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7. Vorlesung: Theorien der Methode III/Theorien des Rechts I. Die ...

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<strong>Die</strong>tmar von <strong>der</strong> Pfordten <strong>Vorlesung</strong> Theorie und <strong>Methode</strong>n <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />

<strong>7.</strong> <strong>Vorlesung</strong>: <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Methode</strong> <strong>III</strong>/<strong>Theorien</strong> <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong><br />

I. <strong>Die</strong> Wertungsjurisprudenz: Hauptvertreter: Larenz/Coing/Canaris/Bydlinski<br />

<strong>Die</strong> Wertungsjurisprudenz hat die Nachfolge <strong>der</strong> Interessenjurisprudenz ange-<br />

treten. Man wird sie heute – v. a. im Zivilrecht – wohl als herrschende Ansicht<br />

ansehen können. Hauptvertreter ist Karl Larenz mit seinem Buch „<strong>Methode</strong>n-<br />

lehre <strong>der</strong> <strong>Rechts</strong>wissenschaft“ (6. Aufl. Berlin 1991). <strong>Die</strong> Wertungsjurisprudenz<br />

nimmt wie die Interessenjurisprudenz eine mittlere Haltung zwischen einer<br />

Freirechtsschule <strong>der</strong> relativ freien richterlichen <strong>Rechts</strong>findung und ihren Nach-<br />

folgern (v. a. Josef Esser, Theodor Viehweg) 1 und einer engen logisch-<br />

subsumtionsorientierten Jurisprudenz an (v. a. Koch/Rüßmann). 2<br />

Larenz kritisiert an Heck die unklare Verwendung <strong>des</strong> Ausdrucks „Interesse“<br />

(S. 118ff.). Zum einen werde das Interesse als den Gesetzgeber motivieren<strong>der</strong><br />

„Kausalfaktor“ angesehen, zum an<strong>der</strong>en als Gegenstand <strong>der</strong> von ihm vorge-<br />

nommenen Bewertung und gelegentlich sogar als Bewertungsmaßstab. Daraus<br />

erwächst nach Larenz die For<strong>der</strong>ung, den Interessenbegriff auf die Begehrungs-<br />

vorstellungen zu beschränken, die die an einem <strong>Rechts</strong>streit Beteiligten haben<br />

o<strong>der</strong> haben müssen, wenn sie die günstigsten <strong>Rechts</strong>folgen erstreben. Davon<br />

klar zu unterscheiden sind die gesetzlichen Bewertungsmaßstäbe. <strong>Die</strong>se sind<br />

selbst nicht wie<strong>der</strong> Interessen, son<strong>der</strong>n Folgerungen aus <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Gerechtig-<br />

keit. <strong>Die</strong> Gesetze regeln also – zumin<strong>des</strong>t im Privatrecht – Interessenkonflikte.<br />

Aber sie sind nicht selbst kausal von diesen Interessen abhängig o<strong>der</strong> Ausdruck<br />

weiterer Interessen, son<strong>der</strong>n sie erheben einen objektiven o<strong>der</strong> quasi-objektiven<br />

1 Josef Esser, Vorverständnis und <strong>Methode</strong>nwahl in <strong>der</strong> <strong>Rechts</strong>findung, 2. Aufl 1972.<br />

2 Hans-Joachim Koch/Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, München 1982.


Anspruch einer gerechten Bewertung. Wie <strong>der</strong> Gesetzgeber die verschiedenen<br />

Interessen und Bedürfnisse im jeweiligen Regelungszusammenhang bewertet,<br />

schlägt sich in <strong>der</strong> getroffenen Regelung nie<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> subjektive und beliebige<br />

Seite <strong>der</strong> Interessen wird also anerkannt, aber eine klare Grenze zwischen die-<br />

sen Interessen als Gegenstand und den objektiven gesetzlichen Bewertungen<br />

gezogen. <strong>Die</strong>s ist Ausfluß von Larenz’ Hegelianismus.<br />

Der Richter ist dann bei <strong>der</strong> <strong>Rechts</strong>findung nicht gehalten, die einzelnen in Re-<br />

de stehenden subjektiven Interessen zu berücksichtigen, son<strong>der</strong>n er muß viel-<br />

mehr die Wertungen <strong>des</strong> Gesetzgebers nachvollziehen. <strong>Die</strong> Abkopplung <strong>des</strong><br />

Gesetzgebers von den unmittelbaren Interessen führt also auch zu einer Abkop-<br />

pelung <strong>des</strong> Richters. Und sie führt schließlich natürlich auch zu einer Abkoppe-<br />

lung <strong>der</strong> Wertungen <strong>der</strong> Wissenschaft von den subjektiven Interessen <strong>der</strong><br />

<strong>Rechts</strong>unterworfenen.<br />

<strong>Die</strong> Scheidung <strong>der</strong> gesetzlichen, richterlichen und wissenschaftlichen Wertun-<br />

gen von den Interessen <strong>der</strong> Betroffenen hat allerdings eine notwendige Konse-<br />

quenz. <strong>Die</strong> Interessen können nunmehr we<strong>der</strong> inhaltlich noch legitimatorisch in<br />

gleicher Weise in Anspruch genommen werden. Es eröffnet sich also ein Vaku-<br />

um <strong>des</strong> Inhalts und <strong>der</strong> Rechtfertigung. Man muß sich fragen, woher diese Wer-<br />

tungen kommen. Larenz gesteht zu, daß es sich bei <strong>der</strong> Wertungsjurisprudenz<br />

zunächst einmal nur um eine formale Wertungsjurisprudenz handelt. Mit ihr<br />

wird nichts darüber gesagt, ob den Gesetzen als Wertungen auch objektive<br />

Rechtfertigungen zugrunde liegen, ob die Verfassung eine Wertordnung enthält,<br />

und wie Werte (o<strong>der</strong> „Werthaftes“) zu erkennen sind (S. 120).<br />

Wenn dies aber so ist, so sehen sich diese Wertungen natürlich dem Vorwurf<br />

<strong>der</strong> Beliebigkeit ausgesetzt. Der Gesetzgeber wie <strong>der</strong> Richter und dann auch <strong>der</strong><br />

Wissenschaftler scheinen beliebig zu werten, was natürlich dazu führt, daß die-<br />

se Wertungen keinen Anspruch auf Objektivität erheben können. Gegen diesen<br />

Nachteil <strong>der</strong> Wertungsjurisprudenz gibt es zwei Mittel:<br />

2


Zunächst kann man die richterlichen und wissenschaftlichen Wertungen relativ<br />

stark an die gesetzlichen Wertungen binden und diese wie<strong>der</strong>um an die Wertun-<br />

gen <strong>der</strong> Verfassungsordnung. Larenz und an<strong>der</strong>e Vertreter <strong>der</strong> Wertungsjuris-<br />

prudenz haben dies etwa getan, wenn es um die Lückenfüllung durch Analogie<br />

und die teleologische Reduktion sowie um die <strong>Rechts</strong>fortbildung contra legem<br />

ging (vgl. <strong>Vorlesung</strong> 5 und 6). Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat das Grundge-<br />

setz auch als eine objektive Wertordnung begriffen (vgl. <strong>Vorlesung</strong>en 5 und 6).<br />

Gegen diese beson<strong>der</strong>e Betonung <strong>der</strong> Werte ist vor allem von Vertretern einer<br />

Hobbesianisch-Etatistischen Linie polemisiert worden, etwa Carl Schmitt, Ernst<br />

Forsthoff und in <strong>der</strong> Nachfolge dann abgeschwächt auch noch von dem<br />

Schmitt-Schüler Ernst-Wolfgang Böckenförde. 3<br />

Das zweite mögliche Mittel ist dagegen die Annahme objektiver, jenseits <strong>des</strong><br />

positiven <strong>Rechts</strong> bestehen<strong>der</strong> Werte. Larenz selbst hat eine entsprechende mate-<br />

riale Ethik bzw. abgeschwächte Version eines Naturrechts vorgeschlagen. 4<br />

II. <strong>Die</strong> Topik Theodor Viehwegs<br />

In <strong>der</strong> Linie <strong>der</strong> Freirechtsschule steht auch Theodor Viehwegs einflußreiches<br />

Buch „Topik und Jurisprudenz. Ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen<br />

Grundlagenforschung“ aus dem Jahre 1954 (5. Aufl. 1974). <strong>Die</strong> Topik ist eine<br />

von <strong>der</strong> antiken Rhetorik entwickelte techne <strong>des</strong> Problemdenkens (S. 14, 31) im<br />

Gegensatz zum Systemdenken. Sie entfaltet nach Viehweg ein geistiges Gefüge,<br />

das sich bis in Einzelheiten von einem deduktiv-systematischen System unter-<br />

3 Carl Schmitt, Tyrannei <strong>der</strong> Werte, Hamburg 1979; Ernst Forsthoff, Zur Problematik <strong>der</strong> Verfassungsauslegung,<br />

Stuttgart 1961, S. 19ff., 26ff.; Ernst Wolfgang Böckenförde, <strong>Die</strong> <strong>Methode</strong> <strong>der</strong> Verfassungsinterpretation<br />

– Bestandsaufnahme und Kritik, in: <strong>der</strong>s. Staat – Verfassung – Demokratie. Studien<br />

zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/Main 1991, S. 53ff. (70ff.).<br />

4 Karl Larenz, Richtiges Recht, Grundzüge einer <strong>Rechts</strong>ethik, München 1979.<br />

3


scheidet. Aristoteles hatte neben Schriften zur deduktiven Logik ein Buch mit<br />

dem Titel „Topik“ verfaßt. Darin sind <strong>der</strong> Ausgangspunkt nicht unumstößliche<br />

Wahrheiten, son<strong>der</strong>n allgemein angenommene Meinungen (endoxa). <strong>Die</strong>se<br />

müssen erst einmal gefunden werden. Der Fortgang ist dann auch kein dedukti-<br />

ver Schluß, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Versuch <strong>der</strong> Disputation mittels Klassifikation, das<br />

Auffinden von Gründen. Dafür stehen zunächst vier verschiedene Alternativen<br />

zur Verfügung: Gattungen, notwendige Eigenschaften, zufällige Eigenschaften,<br />

Definitionen. Zudem kennt Aristoteles zehn Kategorien <strong>der</strong> Einteilung: Sub-<br />

stanz (Quidität), Quantität, Qualität, Relation, Wo, Wann, Liegen, Haben, Wir-<br />

ken, Leiden. <strong>Die</strong> topische Begründungsweise besteht dann im Auffinden <strong>der</strong><br />

Gattungs- und Artunterschiede und <strong>der</strong> Ähnlichkeiten bei verschiedenen Gat-<br />

tungen. Damit soll es nun möglich sein, die sog. Topoi zu bilden und einzutei-<br />

len. Topoi sind für Aristoteles vielseitig verwendbare, überall annehmbare Ge-<br />

sichtspunkte, die im Für und Wi<strong>der</strong> <strong>des</strong> Meinungsmäßigen gebraucht werden<br />

und zum Wahren hinführen (S. 24). Cicero hat in einer eigenen Schrift mit dem<br />

Titel „Topik“ zwischen <strong>der</strong> Erfindung und <strong>der</strong> Urteilsbildung unterschieden. Er<br />

versteht unter Topik eine sog. ars invendi und eine Praxis <strong>der</strong> Argumentation.<br />

Viehweg zeigt, wie die Topik im römischen ius civile und in <strong>der</strong> <strong>Methode</strong> <strong>der</strong><br />

Rezeption (mos italicus) eingesetzt wurde. Sie ist nach seiner Überzeugung<br />

auch in <strong>der</strong> gegenwärtigen Zivilistik anzutreffen. <strong>Die</strong> neuzeitlichen Bemühun-<br />

gen <strong>der</strong> Wissenschaft, die Jurisprudenz zu einem deduktiv-axiomatischen Sys-<br />

tem, zu einer <strong>Rechts</strong>wissenschaft, zu machen sind nur zum Teil geglückt (S.<br />

14). Dabei wird angenommen, die Probleme <strong>der</strong> Jurisprudenz ließen sich auf<br />

diese Art und Weise lösen. Nimmt man das nicht an, so muß die Jurisprudenz<br />

als ein beson<strong>der</strong>s Verfahren <strong>der</strong> Problemerörterung verstanden werden. Man<br />

müßte sich dieser Beson<strong>der</strong>heit bewußt werden. Dabei wäre es unumgänglich,<br />

die Topik zu beachten (S. 14). Nach Meinung Viehwegs kann zumin<strong>des</strong>t am<br />

Anfang eines sachhaltigen Systems, wie es ein <strong>Rechts</strong>system darstellt, die Topik<br />

überhaupt nicht beseitigt werden. Sie muß auch als Deutungsvorschrift für ei-<br />

4


nen anwendbaren logischen Kalkül wie<strong>der</strong> auftauchen (S. 86). Einbruchstellen<br />

<strong>der</strong> Topik sollen <strong>des</strong> weiteren die <strong>Rechts</strong>anwendung, die Vagheit <strong>der</strong> Sprache<br />

und die Interpretation <strong>des</strong> Sachverhalts sein (S. 88-90).<br />

Viehwegs Ergebnis lautet:<br />

(1) <strong>Die</strong> Gesamtstruktur <strong>der</strong> Jurisprudenz kann nur vom Problem her bestimmt<br />

werden.<br />

(2) <strong>Die</strong> Bestandteile <strong>der</strong> Jurisprudenz, ihre Begriffe und Sätze müssen in spezi-<br />

fischer Weise an das Problem gebunden bleiben und können daher nur vom<br />

Problem her verstanden werden.<br />

(3) <strong>Die</strong> Begriffe und Sätze <strong>der</strong> Jurisprudenz können <strong>des</strong>halb auch nur in eine<br />

Implikation gebracht werden, die an das Problem gebunden bleibt. (S. 97).<br />

Ergebnis soll ein Gewebe <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> sein, das dem axiomatischen völlig unähn-<br />

lich ist (S. 104), weil das Problem den ersten Rang behält und nicht zum Axiom<br />

wird. Wegen <strong>der</strong> Unübersehbarkeit ihrer Problematik hat eine so eingestellte<br />

Jurisprudenz viel mehr Interesse an einer nichtsystematisierten Vielfalt von Ge-<br />

sichtspunkten. Ziel <strong>der</strong> Jurisprudenz wäre dann eine Differenzierung ihrer<br />

Topoikataloge (S. 110).<br />

Viehwegs methodische Vorstellungen bleiben relativ vage. Aber er würde wohl<br />

antworten, daß dies durch die Methodik <strong>der</strong> Topik bedingt ist: <strong>Die</strong> Probleme<br />

und Lösungstopoi lassen sich nicht in ein streng-logisches System bringen.<br />

<strong>III</strong>. Skandinavischer <strong>Rechts</strong>realismus<br />

Der Skandinavische <strong>Rechts</strong>realismus wurde um 1900 in Uppsala von A.<br />

Hägerström (1927, 1929) begründet. Weitere Hauptvertreter waren A. V. Lund-<br />

5


stedt (1932), K. Olivecrona (1940) und A. Ross (1959). 5 Hauptziel <strong>des</strong> Skandi-<br />

navischen <strong>Rechts</strong>realismus war <strong>der</strong> Kampf gegen jede Metaphysik. <strong>Die</strong> Stoß-<br />

richtung <strong>des</strong> Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus war also dem antimetaphysi-<br />

schen Kampf durch G. E. Moore und B. Russell in England vergleichbar. 6<br />

Alle Metaphysik soll nach A. Hägerström zerstört werden. 7 Grundlage jeglicher<br />

Erkenntnis kann ausschließlich die äußere und innere Erfahrung in Raum und<br />

Zeit sein. 8 Sprachliche Aussagen sind nur sinnvoll und wahrheitsfähig, wenn sie<br />

eine <strong>der</strong>artige äußere und innere Erfahrung in Raum und Zeit beschreiben. Wer-<br />

tungen und Imperative sind dagegen lediglich als Gefühlsäußerungen und be-<br />

einflussende Handlungen zu interpretieren, die nicht wie beschreibende Aussa-<br />

gen Wahrheitsfähigkeit beanspruchen können. 9 Schon aus sprachlogischen<br />

Gründen müssen demnach ein objektives Sollen und objektive Werte als unwis-<br />

senschaftlich abgelehnt werden. 10 <strong>Die</strong> metaethischen Positionen <strong>des</strong> Skan-<br />

dinavischen <strong>Rechts</strong>realismus ähneln also denen <strong>des</strong> logischen Positivismus und<br />

<strong>des</strong> Emotivismus. 11<br />

Das Recht ist nach Auffassung <strong>des</strong> Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus als<br />

sprachlich-psychische Realität anzusehen, die vom Menschen ausgeht. Der ein-<br />

zige Zweck <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> besteht in <strong>der</strong> faktischen Beeinflussung menschlichen<br />

Verhaltens. 12 <strong>Die</strong> Normativität <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> bildet keinen gegenüber <strong>der</strong> Wirk-<br />

5 Vgl. zum Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus mein Buch <strong>Rechts</strong>ethik, München 2001, S. 115ff. <strong>Die</strong> Angaben<br />

beziehen sich auf das dortige Literaturverzeichnis: Vogel 1972; Pattaro 1975; Bjarup 1978; Ott<br />

1976, S. 70ff.<br />

6 Hägerströms Position ist aber stärker kantianisch. Er wendet sich z. B. gegen einen unreflektierten<br />

Realismus.<br />

7 Hägerström 1929, S. 111.<br />

8 Hägerström 1929, S. 132, 134.<br />

9 Hägerström 1929, S. 154; Olivecrona 1940, S. 56; Ross 1959, p. 6-9, 280.<br />

10 Vgl. Bjarup 1978, S. 12.<br />

11 Unter „Emotivismus“ wird die am Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts aufkommende These verstanden,<br />

moralische Än<strong>der</strong>ungen bestünden in dem Ausdruck o<strong>der</strong> dem Hervorrufen von Emotionen. Vgl. Ayer<br />

1936.<br />

12 Olivecrona 1940, S. 11, 1<strong>7.</strong><br />

6


lichkeit (dem Sein) abgeschlossenen eigenen Sinnbereich <strong>des</strong> Sollens, wie dies<br />

von Vertretern <strong>des</strong> normlogischen Neukantianismus (zum Beispiel Kelsen) an-<br />

genommen wird, son<strong>der</strong>n manifestiert sich ausschließlich in <strong>der</strong> tatsächlichen<br />

psychischen Wirksamkeit <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong>. 13 Auch die Geltung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> wird auf<br />

seine tatsächliche äußere und innere psychische Wirksamkeit reduziert. 14<br />

<strong>Die</strong> Moral ist wie das Recht als tatsächliches soziales und psychisches Phäno-<br />

men zu beschreiben. Zwischen Moral und Recht bestehen kausale Wechselwir-<br />

kungen. 15 Jede über <strong>der</strong>artige kausale Wechselwirkungen hinausgehende rechts-<br />

ethische Rechtfertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> wird aber kategorisch ausgeschlossen. 16 Be-<br />

schreibende Sätze können per se nicht rechtsethisch rechtfertigen und nichtbe-<br />

schreibende Sätze sind nicht wahrheitsfähig, also aus je<strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Untersuchung zu verbannen. 17 <strong>Rechts</strong>normen können von <strong>der</strong> Wissenschaft so-<br />

mit nur beschrieben werden. Da ethische Sätze über das Recht nicht wahrheits-<br />

fähig sind, erweist sich je<strong>der</strong> Versuch <strong>der</strong> Konstruktion einer ethischen Recht-<br />

fertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> als sinnlose Metaphysik.<br />

Will man den Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus einordnen, so kann man ihn als<br />

Parallelposition zum logischen Positivismus bzw. Emotivismus mit Bezug auf<br />

die <strong>Rechts</strong>ethik ansehen. Das Ergebnis <strong>des</strong> Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus ist<br />

dasselbe wie das Ergebnis <strong>des</strong> logischen Positivismus: <strong>der</strong> Ausschluß jeglicher<br />

Möglichkeit einer normativ-ethischen Rechtfertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> und die Rest-<br />

13 Bei <strong>der</strong> Frage, wie dies genau vonstatten geht, bestehen zwischen den einzelnen Theoretikern Unterschiede,<br />

die für die rechtsethische Frage aber nicht wesentlich sind. Olivecrona spricht von <strong>der</strong> Aufstellung<br />

eines Vorbil<strong>des</strong> (1940, S. 17), Ross von Verhaltensvorschreibung als externe und interne Tatsache<br />

(1959, p. 72f.). Lundstedt lehnt schließlich den normativen Charakter <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> gänzlich ab (1932, S.<br />

171, 176).<br />

14 Ross 1959, p. 29ff.<br />

15 Olivecrona 1940, S. 154; Ross 1956, p. 369.<br />

16 Olivecrona 1940, S. 156.<br />

17 Ross 1959, p. 274: „To invoke justice is the same thing as banging on the table: an emotional expression<br />

which turns one’s demand into an absolute postulate. That is no proper way to mutual un<strong>der</strong>standing.<br />

It is impossible to have a rational discussion with a man who mobilises ‘justice’, because he says nothing<br />

that can be argued for or against. His words are persuasion, not argument.“<br />

7


iktion wissenschaftlicher Untersuchungen auf die Analyse von Sprache und<br />

Argumentation und empirische Beschreibung.<br />

Folgende Einwände lassen sich gegen diese Thesen erheben: <strong>Die</strong> scharfe<br />

Grenzziehung zwischen wahrheitsfähigen <strong>des</strong>kriptiven und nichtwahrheitsfähi-<br />

gen normativen Äußerungen wird nur durch eine strikt dualistische Sprachkon-<br />

zeption ermöglicht. Im Rahmen dieser strikt dualistischen Sprachkonzeption<br />

wird jedoch das pragmatische Bedeutungselement <strong>der</strong> Sprache außer acht gelas-<br />

sen, welches das semantische Bedeutungselement – wie Meggle und Siegwart<br />

gezeigt haben 18 – notwendig überwölbt.<br />

Aber selbst wenn man die dualistische Grenzziehung zwischen <strong>des</strong>kriptiven und<br />

nicht<strong>des</strong>kriptiven Äußerungen auch unter Berücksichtigung <strong>des</strong> pragmatischen<br />

Bedeutungselements akzeptiert, ist damit nicht bewiesen o<strong>der</strong> nur begründet,<br />

daß nicht<strong>des</strong>kriptive Äußerungen notwendig irrational und nicht zur ethischen<br />

Rechtfertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong> brauchbar sind. <strong>Die</strong> deontische Logik hat gezeigt,<br />

daß auch zwischen nicht<strong>des</strong>kriptiven Äußerungen logische Ablei-<br />

tungsbeziehungen aufgebaut werden können. <strong>Die</strong>s spricht für das Gegenteil.<br />

Im Alltagsverständnis <strong>der</strong> Sprache wird im übrigen sehr klar zwischen bloßen<br />

Gefühlsäußerungen und praktischen Rechtfertigungen unterschieden. Wir wer-<br />

fen Opponenten in Moraldiskussionen häufig vor, daß sie für ihre Position kei-<br />

ne guten Gründe anführen können. Der Skandinavische <strong>Rechts</strong>realismus, be-<br />

haupten Anhänger <strong>der</strong>artiger praktischer Rechtfertigungen, befände sich in ei-<br />

nem permanenten kollektiven Irrtum, ohne diesen Irrtum erklären zu können.<br />

Überdies läßt sich die Reduktion <strong>des</strong> Wissenschaftsbegriffs auf die theoretisch-<br />

<strong>des</strong>kriptive Wahrheitsfindung und die weitere Reduktion <strong>der</strong> Wahrheitsfindung<br />

auf ein korrespondenztheoretisch-empiristisches Modell nicht halten. Das empi-<br />

ristische Wissenschaftsparadigma hat sich in verschiedener Hinsicht als proble-<br />

18 Meggle und Siegwart 1996, S. 966ff.<br />

8


matisch erwiesen: bezüglich <strong>der</strong> synthetisch-analytisch-Trennung, 19 <strong>der</strong> Basis-<br />

satzfundierung, <strong>der</strong> Theoriebeladenheit <strong>der</strong> Grundbegriffe und Grundaxiome 20<br />

etc.<br />

<strong>Die</strong> berechtigte Kritik an stark metaphysischen rechtsethischen Einzelposi-<br />

tionen beweist im übrigen nicht die Unmöglichkeit je<strong>der</strong> rechtsethischen Recht-<br />

fertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong>. Man kann diese Einsicht grundsätzlicher fassen: Ähnlich<br />

wie ein Naturgesetz nicht durch einzelne Vorkommnisse per Induktion bewie-<br />

sen werden kann, läßt sich – in Anwendung <strong>des</strong> Humeschen Prinzips – die The-<br />

se <strong>der</strong> generellen Unmöglichkeit rechtsethischer Rechtfertigungen nicht durch<br />

die Wi<strong>der</strong>legung einzelner metaphysischer Rechtfertigungsversuche beweisen –<br />

wie beim Sport die Tatsache, daß ein Athlet eine Höhe o<strong>der</strong> Weite nicht er-<br />

reicht, nicht beweist, daß kein Athlet zur Erreichung dieser Leistung in <strong>der</strong> Lage<br />

ist.<br />

Bemerkenswert ist schließlich, daß praktisch je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Skandinavischen <strong>Rechts</strong>-<br />

realisten seinerseits kryptoethische Ansätze – etwa unter <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

„<strong>Rechts</strong>politik“ – entwickelt hat, die als Rudimente einer rechtsethischen Posi-<br />

tion anzusehen sind. 21 So muß nach Lundstedt <strong>der</strong> Richter immer auf die „Inte-<br />

ressen <strong>der</strong> Gesamtheit“ Rücksicht nehmen. 22 Für Olivecrona soll jede Gewalt<br />

rechtlich geregelt werden, und die Nationen Europas sollen sich dem „gemein-<br />

samen europäischen Besten unterordnen“. 23 Ross glaubt schließlich, zwischen<br />

rationalen Argumenten <strong>der</strong> <strong>Rechts</strong>politik und irrationalen Argumenten <strong>der</strong><br />

Überredung unterscheiden zu können. 24 <strong>Die</strong> Bezugnahme auf Interessen <strong>der</strong><br />

19 Vgl. Quine 1951.<br />

20 Vgl. Stegmüller 1979.<br />

21 Ebenso: Bjarup 1978, S. 104-110.<br />

22 Lundstedt 1932, S. 261.<br />

23 Olivecrona 1940, S. 228f.<br />

24 Ross 1959, p. 312f., S. 371.<br />

9


<strong>Rechts</strong>politik sieht er als rationale Form <strong>der</strong> Rechtfertigung an. 25 Damit ist aber<br />

eine rechtsexterne Rechtfertigungsbasis <strong>des</strong> positiven <strong>Rechts</strong> anerkannt, die<br />

man als rudimentäre <strong>Rechts</strong>ethik ansehen muß, denn sonst könnte die Bezug-<br />

nahme auf Interessen keine rechtfertigende Kraft entfalten. In Ross – seinem<br />

letzten bekannten Vertreter – hat <strong>der</strong> Skandinavische <strong>Rechts</strong>realismus also<br />

praktisch den rechtsethischen Nihilismus seiner Grün<strong>der</strong>zeit überwunden.<br />

Man kann zusammenfassen: Dem Skandinavischen <strong>Rechts</strong>realismus ist es nicht<br />

gelungen, die prinzipielle Unmöglichkeit rechtsethischer Rechtfertigungen zu<br />

zeigen o<strong>der</strong> auch nur plausibel zu machen. <strong>Die</strong>ses negative Ergebnis impliziert<br />

allerdings natürlich nicht das viel weitergehende positive Ergebnis, daß eine<br />

tragfähige materiale rechtsethische Rechtfertigung konstruiert werden kann.<br />

Wi<strong>der</strong>legt sind nur die spezifischen Annahmen <strong>des</strong> Skandinavischen <strong>Rechts</strong>rea-<br />

lismus, es bestünden prinzipielle ethikexterne Hin<strong>der</strong>ungsgründe sprachlicher,<br />

wahrheitstheoretischer o<strong>der</strong> erkenntnistheoretischer Art für eine rechtsethische<br />

Rechtfertigung <strong>des</strong> <strong>Rechts</strong>.<br />

25 Ross 1959, p. 368, 370.<br />

10

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