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Gerede werde nach und nach schwinden. Aber warum muß es durchaus<br />

Christus sein? Auch Judas ist ein Dreizehnter und auch er<br />

mußte sterben.<br />

Ist<br />

Ihnen schon aufgefallen, wie eng diese beiden Ideen, Christus<br />

und Judas, miteinander verflochten sind ? Ich sprach Ihnen früher einmal<br />

von der Ambivalenz im Unbewußten, von der menschlichen<br />

Eigentümlichkeit, in der Liebe den Haß, in der Treue den Verrat zu<br />

haben. Diese tief innerliche unüberwindlidie Doppelheit des Menschen<br />

hat sich den Mythus des Judaskusses erzwungen, in dem alltägliches<br />

menschliches Handeln und Erleben symbolisiert ist. Ich möchte, daß<br />

Sie sich mit dieser Tatsache ganz vertraut machen, sie ist von großer<br />

Wichtigkeit. So lange Sie das nicht wissen, nicht ganz von solcher<br />

Erkenntnis durchdrungen sind, verstehen Sie nichts vom Es. Aber es<br />

ist nicht leicht, solche Erkenntnis zu erwerben. Denken Sie an die<br />

höchsten Momente Ihres Lebens und dann suchen Sie, bis Sie die<br />

Judasgesinnung und den Judasverrat gefunden haben. Sie werden<br />

ihn immer finden. Als Sie Düren Liebsten küßten, fuhr Dire Hand<br />

empor, um das Haar zu halten, das sich lösen konnte. Als Dir Vater<br />

starb, - Sie waren damals noch jung - freute es Sie, zum ersten Male<br />

ein schwarzes Kleid zu tragen, Sie zählten stolz die Kondolenzbriefe<br />

und legten mit geheimer Genugtuung die Beileidszeüen eines regierenden<br />

Herzogs obenauf. Und als die Mutter krank war, schämten<br />

Sie sich,<br />

weil Ihnen plötzlich der Gedanke an die Perlenschnur durch<br />

den Kopf fuhr, die Sie nun erben würden ; am Begräbnistage fanden<br />

Sie, daß Sie der Hut acht Jahre älter mache, und dabei dachten Sie<br />

nicht an Ihren Mann, sondern an das Urteil der Masse, vor deren<br />

Augen Sie ein Schauspiel schöner Trauer aufführen wollten, recht wie<br />

eine Schauspielerin und Hetäre. Und wie oft haben Sie ebenso<br />

plump wie Judas die nächsten Freunde, Mann und Kinder um dreißig<br />

Silberlinge verraten. Denken Sie ein wenig diesen Dingen nach ! Sie<br />

werden finden, daß des Menschen Dasein von Anfang bis zu Ende<br />

mit dem erfüllt ist, was unser wägendes Urteil als verächtlichste und<br />

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