WM-Nachlese - HG Winsen
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<strong>WM</strong>-<strong>Nachlese</strong><br />
INTERVIEW MIT HOTTI BREDEMEIER ZUM <strong>WM</strong>-COUP<br />
„Vereine müssen Steilvorlage aufnehmen“<br />
Horst „Hotti“ Bredemeier gilt seit<br />
vielen Jahren als exzellenter Kenner<br />
der Handballszene. Der Manager<br />
vom Bundesligisten GWD Minden<br />
und Vizepräsident Leistungssport<br />
des Deutschen Handball-<br />
Bundes (DHB) war bei der <strong>WM</strong> in<br />
Deutschland unter anderem auch<br />
für die Vermarktung zuständig.<br />
Laut OK-Mitglied Bredemeier<br />
konnte der DHB 315 000 der insgesamt<br />
330 000 <strong>WM</strong>-Tickets verkaufen.<br />
Auf Einladung des Bundesligisten<br />
Wilhelmshavener HV<br />
referierte der 54-jährige frühere<br />
Bundestrainer (1989 bis 1992)<br />
beim ersten WHV-Sponsorentreffen<br />
über die <strong>WM</strong> im eigenen<br />
Land, die für Deutschlands Handballer<br />
überraschend mit dem Titelgewinn<br />
endete. Als Vereinscoach<br />
hatte Bredemeier seine größten<br />
Erfolge einst mit TuRu Düsseldorf<br />
(Europapokalsieg 1989) gefeiert.<br />
Die HiN-Redaktion sprach mit dem<br />
DHB-Vize.<br />
Frage: Mit dem Titelgewinn vor<br />
vier Wochen ist Deutschlands<br />
Handballern ein echter öffentlicher<br />
Paukenschlag gelungen. Was<br />
muss jetzt passieren, damit die<br />
Sportart Handball nachhaltig vom<br />
<strong>WM</strong>-Boom profitiert<br />
Bredemeier: Vor der <strong>WM</strong> wussten<br />
laut einer Umfrage nur fünf<br />
Prozent der Bevölkerung von der<br />
Veranstaltung in Deutschland, mit<br />
Beginn der <strong>WM</strong> waren es dann<br />
schon zwölf und am Ende 80 Prozent.<br />
Der wahre Wert, die Nachhaltigkeit<br />
der Faszination Handball-<strong>WM</strong>,<br />
aber ist erst in ein, zwei<br />
Jahren wirklich messbar. Und damit<br />
es dann kein böses Erwachen<br />
gibt, müssen jetzt alle in den kommenden<br />
Wochen und Monaten<br />
hart arbeiten.<br />
Frage: Wen meinen Sie mit „alle“<br />
Bredemeier: Dass der <strong>WM</strong>-Titel<br />
Verhandlungen mit Sponsoren<br />
oder Fernsehsendern nun erleichtert,<br />
versteht sich von selbst. Was<br />
der Handball aber jetzt braucht,<br />
sind viele engagierte Mitarbeiter<br />
an der Basis. Die Umsetzung des<br />
<strong>WM</strong>-Erfolges kann der Dachverband<br />
allein nicht leisten. Jetzt sind<br />
die Vereine, von der Bundesliga bis<br />
nach ganz unten, aufgefordert,<br />
diese Steilvorlage aufzunehmen.<br />
Alle haben gute Arbeit geleistet:<br />
die Mannschaft, die sportlich<br />
Großartiges geleistet hat, die Fans,<br />
die für ein <strong>WM</strong>-Fest gesorgt haben,<br />
die Medien und das Fernsehen,<br />
die die einmalige Begeisterung<br />
transportiert haben. Diese<br />
Arbeit gilt es fortzuführen. Jetzt<br />
haben wir die ganz große Chance,<br />
schon heute in die Zukunft investieren<br />
zu können, damit wir auch<br />
in zehn oder 15 Jahren noch eine<br />
starke Nationalmannschaft haben.<br />
Frage: Reichen solche Appelle<br />
Der Deutsche Fußball-Bund etwa<br />
hatte nach der <strong>WM</strong> 2006 Bälle an<br />
Schulen verteilt und dort auch<br />
Tore aufgestellt.<br />
Bredemeier: Das ist doch klar!<br />
Über die finanziellen Möglichkeiten<br />
der Fußballer verfügen wir<br />
Handballer nicht. Also müssen wir<br />
unseren eigenen, machbaren Weg<br />
nehmen.<br />
Frage: Und wie sieht der aus<br />
Bredemeier: Wir verfügen über<br />
fast 6000 Vereine in Deutschland.<br />
Das ist unser Pfund. So läuft beispielsweise<br />
gerade eine Aktion<br />
zum Erlangen eines so genannten<br />
Handball-Spielabzeichens, die wir<br />
vor der <strong>WM</strong> gestartet hatten und<br />
die wir nun bis zum 15. Juni verlängert<br />
haben. Der große Erfolg<br />
gibt uns Recht. Allein in Ostwestfalen<br />
haben schon 7000 Jugendliche<br />
die Abzeichen in Gold, Silber,<br />
Bronze erlangt. Bundesweit erwarten<br />
wir uns von dieser Aktion –<br />
und jetzt mit der <strong>WM</strong> im Rücken –<br />
zwischen 30 000 und 40 000 Zugänge<br />
im Jugendbereich. Die Materialien<br />
und Spielkonzepte bis hin<br />
zu 20 000 Postern mit der deutschen<br />
Weltmeister-Mannschaft liegen<br />
vor, jetzt muss die Basis nur<br />
zugreifen.<br />
Frage: Die <strong>WM</strong> mit einem Etat von<br />
sieben Millionen Euro wird einen<br />
geschätzten Gewinn von rund<br />
800 000 Euro abwerfen. Wird dieses<br />
Geld, wie angekündigt, wirklich<br />
unten ankommen<br />
Bredemeier: Wir sind dabei. Die<br />
angesprochene Spielabzeichen-<br />
Aktion gehört dazu. Und auch für<br />
die Verbände und Schulen liegen<br />
neue Materialien bereit, etwa die<br />
Lehrfibel „Spiele mit Hand und<br />
Ball“. Dazu werden wir die Trainerausbildung<br />
forcieren, eine neue<br />
Form eines Jugendtrainers schaffen.<br />
Dafür haben wir bereits zwei<br />
große Pakete für die Basis geschnürt,<br />
Geld und Ideen investiert.<br />
Wie gesagt: Nun kommt es darauf<br />
an, dass möglichst viele Helfer diese<br />
Pakete auch öffnen und die Begeisterung<br />
an die Basis tragen.<br />
Darin sehe ich die große Chance,<br />
mit der <strong>WM</strong> nachhaltig etwas für<br />
den Handball zu bewirken.<br />
KOMMENTAR<br />
Unsere <strong>WM</strong>-Helden – arrogant und anmaßend<br />
Mit den Thema „Vorbilder und<br />
Idole“ setzte sich in der jüngsten<br />
Ausgabe von „Sport und mehr“<br />
auch LSB-Direktor Reinhard Rawe<br />
auseinander. Zwei sportliche Highlights<br />
bezog er in sein Vorwort mit<br />
ein, verglich sie sogar: die Wahl<br />
des Hannover 96-Keepers Robert<br />
Enke zu Niedersachsens Sportler<br />
des Jahres und das Auftreten der<br />
deutschen Handballer nach dem<br />
Gewinn der Weltmeisterschaft in<br />
Köln.<br />
Enke, so rechnet Rawe vor, sei<br />
ein sozial engagierter Mensch,<br />
„der sich für Taubblinde ebenso<br />
engagiert wie für den Tierschutz“.<br />
Er sei „im Sieg bescheiden“, gehe<br />
respektvoll mit dem Gegner um<br />
und sei sich seiner Vorbildfunktion<br />
für junge Athleten bewusst.<br />
Stimmt! Da kann ich mich nur<br />
anschließen: Enke ist sportlich ein<br />
herausragender Athlet, gefällt<br />
durch intelligente Interviews und<br />
ihm ist hoch anzurechnen, dass er<br />
sich für andere einsetzt. Er steht<br />
völlig außerhalb jeglicher Diskussion!<br />
Doch Rawes Vergleich, Enke<br />
würde sich bei einer Siegerehrung<br />
durch ein ausländisches Staatsoberhaupt<br />
sicherlich keine Krone<br />
aufsetzen und einen falschen Bart<br />
ankleben, lässt den geneigten Leser<br />
– insbesondere alle Handballer<br />
– mehr als irritiert zurück. Der<br />
LSB-Chef setzt allerdings noch einen<br />
drauf: „Ein Idol, das von<br />
Menschen abgöttisch verehrt<br />
wird, das ist Robert Enke nicht<br />
und will er auch nicht sein. Die<br />
Wählerinnen und Wähler (Anmerkung<br />
der Redaktion: der Wahl zu<br />
Niedersachsens Sportler des Jahres)<br />
haben ein feines Gespür<br />
dafür, wer ethisch handelt, wer<br />
auf der Ebene der persönlichen<br />
Gewissens einen inneren Kompass<br />
hat. Einige Spitzensportlerinnen<br />
und Spitzensportler müssen diesen<br />
inneren Kompass noch etwas<br />
nachjustieren, erst dann eignen<br />
sie sich zum Vorbild.“<br />
Reinhard Rawe holt also das<br />
so ewig lange Maßband der Ethik<br />
heraus – und legt es offenbar an<br />
die Männernationalmannschaft<br />
der Handballer, die im Eifer des<br />
unerwarteten Erfolgs sich eine<br />
Gaudi erlaubt hat und ihrem Trainer<br />
mit Bart und Krone auf humorige<br />
Art ihre höchste Anerkennung<br />
zeigen möchte, an – mit<br />
dem Ergebnis, dass sich die Handballer<br />
in den Niederungen der<br />
Ethik von Reinhard Rawe wiederfinden.<br />
Bei allem Respekt: Einen derart<br />
außergewöhnlichen Sieg muss<br />
jeder Sportler feiern dürfen, genauso<br />
wie die Fans – zu denen<br />
nebenbei auch das deutsche<br />
Staatsoberhaupt, Bundespräsident<br />
Horst Köhler, zählte, der sich in<br />
der Euphorie zwar keine Krone<br />
aufgesetzt, aber einen Fan-Schal<br />
umgeworfen hatte. Die deutsche<br />
Handballnationalmannschaft ist<br />
über die gesamte <strong>WM</strong> derartig<br />
sympathisch, weltoffen und nie<br />
arrogant aufgetreten, dass die<br />
Jungs allemal als Vorbilder taugen.<br />
Bei jedem Spiel konnte man<br />
das Abklatschen mit dem Gegenspieler<br />
im ersten Angriff erleben;<br />
die Mannschaft hat nicht durch<br />
Einzelkämpfer, sondern als Team<br />
überzeugt, bei dem auch das<br />
schwächste Glied für das gemeinsame<br />
Ziel mitarbeitete – eine Tugend,<br />
die in unserer Ellenbogen-<br />
Gesellschaft fast ausgestorben<br />
schien.<br />
Den inneren Kompass hatten<br />
die Band-Jungs genauso ausgerichtet,<br />
wie es sich für Sportler<br />
gehört, die am vermeintlich wichtigsten<br />
Wettkampf ihrer Karriere<br />
teilnehmen: Sie wollten den <strong>WM</strong>-<br />
Titel – und haben ihn nicht nur für<br />
sich, sondern für alle deutschen<br />
Handball- und Sportfans geholt.<br />
Dafür gebührt ihnen Respekt, und<br />
zwar auch von Ihnen, Herr Rawe!<br />
Denn Sport darf (muss) auch Spaß<br />
machen!<br />
Kathrin Röhlke<br />
4 HiN 3 – März 2007