Psychologie an Bord - Frank Praetorius
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Seekr<strong>an</strong>kheit, Schlechtwetter<br />
Seekr<strong>an</strong>kheit 3<br />
Sie ist eine Irritation des Gleichgewichtsorg<strong>an</strong>s im Zusammenspiel mit den Augen<br />
und dem Stellungssinn des Körpers und nicht zuletzt der Psyche. Die <strong>an</strong>atomischen<br />
und funktionellen Zusammenhänge sind in Kapitel 4 dargestellt. Die typischen<br />
Symptome sind bek<strong>an</strong>nt: Blässe, kalter Schweiß, Übelkeit und Erbrechen.<br />
Menschen sind unterschiedlich <strong>an</strong>fällig für dieses seetypische Übel. Es gibt die<br />
Glücklichen, die praktisch nie seekr<strong>an</strong>k werden; auf der <strong>an</strong>deren Seite die „armen<br />
Teufel“, die unabhängig von Wetter, Schiffsgröße, über oder unter Deck auf diese<br />
Weise regelmäßig mit dem nassen Element, das bek<strong>an</strong>ntlich keine Balken hat, zu<br />
kämpfen haben. Ursächlich wird ein genetischer Faktor diskutiert. Sowohl diejenigen,<br />
die immer seekr<strong>an</strong>k werden, wie auch die nie Betroffenen sind auch unter Berufsseeleuten<br />
zu finden, also relativ unabhängig von Erfahrung oder Stärke des<br />
Seeg<strong>an</strong>gs.<br />
Eine dritte große Gruppe ist nur situationsabhängig betroffen, in der Regel bei<br />
starkem Seeg<strong>an</strong>g. Auf Segelschiffen werden Halbwind- und Amwind-Kurse wegen<br />
der stabilen Schiffslage besser vertragen als Kurse mit raumem oder achterlichem<br />
Wind. Am schlimmsten ist hohe Dünung ohne jeden Wind.<br />
Je nachdem wie die Crew unter diesen Aspekten zusammengesetzt ist, wird die<br />
psychologische Führung variieren. Die „Gefeiten“ der ersten Gruppe benötigen naturgemäß<br />
keine spezielle Fürsorge, bekommen aber unter Umständen eine besondere<br />
Rolle, wenn mehrere Seekr<strong>an</strong>ke der <strong>an</strong>deren Gruppen <strong>an</strong> <strong>Bord</strong> sind. Darüber<br />
unten ausführlicher.<br />
Die zweite Gruppe wird in der Regel auch bei ruhigem Wetter seekr<strong>an</strong>k, oft schon<br />
beim ersten Schritt <strong>an</strong> <strong>Bord</strong>. H<strong>an</strong>delt es sich um Segler mit einschlägiger Vorerfahrung,<br />
bringen diese meist ihre eigenen Tricks mit, die von speziellen Medikamenten<br />
über Pflaster bis zu subjektiv erprobten paramedizinischen Mitteln reichen. Wie bei<br />
<strong>an</strong>deren Beh<strong>an</strong>dlungen dürfte auch hier ein starker psychischer Faktor in der Rechnung<br />
sein - der Glaube hilft … . Dennoch scheint mir naturwissenschaftlicher Purismus<br />
un<strong>an</strong>gebracht, sol<strong>an</strong>ge die Sache funktioniert. Auf jeden Fall sollten die Mittel<br />
nicht erst bei Beginn der Seekr<strong>an</strong>kheit sondern deutlich vorher <strong>an</strong>gewendet werden.<br />
Weitere Einzelheiten siehe siehe Buch (und Sondertext).<br />
Speziell bei der ersten Bek<strong>an</strong>ntschaft mit Seekr<strong>an</strong>kheit ist der Hinweis auf das<br />
Verschwinden nach Gewöhnung des Gleichgewichtsorg<strong>an</strong>s („Umprogrammierung“)<br />
von großer Bedeutung. Das Licht am Ende des Tunnels erleichtert das Durchhalten<br />
in dieser wahrhaft ekelhaften Situation. Normalerweise hat sich das Gleichgewichtsorg<strong>an</strong><br />
nach etwa drei Tagen umgestellt. In dieser Gewöhnungszeit ist Aktivität<br />
ein wichtiger Helfer. Speziell die Gruppe der „Immer-<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs-Seekr<strong>an</strong>ken“<br />
übersteht diese Zeit besser, wenn sie aktiv in die notwendigen Arbeiten einbezogen<br />
ist <strong>an</strong>statt „kr<strong>an</strong>k“ in einer Ecke zu sitzen. Da frische Luft Anflüge von Seekr<strong>an</strong>kheit<br />
mildert, ist Arbeit <strong>an</strong> Deck eindeutig vorzuziehen. Arbeit am Kartentisch oder besonders<br />
in der P<strong>an</strong>try oder am Motor verbieten sich, zumal alle intensiven Gerüche<br />
3 Vgl. ausführlicher Fr<strong>an</strong>k <strong>Praetorius</strong>: Die Seekr<strong>an</strong>kheit. Nautische Nachrichten 4/2002, 34–47<br />
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