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Freiheit im Neuen Testament und in
Freien evangelischen Gemeinden
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Christsein Heute 11/2011

Verbunden
Dr. Wilfrid Haubeck ist Dozent des
Theologischen Seminars Ewersbach.
Die Freiheit ist für Freie evangelische
Gemeinden ein hoher Wert, der wohl
auch deshalb an erster Stelle in ihrem
Namen steht. Gerne begründet man ihn auch
biblisch. Ich nenne dafür beispielhaft zwei Stellen.
Hartmut Weyel schreibt in seinem Buch
„So stell’ ich mir Gemeinde vor“: „Gemeinden,
in denen der Geist des Herrn wirkt, gewähren
‚die herrliche Freiheit der Kinder Gottes‘ (Römer
8,21) allen ihren Gliedern“ (Seite 107). In Römer
8,21 ist allerdings mit der herrlichen Freiheit der
Kinder Gottes die Befreiung von der Vergänglichkeit
und ihre Verherrlichung gemeint, die
der wiederkehrende Herr bei der endgültigen
Erlösung an den Glaubenden offenbart. Diese
Freiheit kann keine Gemeinde gewähren. Häufig
wird die Freiheit bzw. Unabhängigkeit in Freien
evangelischen Gemeinden mit 2. Korinther 3,17
begründet: „Der Herr aber ist der Geist. Wo der
Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Auch hier
wird selten gefragt, was im Textzusammenhang
eigentlich mit der Freiheit gemeint ist, und in
der Regel wird nur der zweite Teil des Verses zitiert.
2. Korinther 3,17 bezieht sich auf Vers 16, in
dem Paulus Exodus 34,34 zitiert: „Sobald sie sich
aber dem Herrn zuwenden, wird die Decke hinweg
genommen.“ In Vers 17 deutet er dann „den
Herrn“ aus diesem Zitat. Paulus sagt mit diesen
Versen, dass Gott durch den Heiligen Geist „denen,
die an Christus glauben, das Herz für den
wahren Sinn der Schrift und die Herrlichkeit
Christi“ öffnet. Die Freiheit bezieht sich also
zunächst darauf, von der Verstockung und Blindheit
für das Ziel und das Ende des alten Bundes
befreit zu werden. Zur Freiheit bzw. Unabhängigkeit
der Gemeinde wird hier nichts ausgesagt.
Deshalb frage ich zuerst, wie Paulus grundsätzlich
Freiheit versteht, denn das neutestamentliche
Verständnis unterscheidet sich grundlegend
vom neuzeitlichen Freiheitsverständnis.
Danach ist zu bedenken, was dies für die Freiheit
in der Gemeinde bedeutet. Freiheit wird in der
Neuzeit vor allem als Freiheit des Einzelnen verstanden.
Frei ist, wer unabhängig von anderen
sein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen
gestalten und fuhren kann, wer tun und
lassen kann, was er will. Dagegen setzt Paulus
die Freiheit in Galater 5,13-25 in eine Beziehung
zur Liebe. Beim bürgerlichen Freiheitsbegriff
gilt: Die Freiheit einer Person geht so weit, wie
die Freiheit der anderen nicht tangiert bzw.
verletzt wird. Oft sagen wir es im christlichen
Raum in ähnlicher Weise: Unsere Freiheit wird
begrenzt durch die Rücksicht auf den Anderen.
In beiden Fällen wird die Rücksichtnahme bzw.
die Liebe als Einschränkung bzw. Grenze meiner
Freiheit verstanden. Um des Anderen willen
verzichte ich auf meine Freiheit. Dahinter steht
das neuzeitliche Verständnis von Freiheit als
Unabhängigkeit von anderen. Paulus versteht
Freiheit dagegen anders und sieht sie mit „dem
anderen in Liebe dienen“ zusammen (Galater
5,13). Das weist auf ein anderes Verständnis von
Freiheit hin. Die Freiheit, zu der Christus uns
befreit hat, verdanken wir der gnädigen Zuwendung
Gottes. Nur durch seine Zuwendung sind
wir frei von den Mächten, die uns versklaven:
Sünde, Gesetz und Tod. Wenn Jesus Christus
der Lebensgrund der Freiheit ist, gehört die Zuwendung
zum anderen zur Freiheit. Dann ist die
Freiheit der Raum, in dem ich die Zuwendung
und Liebe Gottes erfahre. Aus dieser erfahrenen
Liebe lebe ich im Raum der Freiheit. Die Liebe,
die Zuwendung zum anderen, gehört deshalb
zum Wesen christlicher Freiheit. Im Raum der
Freiheit ist die Liebe geboten. Sie ist das Wesen
und der Anspruch der Freiheit. Wie ich die
Freiheit durch die Zuwendung Gottes erfahren
habe, so soll ich im Raum der Freiheit nach dem
Maßstab bzw. der Norm der Liebe leben. Wer in
Freiheit lebt, ist vom Zwang befreit, zuerst für
sich selbst zu sorgen, weil Gott für ihn sorgt.
Deshalb stellt diese Freiheit an mich den Anspruch,
für andere da zu sein, ihnen in Liebe zu
dienen. Nur dann lebe ich als ein von Christus
zur Freiheit befreiter und berufener Mensch,
denn die christliche Freiheit ist nicht ohne den
Mitmenschen zu denken. Sonst ginge es bei der
Freiheit nur um den Einzelnen, das Individuum,
das frei für sich entscheidet, was es tun will. Deshalb
ist die Liebe nicht die Beschränkung oder
Grenze menschlicher Freiheit, sondern vielmehr
ihr konsequenter Vollzug. Sie ist die Norm, die in
der Freiheit gilt. Ohne die Liebe kann wirkliche
Freiheit nicht gelebt werden.
Was bedeutet das neutestamentliche Verständnis
von Freiheit nun für die Gemeinde?
Ich nenne einige Impulse im Blick auf die Ortsgemeinde
und die Bundesgemeinschaft. Für
die Ortsgemeinde bedeutet es, dass nicht der
einzelne Glaubende und die freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit im Mittelpunkt stehen.
Vielmehr verwirklicht sich die Berufung zur
Freiheit durch Christus in der Gemeinschaft.
Dies entspricht auch dem Schöpfungsbericht,
nach dem der Mensch zur Gemeinschaft geschaffen
ist (Genesis 1,26-28; 2,18-25). Aus
der Freiheit des Glaubenden vom Zwang zur
Sünde und Selbstbehauptung erwächst die
Frucht des Geistes (Galater 5,22f. ), die der Liebe
als Norm der Freiheit entspricht. So kann
Im Raum der Freiheit
ist die Liebe
geboten. Sie ist
das Wesen und
der Anspruch der
Freiheit.
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Verbunden
Auf Erklärungen
des Namensteils
„Freie“ mit dem
Begriff „Unabhängigkeit“
sollte deshalb in
Zukunft verzichtet
werden.
die Gemeinde ein Raum der Freiheit sein, wo
der Einzelne seiner Bestimmung und seinen Gaben
entsprechend leben und mitarbeiten kann,
und zwar eingebunden in eine Gemeinschaft.
Für die Gemeinden im Bund FeG bedeutet die
neutestamentliche Freiheit, dass sie keineswegs
unabhängige Gemeinden sind, die tun und lassen
können, was sie wollen, und die die anderen
nicht brauchen. Vielmehr verbindet Christus
die Ortsgemeinden grundsätzlich mit der Vielzahl
anderer Gemeinden. Das spricht nicht
gegen selbstständige Ortsgemeinden, die ihre
Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln.
Aber sie sind eingebunden in „eine geistliche Lebens-
und Dienstgemeinschaft“, die für sie eine
„verpflichtende Gemeinschaft“ ist (Präambel
der Verfassung des Bundes Freier evangelischer
Gemeinden von 1995, Artikel 1 und 4). In der
Liebe nehmen sie Anteil aneinander, arbeiten zusammen
und fordern sich gegenseitig. Das zeigt
sich beispielsweise auch bei der finanziellen Verantwortung
für die gemeinsamen Aufgaben des
Bundes.
Bis heute wird der Namensteil „Freie“ unterschiedlich
erklärt. Am ehesten ist meines Erachtens
noch Hermann Heinrich Grafe der neutestamentlichen
Freiheit gerecht geworden. Er betont
die „freie Gnade“. Menschen werden von Gott
durch seine Gnade frei, d. h. umsonst, gerechtfertigt
und angenommen. Es geht also darum, dass
wir durch Christus zur Freiheit befreit sind.
Keinen Gegensatz zur neutestamentlichen Freiheit
sehe ich auch darin, dass die Freiheit vom
Staat hervorgehoben wird. Denn in der Verbindung
von Staat und Kirche lag immer die Gefahr,
dass die Kirche entgegen dem Evangelium von
ihr fremden Prinzipien bestimmt wurde. Diese
Freiheit ist allerdings nicht grundlegend für die
Gemeinde, denn auch eine unterdrückte und verfolgte
Gemeinde kann die Freiheit leben, zu der
Christus sie befreit. Andere Erklärungen des Namensteils
„Freie“ entsprechen dagegen zwar dem
neuzeitlichen Freiheitsverständnis und damit
dem Individualismus unserer Zeit. Sie entsprechen
aber nicht der christlichen Freiheit. Dazu
zähle ich die Aussage: Ortsgemeinden seien autonom
oder unabhängig von anderen Gemeinden.
Diese beiden Begriffe entsprechen nicht dem
neutestamentlichen Verständnis von Freiheit.
Ebenso wenig entsprechen sie dem biblischen
Menschenbild oder beschreiben angemessen die
Beziehung der Gemeinde zu ihrem Herrn sowie
die Beziehungen von Gemeinden untereinander.
Gleiches gilt für die Aussage: „Die im Namen betonte
freiheitliche Stellung bezieht sich auch auf
die Unabhängigkeit der Einzelgemeinde von allen
kirchenähnlichen Bindungen, von einem Kirchenregiment
und von Kirchengesetzen“. So formulierte
es 1960 der damalige Bundesgeschäftsführer
Heinz-Adolf Ritter in seinem Buch „Die
Freien evangelischen Gemeinden“ (Seite 28f.)
Diese Aussage spiegelt das neuzeitliche Freiheitsverständnis
wider. Dagegen lässt sich aus dem
neutestamentlichen Verständnis der Freiheit keine
Folgerung für eine Kirchen- oder Gemeindestruktur
ableiten, es sei denn die Verantwortung
füreinander in der von Christus begründeten
Gemeinschaft seiner Gemeinde und die Liebe
zueinander. Auf Erklärungen des Namensteils
„Freie“ mit dem Begriff „Unabhängigkeit“ sollte
deshalb in Zukunft verzichtet werden. Positiv
kann man den Namensteil „Freie“ so füllen: Freie
evangelische Gemeinden wollen ein Raum der
Freiheit sein – jenseits von Individualismus und
Kollektivismus −, eine Gemeinschaft, in der sich
die Menschen gegenseitig annehmen und wo
jeder sich mit seinen Gaben und Möglichkeiten
einbringen kann. In ihr sind Menschen befreit
von der Sorge um sich selbst und können deshalb
für Andere sorgen. Sie sind befreit von der Herrschaft
der Sünde und deshalb frei zur Liebe als
der Norm der Freiheit, in der man einander dient.
Ich habe einen Traum, dass dies „typisch FeG“
sein könnte.
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• Wilfrid Haubeck: Zum Verständnis der Gemeinde bei
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Gemeindeformen
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Theologische und soziologische Überlegungen zur
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• Markus Iff: Was sind Freie evangelische Gemeinden?
Systematisch-theologische Grundzüge zum Selbstverständnis
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