance-Videos begonnen hatten, zu einem kleinen Hit.“ 77 Wie<br />

die folgende Analyse des Clips zeigen wird, ist die durch die Bilder vermittelte<br />

Botschaft, nämlich als Frau Macht und Kontrolle auszuüben, seit Beginn von<br />

Madonnas Karriere Thema ihrer Videoclips.<br />

Der schnelle Erfolg von „Burning up“ ― im März 1983 erschienen und kurz<br />

danach auf Platz 3 der Dance-Charts ― veranlasste Madonnas Plattenfirma dazu,<br />

die Produktion ihres Debüt-Albums in Auftrag zu geben, das bereits im Juli 1983<br />

veröffentlicht wurde. 78 Die Abbildung des Konterfeis der Künstlerin auf Album- und<br />

Singlecover (Anhang I, Abb. 01 und 11) ― letzteres eine Collage aus verschiedenen<br />

74 Vgl. Ebd., S. 199.<br />

75 Bullerjahn 2001, S. 211.<br />

76 Steve Baron war durch die Produktion von <strong>Michael</strong> Jacksons „Billie Jean“-Video bekannt geworden.<br />

77 Der erste „richtige“ Videoclip ― d.h. mit dem Ziel der Ausstrahlung bei MTV ―, erwies sich als eine Art<br />

„Familienproduktion“: Martin Burgoyne entwarf das Cover für die Single, Debi Mazar wurde als<br />

Maskenbildnerin für das Video engagiert, Maripol, die Madonna mit ihrem modischen Markenzeichen, den<br />

Gummiarmbändern, bekannt gemacht hatte, war die Stylistin. Madonnas „Immer-mal-wieder-Lover“ Ken<br />

Compton spielte den männlichen Part im Clip. Vgl. Morton 2002, S. 200 f.<br />

78 Produziert wurde das Album von Reggie Lucas und Jellybean Benitez. Obgleich Madonna sich den<br />

Soundvorstellungen der Plattenfirma zunächst fügte, traf sie schon in dieser frühen Phase ihrer Karriere<br />

die Entscheidung, einige schon fertiggestellte Songs noch einmal abmischen zu lassen, die dann ― nun<br />

ihren Vorstellungen entsprechend ― auf ihrem ersten Album erscheinen. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 211.<br />

31


Madonna-Portraits im Pop-Art-Stil ― und ihre zunehmende Präsenz auf MTV<br />

machten die Diskussion um ihre Hautfarbe schließlich überflüssig.<br />

2.1.2 Image<br />

Das Image der jungen Madonna in dieser ersten Phase ihrer Karriere ist das<br />

eines frechen, verführerischen, sexy und selbstbewussten Mädchens. Ihr Outfit, in<br />

ihren ersten Videoclips zur Schau getragen und deutlich abzulesen an den Covern<br />

ihrer ersten beiden Alben (Anhang I, Abb. 01 und 02), entwickelt in ihrer „New-<br />

York-Anfangs-Pleite-Zeit“, ist gekennzeichnet durch eingerissene Second-Hand-<br />

Kleidung, den freien Bauchnabel, Stofffetzen in auftoupiertem blondierten Haaren,<br />

Leggins aus ihrer Tänzerinnenzeit, Spitzenhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern<br />

und jeder Menge billigem Modeschmuck wie Gummiarmbänder ― ursprünglich<br />

Treibriemen aus elektrischen Schreibmaschinen ―, Rosenkränze und Kruzifixe. Ihr<br />

Stil zeigt sich als eine Mischung aus Hip Hop und Punk. Sie brachte „die<br />

Begleitrituale ihrer strengen katholischen Erziehung auf die Showbühne und<br />

stilisierte sich im Juli 1983 zur Promotion ihrer ersten LP mit Dutzenden von<br />

Kruzifixen [...].“ 79 Ihre ersten Videos ― neben „Burning Up“ vor allem die<br />

populäreren Clips zu „Lucky Star“ (Clip 02) und „Borderline“ ihres Debütalbums ―<br />

und der 1985 in den Kinos laufende Film „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ 80 , in dem die<br />

Künstlerin die Hauptrolle spielte, haben die Verbreitung des Madonna-Looks<br />

vorangetrieben, der schließlich weltweit von Mädchen und jungen Frauen kopiert<br />

wurde. Erfolgsrezept für ihren großen Durchbruch 1984 mit ihrem zweiten Album<br />

„Like A Virgin“ war eine provozierende Mischung aus Religion und Sexualität, die sie<br />

in ihren Clips und ihren öffentlichen Auftritten zur Schau stellte: Zur Verleihung der<br />

MTV Awards im September 1984 erschien sie ― wie in ihrem Videoclip zu „Like a<br />

Virgin“ (Clip 03) ― in einem nur auf den ersten Blick bieder erscheinenden Outfit,<br />

einem weißen Brautkleid, dessen Anblick aber durch den inzwischen berühmten<br />

„Boy Toy“-Gürtel, das auftoupierte Haar und die Menge an wertlosem Modeschmuck<br />

sowie großen Kruzifix-Ohrringen um so provozierender wirkte. Darin räkelte sie sich<br />

auf der Bühne und ahmte in ihren Bewegungen unmissverständlich einen<br />

Geschlechtsakt nach, womit sie zwar in erster Linie die anwesenden Kritiker und<br />

das Publikum schockierte, in zweiter Linie aber nicht unwesentlich zur Steigerung<br />

79<br />

Graves, Barry/Schmidt-Joos, Siegfried/Halbscheffel, Bernward: Rock-Lexikon, Bd. 2, Reinbek bei<br />

Hamburg: Rowohlt Verlag 1998, S. 560.<br />

80<br />

1985, Regie: Susan Seidelman, dt.: „Susan...verzweifelt gesucht“, Madonna in der Rolle der „Susan“<br />

an der Seite von Rosanna Arquette.<br />

32


ihrer Popularität beitrug: „Es war der Auftritt, der ihre Karriere machte. Er zeigte,<br />

dass sie clever genug war, zu wissen, wie sie die Kamera zu ihrem Vorteil nutzen<br />

konnte.“ 81 Dieses Image wurde von ihr in den ersten Jahren ihrer Karriere<br />

weitgehend beibehalten. Erst mit der Veröffentlichung ihres dritten Albums „True<br />

Blue“ im Jahre 1986 vollzog Madonna die erste tiefgreifende Veränderung in ihrem<br />

Auftreten.<br />

2.1.3 Clipanalyse<br />

Schon in Madonnas erstem Videoclip wird die Bedeutung der Bilder für die<br />

Aussage des Songs und die Botschaft der Sängerin deutlich, was folgende<br />

Ausführungen veranschaulichen werden.<br />

Der Videoclip „Burning Up“ (Clip 01) zeigt eine Frau ― Madonna ― in einem<br />

weißen Kleid. Auf einer dunklen, verlassenen Landstraße liegend, singt sie über die<br />

Leidenschaft für einen Mann, der ihre Liebe offensichtlich nicht erwidert, während<br />

sie ― sich auf dem Asphalt windend ― den hilflos leidenden Zustand ihrer<br />

unerwiderten Liebe auch körperlich zum Ausdruck bringt. Den Besungenen sieht<br />

man zur gleichen Zeit am Steuer eines Autos sitzend ― scheinbar auf der gleichen,<br />

verlassenen dunklen Landstrasse ―, offensichtlich mit dem Vorsatz, die auf der<br />

Strasse Liegende zu überfahren. Die unerwiderte Liebe, von der Madonna singt und<br />

die sie in Gebärden der Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit zum Ausdruck bringt,<br />

scheint sie zu einem hilflosen Opfer zu machen. Die letzte Einstellung des Clips<br />

allerdings zeigt Madonna selbst am Steuer des Wagens, mit einem wissenden und<br />

verächtlichen Lächeln auf den Lippen. Der Mann, der sie zuvor zu überfahren<br />

drohte, ist nicht mehr zu sehen.<br />

Die Bilder des Clips, die durch die letzte Einstellung den Eindruck weiblicher<br />

Hilflosigkeit und Unterlegenheit zurückweisen, erweisen sich somit als<br />

Gegenentwurf zum Text (Anhang II). So singt sie „Do you wanna see me down on<br />

my knees? / Or bending over backwards now would you be pleased?”, wobei sie ―<br />

eine aus dem Tierreich entlehnte Geste äußerster Unterwerfung nachahmend ― auf<br />

der Straße kniet, sich nach hinten beugt, den Kopf zurückwirft und dem Betrachter<br />

und ihrem virtuellen Angreifer ihren Hals präsentiert, ein Verhalten, durch das sie<br />

sich zum symbolischen Opfer stilisiert. Der Ton ihrer Stimme und ihr Blick in die<br />

Kamera haben hingegen nichts von dieser Unterwürfigkeit, sondern zeigen Härte<br />

81 Arthur Baker, zit. n. Morton 2002, S. 213. - Die Single „Like A Virgin” sollte bis heute Madonnas<br />

größter Hit werden, mehrere Platin-Schallplatten gewinnen und sich sechs Wochen lang an der Spitze<br />

der Charts halten. Vgl. Ebd., S. 213.<br />

33


und Verachtung, die ihrer Körpersprache zuwiderlaufen. Unter dem Eindruck von<br />

Stimme und Blick wird die oben zitierte Frage so in eine Herausforderung<br />

verwandelt.<br />

Auf textlicher Ebene dient die Feuersymbolik als Ausdruck brennender Liebe<br />

der Frau für den Mann: „I’m on fire“, „I’m burning up for your love“. Sie ist verliebt,<br />

doch die Liebe wird nicht erwidert, weil sie als nicht stark genug empfunden wird:<br />

„Don’t you know that I’m burning up for your love / You’re not convinced that that<br />

is enough“, „And day and night I cry for your love / You’re not convinced that that<br />

is enough“. Sie ist bereit, alles zu tun, damit er sie liebt und schreckt nicht einmal<br />

davor zurück, sich dafür zu erniedrigen: „Unlike the others I’d do anything / I’m not<br />

the same, I have no shame“. Sie ist eben “on fire”, und deshalb bereit, alles zu tun.<br />

Auf textlicher Ebene begibt sie sich demnach in die Rolle der unterwürfigen<br />

Frau, die darauf wartet, dass der Mann, den sie liebt, sie in ihrem Leid wahrnimmt<br />

und sie aus ihrer Opferrolle erlöst. Als Opfer ihrer Gefühle ist sie diesen hilflos<br />

ausgeliefert, womit ihr Verhalten scheinbar der stereotypen Vorstellung von der<br />

verzweifelten, an Eisenbahnschienen gefesselten Frau in vielen Stummfilmen<br />

entspricht. 82 Sie erniedrigt sich vor ihm, weil sie hofft, seine Liebe auf diese Weise<br />

zu gewinnen und sie ist bereit, alles dafür zu tun, damit er die Liebe zulässt, die sie<br />

in ihm erkennt: „I’m not blind and I know / That you want to want me but you can’t<br />

let go.“<br />

Die Sprache der Bilder ist allerdings eine andere. Zwar scheinen auf den<br />

ersten Blick die Art und Weise, in der Madonna das Leiden über die unglückliche<br />

Liebe durch ihre unterwürfige Haltung, das Liegen und Winden auf der Straße, zum<br />

Ausdruck bringt, der stereotypen Vorstellung einer an der Liebe leidenden Frau und<br />

damit der Aussage des Textes zu entsprechen. Ihr Umgang mit der Kamera, ihr<br />

fordernder Blick und die Art und Weise, in der sie singt, unterlaufen allerdings eine<br />

solche Lesart: Sie scheint die Erniedrigung als Lustgewinn zu empfinden,<br />

ausgedrückt durch das fast schon masochistische Spiel mit der Kette um ihren Hals,<br />

das sich insofern als ein Spiel mit der Opferrolle erweist, indem sie es selbst<br />

kontrolliert und zur Förderung ihrer Lust einsetzt. Damit erfüllt sie nicht die passive<br />

Rolle der von der Liebe enttäuschten Frau, denn sie fordert die Liebe ein, sie ist<br />

aktiv, sie ruft auf. Auf diese Weise kann ihre Erniedrigung auch als Stärke<br />

verstanden werden, denn sie verweigert die passive Opferrolle, die ihr durch ihr<br />

82 Vgl. Fiske 2003, S. 115.<br />

34


männliches Gegenüber zugeschrieben wird. Sie artikuliert ihren Schmerz, und dies<br />

auf eine aggressive Art und Weise, was durch Stimme und Musik unterstützt wird.<br />

Der Sound ist reduziert im Gegensatz zum Discosound der 1960er bzw.<br />

1970er Jahre. Madonnas Stimme, die Text und Gesang deutlich artikulierend,<br />

skandierend und bissig hervorbringt, erscheint relativ isoliert über einer Mischung<br />

aus elektronischen Beats und Gitarrenriffs, in der der Einfluss von Punk bzw. New<br />

Wave unüberhörbar ist. Dieser Mix ergibt in einem „kalten“ Sound, der der „kalten“<br />

Szenerie entspricht: der glatt asphaltierten, staubig-grauen und menschenleeren<br />

Straße in der Nacht, ein abweisender, kühler Ort, an dem romantische Liebe<br />

offenbar keinen Platz hat. Auf diese Weise wird die Bedeutung des Textes<br />

hervorgehoben und die fast schon aggressive Grundstimmung zum Ausdruck<br />

gebracht, die der Rolle der Frau als Opfer ihrer unglücklichen Liebe widerspricht.<br />

Diese Stimme fordert, zeigt Stärke und nichts von der Unterwürfigkeit ihrer<br />

Gebärden. Somit entspricht der Soundcharakter auch der visuellen Erscheinung der<br />

Sängerin, die sich in ihrem Outfit sehr punkig zeigt.<br />

Madonna kehrt die konventionelle Mediendarstellung der romantischen Liebe<br />

um: Sie übernimmt den traditionell männlichen Part. Sie ist diejenige, die bereit ist,<br />

für die Liebe zu kämpfen, sie umwirbt den Mann. Im Vergleich zur romantischen<br />

Vorstellung würde sie allerdings nie soweit gehen, sich dafür selbst zu opfern, wie<br />

das Ende des Clips verdeutlicht.<br />

Neben dieser emanzipatorischen Lesart des Clips ist es andererseits auch<br />

möglich, Madonna auf die Sexualität ihres Körpers zu reduzieren, die der Clip<br />

auszubeuten scheint, indem er sie in Posen der Unterwerfung zeigt. Die visuelle<br />

Sexualisierung Madonnas befriedigt demnach gleichermaßen den männlichen Blick,<br />

obgleich dieser die letzte Szene ausblenden muss und damit die Aussage des Clips<br />

reduziert. Diese Möglichkeit der verschiedenen Lesarten ist typisch für Madonna-<br />

Clips und trug erheblich zu ihrer Popularität bei. Die Mehrdeutigkeit ihrer Videos<br />

macht mehrere Lesarten nebeneinander möglich. Es gibt nicht nur eine einzig<br />

richtige Interpretation. Dies wird erreicht durch ein offenes Zeichenangebot und ist,<br />

im Gegensatz zum klassischen Hollywoodfilm, ein typisches Merkmal für die<br />

Gattung Videoclip, wie Claudia Bullerjahn konstatiert:<br />

Eine mehrdeutige Adressierung an den Betrachter, das heißt die Gewährleistung von<br />

Anknüpfungspunkten für seine Erfahrungen und Vorlieben, ermöglicht es jedem<br />

Zuschauer, seine persönliche Interpretation des Musikvideos aktiv bei der Rezeption<br />

zu konstruieren. 83<br />

83 Bullerjahn 2001, S. 219. – Siehe auch Kap. 1.4 und 1.5 dieser Arbeit.<br />

35


So ist es einerseits möglich, dass sich junge Frauen durch diesen Clip angesprochen<br />

fühlen, eine Aufforderung darin sehen, selbstbewusst ihren Weg zu gehen, und dies<br />

unabhängig von konventionellen Vorstellungen, die die hegemoniale Gesellschaft<br />

vorgibt. Andererseits ist es auch möglich, dass ein männlicher Blick Gefallen an der<br />

Präsentation findet, der der feministisch-emanzipatorischen Interpretation<br />

zuwiderläuft. Kritiker, die in Madonnas Videos eine Festigung bestehender<br />

Rollenklischees erkennen, haben sie deshalb seit Beginn ihrer Karriere beschuldigt,<br />

für Promiskuität bei Teenagern einzutreten, die Gier nach Macht und Materialismus<br />

zu fördern und zum Verfall der Familie beizutragen. Feministinnen beschuldigen sie<br />

des Revisionismus, der Wiederbelebung der manipulierten Frau, die sich mit<br />

Koketterie und Künstlichkeit durchbringt. 84<br />

Bei aller Kritik ist allerdings zu bedenken, dass es sich bei Videoclips intentional um<br />

Werbefilme handelt, die darauf abzielen, die Verkaufszahlen des jeweils<br />

angepriesenen Produktes, in diesem Fall der Marke „Madonna“ bzw. ihrer Platten, in<br />

die Höhe zu treiben. „Sex sells“ ist eine Devise, die im 20. Jahrhundert nicht erst in<br />

den 1980er Jahren in den Dienst ökonomischer Interessen gestellt wurde.<br />

Madonna-Clips können also als eine Parodierung des „male-gaze“ aufgefasst<br />

werden. Madonnas Sexualität kann eine Herausforderung oder eine Bedrohung der<br />

vorherrschenden Konventionen von Weiblichkeit und Männlichkeit darstellen. Auf<br />

diese Weise liefert die Sängerin jungen Mädchen und Frauen ein emanzipatorisches<br />

Modell weiblicher Identität, das einen Gegenentwurf zum gültigen, vom männlichen<br />

Blick dominierten, Gesellschaftsbild liefert. 85<br />

Eine besondere Art der Parodie und damit der Macht und Kontrolle über das<br />

eigene Image und die eigene Sexualität liegt nach John Fiske in der wissenden Art,<br />

in der Madonna die Kamera dazu benutzt, sich über konventionelle Darstellungen<br />

weiblicher Sexualität lustig zu machen, während sie sich ihnen gleichzeitig anpasst.<br />

Entscheidendes Machtinstrument Madonnas im Clip zu „Burning Up“ ist der Blick,<br />

der Look, wie Fiske darstellt.<br />

Die Anfangssequenz des Clips zeigt insgesamt 21 Einstellungen, bevor<br />

Madonna singend gezeigt wird, in denen nach Fiske zwei wesentliche Typen von<br />

Bildern eine Rolle spielen: solche des Blickes und solche der Unterwerfung oder<br />

Fesselung. 86<br />

84<br />

National Times 23./29.8.1985, S. 10, zit.n. Fiske 2003, S. 111.<br />

85<br />

Vgl. Fiske 2003, S. 106 f.<br />

86<br />

Vgl. Ebd., S. 116 f.<br />

36


1. weibliches Auge, sich öffnend<br />

2. weiße Blumen, eine öffnet sich [wird hell angeleuchtet, Anmerkung d.V.]<br />

3. weiblicher Mund, geschminkt (wahrscheinlich der von Madonna)<br />

4. ein blaues Auto, die Scheinwerfer gehen an<br />

5. Madonna in weiß, auf der Straße liegend<br />

6. männliche griechische Statue mit leeren Augen [Kopf; Anmerkung d.V.]<br />

7. Goldfisch in einem Glas<br />

8. Nahaufnahme der männlichen Statue, die Augen leuchten auf<br />

9. Halbtotale auf die Statue, die Augen werden immer noch beleuchtet<br />

10. extreme Nahaufnahme auf Auge der Statue, immer noch beleuchtet<br />

11. Kette um einen Frauenhals, so eng, daß sie in das Fleisch einschneidet<br />

12. verschwommene Nahaufnahme von Madonna, mit lose baumelnder Kette<br />

13. Laserstrahl, der heftige Kreise beschreibt und sich kettengleich um weibliches<br />

Handgelenk legt<br />

14. Laserstrahl auf Goldfisch im Glas<br />

15. Madonna, die ihre dunklen Brillen [sic!] abnimmt und gerade in die Kamera blickt<br />

16. Madonna, auf der Straße sitzend<br />

17. Madonna, die dunklen Brillen [sic!] abnehmend<br />

18. Madonna, auf ihrem Rücken auf der Straße liegend<br />

19. die dunklen Brillen [sic!] auf der Straße, ein Auge erscheint in einem der<br />

Brillengläser, grünlich elektronische Effekte verschmelzen zu einem realistischen<br />

Bild des Auges<br />

20. Madonna auf der Straße sitzend, Gesicht zur Kamera<br />

21. Nahaufnahme auf Madonna auf der Straße, sie wirft ihren Kopf zurück 87<br />

Traditionellerweise ― darum hier die Augen der griechischen Statue ― wird der<br />

Blick von Männern als Machtinstrument zur Kontrolle der Frauen eingesetzt. Die<br />

daraus hervorgehende weibliche Unterordnung wird durch Madonnas<br />

Unterwerfungsposen auf der Straße zum Ausdruck gebracht. Der im Glas gefangene<br />

Goldfisch, eine ironische Metapher der Frau, wird durch den männlichen Blick<br />

gefangengehalten. Doch im Laserstrahl erkennt Fiske einen modernen,<br />

unpersönlichen „Blick“, der es der Frau ermögliche, sich von den Ketten, die sie<br />

fesselten, zu befreien. Ebenso vermöge Madonna durch das Singen die Kette um<br />

ihren Hals zu lockern. Wenn sie singt, dass sie sich nach ihrem Liebhaber sehnt und<br />

von ihm wissen möchte, was sie tun soll, um ihn für sich zu gewinnen, zieht sie die<br />

Kette zunächst fester zu, um sie anschließend wieder zu lockern. Es folgt eine<br />

Einstellung, die eine Collage von Männeraugen zeigt, darunter Madonnas singende<br />

Lippen.<br />

So kann nach Fiske der Clip als Veranschaulichung aufgefasst werden, wie<br />

Frauen sich vom männlichen Blick und ihrer Macht befreien können. Die Tatsache,<br />

dass sie die dunkle Brille abnimmt, während sie in die Kamera schaut, also den<br />

87 Ebd., S. 116.<br />

37


Betrachter ansieht, zeige ihre Kontrolle über den Blick, denn wir sähen nur das, was<br />

sie uns gestattete. 88<br />

Der Begriff des Look, über dessen Wirksamkeit Madonna sich bewusst ist, ist<br />

nach Fiske als komplexer Begriff zu verstehen: Zum einen meint er Madonnas Blick<br />

an sich (wie sie andere anschaut, insbesondere die Kamera), zum anderen aber<br />

auch ihren Anblick (Aussehen) und den Blick der anderen auf sie. 89 Traditionell<br />

stand der Blick wie oben bereits erwähnt unter männlicher Kontrolle: So ging Freud<br />

davon aus, dass dies eine „grundsätzliche Art und Weise der Ausübung von<br />

Kontrolle durch eine Ausweitung des Voyeurismus“ 90 darstellt. Madonna<br />

beansprucht diese männliche Kontrolle für sich, denn erst durch die Kontrolle der<br />

Frauen über den Blick ― in jeder der drei oben genannten Weisen ― ist es möglich,<br />

„dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Bedeutungen innerhalb des Patriarchats<br />

erlangen.“ 91<br />

Kontrolle über den männlichen Blick ist demnach eine Form der<br />

Machtausübung, die Madonna für sich in Anspruch nimmt und die sie den jungen<br />

Mädchen, die ihre Clips sehen und ihre Musik hören, anbietet.<br />

Ein weitere Form der Machtausübung erreicht Madonna durch die in den<br />

Musikvideos inszenierte Provokation, die sie durch die Vermischung ursprünglich als<br />

antagonistisch oder als unvereinbar empfundener Komponenten erzeugt. So stehen<br />

im Text des Songs „Burning Up“ religiöser und sexueller Diskurs nicht nur<br />

nebeneinander, sondern werden miteinander vermischt. Zwar scheint das Sexuelle<br />

im Vordergrund zu stehen, doch das Singen vom Niederknien („down on my<br />

knees“) und Brennen, ihrem Mangel an Scham („I have no shame“) und dem Teil in<br />

ihrem Herz, der einfach nicht sterben will („And this pounding in my heart just<br />

won’t die“), lassen den religiösen Diskurs als nicht weniger bedeutend erscheinen.<br />

Diese Vermengung von Sexualität und Religion wird von Madonna von<br />

Anfang an als Provokation gewinnbringend vermarktet:<br />

Die reine Jungfrau Maria und die sündige Maria Magdalena als weibliche Stereotype<br />

des Christentums sind Bestandteile der Selbstinszenierung Madonnas als Synthese<br />

einer zuvor als unvereinbar angenommenen Dualität. 92<br />

88<br />

Vgl. Ebd., S. 117. - Auch der Clip zu „Lucky Star“ beginnt und endet mit einer Einstellung, in der<br />

Madonna eine dunkle Sonnenbrille abnimmt und am Ende wieder aufsetzt, während sie ihren Blick<br />

offensiv in die Kamera richtet, den Blick des Betrachters auf diese Weise kontrollierend.<br />

89<br />

Vgl. Ebd.<br />

90<br />

Ebd.<br />

91<br />

Ebd.<br />

92<br />

Bullerjahn 2001, S. 228.<br />

38


Auch die Bilder dieses ersten Clips weisen ― wenn auch mit Blick auf Madonna-<br />

Clips der folgenden Jahre noch sehr harmlos wirkend ― eine Dualität in der<br />

Inszenierung Madonnas auf: In einem weißen Kleid räkelt sich die Sängerin, die den<br />

Namen einer der höchsten Kirchenheiligen, der Jungfrau Maria, trägt, in deutlichen,<br />

der Erwartungshaltung des Betrachters zuwiderlaufenden, sexuell aufreizenden<br />

Gesten auf der schmutzigen Straße. Auch die von ihr getragenen Accessoires ―<br />

schwarze Kruzifixe als Ohrringe ― erhalten in diesem Zusammenhang den<br />

Charakter eines Sakrilegs: Madonna trägt sie als Modeschmuck. Aus ihrem<br />

ursprünglichen Kontext herausgerissen, verlieren sie somit ihre eigentliche<br />

Bedeutung, was Fiske ― im Hinblick auf die noch folgenden Madonna-Videoclips ―<br />

folgendermaßen formuliert:<br />

Sie nimmt Gegenstände des urbanen Lebens, reißt sie aus ihrem ursprünglichen<br />

sozialen und daher bedeutungsgebenden Kontext und kombiniert sie auf neue Arten<br />

und in einem neuen Kontext, der ihre ursprünglichen Bedeutungen leugnet. 93<br />

So wird nicht nur das Kruzifix zweckentfremdet, sondern auch das gebleichte<br />

blonde Haar mit bewusst zur Schau gestelltem dunklen Ansatz ist nicht länger das<br />

Merkmal für eine „nuttige Schlampe“. Dieses „Herauswinden der Produkte des<br />

Kapitalismus aus ihrem ursprünglichen Kontext und ihre Wiederverwertung zu<br />

einem neuen Stil“ sei, so Chambers, „eine für die urbane Popularkultur typische<br />

Praxis.“ 94 Die Straße produziert eine bricolage des Stils, wobei die Waren<br />

kapitalistischer Gesellschaften nur noch als Signifikanten bestehen: Ihre<br />

ideologischen Signifikate werden abgeschüttelt und in ihrem ursprünglichen Kontext<br />

zurückgelassen. Die sinnentlehrten Signifikanten müssen nicht zwangläufig mit<br />

neuer Bedeutung aufgeladen werden, sie erwerben nicht unbedingt neue<br />

Signifikate. Der Akt der Befreiung aus ihrem ideologischen Kontext bedeutet für<br />

diejenigen Freiheit, die von ihnen Gebrauch machen: „Er bezeichnet die Macht [...]<br />

der Beherrschten, etwa Kontrolle im kulturellen Prozeß der Bedeutungsherstellung<br />

auszuüben.“ 95<br />

Auf eben diese Weise handelt Madonna dadurch, dass sie die Kruzifixe als<br />

Schmuck trägt, und zwar ohne in ihnen ihre religiöse Bedeutung zu sehen, sondern<br />

einfach, weil sie sie dekorativ findet. 96 Madonna bedient sich an Produkten des<br />

93<br />

Fiske 2003, S. 112. - Der Film „<strong>Desperately</strong> <strong>Seeking</strong> Susan“ zeigt deutlich Madonnas Fähigkeit,<br />

Produkte der Bourgeoisie zu verwenden, ihren eigenen Stil zu entwickeln und ihnen damit eine<br />

Bedeutung in ihrem Sinne zu verleihen.<br />

94<br />

Ebd.; vgl. auch Chambers, I.: Popular Culture: The Metropolitan Experience, London 1986.<br />

95<br />

Fiske 2003, S. 113.<br />

96<br />

Dabei ist zu bedenken, dass das Tragen christlicher Symbole bei Madonna sicherlich immer auch als<br />

Provokation zu verstehen ist.<br />

39


Kapitalismus, um einen Stil zu entwickeln, der ihr eigener ist: ein Stil, der<br />

Bedeutung zurückweist und in dieser Zurückweisung seine Macht behauptet, die<br />

darin besteht, sich selbst vom ideologischen Ballast zu befreien, der der Bedeutung<br />

zugrunde liegt. 97 Sie löst den polaren Gegensatz zwischen Jungfrau und Hure auf<br />

und bietet jungen Frauen ein Image, das Sexualität positiv und frauenzentriert<br />

repräsentiert, was durch den ständigen Verweis auf ihre Unabhängigkeit, ihr<br />

„Sieselbst-Sein“ zum Ausdruck gebracht wird. Doch, so stellt Fiske fest, kann eine<br />

solch scheinbar unabhängige, selbstdefinierende Sexualität nur innerhalb und<br />

gegen eine bestehende patriarchale Ideologie wirksam werden. Die Bedeutungen,<br />

vom Patriarchat geliefert, müssen also da sein, damit überhaupt Widerstand<br />

geleistet werden kann. 98<br />

Madonna-Videos, so konstatiert Fiske, beziehen sich immer auf die<br />

Herstellung des Images, sie machen sogar die Kontrolle über die Herstellung zu<br />

einem Teil des Images selbst. Diese Hervorhebung der Herstellung des Images<br />

erlaubt es dem Leser, allen voran dem weiblichen, zu erkennen,<br />

daß die Bedeutungen weiblicher Sexualität ihrer Kontrolle unterliegen können, in<br />

ihrem Interesse hergestellt werden können, und daß ihre Subjektivitäten nicht<br />

notwendigerweise zur Gänze vom herrschenden Patriarchat bestimmt sind. 99<br />

Was Madonna also auch schon in ihrem ersten Video vermittelt, ist das<br />

Aufzeigen der Möglichkeit, Macht und Kontrolle über das eigene Image, die eigene<br />

Imagekonstruktion zu erlangen, entgegen patriarchaler Rahmenbedingungen,<br />

weibliche Unabhängigkeit für sich in Anspruch zu nehmen und selbstbestimmt<br />

Entscheidungen zu treffen. Diese Botschaften, vermittelt durch die Musik und die<br />

Art des Gesanges, verstärkt noch durch die Bilder des Clips, mögen einen Eindruck<br />

davon vermitteln, was in den 1980er Jahren junge Mädchen ― eine unbeachtete,<br />

randständige Gruppe in der Gesellschaft ― in ihrem Sozialisationsprozess an<br />

Madonna fasziniert haben mag. Nicht zuletzt unzählige „Madonna-Wannabes“, die<br />

nach deren künstlerischem Durchbruch die Straßen von Amerika bevölkerten,<br />

können ein Zeugnis darüber ablegen.<br />

Im Hinblick auf die weitere Entwicklung des polaren Nebeneinanders von<br />

religiösem und sexuellem Diskurs, der schon Thema ihres ersten Songs ist, mit<br />

„Like A Virgin“ seinen ersten Höhepunkt erreicht und mit den Clips zu „Justify My<br />

97<br />

Auch Subkulturen verfahren auf diese Art und Weise bei der Herstellung von Bedeutungen. Vgl. Ebd.<br />

98<br />

Vgl. Ebd., S. 110.<br />

99<br />

Ebd., S. 113.<br />

40


Love“ und „Erotica“ teilweise bis ins Groteske geführt wird, wirkt die Inszenierung<br />

in „Burning Up“ noch spielerisch und harmlos, fast kindlich. In diesem ersten Clip<br />

ging es Künstlerin sowie Plattenfirma zunächst darum, das neue Gesicht populär zu<br />

machen. Trotz allem wirken ihr Auftreten, ihre Gebärden sowie ihr ganzes Outfit<br />

provozierend 100 und laufen dem Ideal der Leinwandschönheiten klassischer<br />

Hollywoodfilme zuwider. Mag ihr Outfit zu Beginn des 21. Jahrhunderts harmlos<br />

erscheinen, so muß man sich heute immer wieder den gesellschaftlich-kulturellen<br />

Kontext Amerikas der 1980er Jahre vergegenwärtigen, um ermessen zu können,<br />

welchen Eindruck Madonna bei besorgten Eltern und Kulturkritikern hinterlassen<br />

haben muss.<br />

Bereits dieses erste Album von 1983 hatte Madonna zu einem Markennamen<br />

gemacht. 101 Im Laufe der folgenden Jahre, in denen Madonna mit ihren Clips ― vor<br />

allem durch religiösen Tabubruch 102 ― immer wieder auf sich aufmerksam machte,<br />

sollte sie Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre vor allem durch<br />

sexuelle Provokation auffallen. Der im Folgenden zu analysierende Clip wurde sechs<br />

Jahre nach „Burning Up“ gedreht und vermittelt einen Eindruck davon, wie sehr sich<br />

die Madonna der späten 1980er Jahre von der anfänglichen Girlie-Version<br />

entfernt. 103<br />

2.2 EXPRESS YOURSELF (1989)<br />

Der Song „Express Yourself“ stammt von Madonnas viertem Album, „Like A<br />

Prayer“, das 1989 veröffentlicht und wegen seines „musikalischen<br />

Einfallsreichtum[s]“ 104 erstmals von der Kritik gelobt wurde. Mit diesem Album, eine<br />

100 So wirkt Madonna in diesem Clip wesentlich offensiver und sexualisierter als in dem 1984<br />

produzierten Clip zu „Lucky Star“ (Regie: Arthur Pierson), das sie tanzend in ihrem typischen Outfit und<br />

mit bauchfreiem T-Shirt in schwarzer Kleidung zusammen mit zwei weiteren Tänzern vor weißer<br />

Leinwand zeigt (Clip 02).<br />

101 Vgl. Morton 2002, S. 205.<br />

102 Den größten Skandal provozierte Madonna in dieser Zeit wohl mit ihrem Videoclip zu „Like A Prayer“<br />

von ihrem vierten gleichnamigen Album von 1989. Religiöse Fundamentalisten in den USA und der<br />

Vatikan zeigten sich entrüstet über das Musikvideo, in dem die Sängerin mit erotischen<br />

Körperbewegungen vor brennenden Kreuzen tanzt und einen schwarzen Jesus küsst, woraufhin Pepsi<br />

Cola sich gezwungen sah, einen mit Madonna eingegangenen Sponsorenvertrag zu kündigen. Der Clip,<br />

der nach eigener Aussage der Sängerin eigentlich den Rassismus in den USA anprangern wollte, wurde<br />

in der BRD verboten und auf MTV nur nachts ausgestrahlt. So wurde „Like A Prayer“ wohl auch aufgrund<br />

dieser unfreiwilligen Werbung zu einem ihrer größten Erfolge. Vgl. Ebd., 281 f.<br />

103 Darüber hinaus wird offensichtlich, wie sich durch die Erfahrung mit dem Medium Videoclip und<br />

technische Neuerungen der Clip allmählich zu künstlerisch wertvollen Filmen entwickelt hat.<br />

104 Clerk, Carol: Madonna-Style, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002, S. 80.<br />

41


Co-Produktion von Madonna, Steve Bray und Patrick Leonard, 105 entfernte sich die<br />

Künstlerin deutlich vom Dancefloor und integrierte neue Klangfarben, so dass das<br />

Album insgesamt düsterer und gefühlsbetonter als die bisherigen Alben erscheint.<br />

In der Literatur wird immer wieder der sehr persönliche Charakter der Texte der<br />

neuen Songs hervorgehoben, in denen sie unter anderem ihre zu diesem Zeitpunkt<br />

gescheiterte Ehe mit dem Schauspieler Sean Penn, mit dem sie seit 1985<br />

verheiratet war, ihre Kindheit und ihre Auseinandersetzung mit dem Katholizismus,<br />

den frühen Tod der Mutter 106 , sowie nicht zuletzt das gespaltene Verhältnis zu<br />

ihrem Vater verarbeitete. 107 Symbolisch dafür steht der Titel, „Like A Prayer“, der<br />

wie das Album selbst ihrer Mutter gewidmet ist. 108<br />

Darüber hinaus nimmt das Album in höherem Maße persönliche musikalische<br />

Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend auf, wie sie selbst zum Ausdruck bringt:<br />

In the past my records tended to be a reflection of current influences. This album is<br />

more about past musical experiences. The songs “Keep It Together” and ”Express<br />

Yourself” for instance are sort of my tributes to Sly and the Family Stone. “Oh<br />

Father” is my tribute to Simon and Garfunkel, whom I loved. Also the overall<br />

emotional content of the album is drawn from what I was going through when I was<br />

growing up. 109<br />

Das Cover des Albums (Anhang I, Abb. 04) zeigt nicht, wie die bisherigen Alben,<br />

ein Konterfei der Künstlerin selbst, sondern in provozierend-aufreizender Weise den<br />

unteren Teil ihres nackten Bauches bis zur Hüfte. Madonna trägt eine Jeans, deren<br />

oberster Knopf geöffnet ist und in deren Bund beide Daumen eingehängt sind, so<br />

dass ihre Hände rechts und links über den Hosentaschen zu liegen kommen. An<br />

ihren Fingern stecken zahlreiche goldene Ringe, verziert mit großen farbigen<br />

105<br />

Auch „Prince“ war an dem Text des dritten Tracks des Albums, „Love Song“, beteiligt, einem Duett<br />

zwischen Madonna und ihm.<br />

106<br />

Die Mutter Madonnas, von der sie ihren ersten Namen übernommen hat, starb im Alter von 30 Jahren<br />

am 1. Dezember 1963 an Brustkrebs. Der frühe Verlust ihrer Mutter und seine Verarbeitung ist ein<br />

Element in Madonnas musikalischer Biographie, das immer wieder in Erscheinung tritt („Promise To Try“<br />

auf diesem Album). In ihrem Film „Truth or Dare ― in Bed With Madonna“ (1991) wird dieses<br />

offensichtlich traumatische Erlebnis durch einen Besuch des Grabes der Mutter für ein Millionenpublikum<br />

stilisiert und ausgeschlachtet.<br />

107<br />

Vgl. Bullerjahn 2001, S.211 f.; Clerk 2002, S. 80; Morton 2002, S. 281; – Auch das Verhältnis zu<br />

ihrem Vater ist ein gespaltenes, was damit begann, dass er zwei Jahre nach dem Tod der Mutter wieder<br />

heiratete. Er galt als autoritär und streng katholisch und widersetzte sich Madonnas Entscheidung, ihr<br />

Studium abzubrechen um nach New York zu gehen, womit er ihr jegliche finanzielle Unterstützung<br />

untersagte. Auf ihren ersten Konzerttourneen macht sie diesen Konflikt sogar zu einem Bestandteil ihrer<br />

Show. Vgl. hierzu: Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in:<br />

Bronfen, Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München:<br />

Schirmer/Mosel 2002, S. 207. - Auf diesem Album verhandelt der Song „Oh Father“ zum einen den Tod<br />

der Mutter, zum anderen verweist er auf das problematische Verhältnis ihrem Vater gegenüber.<br />

Bullerjahn spricht gar von einem „Elektra-Komplex“ Madonnas, „der infolge überstarker und<br />

unterdrückter Liebe der Tochter zum Vater entsteht.“ Bullerjahn 2001, S. 231. - Selbst auf dem zuletzt<br />

von Madonna veröffentlichten Album – sie ist inzwischen selbst Mutter - „American Life“ (2003), wird das<br />

Thema im Song „Mother and Father“ erneut verhandelt.<br />

108<br />

Vgl. Morton 2002, S. 281.<br />

109<br />

Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 212.<br />

42


Steinen, eine üppig geschmückte, orientalisch anmutende goldene Kette mit bunten<br />

Perlen hängt über dem Hosenbund. Auf der Rückseite des Covers trägt Madonna ein<br />

großes, mit roten Steinen besetztes Kruzifix an einer Halskette. So zitiert die<br />

Vorderseite von „Like A Prayer“ das weithin bekannte Plattencover des „Rolling<br />

Stones“-Albums „Sticky Fingers“ aus den frühen 1970er Jahren mit Jeansausschnitt<br />

und Reißverschluss, allerdings von Madonna auf ihre sehr persönliche Weise<br />

umgedeutet. 110 Auf diese Weise spielt die Künstlerin mit den Erwartungen des<br />

vornehmlich männlich intendierten Betrachters, dessen Phantasie durch die<br />

angedeutete Enthüllung angesprochen werden soll. Das Cover zur Single hingegen<br />

(Anhang I, Abb. 12), das sie in einer auffordernden Tanzpose zeigt, wirkt<br />

vergleichsweise unspektakulär.<br />

Der Clip zu dem Song „Express Yourself“, mit dem die Sängerin zum 15. Mal<br />

eine Platzierung in den Charts erzielte, wurde in den USA am 1. Mai 1989 erstmals<br />

auf MTV ausgestrahlt, kurz nach dem Skandal-Clip zu „Like A Prayer“.<br />

Ausgangspunkt und Schlusspunkt der Geschichte ist die Kunstfigur<br />

Madonna: Sie ist diejenige, die die Fäden zusammenhält, an deren Enden die<br />

anderen Figuren wie Marionetten zu hängen scheinen. Das Bekenntnis „Express<br />

Yourself“ entspricht dabei dem eigenen, dominanten Rollenverständnis der<br />

Künstlerin: Sie ist eine Frau, die in jeder Situation die Kontrolle behält und sich von<br />

niemandem verunsichern oder sich etwas vorschreiben lässt. Dies sind<br />

Eigenschaften, die sonst eher dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden.<br />

Wie schon in der Analyse zu „Burning Up“ dargestellt, erkennt John Fiske in dem<br />

Begriff „Kontrolle“ das zentrale Motiv von Madonnas Bildersprache. Madonna<br />

adaptiert hier männliches Rollendenken und männliche Verhaltensmuster, indem sie<br />

selbst die Kontrolle übernimmt: Kontrolle über ihre mediale Repräsentation, ihre<br />

diversen Firmen und, zumindest in ihren Clips, auch über ihre Männer.<br />

Als probates Machtinstrument zur Durchsetzung ihrer Interessen und<br />

Wahrung der Kontrolle dient ihr dabei in erster Linie ihre offensiv zur Schau<br />

gestellte Sexualität. Anders aber als noch zu Beginn ihrer Karriere setzt sie sie in<br />

dieser Phase ihrer künstlerischen Entwicklung auf aggressivere Weise ein: Sie<br />

benutzt sie zur Unterstreichung ihrer eigenen Unabhängigkeit. Gleichzeitig setzt sie<br />

sich in „Express Yourself“ expliziter mit Geschlechterrollen und –grenzen<br />

auseinander und kreiert dabei eine neue, androgyne Figur, die männliche Ratio und<br />

weibliche Psyche in sich vereint. Allein optisch wird der Wunsch nach Macht und<br />

110 Vgl. Clerk 2002, S. 83.<br />

43


Kontrolle durch den sportlichen, durchtrainierten Körper der Künstlerin zum<br />

Ausdruck gebracht. Wirkte Madonna bis Mitte der 1980er Jahre noch sehr<br />

jugendlich und rundlich, so verkörpert sie am Ende des Jahrzehnts die<br />

durchtrainierte Frau, die zeigt, wie hart sie an ihrem Körper gearbeitet hat. Dieser<br />

durchtrainierte Körper ist in Clips wie „Express Yourself“ oder auch „Open Your<br />

Heart” 111 deutlicher Ausdruck eines Machtstrebens.<br />

So offensichtlich der Unterschied zwischen einer „Lucky Star“- oder „Burning<br />

Up“-Madonna und der „Express Yourself“-Madonna aber äußerlich sein mag, so<br />

ähnlich sind sie sich doch in der Grundaussage: Stellte Madonna schon in ihrem<br />

ersten Clip die Dominanz des männlichen Geschlechts in Frage, so stellt auch dieser<br />

Clip bestehende gesellschaftliche Rollenverständnisse in Frage, indem er sie subtil<br />

unterläuft. Dies erreicht sie unter anderem dadurch, dass sie zum Teil sehr<br />

unterschiedliche verschiedene Modelle von Weiblichkeit darstellt, die sich ebenso<br />

mühelos männlicher wie weiblicher Rollenmuster bedienen und je nach Situation<br />

zwischen ihnen hin- und herwechseln. Dieses Spiel mit den Masken, das sie seit der<br />

Veröffentlichung ihres dritten Albums „True Blue“ 1986 systematisch betreibt,<br />

entwickelt sie in dieser Zeit zu ihrem Markenzeichen.<br />

2.2.1 Image<br />

Mit dem Erscheinen ihres Musikvideos zu „Papa Don’t Preach“ 112 , das im Juni<br />

1986 zusammen mit dem dritten Album „True Blue“ veröffentlicht wurde, vollzog<br />

Madonna erstmals einen augenfälligen Imagewechsel, der sich nicht zuletzt an dem<br />

Cover des dritten Albums ablesen lässt (Anhang I, Abb. 03). In diesem Clip<br />

präsentiert Madonna sich mit kurzgeschnittenem, blondiertem Haar, in jungenhafter<br />

Kleidung und mit wenig Schmuck, den sie zusammen mit dem dramatischen Make-<br />

up der Anfangsjahre abgelegt hatte. 113 War sie schon mit dem Clip zu „Material<br />

Girl“ 114 kurzzeitig in ein anderes Image, nämlich das der Filmdiva Marilyn Monroe<br />

geschlüpft, so sollte sie sich von nun an mit jedem neuen Album, fast für jeden<br />

neuen Clip, ein neues Äußeres zulegen.<br />

Ihre Videoclips trugen wesentlich dazu bei, ihr neues Image zu prägen, das<br />

vor allem durch die öffentliche Zurschaustellung von gesellschaftlich tabuisierten<br />

111<br />

Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1986, aus dem Album „True Blue“.<br />

112<br />

Regie: James Foley.<br />

113<br />

Vgl. Clerk 2002, S. 59.<br />

114<br />

Regie: Mary Lambert, 1985, aus dem Album „Like A Virgin“.<br />

44


Themen die amerikanische Öffentlichkeit schockierte. Dabei sollte das vorherige<br />

Girlie-Image nicht komplett abgelegt werden. Vielmehr wurde in dieser Phase die<br />

sexuell-erotische Komponente des bereits etablierten Madonna-Mythos in den<br />

Vordergrund gerückt, vor allem mit dem Ziel der Provokation.<br />

Der Videoclip zum Song „Papa Don’t Preach“, dessen Text die<br />

Schwangerschaft eines unverheirateten Teenagers als unproblematisch darzustellen<br />

scheint, löste eine Kontroverse in Amerika aus, ebenso der vier Monate später<br />

erschienene Clip zu „Open Your Heart“ (Clip 04). Dieser wurde wegen der darin zur<br />

Schau gestellten, aufreizenden Kleidung und der sexuellen Andeutungen<br />

insbesondere von politisch rechtsstehenden Gruppierungen in den USA kritisiert,<br />

ebenso wie die im März 1989 bzw. im Dezember 1990 erschienenen Clips zu „Like A<br />

Prayer“ und „Justify My Love“. 115 So trug nach Curry der Videoclip zu „Open Your<br />

Heart“ „wesentlich dazu bei, Madonnas früheres Starimage als ‚trashy iconoclast’<br />

und ‚Material Girl’ in das einer ‚sexy phallic woman’ umzuwandeln.“ 116 Innerhalb<br />

dieses Clips verändert Madonna sogar mehrere Male ihre äußere Erscheinung. Hier<br />

tritt sie in einem schwarzen Lederkorsett als Striptease-Tänzerin in einer Peep-<br />

Show auf, zunächst mit einer schwarzen Kurzhaarperücke, die sie gleich zu Beginn<br />

abnimmt und sich von nun an mit blondem Kurzhaarschnitt zeigt. Ihr Körper ist<br />

schlank und durchtrainiert und zeigt nur noch wenig von den weiblichen Rundungen<br />

der von ihr noch kurz zuvor verkörperten Marilyn Monroe-Figur. Mit ihrem Äußeren<br />

zitiert sie im Clip mehrere Starimages der Filmgeschichte, wie etwa die von Marlene<br />

Dietrich, Liza Minelli und Rita Hayworth, zum Schluß auch Charlie Chaplins und<br />

Impressionen aus dessen Film „The Kid“. 117 Wie die folgende Analyse zu „Express<br />

Yourself“ zeigen wird, wurde für Madonna das Tragen unterschiedlicher Kleidung<br />

und Frisuren zu einem Spiel mit Masken, die sie nach Belieben verändert.<br />

Das Image der Künstlerin Madonna Ende der 1990er Jahre wird neben den<br />

Kontroversen, die ihre Clips in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgelöst haben,<br />

weiterhin von ihrer schlagzeilenträchtigen Verbindung und anschließenden Ehe mit<br />

Sean Penn, ihrer angeblichen lesbischen Liebesbeziehung mit der bisexuellen<br />

Komödiantin Sandra Bernhard sowie durch das Auftauchen früherer Nacktfotos, die<br />

115<br />

So äußerte sich Margaret Scott von der rechten kalifornischen Gruppe United Parents Under God mit<br />

folgenden Worten über Madonna: „Unsere Kinder werden von Madonna ausgenutzt und manipuliert. Sie<br />

nimmt öffentlich Stellung gegen die Moral. Trotzdem verehren Kinder sie. Sie sollte verboten werden,<br />

um unsere Kinder vor dem Untergang zu retten.“ Zit.n. Bullerjahn 2001, S. 218.<br />

116<br />

Curry 1999, S. 185.<br />

117<br />

Vgl. Ebd., S. 184.<br />

45


in Playboy und Penthouse veröffentlicht wurden, mitbestimmt. 118 Zu Merkmalen<br />

ihres Images hatten sich in den letzten Jahren Eigenschaften wie „selbstsichere,<br />

offen ausgedrückte Sexualität“, „Narzissmus“, „jugendliche Vitalität“ und<br />

„Selbständigkeit“ herausgebildet. 119 Passend zu ihrem „neuen“, durchtrainierten<br />

Körper präsentierte sie sich nun während ihrer Konzerte vornehmlich in Bustiers,<br />

Korsetts, BHs, Bodys und Netzstrumpfhosen, unter denen sie viel nackte Haut<br />

zeigte ― wie etwa auf der „Who’s That Girl“-Tour 1987. 120 Zu ihrem Markenzeichen<br />

wurde schließlich das von dem Modedesigner Jean-Paul Gaultier entworfene,<br />

goldene Korsett, das Madonna während der „Blonde Ambition“-Tour 1990 bei der<br />

Performance zu ihrem Song „Like A Virgin“ trägt. Flankiert wird sie dabei von zwei<br />

Tänzern, die ebensolche spitzbrüstigen, überdimensionalen Korsetts tragen. Die von<br />

Gaultier entworfenen Outfits schienen genau das zu repräsentieren, wofür Madonna<br />

in dieser Phase ihrer Karriere stand: nämlich die Zuschauer zur sexuellen Befreiung<br />

zu ermutigen. Die extremen Kreationen des Modedesigners machten es darüber<br />

hinaus möglich, sie bei ihrem Spiel mit Geschlechterrollen zu unterstützen: Durch<br />

die Überbetonung weiblicher sekundärer Geschlechtsmerkmale provozierte sie<br />

nämlich nicht nur, sondern erzielte gleichzeitig einen Verfremdungseffekt, vor allem<br />

indem sie ihre männlichen Tänzer mit ebensolchen überdimensionalen Brust-Kegeln<br />

ausstatten ließ. Der Zuschauer sah also die Künstlerin selbst, die sich kurz zuvor<br />

noch als Marilyn-Monroe-Lookalike und somit als eine Ikone der Weiblichkeit<br />

dargestellt hatte, durchtrainiert und mit dem Habitus eines Mannes, während ihre<br />

männlichen Tänzer mit auffälligem Make-up und in Damen-Unterwäsche auftraten.<br />

Ihre Erwartungshaltung wurde also so nicht nur ostentativ durchkreuzt, sondern<br />

darüber hinaus wurden durch diese Darstellung bestehende<br />

Geschlechterunterschiede deutlich in Frage gestellt. 121<br />

2.2.2 Daten zum Clip<br />

Der fast fünfminütige Clip zu „Express Yourself“, bei dem David Fincher 122<br />

Regie führte, lehnt sich in Kulisse und Rollenverteilung an Fritz Langs Stummfilm<br />

118<br />

Vgl. Clerk 2002, S. 59 u. 77.<br />

119<br />

Vgl. Curry 1999, S. 184.<br />

120<br />

Schon im Clip zu „Open Your Heart” zeigt sie sich im schwarzem Korsett mit aufgesetzten goldenen<br />

Spitzen auf den Brüsten und Netzstrumpfhose, entworfen von Marlene Stewart.<br />

121<br />

Vgl. Clerk 2002, S. 84. - Ihre Wandelbarkeit beschränkt sich nicht allein auf ihr Äußeres, auch in<br />

ihren Alben greift sie bis heute immer wieder neue musikalische Trends auf oder recyclet alte. Aus<br />

diesem Grund wechselt sie in regelmäßigen Abständen ihre Co-Autoren und –produzenten, um neue<br />

künstlerische Ideen entwickeln zu können. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217.<br />

122<br />

Fincher wurde im Folgenden mit Filmen wie „Alien 3“, „Seven“, „The Game“, „Fight Club“ und „Panic<br />

Room“ bekannt.<br />

46


„Metropolis“ von 1927 an. 123 Madonna beteiligte sich gegen den Rat ihres<br />

damaligen Managers Freddy DeMann 124 mit einer Million Dollar Eigenkapital an den<br />

Produktionskosten des Clips, der neben dem zu <strong>Michael</strong> Jacksons „Thriller“ zu<br />

einem der teuersten Clips zählt, die je produziert wurden. Dies weist zum einen<br />

darauf hin, wie wichtig der Künstlerin der Clip zu sein schien, zum anderen wird<br />

augenfällig, wie viel Einfluss Madonna sich damit auf die Clipproduktion verschaffte.<br />

Folgendes Zitat bringt diese Tatsache zum Ausdruck:<br />

Bei diesem Video hatte ich den größten Einfluß. Ich habe mich um alles gekümmert<br />

― die Kulissen, die Kostüme, das Make-up, die Frisuren, die Beleuchtung ... einfach<br />

alles. Die Besetzung, die Suche nach der richtigen Katze ― um jedes Detail. Es war,<br />

als würde ich einen kleinen Film machen [...]. Ich hatte ein paar Ideen zum<br />

Szenenaufbau, zum Beispiel die Katze und die Idee mit Metropolis [...]. Genau diese<br />

Atmosphäre wollte ich erreichen, dieses Bild von den Männern ― den Arbeitern, die<br />

fleißig und unbeirrt vor sich hin arbeiten. 125<br />

Der Textinhalt (Anhang II) unterstreicht bestimmte Eigenschaften von Madonnas<br />

Image in dieser Phase ihrer Karriere, nämlich das einer rationalen, autonomen und<br />

pragmatischen Karrierefrau, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt<br />

hatte, was allgemein als kluger und auch notwendiger Schritt im Hinblick auf ihre<br />

eigene Karriere bewertet wurde. 126 Madonna präsentiert sich als eine Frau, die alles<br />

unter Kontrolle hat und dadurch unabhängig wirkt. Inhaltlich beschreibt der Clip<br />

nicht nur den Unterschied zwischen den Geschlechtern, sondern bezieht sich auch<br />

auf die polaren thematischen Pole arm ― reich, Unterdrückung ― Herrschaft. Die<br />

Unterscheidung zwischen Ober- und Unterwelt wird von Madonna im Clip dazu<br />

verwendet, ihre Machtposition zum Ausdruck zu bringen.<br />

Auch in der filmischen Vorlage „Metropolis“ geht es um die Aufteilung der<br />

Gesellschaft in zwei „Klassen“: eine Ober- und Unterwelt, die mit einem Fahrstuhl<br />

miteinander verbunden sind. Auch ist es in Langs Film eine (Roboter-)Frau, die die<br />

Unterwelt aus den Fugen geraten lässt. Die Unterwelt bricht durch die Verführung<br />

der Roboterfrau zusammen, Männer werden zum Objekt der Begierde. Der<br />

entscheidende Unterschied zwischen filmischer Vorlage und Madonna-Clip besteht<br />

darin, dass in „Metropolis“ die Roboterfrau im Auftrag des Mannes agiert,<br />

wohingegen Madonna im Clip in eigener Regie das Geschehen bestimmt, sowohl<br />

123<br />

Bullerjahn vermutet, dass Madonna durch die populärmusikalische Bearbeitung des ursprünglichen<br />

Films durch Giorgio Moroder inspiriert wurde, die Mitte der achtziger Jahre in den amerikanischen Kinos<br />

lief. Darüber hinaus weise der Clip zahlreiche andere intertextuelle Bezüge auf, die allerdings nicht von<br />

annähernd plakativer Wirkung seien. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 239.<br />

124<br />

Freddy DeMann, zuvor Manager <strong>Michael</strong> Jacksons, sollte 15 Jahre lang Madonnas Geschäfte managen.<br />

Vgl. Morton 2002, S. 205 f.<br />

125<br />

Schmiedke-Rindt, Carina: „Express Yourself ― Madonna Be With You”. Madonna-Fans und ihre<br />

Lebenswelt, Augsburg 1998, S. 58.<br />

126<br />

Vgl. Curry 1999, S. 193.<br />

47


intern als zentrale Figur, in deren Hand die Fäden zusammenlaufen, als auch<br />

extern, als Co-Produzentin und Investorin. 127<br />

Gleich in Clip und Film ist die Tatsache, dass die weibliche Sexualität Einfluss<br />

auf die vorhandenen Herrschaftssysteme ausübt. Madonna hat die filmische Vorlage<br />

demnach in ihrem Sinne weiterentwickelt und für ihre Zwecke umfunktionalisiert.<br />

2.2.3 Clipanalyse<br />

Die Anfangseinstellung des Videoclips (Clip 05) zeigt Impressionen einer<br />

blau ausgeleuchteten, hinter dampfenden Nebelschwaden hervortreten Kulisse, die<br />

durch das Nebeneinander von Hochhausfassaden und sich bewegenden<br />

Maschinenteilen gleichzeitig den Eindruck einer Großstadtsilhouette und den eines<br />

Uhrwerksinneren vermittelt. Die Bilder der sich drehenden Maschinenräder und der<br />

Stadt wechseln sich mit kurzen Naheinstellungen von nackten Oberkörpern junger<br />

Männer bei der Bedienung schwerer Maschinen in einer Fabrikhalle ab. Besondere<br />

Aufmerksamkeit gilt einem der jungen Arbeiter mit längerem Haar, Madonnas<br />

späterem Liebhaber.<br />

Die Sängerin erscheint auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue,<br />

die sich auf einem der Hochhäuser befindet. Die Sequenz wird von Nebel eingehüllt<br />

als Schnitt und Trennung zwischen Ober- und Unterwelt. Von dem Adler aus<br />

skandiert die Sängerin ihre Botschaft, die sie an ihr weibliches Publikum richtet:<br />

„Come on girls / Do you believe in love? / ’Cause I got something to say about it /<br />

And it goes something like this”.<br />

Im Folgenden findet eine visuelle Trennung der Kulissen in Ober- und<br />

Unterwelt statt. Der Unterwelt, die Welt der Arbeiter, nass und dunkel dargestellt,<br />

steht die Oberwelt gegenüber, die hell, sauber, fast steril und in kräftigen Farben<br />

dargestellt ist. Dies ist die Welt der weiblichen Protagonistin und des<br />

Fabrikbesitzers, der vermutlich ihren Ehemann darstellen soll.<br />

Aus der Unterwelt steigt der langhaarige junge Arbeiter zu der Protagonistin<br />

in ihre Oberwelt auf, nachdem diese ihre schwarze Katze losgeschickt hat, um den<br />

Arbeiter in ihr Schlafzimmer zu bestellen. Während sich die Frau und ihr Liebhaber<br />

hinter verschlossener Tür vermutlich vereinigen, gerät die Situation in der<br />

127 Einem genauerem Vergleich zwischen filmischer Vorlage und Clip kann an dieser Stelle nicht<br />

nachgegangen werden. Es sei verwiesen auf: Huyssen, Andreas: “The Vamp and the Machine: Fritz<br />

Lang’s Metropolis”, in: Ders: (Hrsg.): After the Great Divide. Modernism, Mass Culture, Postmodernism,<br />

Houndmills u.a. 1986, S. 45-81. - Zum Film „Metropolis“ siehe: Patalas, Enno: Metropolis in/aus<br />

Trümmern. Eine Filmgeschichte, Berlin: Bertz 2001; oder auch: Schenk, Imbert: Dschungel Großstadt:<br />

Kino und Modernisierung, Marburg 1999.<br />

48


Fabrikhalle außer Kontrolle: Die Arbeiter zeigen sich in einem aggressiven<br />

Ringkampf, der als filmische Parallelisierung zum angedeuteten „Ringkampf“<br />

zwischen der Protagonistin und ihrem Liebhaber zu verstehen ist.<br />

Der Clip endet im Stil alter Hollywood-Filme mit einer Art Aphorismus, den<br />

Madonna vor allem ihren Zuschauerinnen, die sie zu Beginn des Clips angesprochen<br />

hatte, nahelegt: „Without the heart there can be no understanding between the<br />

hand and the mind.” 128<br />

Vor der Erstausstrahlung des Clips auf MTV wurde der Song in den USA nach<br />

der Veröffentlichung des Albums im Februar 1989 oft im Radio gespielt, so dass der<br />

Text den meisten Radiohörern geläufig war, bevor die dazugehörigen Bilder von<br />

Madonna nachgeliefert wurden. 129 Nach Ramona Curry kann auf semantischer<br />

Ebene der Text des Songs so verstanden werden, dass das Wichtigste in einer<br />

Liebesbeziehung die geistige und emotionale Kommunikation zwischen den<br />

Partnern ist und die offene Mitteilung von Gefühlen eine wichtige Rolle spielt.<br />

Weiterhin werde auf textlicher Ebene die Idee vertreten, dass eine gute<br />

ökonomische Stellung des Mannes allein nicht ausreicht, um eine Beziehung zu<br />

rechtfertigen. Eine materialistische Einstellung wird von Madonna somit im<br />

Songtext ausdrücklich abgelehnt:<br />

[…]<br />

You don’t need diamond rings<br />

Or eighteen karat gold<br />

Fancy cars that go very fast<br />

You know they never last, no, no<br />

[…]<br />

Long stem roses are the way to your heart<br />

But he needs to start with your head<br />

Satin sheets are very romantic<br />

What happens when you are not in bed<br />

You deserve the best in life<br />

So if the time isn’t right then move on<br />

Second best is never enough<br />

You’ll do much better baby on your own.<br />

chorus:<br />

Don’t go for second best baby<br />

Put your love to the test<br />

You know, you know, you’ve got to<br />

Make him express how he feels<br />

128 An dieser Stelle soll eine skizzenhafte Darstellung des Clipinhaltes genügen, der im Verlauf der<br />

Interpretation noch näher erläutert wird. Eine ausführliche Beschreibung des Clips findet sich bei:<br />

Altrogge, <strong>Michael</strong>: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer<br />

Bedeutung für Jugendliche, Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: Vistas Verlag 2000, S. 91-107.<br />

– Ebenso sei verwiesen auf: Curry 1999, S. 190-198.<br />

129 Vgl. Curry 1999, S. 192.<br />

49


And maybe then you’ll know your love is real.<br />

Express yourself<br />

You’ve got to make him<br />

Express himself<br />

Hey, hey, hey, hey<br />

So if you want it right now, make him show you how<br />

Express what he’s got, oh baby ready or not.<br />

[…]<br />

Das nachträglich gelieferte Bildmaterial allerdings verdeutlicht, dass das Wichtigste<br />

in einer intimen Liebensbeziehung nicht (nur) die zwischenmenschliche<br />

Kommunikation zwischen Mann und Frau ist, sondern vielmehr der Austausch auf<br />

sexueller Ebene, verbaler wie körperlicher Art: Mann und Frau sollen nicht nur in<br />

körperliche Interaktion treten, sie sollen sich auch gegenseitig ihre intimsten<br />

Wünsche mitteilen und sie miteinander ausleben. Dabei steht auch die sexuelle<br />

Leistungsfähigkeit des Mannes im Vordergrund: Eine sexuell aktive und<br />

extrovertierte Frau wünscht sich einen ebensolchen Mann, mit dem sie ihre<br />

Phantasien ausleben kann. Die Zeile „Make him express himself“ erscheint als ein<br />

von einer begehrenden und machtvollen Frau ausgesprochener Imperativ, der<br />

ausdrücklich auf die phallische Leistungsfähigkeit des Mannes abzielt. 130<br />

Mit Blick auf den Text und den zahlreichen Anspielungen, die allein auf<br />

semantischer Ebene gegeben werden, ist es allerdings auch möglich, zu behaupten,<br />

dass der Textinhalt der Bilder die verschlüsselte Botschaft Madonnas lediglich<br />

unterstreicht bzw. konkretisiert, d.h. der Text allein sexuelle Konnotationen<br />

hervorruft. So fordern Textzeilen wie „What you need is a big strong hand / To lift<br />

you to your higher ground / Make you feel like a queen on a throne / Make him love<br />

you till you can’t come down“ eindeutig dazu auf, Forderungen zu stellen, die allein<br />

das Ziel sexueller Befriedigung in den Vordergrund rücken: „Denn alles was du<br />

brauchst, ist eine starke Hand / die dich befriedigt und auf eine höhere Ebene<br />

versetzt / dass du dich wie eine Königin auf dem Thron fühlst / bring ihn dazu, dass<br />

er dich derart in Extase versetzt, dass du nicht mehr herunterkommst (von deinem<br />

Thron, aus der Extase).“ Somit ist allein der Text eindeutig sexuell konnotiert, die<br />

Bilder unterstreichen lediglich die im Songtext schon enthaltene Botschaft und<br />

bestätigen ausschließlich das, was die Textebene verschlüsselt darstellt.<br />

Claudia Bullerjahn 131 vertritt die Meinung, dass die Bilder zu „Express<br />

Yourself“ eine alternative Interpretation des Textes anbieten, die darin besteht,<br />

130 Vgl. Curry 1999, S. 193.<br />

131 Vgl. Bullerjahn 2001, S. 240 ff.<br />

50


dass nicht die geistige und emotionale Verständigung, sondern die sexuelle<br />

Leistung des Mannes in den Vordergrund einer Beziehung rücken sollte. Im Clip<br />

würden die traditionellen Rollen umgedreht, denn Madonna sei diejenige, die die<br />

sexuelle Befriedigung einfordere und der Mann sei das Objekt ihrer sexuellen<br />

Begierde. Ramona Curry bezeichnet das Musikvideo deshalb als „Parodie der sexuell<br />

differenzierten Darstellungskonventionen, wonach der Mann die sexuelle Lust<br />

empfindet und deren Befriedigung aktiv verfolgt, während die Frau (und nur die<br />

Frau) ein passiver Auslöser und das Objekt der männlichen Lust ist.“ 132<br />

Madonna benutzt die Bilder in diesem Clip dazu, um die gängigen<br />

Rollenklischees umzukehren. Sie fordert die „girls“, denen ihr „Schlachtruf“ zu<br />

Beginn des Clips gilt, dazu auf, sich zu nehmen, was ihnen zusteht. Ihre<br />

Performance als androgyne Marlene-Dietrich-Figur im Tanzstil <strong>Michael</strong> Jacksons<br />

zeigt eine aggressive Form männlicher Sexualität. Macht ist bei Madonna verbunden<br />

mit Sexualität und gebunden an bestimmte sexuelle Muster. Männer werden zu<br />

Marionetten, deren Fäden in der Hand der Protagonistin zusammenlaufen. Die<br />

Katze ― traditionell eines der Begleittiere der Hexe oder Zauberin 133 ― wird von ihr<br />

losgeschickt, um ihr den gewünschten Mann in die Oberwelt zu holen. Der wird auf<br />

diese Weise zum Objekt weiblicher Lust.<br />

Die Katze ist in diesem Clip von zentraler Bedeutung, denn „sie ist die<br />

eigentliche Klammer der Handlung und markiert daher den Anfang (die Katze wird<br />

von Madonna zum Vorarbeiter geschickt [...]) und Abschluß bis zum Eintritt des<br />

Vorarbeiters in das Schlafzimmer Madonnas (der Vorarbeiter setzt die Katze im<br />

Schlafzimmer auf den Boden [...]).“ 134 Die Katze ist außerdem Bestandteil fast aller<br />

Bilder, die den Liebhaber Madonnas zeigen sowie das alter ego Madonnas, die sich<br />

in die Katze verwandelt, um sich in die Unterwelt zu schleichen. Auch die<br />

132 Curry 1999, S. 191 f. - Außerdem wird ein Klassenunterschied akzentuiert, nämlich der zwischen der<br />

in der Oberwelt lebenden, reichen Madonna und den armen, in der Unterwelt lebenden Arbeitern.<br />

Madonna verfügt demnach nicht nur über die sexuelle, sondern ebenso über die materielle Macht.<br />

Darüber hinaus wird in einer Nebenszene angedeutet, dass die (weiße) amerikanische Musikindustrie<br />

schwarze Jazzmusiker ausbeutet, jedoch Madonna nicht beherrschen kann. Gemeint ist hier die Szene,<br />

die den (weißen) Fabrikdirektor vor einer Glaskuppel zeigt, die wie in einer Spieluhr drei schwarze<br />

Jazzmusiker gefangen hält, und die er von seinem Sessel aus durch Knopfdruck auf seiner<br />

Fernbedienung an- und abstellen kann. Die Tatsache, dass es dem Fabrikdirektor offensichtlich nicht<br />

gelingt ― so zeigt es der Clip ―, Madonna ebenso zu beherrschen, lasse auf ihre Unabhängigkeit als<br />

Künstlerin schließen. Vgl. Curry 1999, S. 197.<br />

133 Außerdem gilt die schwarze Katze in der Mythologie auch als Begleiterin oder Gespielin der Hexe und<br />

stellt damit ein antichristliches Symbol dar, womit Madonna auf das immer wieder von ihr verhandelte<br />

Thema des Katholizismus rekurriert. Die Funktion der Katze ist außerdem die der Liebesbotin, die von<br />

Madonna losgeschickt wird, um ihr den Mann zu holen, den sie ausgewählt hat. Darüber hinaus stellt die<br />

Katze die Verbindung zwischen Ober- und Unterwelt her.<br />

134 Altrogge 2000, S. 106.<br />

51


Einstellung, in der Madonna katzengleich über den Boden kriecht, legt diese<br />

Interpretation nahe. Die schwarze Katze und Madonna werden im Clip als<br />

austauschbar dargestellt, womit die Doppeldeutigkeit des Wortes „pussy“, das in<br />

der Umgangssprache auch als Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan<br />

Verwendung findet, auf doppeldeutige Weise visualisiert wird. 135<br />

Liebe wird bei Madonna gleichgestellt mit Sexualität: Liebe ist sexuelle<br />

Befriedigung. Es geht in diesem Clip um das Ausspielen von Rollenklischees der<br />

Geschlechter: Sie persifliert die bürgerlich-romantische Vorstellung von Liebe, die<br />

ihre Erfüllung in der geistigen Vereinigung sieht. Somit ist auch anzunehmen, dass<br />

in einer Zeile wie „you hold the key“ oder „I’ll give you love if you, you turn the<br />

key“ wie in „Open Your Heart“ der Schlüssel als Phallussymbol zu verstehen ist, der<br />

Schlüssel, der benötigt wird, um zu ihrem Herzen zu gelangen. Darüber hinaus<br />

spielt Madonna auf provozierende Weise auf bürgerlich-kleingeistige Vorstellungen<br />

von wirtschaftlichem Wohlstand als Basis einer Beziehung oder Ehe an: Sie sagt<br />

explizit, dass materieller Wohlstand nur ein unzureichender Ersatz für wahre, tiefe<br />

Befriedigung sein kann, sowohl auf körperlicher, als auch auf geistiger Ebene.<br />

Außerdem fordert sie die „girls“ dazu auf, sich nicht aufgrund materieller Interessen<br />

von einem Mann abhängig zu machen, um ihm auf diese Weise die Grundlage<br />

seiner Kontrolle über sie zu entziehen.<br />

Liebe ist in der Vorstellung der Künstlerin selbst immer in erster Linie auch<br />

körperliche Liebe. Dieses Liebeskonzept scheint sie somit auch in „Express Yourself“<br />

zum Ausdruck zu bringen. Jim Albright, ehemaliger Leibwächter und Liebhaber<br />

Madonnas, umschreibt seine einstige Arbeitsgeberin als eine Frau, die<br />

zwischenmenschliche Nähe über körperliche Nähe herzustellen sucht:<br />

[...] Was Madonna am meisten braucht, ist Liebe. Deshalb benutzt sie Sex als eine<br />

Form von Liebe, weil sie eben diese übermächtige Sehnsucht hat, sich geliebt zu<br />

fühlen und Liebe zu empfangen: Liebe ist auf jeder Ebene Madonnas Antriebskraft,<br />

sie will, dass die Fans sie lieben, und sie will, dass die Leute, mit denen sie schläft,<br />

sie lieben. Sie nimmt den körperlichen Vorgang von Sex, egal ob mit einem Mann<br />

oder mit einer Frau, und verwandelt ihn in Liebe. Madonna lebt von der Liebe und<br />

leidet am Hunger nach Liebe. 136<br />

135 Wie die Analyse des Clips zu dem Song „Frozen“ zeigen wird, wird die Transformation Madonnas in<br />

ein tierisches Lebewesen zu einem zentralen Element. Die Gleichstellung Madonnas mit der Katze<br />

verfolgt in diesem Clip allerdings eher das Ziel, erotische Assoziationen, die das englische Wort „pussy“<br />

hervorruft, zu wecken. Dort allerdings erfolgen die Verwandlungen mit dem Ziel, Madonnas<br />

Verbundenheit mit der Natur zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Kap. 2.3 dieser Arbeit.<br />

136 Jim Albright, zit. n. Morton 2002, S. 325.<br />

52


Auch in „Open Your Heart“ – wie in „Burning Up“ – ist Madonna diejenige, die die<br />

Männer dazu bringt, sie zu lieben. Die Zeile „Open your heart, I’ll make you love<br />

me“ drückt auch hier wieder die Bedingungen ihres Liebeskonzepts aus: Öffnest du<br />

dein Herz, dann werde ich dich dazu bringen mich zu lieben. Dabei handelt es sich<br />

immer um einen aktiven Prozess, der Zeitpunkt des Sich-Verliebens wird von ihr<br />

selbst bestimmt, ebenso wie der Mann, den sie lieben wird, von ihr ausgewählt<br />

wird: Sie verfügt mittels Sexualität über die Macht, alle Männer dazu zu bringen, sie<br />

zu lieben. In „Express Yourself“ wird die sexuelle Macht außerdem noch durch ihre<br />

ökonomische Macht über die Männer verstärkt.<br />

Diese Vorstellung widerspricht grundsätzlich dem romantischen<br />

Liebeskonzept, nach dem es das Schicksal zweier durch eine höhere Macht<br />

füreinander bestimmter Menschen ist, vom Pfeil Amors getroffen zu werden, vor<br />

dem es für sie kein Entkommen gibt. 137 Die höchste Form der Liebe ist die<br />

unerfüllte Liebe.<br />

Madonna hingegen funktionalisiert Liebe, um sich Macht zu verschaffen,<br />

weshalb es also auch nicht schwierig ist, sie zu lieben, wie sie in „Open Your Heart“<br />

darlegt: „It’s not that hard, if you just turn the key“. Erfüllte Liebe bedeutet in<br />

Madonnas Vorstellung immer auch ein erfülltes Sexualleben. Die höchste Form der<br />

Liebe ist bei Madonna die höchste Form sexueller Befriedigung.<br />

Madonna verkörpert in „Express Yourself“ sieben verschiedene, zum Teil<br />

androgyne Frauentypen: Zunächst ist sie ein blondgelocktes „Soulgirl“, das ―<br />

göttergleich auf dem Rücken einer monumentalen Adlerstatue wie auf dem Olymp<br />

„thronend“ ― in einem violettfarbenen, ärmellosen Kleid ihren weiblichen<br />

Zuhörerinnen ihren Schlachtruf entgegenschleudert. Anschließend sieht sie man sie<br />

als mondäne Dame in einem grünen Abendkleid im Stil der 1930er Jahre, das Haar<br />

ebenfalls blond gefärbt und ― entsprechend dem Stil ihres Kleides ― in<br />

Wasserwellen gelegt. Danach sehen wir die Künstlerin in Dessous und<br />

Seidenstrümpfen, die hinter einem von hinten angeleuchteten Paravent einem<br />

Schattenspiel gleich eine Mischung aus Striptease und Tanz performed, gefolgt von<br />

einer tanzenden, sehr maskulinen, den Marlene-Dietrich-Typ nachahmenden<br />

Frauenfigur: In einem Anzug, unter dem sie lediglich Unterwäsche zu tragen scheint<br />

137 Als klassisches Beispiel hierfür mag Gottfried von Strassburgs „Tristan und Isolde“ dienen: hier<br />

können die Protagonisten und Namensstifter des Epos’ auch nicht ihrer „Bestimmung“ entgehen,<br />

einander zu lieben, so sehr sie sich aufgrund standesbedingter und gesellschaftlicher Grenzen auch<br />

dagegen zur Wehr setzen.<br />

53


und mit einem Monokel, das an einer Kette befestigt ist, imitiert sie ― erkennbar<br />

am inzwischen vielfach parodierten Griff in den Schritt ― eine <strong>Michael</strong>-Jackson-<br />

Performance. Anschließend sieht man die Künstlerin in einem enganliegenden<br />

schwarzen Kleid mit nassem, zerzaustem Haar, wie sie katzengleich auf allen Vieren<br />

unter einen Tisch kriecht, um sich anschließend ― lediglich bekleidet mit einem<br />

Halseisen und einer nicht weniger schweren Kette, die daran befestigt ist ― auf<br />

einem großen weißen Bett unter weißen Seidenlaken zu räkeln. Abschließend sieht<br />

man die Künstlerin dort in Erwartung ihres imaginierten Liebhabers, deren<br />

Nacktheit nur noch durch ein um Schultern und Hüften geschwungenes Bettlaken<br />

verdeckt wird.<br />

Durch diesen Wechsel der Rollen demonstriert Madonna die Kontrolle, die sie<br />

über ihre unterschiedlichen Images hat. Dieser Rollenwechsel verschafft ihr die<br />

nötige Macht, gesellschaftlich determinierte Geschlechterrollen in Frage zu stellen<br />

und für sich als Frau einen Habitus in Anspruch zu nehmen, der eben nicht mehr<br />

geschlechterspezifisch determiniert ist und den eine patriarchal strukturierte<br />

Gesellschaft lediglich dem Mann zugesteht.<br />

Nicoläa Grigat weist darauf hin, dass das „Metropolis“-Zitat nicht nur<br />

dekorative Zwecke zu erfüllen habe: Hierbei handele es sich vielmehr um einen<br />

weiteren „visuellen Fingerzeig auf die Gefährdung eines Herrschaftssystems durch<br />

weibliche Sexualität, da im Film ‚Metropolis’ dieses Thema von zentraler Bedeutung<br />

ist.“ 138 Bezeichnend sei hier das aufgegriffene Element des Molochs, der Allegorie<br />

der „Vagina-Dentata“, dem Sinnbild männlicher Ängste in Bezug auf weibliche<br />

Sexualität. 139 Die Tanzbühne entspreche dem Treppenaufgang als Zugang zum<br />

Moloch der Filmvorlage, auf der Madonna in einem dunklen Anzug erscheint 140 , und<br />

wo sie sich während der Tanzperformance mehrfach ― wie oben bereits erwähnt ―<br />

in den Schritt greift und immer wieder ihr Jackett öffnet, unter dem sie lediglich<br />

einen BH trägt. Am Schluss dieser Szene greift sie sich noch einmal mit einer Hand<br />

zwischen die Beine, während die andere eine Pistole formt, mit der sie einen<br />

imaginären Schuss abfeuert.<br />

138<br />

Grigat, Nicoläa: Madonna Bilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas, Frankfurt<br />

a.M. u.a. 1995, S. 62.<br />

139<br />

Vgl. Ebd., S. 63.<br />

140<br />

Schmiedke-Rindt (1998, S. 80) weißt darauf hin, dass die Tatsache, dass die Knöpfe des Anzugs auf<br />

der linken Seite angebracht sind, den Anzug zu einem weiblichen Kleidungsstück mache, womit Madonna<br />

sozusagen auch in der Kleidung die gleichzeitige Zweigeschlechtlichkeit signalisiere. Auch musikalisch<br />

verweigere sich der Song einem tonalen Zentrum, denn G- und F-Dur stehen gleichberechtigt<br />

nebeneinander, zum Teil ergibt sich sogar eine Polytonalität. Vgl. Bullerjahn 2001, S. 241.<br />

54


Der Hosenanzug steht für die Kontrolle, die Madonna über ihr Image ausübt.<br />

Die Funktion des Tanzstils ist eine parodistische, denn sie bezieht sich damit,<br />

worauf Curry hinweist, auf <strong>Michael</strong> Jackson, der den männlich-<br />

selbstvergewissernden Griff in den Schritt ― in der Zeichensprache<br />

afroamerikanischer Straßenkultur ursprünglich ein Symbol für extrovertierte<br />

Männlichkeit ― als essentielles Element seiner Bühnenperformance etabliert hat.<br />

Parodistisch ist diese Geste deshalb, weil sie ― ausgeführt von einer Frau mit<br />

eindeutig weiblichen Geschlechtmerkmalen ― männliches Imponiergehabe ad<br />

absurdum führt. Verfremdend wirkt das Zitat darüber hinaus, weil Jackson selbst<br />

eine Parodie der konventionellen Abgrenzung zwischen Mann und Frau darstellt: ein<br />

Mann, der sich ― äußerlich eher wenig maskulin wirkend und sich selbst mehr und<br />

mehr zur Frau stilisierend ― in seiner Performance der klassischen Gesten eines<br />

überzogen-selbstreflexiven männlichen Rollenverständnisses bedient und damit<br />

konventionelle, gesellschaftlich determinierte Geschlechterdefinitionen in Frage<br />

stellt. Madonna parodiert dieses von Jackson bis zur äußersten Grenze getriebene<br />

Image, indem sie ― in Männerkleidung auftretend und einen weiblichen Mann<br />

imitierend ― das Bild einer männlichen Frau entwirft. 141<br />

So kommt Bullerjahn zu dem Schluss, dass „[s]olch Transvestimus [...] als<br />

Kritik an der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlechtsunterschieden<br />

aufgefasst werden [könnte], allerdings ist auch eine Interpretation als Autoerotik<br />

möglich, da Madonna ebenfalls häufig ihre Brüste berührt.“ 142 Madonna schlüpfe<br />

mit ihrer Hosenrolle symbolisch in die Position des Machthabers und spiele damit<br />

gleichzeitig auf ihr Image als erfolgreiche Geschäftsfrau an. Im Gegensatz zum<br />

klassischen Hollywoodfilm wird die von Madonna dargestellte „femme fatale“ für ihr<br />

Verhalten belohnt und muss nicht untergehen. 143 Grigat weist außerdem darauf hin,<br />

dass Madonna somit auf einer weiteren Ebene ihrem Namen gerecht werde, der<br />

„meine Herrin“ bedeutet.<br />

Und auch in diesem Clip spielt der Blick als Kontrollinstrument ― als<br />

weiterer Beweis für Madonnas Verlangen nach dem Besitz von Macht ― eine Rolle:<br />

So stellt Wieland fest, dass Madonna mit ihrem Monokel, das sie zum Anzug trägt,<br />

die Macht des beobachtenden Mannes unterlaufe, den sie außerdem mit ihrem BH<br />

unter dem Männerjackett konfrontiere. 144 So kann auch die Überblendung von<br />

141 Vgl. Curry 1999, S. 195.<br />

142 Bullerjahn 2001, S. 241.<br />

143 Vgl. Grigat 1995, S. 68.<br />

144 Vgl. Wieland, Karin: „Madonna aus der neuen Welt“, in: Der Alltag 66 (1994), S. 73. (S. 65-80).<br />

55


Madonnas Augen zu Beginn der „Dietrich-Jackson-Tanzszene“ und am Ende des<br />

Clips mit Erscheinen des Mottos als Etablierung des weiblichen Blickes aufgefasst<br />

werden, der sowohl Kontrolle als auch sexuelles Verlangen ausdrücken kann.<br />

Vorwürfe von Feministinnen folgten in Bezug auf Madonnas gefesselte<br />

Erscheinung in den schweren Eisenketten und hinsichtlich der Szene, in der sie wie<br />

eine Katze auf dem Boden unter dem Tisch kriecht und Milch schlürft, denn hierbei<br />

handele es sich um Anspielungen auf klassische „Darstellungskonventionen der<br />

Pornographie.“ 145<br />

Doch tatsächlich entziehen sich die Bilder Madonnas, die zwischen Macht<br />

und Unterwerfung, zwischen Sexualsubjekt und –objekt hin- und herpendeln, einer<br />

eindeutigen Lesart. 146 Durch eine mehrdeutige Adressierung ergeben sich<br />

verschiedenen geschlechtsspezifische Lesarten, wie <strong>Michael</strong> Altrogge in einer<br />

empirischen Untersuchung feststellen konnte. 147 Zum einen könne der Clip als ein<br />

Aufruf zur sexuellen Selbstverwirklichung von jungen Frauen aufgefasst werden,<br />

womit eine emanzipatorisch-feministische Lesart gegeben ist. Diese Lesart ist<br />

vermutlich die von Madonna beabsichtigte, denn in einem Interview behauptete sie,<br />

dass die Aussage des Clips „pussy rules the world“ sei, und eine Frau ― wie der<br />

Text selbst unmissverständlich zum Ausdruck bringt ― sich nicht mit dem<br />

Erstbesten zufrieden geben solle. 148<br />

Zum anderen kann auch der traditionell männliche Blick an diesem Clip ―<br />

wie schon an „Burning Up“ aufgezeigt ― Gefallen finden; doch durch diese<br />

Perspektive verliert der Clip an Komplexität, wird auf einzelne Bilder reduziert, wie<br />

dies auch für den männlichen Blick auf „Burning Up“ dargestellt wurde. Es ist die<br />

Lesart vornehmlich männlicher Jugendlicher, die Madonna lediglich als Sexualobjekt<br />

wahrnehmen und sich ausschließlich an die pornographisch-erotischen Szenen ―<br />

die Künstlerin in Reizwäsche oder nackt und gefesselt im Bett ― erinnern.<br />

Feministinnen, die gerade diese Szenen als äußerst rückschrittlich in Bezug auf<br />

Emanzipationsbestrebungen der Frau bewerten, hält Madonna entgegen, dass das<br />

145 Curry 1999, S. 193.<br />

146 Vgl. Grigat 1995, S. 70 f.<br />

147 Vgl. Altrogge, <strong>Michael</strong>: : “…wo alles drunter und drüber geht”. Zur Ordnung und Wahrnehmung von<br />

Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendkulturen. Inaugural-Dissertation zur<br />

Erlangung des Doktorgrades der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der<br />

Freien Universität Berlin 1996, S. 627-631.<br />

148 Madonna, zit.n. Bullerjahn 2001, S. 242.<br />

56


Anlegen der Ketten schließlich ihre eigene, freie Entscheidung gewesen und ihr<br />

nicht von außen aufgezwungen worden sei. 149<br />

So ist es schließlich die Doppeldeutigkeit der Bilder, die eine mehrdeutige<br />

Adressierung möglich macht und Madonna eine möglichst weitgefächerte Zielgruppe<br />

ihres Clip zusichert. Dabei beschränkt sich die Doppeldeutigkeit der Bilder nicht<br />

allein auf Madonna selbst. So können die muskulösen Arbeiter zum einen die<br />

Wunschvorstellung von Frauen verkörpern. 150 Zum anderen könnte ihre Art der<br />

Darstellung auch einen homosexuellen Blick ansprechen, denn die Ästhetik der<br />

Bilder entspricht der jener Gay-Magazine, die Ende der 1980er Jahre en vogue<br />

waren. So erinnert die Darstellung der Arbeiter in der Fabrikhalle, an deren<br />

muskulösen Oberkörpern Wasser und Schweiß in dicken Perlen herabtropft, nicht<br />

nur an die Szene in „Metropolis“, in der die Stadt überflutet wird, sondern ist „auch<br />

deutlich von Konventionen der zeitgenössischen Gay-Pornographie in den USA<br />

beeinflusst.“ 151 Die Adressierung beschränkt sich also nicht allein auf ein<br />

heterosexuelles Publikum und damit auf heterosexuelle Konventionen. 152<br />

Im Clip tritt Madonna als eine Frau auf, die sowohl in sexueller als auch in<br />

ökonomischer Hinsicht eine Bedrohung für den Mann darstellt. Sie zeigt sich als<br />

eine „femme fatale“, die sich das holt, von dem sie glaubt, dass es ihr zusteht. So<br />

hat Madonna die Sentenz am Ende des Clip an anderer Stelle auch folgendermaßen<br />

kommentiert:<br />

Die grundlegende Aussage des Songs ist, dass, wenn du dich nicht selber offenbarst,<br />

wenn du nicht sagst, was du willst, dann wirst du es auch nicht bekommen. Und die<br />

Unfähigkeit zu sagen, was du fühlst, oder das zu verfolgen, was du willst, hat<br />

schließlich zur Folge, dass du wie ein Gefangener in Ketten liegst. 153<br />

Damit spricht sie dem Song einen appellativen Charakter zu, der junge Frauen dazu<br />

auffordern soll, eigene Bedürfnisse zu artikulieren. Unterstützt wird diese Botschaft<br />

durch die Musik, die gleichzeitig den Rhythmus der Videoschnitte bestimmt.<br />

Insgesamt ist auffällig, dass alle Sequenzen mit hoher Genauigkeit den<br />

musikalischen Formteilen entsprechen, so dass die Dauer der einzelnen Sequenzen<br />

weitgehend von der Länge der musikalischen Formteile bestimmt wird. Gerade der<br />

149<br />

Vgl. Bullerjahn 2001, S. 242.<br />

150<br />

Die Art und Weise, in der die Körper der Männer dargestellt werden, lässt eindeutig einen weiblichen<br />

oder zumindest einen nicht-heterosexuellen Blick erkennen. Wie zu Beginn dieses Kapitels dargestellt,<br />

hatte Madonna entscheidenden Einfluss auf die Produktion dieses Clips, was hier deutlich zum Ausdruck<br />

kommt.<br />

151<br />

Curry 1999, S. 194.<br />

152<br />

Vgl. Altrogge 2000, S. 105.<br />

153<br />

Madonna zit.n. Clerk 2002, S. 83.<br />

57


Anfang des Clips verdeutlicht den Zusammenhang zwischen musikalischem und<br />

Bildschnittrhythmus. 154<br />

Das Verhältnis zwischen Bild und Musik ist demnach sehr eng. Gleiches gilt<br />

für den musikalischen Charakter und die Art, in der Madonna den Song vorträgt,<br />

und die Bildern bzw. Aussage des Songs. Der Sound, der viele funkige Elemente<br />

enthält, wirkt durch den Einsatz eines dichten Bläserapparates äußerst hymnisch<br />

und erhält den Charakter eines musikalischen Statements, womit die Musik die<br />

Aussage des Songs unterstützt. Auffällig ist, dass Madonnas Stimme durch einen<br />

Chor beständig unterstützt wird, wodurch ihre Stimme aufgeladen und sehr kräftig<br />

wirkt und damit dem appellativen Charakter, der Botschaft Madonnas, entspricht.<br />

Im Gegensatz zum Song „Burning Up“, in dem ihre Stimme ― obgleich der Gesang<br />

fordernd vorgetragen wird ― eher isoliert erscheint, wird ihr in diesem Song die<br />

ihrem Status entsprechende Fülle und Wirkkraft verliehen. Was ihre Stimme allein<br />

nicht leistet, wird durch den Computer korrigiert. So scheinen auch Musik und<br />

Stimme im Dienste der Botschaft zu stehen.<br />

Die matriarchalische Machtdemonstration Madonnas in ihrem Clip „Express<br />

Yourself“ basiert auf der Umkehrung der bestehenden patriarchalischen<br />

Herrschaftsstrukturen. So wurde dargestellt, dass durch die Dekonstruktion<br />

bestehender gesellschaftlich vorgegebener Geschlechterrollen der Musikclip<br />

Anknüpfungspunkte sowohl für Hetero- als auch für Homo- und Bisexuelle beiderlei<br />

Geschlechts bietet.<br />

Der 1990 gedrehte Clip zu dem von Lenny Kravitz produzierten Song „Justify<br />

My Love“ 155 (Clip 06) treibt das Spiel mit den Geschlechterrollen noch weiter:<br />

Im Video werden die heterosexuell geprägte Dichotomie Mann/Frau und die<br />

klassischen Definitionen von männlich und weiblich in Frage gestellt, denn kurze oder<br />

verschwommene Einstellungen oder Überblendungen tragen dazu bei, dass<br />

Geschlechteridentitäten unklar bleiben oder die Akteure als androgyn charakterisiert<br />

werden. 156<br />

In diesem Clip, der in einem Pariser Stundenhotel spielt, 157 wird die Unterscheidung<br />

zwischen männlich und weiblich gänzlich aufgehoben und auf ein Rollenspiel<br />

reduziert. Es werden männliche Frauen und weibliche Männer gezeigt, die ― so<br />

Corinna Herr ― „ihre Künstlichkeit durch das Anbringen von Zeichen männlicher<br />

154<br />

Vgl. Altrogge 2000, S. 91 ff.<br />

155<br />

Regie: Jean-Baptiste Mondino, 1990, aus ihrem ersten „Best Of“-Album „The Immaculate Collection“.<br />

156<br />

Bullerjahn 2001, S. 243, zit.n. Grigat 1995, S. 78.<br />

157<br />

Vgl. Clerk 2002, S. 102.<br />

58


Insignien (Schnurrbart) konterkarieren und betonen [...].“ 158 In diesem Clip wird<br />

die Maskerade bis an ihre extremsten Grenzen geführt, denn „[n]icht nur<br />

Weiblichkeit, sondern auch Männlichkeit ist Maskerade. Die Zeichenhaftigkeit der<br />

Konstruktion beider Geschlechter wird offenbar.“ 159<br />

Darüber hinaus wird hier Sexualität zur Lebensmaxime erhoben: Madonna<br />

selbst verkörpert einen Menschen auf der Durchreise, symbolisiert durch den<br />

Koffer, den sie trägt. Sie kommt in das Hotel, holt sich, was sie braucht, und<br />

verlässt den Ort, augenscheinlich zufriedengestellt. Sie fordert für sich das ein, was<br />

nach konventionellen Vorstellungen der Männerwelt vorbehalten ist, nämlich<br />

Sexualität auch außerhalb der im konservativen Amerika einzig akzeptierten<br />

Gesellschaftsinstitution, die dem ― natürlich heterosexuellen ― Geschlechtsakt<br />

vorbehalten ist, der Ehe, zu praktizieren, ins Bordell zu gehen, seine sexuellen<br />

Wünsche zu artikulieren und sie auszuleben. So nimmt Madonna, wie auch in<br />

„Express Yourself“, für sich dasselbe Recht in Anspruch, das sonst nur Männern<br />

zugesprochen wird: Sie ist selbstbestimmt und nimmt ihr Recht wahr, ihre<br />

sexuellen Phantasien unbeirrt von gesellschaftlichen Konventionen und ohne Angst<br />

vor Tabubrüchen auszuleben. Daher lautet auch das Motto des Songs, das von<br />

Madonna selbst innerhalb des Songs gesprochen und am Ende des Clips noch<br />

einmal eingeblendet wird: „Poor is the man whose pleasures depend on the<br />

permission of another“ (wobei „man“ vermutlich doppeldeutig als „Mann“ und<br />

„Mensch“ verstanden werden kann!).<br />

Dass Madonna Liebe mit körperlicher Liebe gleichstellt ― was bereits bei der<br />

Analyse des Clips „Express Yourself“ herausgestellt wurde ― wird hier auf die<br />

Spitze getrieben. Der Titel des Songs, „Justify My Love“, und das angeführte Motto<br />

haben die Funktion, die im Clip dargestellte sexuelle Freizügigkeit zu<br />

rechtfertigen. 160<br />

Dass das amerikanische Publikum über einen solchen Clip entsetzt war, mag<br />

nicht verwundern. So verweigerte auch der Musiksender MTV die Ausstrahlung des<br />

158 Herr, Corinna: „Madonnas Maskeraden im Kontext von Gender und Hermetik“, in: Hochschule für<br />

Musik und Theater Hannover/Beyer, Kathrin/Kreutziger-Herr, Annette (Hrsg.): Musik. Frau. Sprache.<br />

Interdisziplinäre Frauen- und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover,<br />

Herbolzheim: Centaurus Verlag 2003, S. 350. – So wird in einer Szene gezeigt, wie sich das androgyne<br />

männliche Pärchen gegenseitig Schnurrbärte aufmalt.<br />

159 Ebd.<br />

160 Vgl. Ebd. – Wie man sich denken kann, wurde der Clip besonders von Homosexuellen positiv<br />

aufgenommen. So haben diese und andere Clips erheblich dazu beigetragen, dass Madonna außerdem<br />

zu einer Ikone der gay community geworden ist. Vgl. Volkmann, Laurenz: „Madonna und postmoderne<br />

Identitätskonstruktionen: Die Warenlogik der Unterhaltungsindustrie“, einzusehen in:<br />

http://www.gradnet.de/papers/pomo2.archives/pomo99.papers/volkmann99.htm, Zugang: 28.04.2005.<br />

59


Clips, was Madonna aber lediglich noch mehr Publicity verschaffte. Ihre Reaktion<br />

auf die Zensur bestand darin, die erste Video-Single, die überhaupt je produziert<br />

wurde, herauszugeben. Wie öffentlichkeitswirksam Skandale sein können, zeigt sich<br />

hier auf augenfällige Weise: Die Video-Single war so erfolgreich, dass sie sich<br />

800.000 mal verkaufte. 161 Das Ergebnis der Kontroverse um ihren Clip war, dass<br />

„Justify My Love“ und das dazugehörige Best-Of-Album, „The Immaculate<br />

Collection“, auf den oberen Plätzen der CD- und Videocharts landeten. 162<br />

So war Madonna zu Beginn der 1990er Jahre zu einem Sexsymbol avanciert.<br />

1991 ließ sie schließlich den Videofilm „Truth Or Dare ― In Bed With Madonna“ 163<br />

folgen, einer Dokumentation ihrer „Blond Ambition Tour“: Darin scheint sie allein<br />

durch Titel und Cover des Videos ― es zeigt sie in lasziver Pose mit schwarzen<br />

Dessous auf weißer Satinbettwäsche, mit Marilyn-Monroe-Frisur und<br />

rotgeschminkten Lippen ― eine ungenierte Zurschaustellung ihrer intimsten<br />

Ansichten und Momente zu versprechen. Das 1992 erschienene, und an das<br />

skandalträchtige Image anschließende Album „Erotica“ durfte wegen seines<br />

eindeutig zweideutigen Covers (Anhang I, Abb. 05) teilweise nur in einer<br />

zusätzlichen Verpackung verkauft werden. 164 Es folgte die Veröffentlichung ihres<br />

Buches mit dem Titel „Sex“, einer „publicityträchtige[n] Ausstellung ihres nackten<br />

Körpers in pornographischen Gesten“ 165 zur Unterstützung des parallel<br />

erschienenen Albums „Erotica“. Der 1993 in den Kinos laufende Film „Body Of<br />

Evidence“ 166 , in dem Madonna die Hauptrolle spielte und der aufgrund zahlreicher<br />

Sexszenen Madonnas Wunsch, sich als seriöse Schauspielerin zu etablieren, eher<br />

abträglich war, wurde bei Kritikern zu einem Misserfolg.<br />

So schien Mitte der 1990er Jahre das Thema Sexualität für Madonnas<br />

künstlerische Produkte ausgereizt und eine Phase der Madonna-Müdigkeit machte<br />

sich breit: Das Publikum war übersättigt mit Madonna-Bildern, die nichts mehr über<br />

ihre Künstlerin zu erzählen wussten, was nicht schon erzählt worden wäre.<br />

Offensichtlich war es Madonna nicht mehr möglich, den eingeschlagenen,<br />

exhibitionistischen Weg weiterzugehen, weil es nichts mehr zu zeigen gab, wie ein<br />

Journalist in einer Artikelüberschrift zum Ausdruck bringt: „Alles gezeigt, was es zu<br />

161 Vgl. Morton 2002, S. 284.<br />

162 Vgl. Clerk 2002, S. 102.<br />

163 Regie: Alek Keshishian.<br />

164 Vgl. Volkmann.<br />

165 Wicke 1998, S. 266.<br />

166 Regie: Ulrich Edel.<br />

60


zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen Film ― der<br />

Markenartikel ‚Madonna’ ist out.“ 167<br />

Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt daher die<br />

Sängerin in der Phase nach den körperbetonten Exzessen. In der darauffolgenden<br />

Phase sollte sie sich von der Künstlichkeit entfernen und Natürlichkeit in den<br />

Vordergrund rücken. Die Madonna am Ende der 1990er Jahre zeigte sich mit einem<br />

vollständig neuen Image, das sie weiser und integrativer darstellen sollte. So schien<br />

die Zeit des Brüskierens und Posierens vorbei zu sein. Im Vordergrund stehen nun<br />

Ernsthaftigkeit und Authentizität, Glaubwürdigkeit, Tiefe und Bewusst-Sein statt<br />

Schein, was anhand der Analyse des Clips zum Song „Frozen“ dargestellt werden<br />

soll. Madonna behält weiterhin die Macht über ihr Image, die Kontrolle verschafft<br />

sie sich nun durch Lebensweisheit und die Verbundenheit mit der Natur.<br />

2.3 FROZEN (1998)<br />

„Madonna, Mond und Sterne“ betitelte die taz am 13. März 1998 ihren<br />

Artikel zum neu erschienenen Madonna-Album „Ray of Light“. Und weiter heißt es:<br />

Das Material Girl wohnt hier nicht mehr: Zum neuen Album „Ray of Light“ ist<br />

Madonnas Künstlichkeit einer künstlichen Natürlichkeit gewichen. Der Sound ist<br />

Sphäre und Raum, und über allem liegt ein Hauch Esoterik: Statt Sex setzt es<br />

Kitsch, Kabbala und Liebe. 168<br />

Mit der Veröffentlichung ihres siebten Albums im Frühjahr 1998, das von Madonna<br />

selbst als ihr bestes bezeichnet wird, 169 gelang es der Künstlerin nach einer langen,<br />

auch kommerziell weniger erfolgreichen Phase, wieder an alte Erfolge anzuknüpfen.<br />

Das Album, „das New-Age- und Weltmusik-Einflüsse integriert und Ambient und<br />

Trance als aktuelle Tanzmusik-Stile mit älteren verknüpft“ 170 , wurde von Kritikern<br />

hoch gelobt und brachte ihr vier Grammies ein, unter anderem einen für das beste<br />

167<br />

Pfister, René: „Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen<br />

Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out“, in: SonntagsZeitung vom 14. Februar 1993, S. 18.<br />

168<br />

Blümner, Heike: „Madonna, Mond und Sterne“, in: taz Nr. 5481 vom 13.03.1998, S. 15.<br />

169<br />

Vgl. Bullerjahn 2001, S. 213.<br />

170<br />

Ebd. - Hatte sie auf ihrem Album „Bedtime Stories“ (1994) schon einen sehr europäischen Sound mit<br />

zeitgemäßen Trance- und Ambient Dance-Rhythmen abgegeben (der Song „Bedtime Story“ ist von Björk<br />

geschrieben), geht das Album „Ray Of Light“, für das sie mit Patrick Leonard, Mario de Vries und dem<br />

britischen Ambient-Produzenten zusammen gearbeitet hat, diesen Weg konsequent weiter. Es ist ein<br />

elektronisches Album, durchzogen von verspielten Effekten, die die Handschrift eines William Orbit<br />

tragen, „so dass es zirpt, raschelt, hallt, surrt und knarzt ohne Unterlass.“ Blümner 1998.<br />

61


Popalbum. Der Song „Frozen“ 171 , eine der Single-Auskopplungen des Albums, war<br />

Madonnas erster Nummer-1-Hit in England seit „Vogue“ im Jahre 1990.<br />

Wie das oben angeführte taz-Zitat andeutet, legte Madonna sich passend<br />

zum neuen Album auch ein neues Image zu, das im Vergleich mit dem der „Sex“-<br />

Phase nicht gegensätzlicher hätte ausfallen können. Mit ihrem 1994 erschienen<br />

Album „Bedtime Stories“ hatte sie ein letztes Mal mit ihrem Image als Sexsymbol<br />

kokettiert: Cover (Anhang I, Abb. 06) und Booklet zeigen sie in einer modernen<br />

Marilyn-Monroe-Dita-Parlo-Version mit Nasenpiercing, roten Lippen, schwarz<br />

umrandeten Augen und blondgelocktem kurzen Haar in weißem Négligé auf einem<br />

großen, türkisfarbenen, plüschigen Bett.<br />

Mit der Veröffentlichung ihres Balladenalbums „Something To Remenber“<br />

(1995) und der Rolle der Evita Peron in Allan Parkers Verfilmung des Webber-<br />

Musicals „Evita“, das 1996 in die Kinos kam, entfernte sie sich mehr und mehr von<br />

ihrem alten Image. Nach ihrer ersten Schwangerschaft und der Geburt ihrer<br />

Tochter Lourdes im Oktober 1998 entdeckte sie Ende der 1990er Jahre den<br />

Buddhismus und kurz darauf die Kabbala-Lehre für sich. Die Boulevardpresse stellte<br />

Madonna in ihrer neuen Rolle als liebevolle und glückliche Mutter dar, die ― vom<br />

Vater des Kindes getrennt lebend ― als bewusster single parent ihre Tochter<br />

großzog. 172 Auf der Suche nach Erneuerung und neuen Wegen entdeckte sie<br />

gleichzeitig einen neuen Modetrend, den sie mit ihrem Album „Ray Of Light“ und<br />

den jeweiligen Videoclips verbreitete: „Ray Of Light“ (Anhang I, Abb. 07)<br />

präsentiert eine in sich ruhende und Zufriedenheit ausstrahlende Madonna mit<br />

langem, gelocktem, naturblond wirkendem, im Wind wehenden Haar und einem<br />

schillernden, hellblauen Kleid. Im Booklet wird eine tanzende Madonna mit offenem<br />

Haar abgebildet, Sensualität und Neubeginn suggerierend. Sexualität wird hier nur<br />

noch auf sehr subtile Weise angedeutet: „Ihre künstliche Künstlichkeit ist einer<br />

künstlichen Natürlichkeit gewichen: Madonnas neuer Look wäre perfekt für eine<br />

Werbekampagne für Parfüms mit den Namen ‚Joy’, ‚Sun’, ‚Life’ oder ‚Optimism’.“ 173<br />

Von der „femme fatale“ der früheren Jahre hat sie sich verabschiedet, in die Stelle<br />

von sexueller Erfahrungen tritt Lebenserfahrung, geprägt durch eine neue Form von<br />

Esoterik und Spiritualität. So sieht nach Heike Blümner das Cover des Albums so<br />

aus, „wie geschmackvolle Menschen sich visualisiertes ‚positives Denken’<br />

171<br />

„Frozen“ wurde produziert von Madonna und Patrick Leonard.<br />

172<br />

Vgl. Volkmann.<br />

173<br />

Blümner 1998.<br />

62


vorstellen: sehr, sehr sauber und ordentlich sind die Fotos auf krisp-blauen<br />

Hintergrund gelegt.“ 174<br />

Die Trance-Ballade „Frozen“ steht damit ganz im Zeichen ihres neuen<br />

Images, dass sich die Sängerin während ihrer ersten Schwangerschaft zugelegt hat.<br />

Der dazugehörige Videoclip ― 1998 von Chris Cunningham 175 produziert ― zeigt<br />

Madonna von einer dunklen, mystischen Seite. Das Cover zur Single (Anhang I,<br />

Abb. 13) zeigt das Portrait der Künstlerin in der der Tendenz des Albums folgenden,<br />

harmonischen Atmosphäre vor einem okkafarbenen, Wärme suggerierenden<br />

Hintergrund. Somit wird ersichtlich, dass das im Clip dargestellte Image als nur<br />

eine Facette ihrer neu definierten Künstlerpersönlichkeit angesehen werden darf,<br />

auf das im folgenden Kapitel explizit eingegangen werden soll. Die Analyse des<br />

Clips soll sich dem anschließen.<br />

2.3.1 Image<br />

Mit ihrem neuen Image als glückliche alleinerziehende Mutter bewegte sich<br />

Madonna weg von der Sexualisierung und hin zu einer Sensualisierung. Eine neue<br />

Ernsthaftigkeit prägte ihre Wirkung nach außen, gepaart mit beinahe als archaisch<br />

zu bezeichnender Mütterlichkeit. Dies bedeutete gleichzeitig das Ende von grotesker<br />

Übersteigerung oder Karikierung des verwendeten kulturellen Zeichensystems. Das<br />

Spiel mit den Erwartungen und der Reiz an der Provokation sind Kategorien wie<br />

Ernsthaftigkeit, Sinnfälligkeit und Authentizität gewichen. 176<br />

So sind nicht nur ihr Album, sondern auch ihre Videoclips durchzogen von<br />

esoterischem Gedankengut, von kabbalistischen, buddhistischen und<br />

konfuzianischen Glaubenslehren bis hin zu südostasiatischen Lebensweisheiten, die<br />

sich auch stilistisch niederschlagen, z.B. in der Art der Kleidung, bestimmten<br />

rituellen Gebährden, traditionell definierten, artifiziellen Zeichen und einem stark<br />

reduzierten Make-up, um nur einige Aspekte zu nennen. Äußerlichkeiten stehen<br />

weiterhin im Vordergrund, daneben aber gewinnen inhaltliche Aspekte zunehmend<br />

an Gewicht. Das Bild der betont extrovertierten Kunstfigur früherer Clips, die ihre<br />

174 Ebd.<br />

175 Cunningham, britischer Regisseur für Videoclips, Werbeclips und Videokunst, ist u.a. bekannt<br />

geworden mit Videoclips für Leftfield („Africa Shox“), Autechre („Second Bad Vilbel“), Portishead („Only<br />

You“), Björk („All is Full Of Love“) oder für Aphex Twin („Come to Daddy“, „Windowlicker“ und „Monkey<br />

Drummer“).<br />

176 Bei aller „Natürlichkeit” handelt es sich natürlich auch bei diesem „neuen“ Image um eine mediale<br />

Inszenierung, die nur bedingt etwas mit der natürlichen Privatperson Madonna zu tun hat, da es sich ja<br />

auch bei der „neuen“ Madonna um ein „Markenprodukt“ handelt, dessen mediale Wirkung genauesten<br />

kalkuliert ist.<br />

63


erotische Ausstrahlung offen zu Markte trug und die ihren Sexappeal als höchstes<br />

Kapital einsetzte, wird abgelöst von einer deutlich zurückgenommenen<br />

Künstlerpersönlichkeit, die augenscheinlich das Interesse an der Provokation<br />

verloren hat und mehr an inhaltlichen denn an äußerlichen Veränderungen<br />

interessiert zu sein scheint. Wirkte die Künstlerin vorher hart und kompromisslos,<br />

erscheint sie nun weicher, warmherziger und verständnisvoller. Was vorher auf<br />

Konfrontation hinauslief, zeigt sich jetzt als Einsicht, Güte und Gelassenheit.<br />

Die Sängerin, die sich nun öffentlich mit dem Namen ihres mystischen alter<br />

ego „Veronica Electronica“ ansprechen ließ, 177 hatte den Schritt vom Körperlichen<br />

zum Spirituellen vollzogen, „in Madonnas Fall also vom Material Girl zur ätherischen<br />

Mutter“ 178 , eben so, wie es die Lehre der Kabbala 179 vorgibt. So handeln die<br />

Songtexte des Albums „Ray Of Light“ auch nicht mehr von sexueller Befreiung,<br />

sondern predigen Lebensweisheit, zelebrieren Mutterglück und erzählen von den<br />

Schattenseiten einer Starexistenz. Die Anfangszeilen des ersten Songs „Drowned<br />

World / Substitute For Love“ können als Motto des Albums gelesen werden: „I<br />

traded fame for love / Without a second thought / It all became a silly game /<br />

Some things cannot be bought“. Der dazugehörige Videoclip 180 (Clip 08), in dem<br />

„Madonna ihr nicht immer erfreuliches Leben als Star, ständig auf der Flucht vor<br />

Paparazzi [reflektiert]“ 181 , zeigt eine Madonna, die erstmals Authentizität zu<br />

suggerieren und das Spiel mit den Masken aufgegeben zu haben scheint. Doch die<br />

Bilder des Videoclips zu „Frozen“ machen deutlich, dass die Künstlerin auch Ende<br />

der 1990er Jahre weiterhin mit Weiblichkeitsinszenierungen spielt.<br />

2.3.2 Clipanalyse<br />

Der Clip (Clip 07) zeigt Madonna in einer Wüste als eine mystische Gestalt,<br />

die sich abwechselnd in einen oder mehrere schwarze Raben oder einen schwarzen<br />

177<br />

Vgl. Morton 2002, S. 377.<br />

178<br />

Ebd.<br />

179<br />

Hebr. „Überlieferung“. Seit dem 13. Jh. Name der jüdischen Mystik, die sich als esoterische Lehre der<br />

Juden in eigenen Schulen von Spanien und Südfrankreich aus verbreitet hat. Die Kabbala ist eine<br />

Sammlung überlieferter jüdischer, mystischer Texte, die auf dem Sohar-Text basieren, einer 2000 Jahre<br />

alten Schrift. „Die Kabbala erklärt die Beziehungen zwischen dem Selbst, Gott und dem Universum und<br />

betont dabei das Bedürfnis nach Frieden und Harmonie zwischen dem Physischen und dem Spirituellen.“<br />

Morton 2002, S. 375 f. - Das Kabbalazentrum, eine Organisation mit Zweigstellen in der ganzen Welt,<br />

hat mit Rabbi Philip Berg, einem ehemaligen Versicherungsvertreter, eine „Kabbala Light“-Version<br />

entwickelt, die in den USA inzwischen einen Kultstatus erlangt hat. Die anziehende Wirkung dieser<br />

mystischen Lehre auf Madonna besteht nach Andrew Morton darin, dass sie ihr eine „spirituelle<br />

Begründung, einen metaphysischen Kontext für die Kernwerte und Überzeugungen, die sie bisher<br />

angetrieben haben“ liefert. Ebd., S. 176 f.<br />

180<br />

„Drowned World / Substitute For Love“, 1998, Regie: Walter Stern.<br />

181<br />

Bullerjahn 2001, S. 219.<br />

64


Hund verwandelt, während sie von der Liebe singt, die es nur geben könne, wenn<br />

man bereit sei, sein Herz zu öffnen. 182<br />

Der Clip beginnt mit einer Kamerafahrt über einen ausgedorrten<br />

Wüstenboden, erkennbar an der harten lehmigen Erde, die von einem Geflecht aus<br />

tiefen Rissen durchzogen ist und den Eindruck höchster Trockenheit hinterlässt. Das<br />

Licht ist bläulich-kühl, die Wüste erscheint vollkommen unbelebt. Am weiten<br />

Horizont erscheint über den Boden schwebend mit gesenktem Kopf eine reglose<br />

schwarze Gestalt, eingehüllt in von kräftigen Windstößen aufgeblähte schwarze<br />

Tücher und schwarzen, weiten Gewändern.<br />

Am Ende des Intros ist die Kamera bei der fokussierten Gestalt<br />

angekommen und zeigt sie beim Singen der ersten Strophe. Der obere Teil ihres<br />

hüftlangen, glatten schwarzen Haares ist am Hinterkopf kunstvoll<br />

zusammengesteckt, das Gesicht wirkt blass und kaum merklich geschminkt. Die<br />

Figur trägt einen weiten, seidig glänzenden, bodenlangen schwarzen Rock. Der<br />

schwarze Tüll der Ärmel lässt die Blässe ihrer Haut erahnen, die Rücken und<br />

Decolleté unverhüllt freilegen. Im Kontrast zu dem muskulösen und mitunter<br />

maskulinen Auftreten der Künstlerin Anfang der 1990er Jahre wirkt sie hier deutlich<br />

angreifbarer, weicher und verletzlicher. Der durch exzessives Fitnesstraining<br />

gestählte Körper und der Habitus der Unnahbarkeit sind einem zwar noch immer<br />

kraftvollen und sehnigen, aber weitaus natürlicherem Erscheinungsbild gewichen:<br />

Er dokumentiert auf körperlicher Ebene die Abkehr der Künstlerin von der reinen<br />

Äußerlichkeit als Zeichen von Vitalität und Leistungsfähigkeit und die Hinwendung<br />

zu einem veränderten Körperbewusstsein, das den Körper nicht mehr nur als<br />

„Ausstellungs-Objekt“ begreift, sondern als Teil einer Einheit, als „Gefäß“ und<br />

Ausdruck der Seele. Die Figur in „Frozen“ hat nichts mehr von dem vorlauten<br />

Mädchen der „Girlie Show“: Ihr Blick ist gesenkt, wirkt beinahe verunsichert und<br />

suchend und weicht der Kamera aus, während sie das Motto des Songs vorträgt:<br />

„You only see what your eyes want to see / How can life be what you want it to be /<br />

You’re frozen / When your heart’s not open.” (Anhang II) Dabei bewegt sich ein<br />

schwarzes Tuch ― verwirbelt vom Wind ― in schlängelnden Bewegungen über den<br />

Wüstenboden auf sie zu, bis es schließlich in ihren Händen liegt.<br />

182 Der 350 000 Dollar teure Clip wurde in der Mojave-Wüste, im Südwesten der USA, gedreht.<br />

Ursprünglich waren vier Drehtage geplant, doch wegen Regengüssen musste der Dreh nach zwei Tagen<br />

abgebrochen werden. Durch digitale Nachbearbeitung konnte Cunningham das Material allerdings retten.<br />

Vgl. Beier, Lars-Olav/Wellersdorf, Marianne: „Die Entfesselung der Kamera“, in: Der Spiegel 1/2004.<br />

65


Mit Einsetzen des Refrains kippt ihre Gestalt in Richtung Kamera und<br />

zerschellt auf dem Wüstenboden in viele schwarze Einzelteile, die als Raben in alle<br />

Richtungen davonfliegen. Im Anschluss erscheint die Figur wiederhergestellt, aber<br />

verdreifacht, als eine mystische „Madonna Selbdritt“: Nebeneinander stehend bzw.<br />

auf dem Boden kauernd befinden sich entsprechend drei zeitlich<br />

aufeinanderfolgenden Phasen oder drei Facetten einer Persönlichkeit drei<br />

identische, schwarzgekleidete Frauengestalten, die der Reihe nach in die Kamera<br />

singen, sich von ihr abwenden und auf den Wüstenboden sinken.<br />

In der zweiten Strophe findet eine weitere Verwandlung statt: Die in sich<br />

versunken scheinende Figur, die ― eine fast vollkommene tänzerische Einheit mit<br />

dem sie umspielenden schwarzen Tuch bildend ― mit trancehaften, ästhetische<br />

Perfektion anstrebenden Tanzbewegungen ihr imaginäres Gegenüber zu<br />

beschwören scheint, nimmt schließlich die Gestalt eines großen, schwarzen Hundes<br />

an. Der Dobermann, in seiner hochgewachsenen und athletischen Erscheinung ein<br />

Sinnbild maskuliner Eleganz und Schönheit, wirkt durch seine Stärke gleichzeitig<br />

bedrohlich und einschüchternd wie majestätisch und würdevoll: In weiten,<br />

kraftvollen Sprüngen bewegt er sich auf die Kamera zu, die seinen geraden, einen<br />

imaginären Punkt am Horizont fixierenden Blick einfängt.<br />

Die zweite Wiederholung des Refrains zeigt wieder die mystische Gestalt, die<br />

ihre tanzartigen, kraftvollen Bewegungen vollführt, das schwarze Tuch immer in<br />

den Händen, das sie um ihren Körper windet und unter anderem dazu benutzt, die<br />

Transformierung ihrer menschlichen Gestalt in eine andere visuell zu unterstützen.<br />

Das auf die zweite Wiederholung des Refrains folgende Intermezzo,<br />

dominiert von Streichern und orientalisch anmutend in der Melodieführung, zeigt<br />

die Wüste zunächst menschenleer: Wolken ziehen am Himmel entlang, der<br />

Einbruch der Nacht wird in Zeitraffer dargestellt. Schatten der Wolken fallen auf<br />

den trockenen Wüstenboden, vor dem sich verdunkelnden Himmel zeichnen sich<br />

Sterne ab und vermitteln Impressionen wie aus einem „Märchen aus 1001 Nacht“.<br />

Die Frauenfigur schwebt ― eingehüllt in flatternde Tücher, die sie wie schwarze<br />

Flammen umspielen ― in den Himmel, als fast ätherische, körperlose Erscheinung.<br />

Der Hund ― gebannt von dem imponierenden Naturschauspiel und angezogen von<br />

der gleichzeitig herrisch-gebieterischen und lockenden Geste der Frauenfigur, die<br />

ihn zu sich zu rufen scheint ― fixiert sie mit smaragdgrünen Augen und lenkt den<br />

Blick des Betrachters so in das Zentrum des Geschehens: die Veränderungen, die<br />

sich anschließend vor dem Horizont der Wüstenlandschaft abspielen. Im weissen,<br />

66


kalten Licht des Mondes erscheinen die Bilder nun noch düsterer als zuvor. Die<br />

Frauenfigur wirkt in ihrer Unnahbarkeit und schwarzen Erscheinung bedrohlich,<br />

einem Vampir gleich durch die Dunkelheit schwebend, wie eine stillschweigende<br />

Verbündete mit den imaginären Mächten der Finsternis. Sie ist nicht mehr<br />

menschliches Wesen, sondern schwarze Magierin, Hexe, Göttin der Nacht, Dämon,<br />

oder einfach ein Alptraum in der Nacht, um nur einige menschliche Angstphantasien<br />

zu zitieren. In der nächsten Einstellung wird aus dem Himmel der Wüstenboden,<br />

aus dem Madonna mit ihren Händen das Wasser saugt.<br />

Mit wieder einsetzender Strophe ist die Kamera auf Madonna gerichtet, die<br />

nun auf dem Boden kniet, den Oberkörper nach vorn gelehnt, in einer<br />

Demutsgeste, oder aber als Ausdruck ihrer Erdverbundenheit.<br />

Beim Refrain erscheint sie wieder in der dreifachen Version, in<br />

Dreiecksformation mit den Rücken einander zugeordnet. Die Figuren führen<br />

kontrollierte, langsame Bewegungen durch, schreiben mit ihren Händen Zeichen in<br />

die Luft. In den letzten Einstellungen erscheint sie spinnengleich. Sie kniet auf dem<br />

Boden, der Oberkörper ist nach vorn übergebeugt und mit ihren hennabemalten<br />

Händen und den dunkel lackierten Nägeln scharrt sie in der trockenen Erde.<br />

Auffällig ist in diesem Clip wieder, wie in den bisher betrachteten Clips auch,<br />

wie stark die Formteile der Musik die Struktur des Clips bestimmen: Mit jedem<br />

neuen Formteil verändern sich die Bilder. Die Visualisierung der Musik erscheint<br />

außerdem als eine direkte Übersetzung des Sounds, was Cunningham durch die<br />

Kamerabewegung, die fließend scheinenden Übergänge zwischen den einzelnen<br />

Einstellungen, surrealistische Motive, die Farbgestaltung und die Wahl der Kulisse<br />

erreicht. Wirkt die Musik allein schon bedrohlich durch den pulsierenden Beat, „kalt“<br />

durch den Techno-Sound und sphärisch durch die Streicher ― vor allem in dem<br />

kurzen, orientalisch anmutenden Intermezzo, das durch die Glissandi und den<br />

unregelmäßigen Rhythmus die Bodenhaftung zu verlieren scheint ―, so<br />

unterstreichen die Bilder ihren mystisch-entrückten Charakter. Visuell umgesetzt<br />

werden diese Assoziationen in der über den Boden schwebenden, „ätherischen“<br />

Frauengestalt vor dem nächtlichen Sternenhimmel. Die Kälte wird erzeugt durch die<br />

mit kühlen Farben ausgeleuchtete Kulisse, die Trockenheit und Leblosigkeit der<br />

menschenleeren Wüste, die dunkle Erscheinung der Frauengestalt und der Blick<br />

ihrer eisblauen Augen, ihre Transformationen und die Symbole, die Assoziationen<br />

wie Angst und Bedrohung hervorrufen.<br />

67


Darüber hinaus entspricht das Tempo der Bilder dem balladenhaften<br />

Charakter des Songs. „Frozen“ ist ein langsamer Clip. Die wenigen Schnitte wirken<br />

weich durch Überblendungen, Morphing und langsame Kamerafahrten, die den Blick<br />

des Betrachters leiten. Die Bilder vermitteln den Eindruck von Ruhe, womit sie der<br />

Erscheinung Madonnas als ein in sich ruhendes, autarkes Wesen entsprechen.<br />

Auch Madonnas Stimme ist der Botschaft und dem Charakter des Songs<br />

angepasst: Sie wirkt klar und ungeschützt in den Strophen, im Refrain unterstützt<br />

durch Streicher und Chor. Sie ist weich und natürlich, alles andere als aufgeladen<br />

und aggressiv wie in „Express Yourself“, aber bestimmend. Die Stimme entspricht<br />

damit der körperlichen Erscheinung der Sängerin, die, obgleich sehr viel zarter,<br />

dennoch kraft- und energiegeladen wirkt.<br />

Madonna zeigt sich in diesem Clip als die Weise, als Magierin, die auf ihren<br />

Händen magische Symbole trägt und mit der Natur in tiefer, ursprünglicher<br />

Verbindung steht: Sie ist Herrscherin über die Elemente, die den Tag zur Nacht<br />

machen kann und das Wasser aus der scheinbar ausgetrockneten Erde zieht. 183<br />

In diesem Clip geht es um die Abkehr vom puren Materialismus und<br />

einseitiger Diesseitsbezogenheit, kurz, einer hedonistischen Lebensweise. Madonna<br />

vollzieht den Schritt von der vita activa zur vita contemplativa, durch den der Blick<br />

auf das Wesentliche geschärft werden soll und bei dem inhaltliche Werte im<br />

Vordergrund stehen. Der Tod scheint in diesem Clip allgegenwärtig, der Topos des<br />

memento mori durchdringt die Sprache der Bilder, hervorgerufen durch die<br />

Symbolik (s.u.). So ruft Madonna die Zuhörer bzw. Betrachter dazu auf, ihre Zeit<br />

nicht mit „hate and regret“ zu verschwenden und sich von materialistischen<br />

Interessen zu distanzieren („You’re so consumed with how much you get“).<br />

Auch in diesem Clip betreibt Madonna ein Spiel mit der Androgynie, doch<br />

steht nicht mehr das Körperlich-Sexuelle im Vordergrund. Androgynie wird hier als<br />

ein Spiel mit dem Verwischen der Grenzen zwischen den Geschlechtern verstanden.<br />

Die Protagonistin verwandelt sich in einen Hund und einen Raben, beides Tiere, die<br />

bestimmte Assoziationen wecken und über symbolhafte Bedeutungen verfügen. So<br />

gilt der schwarze Hund als das Symbol des Wächters der Unterwelt. Der Hund als<br />

183 Nicht nur aufgrund der visuellen Effekte ― wie etwa das Aufsaugen des Wassers mit ihren Händen<br />

aus dem Wüstenboden ― erinnert der Clip an die 1992 von Bram Stroker neuverfilmte Version von<br />

„Dracula“ mit Anthony Hopkins, Winona Ryder und Keanu Reeves. Denn auch Madonna zeigt sich in ihrer<br />

Fähigkeit, die Elemente zu beherrschen, ihren Körper zu verlassen, ihrer Transformationsfähigkeit in<br />

Tiere, „vampirgleich“.<br />

68


die zivilisierte Form des Wolfes ist ein Dobermann, ein Symbol für Macht,<br />

ausgedrückt durch seinen athletischen Körperbau. Durch seine maskuline und<br />

heroische Erscheinung strahlt er Macht, Dominanz und Kontrolle aus, was zusätzlich<br />

durch seine smaragdgrünen 184 Augen zum Ausdruck gebracht wird. Auffällig sind<br />

diese Augen deshalb, weil es sonst im Clip keine Farbe gibt. Doch die Farbe grün,<br />

die traditionell für die Hoffnung steht, ist hier fluoreszierend, kühl und stechend,<br />

der Blick des Hundes durchdringend und bedrohlich. So könnte die Verwandlung der<br />

Frauenfigur in einen Hund ― wie oben bereits erwähnt ― ihre männlichen Anteile<br />

zum Ausdruck bringen, ebenso wie ihren Willen nach Macht.<br />

Der Rabe kann unterschiedliche symbolische Funktionen erfüllen: Verkörpert<br />

er im Glauben vieler Völker einen Unglücks- und Seelenvogel oder gilt als<br />

Personifikation des Teufels, so wird er auch als kluger und beratender Begleiter des<br />

Menschen angesehen (aber auch der Hexe). Allgemein steht er für den Tod, aber<br />

eben auch für Weisheit. 185 Madonna bedient sich in diesem Clip der<br />

Doppeldeutigkeit, die das Bild des Raben impliziert. Zum einen erinnert er daran,<br />

dass der Tod allgegenwärtig ist, wenn alles erfriert, weil man sein Herz nicht öffnet.<br />

Zum anderen steht er für die (Lebens-)Weisheit, die Madonna für dieses Image für<br />

sich in Anspruch nimmt. Daß die Frauenfigur sich in viele davonfliegende Raben<br />

transformiert, kann als Indiz für ihren Facettenreichtum und ihre geistige<br />

Beweglichkeit angesehen werden. Sie ist lebenserfahrener und weiser geworden,<br />

versteht sich als Botschafterin der Wahrheit.<br />

Madonna stellt sich als Naturphänomen dar, sie bewegt sich mit den<br />

Elementen, d.h. sie folgt den Bewegungen des Windes. Sie ist Teil der Natur,<br />

vereint sich mit ihr und zieht ihre Energie aus ihrer Umgebung. Diese<br />

Wandelbarkeit, das Auflösen der Grenzen zwischen Mensch und Tier, die Belebung<br />

von leblosen Dingen (Tuch) wird hier zum Ausdruck von Macht. Sie ist wandelbar<br />

und anpassungsfähig. Gleichzeitig wirkt sie wie ein autarkes Wesen, das nur für<br />

sich selbst steht.<br />

Die Bilder des Clips werden von dunklen Farben dominiert. Madonna hat<br />

schwarzes Haar, trägt schwarze Kleidung, Raben und Hund sind schwarz, die Nacht<br />

ist schwarz. Schwarz ist die Farbe des Todes, der Trauer und des feierlichen<br />

Ernstes, des Geheimnisvollen, Gesetzwidrigen und Bösen. Die Nacht ist darüber<br />

184 Auch hier gibt es wieder einen Verweis auf das Märchenhafte, Surrealistische: Smaragde gibt es in<br />

den Märchen von 1001 Nacht. Grün ist eine magische Farbe, auch die Farbe von Absinth.<br />

185 So bringen im germanischen Mythos die Raben Huginn und Odin Nachrichten aus aller Welt. Bei den<br />

nördlichen Stämmen der Nordwestamerikaner spielt der Rabe Yelch die Rolle des Kulturheroes, der den<br />

Menschen die Sonne bringt, und die eines listenreichen Tierhelden.<br />

69


hinaus traditionell weiblich konnotiert. Sie spiegelt die dämonische Seite der<br />

Weiblichkeit wieder, wie auch ganz deutlich in diesem Clip zum Ausdruck gebracht<br />

wird. Die dämonische Seite Madonnas in diesem Clip wirkt sowohl kraftvoll, mächtig<br />

und verführerisch, als auch rätselhaft.<br />

In diesem Videoclip wird ein anderes Bild von Weiblichkeit inszeniert, als<br />

das, was bislang von Madonna entworfen wurde. Die Frau wird als mystisches,<br />

weises Wesen dargestellt. Erfolgte ihre Selbstbestimmtheit zuvor in Bezug zu<br />

Männern, die von Männern dominierte Welt, so zeigt sich das gesamte Album „Ray<br />

of Light“ unabhängig vom anderen Geschlecht. Sex steht nicht im Mittelpunkt,<br />

sondern die Einkehr, die Lebensweisheit. Auch hier wird Macht verhandelt, doch auf<br />

eine andere Art. Madonna demonstriert ihre Stärke nun durch Weisheit. Wurde<br />

zuvor ihre Macht und Stärke auf andere projiziert, benötigt sie nun kein männliches<br />

Gegenüber mehr, um ihre Macht zu demonstrieren. Sie vereint, wie schon zuvor<br />

auch, männliche und weibliche Anteile in sich. Ende der 1990er Jahre tut sie dies<br />

allerdings weniger plakativ und aggressiv, sondern in einem übergeordneten<br />

mystischen Systemzusammenhang.<br />

Macht wurde zuvor immer in Relation zum Äußeren dargestellt, als das<br />

Unterjochen von anderen, mit dem Fokus auf das, was sie umgibt. In der Wüste, in<br />

der der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen ist, verkündet sie geistige<br />

Autarkie, die explizite Abkehr vom Fleisch in einer lebensfeindlichen Umgebung.<br />

Textzeilen wie „give yourself to me“ oder „you hold the key“ erwecken in diesen<br />

Clip keinerlei sexuelle Konnotationen. Denn im Vordergrund steht nun die<br />

Betrachtung der Liebe als eine geistige Vereinigung.<br />

Die verschiedenen Facetten, die sie zuvor auf viele Personen verteilt hat,<br />

vereint sie hier. Doch auch dies ist wieder eine Maske, und zwar die Maske von der<br />

geistig herrschenden Frau. Mit dem Album „Ray Of Light“ hat sich ein Bruch in der<br />

Symbolik vollzogen, doch sind die Bilder ebenso symbolgeladen wie zuvor; die<br />

Sprache ist allerdings eine andere.<br />

Mit Erscheinung ihres folgenden Albums „Music“ im Jahre 2000 erfuhr ihr<br />

Image wieder eine Umakzentuierung. Die Millenium-Madonna zeigt sich nach<br />

Mutterschaft und Meditationsphase wieder sehr viel extrovertierter und glamouröser<br />

als die „Ray Of Light“-Madonna. Der „Veronica Electronica“ folgt die „Lady<br />

<strong>Madonna”</strong>, das neue alter ego mit Platz in der britischen Gesellschaft. „Sie hat jetzt<br />

70


die englische Aristokratie im Sinn und will ihr Image verändern. Sie will jetzt eine<br />

Lady werden und die Vergangenheit vergessen.“ 186<br />

Der Videoclip, der im Zentrum des nächsten Kapitels steht, zeigt ein<br />

weiteres Modell von Weiblichkeit, das wenig gemein hat mit der neuen „Mrs.<br />

Ritchie“, die mit der Gesellschaft konform zu gehen scheint. Die Analyse des 2001<br />

gedrehten Clips „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass das Thema um<br />

Macht und Kontrolle weiterhin Madonnas visuelle Inszenierungen bestimmt, wieder<br />

in einer anderen Variation.<br />

2.4 WHAT IT FEELS LIKE FOR A GIRL (2001)<br />

Der Song „What It Feels Like For A Girl” 187 ist die dritte und letzte<br />

Singleauskopplung aus Madonnas achtem, im Jahre 2000 erschienenen Album<br />

„Music“, dem ersten Madonna-Album, was außerhalb der USA aufgenommen wurde.<br />

Der dazugehörige Clip, bei dem der britische Regisseur Guy Ritchie 188 , mit dem sie<br />

seit Dezember 2000 verheiratet ist, Regie führte, löste aufgrund der darin zur<br />

Schau gestellten Brutalität eine heftige Kontroverse über Gewaltdarstellungen in<br />

den Medien aus. Der Musiksender MTV, der „Haussender“ Madonnas, beschränkte<br />

sich deshalb in den USA auf eine einmalige Ausstrahlung des Clips im Rahmen einer<br />

kritischen Berichterstattung über den Dreh. 189<br />

Das Album „Music“, das Madonna gemeinsam mit William Orbit und dem<br />

franco-schweizerischen DJ Mirwais Ahmadzai produzierte, steht wieder mehr in der<br />

Tradition ihrer Anfangsjahre: Die Songs sind funkiger und weniger ätherisch als die<br />

des letzten Albums. Euro-Dancebeats bestimmen den Grundton und geben eine<br />

Mischung aus French-Disco, leichtem Pop, Folk und Electronica.<br />

Doch im Vordergrund der Rezensionen stand wie immer die Kommentierung<br />

ihres neuen Looks, der mit den dazugehörigen Clips via MTV weltweit verbreitet<br />

wurde. Das bekannteste Accessoire, was zum Markenzeichen dieser Phase wurde,<br />

war ihr Stetson-Cowboyhut, mit dem sie ― vergleichbar mit dem Beginn ihrer<br />

Karriere ― einmal mehr einen „Trend“ setzte. „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“,<br />

betitelt die Berliner Zeitung ihren Artikel zur Neuveröffentlichung des Albums. 190<br />

186 Ed Steinberg, zit. n. Morton 2002, S. 401.<br />

187 Produziert von Madonna, Guy Sigsworth und Mark „Spike“ Stent.<br />

188 Regisseur von „Bube, Dame, König, grAs“ („LOCK, STOCK AND TWO SMOKING BARRELS“), GB 1998;<br />

und „Snatch ― Schweine und Diamanten“ („SNATCH“), USA 2000. Ritchie ist außerdem der Vater ihres<br />

zweiten Kindes Rocco, das im Jahr 2000 geboren wurde.<br />

189 Vgl. Netzeitung. http://www.netzeitung.de; Zugang: 19.03.2001.<br />

190 Böker, Carmen: „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, in: Berliner Zeitung vom 25.09.2000.<br />

71


2.4.1 Image<br />

Auf ihrem Albumcover (Anhang 1, Abb. 08) zeigt sie sich in einer<br />

glamourösen Cowgirl-Kostümierung, mit blondem ― im Vergleich zu „Ray Of Light“<br />

um einige Nuancen hellerem ―, schulterlangem lockigen Haar, einem<br />

breitkrempigen, hellblauen Cowboyhut, einer dunkelblaufarbenen, glänzenden und<br />

mit Pailletten bestickten Bluse und einer dunklen Denimhose, auf deren Taschen<br />

Strasssteine appliziert sind (Rückseite des Covers). Das ganze äußere<br />

Erscheinungsbild des Album wird dominiert von Cowboy- und Westernmotiven,<br />

symbolischen Accessoires, die wesentlicher Bestandteil der rassistischen und<br />

sexistischen Kultur sind, die sie als Künstlerin einst so vehement ablehnte.<br />

Überhaupt scheint es, als habe Madonna mit diesem Album begonnen, sich von<br />

ihrer Vergangenheit zu verabschieden. So ist nach Andrew Morton ihr Videoclip zu<br />

dem Song „Music“ (Clip 09), in dem sie in einer Stretchlimousine mit zwei<br />

Freundinnen aus ihrer New Yorker Anfangszeit durch die Stadt fährt, als „eine<br />

liebevolle Hommage und ein Abschiedsgruß an ihre Vergangenheit“ 191 zu verstehen.<br />

Diese These wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die Künstlerin im Clip ― wie in<br />

einem Kampf gegen das eigene, ungeliebte Image der Vergangenheit ― als<br />

Comicfigur Leuchtreklamen und Schriftzüge ihrer eigenen Produktionen angreift und<br />

somit symbolisch wie in einem „Rundumschlag“ ihre ungeliebten alter egos<br />

bekämpft, die sich nicht mehr in ihr neues, bürgerliches Selbstverständnis<br />

einfügen: „Cherrish“ (1988), „Rain“ (1992), „Borderline“ (1982), „Bad Girl“ (1992)<br />

und „Material Girl“ (1984), um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu passt auch,<br />

dass Madonna zur gleichen Zeit bei öffentlichen Auftritten begann, sich von ihrer<br />

Vergangenheit zu distanzieren 192 .<br />

So entsteht der Eindruck, als habe die neue „Lady Madonna“, wie die<br />

Zeitschrift Rolling Stone sie in ihrer Ausgabe vom Oktober 2000 bezeichnete, nichts<br />

mehr gemein mit der gegen bestehende gesellschaftliche Konventionen<br />

rebellierenden Künstlerin der vergangenen 18 Jahre, die sich als Verfechterin der<br />

Interessen von gesellschaftlichen und nationalen Randgruppen wie Homosexuellen,<br />

191 Morton 2002, S. 370. – Denn in der Tat ist diese Szene im Clip eine Reminiszenz an die frühen<br />

achtziger Jahre, als Madonna mit ihren ersten Erfolgen in den Clubs New Yorks auftrat und anschließend<br />

in einer Limousine, die die Plattenfirma stellte, mit ihren Freundinnen um die Häuser zog. Vgl. Ebd., S.<br />

201.<br />

192 So habe Madonna, der bei einer Fernsehshow ihr erster MTV-Auftritt mit „Like A Virgin“ präsentiert<br />

wurde, mit der rhetorischen Frage geantwortet: „Kannst du dir vorstellen, dass ich mir ein altes Paar<br />

Strumpfhosen in die Haare gewickelt habe“, womit sie diese ganze Inszenierung, die ihr doch letztlich<br />

den gewünschten Erfolg gebracht hat, „auf den Status eines ‚Fernsehulks’ herabgestuft“ habe. Ein<br />

solcher Auftritt erscheine als eine Verleugnung ihrer Vergangenheit, ihrer Musik, sogar ihrer früheren<br />

Persönlichkeit. Vgl. Ebd., S. 370.<br />

72


Nicht-Weißen und jungen Frauen verstanden hatte. Nach der „bürgerlichen<br />

Wende“ 193 in ihrem Privatleben war es in den letzten Jahren um Madonna ruhiger<br />

geworden. Das Bild in der Presse und das, was sie bei offiziellen Anlässen<br />

präsentierte, war stets das einer glücklichen Mutter und Ehefrau, die mit Ehemann<br />

und Kindern ein zurückgezogenes Leben auf einem englischen Landgut führt und<br />

offensichtlich „erwachsen“ geworden ist, wie Andrew Morton schlussfolgert:<br />

Offenbar hat sich Madonnas ständig präsentes Alter Ego von der „Dita Parlo“, der<br />

goldzähnigen Domina ihrer „Erotica“- und Sex-Ära, in die gute alte Mrs. Ritchie ―<br />

wie sie auf eigenen Wunsch jetzt heißt ―, eine pflichtbewusste Ehefrau und Mutter<br />

verwandelt. 194<br />

Und weiterhin heißt es:<br />

Die Frau, die einst die Titelseite des Playboy schmückte, ist jetzt eher auf Good<br />

Housekeeping zu finden, eine Mutter, die Tugenden von Vollwerternährung,<br />

„liebevoller Strenge“ und Fernsehverbot preist. 195<br />

Die Analyse des Clips zum Song „What It Feels Like For A Girl“ wird zeigen, dass<br />

auch die Figur „Mrs. Ritchie“ offensichtlich wieder nur eine von Madonnas<br />

unzähligen Imagevariationen darstellt. Im Clip zeigt sie sich allerdings in der Rolle<br />

einer Rächerin an der Männerwelt, die darstellt, wie groß die Bedeutung<br />

permanenter gesellschaftlicher Unterdrückung und männlicher Gewalt für Frauen<br />

und Mädchen ist und welche dramatischen Folgen sie haben kann. Das Thema<br />

Macht und Kontrolle bestimmt dabei weiterhin ihre künstlerische Arbeit. Die Analyse<br />

des vorliegenden Clips, die in einem zugleich narrativen als auch analysierenden<br />

Verfahren vorgenommen werden soll, erfolgt deshalb in einer ausführlicheren Form<br />

als die der vorangegangenen, da darin ein Diskurs über ein zeitgenössisches<br />

Geschlechterrollenmodelle geführt wird und ein starker aktueller Zeitbezug gegeben<br />

ist.<br />

2.4.2 Clipanalyse<br />

Der Clip (Clip Nr. 10) zeigt Madonna in der Rolle einer sich als Auftragkillerin<br />

gebenden Frau, die in einem muscle car „eine Spur der Vernichtung hinter sich<br />

herzieht, um am Schluss bei einem Frontalzusammenstoß zu sterben.“ 196<br />

193<br />

Geuen, Heinz/<strong>Rappe</strong>, <strong>Michael</strong>: „Chromatische Identität und Mainstream der Subkulturen. Eine<br />

audiovisuelle Annäherung an das Stilphänomen Madonna am Beispiel des Songs ‚Music’“, in: Helms,<br />

Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences ― Geschlechterrepräsentationen im Musikvideo,<br />

Bielefeld: Transcript Verlag/ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 31, 2003, S. 51.<br />

194<br />

Morton 2002, S. 369.<br />

195<br />

Ebd.<br />

196<br />

Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 47.<br />

73


2.4.2.1 Clipbeschreibung<br />

[0’00’’] Die ersten Einstellungen des Clips zeigen die Sängerin Madonna in einem<br />

Motelzimmer im Stil der 1950er Jahre, dunkelbraunem, billigem Mobiliar, braunem<br />

Teppichboden, hellen Wänden, einem cremefarbenem Überwurf auf einem breiten<br />

Bett, an dessen Fußende die Sängerin sitzt, die Unterarme auf die Oberschenkel<br />

gestützt, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, so dass ihr Gesicht nicht zu sehen<br />

ist. Sie ist bekleidet mit einem schwarzen BH und einem dunkelblauen Overall, der<br />

nur bis zur Hüfte hochgezogen ist. Ihre Oberarme sind muskulös und sehnig, auf<br />

ihrem linken Unterarm ist eine Tätowierung zu erahnen. Ihre Sitzposition ist<br />

„männlich“, Körper und Körpersprache wirken androgyn. Ihre Haare sind glatt,<br />

kinnlang, von hellblonden und dunklen Strähnen durchzogen.<br />

Links neben ihr auf dem Bett liegt ein Paar schwarzer Handschuhe, hinter ihr<br />

ein silberner Hartschalenkoffer. Auf den beiden Nachttischen rechts und links<br />

neben dem Kopfende des Bettes befindet sich je eine Lampe, beide sind<br />

eingeschaltet. Auf dem rechten Nachttisch (vom Betrachter aus gesehen) befindet<br />

sich ein altes grau-weißes Telefon, eine Toilettenpapierrolle und einige weitere<br />

Utensilien, die aber nicht deutlich zu erkennen sind. Eine Standbildanalyse lässt<br />

erkennen, dass es sich auf dem rechten Nachttisch um Tabletten handelt, auf dem<br />

linken um eine Tablettendose und eine halbleere Flasche mit braunem Inhalt,<br />

vermutlich Alkohol.<br />

Die Protagonistin, nun ganz in den blauen Overall eingekleidet, steht vor einem<br />

Spiegel in ihrem Zimmer, schminkt sich mit einem lachsfarbenen Lippenstift die<br />

Lippen, ihre Augen sind dezent mit dunklem Kajal umrandet. Make-up und<br />

Haarschnitt wirken sehr „Lady-like“ im Gegensatz zu ihrem sehr sehnigen Körper.<br />

Die Perspektive ändert sich: Der Betrachter (die Kamera) ist nun der Spiegel und<br />

zeigt die Künstlerin in einer Portraitaufnahme, die, sich selbst im Spiegel<br />

betrachtend, sich mit beiden Händen am Scheitel ansetzend durch die Haare<br />

streicht. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst.<br />

[0’06’’] Ortswechsel. Der Blick ist auf die Knie einer alten Frau gerichtet, die in einem<br />

Sessel vor einem niedrigen, kniehohen Tisch sitzt. Sie trägt ein türkis-blaues<br />

geblümtes Kleid mit rot-weiß-blauem Blumendruck, eine cremefarbene Strickjacke<br />

mit Lochmuster an Bündchen und Saum, die Brustseiten sind mit einer Art<br />

Alpenmuster bedrückt oder bestickt. Ihre Hände sind faltig, am linken Mittelfinger<br />

trägt sie einen großen, silberfarbenen, rautenförmigen Ring, der in der Mitte einen<br />

weißen Stein einfasst. In der rechten Hand hält sie zwischen Daumen und<br />

Zeigefinger ein Puzzleteil. Auf dem Tisch liegt ein umgedrehter kleiner roter Karton<br />

eines Puzzlespiels, auf dem der Betrachter POCKET PUZZLE lesen kann. Hinter<br />

diesem Puzzlekarton am linken Bildrand befindet sich ein Weidenkorb, in dem<br />

Wollknäuel und zwei Stricknadeln liegen. Die Kamera folgt den Bewegungen der<br />

74


Hände, die die richtige Stelle für das Puzzleteil gefunden zu haben scheinen und es<br />

an der passenden Stelle einsetzen. Die Hände zittern, wobei unklar ist, ob dies von<br />

einer neurologischen Krankheit herrührt oder Ausdruck des Suchens nach der<br />

richtigen Stelle des Puzzleteils im Puzzle ist.<br />

Die Kamera richtet sich nun auf das Gesicht der Person, womit bestätigt wird,<br />

dass es sich um eine alte Dame handelt. Sie trägt den „gängigen“ Kurzhaarschnitt<br />

einer alten Frau, allerdings kastanienrot gefärbt, eine große, silber- bis<br />

[0’10’’]<br />

kupferfarbene Brille und einen bordeauxroten Lippenstift.<br />

Hotelzimmer. Die Protagonistin wieder vor dem Spiegel wie in der letzten<br />

Hotelzimmer-Einstellung. Mit der linken Hand hängt sie sich einen Ohrring an ihr<br />

linkes Ohr: ein silberner Schriftzug mit den Lettern L-A-D-Y, aneinandergereiht zu<br />

einem schillernden, glitzernden, etwa kinnlangen Ohrring. Zurechtrücken des<br />

Kragens. Die Kamera schwenkt vom Gesicht der Frau auf einen Teil des<br />

overallummantelten Arms und ihre Hand um, die einen schwarzen, spitzen<br />

Lackschuh mit einem schmalen hohen Absatz der Marke Prada über den rechten<br />

Fuß zieht. Sie schließt, nun die schwarzen Handschuhe tragend, den auf dem Bett<br />

liegenden silbernen Koffer, dessen Inhalt nicht genau zu erkennen ist. Auf den<br />

ersten Blick scheint es Wäsche zu sein, ungeordnet, achtlos hineingeworfen (eher<br />

eine männliche Art des Kofferpackens). Eine Standbildanalyse lässt erkennen, dass<br />

sich zwischen der Kleidung ein Tablettendöschen und ein „Flachmann“ befinden.<br />

Sie zieht den Koffer mit der rechten Hand vom Bett.<br />

Die nächste Einstellung zeigt sie von hinten auf einer offenen Treppe, die sie<br />

hinuntergeht, in dem die mit der rechten Hand das weißlackierte Geländer umfaßt.<br />

Die Protagonistin befindet sich nun vor dem weißen, steril wirkenden Motel mit<br />

türkisfarbenen Türen, dessen Treppe sie zuvor hinuntergegangen ist, mit dem<br />

Koffer in der Hand. Es ist Tag, rechts und links von ihr sind ein paar<br />

Palmengewächse zu erkennen. Es scheint ein leichter Wind zu wehen, was an dem<br />

leicht wehenden Haaren der Protagonistin und den Blättern der Pflanzen zu<br />

erkennen ist. Das vordere Drittel des Bildschirmes wird von dem Dach eines gelben<br />

Autos eingenommen, auf das, wie sich in den nächsten Einstellungen zeigen wird,<br />

die Frau in dem Overall zielstrebig zugeht. Ihre behandschuhte Hand öffnet die<br />

Autotür, sie wirft einen kurzen Blick über beide Schultern und lädt den Koffer in<br />

den Wagen.<br />

[0’24’’] Ortswechsel. Portrait der alten Frau, sie hebt ihren Blick in den linken oberen<br />

Bildrand. Der Betrachter sieht sie in der nächsten Einstellung von hinten in ihrem<br />

Sessel sitzend. Links von ihr befindet sich ein kräftiger schwarzer Mann in einem<br />

weißen Kittel ― offensichtlich ein Pfleger ―, der der alten Dame unter den linken<br />

Arm greift, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Die Kamera zeigt den Raum,<br />

in dem sich die alte Dame befindet: Offensichtlich ein Senioren- oder Pflegeheim,<br />

75


an den Wänden hängen viele gerahmte Photodrucke, hauptsächlich Stilleben und<br />

Blumenbilder, links in der Zimmerecke befindet sich ein Spazierstock. Vor der alten<br />

Dame wird ein laufender Fernseher gezeigt, offensichtlich ein älteres Modell, auf<br />

dem ein kleiner Ventilator zu sehen ist. Links hinter dem Fernseher steht an der<br />

Wand ein Bücherregal, in dem sich kleine Bilderrahmen und andere Gegenstände<br />

befinden. Links vom Sessel ist ein kleiner runder Beistelltisch mit einem Telefon<br />

und einer Kaffeetasse platziert. Hinter dem Pfleger erahnt der Betrachter ein Bett.<br />

Das Inventar passt zu der alten Frau und steht im Kontrast zur sterilen<br />

Motelkulisse der Protagonistin. Alles wirkt alt und abgenutzt.<br />

[0’27’’] Die Protagonistin sitzt im Auto hinter dem Steuer des Wagens, in den sie zuvor<br />

ihren Koffer geladen hat. Sie bricht die Lenkradsperre auf, schließt das Auto kurz<br />

und startet den Wagen (alles männliches Gangsterverhalten). Die Kamera zeigt aus<br />

der Froschperspektive von links (Weitwinkel) das vordere Nummernschild des<br />

Autos ― ein gelber Chevrolet Camaro von 1978 ―, auf dem in weißen Lettern auf<br />

schwarzem Grund P-U-S-S-Y zu lesen ist. Das Auto fährt rückwärts aus dem auf<br />

dem Asphalt eingezeichneten Parkplatz heraus. Die Kamera befindet sich nun<br />

hinter dem Auto, das auf sie zufährt und in gerade so weit vor ihr zum Stehen<br />

kommt, dass durch das Aufleuchten der roten Bremslichter das hintere<br />

Nummernschild zu erkennen ist: Ebenso gestaltet wie das vordere, ist darauf der<br />

Schriftzug C-A-T zu entziffern (der Betrachter fügt also zusammen: PUSSY-CAT).<br />

Das Auto verlässt darauf zügig den Motel-Parkplatz.<br />

[0’35’’] Die Protagonistin wird in einer Portrait-Aufnahme im Auto gezeigt, nun<br />

offensichtlich in mäßigem Tempo auf der Straße fahrend. Ihr Blick ist selbstsicher,<br />

ihr linker Ellbogen auf der Fahrertür abgestützt, bei der das Fenster<br />

heruntergelassen ist (typisch männliche Geste). Die Bilder vermitteln den Eindruck<br />

einer bürgerlichen Kleinstadtatmosphäre, hervorgerufen durch die akkurat<br />

geschnittene Hecke und gepflegte Vorgärten. Die Protagonistin hebt ihren linken<br />

Unterarm, senkt ihn wieder und formt dabei eine Pistole mit der behandschuhten<br />

Hand, indem sie Zeigefinger und Daumen abspreizt. Dabei umspielt ein süffisantes,<br />

überlegenes Lächeln ihre Lippen.<br />

Die Protagonistin hält vor einem einfachen weißen Haus im Stil der 1950er<br />

Jahre und steigt aus. Ein paar Treppenstufen führen zum verglasten<br />

Eingangsbereich, über dem der Schriftzug OL KUNTZ GUEST HOME zu lesen ist. Die<br />

Protagonistin geht um das Heck des Autos herum auf den Eingang des Hauses zu,<br />

zielstrebig und bestimmt, aber ohne Eile.<br />

[0’42’’] Im Gebäude. Im Mittelpunkt des Bildes befinden sich die Protagonistin und die alte<br />

Frau. Die Protagonistin hat die Dame an ihrer rechten Seite untergehakt und stützt<br />

sie beim Gehen. Die alte Dame geht leicht gebeugt, während ihr Gesicht dem<br />

Boden zugewandt ist. Sie wirkt klein und labil und ihre unsicheren, wankenden<br />

76


Schritte vermitteln den Eindruck, dass das Gehen ohne Hilfe nicht mehr möglich<br />

ist. Beide Frauen bewegen sich langsam auf die Kamera zu, Madonnas Blick ist<br />

regungslos.<br />

Der Raum, der im Hintergrund gezeigt wird, scheint ein Aufenthaltsraum oder<br />

Gesellschaftsraum des Pflegeheims zu sein. Die Einrichtung wirkt wie seine<br />

Bewohner alt, aber gepflegt.<br />

Das Paar tritt vor das Haus ― wobei die Protagonistin die alte Frau noch immer<br />

stützt ― und nähert sich langsam dem Camaro, der vor dem Haus am Fuße der<br />

Treppe parkt.<br />

[0’45’’] Beide Frauen sitzen nun im Auto. Die Protagonistin schließt den Anschnallgurt der<br />

alten Dame und die Fahrt beginnt. Die Kamera zeigt das ungleiche Paar, von dem<br />

nicht klar ist, in welchem Verhältnis es zueinander steht, von vorne im Auto<br />

sitzend: Die Protagonistin, mit einem angedeuteten Grinsen, die alte Dame, von<br />

der man ausschließlich den oberen Teil des Gesichtes sieht, leicht lethargisch,<br />

teilnahmslos wirkend, der Blick scheint leer. Am Rückspiegel des Wagens hängen<br />

zwei silberne Würfel an einer silbernen Kette, die durch die Fahrtbewegungen des<br />

Autos hin- und herpendeln.<br />

In einem Zeitrafferverfahren verdunkelt sich der Himmel, womit angedeutet<br />

wird, dass die beiden offensichtlich schon ein ganze Weile zusammen „spazieren<br />

fahren“. Die Straßenlaternen gehen an, es wird Nacht.<br />

[0’52’’] 1. „Gewalt“-Szene: Männerauto an der Kreuzung.<br />

Der gelbe Camaro bleibt an einer Kreuzung neben einem anderen Auto stehen,<br />

einem blauen Chrysler, in dem drei junge Männer sitzen. Die Protagonistin blickt in<br />

das benachbarte Auto (sie ist diejenige, die die Kontaktaufnahme initiiert),<br />

woraufhin die jungen Männer zu ihr herüberstarren, während sie mit den Köpfen zu<br />

einer nicht hörbaren Musik nicken. Der Fahrer des Wagens ― mit<br />

kurzgeschnittenem Haar und Dreitagebart offensichtlich vollkommen überzeugt von<br />

seiner einnehmenden Wirkung auf Frauen ― deutet mit seinen Lippen einen Kuss<br />

an, den er Madonna zuwirft, den diese mit einem Augenzwinkern beantwortet.<br />

Kurz darauf fährt der gelbe Camaro ― obwohl die Ampel noch rot zeigt ― in<br />

einer weiten Linkskurve quer über die Kreuzung, lässt das Männerauto hinter sich<br />

und fährt aus dem Bild heraus. Die Kamera zeigt eine menschenleere Strasse. In<br />

der nächsten Einstellung sieht man den Lackpump der Protagonistin, der das<br />

Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt. In ihrem starren, zielgerichteten Blick der<br />

Frau zeigen sich Wut und Aggression, doch auch Überlegenheit. Mit wachsender<br />

Geschwindigkeit ― erkennbar an dem aus dem Auspuff aufsteigenden Rauch und<br />

dem durch die durchdrehenden Reifen erzeugten Qualm ― steuert der Camaro auf<br />

den blauen Chrysler zu, der noch immer an der roten Ampel steht, und rast frontal<br />

in dessen Fahrerseite hinein und schiebt den Wagen nach rechts aus dem Bild. Die<br />

77


alte Dame wird durch den Aufprall nach vorne geschleudert und eine Glasscheibe<br />

― vermutlich das Fenster in der Fahrertür des Chryslers ― zersplittert. Die beiden<br />

Frauen im Camaro, der durch den Aufprall zum Stehen gekommen ist, sind<br />

unversehrt. Die Protagonistin wirft ihrer Beifahrerin, deren Brille durch den Aufprall<br />

heruntergerutscht ist, einen prüfenden Blick zu, und rückt sie schließlich mit dem<br />

Zeigefinger der behandschuhten rechten Hand wieder zurecht. Der Blick der alten<br />

Dame ist noch immer starr ins Leere gerichtet.<br />

Die Protagonistin legt daraufhin den Rückwärtsgang ein, setzt das Auto, dessen<br />

Vorderfront nun stark demoliert ist, ein Stück zurück und verlässt den Unfallort.<br />

[1’20’’] 2. „Gewalt“-Szene: Überfall Geldautomat.<br />

Der Camaro hält am Straßenrand, der Gehweg ist erleuchtet. Im Eingang eines<br />

öffentlichen Gebäudes steht ein untersetzter Mann mit dem Rücken zur Kamera an<br />

einem Geldautomaten. Die Protagonistin steigt aus dem Wagen, wirft mit einer<br />

schwungvollen und tänzerisch anmutenden Geste des rechten Arms die Wagentür<br />

zu, führt dann in einer fließenden Bewegung den Arm bis fast über den Kopf,<br />

während ihr Blick den Mann am Geldautomaten fokussiert. Ihre Körperhaltung<br />

gleicht der einer tänzerischen Position, bei der sie das rechte Bein leicht anwinkelt<br />

und vor das linke schiebt. In ihrer linken Hand wird nun ein Elektroschockgerät<br />

sichtbar, das sie ebenso kunstvoll mit über der Brust angewinkeltem linken Arm,<br />

von ihrer rechten Achsel bis zu ihrem Kinn führt und dabei provokativ seine<br />

Funktionstüchtigkeit demonstriert, sichtbar durch kleine blaue Blitze und begleitet<br />

von einem surrenden Geräusch, das die Stromstöße signalisiert, die von ihrer<br />

Waffe ausgehen. Begleitet wird das Einnehmen dieser Position von einem leichten<br />

Öffnen ihrer Lippen, die sie beim Anwinkeln des linken Armes wieder schließt,<br />

wobei sie sich leicht auf die Unterlippe beißt.<br />

Sie nimmt hier die Position eines Stierkämpfers ein, als wolle sie ihr Opfer zum<br />

„Paso Doble“ auffordern, der sich im traditionellen Verständnis als tänzerische<br />

Interpretation des Stierkampfes versteht. Diese Szene zeigt die Selbstsicherheit der<br />

Protagonistin, die sich darum bemüht, ihre Auftritte so auffällig wie möglich zu<br />

gestalten. Obgleich sich mehrere Männer auf dem Gehweg befinden, reagiert<br />

niemand auf ihre beabsichtigte Gewalttat oder versucht, die Frau davon abzuhalten.<br />

Die Protagonistin, die sich aus ihrer Angriffsposition gelöst hat, bewegt sich auf den<br />

Mann am Geldautomaten zu, ein vielsagendes, selbstsicheres und gleichzeitig<br />

spöttisches Grinsen im Gesicht. Die Kamera zeigt in einer Einstellung, die an<br />

Duellszenen alter Western erinnert, ihren beschwingt bewegten Hintern in<br />

Nahaufnahme, während sie sich mit lässigen Schritten ihrem Opfer nähert. Trotz<br />

des Overalls, der ― obgleich natürlich im Stil Madonnas figurbetont und sexy<br />

geschnitten ― ein Arbeits-Utensil ist, das aufgrund seines eher groben Schnittes<br />

78


und Materials weniger modischen Ansprüchen entgegenkommt, sondern allein<br />

praktischen Zwecken dient, wirkt sie dabei elegant wie eine Lady! Es gehen<br />

Menschen vorbei, von denen niemand sich jedoch für das offensichtliche Vorhaben<br />

der Frau, die das Elektroschockgerät ostentativ vor sich herträgt, zu interessieren<br />

scheint. Sie sind das Abbild einer teilnahmslosen Gesellschaft, in der jegliche Form<br />

von Sozialkontrolle verloren gegangen scheint, sei es aus mangelndem<br />

Verantwortungsbewußsein, Feigheit, oder einer durch die mediale Bilderflut<br />

übersättigten Geisteshaltung, für die ein Gewaltverbrechen nur noch eine<br />

willkommene Abwechslung in einem ansonsten ereignislosen Leben darstellt.<br />

Abwechselnd zeigt die Kamera den Hintern der Protagonistin und das<br />

Elektroschockgerät in ihrer linken Hand, von dem blaue Blitze ausgehen, begleitet<br />

von einem Surren der kleinen Stromstöße.<br />

Die nächste Einstellung zeigt die Protagonistin mit einem Bündel Geldscheine in<br />

der rechten Hand. Im Hintergrund sieht man das Opfer, den untersetzten Mann,<br />

der zuvor am Geldautomaten gezeigt wurde, zusammengesunken am Boden<br />

liegend. Im gleichen lässigen Gang wie zuvor sieht man die Täterin ― die<br />

Geldscheine achtlos in der Hand haltend ― zu ihrem Wagen zurückgehen, wobei<br />

ihr einige Scheine zu Boden fallen. Mit durchdrehenden, qualmenden Hinterreifen<br />

verlässt der Camaro zum Schluss blitzschnell die Szenerie.<br />

Auch in dieser zweiten „Gewalt“-Szene wird nicht explizit gezeigt, wie die<br />

Protagonistin den Mann zu Boden streckt, ebenso wenig wie in der ersten „Gewalt“-<br />

Szene, in der das Männerauto aus dem Bild geschoben wird und die Auswirkungen<br />

der Gewalt nicht sichtbar sind. Es bleibt damit unklar, ob das Opfer nur gering oder<br />

ernsthaft durch das Elektroschockgerät verletzt wurde. So scheint es, als stünde<br />

nicht der Akt selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die Beweggründe der Frau,<br />

diese Gewalttaten auszuüben. Für diesen Gedanken spricht außerdem die Art und<br />

Weise, in der die Täterin mit ihrer „Beute“ umgeht: Das Geld nimmt sie nicht an<br />

sich, um sich zu bereichern, sondern um eine „Trophäe“ vom Tatort mitzunehmen.<br />

Darüber hinaus ist Geld ein unmissverständliches Symbol für Macht.<br />

Die Atmosphäre im Clip scheint sich immer stärker aufzuladen: Das<br />

Verlassen des zweiten „Tatortes“ mit dem Auto erscheint aggressiver als das des<br />

ersten ― dafür sprechen das visuelle und hörbare Durchdrehen der Reifen und das<br />

hohe Tempo beim Verlassen des Geschehens.<br />

79


[1’40’’] 3. „Gewalt“-Szene: Drive-In-Szene / Polizisten.<br />

Der Camaro, langsam von rechts nach links in das Bild fahrend, hält an einem<br />

Drive-In-Restaurant. Zwei Fast-food essende Polizisten ― beide halten in der<br />

linken Hand einen Hamburger und in der rechten einen großen Pappbecher mit<br />

Strohhalm ― stehen neben ihrem Dienstwagen. Beide Männer tragen Uniform, der<br />

rechte hat eine Schnurrbart, der linke ist kräftig und bullig. Im Hintergrund erkennt<br />

man parkende Autos.<br />

Die Protagonistin und ihre Beifahrerin nehmen ihre Bestellung am Drive-In von<br />

einer beleibten jungen Frau entgegen, die ihnen auf einem Kunststofftablett zwei<br />

große Getränkebecher und Pommes Frites durch das heruntergelassene Fenster<br />

des Autos reicht. In einer herablassenden Geste, die an großspuriges männliches<br />

Zahlungsverhalten gegenüber vorgeblich niederen weiblichen Dienstleistungen<br />

erinnert, steckt die Protagonistin der Angestellten die zuvor gestohlenen<br />

Geldscheine in ihren Kittel, ein Betrag, der ― wie der überraschte Blick der jungen<br />

Bedienung erahnen lässt ― im Verhältnis zur Bestellung offensichtlich viel zu hoch<br />

ist.<br />

Die Bedienung ist die erste und einzige Frau in diesem Videoclip, die neben dem<br />

Protagonistinnen-Paar in Erscheinung tritt. Sie entspricht der typischen<br />

Durchschnittsfrau der amerikanischen Mittelschicht: übergewichtig, weiblich, im<br />

Service arbeitend. Allein die Tatsache, dass sie eine Frau ist, schützt sie<br />

offensichtlich davor, nicht angegriffen zu werden; dass die Protagonistin ihr das<br />

gestohlene Geld zusteckt, könnte aber nicht nur als herablassender, männliches<br />

Verhalten gegenüber Frauen imitierender Gestus verstanden werden. Er könnte<br />

auch als symbolische Wiedergutmachung bzw. Entschädigung eines typischen<br />

weiblichen Opfers durch das Geld eines typischen männlichen Täters verstanden<br />

werden. Im übertragenen Sinn wird somit die Macht des Mannes ― symbolisiert<br />

durch die Dollarscheine ― auf die Frau übertragen und die Besitzverhältnisse<br />

werden auf sinnbildliche Weise umgekehrt.<br />

Die Protagonistin und die alte Dame saugen im Auto an den Strohhalmen in ihren<br />

Getränkebechern, während die Protagonistin gleichzeitig ihre Pommes Frites isst.<br />

Als sie ihre Fahrt wieder aufnimmt, schrammt sie im Vorbeifahren scheinbar<br />

genüsslich an der vollen Längsseite des Polizeiwagens entlang und fixiert dabei ―<br />

weiterhin ihre Pommes Frites kauend ― die beiden verdutzten Polizisten mit den<br />

Augen. Anschließend fährt sie wieder zurück und zückt eine Pistole, die sie auf die<br />

beiden Polizisten richtet, die sich hinunter beugen, um in das Auto hineinsehen zu<br />

können. In Erwartung eines weiteren Gewaltszenarios sieht man die Protagonistin<br />

ihre Waffe auf die Köpfe der Polizisten richten. Im selben Augenblick, indem man<br />

80


einen Schuss erwarten würde, zeigt sich aber, dass es sich um eine Wasserpistole<br />

handelt ― ein weiterer Ausdruck höchster Verachtung des männlichen Gegenübers.<br />

Die Protagonistin macht die beiden Polizisten im wörtlichen Sinne „nass“: Sie<br />

erniedrigt sie, indem sie sie mit einem Kinderspielzeug einschüchtert. Darüber<br />

hinaus könnte das Spritzen mit der Wasserpistole auch als symbolische<br />

„Ejakulation“ verstanden werden. Die Protagonistin würde sich somit eines<br />

weiteren, demütigenden männlichen Verhaltens gegenüber Frauen bedienen, das<br />

vor allem aus Pornofilmen bekannt ist, dem sogenannten „Come Shot“: Dabei<br />

handelt es sich um den sprichwörtlichen Höhepunkt einer jeden Szene, bei dem der<br />

Mann auf die Frau ejakuliert. Indem die Protagonistin mit ihrer Pistole ― ein<br />

klassisches Symbol für das männliche Geschlechtsteil, das Madonna auch schon in<br />

ihren früheren Videos 197 benutzt ― die beiden Polizisten, die angesichts der<br />

täuschend echten Waffe vermuten müssen, erschossen zu werden, mit Wasser<br />

bespritzt, erniedrigt sie sie auf zweifache Weise: als Hüter von Ordnung und Gesetz<br />

und als Männer.<br />

Unberührt von den Ereignissen setzt sie ihr Auto am Ende der Szene ein Stück<br />

zurück und lässt die Polizisten, die die Verfolgung aufgenommen haben, frontal<br />

auffahren. Durch den Aufprall lösen sich die Airbags im Polizeiauto, wodurch sie<br />

ihre Verfolgungsjagd abbrechen müssen, die noch gar nicht begonnen hat.<br />

Die Protagonistin bedient sich als Frau sämtlicher männlicher stereotyper<br />

Verhaltensweisen: Sie benutzt deren Statussymbole (muscle cars, Waffen), imitiert<br />

ihre Körpersprache (breitbeiniges Sitzen auf dem Bett, Cowboy-Gang vor dem<br />

Geldautomaten), trägt ihre Tätowierungen und ahmt ihr Imponiergehabe nach (das<br />

Zuzwinkern in der Szene an der Kreuzung, das Zustecken der Geldscheine im<br />

Drive-In-Restaurant). Sie holt sich, was sie will, und sie bekommt es durch<br />

männliches Verhalten. Madonna geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zwar<br />

bedient sie sich der Verhaltensweisen der männlichen Welt, um sich in einer<br />

männlichen Welt Respekt zu verschaffen und sich durchsetzen zu können,<br />

gleichzeitig aber zerstört sie die Illusion von gewaltbasierter Macht, indem sie sie in<br />

ihren schockierenden destruktiven Folgen ostentativ zur Schau stellt.<br />

[2’17’’] 4. „Gewalt“-Szene: Parkplatz, Hockeyspieler.<br />

Die Protagonistin fährt auf einen Parkplatz, auf dem einige junge Männer Roller-<br />

Hockey spielen, rammt zunächst wahllos parkende Autos und fährt ein Motorrad<br />

197 Z.B. in „Express Yourself“ oder „Open Your Heart”.<br />

81


um. Anschließend fährt sie zwischen den Männern durch, steuert dann mit dem<br />

Wagen auf sie zu, fährt zuerst eines der Hockey-Tore um und nimmt zum Schluss<br />

einen von ihnen auf die Motorhaube, während sie weiterhin genüsslich ihre<br />

Pommes Frites isst. Während die anderen jungen Männern wütend hinter dem<br />

Camaro herjagen, um ihn mit wütenden Hieben ihrer Hockeyschläger zu<br />

bearbeiten, verlässt die Protagonistin den Parkplatz, nicht ohne allerdings ein paar<br />

weitere Autos zu rammen.<br />

Um ihre Pommes-Frites-Tüte zu entsorgen, bringt sie den inzwischen auffallend<br />

ramponierten Camaro neben einem Mülleimer aus voller Fahrt zum Stehen, wobei<br />

die Kamera einen Schwenk in das Fahrzeuggetriebe ― genauergesagt auf die<br />

Bremsscheiben ― macht. Die Protagonistin streckt ihren Arm aus und wirft die<br />

noch halbgefüllte Pommes-Frites-Tüte in den Mülleimer.<br />

[2’49’’] 5. „Gewalt“-Szene: Tankstellenszene.<br />

In der nächsten Einstellung sieht man wieder den Lackpump der Protagonistin, in<br />

Machomanier mit dem Gaspedal spielend. Der Motor heult und die Reifen drehen<br />

durch, so dass Straßendreck aufgewirbelt wird. Der Camaro schießt schließlich<br />

nach vorn, Reifenquietschen und Motorengeräusche sind zu hören, die am<br />

Rückspiegel aufgehängten Würfel pendeln hin und her. Das Aggressionsniveau der<br />

Protagonistin ist weiter angestiegen. Sie vermittelt dem Zuschauer den Eindruck<br />

eines Stieres, der kurz vor seinem Angriff wutschnaubend die Nüstern bläht und<br />

mit den Hufen scharrt.<br />

[2’54’’] Tankstelle: Die Protagonistin fährt auf eine Tankstelle, hält hinter einem roten<br />

Pontiac Firebird an einer Zapfsäule (im Folgenden wird diese Einstellung<br />

„Tankstelle“ genannt).<br />

An dieser Stelle wird die bislang chronologische Abfolge unterbrochen, die seit der<br />

Abfahrt der beiden Frauen vom Seniorenheim durchgehalten wurde. Flashbacks in<br />

das Hotelzimmer und das Seniorenheim wechseln sich mit den Bildern des Firebirds<br />

und der fortschreitenden Handlung ab. Die Frequenz der Schnitte erhöht sich mit<br />

dem Anstieg des Aggressionsniveaus. Dabei haben die Rückblenden die Funktion,<br />

die fehlenden Sequenzen der Anfangsszenen durch wichtige Details zu ergänzen.<br />

[2’56’’] Flashback Hotelzimmer: Die Protagonistin sitzt auf dem Bett. Der herabgelassene<br />

Overall gewährt einen Blick auf ihren nackten Rücken, links neben ihr liegt der<br />

geöffnete Koffer. Auf beiden Unterarmen trägt sie Tätowierungen, ebenso im<br />

Nacken, wo in schwarzen Lettern L-O-V-E-D zu lesen ist. Die Tätowierung auf<br />

ihrem rechten Arm zeigt eine Pistole, aus deren Öffnung Rauch aufsteigt, auf ihrem<br />

linken Arm ein Kreuz. Über dem Kreuz ist das Wort NO, unter dem Kreuz<br />

82


SURREND[ER] zu erkennen, wobei die letzten beiden Buchstaben nicht mehr mit<br />

Sicherheit zu entziffern sind.<br />

NO SURRENDER meint „keine Kapitulation“, „kein Aufgeben“, „keine Auslieferung“.<br />

Die Tätowierungen muten dilettantisch an und sehen aus, als stammten sie nicht<br />

von einem Profi. Die Wahl des Kruzifix-Motives als Symbol des christlichen<br />

Glaubens rekurriert auf vergangene Madonna-Videos wie „Like A Prayer“ oder „Like<br />

A Virgin“. In diesem Clip muss es aber vermutlich weniger als Provokation denn ―<br />

im Gegenteil ― als ein Sinnbild eines intensiv empfundenen, stark verinnerlichten<br />

Glaubens verstanden werden, der der Protagonistin Hoffnung und Kraft auf ihrem<br />

persönlichen Kreuzzug gegen die Männerwelt verleihen soll.<br />

Nach dieser Szene im Hotelzimmer verdunkelt sich die Szenerie, bevor es in<br />

die nächste Einstellung geht. Im Vordergrund steht bis zu Minute [3’27’’] die<br />

Inszenierung des roten Sportwagens.<br />

[3’01’’] Firebird: Man sieht den roten Pontiac Firebird mit eingeschalteten Scheinwerfern.<br />

Auf der Kühlerhaube ist das Emblem des Firebirds abgebildet: ein stilisierter<br />

goldener Adler mit ausgebreiteten Flügeln und flammenförmiger, kranzartiger<br />

Umrandung. Während einer anschließenden Kranfahrt, die vor dem Auto beginnt,<br />

über die Motorhaube und bis zum Dach hinaufführt, gibt die Kamera dem<br />

Betrachter Zeit, den Firebird in seiner beeindruckenden Erscheinung genau zu<br />

betrachten. Die Zeit scheint währenddessen stillzustehen. Es ist ein anerkennendästhetisierender<br />

Blick, der sich vornehmlich an ein männliches Publikum richtet,<br />

das auf den Abonnentenlisten von Motorsport-Magazinen zu finden ist, sich auf<br />

Automobil-Messen über die neuesten Tuning-Trends austauscht und am<br />

Wochenende mit der Freundin im Kino Blockbuster wie „Too fast, too furious“ in<br />

Dolby Surround-Qualität ansieht.<br />

[3’04’’] Tankstelle: Die Protagonistin steigt aus dem ramponierten gelben Camaro,<br />

während der Mann, der vor ihr seinen Firebird betankt, in ihre Richtung sieht. Das<br />

rote Auto des Mannes wird als das erkennbar, das in der vorherigen Einstellung<br />

detailliert gezeigt wurde.<br />

[3’05’’] Firebird: Die Kamera setzt ihre Fahrt über das Autodach fort.<br />

[3’07’’] Tankstelle: Die Protagonistin hat der alten Dame aus dem Camaro geholfen und<br />

führt sie an der Hand, an einer Zapfsäule vorbei, zielstrebig zu dem Firebird.<br />

[3’08’’] Firebird: Die Kamera ist nun fast über der Mitte des Autodaches.<br />

[3’10’’] Tankstelle: Die junge Frau führt ihre greise Beifahrerin an der Hand zwischen dem<br />

Camaro und dem Firebird durch. Der Autobesitzer, der lange, wellige Haare und<br />

eine Lederweste mit Silberapplikationen trägt, schenkt dem Frauenpaar keine<br />

Beachtung. Am Firebird angekommen, öffnet die junge Frau der alten Dame die<br />

Beifahrertür.<br />

83


[3’12’’] Firebird: Die Kamera ist nun direkt über dem Autodach und schwenkt von der<br />

Vertikalen in die Horizontale um, so dass das Auto waagerecht im Bild ist.<br />

[3’16’’] Tankstelle: Nachdem die Protagonistin der alten Dame auf den Beifahrersitz des<br />

Firebirds geholfen hat, geht sie um das Auto herum und setzt sich ans Steuer. Der<br />

Besitzer ist so mit der Tankanzeige an der Zapfsäule beschäftigt, dass er nicht<br />

bemerkt, dass die beiden Frauen in sein Auto gestiegen sind.<br />

[3’17’’] Firebird: Die Kamera hat wieder umgeschwenkt und ist nun am hinteren Ende des<br />

Wagens angekommen, wo langsam sie an ihm herunterfährt, bis sie dieselbe<br />

Position wie zu Beginn der Kranfahrt eingenommen hat, nur diesmal in<br />

entgegengesetzter Richtung.<br />

[3’27’’] Der Fuß der Protagonistin mit dem schwarzen Lackpump tritt wieder auf das<br />

Gaspedal, während die Kamera auf den Tacho des Firebird und in den Motorraum<br />

zoomt.<br />

[3’28’’] Tankstelle: Die beiden Frauen sitzen im Firebird, an dessen Rückspiegel die Figur<br />

eines kleinen grünen „Aliens“ hängt. Als die Reifen des Wagens durchdrehen, blickt<br />

der Besitzer kurz auf. Die Protagonistin stößt daraufhin einen Lenkradwürfel an ―<br />

ein Spielzeug des Wagenbesitzers ― und fährt los. Bei dem verzweifelten, aber<br />

sinnlosen Versuch des von den Ereignissen überrumpelten Firebirdbesitzers, den<br />

Wagen festzuhalten, stürzt dieser, während gleichzeitig der Einfüllstutzen des<br />

Benzinschlauchs aus dem Tank gerissen wird. Durch die Wucht des abrupten<br />

Herausreißens hin- und herspringend verspritzt der Schlauch weiter Benzin, das<br />

nach und nach den Boden vor der Zapfsäule überschwemmt. Die Protagonistin<br />

fährt über die Tankstelle, wendet dann um 180 Grad, steuert auf den<br />

Wagenbesitzer zu und fährt ihn so an, dass er auf die Windschutzscheibe<br />

geschleudert wird. Anschließend rammt sie eine Zapfsäule derart, dass sie umkippt<br />

und fontänengleich Benzin aus ihr herausschießt. Daraufhin verlässt sie mit dem<br />

Firebird die Tankstelle, zieht ein silberfarbenes Feuerzeug aus der Tasche, zündet<br />

die Flamme und lässt es aus dem Fenster fallen. Ein Schwenk zurück auf die<br />

Tankstelle zeigt noch einmal den benzinspeienden Schlauch, der sich über den<br />

Boden windet. Es folgt die erwartete Detonation, die allerdings nur durch eine<br />

kurzzeitige, orange-gelbe Überblendung angedeutet wird. Die Kamera zeigt das<br />

Wageninnere des Firebirds, wobei sie zwischen den beiden Vordersitzen positioniert<br />

scheint, mit dem Fokus auf Armatur und Schaltknüppel. Unterstützt wird der<br />

Eindruck einer Detonation nicht nur visuell durch Farbeffekte, sondern auch<br />

akustisch durch das knallend-berstende Geräusch einer Explosion und einen großen<br />

Gegenstand, der ― vermutlich der Tankstelle zuzuordnen ―, gegen die<br />

Windschutzscheibe des fahrenden Firebirds prallt.<br />

84


Die Brutalität hat sich mit jeder „Gewalt“-Szene erhöht. Doch auch hier wird sie<br />

nicht detailliert in ihren Auswirkungen gezeigt: Man sieht weder tote Menschen<br />

noch durch die Luft wirbelnde Leichenteile, die inzwischen zum Standardrepertoire<br />

von Gewaltvideos und Dokumentationen von Katastrophen gehören und deren<br />

höchstes Interesse es ist, möglichst nah an das eigentliche Geschehen<br />

heranzukommen, um dem Betrachter zu suggerieren, er befinde sich mitten im<br />

Geschehen. 198 Guy Ritchie befriedigt mit seiner Inszenierung den Voyeurismus der<br />

Zuschauer nicht: Die Explosion wird lediglich angedeutet durch das orange-gelbe<br />

Licht und den Gegenstand, der gegen die Windschutzscheibe des sprichwörtlichen<br />

Feuervogels prallt. Das vernichtende Ausmaß der Detonation und der sich darin<br />

dokumentierende Gewaltakt bleibt als Leerstelle bestehen, die von der<br />

Vorstellungskraft des jeweiligen Zuschauers gefüllt werden kann. Auf diese Weise<br />

bezieht Madonna den Betrachter nicht nur aktiv mit in das Geschehen ein, indem er<br />

ihn zwingt, das Gesehene zu reflektieren. Er führt ihm auch eindrücklich die<br />

gesellschaftliche Teilnahmslosigkeit vieler Menschen vor Augen, die tagtägliche<br />

Gewalt um sich herum zwar zu registrieren, aber glauben, sich durch Ignoranz der<br />

sozialen Verantwortung entziehen zu können.<br />

[3’48’’] Flashback Senioren-/Pflegeheim: Die alte Dame sitzt in ihrem Sessel vor dem<br />

laufenden schwarz-weiß-Fernseher, der das Bild eines über die Straße<br />

schleudernden Autos zeigt. Die sonst sehr lethargisch wirkenden alte Frau krallt bei<br />

diesem Anblick unter Anspannung ihre Finger in die Armlehne, womit sie erstmals<br />

eine innerliche Teilnahme am äußeren Geschehen signalisiert.<br />

[3’50’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich eine kugelsichere Weste an.<br />

[3’51’’] Firebird/Tacho/Armatur: Die Nadel des Tachos schlägt nach oben aus.<br />

Alters-/Pflegeheim: Die alte Dame legt sich Schienbeinschoner an.<br />

[3’53’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht sich weiter die Weste an. Unter der rechten<br />

Brust ist ein etwa faustgroßes, dunkles Hämatom zu erkennen.<br />

[3’54’’] Firebird: Die Protagonistin schaltet in einen höheren Gang,<br />

Geschwindigkeitssteigerung suggerierend.<br />

198 Man vergegenwärtige sich die Fernsehbilder vom 11. September 2001, die fast bis zur<br />

Unerträglichkeit immer wieder den Einschlag der beiden Boeings in das World Trade Center zeigten, und<br />

danach stundenlang die verzweifelten Rettungsversuche der New Yorker Feuerwehr zu dokumentieren,<br />

während im Hintergrund die Häuser hinter Rauchwolken verschwanden, Gebäudeteile plötzlich<br />

einstürzten und Rettungsmannschaften unter sich begruben. Unvergessen auch die aktuelleren Bilder<br />

von den vernichtenden Auswirkungen des Tsunamis in Sri Lanka: Immer tauchten neue Amateurvideos<br />

auf, die dokumentierten, wie die meterhohe Sturmflut auf die Küste zurollte, um dann bei ihrem<br />

Einbruch in die Strassen alles unter sich zu begraben.<br />

85


[3’54’’] Hotelzimmer: Die Protagonistin schließt die Weste, wobei sie ihr Gesicht vor<br />

Schmerz verzieht. Sie steht nun angezogen vor dem Bett und wirft den<br />

„Flachmann“ in den noch geöffneten Koffer.<br />

[3’57’’] Firebird: Die Kamera zeigt, Tempo suggerierend, Motor und Schaltknüppel, der von<br />

der rechten Hand der Protagonistin betätigt wird.<br />

[3’59’’] Hotelzimmer: Die behandschuhten Hände der Protagonistin blättern einen Stapel<br />

Personalausweise durch. Offensichtlich handelt es sich um ihre alter egos, die sie je<br />

nach Bundesstaat wechselt.<br />

[4’00’’] Firebird/Tacho<br />

Hotelzimmer: Die Kamera zeigt einen der Nachttische, auf dem sich acht<br />

Tablettendöschen, eine halbvolle Wodkaflasche, ein alter Radiowecker und eine<br />

Waffenzeitschrift befinden, auf der wiederum ein kleiner Schlüssel mit blauem<br />

Anhänger sowie die Personalausweise liegen. Mit den Händen blättert die<br />

Protagonistin durch die Ausweise und entscheidet sich für ihre „Ohio“-Identität.<br />

Noch einmal wird kurz die LOVED-Tätowierung in ihrem Nacken gezeigt.<br />

[04:02] Firebird/Schaltknüppel: Von der Hand der Protagonistin geschaltet.<br />

Hotelzimmer: Die Protagonistin zieht die schwarzen Handschuhe an, blickt in die<br />

Kamera (wir erinnern uns an den Anfang des Clips: Sie blickt in den Spiegel) und<br />

deutet einen Kuss an, den sie sich sozusagen selbst zuwirft (ebenso wie der Fahrer<br />

des Männerwagens ihr einen Kuss zugeworfen hat).<br />

[4’03’’] Firebird auf der Strasse, von außen: Das Auto fährt mit eingeschalteten<br />

Scheinwerfern rechts ins Bild, die Strasse ist menschenleer und grau, noch immer<br />

ist es Nacht.<br />

[4’04’’-<br />

4’13’’] Hotelzimmer: Die Protagonsitin verlässt ihr Zimmer.<br />

Firebird/Schaltknüppel: Wieder wird geschaltet, der Motor gezeigt, dann der Tacho,<br />

das zunehmende Tempo suggerierend.<br />

Hotel: Die Protagonistin verlässt ihr Zimmer, schaut beim Heraustreten kurz zu<br />

beiden Seiten und zieht die Tür hinter sich zu, die die Zahl 669 trägt. Beim<br />

Zuschlagen der Tür kippt die letzte Ziffer nach unten, so dass aus 669 die Zahl 666<br />

wird, das Zahlensymbol für den Antichrist bzw. den Teufel.<br />

Firebird: Die alte Frau krallt ihre rechte Hand in den Autositz. Damit zeigt sie<br />

erstmals eine Reaktion seit Beginn der gemeinsamen Autofahrt. Der Fuß der<br />

jungen Frau befindet sich auf dem Gaspedal, ihre Hand am Schaltknüppel. Die<br />

Kamera zeigt Bilder vom Auto, Madonnas Gesicht, Motor und Tacho.<br />

Rückblende im Zeitraffer: Die immer schneller werdenden Schnitte (siehe<br />

Zeitangaben) enden in einer Art Rückblende des Clips im Zeitrafferverfahren ―<br />

vergleichbar mit der Rekapitulation des eigenen Lebens beim Sterben. Ein Bild folgt<br />

dicht dem anderen. Die Kamera fokussiert das Gesicht der alten Dame, deren<br />

86


Augen weit aufgerissen sind und ins Leere starren, der Kopf der Protagonistin liegt<br />

auf dem Lenkrad.<br />

Die Serie beginnt mit der ersten Einstellung des Clips: Die Kamera zeigt die<br />

Protagonistin auf dem Hotelbett sitzend, den Kopf geneigt. Es folgen Bilder des<br />

hinteren Nummernschildes des Camaro (CAT), der Würfel, der Wasserpistole und<br />

des Feuerzeugs. Die Protagonistin, deren Augen geschlossen sind, sitzt mit<br />

zurückgelehntem Kopf hinter dem Steuer. Sie wirkt entspannt und ohne Ausdruck,<br />

während der Firebird auf die Kamera zurast. Vor der Kamera befindet sich ein<br />

(Laternen-)Pfahl. Die Scheinwerfer des Firebirds sind ausgeschaltet.<br />

[4’13’’-<br />

4’29’’] Aufprall. Das Auto prallt mit so hoher Geschwindigkeit gegen den Pfahl, dass es<br />

sich durch die Schubkraft um ihn herumzuwickeln scheint. Zeitlupeneffekte zeigen<br />

den Zusammenstoß in seiner ganzen Wucht. Der aufsteigende Rauch und die durch<br />

die Luft fliegenden Splitter signalisieren, dass der Aufprall tödlich ist. Er ereignet<br />

sich parallel zum letzten Rhythmusschlag in der Musik. Danach setzt Stille ein, bis<br />

schließlich sprichwörtlich der „Vorhang fällt“, für die Beteiligten wie für die<br />

Inszenierung insgesamt. Die letzte Einstellung wird ausgeblendet.<br />

2.4.2.2 Das Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik<br />

Das Video zu „What it Feels Like For A Girl“ illustriert nicht die balladenhafte<br />

Album-Version des Songs, sondern bedient sich eines House-Beat-Remixes, der<br />

nichts mit der melancholischen Grundstimmung der Album-Version gemeinsam hat.<br />

Zu Beginn des Clips werden folgende Textzeilen von der Sängerin gesprochen, die<br />

ihm als Motto vorangestellt werden:<br />

Girls can wear jeans<br />

And cut their hair short,<br />

Wear shirts and boots,<br />

‘Cause it’s OK to be a boy,<br />

But for a boy to look like a girl is degrading,<br />

‘Cause you think that being a girl is degrading,<br />

But secretly you’d love to know what it’s like.<br />

Wouldn’t you (s.u.)<br />

What it feels like for a girl<br />

Anschließend wiederholt sich der von Madonna gesungene Chorus immer wieder:<br />

„For a girl / In this world” und „Do you know / What it feels like for a girl? / Do you<br />

know / What it feels like / In this world / For a girl?”<br />

87


Das „Motto” ist ein Zitat aus dem Film „The Cement Garden”, in dem die<br />

Schauspielerin Charlotte Gainsbourg folgende Zeilen spricht: „It’s OK for a girl to<br />

look like a boy, but for a boy to look like a girl is degrading”. 199<br />

Von Madonna werden die ersten Zeilen fast stimmlos und kühl mit dem<br />

Timbre eines jungen Mädchens gesprochen. Darunter läuft ein pulsierender,<br />

synthetischer, anschwellender Rhythmus. Auffällig ist in diesem Clip, dass die Musik<br />

nur einen Kommentar zum Bild stellt, das im Mittelpunkt steht. Die Musik ist eine<br />

zusätzliche Ebene, die sich unterhalb der der Bilder befindet. Im Vergleich mit den<br />

bislang in dieser Arbeit analysierten Clips spielt sie hier eine nur untergeordnete<br />

Rolle. Durch die Schnelligkeit der Beats und die dadurch suggerierte latente Unruhe<br />

unterstützt sie lediglich die Botschaft der Bilder.<br />

Dennoch erfüllt die Musik ― wie auch in den vorangegangenen Clips ― eine<br />

strukturierende Funktion: Die einleitende, gesprochene Sequenz endet, als die<br />

Protagonistin ihren Wagen gestartet hat und ihren Roadtrip beginnt. Während des<br />

Sprechparts steht die Stimme Madonnas im Vordergrund, der Rhythmusapparat ist<br />

zurückgenommen. Mit zunehmender Spannungssteigerung innerhalb der Handlung<br />

wird die Stimme der Sängerin, die den Chorus in einer Endlosschleife singt,<br />

kräftiger und bestimmter.<br />

Ein zweites Mal wird das Motto in derselben Weise wie am Anfang bei der<br />

„Firebird-Inszenierung“ vorgetragen. An dieser Stelle scheint, wie oben dargestellt,<br />

die Zeit für einen Augenblick zu still zu stehen, bevor der Showdown beginnt. Das<br />

gesprochene Motto mit dem zurückgenommenen beats unterstützt damit die<br />

visuelle Wirkung dieser Szene.<br />

Der Anfang des Clips erinnert eher an einen Werbespot ― ausgelöst durch<br />

die Verknüpfung von Bild und Sprechpart ― und weist viele spielfilmähnliche<br />

Elemente auf. So wird eine stringente Geschichte erzählt, die Story ist in sich<br />

geschlossen und auch die Schnitte entsprechen zeitgenössischer Film-Ästhetik. Die<br />

Charaktere werden ― clipuntypisch ― in ihrer jeweiligen Umgebung eingeführt,<br />

bevor beide Erzählstränge zusammengeführt werden und die Story beginnt. Wie<br />

schon die letzten Clips deutlich gemacht haben, ist auch dieser Clip bis in das letzte<br />

Detail durchkonzipiert und jedes Symbol wurde sorgfältig ausgewählt, wie die<br />

Clipbeschreibung zum Ausdruck bringt.<br />

199 Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan wurde 1992 von Andrew Birkin verfilmt.<br />

Das Drama erzählt eine düstere Geschichte über Geschwisterliebe, Inzest und Tod.<br />

88


„What It Feels Like For A Girl“ ist ein „schneller“ Clip. Dieser Eindruck wird in<br />

erster Linie durch die Schnelligkeit der Schnitte hervorgerufen. Die Frequenz der<br />

Bilder nimmt im Laufe zu, ein filmästhetisches Stilelement, das der dramatischen<br />

Entwicklung des Geschehen entspricht.<br />

2.3.2.3 Cover<br />

Das Cover zum Clip (Anhang I, Abb. 14) vermittelt einen anderen Eindruck<br />

als der Clip selbst. Es zeigt Madonna dem Western-Image des Albums entsprechend<br />

als Cowgirl, an dem die Zeit spurlos vorbei gegangen zu sein scheint 200 : Bekleidet<br />

mit einem weißen, durch Büroklammern zusammengehaltenen T-Shirt ― eine<br />

Reminiszenz an ihre Tänzerinnenzeit, in der die zerrissene und durch<br />

Sicherheitsnadeln zusammengehaltene Kleidung zu ihrem Markenzeichen wurde ―,<br />

einer dunkelblauen Denimhose, einem breiten, schwarzen Gürtel mit silberner<br />

Gürtelschnalle, Nietenbesatz und Strasssteinen und mit platinblonden, leicht<br />

gewellten und dunkel gesträhnten Haaren, einer silberfarbenen Kette um den Hals<br />

und nur dezent geschminkt, lehnt sie in lasziver Haltung an der Seite eines<br />

silberfarbenen Trucks. Den rechten Arm hält sie hinter dem Kopf verschränkt, so<br />

dass das weiße T-Shirt ein Stück Haut knapp über der tief sitzenden Jeans freilegt.<br />

Ihre Zungenspitze berührt herausfordernd die mit pinkfarbenem Lippenstift<br />

geschminkte Oberlippe, wobei sie ihren Blick ― ihr Gesicht ist ins Dreiviertelprofil<br />

gedreht ― seitlich in die Kamera richtet.<br />

Die Diskrepanz zwischen Cover und Inhalt des Clips verweist einmal mehr<br />

auf die Tatsache, dass es sich wie immer bei Madonna um ein Spiel mit Masken<br />

handelt. Das Cover lässt einen anderen Inhalt vermuten, als der Clip offenbart: Er<br />

ruft beim Betrachter Erwartungen hervor, die konsequent nicht erfüllt werden.<br />

Während das Cover sich augenscheinlich an ein männliches Klientel richtet, die an<br />

dem darauf gebildeten „girl“ Gefallen finden könnte, läuft der Inhalt des Clips jeder<br />

männlichen Erwartungshaltung, die mit dem Cover verknüpft werden könnte,<br />

zuwider: Die radikale, kompromisslose und selbstbewusste Protagonistin hat mit<br />

dem mit der Kamera kokettierenden Girl nichts gemeinsam. Durch diesen Bruch<br />

zwischen suggeriertem Anspruch und tatsächlicher Botschaft des Clips werden die<br />

darin präsentierten Bilder noch wirksamer. Bei genauer Betrachtung hinterlässt<br />

allerdings selbst das Cover eine gewisse Irritation: Auf den ersten Blick durchaus<br />

200<br />

Immerhin ist die Künstlerin zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt und dem Mädchen-Alter längst<br />

entwachsen!<br />

89


als sexistisch zu bezeichnen, gewinnt man doch den Eindruck dezenter Ironie und<br />

eines Überlegenheitsanspruches, die Madonna in ihren Blick und die<br />

herausfordernde Zungenbewegung legt. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass<br />

hinter jedem neuen Madonna-Produkt immer auch eine Marketing-Strategie steckt,<br />

der es darum geht, das Produkt möglichst gewinnbringend zu verkaufen.<br />

2.4.2.4 Interpretation<br />

Das Video veranschaulicht nach Madonnas eigener Aussage ihren Charakter:<br />

„Ich lebe meine Phantasie aus und mache Dinge, die Mädchen nicht machen<br />

dürfen“ 201 ― ein Bekenntnis, das ― im Hinblick auf die durch die Bilder zur Schau<br />

gestellte Brutalität ― nicht nur befremdlich, sondern beinahe zynisch anmutet. Auf<br />

der anderen Seite zeigt der Videoclip „What It Feels Like For A Girl“ eine starke,<br />

selbstbewusste, aber auch vom Leben gezeichnete Frau (Alkoholismus,<br />

Tablettensucht), die sich nicht länger von Männern Vorschriften darüber machen<br />

läßt, wie sie sich zu verhalten habe, und wo ihr Platz in der Gesellschaft sei. Dieser<br />

Anspruch auf Selbstbestimmung geht aber ― und das ist die zynische Botschaft des<br />

Clips ― nicht mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen konform,<br />

sondern fordert Opfer ― was, wie der Clip zeigt, auch im wörtlichen Sinne zu<br />

verstehen ist ―: zuletzt auch das eigene Leben.<br />

Der Clip prangert in einer radikalen Umkehrung der realen Verhältnisse die<br />

gesellschaftlichen Zustände in einer von Männern dominierten Welt an und greift<br />

damit ein „traditionelles“ Thema der Künstlerin Madonna auf: die unterprivilegierte<br />

Stellung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft und der Entwurf alternativer<br />

Rollenmodelle. 202 Dies geschieht in erster Linie durch ein Spiel mit Klischees: Sie<br />

parodiert stereotypes männliches Rollenverhalten, indem sie es übertrieben und vor<br />

allem akkumulierend adaptiert.<br />

Als „Lady“ tritt sie Männern gegenüber, um sie mit ihrem eigenen, zum Teil<br />

absurd-lächerlichen Verhalten zu konfrontieren, und sie die Demütigungen und<br />

Verletzungen erfahren zu lassen, die Frauen alltäglich durch männliche Gewalt<br />

erfahren. Sie ist eine Gangsterin, die in Motels wohnt, in denen sie ihre Anonymität<br />

wahren kann, da sie sich offensichtlich permanent auf der Flucht befindet. Ihre<br />

zahlreichen Personalausweise dienen aber nicht nur dazu, ihre wahre Identität zu<br />

201 Madonna, zit.n. Morton 2002, S. 409.<br />

202 Wobei durch die zahlreichen Menschenleben, die der im Videoclip unterbreitete Alternativentwurf<br />

fordert, deutlich wird, dass es sich dabei nicht um einen ernstzunehmenden Vorschlag handeln kann! Er<br />

spielt nur ein Modell durch, dass der gegenwärtigen, von Männern dominierten Gesellschaft den Spiegel<br />

vorhalten soll!<br />

90


verschleiern, sondern sind auch ein Symbol dafür, dass sie als Figur austauschbar<br />

ist: Sie könnte jede Frau, in jedem beliebigen amerikanischen Bundesstaat sein,<br />

ihre wahre Identität spielt bei der „Mission“, die sie zu erfüllen hat, keine Rolle:<br />

nämlich, durch ihren „Kreuzzug“ alle Frauen zu rächen, die Opfer männlicher<br />

Gewalt waren und noch sind. Dafür nimmt sie die Rolle des Täters an, indem sie<br />

sich dessen Gewohnheiten zu eigen macht (Wodkatrinken), sich über seine<br />

Interessen informiert (Waffenzeitschrift, Tattoos, Kraftsport, schnelle Autos) und<br />

sogar straffällig wird (Kurzschließen des Camaro).<br />

Auch der Blick im Clip scheint männlich: Die muscle cars stehen im<br />

Mittelpunkt, zum Ausdruck gebracht durch die vielen Details wie Tacho,<br />

Schaltknüppel, Motor oder durchdrehende Reifen. Ganz besonders deutlich wird der<br />

männliche Blick bei der Inszenierung des Firebirds: Die höchste<br />

Steigerungsmöglichkeit männlicher Automobilträume wird präsentiert wie ein<br />

Sportler kurz vor dem Wettkampf. Die Kamerafahrt, die den filmischen Effekt des<br />

Verliebens zitiert, erzeugt einen Moment lang den Eindruck, als handele es sich bei<br />

dem Wagen um ein libidinöses Subjekt, in dessen Gegenwart dem Betrachter der<br />

Atem stocken müsste.<br />

Auch die Art und Weise, in der die Protagonistin Auto fährt, ist männlich:<br />

Der Gestus des linken Arms, der lässig aus dem Fenster hängt, das Aufheulenlassen<br />

des Motors, die quietschenden Reifen beim Anfahren, die Vollbremsung vor dem<br />

Mülleimer. Sie eignet sich alle Dinge an, denen Männer besondere Wertschätzung<br />

entgegenbringen: Macht, Kontrolle, Besitz, dargestellt durch Geld und getunte<br />

Autos. Konfrontiert mit der Absurdität des eigenen Verhaltens sind sie ratlos. Dabei<br />

macht sich die Protagonistin den Überraschungseffekt zunutze: Nur solange<br />

niemand von ihr ein solches Verhalten erwartet, kann sie mit ihrem Handeln Erfolg<br />

haben. Das zeigt sich bereits in der ersten „Gewalt“-Szene, in der die Protagonistin<br />

an der Ampel wartend den jungen Männern im Auto neben sich begegnet. Obwohl<br />

sie diejenige ist, die den Kontakt sucht, und obwohl die an ihrem Rückspiegel<br />

baumelnden Würfel in der Sprache der Straße ihre Bereitschaft zu einem<br />

Straßenrennen signalisieren, scheint die Möglichkeit, dass die Protagonistin etwas<br />

anderes als einen Flirt im Sinn haben könnte, völlig außerhalb des<br />

Vorstellungsbereichs der jungen Männer zu liegen. Sie wird von den Männern auf<br />

ihre weibliche Rolle der „Pussycat“ reduziert, was schließlich der Auslöser für ihre<br />

ausbrechende Aggressivität zu sein scheint. Dabei ist aufgrund der akribischen<br />

Vorbereitungen der Protagonistin im Motel davon auszugehen, dass sie das<br />

91


Missverständnis bewusst provoziert, um den Überraschungseffekt für sich zu nutzen<br />

und ihr Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes „vor den Kopf“ zu stoßen.<br />

Madonna beschränkt sich allerdings nicht auf die Imitation der Männerwelt,<br />

sondern zerstört sie gleichermaßen, wörtlich wie im übertragenden Sinn: Um dem<br />

Betrachter die destruktive Kraft männlicher Gewalt vor Augen zu führen, richtet sie<br />

diese gegen ihre Urheber selbst. Die Opfer, die sie sich dabei aussucht, wählt sie<br />

scheinbar willkürlich aus ― so zufällig wie die verschiedenen Identitäten, derer sie<br />

sich selbst bedient. Daher ist auch nicht davon auszugehen, dass es sich um einen<br />

persönlichen „Rachefeldzug“ handelt, sondern es ihr vielmehr darum geht, ein<br />

Exempel zu statuieren, im Namen aller Frauen, die Opfer männlicher Gewalt<br />

geworden sind. Somit liefert der Videoclip zu „What It Feels Like For A Girl“ die<br />

abschreckende Antwort auf die bereits im Titel aufgeworfene Frage, wie sich ein<br />

Mädchen in einer Gesellschaft fühlt, in der Frauen eine unterprivilegierte Stellung<br />

einnehmen und in der in bestimmten Kreisen die Bezeichnung „Mädchen“ die<br />

größtmögliche Form der Beleidigung darstellt. Sie lässt die Männer, an die der Clip<br />

adressiert ist, und die sich mit den Opfern identifizieren sollen, spüren, wie es sich<br />

anfühlt, ein Opfer körperlicher Gewalt zu sein, bedroht, vorgeführt und erniedrigt zu<br />

werden, zumal von einer vermeintlich schwächeren Person. Darüber hinaus kann er<br />

auch als Anklage gegen eine Gesellschaft verstanden werden, in der Opfer erst zu<br />

Tätern werden müssen, um mit ihren Interessen wahrgenommen zu werden.<br />

Madonna inszeniert ein Gewaltszenario um einem gewalttätigen System den Spiegel<br />

vorzuhalten. Gleichzeitig streicht sie aber ― vorgeführt durch das drastische Ende<br />

der Protagonistin ― auch heraus, dass es aus dieser Spirale der Gewalt an einem<br />

bestimmten Punkt keinen Ausweg mehr gibt, nämlich dann, wenn sich die<br />

Aggression des Täters gegen sich selbst richtet.<br />

Die Rolle der alten Dame scheint zunächst ungewiß. Sie und die<br />

Protagonistin gehören unterschiedlichen Generationen an und leben in<br />

unterschiedlichen Welten: Während sich die junge Frau als Straftäterin permanent<br />

auf der Flucht befindet, lebt die alte Frau in einem Pflegeheim und ist auf die Hilfe<br />

Anderer angewiesen. Wie eine in der Erzählchronologie weiter hinter angeordnete<br />

Einstellung zeigt, scheint die alte Dame allerdings großes Interesse an schnellen<br />

Autos zu haben: Während sie vor dem Fernseher sitzt und sich ein Autorennen, ein<br />

Roadmovie oder etwas ähnliches ansieht, wird sie vom Geschehen derart ergriffen,<br />

dass sich ihre innere Anteilnahme in körperlichen Reaktionen äußert: Sie krallt sich<br />

92


― wie in der Beschreibung des Clips bereits erwähnt ― mit den Fingern in der<br />

Armlehne des Sessels fest. Diese Reaktion ist um so auffälliger, da die alte Dame<br />

sich in ihrem sonstigen Verhalten eher lethargisch, geistig abwesend zeigt. So<br />

könnte man zu dem Schluss kommen, dass die beiden Frauen die Freude an<br />

schnellen Autos und das damit verbundene männliche Verhalten zu verbinden<br />

scheint. Die Protagonistin lebt es aus, und gibt der alten Dame die Möglichkeit,<br />

daran teilhaben zu können. Diese ist als Stellvertreterin einer Generation<br />

anzusehen, in der die Rollenzuweisung der Geschlechter eine noch viel restriktivere<br />

war als in der gegenwärtigen Zeit. Auch die alte Dame ist ein „girl in this world“,<br />

und hat sich ihr Leben lang vermutlich männlichen Wünschen und Vorstellungen<br />

unterordnen müssen.<br />

Die Tatsache, dass die beiden Frauen sich für die Autofahrt präparieren, in<br />

dem sie sich Schutzkleidung anlegen, lässt auf eine gewisse Routine der<br />

Vorgehensweise schließen. Offensichtlich unternimmt das ungleiche Paar des<br />

öfteren diese Art von Ausflügen. Madonnas Hämatom unter der Brust unterstützt<br />

diese Vermutung zusätzlich.<br />

Der Selbstmord gilt als das typische Ende eines Roadmovies und ist<br />

Ausdruck von Nicht-Passivität. Die Protagonistin bestimmt selbst über das eigene<br />

Leben und darüber, wann sie es beenden will. Andererseits hat sie aus moralisch-<br />

ethischer Perspektive keine andere Möglichkeit, als sich das Leben zu nehmen,<br />

denn als Täterin hat sie sich der gleichen Verbrechen schuldig gemacht, die sie<br />

ihren Opfern zum Vorwurf gemacht hat, als diese noch Täter und sie selbst das<br />

Opfer war. Darüber hinaus müssen starke Frauen am Ende von Hollywoodfilmen<br />

immer sterben, denn für sie gibt es ― das vermittelt auch der Videoclip zu „What It<br />

Feels Like For A Girl“ ― keinen Platz in der Gesellschaft.<br />

Das Thema des weiblichen outlaw, auf das dieser Clip referiert, kann im<br />

Mainstream als vorausgesetzt angenommen werden. Hollywoodfilme wie der 1991<br />

produzierte „weibliche“ Roadmovie „Thelma & Louise“ 203 zeigen in systemkritischer<br />

Weise auf, wie eine von Männern dominierte Gesellschaft auf weibliche<br />

„Ausbruchs“-Versuche reagiert. Auch hier bleibt dem Frauenpaar am Ende nur noch<br />

die Flucht in den Selbstmord, denn als outlaws gibt es für sie keinen Platz mehr in<br />

der Gesellschaft. 204<br />

203 Regie: Ridley Scott, mit Susan Surandon und Geena Davis in den Hauptrollen.<br />

204 Zwei Freundinnen, eine Hausfrau und ein Serviererin, wollen ein Wochenende ohne Männer<br />

verbringen. Bei diesem Versuch, ihre Freiheit zu finden, geraten sie in unvorhergesehene Probleme: Eine<br />

der beiden Frauen wird von einem rüden Kneipengänger sexuell belästigt, woraufhin ihre Freundin den<br />

93


Heinz Geuen und <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong> verweisen außerdem auf den spirituellen<br />

Zusammenhang, der zwischen dem Madonna-Clip und den Arbeiten von Virginie<br />

Despentes und Coralie Trinth Thi besteht, die in ihrem Film „Baise Moi“ aus dem<br />

Jahre 2000 „die Ausweglosigkeit weiblichen Aufbegehrens zutiefst verstörend<br />

darstellen.“ 205<br />

Auch die Protagonistin in „What It Feels Like For A Girl“ „verspielt“ durch ihr<br />

Verhalten ihren Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft, in die eine Rückkehr<br />

nicht mehr möglich ist, auch weil er einen persönlichen Rückschritt bedeuten<br />

würde. Neben den beiden oben angeführten filmischen Referenzen legt die<br />

Thematik des Clips einen Vergleich mit der zu Tode verurteilten, als erster<br />

weiblicher amerikanischer „serial killer“ bekannt gewordenen Aileen Wuornos nahe.<br />

Der „Fall“ Wuornos erregte in den 1990er Jahren in der amerikanischen<br />

Öffentlichkeit nicht nur deshalb so viel Aufsehen, weil sie eine mordende Frau war,<br />

sondern weil sie ihre Opfer scheinbar willkürlich auswählte und dabei mit äußerster<br />

Brutalität vorging. Die ehemalige Prostituierte, die von frühester Kindheit an den<br />

Umgang mit Männern als gewalttätig, sexualisiert, verletzend und demütigend<br />

erfahren hatte, und in den 1980er und 1990er Jahren sieben ihrer Freier tötete,<br />

wurde 1992 zum Tode verurteilt und zehn Jahre später hingerichtet. Der Prozess<br />

avancierte zu einem regelrechten Medienspektakel und verhalf nicht nur der<br />

Hauptverdächtigen, sondern auch ihrem Anwalt zu zweifelhafter Popularität, wie der<br />

Dokumentarfilmer Nick Broomfield in seinen beiden Portraits über Wuornos<br />

darlegte. 206 Zuletzt erinnerte der von Patty Jenkins im Jahre 2003 gedrehte Film<br />

„Monster“ mit Charlize Theron in der Hauptrolle an das Leben und die Hinrichtung<br />

von „Amerikas erster weiblicher Serienkillerin.“ Auch der Fall Wuornos’ beschreibt<br />

das Schicksal einer Frau, die sich mit ihrer Opferrolle nicht länger abfinden wollte.<br />

Aus Wuornos’ Lebensbeschreibungen und dem Film „Monster“ geht hervor, wie sich<br />

ein Mädchen fühlt, das am untersten Ende der sozialen Hierarchie steht: verletzt,<br />

mißbraucht, ausgenutzt, gedemütigt, verlassen und um die eigenen Lebensträume<br />

betrogen. Wie in Madonnas Video-Clip sieht Wuornos ihre einzige Möglichkeit, sich<br />

Mann erschießt. Für den Rest des Films werden sie vom FBI gejagt. Auf ihrer Flucht streben sie<br />

kompromisslos ihre Freiheit an und emanzipieren sich so von der Männerwelt. Am Ende ihres<br />

Rachefeldzugs, von männlichen Polizisten umstellt, entscheiden sie sich für den Selbstmord.<br />

205 Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 47. – Nach einer Vergewaltigung ermordet Nadine ihren Peiniger. Auf der<br />

Flucht trifft sie Manu, die ebenfalls Schlimmes erlebt hat. Die beiden Frauen begeben sich zusammen auf<br />

die Flucht durch die französische Provinz, wobei sie ein Leben jenseits aller Konventionen und<br />

Wertvorstellungen führen, aus dem es schließlich kein Zurück gibt. Auch hier steht am Ende der Tod, die<br />

Kapitulation.<br />

206 „Aileen Wuornos: The Selling of a Serial Killer“ (1992) und „Aileen: Life ans Death of a Serial Killer“<br />

(2003), Regie: Nick Broomfield. – Ebenfalls 1992 entstand unter der Regie von Jean Smart der<br />

Fernsehfilm „Overkill: The Aileen Wuornos Story“.<br />

94


in dieser als gewalttätig und rücksichtslos erfahrenen Welt zu behaupten, darin,<br />

männliches Verhalten anzunehmen: Sie verhält sich im Alltag wie ein Mann, kleidet<br />

sich wie ein Mann, geht wie Mann, lacht wie Mann, umgibt sich nur mit Männern,<br />

besucht Männer-Kneipen, trinkt Bier und Schnaps und erzählt Männer-Witze. Einzig<br />

ihr „Beruf“ und nicht zuletzt die Beziehung zu einer anderen Frau, von der sie zum<br />

ersten Mal in ihrem Leben Liebe erfährt, bringen sie immer wieder mit ihrer eigenen<br />

Weiblichkeit und ihrer emotionalen Seite in Konflikt.<br />

Wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels dargestellt, wurde die<br />

Verweigerung einer Ausstrahlung von „What It Feels Like A Girl“ von den<br />

Musiksendern mit dem Argument der darin zur Schau gestellten Gewalt begründet.<br />

Tatsächlich werden, wie die Clipbeschreibung darstellt, die entscheidenden Szenen<br />

jedoch gar nicht gezeigt. Doch gerade darin, dass die Auswirkungen der Gewalt für<br />

den Betrachter nicht sichtbar sind, sehen Medienwissenschaftler die eigentliche<br />

Gefahr, da auf diese Weise das Ausmaß und die Tragweite der Handlungen<br />

verharmlost bzw. heruntergespielt werde. Betroffen seien vor allem junge<br />

Rezipienten, deren soziale Kompetenz und ethisches Verantwortungsbewusstsein<br />

noch nicht voll ausgereift und bei denen das Gesehene daher zu<br />

Handlungsmodifikationen führen könnte. Im Bezug auf den oben besprochenen Clip<br />

könnte das zum Beispiel bedeuten, dass sich jugendliche Zuschauer, die sehen, wie<br />

eine Tankstelle „in die Luft“ geht und sich von der Darstellung ästhetisch<br />

angesprochen fühlen, dadurch zur Nachahmung animiert werden könnten.<br />

Es stellt sich allerdings die Frage, zu welchen Konsequenzen es in der<br />

Gesellschaft führen würde, wenn die Masse der täglich in Filmen und<br />

Fernsehsendungen konsumierten Gewaltdarstellungen in Taten umgesetzt würde.<br />

So scheint es eher plausibel hinsichtlich der Wirkungen von Videoclips von dem<br />

Verständnis eines eindimensionalen Ursache-Wirkung-Modells abzurücken. Darüber<br />

hinaus kann es nicht ausreichen, einzelne Bildelemente ― ähnlich wie Freud ― aus<br />

dem Gesamtzusammenhang zu isolieren und auf ihre einseitige Funktion als<br />

Symbole für gefährliche Triebwünsche zu reduzieren, etwa ein zertrümmertes Auto<br />

als Propagierung von Gewalt, oder hautenge Kleidung, rote Lippen und nackte Haut<br />

als Aufforderung zu Promiskuität.<br />

So scheint letztlich die Tatsache, dass eine Frau, die einen Rachfeldzug<br />

gegen die Männerwelt führt, die Musiksender dazu bewegt zu haben, den Clip nicht<br />

auszustrahlen. Obgleich Madonna einer von MTVs „Darlings“ ist, verbietet es ihr<br />

95


allein die simple Tatsache, dass sie eine Frau ist, ihre Meinung zu äußern ― ganz<br />

im Gegensatz zu den zahlreichen rappenden Männern, die den Betrachter nicht<br />

selten selbstverliebt an ihren intimsten Phantasien teilhaben lassen und dafür<br />

anerkennenden Beifall ernten. Auch das zeigt auf augenfällige Weise, „what it feels<br />

like for a girl“!<br />

Der Madonna Clip spiegelt den Zorn der Künstlerin über das nicht<br />

vorhandene Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern wieder. Andrew Morton<br />

erkennt in ihr eine „zeitgemäße Popversion von Puccinis Opernheldin Turandot“ 207 ,<br />

die sich an der Männerwelt rächt. Dabei stehen, so Morton, das Video „wie die<br />

ganze Bilderwelt ihres Drowned World-Konzertes völlig im Kontext der Themen, mit<br />

denen sie sich während der letzten vergangenen 20 Jahre beschäftigt hat.“ 208 Denn<br />

auch hier verhandelt sie die Beziehung zwischen den Geschlechtern, den<br />

geschlechtlichen Zwiespalt und den ungelösten Konflikt der Frau in der<br />

patriarchalen Gesellschaft, die durch und durch weiblich und sich ihrer Sexualität<br />

bewusst sein, doch zugleich die Kontrolle über ihr Leben haben will. War sie in<br />

ihrem „Drowned World / Substitute for Love“-Clip (1998, Clip 08) noch Opfer von<br />

der von Männern dominierten Massenmedien, so sei sie in „What It Feels Like For A<br />

Girl“ zur Rächerin geworden.<br />

Rache ist ein Thema, was sie in ihrer „Drowned World“-Tour 2001 noch<br />

weiter ausgebaut hat:<br />

In einer Szene erschießt Madonna ihren männlichen Peiniger, in einer anderen erhebt<br />

sie als rachsüchtige Geisha gekleidet das Schwert gegen ihren Angreifer. Bilder<br />

geschlagener Frauen [drängen] von Videoschirmen auf die Zuschauer ein. 209<br />

Die von Madonna kultivierte „Mrs. Ritchie“-Gestalt ist demnach genauso kalkuliert<br />

wie alle anderen Madonna-Gestalten auch.<br />

3. MADONNAS MACHT ÜBER DIE BILDER<br />

Diesmal fühlt es sich seltsam an, anders als sonst. Der Bedeutungs- und<br />

Zeichenkomplex „Madonna“ ist dabei, aktualisiert zu werden, aber das Wichtigste<br />

scheint irgendwie zu fehlen. Die Single „American Life“ steht in den Läden und läuft<br />

im Radio, ab Dienstag wird auch das gleichnamige Album zu haben sein ― aber dort,<br />

wo man das Zentrum vermutet, klafft eine riesige Lücke. [...] Madonna hat das<br />

Video, das ihr Image auf den Stand der Gegenwart gebracht hätte, praktisch<br />

207 Morton 2002, S. 410.<br />

208 Ebd., S. 409.<br />

209 Ebd., S. 410.<br />

96


während der Veröffentlichung schon wieder zurückgezogen. [...] Ein Madonna-Album<br />

ohne neue Madonna-Bilder hinterlässt eine frappierende Leere, die auch vom Rest<br />

des Popbetriebs nicht gefüllt werden kann. Da, wo sie noch vor kurzem war, klafft<br />

nun praktisch ein Krater, gefüllt mit nichts. 210<br />

Obgleich diese Zeilen, mit denen Tobias Kniebe seinen Artikel über die<br />

Veröffentlichung von Madonnas neuntem Album „American Life“ 211 in der<br />

Süddeutschen Zeitung vom 17. April 2003 einleitet, theatralisch anmuten, lassen<br />

sie dennoch erkennen, wie sehr der Madonna-Diskurs vom Visuellen bestimmt wird.<br />

„Hören statt sehen“, schreibt Der Spiegel, „das ist eine neue Dimension der<br />

Madonna-Rezeption, so erscheint es beinahe logisch, dass ‚American Life’ in vielen<br />

Kritiken schlechter abschneidet als die beiden vorherigen Alben ‚Ray Of Light’ und<br />

‚Music’“. 212<br />

Das Cover (Anhang I, Abb. 09) zeigt ein schwarz-weißes, im Siebdruck-Stil<br />

gehaltenes Portrait der Künstlerin, das durch Kappe, Haltung und Mimik an das<br />

berühmte Konterfei des kubanischen Guerillakämpfers und Revolutionärs Ernesto<br />

„Che“ Guevara erinnert ― seit den 1960er Jahren, vor allem bei der politisch<br />

Linken, ein Symbol für Widerstand ―, wodurch offensichtlich die Stoßrichtung<br />

vorgegeben werden soll: Zwei blutrote Streifen ziehen sich auf Höhe des linken<br />

Auges und der Stirn als einzige farbliche Elemente über das Portrait, während im<br />

Hintergrund eine zerrissene, stilisierte amerikanische Flagge zu erkennen ist. Das<br />

dazugehörige Video wurde allerdings nach nur einem Tag Ausstrahlung „[o]ut of<br />

respect for armed forces“ von Madonna wieder zurückgezogen 213 , denn der Clip<br />

zeigt die Künstlerin, wie sie als „paramilitärische Kämpferin über den Laufsteg<br />

flaniert und mit drastischen Bildern die Kriegstreiberei George W. Bushs anprangert<br />

[...]“ 214 ― offensichtlich eine zu große Zumutung für den amerikanischen<br />

Durchschnittskonsumenten.<br />

Durch das Zurückziehen des Videos verzichtete sie auf einen wesentlichen<br />

Teil ihrer Performance, der dazu hätte beitragen können, die „neue“ Madonna zu<br />

verorten ― eine Tatsache, die bei Kniebe zu einer „irrationalen Sehnsucht nach<br />

Madonna-Bildern“ führt. Seiner Meinung nach hätte ein Videoclip „vielleicht alles<br />

210<br />

Kniebe, Tobias: „Madonnas Neue“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.04.2003.<br />

211<br />

Produziert von Madonna und Mirwais Ahmadzai, mit dem sie schon bei ihrem letzten Album „Music“<br />

zusammengearbeitet hat.<br />

212<br />

Borcholte, Andreas: „Madonnas ‚American Life’. Adieu Jugendwahn“, in: Spiegel online vom<br />

23.04.2003, http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,245642,00.html, Zugang: 29.06.2005.<br />

213<br />

Vgl. Mertin, Andreas: „Abgesang einer Madonna“, in: Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003,<br />

http://theomag.de/23/am92.htm; Zugang: 14.06.2005.<br />

214<br />

Borcholte 2003.<br />

97


geklärt [was durch Musik und Text des neuen Albums allein eben unklar geblieben<br />

ist; Anmerkung d.V.], genial auf den Punkt gebracht und eine gültige Madonna für<br />

die nächsten Monate geschaffen“ 215 ; denn dass die Bilder dem jeweiligen Song<br />

oftmals erst die eigentliche Bedeutung verleihen, konnte an allen im Zentrum<br />

dieser Arbeit stehenden Videoclips aufgezeigt werden.<br />

Die Madonna-Rezeption ist ― wie in den obigen Zitaten stellvertretend für<br />

den Madonna-Diskurs zum Ausdruck gebracht wurde ― in erster Linie eine visuelle,<br />

wobei die materiale Beschaffenheit ihrer Musik und ihre Qualitäten als Sängerin von<br />

nur sekundärem Interesse waren und sind. So vertritt Laurenz Volkmann auch die<br />

Meinung, dass<br />

Madonna [...] wohl mit ihrer dünnen Trällerstimme und den zweideutigen Texten<br />

eines der damaligen One-Hit-Wonders geblieben [wäre], eine Pop-Saisongröße wie<br />

die Go-Go’s, Bananarama, die Bangles, Cyndi Lauper [...], hätte sie nicht passend<br />

zum neuen Medium MTV ein visuelles Image kreiert, das von Pop-Journalisten als<br />

Auftritt eines grellen Nightlife-Girls beschrieben wurde, wie bei „dem Mädchen von<br />

der Straße, mit dem freien Bauchnabel und den ausgefallenen Oberteilen, mit den<br />

Netzröcken, den dicken Socken, den Kruzifix-Ohrringen und den unzähligen Gummi-<br />

Armreifen.“ 216<br />

Das Medium Videoclip wurde von Anfang an von Madonna genutzt, um ihre<br />

Popularität aufzubauen, ihr jeweiliges Image zu kreieren und umzuwandeln. Die<br />

Wandelbarkeit der Kunstfigur Madonna ist ihre zentrale Eigenschaft und<br />

wahrscheinlich auch der wichtigste kommerzielle Aspekt des bis heute fast<br />

lückenlos erfolgreichen Stars. So hebt Claudia Bullerjahn als Madonnas<br />

wesentlichstes, verkaufsförderndes Merkmal ihre „chamäleonartige visuelle<br />

Wandlungsfähigkeit“ hervor 217 , während Boris Penth und Natalia Wörner in ihr „die<br />

wandelbarste Projektionsfläche in Form eines menschlichen Stars“ 218 erkennen, die<br />

dieses Jahrhundert geschaffen hat.<br />

Mit ihrer unerschöpflichen Verwandlungsfähigkeit fordert sie den Betrachter<br />

jedes Mal wieder heraus, sie als Künstlerin neu zu begreifen. 219 Bullerjahn erkennt<br />

in diesen fortwährenden Imagewechseln eine Möglichkeit, das „Produkt Madonna“<br />

215<br />

Kniebe 2003.<br />

216<br />

Voller, Debbi: Madonna. Eine illustrierte Biographie von Debbi Voller, Rastatt: Moewig 1990 [engl.<br />

Original 1988], S. 48; zit.n. Volkmann.<br />

217<br />

Bullerjahn 2001, S. 217.<br />

218<br />

Penth, Boris/Wörner, Natalia: „Das elfte Gebot: Madonna Ciccone“, in: Diederichsen,<br />

Diedrich/Dormagen, Christel/Penth, Boris/Wörner, Natalia: Das Madonna Phänomen, Hamburg 1993, S.<br />

28.<br />

219<br />

Vgl. Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen,<br />

Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München: Schirmer/Mosel<br />

2002, S. 204. – Wie der Titel dieses Aufsatzes schon andeutet, wird Madonnas Aneignung von Images<br />

populärer Stars (Monroe, Dietrich, Minelli, Hayworth, ...), die die Einzigartigkeit eines Stars damit als<br />

eine Täuschung enttarnt, oftmals mit den Fotoaufnahmen Cindy Shermans verglichen, in denen sie<br />

verkleidet Posen verschiedener Hollywoodstars der fünfziger Jahre einnimmt.<br />

98


immer wieder neu beim Konsumenten anpreisen zu können, und mit jeder neuen<br />

Single, jedem dazugehörigen Clip und jedem Album die Erwartungshaltung bei Fans<br />

und Kritikern zu erhöhen. Sie vergleicht dieses Marketing-Konzept mit der<br />

Vermarktung von Alltagsgegenständen, bei denen ebenfalls von Zeit zu Zeit das<br />

Design verändert werden müsste, um es für den Verbraucher erneut interessant<br />

wirken zu lassen und ihn zum kaufen zu bewegen. 220<br />

Durch ihre Musikvideos hat Madonna von Anfang an „Einblick in die<br />

Herstellung ihres Starkörpers geboten.“ 221 Das Musikvideo versteht sie, wie sie<br />

selbst erklärt, „als filmischen Ausdruck ihrer Songs, als lyrische Kurzform des<br />

Spielfilms, die das visuell umsetzt, wovon der Song erzählt.“ 222 Das Musikvideo ist<br />

das Medium, in dem sie<br />

unter eigener Regie das Spiel zwischen Macht und Lust für die Definition weiblicher<br />

Subjektivität erproben, weibliche Stereotypen auf die Spitze treiben und fröhlich<br />

demontieren, und die Blickverhältnisse kritisch beleuchten, die in konventionellen<br />

Darstellungen weiblicher Stars wirksam sind. 223<br />

In den Clips ist es ihr möglich, die geschlechtlichen Identitäten als Maskeraden<br />

durchzuspielen und die fließenden Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit<br />

(„Express Yourself“ und „What It Feels Like For A Girl“) aufzuzeigen. Madonnas<br />

Maskerade der exzessiven Weiblichkeit, wie sie sie z.B. in den frivolen Dessous<br />

eines Jean-Paul Gautier inszeniert, bewirkt eine Kritik der „natürlichen“<br />

Geschlechtsunterschiede; denn eine solche Darstellung verweist auf die soziale<br />

Konstruktion der Geschlechtsunterschiede, im Gegensatz zur natürlichen<br />

Determination. Sie trägt nicht nur „Weiblichkeit als Maskerade“ („Open Your<br />

Heart“), sondern auch „Männlichkeit als Maskerade“ („Justify My Love“), wie<br />

Corinna Herr in ihrem Aufsatz darstellt. 224 Dieser Austausch von Masken erfolgt<br />

entweder zwischen ihren Auftritten, oder aber innerhalb einer einzelnen<br />

Performance, wie etwa in „Express Yourself“.<br />

Madonna sucht in ihren Videobildern nach einer erotischen Sprache, die die<br />

Frau nicht zwangsläufig zum Sexualobjekt degradiert. Indem sie Körpergrenzen<br />

überreitet und durch immer wieder neue Inszenierungen die unerschöpfliche Vielfalt<br />

an Möglichkeiten der Imagekonstruktionen darstellt, zeigt sie auf, dass es keine<br />

essentiellen Kategorien von Geschlechtlichkeit gibt. So ist es kein Widerspruch,<br />

220<br />

Vgl. Bullerjahn 2001, S. 217.<br />

221<br />

Bronfen 2002, S. 208.<br />

222<br />

Ebd.<br />

223<br />

Ebd.<br />

224<br />

Vgl. Herr 2003, S. 343 ff.<br />

99


wenn sich das „Girlie“ zur Domina, danach zur Mystikerin und zur Auftragskillerin<br />

entwickelt. Madonna hat viele Gesichter. 225 Sie erscheint in immer wieder neuen,<br />

dem Zeitgeist entsprechenden Erscheinungen, womit sie sich als Künstlerin nicht<br />

nur ― wie oben ausgeführt ― immer wieder neu „erfindet“, sondern auch auf die<br />

Schnelllebigkeit der Medienkultur reagiert. Die Popbranche lebt von der<br />

Veränderung, der Madonna ihre <strong>wechselnde</strong>n Weiblichkeitsinszenierungen<br />

entgegensetzt. Denn durch die stete Wiederholung in Radio, Fernsehen und<br />

Internet, in der sie „on heavy rotation“ zu hören und sehen ist, nutzen sich die<br />

Bilder schnell ab und nicht nur ihre Attraktivität, sondern vor allem ihre Wirkkraft.<br />

Durch ihre permanenten kreativen Imagewechsel entgeht Madonna der<br />

nivellierenden Wirkung durch die postmodernen Medien.<br />

Heinz Geuen und <strong>Michael</strong> <strong>Rappe</strong> sprechen von einer „chromatischen<br />

Identität der Pop-Künstlerin Madonna.“ 226 Damit bezeichnen sie<br />

die Facetten einer permanenten musikalischen und visuellen Neu-Konstruktion, die<br />

soziokulturell geprägte Stile und Habitualisierungen ebenso umfasst wie<br />

Versatzstücke von Kunst und Mode und sich dabei genauso eindeutig wie in den<br />

Mainstream-Traditionen des Pop bewegt wie in deren Randbereichen. 227<br />

Dabei spiele die Visualisierung eine zentrale Rolle, wenn auch nicht die<br />

ausschließliche. 228<br />

Der Videoclip ist allerdings das ideale Medium für eine Künstlerin, die auf simultanen<br />

Ebenen musikalische, narrative und symbolische Strukturen aufspaltet und so eine<br />

permanente polysemantische Multidiskursivität erreicht, mit der sie ihr Thema ―<br />

Macht, Kontrolle und Unterwerfung ― stets aufs Neue inszeniert. 229<br />

So konnte aufgezeigt werden, dass es in all ihren unterschiedlichen Visualisierungen<br />

dennoch immer um die Themen um Macht und Kontrolle geht, das dem jeweiligen<br />

Image entsprechend in einer anderen Variation erscheint. So ist es in „Burning Up“<br />

die Kontrolle über den Look, in „Express Yourself“ die sexuelle Selbstbestimmtheit<br />

und Unabhängigkeit, die ihr die Macht verschafft. In „Frozen“ sind es<br />

Lebensweisheit und Naturverbundenheit, und in „What It Feels Like For A Girl“ die<br />

Dekonstruktion des männlichen Geschlechts durch einen ― wenn auch zynisch<br />

konnotierten ― Rollentausch.<br />

225<br />

„Alle Charaktere, die ich mir ausdenke, sind Teile von mir. Selbst wenn ich lüge ― die Lüge, die man<br />

sich aussucht, erzählt viel über einen selbst.“ Madonna in einem Interview mit Detlef Diederichsen, in:<br />

Diederichsen, Detlef: „Es gibt keine Grenzen“, in: Die Woche vom 21.10.1994.<br />

226<br />

Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 51.<br />

227<br />

Ebd.<br />

228<br />

So zeige das Album „Music“ „einen Grad musikalischer Autonomie Madonnas, der in früheren<br />

Veröffentlichungen kaum je erreicht worden war.“ Ebd.<br />

229<br />

Ebd.<br />

100


Den Widerspruch zwischen dargestellter Person und Darstellerin setzt sie<br />

dabei selbstbewusst ein, indem sie ihren Inszenierungen immer die Person der<br />

disziplinierten Künstlerin gegenüberstellt. Dabei streicht sie deutlich heraus, dass<br />

sie alle Entscheidungen ― vom Entwurf über die Produktion bis zur Vermarktung<br />

ihres Starkimages ― selbst trifft. Sie hat die Kontrolle über alles, was sie tut. 230 Im<br />

Hinblick auf diese höchst perfektionierte Form der Selbstbestimmung spricht<br />

Claudia Bullerjahn deshalb auch von der „Macht der Selbsterfindung“ 231 , der sich<br />

die Künstlerin bediene, um die Kontrolle über ihr Image zu wahren; und nach John<br />

Fiske beruht Madonnas Attraktivität für ihre Fans „weitgehend auf ihrer Kontrolle<br />

über ihr eigenes Image und ihrer Bekräftigung ihres Rechtes auf eine unabhängige<br />

feminine Sexualität.“ 232<br />

Die Bilder des „Produktes Madonna“, die zwischen Macht und Unterwerfung,<br />

Sexualsubjekt und –objekt hin und herpendeln, entziehen sich einer eindeutigen<br />

Lesart. Die Entschlüsselung hängt von verschiedensten Faktoren wie der sozialen<br />

Herkunft, dem Bildungsniveau und persönlichen Erfahrungen des Rezipienten ab.<br />

Dies bedeutet, dass Madonna-Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />

wahrgenommen werden können.<br />

Ein Beispiel für eine absolut konträre Wahrnehmung von Madonna-Bildern<br />

bietet die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks, die in einem<br />

Artikel mit der Überschrift „Sklavenhalterin oder Soul Sister?“ 233 „Madonnas<br />

vermeintlich feministisches Programm der sexuellen Befreiung als Adaption<br />

männlicher Sexualität [beschreibt], die diese für ihre mittelschichtorientierte<br />

Aufstiegsideologie funktionalisiere.“ 234 So ist nach Hooks „die künstlerische<br />

Adaption von Ausdrucksformen der schwulen Subkultur [...] von männlicher<br />

Sexualität dominiert“, so dass sie zu dem Schluss kommt, „dass von<br />

emanzipatorischem Denken bei Madonna nicht im Entferntesten die Rede sein<br />

könne.“ 235<br />

230<br />

Auf diese Weise unterlaufe sie den „Mythos des spontanen, authentischen Rock-’n’-Roll-Musikers.“<br />

Bronfen 2002, S. 206. - Nach Lisa A. Lewis verkörpert sie deshalb das kulturelle Phänomen des „Pop“,<br />

denn die Popkultur erhebt nicht, im Gegensatz zum „Rock“, den Anspruch auf Authentizität des<br />

Rockmusikers, die Übereinstimmung von öffentlichem Image und persönlicher Subjektivität. Vgl. Lewis,<br />

Lisa A.: „Gender Politics And MTV: Voicing The Difference” (1990), in: Benson, Carol/Metz, Allan (Hrsg.):<br />

The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 229.<br />

231<br />

Bullerjahn 2001, S. 223.<br />

232<br />

Fiske 2003, S. 133.<br />

233<br />

Vgl. Hooks, Bell: „Madonna. Sklavenhalterin oder Soul Sister?“, in: Dies. (Hrsg.): Black Looks.<br />

Popkultur ― Medien ― Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994, S. 194-203.<br />

234<br />

Geuen/<strong>Rappe</strong> 2003, S. 50.<br />

235<br />

Ebd., S. 50 f.<br />

101


Somit ist es gerade und vor allem die in Madonnas Songs und Musikvideos<br />

angelegte Mehrdeutigkeit, die ihr zum Erfolg verholfen hat, denn Ambivalenz<br />

eröffnet den größten Zuschauerkreis. So ist es möglich, dass sowohl Teenager, als<br />

auch junge Frauen, Männer, Feministinnen und Wissenschaftler Anknüpfungspunkte<br />

finden. So bezeichnet Claudia Bullerjahn die Videobilder Madonnas auch als<br />

„Vexierbilder“,<br />

die je nach Standpunkt des Betrachters in ihrer Bedeutung „umkippen“. Sie sind im<br />

Sinne Umberto Ecos (1977) „offene Kunstwerke“. Es macht die Popularität von<br />

Madonnas Videos aus, dass sie auch aus patriarchalem Blickwinkel rezipiert werden<br />

können. 236<br />

Somit verfehlen ihre Videoclips jede klare Aussage und erlauben eine mehrdeutige<br />

Auslegung. Dabei ist die Mehrdeutigkeit postmoderner Texte nicht als ein Makel zu<br />

betrachten. Die Bedeutungen eines Clips liegen nicht im Clip selbst, sondern in der<br />

Praxis, d.h. in dessen Rezeption, denn die Wirkungen eines Clips werden im Diskurs<br />

um den jeweiligen Star festgelegt. Clips, die von MTV mit der Zensur belegt<br />

werden, sind besonders wirkungsvoll, weil sie dadurch zum Gegenstand lebhafter<br />

Diskussionen werden. Am Beispiel von „Justify My Love“ konnte darüber hinaus<br />

dargestellt werden, wie die Künstlerin jeden Skandal geschickt zu<br />

Selbstvermarktungszwecken nutzt; denn ihre umstrittensten Clips ― neben dem<br />

oben genannten außerdem die zu den Songs „Erotica” (1992) 237 und „What It Feels<br />

Like For A Girl“ ― verkauften sich aufgrund des Verbots noch besser, als sie es<br />

vermutlich ohne einen handfesten Skandal im Hintergrund getan hätten.<br />

Nach fast einem Vierteljahrhundert steht die Künstlerin Madonna noch<br />

immer an der Spitze des Musikgeschäfts, hat alle Medienskandale erfolgreich<br />

überlebt und es gleichzeitig geschafft, mit ihrer Musik aktuell zu bleiben. Auch für<br />

das Ende diesen Jahres hat sich wieder eine „neue“ Madonna angekündigt. So<br />

schrieb schon 1994 Thomas Groß in seiner Rezension in der taz zu Madonnas Album<br />

„Bedtime Stories“, dass es fast so scheine, als sei nicht Madonnas „offensives Sex-<br />

Posing ihr größter Tabubruch, sondern die pure Weigerung, von der Bildfläche zu<br />

verschwinden.“ 238<br />

236 Bullerjahn 2001, S. 257 f.<br />

237 Regie: Fabien Baron, 1992, aus: „Erotica“.<br />

238 Groß, Thomas: „Kein böser Blick“, in: taz Nr. 4454 vom 28.10.1994.<br />

102


4. AUSBLICK UND SCHLUSSWORT<br />

Seit einiger Zeit überschlagen sich die Nachrichten bezüglich des Mitte<br />

November diesen Jahres erwarteten neuen Album von Madonna. Ihre Homepage<br />

kündigt an, dass sie mit diesem Album mit dem sprechenden Titel „Confessions On<br />

A Dancefloor“ zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehre, wobei die Songs eine<br />

Giorgio-Moroder- 239 und Abba-Nostalgie mit „future-music“ verbänden. Das Cover<br />

zum Album, 240 das dort ebenfalls bereits abgebildet ist, 241 zeigt die Künstlerin mit<br />

orange-rot gelocktem, wallendem Haar, gekleidet in eine pinkfarbene Chiffonbluse<br />

mit Puffärmeln, ein pinkfarbenes Höschen und pinkfarbene Glitzerpumps und ―<br />

„very british“ ― sehr viel weiße Haut zeigend. Mit dem Rücken zur Kamera eine<br />

artistische Pose einnehmend ― das linke Bein und der linke Arm sind nach hinten<br />

geschwungen ―, scheint sie gleichsam durch den Diskohimmel zu schweben, den<br />

Kopf in einer exstatischen Geste in den Nacken geworfen, so dass ihr Gesicht nur<br />

andeutungsweise zu erkennen ist. Darunter steht in großen Lettern, die an die<br />

Schriftzüge ihrer Discojahre erinnern, der Name der Künstlerin, wobei der<br />

Buchstabe „O“ zu einer Diskokugel stilisiert ist.<br />

Somit scheint sich der Kreis zu schließen. Im 21. Jahrhundert, nach neun<br />

Alben und unzähligen Images, kehrt die Künstlerin Madonna dorthin zurück, wo ihre<br />

Karriere begann: In das New York der frühen 1980er Jahre, zurück zu den<br />

Vorläufern von House-Music, in die damalige Club-Community, wo sie als junge,<br />

toughe Frau mit großen Ambitionen und einfachen Pop-Tanzstücken entdeckt<br />

wurde.<br />

Neue Videobilder werden wieder eine neue Madonna hervorbringen, die<br />

„Altes“ und „Neues“ kunstvoll zu verbinden weiß, und zumindest für die nächsten<br />

Monate Gültigkeit hat; und es werden sich auch weiterhin Madonna-Biografien mit<br />

der Frage beschäftigen, welches Image denn nun der „echten“ Madonna Louise<br />

Veronica Ciccone entspricht, obgleich der Selbstentwurf der Künstlerin die<br />

Möglichkeit einer Biografie ausschließt. Denn die „echte“ Madonna hinter all ihren<br />

Inszenierungen zu finden scheint aussichtslos. Wie soll man sich auch einem Star<br />

nähern, der sich seine ganze Karriere lang mit der Veränderung seines<br />

künstlerischen Images beschäftigt hat und dessen Wandlungsfähigkeit zu seinem<br />

Markennamen wurde? Abgesehen davon scheinen all diese Biografen, die ―<br />

239 Giorgio Moroder, Südtiroler Produzent, verschaffte der Disco Queen Donna Summer 1975 mit dem<br />

von ihm produzierten Song „Love to Love You, Baby“ einen Hit.<br />

240 Coverartwork gestaltet von Steven Klein und Giovannin Bianco.<br />

241 http://home.madonna.com/MADONNA_COVER_NEW_g_flat.jpg<br />

103


„desperately seeking...“ ― auf der Spur einer ominösen „Wahrheit“ bleiben, die<br />

Tatsache zu übersehen, dass die unterschiedlichen Frauenfiguren, aus denen das<br />

Produkt „Madonna“ sich zusammensetzt, nur die Erfindung einer durchaus<br />

kreativen und kritischen Künstlerin, aber noch viel versierteren Geschäftsfrau und<br />

Marketingexpertin sind, die mit der Privatperson Mrs. Ritchie, geborene Madonna<br />

Louise Veronica Ciccone, nur den Namen teilt.<br />

104


5. QUELLENVERZEICHNIS<br />

Literatur<br />

Altrogge, <strong>Michael</strong>: “…wo alles drunter und drüber geht”. Zur Ordnung und Wahrnehmung von Musik<br />

und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung für Jugendkulturen. Inaugural-Dissertation zur<br />

Erlangung des Doktorgrades der Philosophie am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I<br />

der Freien Universität Berlin 1996.<br />

Ders.: Tönende Bilder. Interdisziplinäre Studie zu Musik und Bildern in Videoclips und ihrer Bedeutung<br />

für Jugendliche, Bd. 2: Das Material: Die Musikvideos, Berlin: Vistas Verlag 2000.<br />

Bechdolf, U.: „Music Video Histories. Geschichte ― Diskurs ― Geschlecht“, in: Hackl, C./Prommer,<br />

E./Scherer, B. (Hrsg.): Models und Machos? Frauen- und Männerbilder in den Medien, Konstanz<br />

1996, S. 277-299.<br />

Bego, Mark: Madonna. Who’s That Girl? Andrä-Wördern 1992.<br />

Beier, Lars-Olav/Wellersdorf, Marianne: „Die Entfesselung der Kamera“, in: Der Spiegel 1/2004.<br />

Blümner, Heike: „Madonna, Mond und Sterne“, in: taz Nr. 5481 vom 13.03.1998.<br />

Bódy, Veruschka/Weibel, Peter (Hrsg.): Clip, Klap, Bum: Von der visuellen Musik zum Musikvideo,<br />

Köln 1987.<br />

Böker, Carmen: „Wenn es Trend ist, hat es Madonna“, in: Berliner Zeitung vom 25.09.2000.<br />

Borcholte, Andreas: „Madonnas ‚American Life’. Adieu Jugendwahn“, in: Spiegel online vom<br />

23.04.2003, http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,245642,00.html, Zugang: 29.06.2005.<br />

Bronfen, Elisabeth: „Von der Diva zum Megastar ― Cindy Sherman und Madonna“, in: Bronfen,<br />

Elisabeth/Strautmann, Barbara: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München:<br />

Schirmer/Mosel 2002, S. 195-217.<br />

Bullerjahn, Claudia: „Populäres und Artifizielles in den Musikvideos von Madonna“, in: Bullerjahn,<br />

C./Erwe, H.-J. (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und<br />

Erscheinungsformen, Hildesheim u.a.: Georg Olms Verlag 2001, S. 203-268.<br />

Chambers, I.: Popular Culture: The Metropolitan Experience, London 1986.<br />

Clerk, Carol: Madonna-Style, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2002.<br />

Curry, Ramona: „Madonna von Marylin zu Marlene: Pastiche oder Parodie?“, in: Neumann-Braun, Klaus<br />

(Hrsg.): Viva MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, S. 175-204.<br />

Daniels, A.: „Die Genesis eines Popvideos“, in: Bódy, V./Weibel, P. (Hrsg.): Clip, Klapp, Bum. Von der<br />

visuellen Musik zum Musikvideo, Köln 1987, S. 182-195.<br />

Diederichsen, Detlef: „Es gibt keine Grenzen“, in: Die Woche vom 21.10.1994.<br />

Dyer, Richard: Heavenly Bodies: Film Stars and Society, New York 1986.<br />

Ders.: Stars, London 1979.<br />

Farber, Jim: „The 100 top music videos“, Rolling Stones, October 14/1993, in: Reiss, Steve/Feinemann,<br />

Neil (Hrsg.): Thirty Frames Per Second. The Visionary Art Of The Music Video, New York: Abrams<br />

2000, S. 24 ff.<br />

Fink, <strong>Michael</strong>: Inside the Music Business, New York 1989.<br />

Fiske, John: Lesarten des Populären. Cultural Studies Bd. 1 (1989), hrsg. von: Lutter,<br />

Christina/Reisenleitner, Markus, Wien: Löcker Verlag 2003.<br />

105


Geuen, Heinz/<strong>Rappe</strong>, <strong>Michael</strong>: „Chromatische Identität und Mainstream der Subkulturen. Eine<br />

audiovisuelle Annäherung an das Stilphänomen Madonna am Beispiel des Songs ‚Music’“, in: Helms,<br />

Dietrich/Phleps, Thomas (Hrsg.): Clipped Differences ― Geschlechterrepräsentationen im<br />

Musikvideo, Bielefeld: Transcript Verlag/ASPM Beiträge zur Popularmusikforschung 31, 2003, S. 41-<br />

53.<br />

Geuen, Heinz: „BilderHören und MusikSehen: Musikverstehen im Medienkontext“, unveröffentlichter<br />

Vortrag im Rahmen der Arbeitstagung „Jugend, Kultur und Kreativität. Suche nach neuen Praktiken<br />

des Lernens und Lehrens“ vom 18.-20. Juli 2005 an der Musikhochschule Köln.<br />

Glogauer, Werner: „Sex und Gewalt als auffälligste Inhalte von Videoclips“, in: Musik und Bildung<br />

20/1988, Heft 11, S. 835-840.<br />

Goodwin, A.: Dancing in the Distraction Factory. Music Television and Popular Culture, London 1992.<br />

Graves, Barry/Schmidt-Joos, Siegfried/Halbscheffel, Bernward: Rock-Lexikon, Bd. 2, Reinbek bei<br />

Hamburg: Rowohlt Verlag 1998.<br />

Grigat, Nicoläa: Madonna Bilder. Dekonstruktive Ästhetik in den Videobildern Madonnas, Frankfurt a.M.<br />

u.a. 1995.<br />

Groß, Thomas: „Kein böser Blick“, in: taz Nr. 4454 vom 28.10.1994.<br />

Herr, Corinna: „Madonnas Maskeraden im Kontext von Gender und Hermetik“, in: Hochschule für Musik<br />

und Theater Hannover/Beyer, Kathrin/Kreutziger-Herr, Annette (Hrsg.): Musik. Frau. Sprache.<br />

Interdisziplinäre Frauen- und Genderforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover,<br />

Herbolzheim: Centaurus Verlag 2003, S. 343-356.<br />

Hooks, Bell: „Madonna. Sklavenhalterin oder Soul Sister?“, in: Dies. (Hrsg.): Black Looks. Popkultur ―<br />

Medien ― Rassismus, Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994, S. 194-203.<br />

Hurte, <strong>Michael</strong>: Musik, Bild, Bewegung. Theorie und Praxis auditiv-visueller Konvergenzen, Bonn:<br />

Verlag für Systematische Musikwissenschaft 1982.<br />

Huyssen, Andreas: “The Vamp and the Machine: Fritz Lang’s Metropolis”, in: Ders: (Hrsg.): After the<br />

Great Divide. Modernism, Mass Culture, Postmodernism, Houndmills u.a. 1986, S. 45-81.<br />

Kaplan, E.A.: Rocking Around the Clock. Music Television, Postmodernism and Consumer Culture,<br />

London 1987.<br />

Karnik, Olaf: „Musikvideo ― Hybrid im Spannungsfeld von Popmusik und Kurzfilm, Musikindustrie und<br />

Musikfernsehen“, aus: http://www.miz.org/musikforum/mftxt/mufo9414.htm; Zugang: 18.11.2003.<br />

Kniebe, Tobias: „Madonnas Neue“, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.04.2003.<br />

Lewis, Lisa A.: „Gender Politics And MTV: Voicing The Difference” (1990), in: Benson, Carol/Metz, Allan<br />

(Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999, S. 226-232.<br />

Maas, Georg: „Videoclips. Gegenwartskunst oder Gefahr für die Jugend?“, in: Musik und Unterricht<br />

51/1998, S. 5-12.<br />

Mc Luhan, Marshall: „Das Medium ist die Message“, in: Baltes, Martin/Höltschl, Rainer (Hrsg.):<br />

Absolute Marshall Mc Luhan, Freiburg: orange press 2002.<br />

Mertin, Andreas: „Abgesang einer Madonna“, in: Magazin für Theologie und Ästhetik 23/2003,<br />

http://theomag.de/23/am92.htm; Zugang: 14.06.2005.<br />

Morton, Andrew: Madonna, Frankfurt a.M.: Fischer Verlag 2002.<br />

Müller, Renate: „Geschlechtsspezifisches Umgehen mit Videoclips: Erleben Mädchen Videoclips<br />

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Musikpädagogische Forschung Bd. 17 1996, S. 73-93.<br />

Netzeitung. http://www.netzeitung.de; Zugang: 19.03.2001.<br />

106


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Neumann-Braun/Schmidt, Axel: „McMusic. Einführung“, in: Neumann-Braun, Klaus (Hrsg.): Viva<br />

MTV! Popmusik im Fernsehen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1999, 7-42.<br />

Patalas, Enno: Metropolis in/aus Trümmern. Eine Filmgeschichte, Berlin: Bertz 2001.<br />

Penth, Boris/Wörner, Natalia: „Das elfte Gebot: Madonna Ciccone“, in: Diederichsen,<br />

Diedrich/Dormagen, Christel/Penth, Boris/Wörner, Natalia: Das Madonna Phänomen, Hamburg<br />

1993, S. 26-88.<br />

Pfister, René: „Alles gezeigt, was es zu zeigen gibt. Stockender Verkauf, geringes Interesse am neuen<br />

Film ― der Markenartikel ‚Madonna’ ist out“, in: SonntagsZeitung vom 14. Februar 1993, S. 18 f.<br />

Rösing, Helmut: „Bilderwelt der Klänge, Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der<br />

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transcript 2003, S. 9-25.<br />

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1900 to 1984, Oxford: Oxford University Press 1988.<br />

Schenk, Imbert: Dschungel Großstadt: Kino und Modernisierung, Marburg 1999.<br />

Schmidt, Axel: „Sound and Vision Go MTV ― die Geschichte des Musiksenders bis heute”, in:<br />

Neumann-Braun/Schmidt 1999, S. 93-131.<br />

Schmiedke-Rindt, Carina: „Express Yourself ― Madonna Be With You”. Madonna-Fans und ihre<br />

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Sierek, K.: „Monolog und Ekstase ― Zum Bildbau im Musikclip“, in: Faulstich, W./Schäffner, G. (Hrsg.):<br />

Die Rockmusik der 80er Jahre, 4. Lüneburger Kolloquium der Medienwissenschaften, Bordowick<br />

1994, S. 186-197.<br />

Turim, M.: “Gesang der Frauen, Gesten der Frauen”, in: Frauen und Film 58/59 1996, S. 25-43.<br />

Volkmann, Laurenz: „Madonna und postmoderne Identitätskonstruktionen: Die Warenlogik der<br />

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http://www.gradnet.de/papers/pomo2.archives/pomo99.papers/volkmann99.htm, Zugang:<br />

28.04.2005.<br />

Voller, Debbi: Madonna. Eine illustrierte Biographie von Debbi Voller, Rastatt: Moewig 1990 (engl.<br />

Original 1988).<br />

Watts, Mark: „Electrifying Fragments: Madonna And Postmodern Performance (1996)“, in: Benson,<br />

Carol/Metz, Allan (Hrsg.): The Madonna Companion. Two Decades Of Commentary, New York 1999,<br />

S. 290-301.<br />

Wicke, Peter: Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig: Gustav<br />

Kiepenheuer Verlag 1998.<br />

Wieland, Karin: „Madonna aus der neuen Welt“, in: Der Alltag 66 (1994), S. 65-80.<br />

Internetadressen<br />

http://madonna.com<br />

http://home.madonna.com/MADONNA_COVER_NEW_g_flat.jpg<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/042406_viva.html;<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041711_viva_viacom.html;<br />

http://www.medienmaerkte.de/artikel/free/041606_viva.html<br />

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Clip-Liste<br />

01. Burning Up (1983, Regie: Steve Barron, aus: Madonna. The First Album)<br />

02. Lucky Star (1984, Regie: Arthur Pierson, aus: Madonna. The First Album)<br />

03. Like A Virgin (1984, Regie: Mary Lambert, aus: Like A Virgin)<br />

04. Open Your Heart (1986, Regie: Jean-Baptiste Mondino, aus: True Blue)<br />

05. Express Yourself (1989, Regie: David Fincher, aus: Like A Prayer)<br />

06. Justify My Love (1990, Regie: Jean-Baptiste Mondino, aus: The Immaculate Collection)<br />

07. Frozen (1998, Regie: Chris Cunningham, aus: Ray Of Light)<br />

08. Drowned World/Substitute For Love (1998, Regie: Walter Stern, aus: Ray Of Light)<br />

09. Music (2000, Regie: Jonas Akerlund, aus: Music)<br />

10. What It Feels Like For A Girl (2001, Regie: Guy Ritchie, aus: Music)<br />

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