Abschiebung in den Krieg
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„Schickt uns nicht weg!“<br />
Viele der Bewohner des Pavillondorfs an der Harksheider Straße<br />
stehen kurz vor der erzwungenen Rückkehr <strong>in</strong> ihre Heimat.<br />
Besonders schlimm: Die Menschen wer<strong>den</strong> ohne warme Kleidung<br />
und oftmals ohne Unterkunft <strong>in</strong> <strong>den</strong> harten W<strong>in</strong>ter geschickt.<br />
Poppenbüttel. Für die Bewohner der Conta<strong>in</strong>er an der Harksheider Straße tickt<br />
e<strong>in</strong>e Zeitbombe. Die über 400 Menschen s<strong>in</strong>d nur noch <strong>in</strong> Hamburg geduldet. Die<br />
Bosnier und Kroaten unter <strong>den</strong> Bewohnern kommen häufig aus Gegen<strong>den</strong>, die<br />
nun <strong>in</strong> serbischer Hand s<strong>in</strong>d. Dorth<strong>in</strong> können sie nur bei Gefahr für Leib und<br />
Leben zurück. Die meisten wissen bei der herrschen<strong>den</strong> Wohnungsknappheit nicht<br />
woh<strong>in</strong>. Udo Wilters, Sozialarbeiter im Conta<strong>in</strong>erdorf: „Den Flüchtl<strong>in</strong>gen steht e<strong>in</strong><br />
Herumvagabundieren <strong>in</strong> ihrer früheren Heimat bevor. Sie müssen e<strong>in</strong> Zelt<br />
mitnehmen, weil ke<strong>in</strong>e Wohnungen zu f<strong>in</strong><strong>den</strong> s<strong>in</strong>d. In dieser Situation sollen<br />
300.000 Flüchtl<strong>in</strong>ge aus Deutschland abgeschoben wer<strong>den</strong>, obwohl <strong>in</strong> Bosnien<br />
nichts geregelt ist.“ Viele derjenigen, die <strong>in</strong> <strong>den</strong> nächsten Monaten<br />
zurückgeschickt wer<strong>den</strong>, haben kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der. Zu ihnen gehört die Kroat<strong>in</strong> Katica<br />
Popovic aus Zenica <strong>in</strong> Bosnien. In ihrem Heimatort haben jetzt die Moslems das<br />
Sagen. Katica Popovic fürchtet sich vor ihnen. Nicht die früheren muslimischen<br />
Nachbarn aus Zenica seien das Problem, sondern die Neuankömml<strong>in</strong>ge: „In<br />
me<strong>in</strong>em Haus wohnt e<strong>in</strong> iranischer Mujahedd<strong>in</strong> - e<strong>in</strong> fanatischer Kämpfer im<br />
'heiligen <strong>Krieg</strong>'. Vor diesen Leuten habe ich große Angst. Ich habe selbst erfahren,<br />
wie grausam der <strong>Krieg</strong> zwischen <strong>den</strong> Moslems und <strong>den</strong> Kroaten war. Noch heute<br />
träume ich oft davon.“<br />
Seit kurzem gibt es im Pavillondorf auch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe von afghanischen<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gen. Sie s<strong>in</strong>d vor dem Bürgerkrieg aus ihrer Heimat geflohen. Die<br />
Afghanen kommen aus Kabul und Herat, völlig zerstörten Städten. Zur Zeit<br />
wer<strong>den</strong> sie nur deshalb nicht abgeschoben, weil die Flugzeuge aufgrund der<br />
dortigen Kämpfe die afghanische Hauptstadt Kabul nicht anfliegen können. Zu<br />
<strong>den</strong> afghanischen Familien gehören die Ghorbanjans. Schafiqa Ghorbanjan war <strong>in</strong><br />
ihrer Heimat Lehrer<strong>in</strong>. Die zur Zeit herrschende religiös-fundamentalistische<br />
Taliban-Miliz hat viele ihrer Lehrerkollegen ermordet. Insbesondere sei dieser<br />
radikalen Moslem-Miliz die Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben e<strong>in</strong><br />
Dorn im Auge. Sie wür<strong>den</strong> gna<strong>den</strong>los verfolgt. Shafiqa Ghorbanjan ist sich sicher:<br />
„Wenn wir zurückkehren, wer<strong>den</strong> wir getötet.“<br />
E<strong>in</strong> großes Problem der Flüchtl<strong>in</strong>ge im Conta<strong>in</strong>erdorf Harksheider Straße ist zur<br />
Zeit die W<strong>in</strong>terkleidung. Ohne Aufenthaltsbefugnis bekommen sie ke<strong>in</strong>e<br />
Sozialhilfe. Da sie nur noch <strong>in</strong> Hamburg geduldet wer<strong>den</strong>, s<strong>in</strong>d sie auf Spen<strong>den</strong><br />
angewiesen. Das Problem: Die Kleiderkammern, die Kleiderspen<strong>den</strong> verteilen,<br />
haben zur Zeit nur e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Bestand an W<strong>in</strong>terkleidung. Daher bittet das<br />
Pavillondorf an der Harksheider Straße 38 die Bevölkerung um Kleiderspen<strong>den</strong>.<br />
Ganz wichtig dabei ist, daß nur W<strong>in</strong>terkleidung gebraucht wird, also<br />
beispielsweise warme Jacken, Mäntel und Pullover. Die Spen<strong>den</strong> sollten montags<br />
bis 16 Uhr abgegeben wer<strong>den</strong>. Rückfragen wer<strong>den</strong> unter Tel.: 602 85 95 oder 606<br />
38 19 beantwortet.
Alstertal-Express, Ausgabe 6/97 (2.10.1997), S.1.<br />
Anmerkung: Der Spen<strong>den</strong>aufruf war nach Auskunft der Leitung des Pavillondorfs<br />
e<strong>in</strong> überwältigender Erfolg. Es wurde so viel W<strong>in</strong>terkleidung gespendet, dass<br />
schließlich der Bedarf übertroffen wurde und die überschüssige Kleidung an<br />
andere E<strong>in</strong>richtungen abgegeben wer<strong>den</strong> musste.