Ingmar Knop - Die Ethik des Jesus von Nazareth in der deutschen Rechtsgegenwart
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JESUSVONNAZARETH<br />
talität nur für Bettelmönche praktizierbar“<br />
(19) . Privat mag man sich wohl auf <strong>Jesus</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Nazareth</strong> berufen, doch <strong>in</strong> politischer<br />
H<strong>in</strong>sicht erklärt man ihn zum Sp<strong>in</strong>ner o<strong>der</strong><br />
Irrläufer. Fe<strong>in</strong><strong>des</strong>liebe zu praktizieren, die<br />
Bergpredigt <strong>in</strong> das politische Leben zu<br />
übernehmen o<strong>der</strong> auch nur e<strong>in</strong>fließen zu<br />
lassen, zeugt bestenfalls <strong>von</strong> Naivität und<br />
politischer Blauäugigkeit.<br />
E<strong>in</strong>e solche doppelte Moral – die Trennung<br />
<strong>in</strong> private und politische <strong>Ethik</strong> –<br />
prägt die gegenwärtige Gesellschaft. Wohl<br />
nimmt man die Bergpredigt als Bestandteil<br />
<strong>des</strong> Neuen Testaments zur Kenntnis, ja<br />
man mag sie sogar akzeptieren, doch für<br />
die politische Praxis gilt: „Mit <strong>der</strong> Bergpredigt<br />
kann man nicht regieren.“<br />
E<strong>in</strong>e so ver<strong>in</strong>nerlichte Zweispurigkeit <strong>von</strong><br />
„Ges<strong>in</strong>nungsethik“ und „Verantwortungsethik“<br />
gipfelt nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache,<br />
dass man sich als Friedenspolitiker<br />
versteht und gleichwohl (o<strong>der</strong> gar gerade<br />
<strong>des</strong>wegen) Atombomben produzieren<br />
lässt, sie führt auch zwangsläufig zur Unglaubwürdigkeit<br />
<strong>der</strong> so auftretenden Politiker<br />
und gefährdet damit letztlich das<br />
demokratische System. <strong>Jesus</strong> hat für e<strong>in</strong>e<br />
<strong>der</strong>artige Janusköpfigkeit den passenden<br />
Vergleich: man handelt „wie e<strong>in</strong> unvernünftiger<br />
Mann, <strong>der</strong> se<strong>in</strong> Haus auf Sand baut“ (20) .<br />
Und Mart<strong>in</strong> Buber bef<strong>in</strong>det: „Der Ursprung<br />
allen Konflikts zwischen mir und me<strong>in</strong>en<br />
Mitmenschen ist, dass ich nicht sage, was ich<br />
me<strong>in</strong>e, und dass ich nicht tue, was ich sage“<br />
(21) .<br />
Im Gefolge <strong>des</strong> römischen Satzes „Wenn<br />
du Frieden willst, bereite den Krieg vor“ (22)<br />
entstand so e<strong>in</strong>e <strong>Ethik</strong> <strong>des</strong> „e<strong>in</strong>erseits...,<br />
an<strong>der</strong>erseits...“. Mit <strong>der</strong> <strong>Ethik</strong> Jesu ist dagegen<br />
zu sagen „Irret euch nicht! ... Denn was<br />
<strong>der</strong> Mensch sät, das wird er ernten“ (23) , o<strong>der</strong><br />
mit an<strong>der</strong>en Worten: Wer den Krieg vorbereitet,<br />
wird Krieg bekommen. Wenn du<br />
den Frieden willst, dann bereite den Frieden<br />
vor! – Das ist die Po<strong>in</strong>te <strong>der</strong> Bergpredigt!<br />
E<strong>in</strong>e Trennung <strong>in</strong> private und politische<br />
<strong>Ethik</strong> h<strong>in</strong>gegen ist nicht nur diametral<br />
zur <strong>Ethik</strong> Jesu, sie entspricht auch ke<strong>in</strong>erlei<br />
vernünftigen Überlegungen. Jesu<br />
Gerechtigkeit ist so universal, dass sie für<br />
jeden Bereich <strong>des</strong> Lebens Gültigkeit besitzt.<br />
Ähnlich verhält es sich mit <strong>der</strong> Nächstenliebe.<br />
E<strong>in</strong>e Liebe, die nicht auch den Fe<strong>in</strong>d<br />
e<strong>in</strong>schließt, ist nicht die Liebe Jesu und<br />
führt wie<strong>der</strong>um zur Gespaltenheit. Wahre<br />
Liebe umfasst dagegen gerade auch die<br />
Fe<strong>in</strong>de. <strong>Jesus</strong> liebt nicht um e<strong>in</strong>er persönlichen<br />
Sympathie o<strong>der</strong> auch nur um e<strong>in</strong>es<br />
Verhältnisses willen, <strong>Jesus</strong> liebt unbed<strong>in</strong>gt<br />
und jeden, so wie Gottes Liebe unbed<strong>in</strong>gt<br />
ist und je<strong>der</strong>mann erfasst. (24) E<strong>in</strong>e solche<br />
Liebe zu praktizieren, ist allerd<strong>in</strong>gs politischer<br />
Sprengstoff, und <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Epoche<br />
<strong>der</strong> Weltgeschichte wurde nach diesen<br />
Grundsätzen gehandelt. Gandhi ist gewiß<br />
die e<strong>in</strong>zige Ausnahme.<br />
<strong>Jesus</strong> ist nicht Vertröster, son<strong>der</strong>n Friedensstifter,<br />
nicht Despot, son<strong>der</strong>n Bru<strong>der</strong>.<br />
Er will ke<strong>in</strong>e Harmonie <strong>des</strong> Neuen im Gefüge<br />
<strong>des</strong> Alten, denn „Neuer We<strong>in</strong> gehört <strong>in</strong><br />
neue Schläuche“ (25) . <strong>Die</strong>se <strong>Ethik</strong> ist alles<br />
an<strong>der</strong>e als weltfremd, sie ist weltverän<strong>der</strong>nd.<br />
Es ist nicht Jesu Anliegen, religiöse<br />
und juristische Traditionen über Bord zu<br />
werfen, doch sie müssen sich auf ihren<br />
S<strong>in</strong>n h<strong>in</strong> prüfen lassen und h<strong>in</strong>terfragt<br />
werden. Damit ist e<strong>in</strong> weitere ethischer<br />
Grundsatz Jesu angesprochen: In allem ist<br />
unbed<strong>in</strong>gt die S<strong>in</strong>nfrage zu stellen. Politik,<br />
Tradition und Religion s<strong>in</strong>d nicht Selbstzweck,<br />
son<strong>der</strong>n dienend und damit <strong>in</strong> den<br />
<strong>Die</strong>nst <strong>des</strong> Menschen zu stellen. Sie müssen<br />
auf ihn h<strong>in</strong> ihren S<strong>in</strong>n offenbaren. Der<br />
Mensch lebt we<strong>der</strong> für das Gesetz, noch<br />
für den Tempel, beide aber existieren um<br />
<strong>des</strong> Menschen willen.<br />
Doch die Gegenwart zur Jahrtausendwende<br />
hat sich ihr Goldenes Kalb geschaffen<br />
- e<strong>in</strong>en neuen Gott und e<strong>in</strong>e neue<br />
Religion, die nun den Menschen <strong>in</strong> ihre<br />
<strong>Die</strong>nerschaft zw<strong>in</strong>gen: <strong>der</strong> Gott heißt Profit,<br />
und se<strong>in</strong>e Religion ist die Ökonomie.<br />
Ihre Jünger leben nach den Gesetzen <strong>von</strong><br />
Marktwirtschaft und Geldverdienen. In<br />
ihrer Religion verdrängt die Ware das Wahre,<br />
betet <strong>der</strong> Mensch zu Mammon und<br />
bittet um wirtschaftliches Wachstum. Für<br />
<strong>Jesus</strong> und den Christenglauben ist <strong>in</strong> dieser<br />
Welt ke<strong>in</strong> Platz, denn „es ist leichter, dass<br />
e<strong>in</strong> Kamel durch e<strong>in</strong> Nadelöhr geht, als dass<br />
e<strong>in</strong> Reicher <strong>in</strong>s Reich Gottes kommt“ (26) .<br />
<strong>Die</strong> heutige Menschheit verfügt erstmals<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Weltgeschichte über e<strong>in</strong>e militärische<br />
Kapazität, die die Möglichkeit eröffnet,<br />
die Geschichte <strong>der</strong> Welt zu beenden.<br />
E<strong>in</strong> atomarer Holocaust würde aber nicht<br />
nur das Leben <strong>der</strong> etwa 6 Milliarden Menschen<br />
<strong>der</strong> Gegenwart beenden, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Gefolge steht auch die auch Auslöschung<br />
<strong>von</strong> Zukunft und Vergangenheit, <strong>von</strong> Visionen<br />
und Rückschau, <strong>von</strong> Entwicklung<br />
und Er<strong>in</strong>nerung. Nicht <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuelle Tod<br />
ist das Schicksal <strong>der</strong> Atombombengesellschaft,<br />
es ist dies <strong>der</strong> ganzheitliche, <strong>der</strong><br />
kollektive Tod. Und dieser Tod steht nicht<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Tradition göttlicher Apokalypsen<br />
und religiöser Endzeitstimmungen, er ist<br />
„hausgemacht“ <strong>von</strong> Menschen, die sich<br />
selbst an die Stelle Gottes setzen zu können<br />
glauben. <strong>Die</strong> vom Menschen geschaffene<br />
Endzeitstimmung ist damit gottlos,<br />
die Beendigung <strong>der</strong> Schöpfung liegt <strong>in</strong><br />
Menschenhand.<br />
Daß es dazu kommen konnte, „ist das<br />
Ergebnis e<strong>in</strong>er gegen die Natur gerichteten<br />
kompensatorischen Aktivität“ (David Carver)<br />
(27) . Was nicht natürlich gelebt wird -<br />
Liebe, Sexualität, Religion, Vertrauen etc. –<br />
schreit nach Kompensation, die auch<br />
prompt durch das Streben nach Geld und<br />
Macht e<strong>in</strong>setzt. Der Gipfel und die Perversion<br />
e<strong>in</strong>es solchen kompensatorischen<br />
Lebens ist die Atombombe.<br />
Welche Chance zeigt nun die <strong>Ethik</strong> Jesu<br />
für e<strong>in</strong> gesellschaftliches Überleben auf<br />
Zunächst gilt es, unsere Zerrissenheit zu<br />
erkennen, und das Böse nicht im an<strong>der</strong>en<br />
zu suchen o<strong>der</strong> auf ihn zu projizieren –<br />
denn „was siehst du den Splitter <strong>in</strong> de<strong>in</strong>es<br />
Bru<strong>der</strong>s Auge und nimmst nicht den Balken<br />
<strong>in</strong> de<strong>in</strong>em Auge wahr“ (28) Das Bewusstse<strong>in</strong><br />
unserer ganz persönlichen Schuldigkeit<br />
alle<strong>in</strong> kann zu e<strong>in</strong>er Umkehr führen. Also<br />
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“<br />
(29) <strong>Die</strong>se Auffor<strong>der</strong>ung ist gerichtet<br />
an alle, die ihre weiße Weste zur Schau<br />
stellen wollen. Spielen wir uns also nicht<br />
zu selbsternannten Richtern auf und arbeiten<br />
wir statt <strong>des</strong>sen am Abbau <strong>von</strong><br />
Vorurteilen. Denn <strong>der</strong> friedlose Zustand<br />
unserer Welt f<strong>in</strong>det nicht zuletzt <strong>in</strong> unser<br />
aller moralischen Überheblichkeit gegenüber<br />
An<strong>der</strong>sdenkenden se<strong>in</strong>e Ursache.<br />
Mart<strong>in</strong> Buber br<strong>in</strong>gt Jesu <strong>Ethik</strong> <strong>in</strong> dieser<br />
H<strong>in</strong>sicht auf den Punkt: „Liebe de<strong>in</strong>en<br />
Nächsten, er ist wie du.“ (30) <strong>Die</strong> Gleichartigkeit<br />
unserer Mitmenschen sollte Grund<br />
genug se<strong>in</strong>, sie als Geschöpfe Gottes und<br />
damit als liebenswert anzunehmen.<br />
E<strong>in</strong>er so verstandenen Fe<strong>in</strong><strong>des</strong>liebe verfolgt<br />
nicht den Anspruch, jedweden Streit<br />
aus <strong>der</strong> Welt zu räumen o<strong>der</strong> menschlichen<br />
Aggressionen vorzubeugen. Sie ist<br />
allerd<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> Versuch e<strong>in</strong>er zivilisierten<br />
Streitkultur ohne Blut und Drohungen.<br />
Über Gegensätze soll nicht <strong>der</strong> Schleier<br />
<strong>des</strong> Verwischens gebreitet, son<strong>der</strong>n die<br />
Brücke <strong>des</strong> Aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zugehens geschlagen<br />
werden. E<strong>in</strong>e zivilierte Streitkultur,<br />
die ke<strong>in</strong>e Lobby will o<strong>der</strong> <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dliche<br />
„Lager“ teilt, ist nicht nur politische, son<strong>der</strong>n<br />
auch religiöse Aufgabe, für die Recht<br />
und Gesetz e<strong>in</strong>e Lanze brechen können.<br />
Den Teufelskreis <strong>von</strong> Gewalt und Gegengewalt<br />
durchbricht nur, wer als <strong>in</strong>nerlich<br />
Freier mit se<strong>in</strong>em gegenüber großzügig<br />
verfährt. Damit ist Fe<strong>in</strong><strong>des</strong>liebe nicht Trottelhaftigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n Klugheit. Sie bedarf<br />
<strong>des</strong> Mutes zum ersten Schritt und ist vor<br />
diesem H<strong>in</strong>tergrund we<strong>der</strong> ängstliche<br />
Berechnung noch egoistische Rechthaberei,<br />
sie ist gelebte Souveränität.<br />
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