Borsos, Die Glaskunst im alten Ungarn ... - Pressglas-Korrespondenz
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<strong>Pressglas</strong>-<strong>Korrespondenz</strong> 2006-2<br />
Unter der römischen Herrschaft,<br />
die sich vier Jahrhunderte lang auf einen bedeutenden<br />
Teil des nachmaligen <strong>Ungarn</strong>s erstreckte, erlebte hier<br />
die <strong>Glaskunst</strong> ihre erste wunderbare und in vieler<br />
Hinsicht selbst bis zur Gegenwart nicht übertroffene<br />
Blütezeit.<br />
Abb. 2006-2/096<br />
Pokal, geblasenes Glas, <strong>im</strong> Nodus eingeschweißte Verzierung<br />
aus bunten Fäden; venezianische Arbeit aus der zweiten Hälfte<br />
des 15. Jhdts. War <strong>im</strong> Besitz des Königs Matthias Corvinus,<br />
später <strong>im</strong> Besitz der Familie Batthyány. H 42 cm; der Fuß ist<br />
<strong>im</strong> 16. Jhdt. zerbrochen und durch den gegenwärtigen feuervergoldeten<br />
Silberfuß ersetzt worden, auf dem eine umlaufende<br />
eingravierte Inschrift die Geschichte dieses bedeutenden<br />
Kunstgegenstandes mitteilt.<br />
Ungarisches Nationalmuseum, Budapest (Farbtafel)<br />
aus <strong>Borsos</strong>, <strong>Glaskunst</strong> <strong>Ungarn</strong>, Budapest 1963, S. 21, Abb. 5<br />
Aus der Zeit der römischen Kultur ist uns ein sehr<br />
reiches Fundmaterial überliefert. <strong>Die</strong> in <strong>Ungarn</strong> gefundenen<br />
Glasgefäße aus der Römerzeit reichen oft an<br />
die Spitzenleistungen der römischen <strong>Glaskunst</strong> heran.<br />
Wir denken besonders an die luxuriösen Diatreton-<br />
Gefäße mit meist sphärischer unterer Hälfte, die von einem<br />
frei stehenden, nur mit dünnen Glasstäben am Gefäß<br />
haftenden Netzwerk umgeben waren. Wie diese Gefäße<br />
hergestellt wurden, darüber wurde viel gestritten,<br />
ohne die Frage klären zu können. Früher dachte man,<br />
sie seien aus einem groben dickwandigen Gefäß hergestellt<br />
worden, indem man das Netzwerk und die Stäbchen<br />
aus der Glasmasse herausschnitt und das überflüssige<br />
Glas durch Schleifen und Bohren entfernte. <strong>Die</strong>ses<br />
Verfahren erforderte eine unerhörte Handfertigkeit und<br />
eine für den heutigen Menschen fast unvorstellbare Geduld.<br />
In <strong>Ungarn</strong> wurde das schönste Diatreton in<br />
Szekszárd, einer Stadt in der ehemaligen Provinz Pannonien,<br />
gefunden. <strong>Die</strong> Füße des beschädigten Gefäßes<br />
werden von drei Delphinen und drei Schnecken gebildet.<br />
Sein unterer Teil ist durch einen durchbrochenen<br />
geschliffenen Reifen unterteilt. Um die Wand läuft anstatt<br />
des gebräuchlichen Netzes eine eingeschliffene Inschrift<br />
in schlanken, elegant geformten griechischen<br />
Buchstaben (Abb. 2).<br />
Noch zwei ähnliche Stücke und mehrere Bruchstücke<br />
sind in <strong>Ungarn</strong> gefunden worden.<br />
<strong>Die</strong>se Meisterwerke wurden allem Anschein nach <strong>im</strong><br />
Ausland erzeugt. Zusammen mit vielen anderen kostbaren<br />
römischen Gläsern stammen sie aus dem großen<br />
rheinischen Glaszentrum. In Trier und später in Köln erreichte<br />
die Glasfabrikation <strong>im</strong> 2. und 3. Jahrhundert eine<br />
hohe Blüte und behielt ihre Bedeutung auch noch später.<br />
Der größte Teil der aus ungarischem Boden geborgenen<br />
römischen Gläser stammt vom Rhein und<br />
ist über die wichtige Rhein-Donau Handelsstraße nach<br />
Pannonien gelangt.<br />
Außer den Formen aus rheinischen Werkstätten befinden<br />
sich unter den pannonischen Funden auch Typen,<br />
die aus den beiden anderen wichtigen römischen Glaszentren<br />
- Norditalien und Alexandrien - stammen und<br />
den Import aus beiden Richtungen nach Pannonien beweisen<br />
(Abb. 3. und 4).<br />
Neben den verzierten Exemplaren ausländischer Herkunft<br />
von unübertrefflicher Vollkommenheit tauchen<br />
bereits pr<strong>im</strong>itive, dunkelgrün gefärbte Gegenstände aus<br />
älteren Perioden auf, die wir für die Produkte pannonischer<br />
Hütten h<strong>alten</strong> können. Größere formlose Glasbrocken<br />
kamen aus dem Zivilstadtteil Aquincums be<strong>im</strong><br />
heutigen Budapest und aus Brigetio (das heutige Szöny<br />
in Westungarn) zutage, und man sieht in diesen Funden<br />
den Beweis für die Tätigkeit einer römischen Glashütte<br />
in Pannonien. Alles spricht dafür, dass unter den zur<br />
Versorgung der Legionen eingerichteten Handwerksbetrieben<br />
auch Glashütten vorhanden waren. <strong>Die</strong> ersten<br />
Glashütten auf dem Territorium <strong>Ungarn</strong>s müssten demnach<br />
römisch gewesen sein und <strong>im</strong> 1. und 2. Jahrhundert<br />
vorwiegend für die Legionen gearbeitet haben.<br />
Nachdem die Wellen der Völkerwanderung die Basteien<br />
des römischen Reiches in Pannonien hinweggeschwemmt<br />
hatten, war es auch mit der blühenden<br />
Glaskultur vorbei. Danach trat das Glas wieder lediglich<br />
in Form pr<strong>im</strong>itiver Perlen als Material für<br />
Schmuckstücke auf wie in der frühen Eisenzeit oder in<br />
noch älteren Funden.<br />
Das Jahr 896 war von entscheidender Bedeutung <strong>im</strong> Leben<br />
des Karpatenbeckens. <strong>Die</strong> <strong>Ungarn</strong>, dieses nomadisierende<br />
Reitervolk, hatten bereits Jahrhunderte vorher<br />
ihre in den südlichen Ausläufern des Uralgebirges angenommene<br />
Urhe<strong>im</strong>at verlassen; nach langen Wanderungen<br />
besetzten sie nun den Raum diesseits der Karpaten<br />
und legten die Grundlagen für den heute bestehenden<br />
ungarischen Staat.<br />
Seite 134 von 306 Seiten pk-2006-2-04 Stand 17.05.2006