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Alleinlebende: Gewinner und Verlierer im gesellschaftlichen ...

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Diese Hintergründe <strong>und</strong> Rahmenbedingungen machen sein langes Moratorium verständlich; seine<br />

persönliche Weiterentwicklung hat seinem ehemals trostlosem Leben neuen Sinn <strong>und</strong> Reichtum<br />

gegeben, fordert aber auch große, einsame Anstrengung von ihm. Manfred Schreyer lässt keine<br />

besonders starken Distanzbedürfnisse erkennen, seine Ambivalenz zwischen Beziehungswünschen<br />

<strong>und</strong> (vorläufiger) Abwehr einer verbindlichen Partnerschaft ist vielmehr darin begründet, dass er<br />

keine Möglichkeit sieht, den eingeschlagenen <strong>und</strong> für ihn existenziell wichtigen Weg der<br />

Selbstfindung <strong>und</strong> -verwirklichung mit einer verbindlichen Liebesbeziehung in Einklang zu<br />

bringen.<br />

Auch Gisela Amdorf, die zum Zeitpunkt des Interviews schon seit sechs Jahren ohne jede sexuelle<br />

Beziehung lebt, sieht gegenwärtig keine Möglichkeit für sich, ihren seit ein paar Jahren<br />

eingeschlagenen Weg, aus ihrem persönlichen, leidvollen Chaos zu kommen, mit einer Partnerbeziehung<br />

vereinbaren zu können. Sie schließt zur Zeit Beziehungen mit Männern auf fast<br />

aggressive Weise aus; das spiegeln Menschen in ihrer Umgebung ihr zurück. Sie selbst sagt, sie<br />

bestätige sich fast jeden Tag wieder auf's Neue, dass sie auf gar keine Fall einen starken Mann,<br />

einen Traummann brauche, <strong>und</strong> lasse sich um ihre vielen Freiheiten beneiden, sagt sie. Gegen Ende<br />

des Interviews danach gefragt, wie sie gerne alt werden möchte, bilanziert sie, sie wisse noch<br />

nicht, ob sie weiterhin glücklich sei, wenn sie alleine sei. Und es taucht das Bild auf von einem<br />

Ferienhäuschen in ihrer Lieblingslandschaft <strong>und</strong> darin "ein lieber Mensch". Eine Liebesbeziehung<br />

mit einem Mann (dass sie möglicherweise an eine Frau denkt, ist aufgr<strong>und</strong> ihrer gesamten<br />

Erzählung nahezu auszuschließen) bleibt ihr Traum.<br />

Gisela Amdorfs ausgeprägte Abwehr von Beziehungen mit Männern besteht erst seit einigen<br />

Jahren; ihre vorangegangenen Partnerbeziehungen waren durchgehend von Schuldgefühlen <strong>und</strong><br />

Selbsterniedrigung gekennzeichnet. Religiöse Bedeutungsinhalte <strong>und</strong> Auseinandersetzungen mit<br />

kirchlicher Sexualmoral spielten dabei auch eine wichtige Rolle. Mit Mitte Zwanzig ist Gisela<br />

Amdorf aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil diese das Zusammenleben Unverheirateter<br />

(zu jener Zeit offensiver als heute) ablehnt. Zwei Jahre später hat sie ihren damaligen<br />

Lebensgefährten geheiratet. Die Ehe, in der die Biographin sich willig sehr weitgehend<br />

unterordnet, aber auch einen ausgesprochen aggressiven Part spielt, war (zudem) dauerhaft durch<br />

zahlreiche Nebenbeziehungen ihres Mannes belastet. Sie treibt ein gewolltes Kind ab, als ihr klar<br />

wird, dass sie mit diesem Mann keine Familie will. Die Ehe wird geschieden. Sie n<strong>im</strong>mt bald eine<br />

sechsjährige Beziehung mit einem Familienvater auf, dem Ehemann einer Frau, mit der sie<br />

täglichen Umgang hat. Wieder belastet sie die Diskrepanz zwischen ihrem moralischen Maßstab<br />

<strong>und</strong> ihren unmittelbaren Wünschen an den Partner. "... war ich ja auch der Meinung, der Mann kann<br />

sowieso nichts taugen, wenn er seine Frau verlässt. Hab' mich also mit - damit schlecht gemacht,<br />

<strong>und</strong> eh' eh' trotzdem kam ich also von dem Mann einfach eh' über Jahre - über Jahre bin ich nicht<br />

los." (AFW-02, 8/1) In dieser Zeit verfolgt sie eifrig Bekanntschaftsanzeigen. Sie beendet das<br />

Dreieckverhältnis erst, als die Ehe dieses Mannes geschieden wird.<br />

Ein Spannungsbogen von Schuldgefühlen <strong>und</strong> Aggression durchzieht fast alle Bereiche ihrer<br />

Lebenserzählung. Die Ursprünge liegen in einem Loyalitätskonflikt, der ihr gesamtes Leben in<br />

ihrer Herkunftsfamilie belastet hatte. Gisela Amdorf hatte zwei jüngere Schwestern, von denen<br />

die jüngste krank zur Welt kam <strong>und</strong> nach mehrjähriger Pflegebedürftigkeit gestorben ist, als die<br />

Biographin 15 Jahre alt war. Dieser Verlust führte bei der Mutter zu schweren Depressionen, von<br />

einer Tabletten- <strong>und</strong> Alkoholabhängigkeit begleitet. Sie droht oft mit Suizid, den sie, als die<br />

Kinder erwachsen sind, auch begeht. Die Mutter hatte sich, als ihr krankes Kind noch lebte, ganz<br />

den beiden Schwestern von Gisela zugewandt, aus der Sicht der Biographin der ges<strong>und</strong>en<br />

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