CAROLINE
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DER UTOPIERAUM DES MÖGLICHEN<br />
Ein Gespräch mit Bühnen- und Kostümbildner Frank Hänig über die Arbeit am »Faust«<br />
IM GESPRÄCH 5<br />
Was kommt dir als Erstes in den Kopf, wenn<br />
du »Faust« hörst<br />
Als Erstes fällt mir immer Utopie ein,<br />
der Utopieraum des Möglichen, in dem<br />
die Hoffnung lebt. Für mich ist aber<br />
auch interessant, dass das Stück sich um<br />
einen Mann dreht, der nicht nur literarische<br />
Figur ist, sondern ein sehr heutiger,<br />
zeitgenössischer Intellektueller. Es geht<br />
um einen modernen Menschen, der alles<br />
versucht hat, was die Wissenschaft, die<br />
Philosophie, was Religion, was Kunst<br />
und nicht zuletzt Magie betrifft, und er<br />
hat trotzdem nicht gefunden, was die<br />
Welt im Innersten zusammenhält. Das<br />
liegt für mich daran, dass alles nur Kopfkino,<br />
nur Theorie war, dass Faust nicht<br />
wirklich gelebt hat. Diese Erkenntnis hat<br />
er, dass das wahre sinnliche Leben draußen,<br />
außerhalb seiner Studierstube ohne<br />
ihn abgelaufen ist. Faust ist für mich ein<br />
Symbol dafür, dass eine gute Idee allein<br />
an sich nutzlos ist, man muss diese dann<br />
auch leben.<br />
Was ist aus deiner Sicht das Besondere als<br />
Bühnen- und Kostümbildner an der Arbeit<br />
am »Faust«<br />
Für die Theaterarbeit brauche ich immer<br />
ein gutes Team. Regisseur, Dramaturg<br />
und Bühnenbildner stehen für mich dabei<br />
auf Augenhöhe, sind Partner beim<br />
Suchen und Finden. Als Bühnenbildner<br />
versuche ich, Weltzusammenhänge in<br />
Bilder zu übersetzen. Bei »Faust« gibt<br />
es da unendliche Möglichkeiten, eine<br />
Botschaft über die Optik und den Raum<br />
zu vermitteln, und außerdem einen Aktionsraum<br />
für die Schauspieler zu schaffen.<br />
Auf der Bühne hat darüber hinaus<br />
alles Mitspracherecht: Licht, Form,<br />
Farbe, Klang, und eine Synthese aus all<br />
diesen Künsten ist gutes Theater.<br />
Bühnenbildner ist es das Problem, dass<br />
er sich immer als Erster festlegen muss<br />
und dass das konkret ist und dennoch<br />
verhandelbar bleibt. Aus diesen Diskussionen<br />
um eine Konzeption entwickelt<br />
sich dann der Entwurf und am Modell<br />
die Raumlösung, die durch das Kostüm<br />
noch konkretisiert und bildnerisch verstärkt<br />
wird.<br />
Wie zeigt sich in deinem Entwurf für das<br />
»Faust«-Bühnenbild deine Interpretation des<br />
Stoffes<br />
Am Anfang ist der Faust für uns ein<br />
Mensch, der schon lange keinen direkten<br />
Kontakt zur Außenwelt hatte. Diese Isolation<br />
wollen wir auch im Raum zeigen,<br />
es ist ein Elfenbeinturm des Rückzuges<br />
vor dem Alltäglichen da draußen, ein Ort<br />
für die innere Immigration. Beim Osterspaziergang<br />
sprengt die abgeschlossene<br />
Welt Faustens etwas auf, und er entdeckt<br />
die auferstehende Natur, es ist im Wortsinn<br />
auch eine Auferstehung für Faust.<br />
Wir wollten diesen Moment aber nicht<br />
verklärt, romantisch, idyllisch und völlig<br />
unschuldig zeigen, stattdessen stellen<br />
wir auf der Bühne Natur als schon durch<br />
den Menschen verändert dar.<br />
Was ist bei der Inszenierung hinsichtlich der<br />
Kostüme zu beachten<br />
Das Wichtigste ist, dass das Kostüm für<br />
den Schauspieler eine zweite Haut ist. Es<br />
soll ihm helfen, die Geschichte zu erzählen.<br />
Konkret beim Faust ist die<br />
Aufgabe, die Entwicklung vom forschenden,<br />
weltfremden, lebensmüden Einsiedler<br />
bis zum verjüngten lebenshungrigen<br />
Verführer zu zeigen, ohne seine Intellektualität<br />
zu verleugnen. Bei Gretchen<br />
haben wir versucht, die Geschichte so<br />
zu erzählen, dass sie nicht nur das naive<br />
Mädchen ist, sondern auch eine Frau,<br />
Verführte und Verführerin zugleich. Im<br />
Kostüm ist nichts Statisches, sondern<br />
es hat eine Entwicklungsgeschichte: von<br />
der traumhaften ersten Begegnung über<br />
rauschhafte Liebesnächte, den Walpurgisnachtalptraum<br />
mit Kindstod bis zur<br />
erschütternden Kerkerszene, die »zweite<br />
Haut«, unschuldig bis blutig, erzählt die<br />
Gretchentragödie mit.<br />
Die »Faust«-Inszenierung ist eine Gemeinschaftsproduktion<br />
von Schauspiel und<br />
Thüringer Symphonikern. Worin besteht die<br />
Herausforderung, ein Orchester mit auf der<br />
Bühne unterzubekommen<br />
Das war durchaus eine Aufgabe, denn<br />
die Musik vergrößert das gesprochene<br />
Wort und ist eine immense Herausforderung<br />
für jeden Schauspieler. Außerdem<br />
wird de facto die Nähe, die Mephisto und<br />
Faust zum Publikum als Spieler brauchen,<br />
durch einen Orchestergraben aufgehoben.<br />
Deshalb haben wir eine Raumlösung<br />
erdacht, die den Orchestergraben<br />
umschließt und ein Spielen auch direkt<br />
am Zuschauer ermöglicht. Wir haben<br />
quasi eine Klammer um das Orchester<br />
hin zum Zuschauer gebaut, damit Klangkörper<br />
und Schauspieler gleichberechtigt<br />
agieren können.<br />
Text & Bild: Tim Bartholomäus<br />
(v.L.) Carola Sigg, Lisa Klabunde und Frank Hänig bei der Konzeptionsprobe zum »Faust«<br />
Du fügst also mit deinem Bühnenbild eine<br />
weitere Deutungsebene hinzu<br />
Auf jeden Fall. Es geht nicht um die<br />
Illustration dessen, was ohnehin vom<br />
Dichter durch die Schauspieler gesagt<br />
wird, sondern um Interpretation. Das<br />
heißt dann aber auch, wie Goethe es im<br />
Vorspiel anspricht, es nicht immer allen<br />
recht machen zu können. In vielen Gesprächen<br />
mit dem Team nähern wir uns<br />
unserer Lesart, und dabei ist mein Part<br />
der des »storyteller in pictures«. Für den