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<strong>Gewaltpr</strong>ävention
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Allgemeines 1 bis 8<br />
Definition von Gewalt und Motive für Gewalt 1<br />
Von Tätern und Opfern 2<br />
BKA-Statistik Entwicklung von Gewaltkriminalität und Aufklärung 2 bis 8<br />
Ein vielseitiges Angebot 9 bis 10<br />
Die Entstehung eines <strong>Gewaltpr</strong>äventionsprogrammes 11<br />
Gewalt zerbricht an sich selbst 12 bis 15<br />
Gemeinsam gegen Gewalt 12 bis 13<br />
Aktive Bürgerhilfe 16 bis 21<br />
Evaluation 19 bis 20<br />
Sind gefährliche Situationen einschätzbar 22 bis 24<br />
Das Geheimnis effektiver Selbstverteidigung 25 bis 29<br />
Warnende Hirnströme und verräterische Körpersprache 25<br />
Die Reaktion ist immer schneller als die Aktion 26<br />
Rechtliche Betrachtung §32 StGB Notwehr 27 bis 29<br />
Schlussbemerkung und über die Autoren 30<br />
Literaturhinweise 31
Allgemeines<br />
Definition von Gewalt<br />
Gewalt ist die Verletzung der körperlichen oder psychischen Unversehrtheit einer Person<br />
durch eine andere; entweder durch die Anwendung von körperlicher Kraft oder durch<br />
Formen von verbaler Gewalt, die von physischer Gewalt begleitet wird oder sie androht.<br />
Es ist das zwangsweise Einwirken auf den Willen des Opfers, das sich auch oft in<br />
Verbindung mit Kriminalität bis hin zur Vergewaltigung, Nötigung oder sogar bis zur<br />
Tötung äußert. Weitere Formen der Gewalt sind die Sachbeschädigung und die<br />
Tierquälerei. In unseren Ausführungen, wollen wir uns jedoch schwerpunktmäßig mit der<br />
Gewalt gegen die körperliche Unversehrtheit auseinandersetzen.<br />
Eine Kurzdefinition lautet: „Gewalt tut weh und verletzt!“ Eine ebenfalls einfache Erklärung<br />
für Gewalt in diesem Sinne könnte auch lauten: „ Alles was andere Menschen von uns<br />
verlangen oder mit uns machen, wir aber nicht wollen, das ist Gewalt.“<br />
Motive für Gewalt<br />
Sicherlich gibt es viele Gründe, die Gewalt entstehen lassen. Hauptsächlich soziologische<br />
Faktoren wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Trennung der Eltern können die<br />
Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen hervorrufen. Fühlt man sich gesellschaftlich als<br />
Außenseiter steigt der Frust.<br />
Die Gewalt unter Jugendlichen reflektiert oftmals das Erlebnis, wie der Jugendliche als<br />
Kind im Elternhaus behandelt wurde.<br />
Drei Beispiele:<br />
1.) Haben die Eltern geduldet, dass ihr Kind durch Drohung von Gewalt oder durch<br />
Gewaltanwendung an Geschwistern oder nicht zur Familie gehörenden Kindern,<br />
ein bestimmtes Verhalten bzw. seinen Willen ohne Tadel durchgesetzt hat, so ist<br />
es dem Kind zunächst nicht nachzutragen, wenn es nun diese Verhaltensweise<br />
gegenüber seinen Mitmenschen als „offensichtlich normales Mittel“ immer wieder<br />
anwendet, um sein Ziel zu erreichen.<br />
2.) Hat der Jugendliche als Kind selbst Gewalt im Elternhaus erfahren, wird er diese<br />
Gewaltanwendung, die gegen ihn angewendet wurde, in seinem Verhalten<br />
gegenüber anderen Menschen als selbstverständlich ansehen, da damit auch<br />
schon die Eltern bei ihm Erfolg hatten, ein bestimmtes Verhalten oder eine<br />
bestimmte Handlung zu fordern und durchzusetzen.<br />
3.) Der Jugendliche wurde als Kind entweder durch ein oder auch beide<br />
Elternteile nicht als Familienmitglied akzeptiert, ständig mit Ohrfeigen getadelt und<br />
mit verbaler Gewalt als „Nichtsnutz und Schmarotzer“ attackiert. In der weiteren<br />
Entwicklung dieser Lebensumstände, kam das Kind an eine Gruppierung junger<br />
Menschen, die alles gemeinsam teilen und unternehmen. Ganz nach dem Motto<br />
alle für einen, einer für alle. Das Kind gerät als mittlerweile Jugendlicher in einen<br />
z.B. rechtsextremististischen Kreis. Der oder die Jugendliche kann allerdings zu<br />
diesem Zeitpunkt noch nicht politisch motiviert sein. Die Eltern haben keinen<br />
Zuspruch mehr. Die Akzeptanz in dieser Gruppe und die daraus resultierenden<br />
„gemeinsamen Unternehmungen“, lassen die Jugendlichen in bestimmte<br />
Verhaltensweisen verfallen und aufgrund des bestehenden Gruppenzwanges, nur<br />
um dazu zu gehören, schlimmstenfalls auch Straftaten gegen andere Menschen<br />
verüben.<br />
1
Alle Beispiele sind selbstverständlich nicht abschließend. Sie sind aber mögliche<br />
Ursachen, die die Jugendlichen zu Tätern, bzw. letztlich auch zu Opfern werden lassen.<br />
Von Tätern und Opfern<br />
Die Täter wachsen mit zunehmender Feindseligkeit in einer aus ihrer Sicht sie<br />
benachteiligenden Umwelt auf. Die Selbstdurchsetzung wird gewaltsam erzwungen. Die<br />
Illusion dieser Täter, Probleme gewaltsam lösen zu können, wird durch das<br />
Opferverhalten (Opfer werden oft als "Tankstelle des Selbstbewusstseins" von diesen<br />
Tätern bezeichnet und als solche benutzt) und durch die Reaktion scheinbar unbeteiligter<br />
Dritter gespeist.<br />
Opfer tragen leider nur zu oft zur Entstehung und Verschärfung von Gewaltereignissen<br />
bei, weil sie<br />
• bestimmte Verhaltensmuster nicht durchschauen,<br />
• über keinen ausreichenden Selbstschutz verfügen; der sog. „Gefahrenradar“ fehlt,<br />
• nicht in der Lage sind, in Konfliktsituationen ein eigenes "Drehbuch" möglicher<br />
Verhaltensweisen zu schreiben und<br />
• durch Körpersprache sich immer wieder als Opfer anbieten (Gestik, Mimik,<br />
Körperhaltung, Gesamtverhalten).<br />
Aber auch die Gruppe begünstigt als Beobachter oft die Gewaltsituationen.<br />
Gruppendynamische Prozesse tragen zur Entstehung von Gewaltereignissen bei. So ist<br />
in Schulklassen durchaus bekannt, dass durch Anstacheln und gezieltes Provozieren aus<br />
der Schülergruppe potentielle Täter sich herausgefordert fühlen und gegenüber dem<br />
Opfer Gewalt anwenden.<br />
Personen werden in der Regel nur gewalttätig, wenn ihnen ihr Opfer aus ihrer Sicht<br />
unterlegen ist und ihr Verhalten vermutlich keine besonderen negativen Konsequenzen<br />
haben wird.<br />
Die folgenden Auszüge aus der Polizeilichen Kriminalstatistik des BKA des Jahres 2003<br />
zeigen sehr eindrucksvoll die Entwicklung der Gewaltkriminalität in Deutschland innerhalb<br />
von 17 Jahren. Als weiteren Vergleich haben wir die Entwicklung aus der Polizeilichen<br />
Kriminalstatistik (PKS) eingefügt.<br />
Auffallend war hier nicht nur das ständige Zunehmen der bloßen Anzahl der<br />
Gewaltdelikte, sondern insbesondere der Umstand, dass ein Drittel aller<br />
schweren/gefährlichen Körperverletzungen durch Jugendliche bzw. Heranwachsende im<br />
Alter von 14 bis 21 Jahren begangen wurden.<br />
2
Auszug aus der polizeilichen Kriminalstatistik des BKA aus dem Jahre 2009<br />
Quelle: www.bundeskriminalamt.de<br />
Wie im Vorjahr stellt die Straßenkriminalität mit 1.435.655 Fällen circa ein Viertel<br />
(23,7 Prozent) der Gesamtkriminalität – seit 2002 mit fallender Tendenz. Der Rückgang<br />
von 3,7 Prozent (oder –54.502 Fälle) resultiert aus einer Abnahme von Diebstahl<br />
insgesamt in/aus Kraftfahrzeugen (–12,9 Prozent auf 252.795 Fälle) und bei<br />
Sachbeschädigung an Kfz (–3,2 Prozent auf 274.418 Fälle). Steigende Fallzahlen sind<br />
unter der Rubrik Sonstige Sachbeschädigung auf Straßen, Wegen oder Plätzen (+6,7<br />
Prozent auf 158.939 Fälle) festzustellen.<br />
Der im Jahr 2008 festgestellte Rückgang der Gewaltkriminalität hat sich auch im<br />
aktuellen<br />
Berichtsjahr fortgesetzt. Die Anzahl der registrierten Delikte ging um 1,2 Prozent auf<br />
insgesamt 208.446 Fälle zurück. Zurückzuführen ist diese Entwicklung in erster Linie auf<br />
Rückgänge im Bereich der gefährlichen und schweren Körperverletzung (–1,3 Prozent<br />
auf 149.301 Fälle) und im Bereich Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff<br />
auf Kraftfahrer (–1,2 Prozent auf 49.317 Fälle). Die in der Definition der Gewaltkriminalität<br />
nicht enthaltene vorsätzliche leichte Körperverletzung stieg gegenüber dem Vorjahr um<br />
0,7 Prozent auf 369.709 Fälle an.<br />
Von insgesamt 156.979 aufgeklärten Fällen im Bereich der Gewaltkriminalität wurden<br />
51.887 Fälle (33,1 Prozent) unter Alkoholeinfluss verübt (2008: 32,9 Prozent).<br />
Insbesondere<br />
bei den schweren und gefährlichen Körperverletzungsdelikten (44.468 Fälle) ist dies zu<br />
beobachten, deren Anteil im Vergleich zum Vorjahr von 34,5 auf 36,2 Prozent<br />
angestiegen ist. Der jahrelange, bis 2007 anhaltende Anstieg der registrierten<br />
Gewaltkriminalität und der vorsätzlichen leichten Körperverletzung wird zum einen auf<br />
ein insgesamt gestiegenes Gewaltpotenzial in Teilen der Gesellschaft und zum anderen<br />
auf ein durch polizeiliche Sensibilisierung erhöhtes Anzeigeverhalten der Bevölkerung<br />
sowie eine Intensivierung der polizeilichen Ermittlungstätigkeit zurückgeführt. Im<br />
Unterschied zur Entwicklung im Hellfeld weisen Opferbefragungen schon seit einigen<br />
Jahren einen Rückgang der Gewaltkriminalität nach.<br />
Seit 2008 scheint sich dieser Trend nun auch im Hellfeld der Kriminalität zu manifestieren.<br />
Das vielfältige Engagement der letzten Jahre, gerade auch in kriminalpräventiver<br />
Hinsicht, scheint inzwischen Wirkung zu zeigen.<br />
Des Weiteren haben in den letzten Jahren die Widerstandshandlungen gegen die<br />
Staatsgewalt zugenommen, die nach weiteren Informationserhebungen überwiegend<br />
gegen Polizeivollzugsbeamte begangen wurden. Bereits in den zurückliegenden Jahren<br />
wurden zahlreiche Maßnahmen vor allem im Bereich der Aus- und Fortbildung, der<br />
Einsatztaktik und der Verbesserung der Schutzausrüstung für Polizeibeamte ergriffen. Die<br />
Innenminister des Bundes und der Länder haben nun im vergangenen Jahr veranlasst,<br />
die Erstellung eines aktuellen bundeseinheitlichen Lagebildes zum Thema Gewalt gegen<br />
Polizeibeamte auf den Weg zu bringen, um die Erkenntnislage zu diesem<br />
Phänomenbereich zu verbessern. Grundlage und eine wesentliche Quelle des Lagebildes<br />
sollen Daten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, ergänzende Erhebungen der Länder<br />
und des Bundes sowie Erkenntnisse aus kriminologischen Studien sein. Die Erhöhung<br />
der Aussagekraft der PKS wird zudem durch eine Differenzierung der Erfassungsmodalitäten<br />
erreicht werden.<br />
3
Der seit 2003 rückläufige Trend bei der Verwendung von Schusswaffen konnte im Jahr<br />
2009 nicht mehr beobachtet werden. Während im Jahr 2008 in 6.994 Fällen mit einer<br />
Schusswaffe gedroht wurde, waren es im Jahr 2009 7.142 Fälle, was einem Anstieg von<br />
2,1 Prozent entspricht. In 5.913 Fällen wurde geschossen (2008: in 4.371 Fällen).2 Bei<br />
gefährlicher und schwerer Körperverletzung nahm die Zahl der Fälle, in denen<br />
geschossen wurde, gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozent auf 1.098 Fälle zu, bei<br />
Raubüberfällen hingegen um 13,3 Prozent auf 150 Fälle ab. Die Zahl der Raubüberfälle,<br />
bei denen mit einer Schusswaffe gedroht wurde, nahm gegenüber dem Vorjahr um 10,6<br />
Prozent auf 3.876 Fälle zu.<br />
Anmerkung: Seit 2009 ist bei Straftaten gegen das Waffengesetz die statistische Erfassung „mit<br />
Schusswaffe geschossen“ möglich. Dadurch erhöht sich die Anzahl der Fälle.<br />
Straftaten gegen die persönliche Freiheit haben 2009 um 2,6 Prozent auf 203.048<br />
Fälle zugenommen.<br />
Hiervon betrafen 103.211 Fälle den Deliktsbereich der Bedrohung. Das bedeutet<br />
einen Anstieg um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ferner sind auch die Fallzahlen im<br />
Bereich der Nötigung um 1,9 Prozent auf 63.492 angestiegen. Rückgänge sind im<br />
Bereich Nachstellung (Stalking) mit –2,5 Prozent auf 28.536 Fälle zu verzeichnen.<br />
Für den sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 176, 176a, 176b StGB) ist 2009 der<br />
niedrigste Wert (–6,1 Prozent auf 11.319 Fälle) seit 1993 zu verzeichnen. In diesem<br />
Deliktsbereich muss nach wie vor von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen werden.<br />
Im Jahr 2009 betrug der Anteil der Kinder (8 bis unter 14 Jahre) an den Tatverdäch-tigen<br />
insgesamt 4,4 Prozent. Die absolute Zahl ist auf 96.627 (2009: 97.279*, 2008: 101.389)<br />
gesunken. Die Anzahl der tatverdächtigen deutschen Kinder betrug 81.090, die der<br />
nichtdeutschen Kinder 15.537. Mehr als die Hälfte der tatverdächtigen Kinder (53,3<br />
Prozent) wurde wegen Diebstahlsdelikten registriert, vor allem wegen Laden- diebstahl<br />
(39,9 Prozent). Ferner zeigten sich Tatverdächtige dieser Altersgruppe bei<br />
Körperverletzung (20,1 Prozent), Sachbeschädigung (19,8 Prozent), Straßenkriminalität<br />
(18,9 Prozent) und Gewaltkriminalität (11,2 Prozent) auffällig.<br />
Die Zahl tatverdächtiger Jugendlicher (14 bis unter 18 Jahre) ist im Jahr 2009 auf<br />
248.702 Tatverdächtige (2009: 254.205*, 2008: 265.771) zurückgegangen. Damit betrug<br />
der Anteil der jugendlichen Tatverdächtigen an allen Tatverdächtigen 11,4 Prozent.<br />
Jugendliche wurden dabei hauptsächlich wegen Körperverletzung, Ladendiebstahl oder<br />
Sachbeschädigung registriert.<br />
Erfreulicherweise setzte sich der bereits 2008 zu beobachtende Rückgang der<br />
Gewaltkriminalität Jugendlicher auch im Jahre 2009 mit 39.464 jugendlichen<br />
Tatverdächtigen fort. (2009: 39.722*, 2008: 43.574). Auch bei der – in der<br />
Gewaltkriminalität enthaltenen – gefährlichen und schweren Körperverletzung wurde ein<br />
Rückgang auf 31.935 jugendliche Tatverdächtige (2009: 32.072*, 2008: 35.384)<br />
registriert. Ob dieser erneute Rückgang der Fallzahlen im Hellfeld der Kriminalität eine<br />
Trendwende im Hinblick auf eine gesunkene Gewaltbereitschaft Jugendlicher indiziert,<br />
kann nicht abschließend beurteilt werden. Dunkelfelduntersuchungen haben bereits seit<br />
einiger Zeit eine rückläufige Entwicklung festgestellt. Der im März 2009 vorgestellte<br />
gemeinsame Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts<br />
Niedersachsen (KFN) und des Bundesministeriums des Innern liefert ebenfalls Belege für<br />
einen Rückgang der Gewaltkriminalität Jugendlicher. Die Gewaltkriminalität weiblicher<br />
Jugendlicher hat im Jahresvergleich auf 6.899 Tatverdächtige (2009: 6.919*, 2008: 7.328)<br />
abgenommen.<br />
Die Eindämmung der Jugendgewalt erfordert weiterhin eine kontinuierliche<br />
Schwerpunktsetzung und eine Anstrengung der gesamten Gesellschaft,<br />
insbesondere in präventiver Hinsicht.<br />
4
Präventionsmaßnahmen<br />
Die strategische Ausrichtung der Kriminalprävention orientiert sich an der Sicherheitslage<br />
und an dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Sie muss vor allem auf die<br />
Entstehungs- und Bedingungszusammenhänge von Kriminalität abzielen. Daneben bilden<br />
unter anderem Befragungen und methodische Analysen eine Grundlage für die<br />
kriminalpräventive Arbeit. Eine systematische und objektive Bewertung von<br />
kriminalpräventiven Ansätzen, Maßnahmen und Initiativen ist unverzichtbar.<br />
Langfristige Kriminalitätsentwicklung in ausgewählten Deliktsbereichen<br />
Bei der vorsätzlichen leichten Körperverletzung haben sich die Fallzahlen gegenüber<br />
1993 mehr als verdoppelt (+104,1 Prozent oder 188.540 Fälle). Die Zahl der gefährlichen<br />
und schweren Körperverletzungen nahm im Zeitraum von 1993 bis 2009 um 61.517 Fälle<br />
(70,1 Prozent) zu. Die Fälle der Gewaltkriminalität stiegen seit 1993 um fast ein Drittel<br />
(29,7 Prozent) auf 208.446 Fälle. Gefährliche und schwere Körperverletzungen und<br />
Gewaltkriminalität zeigen seit dem Höchststand 2007 eine leicht rückläufige Tendenz.<br />
Notizen:<br />
5
Opfer<br />
Angaben über Opfer werden in der PKS nur bei bestimmten Straftaten(gruppen) erfasst.<br />
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Alters- und Geschlechtsstruktur<br />
der Opfer bei den Straftaten(gruppen).<br />
Opfer nach Alter und Geschlecht<br />
Bei den Opfern lassen sich deutliche geschlechts- und altersspezifische Unterschiede<br />
feststellen:<br />
- Meist männliche Opfer wurden bei Raub (Ausnahme: Handtaschenraub),<br />
Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit registriert.<br />
- Die Mehrzahl der Opfer bei Straftaten gegen die persönliche Freiheit, Tötungsdelikten,<br />
Körperverletzungen und Raub waren Erwachsene zwischen 21 und 60 Jahren.<br />
- Jugendliche (14 bis unter 18 Jahren) waren vor allem bei Sexualdelikten, aber auch<br />
bei Raubdelikten und Körperverletzung, überdurchschnittlich betroffen.<br />
- Ältere Menschen ab 60 Jahre wurden, außer bei vollendetem Mord und Totschlag<br />
(aber bei kleinen absoluten Zahlen) und bei Raub (meist Handtaschenraub), verhältnismäßig<br />
selten als Opfer erfasst.<br />
Notizen:<br />
6
Entwicklung der Tatverdächtigen insgesamt<br />
2009 wurden im Bundesgebiet insgesamt 3.368.879 Fälle aufgeklärt und hierzu<br />
2.187.217 Tatverdächtige erfasst.<br />
Aufgrund der von allen Bundesländern angelieferten Einzeldatensätze war es für 2009<br />
erstmals möglich, eine „echte“ Tatverdächtigenzählung durchzuführen (Einzelheiten zur<br />
geänderten Erfassung s. S. 9 f.). Daher kann kein Vergleich mit den Vorjahren erfolgen.<br />
7
Notizen:<br />
Weitere Informationen können unter der nachfolgenden Adresse beschafft werden:<br />
Die <strong>Brosch</strong>üre ist kostenlos. Sie kann bestellt werden beim:<br />
Publikationsversand der Bundesregierung<br />
Postfach 48 10 09<br />
18132 Rostock<br />
Telefon: (0 18 05) 77 80 90 (Festpreis 14 Cent/Min.,abweichende Preise a. d. Mobilfunknetzen möglich)<br />
Fax: (0 18 05) 77 80 94 (Festpreis 14 Cent/Min.,abweichende Preise a. d. Mobilfunknetzen möglich)<br />
E-Mail: publikationen@bundesregierung.de<br />
Artikelnummer: BMI10001<br />
www.bmi.bund.de und www.bka.de<br />
8
Ein vielseitiges Angebot<br />
Eine Auswahl von Konzepten der <strong>Gewaltpr</strong>ävention für Schulen<br />
Man findet im Bereich der <strong>Gewaltpr</strong>ävention an Schulen vielfältige Modelle. Diese<br />
Modelle können in schulumfassende, auf die Institution Schule ausgerichtete und<br />
spezifisch personorientierte, auf Lehrer und Schüler ausgerichtete Programme<br />
unterteilt werden.<br />
Zu den schulumfassenden Programmen zählen beispielsweise<br />
Schulentwicklungsprogramme wie das Interventionsprogramm nach Olweus (1995)<br />
oder das Konfrontative Interventionsprogramm (KIP) (Therwey/ Pölker 2000). Sie<br />
versuchen, unter Einbeziehung und Partizipation aller Beteiligter in der sozialen<br />
Einrichtung Schule Veränderungen unter gewaltpräventiven Aspekten zu erreichen.<br />
Konfrontatives Interventionsprogramm<br />
Das KIP setzt auf Erfahrungen, dass gewaltbereite Schüler und Jugendliche oft nicht<br />
mehr mit herkömmlichen pädagogischen Möglichkeiten und Maßnahmen einer<br />
"Verständnispädagogik" zu erziehen sind. Grundannahme ist, dass nur durch direkte<br />
und unmittelbare Konfrontation der gewaltbereiten Jugendlichen mit ihrem nicht<br />
akzeptierbaren Verhalten durch die Institution und die sie vertretenden Personen eine<br />
Veränderung möglich ist. Die jeweilige Schule legt in ihren zuständigen Gremien<br />
Konsequenzen für den Umgang mit Gewaltsituationen klar umrissen fest. Das verlangt<br />
insbesondere von den Pädagogen und Pädagoginnen die unbedingte Konsequenz im<br />
Handeln und Konsens in der Erziehungseinrichtung. Diese beziehen sich auf die<br />
Bereitschaft, Gewalt sehen zu wollen und auch einzugreifen, auf den Schutz der Opfer<br />
und darauf, dass die Bilanz der Täter, nämlich unerkannt bzw. ungestraft zu bleiben,<br />
nicht aufgehen darf. Die pädagogischen Ansätze der Konfrontation werden als<br />
notwendige und gerechtfertigte Grenzziehungen verstanden. Sie sind dort zu setzen,<br />
wo eindeutige Gefahren drohen, wo Menschen verletzt, geplagt, gekränkt werden oder<br />
das Zusammenleben in der Schule über die Grenzen der Akzeptanz hinaus<br />
beeinträchtigt wird.<br />
Bausteine dieser konfrontativen Pädagogik sind somit die klare Normensetzung und<br />
Normenverbindlichkeit, die Akzeptanz personaler und institutioneller Hierarchien sowie<br />
konsequente Sanktionierung bei Zuwiderhandlung.<br />
An Programmen für Schüler und Lehrer finden sich vor allem das Konstanzer<br />
Trainingsmodell (KTM), das Trainingsprogramm mit aggressiven Kindern, das<br />
Streitschlichter- bzw. Konfliktlotsenmodell und das Coolness-Training.<br />
Konstanzer Trainingsmodell<br />
Das Konstanzer Trainingsmodell (Tennstädt 1991) versucht, über eine Erhöhung der<br />
pädagogischen Kompetenz der Lehrkräfte Verbesserungen im Sozialverhalten von<br />
Schülern und Lehrkräften zu erreichen. Es bietet Hilfe zur Selbsthilfe an und<br />
ermöglicht Veränderungen durch kollegiale Unterstützung als Tandemmodell durch<br />
Lehrerinnen und Lehrer. Auf diesem Wege werden indirekt Kommunikationsstrukturen<br />
unter den Pädagogen verbessert, was sich positiv für das "System Schule" auswirkt.<br />
9
Trainingsprogramm mit aggressiven Kindern<br />
Das Trainingsprogramm mit aggressiven Kindern (Petermann/ Petermann 1993) ist<br />
ein Handlungskompetenztraining, das dazu befähigt, Konflikte weniger mit<br />
aggressiven Aktionen auszutragen sondern durch sozial akzeptierte konstruktive<br />
Verfahrensweisen. Das Training kann sowohl als Einzel- wie auch als Gruppentraining<br />
durchführbar, und der Erfolg ist wissenschaftlich dokumentiert.<br />
Streit-Schlichter-Programme<br />
Streit-Schlichter-Programme bzw. die inhaltlich ähnlich ausgerichteten<br />
Konfliktlotsenprogramme sind gegenwärtig in der pädagogischen Fachwelt die<br />
favorisierten gewaltpräventiven Programme. Dabei setzt man auf die besondere<br />
Wirksamkeit von Peers – also Gleichaltrigen –, die bei sozialer Akzeptanz durch die<br />
anderen einen wesentlich höheren Einfluss auf ihre Schulkollegen zu haben scheinen<br />
als die erwachsenen Pädagogen (siehe dazu: Aktion Jugendschutz 1998, 1999,<br />
2000).<br />
Schüler werden dabei in inhaltlich und zeitlich intensiven Vorbereitungskursen zu<br />
Konfliktlotsen ausgebildet und versuchen, durch klar strukturierte kommunikative<br />
Maßnahmen bei auftretenden Konflikten in der Schule zu vermitteln. Ziel der<br />
Streitschlichtung ist, den Konflikt bei den Konfliktparteien zu lassen und ihnen durch<br />
die Unterstützung eines neutralen Vermittlers bei der fairen Lösungsfindung zu helfen.<br />
Die betroffenen Schüler finden in der Regel sehr schnell eine Lösung bzw. einen<br />
Kompromiss und entkommen dem Konflikt ohne Gesichtsverlust.<br />
Ziele der Konfliktlotsenprogramme sind dabei die Hilfe zur Selbsthilfe, die Stärkung<br />
der Eigenverantwortlichkeit, die Förderung eigenverantwortlicher Kommunikationsund<br />
Kooperationsfähigkeit und die Förderung der selbständigen Konflikt- und<br />
Streitregelungsfähigkeit. Die Lehrer übernehmen die Aufgabe der Coachs. Ihre Rolle<br />
verändert sich vom Lehrenden zum Unterstützenden.<br />
Diese Modelle funktionieren bei alltäglichen Gewaltsituationen bei nicht zu schweren<br />
Streitigkeiten, sofern die Konfliktparteien zur der freiwilligen Mitarbeit / einer<br />
gemeinsamen Lösung bereit sind.<br />
Coolness-Training<br />
In diesem Modell werden die einzelnen gewalterzeugenden und aufrechterhaltenden<br />
Faktoren der eigentlichen Sozialisationsinstanz Schule herausgearbeitet. Dies sind<br />
z.B.: Täter- und Opferverhalten oder die typischen gruppendynamischen Prozesse<br />
innerhalb einer Klasse/Clique.<br />
Im Coolness-Training werden die ablehnende Haltung und Feindseligkeit der<br />
„Tätertypen“ reduziert. Rituale und Strukturen von Begegnungen im öffentlichen Raum<br />
spielen dabei eine bedeutsame Rolle. Diese Strukturen werden analysiert, in Phasen<br />
zerlegt, im Rollenspiel inszeniert und entsprechend geübt.<br />
10
Die Entstehung eines <strong>Gewaltpr</strong>äventionsprogrammes<br />
Im Juni 2000 wurden Überlegungen angestellt, die Öffentlichkeitsarbeit der damaligen<br />
Bundesgrenzschutzabteilung Bad Bergzabern (heute Bundespolizeiabteilung Bad<br />
Bergzabern) zum Bürger zu verbessern. Dem Bürger sollte gezeigt werden, dass die<br />
Bundespolizei (BPOL) sich nicht ständig hinter einem großen Zaun verschlossen hält,<br />
sondern eine bürgernahe Polizei des Bundes darstellt.<br />
Ein Schulleiter aus der südpfälzischen Region beantragte die Durchführung eines<br />
Selbstverteidigungskurses für Schüler seiner Schule durch Beamte der BPOL. Dieser Kurs<br />
sollte an Projekttagen der Schule durchgeführt werden. Auch für einen Laien, der nichts<br />
mit Selbstverteidigung oder Kampfsport zu tun hat, dürfte es klar sein, dass natürlich<br />
niemand innerhalb von ein paar Tagen zu einem erfolgreichen Zweikämpfer ausgebildet<br />
werden kann. Dennoch wurden Überlegungen angestellt, wie der Bundesgrenzschutz<br />
dieser Schule helfen könnte.<br />
Wir mussten ein Konzept finden, welches nicht mit „unsinnigen Selbstverteidigungsmethoden“<br />
gefüllt wird. Vielmehr sollte eine Konzeption gefunden werden, welche den in<br />
der Selbstverteidigung ungeübten Menschen aufzeigt, wie sich in unserer modernen<br />
Gesellschaft für uns alltägliche zwischenmenschliche Beziehungen zu gefährlichen<br />
Konfliktsituationen entwickeln können. So wurden Grundgedanken festgehalten, wie man<br />
innerhalb kürzester Zeit dem Laien zumindest die Zusammenhänge einzelner Phasen<br />
einer Konfliktsituation erklärt und hierbei praktische, für jede Person anwendbare,<br />
Strategien vermitteln kann. Die Strategien und Lösungsmöglichkeiten sollten rechts-,<br />
handhabungssicher und zumindest in Ansätzen umsetzbar sein.<br />
Nun wussten wir aber auch, dass diese Lösungsmöglichkeiten nicht immer ohne eigene<br />
Gewaltanwendung durchsetzbar sind, nämlich immer dann, wenn aggressive Menschen<br />
ihren Opfern nicht mehr zuhören. Um diese Situationen abzudecken und auch hier den<br />
betroffenen Menschen eine Hilfestellung und zusätzliche Sicherheit zu geben, wurde auf<br />
eine Strategie zurückgegriffen, die es ermöglicht, ohne viel Kraftaufwand aber mit einer<br />
enormen Konsequenz Konfliktsituationen zu beenden. Auf diese wird im Verlauf der<br />
<strong>Brosch</strong>üre noch näher eingegangen. Wir waren bereits aus privater Initiative, aus eigenem<br />
und beruflichem Interesse zur Materie zu dem Themenkomplex „Selbstverteidigung und<br />
<strong>Gewaltpr</strong>ävention“ geschult. Wir brauchten daher das Rad nicht neu zu erfinden, sondern<br />
bedienten uns bereits vorhandenen Wissens und stellten dieses Wissen unserem<br />
Dienstherren zur Verfügung.<br />
Die Idee des <strong>Gewaltpr</strong>äventionsprogrammes der Bundespolizeiabteilung Bad Bergzabern<br />
war geboren.<br />
11
„Gewalt zerbricht an sich selbst“<br />
Zitat Lao Tse 4. bis 3. Jhdt. v.Chr.<br />
In den öffentlichen Medien werden vermehrt schreckliche Verbrechen und<br />
Gewaltszenarien in medienwirksamer und für den Bürger ansprechender Art und<br />
Weise publiziert. Verunsicherungen und Fragen werden beim Einzelnen hervorgerufen<br />
wie z.B.: „Kann ich mich noch wehren….“, „Wie kann ich helfen….“, „Was würde ich<br />
selbst tun, wenn mir das passiert….“. Diese Verunsicherung in der Bevölkerung und<br />
die immer wieder größer werdende Nachfrage der Bürger aus der Region bei der<br />
Bundespolizeiabteilung Bad Bergzabern, „Selbstbehauptungskurse“ durchzuführen,<br />
veranlasste die Abteilungsführung im Juni 2000, ein <strong>Gewaltpr</strong>äventionsteam<br />
einzusetzen. Dieses Team besteht derzeit aus 4 Polizeivollzugsbeamten, die in der<br />
weiteren Umgebung der Bundespolizeiabteilung Bad Bergzabern (BPOLABT BBZ)<br />
Seminare an Kindergärten, Schulen, Berufsschulen etc. vorwiegend für Multiplikatoren<br />
zum Thema „<strong>Gewaltpr</strong>ävention“ durchführen.<br />
Gemeinsam gegen Gewalt<br />
Einen wichtigen Sektor der <strong>Gewaltpr</strong>äventionsarbeit der BPOLABT Bad Bergzabern<br />
bildet die Zusammenarbeit mit der Landespolizei Rheinland-Pfalz, dem ehemaligen<br />
Bundespolizeiamt Saarbrücken und den heutigen benachbarten<br />
Bundespolizeiinspektionen und Bundespolizeidirektionen. Insbesondere bei der von<br />
dem ehemaligen Herrn Minister Walter Zuber gegründeten Aktion des<br />
Rheinlandpfälzischen Ministeriums für Inneres und Sport „Wer nichts tut, macht mit“,<br />
wird das <strong>Gewaltpr</strong>äventionsteam bei Großveranstaltungen, mittlerweile sogar über das<br />
Bundesland Rheinland-Pfalz hinaus, eingesetzt.<br />
Im Rahmen der Präsentationen bei Großveranstaltungen wird ganz bewusst<br />
unangekündigt eine sehr drastische Konfliktsituation mitten im Publikum begonnen,<br />
um somit alle Zuschauer direkt und persönlich emotional anzusprechen.<br />
Ein Beispiel:<br />
„Hey, du blöde Schlampe, was soll<br />
das Was rempelst du mich an<br />
Hast du ein Problem oder willst du’n<br />
bisschen Spaß haben“ äußert sich<br />
ein kräftiger junger Mann. Die<br />
zierliche junge Frau, ängstlich und<br />
erklärend: „Ich hab doch gar nichts<br />
gemacht!“<br />
Der junge Mann zeigt kein Erbarmen<br />
und rempelt die mittlerweile<br />
eingeschüchterte Frau an. Er geht<br />
sogar noch weiter, prügelt sie zu<br />
Boden und tritt auf sein Opfer ein.<br />
Stefanos Miaris macht sein Opfer an<br />
12
Dann ertönt eine Stimme: „Guten Tag<br />
meine Damen und Herren, diese<br />
Situation ist nur gestellt! Das<br />
<strong>Gewaltpr</strong>äventionsteam möchte Ihnen<br />
einige Tipps geben, wie Sie sich als<br />
Zeuge in einer solchen Situation<br />
richtig verhalten können!“<br />
Das Opfer wurde zu Boden geschlagen und ist wehrlos<br />
In der Phase der Eskalation<br />
unterbricht dann, wie oben erwähnt,<br />
ein Moderator des Teams die Szene.<br />
Zur Förderung der Zivilcourage geben<br />
die Beamten Tipps, wie sich die<br />
Menschen in gefährlichen Konfliktsituationen<br />
verhalten sollten, wenn sie<br />
nicht unmittelbar als Opfer in<br />
Bedrängnis geraten.<br />
Die Bundespolizisten geben den Zuschauern Tipps<br />
Hierbei ist vor allem wichtig, dass Menschen bereit sind, anderen in Notsituationen zu<br />
helfen. Unter Beachtung der nachfolgenden Punkte können alle Menschen die<br />
notwendige Helferposition bestehen:<br />
- Ich helfe ohne mich selbst in Gefahr zu bringen<br />
Jeder Mensch hat Möglichkeiten zu helfen ohne in die direkte Konfrontation mit dem<br />
Täter zu gelangen<br />
- Ich fordere andere direkt zur Mithilfe auf<br />
Es ist ein Phänomen, dass bei Anwesenheit mehrerer Personen am Unglücks- oder<br />
Tatort die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass geholfen wird. Psychologen sehen mehrere<br />
Gründe für dieses Verhalten. Die Ernsthaftigkeit der Situation wird vom Verhalten und<br />
der Reaktionen der anderen Zuschauer abhängig gemacht: “Wenn andere nicht<br />
helfen, muss ich auch nicht helfen“ oder „wenn andere nicht helfen, wird’s wohl nichts<br />
zu helfen geben.“ Viele Menschen trauen sich auch nicht zu helfen aus Angst sich zu<br />
blamieren oder sogar selbst Opfer zu werden. Man passt sich lieber der<br />
Zurückhaltung der anderen an. Wichtig ist den anderen mitzuteilen, dass hier etwas<br />
nicht in Ordnung ist und dass etwas getan werden muss. Die anderen Personen<br />
müssen konkret angesprochen werden, es muss ihnen mitgeteilt werden was getan<br />
werden soll: „Holen Sie Hilfe!“<br />
13
- Ich organisiere Hilfe –Notruf 110-<br />
Rufen Sie die Polizei, damit diese so schnell wie möglich kommen kann. Die<br />
Polizisten haben eine spezielle Ausbildung und können professionell helfen. Wichtig<br />
ist, dass gesagt wird wo, wann und was passiert ist. Den Hörer sollten Sie nicht sofort<br />
auflegen, falls der Polizeibeamte Nachfragen hat.<br />
- Ich beobachte genau und merke mir den Täter<br />
Der Polizei ist es schon oft gelungen, aufgrund einer guten Beobachtungsleistung<br />
von Zeugen einen Täter durch eine schnelle Fahndung zu fassen<br />
(s.a. Seite 3, Tabelle Fallentwicklung und Aufklärung). Wichtig zu wissen ist vor allem<br />
die Kleidung, das Aussehen und Fluchtrichtung eines Täters.<br />
Möglicherweise können die Zeugen auch dem Täter in sicherem Abstand folgen ohne<br />
ihn zu „VERfolgen“.<br />
- Ich kümmere mich um das Opfer<br />
Nicht jeder traut sich Erste Hilfe zu leisten, aber jeder kann dem Opfer beistehen.<br />
Verletzten Opfern konnten schon alleine dadurch stabilisiert werden, dass sie<br />
seelischen Beistand bekamen, bis die professionellen Helfer eintrafen. Sprechen Sie<br />
mit dem Opfer, trösten Sie es, fragen Sie, was Sie tun können und wie Sie<br />
unterstützen können.<br />
- Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung<br />
Viele Menschen verlassen kurz vor oder unmittelbar nach dem Eintreffen der<br />
professionellen Helfer den Ort des Geschehens. Aber Sie werden als Zeuge<br />
gebraucht. Möglicherweise ist nur Ihnen etwas aufgefallen, das sehr wichtig ist, um<br />
den Täter zu fassen oder die Tat zu rekonstruieren. Deshalb bleiben Sie bitte vor Ort<br />
und fragen Sie die professionellen Helfer, ob Ihre Anwesenheit noch erforderlich ist.<br />
Sollten Sie unter Zeitdruck stehen, hinterlassen Sie für wichtige Nachfragen Ihren<br />
Namen und Ihre Erreichbarkeit.<br />
Doch auch für die Opfer selbst werden natürlich Ratschläge gegeben. Sie sollten<br />
unbedingt lautstark auf die Bedrohungssituation hinweisen, indem sie ganz gezielt<br />
Passanten ansprechen und diese bitten, ihnen zu helfen. Z.B.: „ Sie in dem blauen<br />
T-Shirt, helfen Sie mir rufen Sie die Polizei!“ „Nur wenn andere wissen, dass ich in Not<br />
bin können sie auch helfen“, erklärt das Team. Bei aggressiven Menschen, die sich<br />
nicht von ihren Angriffen abbringen lassen, darf man sich im Rahmen der Notwehr<br />
(Trutzwehr) auch körperlich wehren und verteidigen. Hier werden ebenfalls gezielt<br />
Möglichkeiten für die Zuschauer vorgestellt<br />
und erläutert. Entscheidend, um die<br />
Konfliktsituation erfolgreich beenden zu<br />
können, ist für das Opfer zunächst einmal,<br />
dem Täter den Willen und die (psychische)<br />
Kraft zu signalisieren: „Ich lasse mir nichts<br />
gefallen, mich macht man nicht so leicht<br />
zum Opfer!“ Nur dann hat auch eine dem<br />
Täter eine realistische Chance unverletzt<br />
aus der gefährlichen Situation<br />
„auszusteigen“.<br />
Corinna Grothe zeigt den Zuschauern wie man sich gegen Angreifer behauptet<br />
Täter wollen Opfer, keine Menschen, die sich wehren.<br />
14
Notizen:<br />
.<br />
15
Aktive Bürgerhilfe<br />
Das <strong>Gewaltpr</strong>äventionsteam der BPOLABT Bad Bergzabern bietet, wie bereits eingangs<br />
erwähnt, auch in Kindergärten, Schulen, Berufsschulen auf schriftlichen Antrag der<br />
entsprechenden Einrichtung Seminare zum Thema <strong>Gewaltpr</strong>ävention an.<br />
Bei diesen Seminaren handelt es sich nicht um sogenannte „Selbstverteidigungskurse“. Wir<br />
können und wollen in unseren Kursen niemanden zu einem unbesiegbaren Zweikämpfer<br />
schulen. Vielmehr vermitteln die Schulungen sowohl psychologische als auch physische<br />
Techniken und Hilfestellungen, um so das Selbstbewusstsein und (beinahe noch wichtiger)<br />
das Selbstwertgefühl der Teilnehmer / -innen zu stärken.<br />
Die Seminare zu dieser Thematik decken systematisch mehrere Zielgruppen ab.<br />
Vorschulkinder, Schulkinder, Lehrer, Erzieherinnen sowie Sicherheitsberater für Senioren aber<br />
auch Mitarbeiter / Betreuer einer forensischen Abteilung der Pfalzklinik gehörten bereits zum<br />
Adressatenkreis. Während der Seminare wird adressatengerecht auf die Entstehung von<br />
Gewalttaten eingegangen. Verschiedene Handlungsansätze und kommunikative<br />
Lösungsmöglichkeiten werden gemeinsam erarbeitet. Hierbei werden verschiedenste<br />
vorstellbare Situationen und deren Hintergründe beleuchtet (z.B. die Entstehung von Gewalt in<br />
Fußgängerzonen, Kneipen, Bussen, Bahnen, Schulen etc.), um den Teilnehmern-/innen so<br />
verständlich zu machen, wie und mit welchem psychologischen Hintergrund es zu solchen<br />
Gewalttaten kommt und warum Menschen immer wieder in eine so genannte „Opferrolle“<br />
gelangen.<br />
Eine besondere Verfahrensweise wird bei<br />
Kindern angewendet. Hier werden als<br />
Grundlagen zur Verdeutlichung von<br />
Gefahrensituationen aktuelle Geschehnisse<br />
aber auch klassische Märchen thematisiert.<br />
Kinder lernen sich zu behaupten und dem Angreifer<br />
Grenzen aufzuzeigen<br />
Eine laute Stimme und der Körper sind ein gutes Mittel,<br />
um andere auf die Notsituation aufmerksam zumachen<br />
Im Kurs selber unterstellen wir aufgrund von Erfahrungswerten, dass eine Konfliktsituation<br />
nahezu rituell in drei Hauptphasen abläuft:<br />
A: die non-verbale Phase (Blickkontakte, Körpersprache, Täter und Opfer „finden sich“)<br />
B: die verbale Phase (sog. „Anmachen“ des Opfers, Täter redet sich mutig und stark)<br />
C: die körperliche Phase (Extremfall der direkten Auseinandersetzung)<br />
16
Den Teilnehmern / -innen werden altersgerecht einfache und effektive Lösungsmöglichkeiten für<br />
alle drei Phasen nahe gebracht.<br />
In der ersten Phase machen wir den Seminarteilnehmern /-innen klar, dass ein „Umdrehen und<br />
Weglaufen“ zwar grundsätzlich wünschenswert ist, allerdings oftmals für die Opfer schon nicht<br />
mehr machbar ist, weil die Gefährlichkeit der Situation noch nicht/zu spät erkannt wurde.<br />
Der Aggressor hat sein Opfer<br />
gefunden. In dieser Situation ist ein<br />
„Umdrehen und Wegrennen“ nicht mehr<br />
möglich.<br />
Der Junge auf der Mauer hat<br />
keine Möglichkeit mehr wegzulaufen.<br />
Er ist nun auf die<br />
Hilfe seiner Mitschüler<br />
angewiesen.<br />
17
In der zweiten Phase erfahren die Teilnehmer /-innen, dass es wichtig ist, die richtigen Antworten<br />
zu finden und andere Menschen unbedingt in das Geschehen einzubeziehen und auf die<br />
Situation aufmerksam zu machen.<br />
Stopp, lassen Sie uns in Ruhe!<br />
Kommen Sie schnell und<br />
helfen Sie uns, der Mann bedroht uns.<br />
Den Kindern bleibt erst einmal nur die Möglichkeit des Versuches, Erwachsene als Helfer zu<br />
gewinnen. Ein körperliches Wehren können wir in dieser Situation nicht empfehlen, da der Täter<br />
wesentlich stärker ist und für ein Kind noch keine Möglichkeit besteht, sich körperlich so zu<br />
wehren, dass der Aggressor von seinem Vorhaben ablässt. Daher sind unbedingt die<br />
Erwachsenen als Helfer anzusprechen und einzubinden.<br />
Hey Sie in der roten Jacke, rufen<br />
Sie die Polizei. Sie in der grauen<br />
Jacke, kommen Sie her und<br />
helfen Sie mir bitte.<br />
18
Speziell zur Vermittlung der dritten Phase verwenden wir Inhalte der Verteidigungstechnik<br />
„BlitzDefence – Eine Strategie gegen Schläger und Sittenstrolche“. Diese stammt aus der<br />
chinesischen Kampfkunst WingTsun, einem Stil, der ursprünglich von einer Frau entwickelt<br />
wurde. Es handelt sich hier ausnahmslos um sehr einfach zu erlernende, trotzdem aber<br />
effektive Methoden. WingTsun basiert nicht auf festgeschriebenen Bewegungsabläufen,<br />
sondern gründet sich auf logisch nachvollziehbare physikalische Prinzipien und ist gerade<br />
deshalb von jedermann anwendbar. Es ist nicht notwendig, sportlich topfit zu sein, selbst<br />
Rollstuhlfahrer wenden diese Strategien erfolgreich an.<br />
Bloß nichts gefallen lassen.<br />
Wenn der Aggressor absolut nicht<br />
aufhört muss „frau“ sich wehren<br />
Evaluation<br />
Zum Abschluss der Seminare wird an die Beteiligten bzw. an die jeweiligen Einrichtungen ein<br />
Evaluationsbogen ausgehändigt, in dem nach den persönlichen Eindrücken, Bewertungen<br />
aber auch nach möglichen Kritikpunkten und Verbesserungsmöglichkeiten gefragt wird.<br />
Als Ausfluss der eingegangenen Antworten lässt sich festhalten, dass diese Seminare<br />
durchweg sehr gut bewertet und im Allgemeinen als „zu kurz“ befunden werden.<br />
Lehrer und Erzieherinnen sprechen von einer sehr hohen Nachhaltigkeit der vermittelten<br />
Inhalte bei ihren jeweiligen Kindern / Schülern.<br />
Im Folgenden sind einige exemplarische Antworten (anonymisiert) wiedergegeben.<br />
• Ihre Meinung zu dieser Veranstaltung! (Anregungen/Kritik)<br />
„alle Beteiligten haben mit viel Interesse & Spaß mitgemacht“<br />
„ergänzt hervorragend die vorhandenen Präventionsprogramme“<br />
„der vorgeschobene Elterninfoabend hat die Wirkung des Kurses nochmals<br />
entscheidend erhöht“<br />
„Eltern und Erzieher halten diese Präventionsarbeit für sehr wichtig“<br />
„Eventuell sollte das Thema „Gewalt unter Gleichaltrigen“ einen breiteren Raum einnehmen“<br />
„Ein Elterabend ist wichtig“<br />
„Die Gespräche „Was ist Gewalt“ waren zu theoretisch und durch zu viele Wiederholungen<br />
insgesamt zu lang“<br />
„gute Mitarbeiter => sie greifen das Sprachniveau der Kinder auf, sprechen also „auf<br />
Augenhöhe““<br />
„sehr gut => praktische Übungen, Einsatz des Bilderbuches“<br />
19
„evtl. kann ein solches Ergebnisblatt auch für die Kinder erstellt werden“<br />
„die Mitarbeiter haben sehr viel Einfühlungsvermögen bewiesen und konnten so auch einige<br />
persönliche Situationen der Schüler angehen“<br />
„Wir fanden es toll – Lehrer wie Schüler. Die Schüler haben sich zwar beschwert, wie<br />
burschikos an die Sache rangegangen wurde, aber die Realität ist halt so. Außerdem ist das<br />
eine Sprache, die sie sehr gut verstanden. Es wurde sehr differenziert auf die Schüler<br />
eingegangen. Ich habe die Veranstaltung beobachtet, war sehr positiv überrascht und<br />
versuche immer noch, einen Termin für eine Info-Veranstaltung für das Kollegium zu<br />
bekommen. Diese Veranstaltung sollte regelmäßig eingeplant werden!“<br />
„Immer wieder wurde von den Beteiligten (Erzieherinnen und Eltern) begrüßt, dass dieses<br />
sensible Thema so aufgegriffen und aufgearbeitet wurde, dass praktische Tipps und<br />
Anregungen auch umzusetzen sind. Die Elternveranstaltung hat viel Betroffenheit<br />
ausgelöst und Klarheit gezeigt, mit solchen Situationen umzugehen.<br />
Für die Kinder war die Thematik methodisch gut vermittelt worden. Aus unserer Einrichtung<br />
kamen weder Kritik noch Anregungen, da die Veranstaltungen als sehr gelungen<br />
angesehen wurden.“<br />
„Die Schüler empfanden die Veranstaltung als sehr lehrreich“<br />
„Die Veranstaltung hat die Erwartungen erfüllt“<br />
„Sollte allen Klassenstufen zugänglich gemacht werden, mit jährlicher Wiederholung“<br />
„Es wäre vielleicht gut, wenn während des Seminars die Bezugspersonen gleich bleiben<br />
würden<br />
• Wie lange war die Nachhaltigkeit der Seminare; bzw. haben sich die Seminare, Ihrer<br />
Meinung nach, auf das Verhalten der Schüler ausgewirkt<br />
„2 Wochen nach dem Seminar kamen die Kinder ins Gruppenzimmer gestürmt: „Frau D., ein<br />
fremder Mann ist in unserem Kindergarten, komm schnell!!“ (Es war unser Bürgermeister,<br />
also unser Chef, aber die Aufmerksamkeit der Kinder war enorm)“<br />
„In entsprechenden Situationen in der Schule brauchen die Schüler nur ein<br />
Erinnerungsanstoß an das Seminar, um über ihr eigenes Verhalten zu reflektieren“<br />
„Es wäre sinnvoll, jedes Jahr solche Seminare durchzuführen“<br />
„Ja, sie haben sich positiv ausgewirkt (weniger Gewalt in der Klasse, durch „Lassen Sie<br />
mich…“ und in der Freizeit)<br />
„In unserem Schulhaus haben wir Fotos der letzten <strong>Gewaltpr</strong>ävention ausgestellt, was<br />
bewirkt, dass die Schüler immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht werden“<br />
„Es haben sich ab und zu Anlässe ergeben, auf die Veranstaltung und die Thematik<br />
zurückzukommen“<br />
„Das Thema beschäftigte die Kinder über einen längeren Zeitraum immer wieder, sie<br />
erzählen oft den kleineren Kindern und auch Erwachsenen von der Thematik!“<br />
„Wie sonst auch: steter Tropfen höhlt den Stein. Regelmäßige Wiederholung ist nötig und<br />
sinnvoll“<br />
„Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Die Kinder haben zwar lange noch darüber<br />
erzählt, doch wie ihr Verhalten im Ernstfall aussehen würde, ist fraglich, da diese auch sehr<br />
schnell wieder vergessen. Wichtig wäre hier, in Abständen immer mal wieder darauf zu<br />
sprechen zu kommen auch in der Schule.“<br />
„Die Schüler waren bislang noch nicht gezwungen, ihre erworbenen Kenntnisse<br />
anzuwenden, fühlen sich aber sensibilisiert und besser für den Ernstfall gewappnet“<br />
„Die Veranstaltung hat den Jugendlichen eine sinnvolle Verhaltensalternative gezeigt.<br />
Nachhaltigkeit setzt jedoch eine sich regelmäßig wiederholende Schulung voraus“<br />
„Positive Resonanz von Schülerseite. Teilweise verändertes Schülerverhalten bei<br />
Gewalttätigkeiten außerhalb der Schule“<br />
„Das, was praktisch eingeübt wurde, wird heute noch angewandt“<br />
„Für einige Schüler hat das Seminar einen positiven Einfluss in Bezug auf ihr<br />
Selbstvertrauen ausgeübt“<br />
20
Durchführung von Seminaren:<br />
Die Anfragen für diese Kurse wurden so groß, dass es uns nicht mehr möglich war jeder<br />
Einrichtung gerecht zu werden. Daher wurde der Schwerpunkt auf die<br />
Multiplikatorenschulung gesetzt. Kurzseminare für Kinder werden nur in besonderen<br />
Projekten, wie z.B. der Sicherheitspartnerschaft zwischen der DB AG und der BPOL oder<br />
aufgrund von Kooperationsabkommen zwischen den Dienststellen und Schulen etc.<br />
durchgeführt.<br />
Notizen:<br />
21
Sind gefährliche Konfliktsituationen wirklich abzuschätzen<br />
Diese Frage stellen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer immer wieder in<br />
unseren Kursen. Unsere Antwort: „Alle Situationen sind kalkulierbar und werden<br />
einschätzbar. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass gewisse Grundsätze<br />
beachtet werden.“ Der Polizeibeamte spricht in diesem Fall von<br />
Eigensicherungsgrundsätzen. Der Diplompsychologe Uwe Füllgrabe schreibt in<br />
seinem Werk „Psychologie in der Eigensicherung“, dass Überleben kein Zufall sein<br />
muss. Jeder Mensch, egal ob er Polizeibeamter ist oder nicht, muss zunächst damit<br />
beginnen, bei sich selbst etwas zu verändern. Auch in unserer zivilisierten Welt<br />
müssen wir darüber nachdenken, dass es Menschen unter uns gibt, die nicht<br />
unbedingt alles in „Diskussionsforen“ bereden wollen, bis sie ihr Ziel erreichen. Wir<br />
müssen uns, ob wir wollen oder nicht, damit auseinandersetzen, dass diese<br />
Menschen versuchen werden, ihre Absichten und Ziele auch durch Anwendung von<br />
Gewalt durchzusetzen. Wenn Menschen sich mit dieser Denkweise arrangieren<br />
können, erhalten die sie letztlich auch eine andere Einstellung im Hinblick auf den<br />
Umgang mit gefährlichen Konfliktsituationen. Diese Einstellung, bezogen auf die<br />
Opfer, wird mit der Wahrnehmung der eigenen Gefühlswelt, insbesondere durch die<br />
Mimik und Gestik, aber auch im verbalen Ausdruck dokumentiert. Wir alle und<br />
speziell Personen mit pädagogischen Aufträgen müssen erkennen, dass nicht alle<br />
Konflikte in einem gut gegliederten Gesprächsrahmen und mit sozial kompetenten<br />
Gesprächspartnern ablaufen.<br />
Wir möchten Ihnen im Folgenden eine kleine Anregung geben, wie Sie beginnen<br />
können, eine andere Sichtweise für Gewaltsituationen zu erlangen.<br />
Wir müssen vorab festhalten, dass Konfliktsituationen nur in zwei Weisen enden<br />
können:<br />
1.) Der Aggressor kann die Situation nicht mehr einschätzen, er ist sich seiner Sache<br />
nicht mehr sicher und gibt auf.<br />
2.) Der Aggressor ist sich seiner Sache und Handeln so sicher, dass er sich durch<br />
nichts und niemanden aufhalten lässt. Er macht weiter bis zur körperlichen<br />
Auseinandersetzung.<br />
Das Positive hieran ist, dass es nur diese beiden Varianten gibt. Sie müssen sich<br />
somit nur auf zwei Möglichkeiten der Konfliktbewältigung einstellen.<br />
Das Opfer kann dem Aggressor in der Gefahrensituation schon sehr früh die<br />
Grenzen durch gezielte Körpersprache und lautstarkes, jedoch nicht „übersteuertes“<br />
Rufen: „Stopp, lassen Sie mich in Ruhe“ aufzeigen.<br />
Sie sollten dem Angreifer auf jeden Fall signalisieren, dass Sie sich nicht<br />
bedingungslos zum Opfer machen lassen. Auch wenn Sie alles Menschenmögliche<br />
in dieser Situation getan haben und trotzdem Gewalt erfahren, sollten Sie sich<br />
wehren. Hier haben Psychologen herausgefunden, dass Menschen die sich<br />
Notsituationen gewehrt haben, keine anschließenden psychologischen Probleme in<br />
der Aufarbeitung des Vorfalls hatten. Die Menschen, die trotz der Gegenwehr,<br />
Gewalt an sich selbst erfuhren, haben bereits in der Situation mit der Therapie<br />
begonnen. Die meisten dieser Personen hatten nach dem schlechten Erlebnis keine<br />
psychologischen Probleme; die anderen konnten leichter therapiert werden.<br />
22
Die Gefahr spüren lernen<br />
Oftmals gelangen wir nur in schlimme Situationen, weil wir mit unserer Gefühlswelt in<br />
Konflikt geraten. Wir versuchen uns einzureden, „es ist ja noch nichts passiert“ oder<br />
„es wird schon gut gehen“. Wir kennen das Gefühl Hunger, Durst, Liebe, Hass. Das<br />
Gefühl der Angst ist jedoch für uns nicht zu begreifen. Versuchen Sie nicht, cool zu<br />
bleiben, ihr Kontrahent wird es merken. Versuchen Sie sich mit dem Gefühl der<br />
Angst zu arrangieren. Es ist in schlimmen Situationen völlig normal, dass uns diese<br />
Gefühlswelt versucht, zu bestimmten Handlungen zu bewegen. Betrachten Sie die<br />
Angst als Alarmsignal und freuen Sie sich darüber, dass diese nicht von technischen<br />
Mitteln abhängig ist und immer funktionsfähig bleibt. Kleinkinder zeigen noch ein<br />
natürliches Verhalten beim Auftreten von Angstgefühlen. Wenn Kleinkinder<br />
Personen, Gegenstände oder Örtlichkeiten wahrnehmen, die sie nicht kennen oder<br />
mit denen sie noch keine Erfahrung hatten, verhalten Sie sich dementsprechend<br />
vorsichtig. Wir Erwachsene sind es, die durch Lebenserfahrung behaupten, „die<br />
Sache ist doch nicht schlimm“ oder „der Onkel ist doch lieb“. Damit versuchen wir<br />
zwar den Kindern die Angst zu nehmen, es besteht allerdings die Gefahr, dass<br />
Kinder verlernen, mit diesem natürlichen Gefühl umzugehen. Wir sollten gerade bei<br />
Kindern akzeptieren, dass auch sie das Recht haben bestimmte Dinge nicht zu tun,<br />
wenn sie es nicht wollen.<br />
Diplompsychologe Uwe Füllgrabe schreibt in seinem Werk „Psychologie in der<br />
Eigensicherung“, dass jeder, der sich in potenziell gefährlichen Situationen bewegt<br />
einen sog. „Gefahrenradar“ entwickeln muss. Ohne voreilige subjektive Deutung<br />
sollte genau registriert werden können, was sich in einer Situation abspielt. Es ist<br />
wichtig, das Gefahrenpotenzial einer Situation oder von Menschen richtig<br />
einzuschätzen und Gefahren rechtzeitig wahrzunehmen. Konkret kann hier folgendes<br />
Beispiel genannt werden:<br />
Zwei Frauen besuchen gegen Abend in den Wintermonaten ein Konzert in der<br />
südpfälzischen Region. An der Örtlichkeit angekommen, mussten sie feststellen,<br />
dass die Einfahrt in die Ortschaft durch die Ortsfeuerwehr gesperrt war. Eine<br />
Parkmöglichkeit bestand nur noch in einem Weinberg ca. 1km vom Veranstaltungsort<br />
entfernt. Nach einer kurzen Überlegung baten die Frauen bei dem Absperrpersonal<br />
mit folgender Begründung um eine Parkmöglichkeit direkt hinter der Absperrung<br />
innerhalb der Ortschaft: „Wir sind alleine und möchten bis zum Ende des Konzertes<br />
bleiben. Das Konzert endet gegen 01:00 Uhr morgens. Wir müssen dann ohne<br />
Begleitung ca. 1km in den Weinberg zum Fahrzeug laufen. Wir bitten daher um die<br />
Möglichkeit, in der Ortschaft direkt nach der Absperrung zu parken.“<br />
Den Frauen wurde daraufhin Durchlass gewährt. Sie haben absolut richtig gehandelt<br />
und die Situation richtig eingeschätzt.<br />
Ein weiteres Beispiel in der kein Gefahrenradar genutzt wurde:<br />
Eine junge Frau befindet sich auf einem Weinfest in der südpfälzischen Region. Sie<br />
lernt am frühen Abend einen netten jungen Mann kennen. Sie feiern und verbringen<br />
den Abend zusammen auf diesem Fest. Nach einigem Alkoholgenuss der Beiden,<br />
wird der Mann zudringlich und versucht immer wieder die Frau zu küssen. Sie gibt<br />
ihm zu verstehen, dass sie das nicht möchte, bleibt aber dennoch in seiner Nähe und<br />
distanziert sich auch nicht von dem jungen Mann. Gegen 01:30 Uhr, die Weinbuden<br />
sind bereits geschlossen, entschließt sich die junge Frau ein menschliches Bedürfnis<br />
zu verrichten und begibt sich dazu hinter eine Scheune. Der Mann folgte ihr<br />
unbemerkt. Wieder machte ihm die Frau klar, dass sie nichts mit ihm zu tun haben<br />
möchte. Diesmal hört der Mann jedoch nicht mehr zu und es kommt zur<br />
Vergewaltigung der jungen Frau.<br />
23
Das Verhalten des Mannes wurde von der jungen Frau falsch eingeschätzt. Sie<br />
hätte den Kontakt mit dem jungen Mann, bereits beim ersten Fehlverhalten<br />
abbrechen müssen, bzw. sie hätte sich viel mehr von ihm distanzieren müssen. Vor<br />
allem wäre die Frage zu klären, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gegeben<br />
hätte, als sich in der Dunkelheit hinter einer Scheune zu erleichtern (aufgestellte<br />
Toilettenhäuschen).<br />
Der „Gefahrenradar“ beruht auf einer einfachen Vorgehensweise: Genau beobachten<br />
was sich in einer Situation abspielt, was eine Person konkret tut und die Möglichkeit<br />
berücksichtigen, dass zunächst nichtaggressive Personen und normale Situationen<br />
gefährlich werden könnten.<br />
Tit for Tat-Strategie oder Wie du mir, so ich dir<br />
(Diplompsychologe Füllgrabe s.o.)<br />
Um sich vernünftig gegen gewalttätige und aggressive Personen durchsetzen zu<br />
können, ist Reaktionsbreitschaft angesagt. Es muss auf ein unkooperatives<br />
Verhalten einer aggressiven Person sofort eine Reaktion erfolgen, damit erst gar<br />
keine Gewalt auftritt. Professor Keith R. Kernspecht beschreibt in seinem Buch<br />
„BlitzDefence“ eine „Tragödie in 4 Akten“. Es handelt sich hierbei ausschließlich um<br />
die Konfliktsituationen zwischen Männern, die durchaus in ähnlicher Form zwischen<br />
Kindern und Jugendlichen ablaufen. Die Örtlichkeiten spielen hierbei keine Rolle.<br />
1.) Die visuelle Phase: Ein Blick, der 1/10 Sekunden zu lange dauert, wird als<br />
Anstarren gewertet und löst Fragen aus: Iss was Hast du ein Problem<br />
Den Menschen nicht direkt in die Augen schauen, sondern durch sie hindurch<br />
oder direkt an ihnen vorbei, könnten eine Möglichkeiten sein, gar nicht erst in<br />
diese Situation hinein zu geraten.<br />
Wenn jetzt keine passende Antwort erfolgt, wird der Aggressor sofort zur Phase<br />
zwei übergehen.<br />
2.) Die verbale Phase: „Willst du ein Passbild oder gleich eine auf’s Maul“<br />
Die Reaktion, ein selbstbewusstes „… Sorry, war ne Verwechslung“ oder „Ich hab<br />
Sie mit jemand verwechselt. Nichts für ungut,“ könnte die Situation entspannen.<br />
Die Antwort des eingeschüchterten Opfers „…Äh, aber ich hab doch….“ wird den<br />
Aggressoren bestärken und lässt ihn zur Phase drei übergehen.<br />
3.) Die Schubs- oder Anpack-Phase: Der Aggressor verwandelt sich als<br />
Adrenalinmonster das nichts Menschliches mehr hat. Wenn jetzt keine<br />
Gegenwehr erfolgt, beginnt die Testphase. Er schubst Sie gegen die Wand. Sie<br />
versuchen davon zu kommen. Sie sagen nichts, ihnen fehlen die Worte, der Hals<br />
ist trocken. In dieser Situation sollten Sie sich wehren mit allem, was ihnen durch<br />
die Natur zur Verfügung gestellt wurde. Ganz nach dem Motto „Tit for Tat.“ Denn<br />
jetzt gilt es nur zu überleben.<br />
4.) Der Schlussakt oder die Katastrophe:<br />
Die erste Ohrfeige trifft… und die zweite…. Sie trauen sich nicht die Arme zu<br />
heben aus Angst, es ginge dann richtig los. Sie sind aber bereits mitten im<br />
Geschehen. Sie wachen im Krankenhaus wieder auf und wissen nicht, was<br />
geschehen ist. Daher können wir nur empfehlen: Wehren Sie sich, wenn Sie<br />
erkannt haben, dass Sie nicht mehr unbehelligt aus dem Geschehen<br />
herauskommen. Da insbesondere die beiden letzten Phasen fast nahtlos<br />
ineinander übergehen, haben wir diese in unserem <strong>Gewaltpr</strong>äventionsprogramm<br />
zusammengefasst.<br />
24
Das Geheimnis effektiver Selbstverteidigung<br />
Der nachfolgende Text basiert auf einer auszugsweisen Zusammenfassung aus dem<br />
Buch „Der Letzte wird der Erste sein“ von Professor Keith R. Kernspecht.<br />
Dieses Werk ist insbesondere deswegen interessant, weil der Inhalt und das erforschte<br />
Wissen, einen Teil der Grundlage für die Arbeit unserer <strong>Gewaltpr</strong>ävention bilden.<br />
Wie können wir es schaffen, trotz der Schrecksekunde zu gewinnen<br />
und<br />
Woher wir wissen können, wann der Gegner angreifen wird<br />
Die warnenden Hirnströme<br />
1965 haben zwei deutsche Neurologen entdeckt, dass zwischen einer und einer halben<br />
Sekunde, bevor wir eine einfache Handlung aus eigenem Antrieb beginnen (etwa den<br />
Finger krümmen), bestimmte Hirnströme bei uns zu erkennen sind. Ein amerikanischer<br />
Gehirnforschungsprofessor entdeckte, dass dem Menschen das Vorhandensein einer<br />
solchen Absicht erst ca. 0,2 Sekunden vor der Handlung bewusst wird. Der Entschluss<br />
zu einer willkürlichen Handlung entsteht also ohne unser Wissen, die Handlung selbst<br />
startet unbewusst! Dabei wird uns allerdings von unserem Gehirn vorgegaukelt, wir<br />
hätten den 0,3 Sekunden alten Entschluss gerade jetzt bewusst gefasst. Unser<br />
Bewusstsein betrügt uns also schamlos!<br />
Was nützen uns nun diese Forschungsergebnisse<br />
Es ist ja interessant zu wissen, dass sich die Absicht zu einer willkürlichen Handlung<br />
schon 1 Sek oder mindestens 0,5 Sek (bei einfachsten Handlungen) als sog.<br />
Bereitschaftspotential im Gehirn abzeichnet. Aber in der Praxis können wir unserem<br />
wutentbrannten Kontrahenten in der Kneipe kaum Elektroden am Kopf befestigen, um<br />
mittels mehrfacher Elektroenzephalographie (EEG) anhand der Veränderung des<br />
elektrischen Feldes bestimmen zu können, dass eine Vorwarnung vorliegt.<br />
Die verräterische Körpersprache<br />
Erst 0,2 Sekunden vor der Tat weiß der Angreifer, dass er zuschlagen will. Aber sein<br />
Gehirn und sein Körper wissen es schon 0,3 Sekunden vorher.<br />
Während der Angreifer noch ahnungslos ist, hat der Körper schon mobil gemacht: Die<br />
Hormone werden ausgeschickt. Die Muskeln bereiten sich schon auf die Arbeit vor. Der<br />
künftige Angreifer selbst weiß noch nichts davon, aber der Verteidiger weiß, mit etwas<br />
Erfahrung im Lesen der Körpersprache, mehr über ihn als er selbst.<br />
Das heißt: z.B. schon das plötzliche Verändern der Mimik durch Zusammenkneifen der<br />
Augen oder ein Zucken mit dem Arm, ein Vorbringen der Schulter können bereits als die<br />
zu einem Angriff einleitende, verräterische Körpersprache gedeutet werden.<br />
Wer nur auf seinen Einsatz wartet und auf die verräterischen Zeichen des Körpers<br />
reagiert und nicht von der Angst gelähmt ist, der hat jetzt mehr als eine gute Chance,<br />
schneller zu sein als der Angreifer.<br />
25
Die Re-Aktion ist immer schneller als die Aktion!<br />
Stimmt das Heißt es nicht immer, die Aktion führt erst zur Reaktion Müsste damit<br />
nicht die Aktion schneller sein<br />
Erst nach jahrzehntelangem Forschen und Experimentieren erkannte Professor<br />
Kernspecht Folgendes:<br />
Die Natur hat die Reaktion, durchaus sinnvoll, schneller angelegt als die Aktion.<br />
Während derjenige, der tätig werden will, zuerst plant, sich in eine günstige Position<br />
bringt, „durchrechnet“ wie er möglichst effektiv vorgeht und über die Konsequenzen<br />
seines Tuns vordenkt, darf sich, der Verteidiger als Reagierender solche Gedanken<br />
nicht machen müssen. Während der Angreifer zu einer Entscheidung finden muss,<br />
bedarf es beim Verteidiger „nur“ einer gut eintrainierten Reaktion mit minimaler<br />
Vorbereitungszeit.<br />
Das Gehirn scheint seine Entscheidung verborgen und von uns unbewusst zu treffen<br />
und teilt sie uns dann freundlicherweise mit Verspätung mit.<br />
So vorteilhaft wie diese Verspätung des Bewusstseins für uns als Angegriffene im<br />
ritualisierten Kampf ist, müssen wir uns eins in Erinnerung rufen:<br />
Dieser Vorteil bedeutet, dass wir als Angegriffene als Letzter starten, dennoch als Erste,<br />
im günstigsten Fall vielleicht sogar als Einzige zuschlagen. Das heißt, dass ein Angriff<br />
bereits im Ansatz vereitelt werden kann.<br />
Unser Ziel ist es, als Letzter Erster zu werden und auch in der rechtlichen<br />
Nachbetrachtung zu bleiben.<br />
Notizen:<br />
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Viel haben Sie jetzt gehört über die Entstehung und die Erscheinungsformen der Gewalt.<br />
Auch über die verschiedenen Strategien gegen die Gewalt haben wir Ihnen berichtet.<br />
Schließlich haben Sie festgestellt, dass man auch (und gerade) als Angegriffener, als<br />
Reagierender, erfolgreich sein kann, dass die Reaktion tatsächlich schneller ist als die Aktion,<br />
dass der Letzte der Erste werden kann.<br />
Doch eines gilt es noch zu klären:<br />
Kann der Letzte auch Erster bleiben oder:<br />
Gibt es eine „aggressive Notwehr“<br />
Diese zunächst etwas skurril anmutende Überschrift birgt eine der wichtigsten Fragen im<br />
Bereich des Notwehrrechts in sich.<br />
In der Definition einer Notwehrsituation ist nämlich der gerade stattfindende Angriff auf ein<br />
Grundrecht eine unabänderliche Voraussetzung, um sich wehren zu können, ohne rechtliche<br />
Folgen befürchten zu müssen.<br />
Fraglich ist hier aber, wann dieser Angriff „gegenwärtig“ ist und bis zu welchem Zeitpunkt der<br />
Attackierte warten muss, bevor er mit seiner Ab- oder Gegenwehr beginnen kann…<br />
…dies soll im Weiteren beleuchtet und in möglichst nachvollziehbarer Weise erläutert werden.<br />
Hierzu muss zunächst der Notwehrparagraph des Strafgesetzbuches (StGB) näher betrachtet<br />
werden:<br />
Der Gesetzgeber formulierte die Notwehr letztlich wie folgt:<br />
§ 32 StGB Notwehr<br />
Absatz 1:<br />
Absatz 2:<br />
Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.<br />
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen<br />
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden<br />
Wichtig ist im Absatz 1 natürlich die Aussage „...handelt nicht rechtswidrig.“. Wer nicht<br />
rechtswidrig handelt, kann und darf nicht bestraft werden.<br />
Es heißt also zu beweisen, dass Ihre traumwandlerisch sicher durchgeführte Verteidigung<br />
durch Notwehr geboten war. Näheres dazu sagt uns der Absatz 2:<br />
Sie müssen sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zu verteidigen haben.<br />
Gegenwärtig ist ein Angriff, der * unmittelbar bevorsteht bzw.<br />
* gerade stattfindet<br />
27
Wenn Ihnen der Übeltäter also am nächsten Tag über den Weg läuft und Sie sich denken<br />
„Den kenn ich doch...“, lassen Sie ihre Handtasche mit der Ziegelsteinsammlung bitte da, wo<br />
sie hingehört, nämlich über der Schulter.<br />
Rechtswidrig ist der Angriff, wenn der Täter kein Recht zu der Tat hat, keinen begründeten<br />
Anspruch an Sie stellen kann (...Sie können Ihrer Freundin, die sich die zwanzig Euro nun<br />
nach einem Jahr endlich wiederholen möchte, also leider keine Vorführung Ihres erlernten<br />
Wissens bieten und, Sorry, auch der nette Polizist, der Ihnen ans Portemonnaie möchte, weil<br />
er Sie beim hastigen Fahren „erwischt“ hat, bleibt bitte ungeschoren, okay!).<br />
Wann und in welchem Masse ist nun aber eine Verteidigung erforderlich<br />
Als erstes müssen Sie sich mal angegriffen fühlen und von dieser Situation auch Kenntnis<br />
haben, sich dieses Angriffs bewusst sein (das berühmte Kinderzitat „Der hat als erster<br />
zugeschlagen!“ zählt nicht, wer andere provoziert, ist selber Schuld) und den Angriff abwehren<br />
wollen (kein „Denkzettelverpassen“).<br />
Erforderlich ist dann letztlich alles, was notwendig ist, um den Angriff zu beenden<br />
(Richtschnur ist die Intensität des Angriffes „Wie es in den Wald hineinruft...“).<br />
Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr lässt sich mithin wie folgt aufschlüsseln:<br />
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28
Doch grade diese zuletzt genannte Erforderlichkeit ist es wert, nochmals genauer betrachtet<br />
zu werden, denn hier versteckt sich etwas, was selbst einigen Fachmännern so nicht geläufig<br />
sein dürfte.<br />
Erforderlich ist eine Verteidigungshandlung, wenn unter mehreren gleich geeigneten<br />
Verteidigungsmitteln das mildeste Mittel ausgewählt wurde.<br />
Der Angegriffene muss sich jedoch auf kein Wagnis einlassen! Jede Abwehrmaßnahme, die<br />
dem Angriff wenigstens ein Hindernis in den Weg legt, ist zur Verteidigung geeignet. Ob eine<br />
Verteidigung erforderlich gewesen ist, ergibt sich aus einer exakten Betrachtung.<br />
Am ratsamsten ist die folgende Vorgehensweise:<br />
Der Angegriffene sollte zunächst aus- bzw. zurückweichen<br />
(„Stopp, bleiben Sie stehen! Lassen Sie mich in Ruhe!“, Zeugen / Helfer hinzuziehen,<br />
Weggehen / -laufen)<br />
Ist dies nicht möglich oder zumutbar, sollte er den Angriff zunächst abwehren (sog.<br />
Schutzwehr) (Schutz-Armhaltung [siehe Fotomaterial], Grifflösen etc.)<br />
Ist auch dies nicht möglich oder wirksam (und wirklich erst dann), ist es ihm erlaubt,<br />
sich aktiv zur Wehr zu setzen (sog. Trutzwehr)<br />
Aber gerade dieses „sich aktiv zur Wehr setzen“ kann unter anderem eben bedeuten, als<br />
Erster zuzuschlagen!<br />
Denn eins ist klar und soll hier nochmals betont werden: Der rechtswidrig Angegriffene braucht<br />
kein Risiko einzugehen, er muss dem Täter nicht den berühmten „ersten Schlag“ lassen, wir<br />
sind hier nicht bei einer dieser legendären Saloon-Schlägereien, wo jeder abwechselnd<br />
zuhauen darf.<br />
Ein echter „Kampf“ ist normalerweise mit dem ersten Schlag entschieden, und die Trutzwehr<br />
lässt (unter allen gegebenen und Oben beschriebenen Umständen) dem Angegriffenen eben<br />
grade diese Möglichkeit zu und ihn darüber hinaus auch noch straffrei aus dem Konflikt<br />
herauskommen. Auch späteren Klagen des (für ihn garantiert unerwartet und deswegen auch<br />
so in der Ehre getroffenen) „Unterlegenen“ kann so beruhigt entgegengesehen werden.<br />
Der „Letzte“ kann also auch „Erster“ bleiben, womit der Kreis geschlossen wäre.<br />
29
Die Autoren<br />
Schlussbemerkung<br />
Diese <strong>Brosch</strong>üre soll Ihnen verdeutlichen, welche<br />
Möglichkeiten die Personen haben, sich selbst und ihren<br />
Mitmenschen in gefährlichen Konfliktsituationen zu<br />
helfen. Weiterhin soll sie diejenigen anregen und als<br />
kleine Hilfestellung dienen, die sich zum Thema<br />
<strong>Gewaltpr</strong>ävention vorbereiten und damit einen<br />
wesentlichen Beitrag zur Erfüllung dieser schweren<br />
gesellschaftlichen Aufgabe leisten.<br />
Thomas Schneider<br />
43 Jahre geboren in Kusel,<br />
Rheinland-Pfalz. Wohnhaft in<br />
Pleisweiler-Oberhofen (Kreis<br />
Südliche Weinstrasse).<br />
Verheiratet, drei Kinder<br />
(12, 6 & 3 Jahre alt).<br />
Seit 1986 Polizeibeamter.<br />
Seit 1993 bei der<br />
BPOLABT Bad Bergzabern,<br />
Polizeihauptmeister<br />
Initiator des<br />
<strong>Gewaltpr</strong>äventionsteams der<br />
BPOLABT Bad Bergzabern<br />
Es darf nicht sein, dass Kinder, Erwachsene und ältere<br />
Persönlichkeiten, egal welche Hautfarbe oder Rasse sie<br />
haben, in unserer modernen und sozialdemokratischen<br />
Gesellschaft durch brutale Aggressoren zu Opfern<br />
gemacht werden. Es darf auch nicht sein, dass diese<br />
Übeltäter nicht der Strafverfolgung zugeführt werden<br />
können, nur weil die Menschen sich nicht trauen<br />
einzuschreiten. Darum soll sich die <strong>Brosch</strong>üre an alle<br />
Personen richten, in der Hoffnung, dass sie diese<br />
Informationen nie zum Einsatz bringen zu müssen.<br />
Für die Beantwortung noch bestehender Fragen sind die<br />
Autoren für Sie unter folgender Anschrift erreichbar:<br />
Bundespolizeiabteilung<br />
Bad Bergzabern<br />
Kapellerstr. 28<br />
76887 Bad Bergzabern<br />
Tel.: 06343/ 95 91 31<br />
Fax: 06343/ 95 94 99<br />
Benjamin Niemann<br />
39 Jahre alt, geboren in<br />
Holzminden, Niedersachsen.<br />
Wohnhaft in Kapellen-<br />
Drusweiler (Kreis Südliche<br />
Weinstraße, Rheinland-Pfalz).<br />
Verheiratet Zwei Kinder<br />
(10 & 6 Jahre alt). Seit 1990<br />
Polizeibeamter.<br />
Seit 1993 in der BPOLABT<br />
Bad Bergzabern,<br />
Polizeihauptkommissar<br />
Initiator des<br />
<strong>Gewaltpr</strong>äventionsteams der<br />
BPOLABT Bad Bergzabern.<br />
Jugend braucht viel<br />
Liebe, Vertrauen, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit,<br />
um nicht Geschmack an Gewalt und Terror zu finden<br />
Dr. Carl Peter Fröhling, 1933 - ,<br />
dt. Germanist, Philosoph und Aphoristiker<br />
31<br />
31
Literatur<br />
Diplompsychologe Uwe Füllgrabe „Die Psychologie in der Eigensicherung“,<br />
Überleben ist kein Zufall, Richard Boorberg Verlag 2002; Stuttgart - München -<br />
Hannover - Berlin - Weimar - Dresden, ISBN 3-415-02886-0<br />
Professor Keith R. Kernspecht „BlitzDefence“, Angriff ist die beste Verteidigung,<br />
Wu-Shu Verlag Kernspecht 2000; Burg /Fehmarn, ISBN 3-927553-10-7<br />
Professor Keith R. Kernspecht „Verteidige Dich³ “, Selbstverteidigung für Frauen,<br />
Wu-Shu Verlag Kernspecht 2003; Burg/Fehmarn, ISBN 3-89365-964-1<br />
Professor Keith R. Kernspecht „Der Letzte wird der Erste sein“, Das Geheimnis effektiver<br />
Selbstverteidigung, Wu-Shu Verlag Kernspecht 2004; Burg /Fehmarn, ISBN 3-927553-28-X<br />
Presseinfo des Polizeipräsidium Westpfalz Kaiserslautern zur Aktion „Wer nichts tut, macht<br />
mit“ aus dem Jahr 2000<br />
Weitere Quellen<br />
Internetrecherche über „Google-Suche“ (www.google.de) Suchbegriff „<strong>Gewaltpr</strong>ävention“<br />
Webseite des Bundeskriminalamtes Wiesbaden (www.bka.de).<br />
Eigene Unterlagen<br />
Bilder, Fotoarchiv von PHM Thomas Schneider<br />
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