Teil I: Adventgeschichten
Teil I: Adventgeschichten
Teil I: Adventgeschichten
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LEGENDE VON DER RETTUNG AUS SEENOT<br />
Lang, lang ist's her. Es gab noch keine Autos, keine Eisenbahnen und auch noch keine Flugzeuge.<br />
Die Seeleute, die damals mit ihren Schiffen über das Meer fuhren, spannten große Segel auf. Die<br />
Kraft des Windes trieb ihr Schiff von Hafen zu Hafen. Aus dieser Zeit erzählt man sich die<br />
Geschichte, wie der heilige Nikolaus, der Bischof von Myra, zum Schutzpatron der Schiffer geworden<br />
ist.<br />
Eines Tages segelte ein stolzes Schiff durch das Mittelmeer. Es wollte nach Konstantinopel. An Bord<br />
trug es reiche Schätze Arabiens. Es war wohlausgerüstet und hatte eine tüchtige Mannschaft. Der<br />
Kapitän war ein alter, erfahrener Seemann.<br />
Schon war der ersehnte Hafen nicht mehr weit, da verdüsterte sich der Himmel, Wind sprang auf,<br />
und die Kämme der Wellen wurden schaumig und weiß. Doch der Kapitän hatte mit seinem Schiff<br />
schon so manches böse Wetter durchgestanden. Er wusste, was zu tun war. Er ließ die Segel reffen.<br />
Das Ruder nahm er selber in die Hand. Genau dem Wind entgegen, drehte er den Bug seines<br />
Schiffes. Die Seeleute gehorchten seinen Befehlen aufs Wort. Doch der Wind wurde immer<br />
wütender, wuchs zum Sturm, heulte in den Tauen und Masten und riss den Leuten die Worte vom<br />
Mund.<br />
Noch kämpfte das Schiff unverdrossen gegen die Wellen an. Aber schon türmte der Sturm das Wasser<br />
zu Bergen, schon warfen sich die Wellen über die Bordwand und überspülten das Deck. Breitbeinig<br />
stand der Kapitän und hielt das Ruder fest. Sein Steuermann half ihm dabei. Jetzt prasselten<br />
Regenschauer hernieder. Es wurde finster wie in der Nacht; eine Nacht ohne Stern, ohne Mond. Wieder<br />
schäumte ein Wellengebirge hoch auf, zerbrach und stürzte auf das Schiff. Das Holz ächzte. Ein<br />
Zittern durchlief den Schiffsrumpf und alle, die er trug. Pfeifen und Knirschen fuhr durch den Mast,<br />
ein Splittern, ein Krachen! In halber Höhe zerbarst ein Mast. Wie wild hieben die Männer mit Beilen<br />
und Äxten die Taue durch, damit das Wasser das gebrochene Holz wegschwemmen konnte. Doch<br />
eine Woge riss den mächtigen Mast hoch auf, schlug ihn gegen das Schiff und stieß ein Loch in die<br />
Bordwand. Immer noch hielten die Taue den Rammbock.<br />
Da liefen die Seeleute fort, um dem wildgewordenen Mastholz zu entgehen. Schon sah der Kapitän<br />
sein Schiff verloren, da fiel ihm in der höchsten Not ein, was er einst vom Bischof Nikolaus von<br />
Myra gehört hatte. »Sankt Nikolaus, Sankt Nikolaus! Bitte für uns!«, schrie er dem Sturm entgegen.<br />
Die Seeleute, die ihm am nächsten standen, hörten seinen Schrei. Sie nahmen den Ruf auf. So drang<br />
er bis in das Vorschiff. »Sankt Nikolaus! Bitte für uns!«, schrien die Matrosen. Mit einem Male wurde<br />
es ein wenig heller.<br />
Plötzlich stand mitten auf dem Schiff ein Mann, den sie nie zuvor gesehen hatten. Er schwang seine<br />
Axt und hieb auf die Haltetaue ein. Die Matrosen fassten durch sein Beispiel wieder Mut und kappten<br />
die letzten Taue, die den gefährlichen Mastbaum noch hielten. Die nächste Woge trug ihn weit vom<br />
Schiffsrumpf fort. Stunden noch wütete das Wasser, doch nach und nach wurden die Wellen zahmer,<br />
und allmählich flaute der Wind ab. Als schließlich die Sonne zwischen jagenden Wolken hin und wieder<br />
hervorschaute, da war die ärgste Gefahr vorbei.<br />
Aber wie sah das stolze Schiff aus! Wie ein zerzausten Vogel trieb es auf dem Meer. Zerrissen die<br />
Planken, zersplittert die Bordwand, verwüstet das Deck, weggeschwemmt die Ladung. Endlich übergab<br />
der Kapitän dem Steuermann wieder das Ruder. »Bringt mir den Mann her, der uns gerettet hat!«<br />
befahl der Kapitän. Doch so sehr die Seeleute auch suchten, sie fanden ihn nicht. Am nächsten Tag<br />
tauchte die Küste von Kleinasien in der Ferne auf. Ein Notsegel, am Maststumpf mühsam aufgeknöpft,<br />
trieb sie langsam in den Hafen von Myra. Die Matrosen vertäuten das verwundete Schiff. Sie<br />
warfen sich in ihre Kojen und wollten nichts als schlafen, schlafen, schlafen.<br />
Der Kapitän aber ging mit seinem Steuermann zur Kirche von Myra hinauf. Er wollte dem Herrn für<br />
die Rettung aus Seenot danken. In der Kirche wurde gerade ein Gottesdienst gefeiert. Vorne am Altar<br />
stand der Bischof. Als die Seeleute näher kamen, erkannten sie ihn. Sie sahen, dass er der Mann war,