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Ingmar Knop - Die Ethik des Jesus von Nazareth in der deutschen Rechtsgegenwart

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JESUSVONNAZARETH<br />

Es soll nun zunächst darum gehen, e<strong>in</strong>ige<br />

<strong>der</strong> L<strong>in</strong>ien aufzuzeigen, <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong>er<br />

sich die <strong>Ethik</strong> Jesu konstituiert. Anhand<br />

e<strong>in</strong>iger Beispiele soll <strong>der</strong> dabei gefundene<br />

Rahmen auf das „System Gesellschaft“<br />

gelegt werden, wobei Berührungspunkte<br />

und pragmatische Impulse klar hervortreten.<br />

Der Figur <strong>Jesus</strong> <strong>von</strong> <strong>Nazareth</strong> gilt dabei<br />

sowohl als historischer <strong>Jesus</strong> wie auch<br />

als kerygmatischer Christus unsere Aufmerksamkeit.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne soll <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Teil<br />

schemenhaft die geistige Welt Jesu beleuchtet<br />

werden. Es geht dabei zunächst<br />

um den geistigen und gesellschaftlichen<br />

H<strong>in</strong>tergrund, <strong>in</strong> den <strong>der</strong> Nazarener – und<br />

mit ihm se<strong>in</strong>e Botschaft - h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren<br />

wurde. Sodann folgt e<strong>in</strong> Anriß <strong>der</strong> Lehre<br />

Jesu anhand e<strong>in</strong>iger prägnanter Beispiele.<br />

Im zweiten Teil wird schließlich zu untersuchen<br />

se<strong>in</strong>, wo das „Gebäude“ unserer<br />

heutigen Welt se<strong>in</strong>e „Fundamente“ <strong>in</strong> e-<br />

ben dieser Lehre <strong>des</strong> Nazareners besitzt<br />

bzw. welchen Weg <strong>des</strong> „Mauerns“ – um<br />

bei dieser Verbildlichung zu bleiben - <strong>der</strong><br />

„Gesellschaftsarchitekt“ <strong>Jesus</strong> Christus<br />

konstruiert hat.<br />

<strong>Die</strong> geistige Welt Jesu.<br />

An<strong>der</strong>s als bei den Griechen, die <strong>in</strong> Gott<br />

den Fixpunkt h<strong>in</strong>ter den Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> offenbaren Welt sahen - den unbewegten<br />

Beweger, den Kern <strong>des</strong> Universums<br />

- durchzieht die jüdische Tradition<br />

e<strong>in</strong> personaler begleiten<strong>der</strong> Gott. Das Alte<br />

Testament ist <strong>von</strong> e<strong>in</strong>em Gott geprägt,<br />

dem das Volk Israel während se<strong>in</strong>er Flucht<br />

aus dem ägyptischen Exil begegnet, e<strong>in</strong>em<br />

Gott, <strong>der</strong> dem Israelitenführer Mose<br />

die Thora – die Gesetze Gottes - am Berg<br />

S<strong>in</strong>ai geoffenbart hat. Aus diesem e<strong>in</strong>st<br />

versklavten Volk Israel gehen schließlich<br />

im Verlauf <strong>der</strong> alttestamentlichen Berichte<br />

zwei Königreiche hervor, die aus Jerusalem<br />

<strong>von</strong> König David regiert werden.<br />

Flucht, Gesetzgebung und Aufstieg <strong>des</strong><br />

Volkes werden als e<strong>in</strong>e Befreiungstat Gottes<br />

erlebt, die ihrerseits zu e<strong>in</strong>em Kernerlebnis<br />

<strong>der</strong> jüdischen Religion wird.<br />

<strong>Die</strong> Gesetzestafeln <strong>des</strong> Mose enthalten<br />

bereits alle gewaltreduzierenden Rechtsvorschriften,<br />

die auch die mo<strong>der</strong>nen<br />

Strafgesetzbücher enthalten. Verboten<br />

s<strong>in</strong>d: Mord, Raub, <strong>Die</strong>bstahl, Eigentumsdelikte<br />

aller Art, Lüge, falsches Zeugnis vor<br />

Gericht. H<strong>in</strong>zu kommen allerlei Regelungen<br />

zum friedlichen Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

den Großfamilien und Nachbarschaften:<br />

Eltern s<strong>in</strong>d zu ehren, Ehen nicht zu brechen,<br />

Sklaven und Vieh nicht zu entwenden,<br />

Fremde zu schützen und Feiertage<br />

e<strong>in</strong>zuhalten. Über dem allen steht die<br />

Verpflichtung auf den e<strong>in</strong>en Gott als persönlichen<br />

Garanten <strong>der</strong> umfassenden<br />

Friedensordnung.<br />

<strong>Die</strong> Grundlage im Verstehen <strong>der</strong> Welt im<br />

Alten Testament besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gewissheit,<br />

dass die Welt als ganze und als E<strong>in</strong>heit<br />

<strong>von</strong> Gott geschaffen ist und dass <strong>der</strong><br />

Mensch dieser Welt mith<strong>in</strong> auch als Ganzheit<br />

zu begegnen hat. Es gibt also ke<strong>in</strong>e<br />

Trennung <strong>der</strong> Welt <strong>in</strong> verschiedene Bereiche,<br />

etwa den <strong>des</strong> Geistigen und den <strong>des</strong><br />

Materiellen, <strong>von</strong> denen <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e unwichtig<br />

wäre, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e aber für den Menschen<br />

und se<strong>in</strong> Verhalten entscheidend. <strong>Die</strong>se<br />

Welt ist nun aber nicht dem Belieben <strong>des</strong><br />

Menschen unterstellt, son<strong>der</strong>n sie hat<br />

feste Ordnungen, die <strong>der</strong> Mensch e<strong>in</strong>halten<br />

muß, will er <strong>in</strong> ihr recht leben. Übertritt<br />

er diese Ordnungen, zerstört er das<br />

Leben, se<strong>in</strong> eigenes wie das <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft,<br />

<strong>in</strong> die er e<strong>in</strong>gefügt ist. Für die Zeit<br />

und Umwelt bis h<strong>in</strong> zu <strong>Jesus</strong> war diese<br />

Ordnung <strong>des</strong> Lebens <strong>in</strong> dem Gesetz <strong>des</strong><br />

Alten Testaments gegeben. Das Judentum<br />

hatte dieses Gesetz aufgefächert <strong>in</strong> viele<br />

E<strong>in</strong>zelvorschriften, durch die das Leben<br />

wie e<strong>in</strong>gezäunt war. Möglichst jede Situation<br />

<strong>des</strong> Lebens war so geregelt, dass man<br />

sicher se<strong>in</strong> konnte bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>haltung dieser<br />

Regeln auch recht, d.h. <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung<br />

mit <strong>der</strong> Ordnung, die Gott <strong>der</strong><br />

Welt gab, zu leben. <strong>Die</strong> Folge <strong>des</strong>sen war<br />

e<strong>in</strong>e starre Gesetzlichkeit, die nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Lage war, auf neue Ersche<strong>in</strong>ungen <strong>des</strong><br />

Lebens e<strong>in</strong>zugehen. Sie schneidet jede<br />

Weiterentwicklung <strong>der</strong> Geschichte ab.<br />

Man muß allerd<strong>in</strong>gs gerechterweise sehen,<br />

dass das Judentum sich nie völlig<br />

e<strong>in</strong>er solchen starren Gesetzlichkeit auslieferte,<br />

auch wenn se<strong>in</strong>e grundsätzliche<br />

E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Struktur <strong>der</strong> Welt es dah<strong>in</strong><br />

wies und die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung <strong>des</strong><br />

Neuen Testaments mit dem Judentum es<br />

so ersche<strong>in</strong>en lassen könnte.<br />

<strong>Die</strong>se alttestamentliche Welt betritt nun<br />

e<strong>in</strong> Mann, <strong>der</strong> <strong>von</strong> sich selbst sagt: „Ich b<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Weg und die Wahrheit und das Leben;<br />

niemand kommt zum Vater, denn durch<br />

mich“ (1) .<br />

<strong>Jesus</strong> <strong>von</strong> <strong>Nazareth</strong> bekundet <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong><br />

sich <strong>in</strong> Gesetzestreue übenden israelischen<br />

Gesellschaft se<strong>in</strong>e göttliche Vollmacht<br />

und erhebt Anspruch, den Menschen<br />

erst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Nachfolge göttliches<br />

Heil offenbar machen zu können. Dabei<br />

verwendet er immer wie<strong>der</strong> das selbe<br />

Schema: „Ihr habt gehört, dass zu den<br />

Vorfahren gesagt ist, ... ich aber sage euch,<br />

...“ - Sätze, <strong>in</strong> denen <strong>Jesus</strong> zunächst an die<br />

Weisungen <strong>des</strong> Alten Testaments er<strong>in</strong>nert,<br />

um diese - gestützt auf die eigene Autorität<br />

– zu überbieten.<br />

Um nun die ganze Brisanz und das Gewicht<br />

solcher Worte verstehen zu können,<br />

sei nochmals an das über Generationen<br />

tradierte Leben <strong>der</strong> israelischen Gesellschaft<br />

er<strong>in</strong>nert - e<strong>in</strong> Leben, das <strong>in</strong> Gänze<br />

bestimmt war durch die Ordnungen und<br />

das Gesetz, die das Alte Testament enthielten.<br />

Und alles das g<strong>in</strong>g auf den e<strong>in</strong>en Willen<br />

<strong>des</strong> Gottes zurück, <strong>der</strong> als <strong>der</strong> Schöpfer<br />

<strong>der</strong> Welt ihr auch das Gesetz zu geben hat.<br />

Man kann begreifen, welche Wirkung es <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er solchen geistigen Umwelt haben<br />

muß, wenn jemand auftritt und den Anspruch<br />

erhebt, dieses Gesetz erst wirklich<br />

zu se<strong>in</strong>er Erfüllung zu br<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> gar, es<br />

<strong>in</strong> eigener Autorität zu überbieten. Das<br />

erste bedeutete den schärfsten Angriff<br />

gegen die geistlichen und weltlichen Führer<br />

<strong>des</strong> jüdischen Volkes; das letzte aber<br />

musste geradezu als Gotteslästerung ersche<strong>in</strong>en,<br />

da auf solche Weise die Gottesoffenbarung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schrift durch das Wort<br />

Jesu <strong>in</strong> Frage gestellt wurde.<br />

Jesu For<strong>der</strong>ung traf die Menschen se<strong>in</strong>er<br />

Zeit mit e<strong>in</strong>em ungeheuren Anspruch und<br />

stellt sie vor e<strong>in</strong>e tiefgreifende Entscheidung:<br />

Sollten sie die Sicherheit <strong>der</strong> überkommenen<br />

Ordnung, die durch die heilige<br />

Schrift <strong>des</strong> Alten Testaments ausgewiesen<br />

und <strong>von</strong> den Vätern erprobt war, nur<br />

auf das Wort und den Anspruch Jesu h<strong>in</strong><br />

aufgeben <strong>Die</strong> Frage war, ob Gott wirklich<br />

jetzt neu durch diesen <strong>Jesus</strong> spricht und<br />

damit das bisherige Wort nur noch <strong>von</strong><br />

diesem neuen Wort her verstanden wissen<br />

will. Der Glaube an Gott musste sich<br />

auf das Fundament <strong>des</strong> Glaubens an die<br />

Worte Jesu stellen, <strong>der</strong> beanspruchte, im<br />

Auftrag Gottes zu wirken.<br />

Drei Fragen <strong>in</strong>teressieren <strong>in</strong> Bezug auf Jesu<br />

<strong>Ethik</strong> beson<strong>der</strong>s. Zum e<strong>in</strong>en: Wer ist dieser<br />

Gott <strong>des</strong> Nazareners, den er se<strong>in</strong>en Vater<br />

nennt Zum an<strong>der</strong>en: Welche Werte s<strong>in</strong>d<br />

es, die er setzt Und schließlich: Welche<br />

Ges<strong>in</strong>nung liegt <strong>der</strong> <strong>Ethik</strong> Jesu zugrunde<br />

<strong>Jesus</strong>, e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Jude aus e<strong>in</strong>er unbedeutenden<br />

Stadt, lebte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unruhigen<br />

politischen Zeit. Das Land war <strong>von</strong> den<br />

Römern besetzt, aber auch das Judentum<br />

selbst war <strong>in</strong> viele Gruppen gespalten, die<br />

sich gegenseitig befe<strong>in</strong>deten. <strong>Die</strong>ser <strong>Jesus</strong><br />

war fest <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition <strong>des</strong> Judentums<br />

verwurzelt. Er wurde <strong>von</strong> vielen als Rabbi<br />

(d.h. als Interpret dieser Traditionen) angesprochen.<br />

Ihm g<strong>in</strong>g es nicht um e<strong>in</strong>en<br />

kle<strong>in</strong>lichen Streit um festgefahrene Riten<br />

und Gebräuche, die sich zum Teil so verselbständigt<br />

hatten, daß ihr S<strong>in</strong>n gar nicht<br />

mehr erkennbar war. Er wollte sie nicht<br />

außer Kraft setzen, fragte aber nach <strong>der</strong><br />

eigentlichen Absicht <strong>von</strong> Geboten und<br />

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