EDRO Magazin 2014 online - EDRO Soccerevents
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Gut und Theuer<br />
Headline<br />
Gezielt angreifen konnte Christoph Theuerkauf<br />
schon immer. Die Kunst der Verteidigung<br />
aber würde der Nationalspieler<br />
in diesem Leben nicht mehr erlernen. So<br />
glaubte man jedenfalls – bis er nach Balingen<br />
wechselte.<br />
„Herr Theuerkauf sucht das Glück in der<br />
Provinz“ – so hätte sie lauten können, die<br />
Schlagzeile im Sommer 2012, als sich<br />
Christoph Theuerkauf, dessen Vertrag beim<br />
TBV Lemgo nicht verlängert worden war,<br />
entschloss, zum HBW Balingen-Weilstetten<br />
zu wechseln. Und nun Hat er sein Glück<br />
gefunden Zunächst einmal hat „Theuer“,<br />
wie er seit seiner Kindheit gerufen wird, in<br />
Balingen eine neuen Job gefunden. Der<br />
HBW-Kapitän Wolfgang Strobel ernannte<br />
den 28-jährigen vor Beginn der vergangenen<br />
Saison kurzerhand zum Kassenwart – der<br />
treibt auch beim HBW Balingen-Weilstetten<br />
die Strafgelder ein. Der Neuzugang erfüllt die<br />
verantwortungsvolle Aufgabe offenbar zur<br />
Zufriedenheiten aller, denn er verwaltet auch<br />
in dieser Saison die Team-Finanzen.“Theuer<br />
ist dafür prädestiniert“, sagt Wolfgang Strobel<br />
mit einem Schmunzeln, „denn er legt<br />
großen Wert auf Regeln und verkörpert mit<br />
seinem ganzen Wesen großen Ehrgeiz.“ Anders<br />
ausgedrückt: Es gibt kein Entrinnen für<br />
die Vergesslichen und Unpünktlichen – bei<br />
Theuer kommt keiner billig weg.<br />
Theuerkaufs Defensiv-Erfahrungen waren<br />
bislang eher visueller Natur<br />
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken:<br />
Christoph Theuerkauf hat sich bei seinem<br />
neuen Club keineswegs ungeliebt gemacht.<br />
Im Gegenteil: Die Freude in Balingen war<br />
groß, als seine Verpflichtung bekanntgegeben<br />
werden konnte. Denn auf der Schwäbischen<br />
Alb wertete man den Transfer eines<br />
namhaften und langjährigen deutschen Nationalspielers<br />
als einen Schritt in eine neue<br />
Ära. Damit, so postulierte der nunmehr seit<br />
sieben Jahren im Bundesliga-Existenzkampf<br />
erfolgreiche Klub, sei man wohl endgültig<br />
das Image der grauen Maus des Oberhauses<br />
los.<br />
Christoph Theuerkauf mag der Trubel um<br />
seine Person in der Handball-Provinz durchaus<br />
geschmeichelt haben. Für den Wechsel<br />
zum HBW aber hat er sich nicht allein aus<br />
diesem Grund entschieden – zumal er woanders<br />
sicherlich mehr Geld hätte verdienen<br />
können. Aber das war dem ehrenamtlichen<br />
Kassenwart in seiner Karriere noch nie das<br />
Wichtigste. „Ich wollte einfach mehr spielen“,<br />
sagt Theuer. Und da Balingens Trainer<br />
Rolf Brack<br />
den Blockwechsel<br />
bevorzugt,<br />
gab<br />
es für ihn<br />
eine gewisse<br />
Einsatzgarantie.<br />
Und die ist<br />
für den Nationalspieler<br />
gerade auch<br />
in der Defensive<br />
zentral<br />
wichtig,<br />
denn sein<br />
Engagement<br />
in Balingen<br />
steht auch<br />
unter dem<br />
Motto Weiterentwicklung. „In zehn Jahren<br />
Bundesliga habe ich im Angriff so ziemlich<br />
alles erlebt“, sagt Theuer. Aber irgendwann<br />
hörten seine Trainer auf, daran zu glauben,<br />
dass aus ihm auch ein passabler Abwehrspieler<br />
werden könne. So waren seine Erfahrungen<br />
in der Defensive in den vergangenen<br />
Jahren vornehmlich visueller Natur; jahrelang<br />
gehörte nach einem Angriff der Sprint zur<br />
Auswechselbank zu den Automatismen des<br />
Kreisläufers. Das will Christoph Theuerkauf<br />
ändern. Beim HBW sieht er die Chance, „mir<br />
und anderen zu beweisen, dass ich auch Abwehr<br />
spielen kann“, sagt er. Weder in seiner<br />
Heimatstadt Magdeburg, noch in Lemgo und<br />
schon gar nicht in der DHB-Auswahl hatte<br />
er dazu Gelegenheit. Deshalb begab er sich<br />
in die Hände des Perfektionisten Rolf Brack.<br />
„Von ihm ist noch keiner schlechter weggegangen,<br />
als er zu ihm gekommen ist“, sagt<br />
Theuerkauf über den Trainer des HBW – und<br />
weiß inzwischen auch, was Brack unter dem<br />
Wort akribisch versteht. Der Balinger Coach<br />
ist – nett ausgedrückt – ein hartnäckiger<br />
Verfechter des Prinzips der Wiederholung.<br />
Gleichzeitig hat Theuerkauf aber auch erfahren,<br />
„dass ich in Balingen Fehler machen<br />
darf. Das ist für die Entwicklung meines Abwehrspiels<br />
sehr wichtig.“ Und so fällt sein<br />
Zwischenfazit nach einem guten Jahr Balingen<br />
positiv aus: „Ich bin besser geworden.“<br />
Sein Trainer sieht das ein wenig differenzierter.<br />
„Er hat da noch ein Steigerungspotenzial<br />
von 50 Prozent“, lautet die nüchterne Analyse<br />
des Sportwissenschaftlers. Der Grund:<br />
Christoph Theuerkauf fehlen wichtige Wochen<br />
an Erfahrungen, die nur in der Vorbereitungszeit<br />
gemacht werden können: 2012<br />
konnte er aufgrund eines Bänder- und Kapselrisses<br />
im Sprunggelenk nur 14 Tage der<br />
Vorbereitung mitmachen, in diesem Sommer<br />
fiel sie in taktischer, technischer und spielerischer<br />
Hinsicht nahezu komplett aus. Theuerkauf<br />
musste sich einer Operation an der<br />
Hüfte unterziehen und konnte erst kurz vor<br />
dem ersten Saisonspiel in das Mannschaftstraining<br />
einsteigen. „Er hat nicht viel Entwicklungszeit<br />
gehabt“, sagt Brack. Und: „Die Abstellungen<br />
für die Nationalmannschaft sind<br />
diesbezüglich auch nicht optimal.“<br />
Wohlgemerkt: Die Rede ist von der Abwehr,<br />
an Theuerkaufs Angriffsleistungen gibt es<br />
wenig auszusetzten. In diese Saison startete<br />
er stark, auch bedingt durch die Verletzung<br />
von Wolfgang Strobel (Daumenbruch) spielte<br />
der Kreisläufer in den ersten Saisonspielen<br />
durch. Als Vorteil für Theuerkauf erweist<br />
sich auch die Rückkehr von Martin Strobel<br />
zum HBW zu Beginn dieser Runde, Strobel<br />
kennt er aus der DHB-Auswahl und spielte<br />
zwei Jahre lang in Lemgo mit ihm zusammen.<br />
„ER ist einer der besten Spielgestalter der<br />
Liga, sein Spiel kommt mir entgegen“, sagt<br />
Theuer. „Natürlich profitieren wir voneinander“,<br />
sagt auch Martin Strobel. „Wir haben<br />
uns schon immer gut verstanden.“ Auch außerhalb<br />
des Spielfelds. Handballfreie Zeit ist<br />
in Balingen entspannt. Promistress gibt es<br />
nicht. Neulich, als auf dem Balinger Marktplatz<br />
– in dessen Nähe Theuerkauf auch<br />
wohnt – ein Fernsehspot über ihn gedreht<br />
wurde, blieb so mancher Passant stehen<br />
und fragte erst einmal nach, wer das denn<br />
sei, der da im Mittelpunkt stehe. Theuer ist<br />
dieses Stück Anonymität ganz recht. Er konzentriert<br />
sich lieber auf sein Kerngeschäft<br />
– und gilt deshalb als Musterprofi. „Er hat<br />
früh seine ersten Erfahrungen in der Magdeburger<br />
Handball-Grundschule gemacht, und<br />
dort wird den Spielern schon im Jugendbereich<br />
vor Augen geführt, was Professionalität<br />
heißt“, sagt Rolf Brack. „Er hat im ganz<br />
positiven Sinn eine sehr professionelle Einstellung“.<br />
Theuerkauf begann im Alter von sieben Jahren<br />
mit dem Handball, wechselte als 14-jähriger<br />
vom TuS Magdeburg-Neustadt zum SC<br />
Magdeburg, durchlief die Kaderschmiede<br />
des SC und feierte als Jugendlicher vier<br />
deutsche Meisterschaften und einen Europameistertitel.<br />
Eine Ausbildung zum Gymnastiklehrer<br />
hat er abgeschlossen, allerdings<br />
nur zur Absicherung. „Für mich war schnell<br />
klar, dass ich Handballprofi werden möchte“,<br />
sagt Theuerkauf. Wobei die Liebe zu dem<br />
dynamischen Sport keine familiären Wurzeln<br />
hat. Theuer ist der einzige Handballspieler in<br />
seiner Familie. 2003 bestritt er sein erstes<br />
Bundesligaspiel, ein Jahr später streifte sich<br />
der 1,92 Meter große Kreisläufer erstmals<br />
das Nationaltrikot über. 57 Spiele hat er seither<br />
für Deutschland bestritten und dabei 111<br />
Tore erzielt. 2007 holt er mit dem SC Magdeburg<br />
den EHF-Cup. Und nun also Balingen.<br />
Keine Titel, keine Pokale, dafür Harmonie.<br />
„Ich habe noch keine Mannschaft gesehen,<br />
in der das Gefüge so intakt ist wie hier“ ,<br />
sagt Theuer, „hier gibt es keinen Neid, hier<br />
werden keine Intrigen gesponnen“. In dieser<br />
Wohlfühl-Atmosphäre erlebt er sich in einer<br />
neuen Rolle. „Beim SCM war ich der Magdeburger<br />
Junge, in Lemgo der Motivator. In<br />
Balingen bin ich einfach ich.“<br />
Natürlich verpflichtete Rolf Brack („Das<br />
Team ist mir ein bisschen zu ruhig“) Christoph<br />
Theuerkauf auch mit dem Kalkül, einen<br />
„emotional leader“ in seine Mannschaft zu<br />
holen und ihn im Mannschaftsrat zu platzieren.<br />
Nach wie vor ist die geballte Faust das<br />
Theuersche Markenzeichen, nach wie vor<br />
sorgt er an vorderster Front für Feuer. Das ist<br />
sein Naturell. Aber nicht nur seines. „Hier in<br />
Balingen sind alle emotional“, hat Theuerkauf<br />
schnell festgestellt. Der Kampfgeist ist das<br />
Lebenselixier der „Gallier von der Alb“. Theuerkauf<br />
muss sich nicht als Marktschreier profilieren.<br />
„Hier falle ich nur durch meine sportliche<br />
Leistung auf“ sagt Theuer – und genießt<br />
den dadurch gewonnen Freiraum für mehr<br />
Kreativität. Es kam viel Positives zusammen<br />
in Balingen, das dem heimatverbunden Theuerkauf<br />
half, die rund 700 Kilometer große Distanz<br />
nach Magdeburg zu akzeptieren. Mal<br />
schnell in die Heimat düsen, das geht nicht.<br />
Dafür hat seine Familie das Schwabenland<br />
für sich entdeckt. Einige Male im Jahr kommen<br />
Eltern oder Geschwister in den Süden,<br />
auch um Urlaub zu machen. „Das kann man<br />
hier ganz prima“, sagt Theuer, der die Lebensqualität<br />
des Landstrichs zu schätzen gelernt<br />
hat mit dessen Nähe zu den Alpen oder<br />
dem Bodensee. Und nicht zu vergessen: Der<br />
ausgewiesene Fußball-Fan ist schnell in den<br />
Stadien in Stuttgart, München oder Freiburg.<br />
Seine Lebensgefährtin Juliane fand zudem<br />
gleich eine Arbeitsstelle. „Uns geht es echt<br />
gut hier“, sagt Theuerkauf.<br />
Keine Spur mehr von Sehnsucht nach dem<br />
Magdeburger Dunstkreis, in dem er sich<br />
zwölf Jahre lang bewegte, sieben davon in<br />
der Bundesliga. Die Veränderung hat Schubwirkung<br />
– zugunsten neuer Perspektiven,<br />
neuer Erkenntnissen und nicht zuletzt neuer<br />
Qualitäten. So gesehen hat Herr Theuerkauf<br />
das Glück am richtigen Ort gesucht. „Ich<br />
habe hier ein neues Zuhause gefunden“,<br />
sagt der Kreisläufer, dessen Vertag im Sommer<br />
<strong>2014</strong> ausläuft. Und dann „ Ich würde<br />
gerne hierbleiben!“<br />
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