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Geglückte Integration: Gene von drei Arten in einem ... - Senckenberg

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PRESSEMELDUNG<br />

<strong>Geglückte</strong> <strong>Integration</strong>: <strong>Gene</strong> <strong>von</strong> <strong>drei</strong> <strong>Arten</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Ameisenstaat<br />

Frankfurt, den 12. Juli. 2011. Drei <strong>Arten</strong> <strong>von</strong> Ernteameisen f<strong>in</strong>den sich nicht nur<br />

nebene<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lebensraum, sondern auch <strong>in</strong> gemischten Staaten. Obwohl sie<br />

nicht nahe verwandt s<strong>in</strong>d, kommt es regelmäßig zu Kreuzungen. Warum diese Tiere die<br />

Artgrenze ignorieren, untersucht e<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationales Wissenschaftlerteam der<br />

Universitäten Innsbruck, Wien, Parma und Queensland sowie des <strong>Senckenberg</strong><br />

Museums für Naturkunde Görlitz.<br />

E<strong>in</strong> Staat – e<strong>in</strong>e Art. Vermischung <strong>von</strong> Kolonien verschiedener Ameisenarten galt bisher als<br />

seltene Ausnahme. Drei <strong>Arten</strong> der Gattung Messor leben aber nicht nur ausnahmsweise <strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft. In Italien beobachteten Ameisenexperten, dass sowohl mehrere <strong>Arten</strong> mit<br />

verschiedenen König<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kolonie hausen, als auch Individuen herumkrabbeln, die<br />

weder dem e<strong>in</strong>en noch dem anderen Volk e<strong>in</strong>deutig zuzuordnen s<strong>in</strong>d. Das ist bemerkenswert,<br />

da bei nicht nah verwandten <strong>Arten</strong> e<strong>in</strong>e Vermischung <strong>von</strong> <strong>Gene</strong>n, die so genannte<br />

Hybridisierung, sehr selten ist.<br />

Das macht den Effekt umso <strong>in</strong>teressanter für die Wissenschaftler. Die Vermischung<br />

verschiedener Spezies kann e<strong>in</strong>e wirkungsvolle Strategie der Natur se<strong>in</strong>, um neue<br />

Eigenschaften <strong>in</strong> den <strong>Arten</strong> zu etablieren und damit das Überleben zu erleichtern.<br />

Hybridisierung – bisher als Ausnahme oder Unfall betrachtet – rückt immer mehr <strong>in</strong> den Fokus<br />

der Evolutionsforschung. „Denn was genetisch und im sichtbaren Bauplan der Nachkommen<br />

aus Kreuzungen geschieht, hilft Fragen zur Artabgrenzung, -entstehung und -beständigkeit zu<br />

klären“, sagt Ameisenexperte Bernhard Seifert vom <strong>Senckenberg</strong> Museum für Naturkunde<br />

Görlitz.<br />

Dass Ameisen die Wissenschaftler direkt <strong>in</strong> die Werkstatt der Evolution blicken lassen können,<br />

liegt an ihrer Art sich fortzupflanzen und zu leben. Es gibt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Staat tausende <strong>von</strong><br />

Geschwistertieren, da jede Ameisenkönig<strong>in</strong> ständig Nachwuchs erzeugt. Aus befruchteten<br />

Eiern entwickeln sich weibliche Tiere, die Arbeiter<strong>in</strong>nen. Männliche Ameisen, die Drohnen,<br />

schlüpfen aus unbefruchteten Eiern. Sie s<strong>in</strong>d haploid, das bedeutet, sie haben jedes Gen nur<br />

e<strong>in</strong>mal, nämlich so wie es <strong>in</strong> der Eizelle angelegt war. Wegen des e<strong>in</strong>fachen<br />

Chromosomensatzes unterliegen gerade die Männchen e<strong>in</strong>em enorm hohen Selektionsdruck.<br />

Wenn ihre <strong>Gene</strong> nicht zusammen passen, kann dies nicht wie beim diploiden Weibchen durch<br />

das homologe Chromosom ausgeglichen werden. Dieser „Männchenfaktor“ führt neben der<br />

großen Zahl an Nachkommen zu e<strong>in</strong>er erhöhten Evolutionsgeschw<strong>in</strong>digkeit.<br />

E<strong>in</strong>e enorm hohe und permanente Reproduktionsrate zusammen mit dem haploiden Gensatz<br />

der Drohnen, der die Anzahl genetischer Varianten beschränkt, ist es also, was bei Ameisen<br />

die Experimente der Evolution sichtbar macht. Quasi im Zeitraffer ist sichtbar, was die <strong>Arten</strong><br />

formt. Bei kaum e<strong>in</strong>er anderen Tiergruppe kann man dies <strong>in</strong> ähnlicher Weise nachvollziehen,<br />

SENCKENBERG GESELLSCHAFT FÜR NATURFORSCHUNG<br />

Dr. Sören B. Dürr | Doris <strong>von</strong> Eiff | Alexandra Donecker<br />

<strong>Senckenberg</strong>anlage 25 | D-60325 Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

T +49 (0) 69 7542 - 1257 F +49 (0) 69 7542 - 1517 pressestelle@senckenberg.de www.senckenberg.de<br />

SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung | <strong>Senckenberg</strong>anlage 25 | D-60325 Frankfurt am Ma<strong>in</strong> | Amtsgericht Frankfurt am Ma<strong>in</strong> HRA 6862<br />

Mitglied der Leibniz Geme<strong>in</strong>schaft


weil diese zum Beispiel nur wenige Nachkommen und wochen- oder gar jahrelange<br />

<strong>Gene</strong>rationsdauern haben.<br />

Um das Beziehungsgeflecht der Messor-Ameisen zu klären, betrachtete das Forscherteam<br />

die Tiere nicht nur molekularbiologisch sondern auch morphologisch. Nur e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation<br />

dieser Methoden ergibt e<strong>in</strong> Untersuchungssystem, dass die Verwandtschaftssituation im Staat<br />

abbilden kann. Denn genetisch muss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ameise nicht alle<strong>in</strong> das dr<strong>in</strong> stecken, was <strong>von</strong><br />

außen zu sehen ist. Außerdem kommen Variationen im Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>von</strong> Individuen e<strong>in</strong>er<br />

Art vor.<br />

Ernteameisen s<strong>in</strong>d schon aus der Bibel durch die weisen Sprüche des Königs Salomo<br />

bekannt. Alle Ameisen der Gattung Messor ernähren sich bevorzugt <strong>von</strong> Pflanzensamen, die<br />

sie <strong>in</strong> ihren Bau tragen und dort zerlegen und zu e<strong>in</strong>em Brei zerkauen. In ihrer Lebensweise<br />

s<strong>in</strong>d sie sich also ähnlich, doch die <strong>drei</strong> <strong>Arten</strong> Messor m<strong>in</strong>or, Messor wasmanni und Messor<br />

capitatus unterscheiden sich deutlich <strong>in</strong> ihrer Körpergröße, Färbung und Ausbildung<br />

bestimmter Merkmale. Für die Forscher war es wichtig, zu klären, wie nah diese <strong>Arten</strong><br />

verwandt s<strong>in</strong>d und dann wie stark sie sich vermischen. Je entfernter die Verwandtschaft, umso<br />

unwahrsche<strong>in</strong>licher die Kreuzung – so die Theorie.<br />

Und <strong>in</strong> der Tat herrscht zwischen zwei der <strong>Arten</strong> e<strong>in</strong> stetiger genetischer Austausch, aber auch<br />

die dritte bleibt nicht außen vor. Insgesamt enthielt nur e<strong>in</strong> Teil der Kolonien im<br />

Untersuchungsgebiet Hybride. Meist s<strong>in</strong>d dann zwei <strong>Arten</strong> vermischt. Doch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen<br />

s<strong>in</strong>d sogar die <strong>Gene</strong> <strong>von</strong> <strong>drei</strong> <strong>Arten</strong> im gleichen Nest vorhanden: Die Wissenschaftler stellten<br />

Mischl<strong>in</strong>ge der <strong>Arten</strong> M. m<strong>in</strong>or und M. wasmanni zusammen mit re<strong>in</strong>erbigen M. capitatus fest.<br />

Wie es zu Ameisen-WGs und -kreuzungen kommt, ist noch nicht sicher bekannt. Möglich ist<br />

zum Beispiel, dass die räumliche Nähe im selben Lebensraum zu Irrtümern beim<br />

Hochzeitsflug oder zur Adoption fremder König<strong>in</strong>nen durch e<strong>in</strong>en bestehenden Staat führt –<br />

aber auch andere Erklärungsmöglichkeiten s<strong>in</strong>d denkbar.<br />

Außerdem <strong>in</strong>teressiert die Wissenschaftler nun, welche Vorteile die <strong>drei</strong> Ameisenarten aus der<br />

Vermischung ziehen. Bei Roten Waldameisen der Formica rufa-Gruppe ist bekannt, dass<br />

Hybriden Eigenschaften beider Elternarten <strong>in</strong> sich vere<strong>in</strong>igen. Sie können dadurch an<br />

bestimmte Lebensräume besser angepasst se<strong>in</strong> als die re<strong>in</strong>erbigen Ameisen, <strong>von</strong> denen sie<br />

abstammen. (rba)<br />

Die Studie „Mixed colonies and hybridisation of Messor harvester ant species (Hymenoptera:<br />

Formicidae)“ ist unlängst <strong>in</strong> der Fachzeitschrift „Organisms, Diversity & Evolution“ im Spr<strong>in</strong>ger<br />

Verlag erschienen.<br />

Weitere Veröffentlichungen zum Thema:<br />

Seifert, B., Kulmuni, J., Pamilo, P. (2010): Independent hybrid populations of Formica<br />

polyctena X rufa wood ants (Hymenoptera: Formicidae) abound under conditions of forest<br />

fragmentation. - Evolutionary Ecology 24/5:1219-1237.<br />

Kulmuni, J., Seifert, B., Pamilo, P. (2010): Segregation distortion causes large-scale<br />

differences between male and female genomes <strong>in</strong> hybrid ants. - PNAS 107(16): 7371 - 7376.<br />

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Download der Pressemitteilung sowie Pressebild unter www.senckenberg.de/presse<br />

Pressekontakt:<br />

Dr. Bernhard Seifert<br />

<strong>Senckenberg</strong> Forschungs<strong>in</strong>stitut und Naturmuseum Görlitz<br />

bernhard.seifert@senckenberg.de<br />

(zur Zeit im Ausland)<br />

Pressestelle <strong>Senckenberg</strong> Gesellschaft für Naturforschung<br />

Dr. Sören Dürr<br />

<strong>Senckenberg</strong>anlage 25<br />

63065 Frankfurt/Ma<strong>in</strong><br />

Tel. 069-7542 1580<br />

E-Mail: soeren.duerr@senckenberg.de<br />

Die Erforschung <strong>von</strong> Lebensformen <strong>in</strong> ihrer Vielfalt und ihren Ökosystemen, Klimaforschung und<br />

Geologie, die Suche nach vergangenem Leben und letztlich das Verständnis des gesamten Systems<br />

Erde-Leben – dafür arbeitet die SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung. Ausstellungen<br />

und Museen s<strong>in</strong>d die Schaufenster der Naturforschung, durch die <strong>Senckenberg</strong> aktuelle<br />

wissenschaftliche Ergebnisse mit den Menschen teilt und E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> vergangene Zeitalter sowie die<br />

Vielfalt der Natur vermittelt. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de.<br />

Pressebild:<br />

M.structor trägt e<strong>in</strong>en Platanensamen (c) B.Seifert/<strong>Senckenberg</strong><br />

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