Es gibt kein ruhiges Hinterland Demonstration ... - Buntes Haus Celle
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"<strong>kein</strong>en diskriminierenden Charakter" gehabt habe, weil sie ja<br />
nicht nur für Juden galt, sondern von jedem bezahlt werden<br />
musste, der ins Ausland wollte. Immerhin: Auch Bellersen<br />
scheiterte mit seiner Strategie.<br />
Bellersen und Vogel sind dabei wahrscheinlich nicht einmal<br />
untypisch, und beleibe <strong>kein</strong>e <strong>Celle</strong>r Spezialität. Die<br />
Wiedergutmachungsgesetzgebung war eben nur zu einem<br />
geringen Teil aus moralischer Verantwortung erwachsen, sondern<br />
auf staatlichem Kalkül hinsichtlich der internationalen<br />
Politik gegründet. In der Bevölkerung war sie unpopulär, und<br />
führte sogar zu dem (antisemitischen) Ressentiment, sie<br />
würde ein Instrument abgeben, mit dem die Juden sich auf<br />
Kosten der Deutschen bereichern.<br />
Nach der ausführlichen Vorstellung des Buches<br />
"Arisierung und Wiedergutmachung" in der <strong>Celle</strong>schen<br />
Zeitung äußerte sich ein leserbriefschreibender "Zeitzeuge":<br />
Noch nach dem Tod Ida Freidbergs habe eine Erbin "einvernehmlich<br />
und umgehend" von der Stadt <strong>Celle</strong> einen strittigen<br />
Betrag erhalten. Seine Parallelerinnerung ist wahrscheinlich<br />
nicht von ungefähr. Die Erbin, eine "bekannte Fotografin",<br />
habe eine Spiegelreflexkamera bei sich geführt, die "in<br />
Deutschland damals nicht unter 1000 DM zu bekommen"<br />
gewesen sei.<br />
Die ursprünglich als Magisterarbeit verfasste Studie ist mit<br />
dem Förderpreis für niedersächsische Landesgeschichte der<br />
Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen ausgezeichnet<br />
worden. Zu recht, denn Sebastian Stiekel hat es<br />
geschafft, die überaus komplexen Vorgänge der<br />
Ausplünderung und der "Wiedergutmachung" nach 1945 verständlich<br />
darzustellen. Dies gelingt durch die Verbindung von<br />
Mikro- und Markoebene, also die quellengesättigte<br />
Darstellung des Beraubungsvorgangs am Beispiel der Ida<br />
Freidberg (und anderer jüdischer Bürger <strong>Celle</strong>s) in<br />
Zusammenhang zu bringen mit der reichsweiten Politik.<br />
Gerade der lokale Bezugsrahmen lässt darüber hinaus deutlich<br />
werden, dass dieser Raubzug sich in den Verwaltungen auf<br />
bereitwillige Helfer stützen konnte. Auch führt gerade die<br />
detaillierte Darstellung der Verfahren zu einem Verständnis<br />
Das ist "Geschichte, die noch qualmt", lautet die gern<br />
zitierte Warnung der amerikanischen Historikerin Barbara<br />
Tuchmann bei der Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen<br />
Fragen. Die Ereignisse des 8. und 9. April 1945 in <strong>Celle</strong><br />
gehören auch in diesem Sinn zur Zeitgeschichte. Über<br />
Jahrzehnte war es gelungen, das Massaker an KZ-Häftlingen<br />
LITERATUR<br />
revista<br />
Das Warenhaus Freidberg im Jahr 1899. Vor dem<br />
heute die Buchhandlung Decius beherbergenden<br />
Gebäude liegt übrigens ein "Stolperstein" zum<br />
Gedenken an die in Auschwitz ermordete Frieda<br />
Gimpel. Sie war lange Jahre als Angestellte im<br />
Warenhaus "Am Markt" beschäftigt.<br />
der Rahmengesetzgebungen und über die Beschreibung der<br />
Strategien der Akteure zum Einblick in<br />
Nachkriegsmentalitäten.<br />
Stiekel, Sebastian: Arisierung und Wiedergutmachung in<br />
<strong>Celle</strong>. Bielefeld (Verlag für Regionalgeschichte) 2008. ISBN<br />
978-3-89534-762-7. 216 Seiten. 19 Euro.<br />
Ein amerikanischer Bombenangriff, deutsche Massaker an KZ-<br />
Häftlingen und ein britisches Gerichtsverfahren<br />
<strong>Celle</strong> April 1945 revisited<br />
aus dem öffentlichen Gedächtnis zu verbannen. Und noch mit<br />
der in den 1980er Jahre einsetzenden historischen<br />
Aufarbeitung gingen Tabuisierungen einher: Die bekannten<br />
Namen von Tätern wurden öffentlich verschwiegen, die institutionellen<br />
Verantwortlichkeiten blieben im Dunkeln.<br />
Dennoch galt die kleine Studie von Mijndert Bertram "April<br />
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