helena schnock (Löwe) Lysander Flaut (thisby ... - Residenztheater
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8<br />
(i,1)<br />
Wahrheit zu wechseln. dieselben<br />
Worte bedeuten dann sowohl<br />
das eine als auch das andere.<br />
shakespeare liebt das spiel mit<br />
der zweideutigkeit.<br />
LYsander Weh mir! nach allem,<br />
was ich lesen konnte,<br />
und was erzählt wird,<br />
was dir jeder sagt,<br />
der Fluss der wahren<br />
Liebe floss nie sanft;<br />
mal war es die Verschiedenheit<br />
des Bluts,<br />
mal wars ein Fehler<br />
hinsichtlich der Jahre,<br />
mal war es fremder<br />
einfluss, der entschied.<br />
hermia die qual, mit andrer<br />
Leute augen lieben!<br />
Beinahe jedes mal, sobald die<br />
Liebenden ihren mund öffnen,<br />
tun sie unwissentlich kund,<br />
was sie gleichzeitig ignorieren,<br />
und wir, die wir ihnen darin<br />
folgen, nehmen weiter keine<br />
notiz davon.<br />
die sommernacht ist eine<br />
von den Liebenden selbstgewählte<br />
hölle, in die sie gierig<br />
eintauchen, da sie sich alle dafür<br />
entscheiden, „mit andrer Leute<br />
augen“ zu lieben. an der stelle,<br />
an der hermia über die Wendung<br />
spricht, die ihr Leben durch die<br />
Liebesaffäre mit <strong>Lysander</strong> nahm,<br />
erkennt sie mit naivem Blick,<br />
dass sie sich selbst ihre hölle<br />
schuf und nicht elterliche<br />
oder übernatürliche schreckgespenster:<br />
Bevor ich<br />
damals auf<br />
<strong>Lysander</strong><br />
stieß,<br />
erschien<br />
(i,1) (i,1)<br />
athen mir wie<br />
ein Paradies.<br />
o welche<br />
Glut hat<br />
dieser mann<br />
entfacht,<br />
dass er den<br />
himmel mir<br />
zur hölle<br />
macht.<br />
mimetisches Begehren beschwört<br />
zurückweisung und<br />
Versagen herauf, ja zurückweisung<br />
und Versagen sind sein<br />
eigentliches ziel. aber wird diese<br />
Konsequenz im stück wirklich<br />
deutlich? sie wird in völlig unmissverständlichen<br />
aussagen<br />
deutlich, die dennoch nie gehört<br />
werden. das ist bei hermias<br />
antwort zu berücksichtigen, als<br />
<strong>helena</strong> versucht zu ergründen,<br />
worin hermias Geheimnis ihrer<br />
macht über demetrius liegt:<br />
hermia mein Blick ist<br />
bös, er liebt mich<br />
trotzdem noch.<br />
heLena ach hätt mein<br />
Lächeln diese<br />
Wirkung doch.<br />
hermia und meine<br />
Flüche ernten<br />
Leidenschaft.<br />
heLena ach hätten<br />
meine seufzer<br />
solche Kraft.<br />
hermia trotz allergrößtem<br />
hass verfolgt<br />
er mich.<br />
heLena trotz allergrößter<br />
Liebe hasst er<br />
mich.<br />
Wenn <strong>helena</strong> demetrius als<br />
„hartherzigen magneten“ bezeichnet,<br />
spricht sie buchstäblich<br />
die Wahrheit aus. tatsächlich<br />
beschreiben die scheinbar<br />
künstlichen Phrasen die Wahrheit<br />
des Begehrens bemerkenswert<br />
genau.<br />
eines der hervorstechendsten<br />
merkmale im Liebesdiskurs<br />
der Protagonisten<br />
ist die Fülle an tiermetaphern.<br />
in diesen metaphern findet<br />
die selbsterniedrigung der<br />
Liebenden vor ihrem idol ihren<br />
ausdruck. da der Liebende<br />
vergeblich versucht, das absolute<br />
zu erreichen, das ihm im<br />
modell verkörpert erscheint,<br />
verherrlicht er mehr und mehr<br />
seinen erfolgreichen rivalen,<br />
mit dem ergebnis, dass er sich<br />
selbst immer tiefer und tiefer<br />
herabgesetzt fühlt. die ersten<br />
tiermetaphern tauchen sofort<br />
nach <strong>helena</strong>s hysterischem Lob<br />
auf die schönheit ihrer rivalin<br />
auf:<br />
nein, nein, ich bin<br />
so hässlich wie<br />
ein stier,<br />
sogar die tiere<br />
fürchten sich<br />
vor mir.<br />
(i,1)<br />
Kein Wunder,<br />
dass demetrius<br />
mich flieht,<br />
Wenn jeder mich<br />
als ungeheuer<br />
sieht.<br />
in trügerische<br />
(ii,1)<br />
spiegel blickte ich,<br />
als ich mit<br />
hermias schönheit<br />
mich verglich.<br />
die tiermetaphern sind der<br />
Preis, den das selbst für seine<br />
abgöttische Verehrung des<br />
anderen bezahlen muss. dieser<br />
Götzendienst ist jedoch in dem<br />
sinne „selbstsüchtig“, als er dem<br />
selbst nützen soll. das selbst will<br />
sich das absolute, das es im anderen<br />
sieht, aneignen, aber aus<br />
seinem extremen hunger nach<br />
selbsterhöhung resultiert, logisch<br />
oder auch paradoxerweise,<br />
die extreme selbstverachtung,<br />
da sich das selbst im Kampf mit<br />
einem erfolgreichen rivalen<br />
immer seine eigene niederlage<br />
bereitet.<br />
das Gesetz dieses musters<br />
könnte durch Pascals aphorismus<br />
definiert werden:<br />
„L’homme n’est ni ange ni bête,<br />
et le malheur veut que qui veut<br />
faire l’ange fait la bête.“ (der<br />
mensch ist weder ein engel noch<br />
eine Bestie, und das unglück<br />
ist, dass, wer ein engel aus ihm<br />
machen möchte, eine Bestie aus<br />
ihm macht). die ganze sommernacht<br />
scheint die dramatisierung<br />
dieses aphorismus zu sein. hier<br />
kommt wieder <strong>helena</strong> ins spiel,<br />
die mit demetrius „fait la bête“<br />
spielt:<br />
ich bin dein<br />
hündchen; und,<br />
demetrius,<br />
Wenn du mich<br />
schlägst, kriech ich<br />
nur mehr vor dir.<br />
sei wie zu deinem<br />
hund, verjag mich,<br />
schlag mich,<br />
Vergiss mich,<br />
tritt mich, nur<br />
erlaube mir,<br />
unwürdig,<br />
wie ich bin, dir<br />
nachzulaufen.<br />
Partner, die mimetisch begehren,<br />
können einander nicht<br />
als gleichwertige menschen<br />
ansehen, ihre Beziehung verliert<br />
mehr und mehr an menschlichkeit.<br />
sie sind zu einem engel-<br />
Biest- oder supermann-sklaven-<br />
Verhältnis verdammt.<br />
da sie rein mimetischer<br />
natur ist, ist diese Beziehung<br />
in keiner stabilen Wirklichkeit<br />
verankert und neigt daher zur<br />
unbeständigkeit. das metaphysisch<br />
absolute scheint von<br />
Figur zu Figur zu wechseln. mit<br />
jedem Wechsel wird die gesamte<br />
Konstellation neu angeordnet,<br />
aber immer auf Basis der alten<br />
Gegensätze, nur umgekehrt. das<br />
scheusal wird zum Gott und der<br />
Gott zum scheusal. minderwertigkeit<br />
wird zur überlegenheit<br />
und umgekehrt. oben ist unten,<br />
und unten ist oben.<br />
in den ersten szenen scheint die<br />
von allen angebetete hermia geradezu<br />
göttlich zu sein und sich<br />
auch so zu fühlen, während die<br />
zurückgewiesene und verachtete<br />
<strong>helena</strong> sich verabscheuungswürdig<br />
vorkommt. später ist<br />
allerdings <strong>helena</strong> an der reihe,<br />
angebetet zu werden, und<br />
hermia fühlt sich wie ein verachtenswertes<br />
scheusal. nach<br />
dem anfänglichen moment der<br />
relativen stabilität betreten die<br />
vier Liebenden eine Welt immer<br />
schneller werdender umkehrungen.<br />
die erfordernisse der<br />
szenischen darstellung zwingen<br />
shakespeare dazu, in seiner<br />
Beschreibung dieses Prozesses<br />
selektiv und schematisch zu<br />
sein, aber die dabei zur anwendung<br />
kommenden Prinzipien<br />
sind offensichtlich. sobald sich<br />
die Krise in der sommernacht<br />
zuspitzt, tauchen die tiermetaphern<br />
nicht nur häufiger auf,<br />
sondern werden auch auf den<br />
Kopf gestellt und durcheinander<br />
gewürfelt. da die umkehrungen<br />
an tempo gewinnen, bewegt sich<br />
zwangsläufig alles auf das völlige<br />
chaos zu.<br />
das motiv der umkehrung<br />
beherrscht den sommernachtstraum<br />
(wie die meisten stücke<br />
shakespeares) als thema so<br />
stark, dass es sich zuletzt auf die<br />
ganze natur ausweitet. titania<br />
erzählt uns beispielsweise, dass<br />
die Jahreszeiten durcheinander<br />
geraten sind.<br />
Frühling, sommer,<br />
der reiche herbst, der strenge<br />
Winter tauschen<br />
ihr Kleid und die verwirrte<br />
Welt erkennt<br />
an ihren Früchten nicht mehr,<br />
wer wer ist.<br />
Gerade die durchgängigkeit des<br />
motivs der umkehrung macht es<br />
den Kommentatoren unmöglich,<br />
das thema nicht wahrzunehmen,<br />
gibt ihnen aber gleichzeitig<br />
ein mittel an die hand, seine<br />
Bedeutung zu mindern, indem sie<br />
die aufmerksamkeit auf falsche<br />
Bereiche, nämlich natur und<br />
(ii,1)<br />
9