Copingstrategien von Schwerhörigen - Sonos
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Hochschule für Heilpädagogik Zürich<br />
Departement 1/ Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose 06/09<br />
Master - Arbeit<br />
<strong>Copingstrategien</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Schwerhörigen</strong><br />
Mit welchen Strategien meistern<br />
schwerhörige Jugendliche und<br />
schwerhörige jüngere Erwachsene<br />
schwierige Situationen?<br />
Eingereicht <strong>von</strong>: Rita Fontana<br />
Beratung: Prof. lic. phil. Emanuela Wertli<br />
9. Januar 2009
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Abstract<br />
Menschen mit einer Hörschädigung sind in unserer Gesellschaft vermehrt mit schwierigen Situationen<br />
konfrontiert. Dies kann zu Stress führen. Gute <strong>Copingstrategien</strong> (Bewältigungsstrategien) erweisen<br />
sich dabei als Voraussetzung für eine gesunde Lebensführung. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die<br />
Frage, welche <strong>Copingstrategien</strong> die beiden Zielgruppen, schwerhörige Oberstufenschüler und jüngere<br />
Erwachsene, verwenden. In strukturierten Interviews mit vier Jugendlichen und vier Erwachsenen<br />
werden die <strong>Copingstrategien</strong> erfasst und mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse die Unterschiede<br />
der beiden Altersgruppen herausgearbeitet. Dabei zeigt sich unter anderem, dass im Laufe der<br />
Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen eine Verschiebung <strong>von</strong> vermeidenden hin zu<br />
reflexiven-planvollen Copingstilen stattfindet. Besonders die Hör- und Kommunikationsstrategien<br />
nehmen an Wichtigkeit zu. Aus diesen Erkenntnissen werden Empfehlungen für die<br />
audiopädagogische Praxis abgeleitet.<br />
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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung .............................................................................................................. 6<br />
1.1 Persönlicher Bezug........................................................................................................................ 6<br />
1.2 Problemdefinition und Herleitung der Fragestellung ..................................................................... 7<br />
1.3 Formulierung der Forschungsfrage ............................................................................................... 8<br />
1.3.1 Hauptfragestellung .................................................................................................................. 8<br />
1.3.2 Untergeordnete Fragen........................................................................................................... 8<br />
1.4 Hypothesen.................................................................................................................................... 8<br />
1.5 Entscheid über die verwendeten Forschungsmethoden ............................................................... 9<br />
1.6 Gliederung der Arbeit..................................................................................................................... 9<br />
2. Theoretischer Teil............................................................................................... 11<br />
2.1 Stresskonzepte ............................................................................................................................ 11<br />
2.1.1 Stresstoleranzgrenze ............................................................................................................ 13<br />
2.2 <strong>Copingstrategien</strong>.......................................................................................................................... 14<br />
2.2.1 Begriffsklärung ...................................................................................................................... 14<br />
2.2.2 Coping als Prozess ............................................................................................................... 14<br />
2.2.3 Coping- Modell nach Simmen ............................................................................................... 15<br />
2.3 Konzept der Salutogenese <strong>von</strong> Antonovsky................................................................................ 17<br />
2.3.1 Kohärenzgefühl ..................................................................................................................... 17<br />
2.3.2 Wege zu erfolgreichem Coping und Gesundheit .................................................................. 18<br />
2.3.3 Adoleszenz............................................................................................................................ 19<br />
2.3.4 Identität und Hörschädigung ................................................................................................. 19<br />
3. Empirischer Teil.................................................................................................. 21<br />
3.1 Methoden der Datengewinnung................................................................................................... 21<br />
3.1.1 Forschungsmethode ............................................................................................................. 21<br />
3.1.2 Erhebungsinstrument: Leitfadeninterview............................................................................. 21<br />
3.1.3 Aufbau des Interviews........................................................................................................... 22<br />
3.1.4 Beschreibung der Stichprobe................................................................................................ 22<br />
3.1.5 Pretest ................................................................................................................................... 22<br />
3.2 Durchführung der Datenerhebung............................................................................................... 23<br />
3.2.1 Auswahl der Stichprobe ........................................................................................................ 23<br />
3.2.2 Rahmenbedingung für die Durchführung der Interviews ...................................................... 23<br />
3.2.3 Erfahrungen bei der Durchführung der Interviews................................................................ 23<br />
3.2.4 Transkription.......................................................................................................................... 24<br />
3.2.5 Erarbeitung des Kategoriensystems ..................................................................................... 24<br />
4. Darstellung der Ergebnisse ............................................................................... 26<br />
4.1 Darstellung der Ergebnisse: Schwierige Situationen................................................................... 26<br />
4.2 Darstellung der Ergebnisse der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl ......................................................... 29<br />
4.2.1 Übersicht der gewählten <strong>Copingstrategien</strong> ........................................................................... 29<br />
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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
4.2.2 Tabelle mit Prozentangaben zu den fünf Überkategorien, Anzahl Nennungen und<br />
Namencodes zu allen 13 Kategorien .................................................................................... 30<br />
4.2.3 Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen................ 32<br />
5. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse zur<br />
<strong>Copingstrategien</strong>auswahl.................................................................................. 33<br />
5.1 Definition der Begriffe „aussenorientierte“ und „innenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong> ................... 33<br />
5.2 Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>............................................................................................. 35<br />
5.2.1 Überkategorie „Kooperation“ und die Kategorien K1, K2, K3 ............................................... 35<br />
5.2.1.1 K1 Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen.................................................... 36<br />
5.2.1.2 K2 Kooperation mit fixer Bezugsperson..................................................................... 36<br />
5.2.1.3 K3 Kooperation mit Gleichbetroffenen ....................................................................... 38<br />
5.2.2 Überkategorie „Konfrontation“ und die Kategorien K4 und K5 ............................................. 39<br />
5.2.2.1 K4 Offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung ................................. 39<br />
5.2.2.2 K5 Abwägend- zurückhaltende Konfrontation............................................................. 41<br />
5.2.3 Überkategorie „sachlich informieren“ und die Kategorien K6 und K7................................... 43<br />
5.2.3.1 K6 Direkt und offen über die Schwerhörigkeit informieren......................................... 43<br />
5.2.3.2 K7 Abwägen und kontextbezogen über die Schwerhörigkeit informieren.................. 44<br />
5.3 Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>................................................................................................ 44<br />
5.3.1 Überkategorie „Vermeidung und Verdrängung“ und die Kategorien K8 und K9 .................. 45<br />
5.3.1.1 K8 Sich andern nicht mitteilen, Rückzug..................................................................... 45<br />
5.3.1.2 K9 Die Schwerhörigkeit verstecken............................................................................. 46<br />
5.3.2 Überkategorie „Reflexion und Planung“ und die Kategorien K10 - K14 .............................. 47<br />
5.3.2.1 K10 Hör- und Kommunikationsstrategien .................................................................. 48<br />
5.3.2.2 K11 Entspannen.......................................................................................................... 50<br />
5.3.2.3 K12 Mehraufwand betreiben ....................................................................................... 51<br />
5.3.2.4 K13 Denken- abwägen- adäquate Strategien entwickeln ........................................... 52<br />
6. Schlussteil........................................................................................................... 53<br />
6.1 Überprüfung der Hypothesen ...................................................................................................... 53<br />
6.2 Beantwortung der Fragestellungen.............................................................................................. 54<br />
6.2.1 Welches sind für schwerhörige Jugendliche und Erwachsene schwierige Situationen?...... 54<br />
6.2.2 Beantwortung der Forschungsfrage...................................................................................... 55<br />
6.2.2.1 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Jugendliche schwierige Situationen?........... 55<br />
6.2.2.2 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Erwachsene schwierige Situationen ............ 56<br />
6.2.2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> schwerhörigen<br />
13- bis 17-jährigen Jugendlichen und 27- bis 32-jährigen Erwachsenen .................. 57<br />
6.3 Beantwortung der untergeordneten Fragen ................................................................................ 58<br />
6.3.1 Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer eigenen<br />
Strategien bewusst?.............................................................................................................. 58<br />
6.3.2 Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer eigenen<br />
Strategien bewusst?.............................................................................................................. 58<br />
6.4 Diskussion und Schlussfolgerungen für die audiopädagogische Förderung............................... 59<br />
6.4.1 Soziale Unterstützung fördern............................................................................................... 60<br />
4
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
6.4.2 Stärkung der Persönlichkeit und Sozialkompetenzen erweitern........................................... 60<br />
6.4.3 Hör- und Kommunikationsstrategien vermitteln .................................................................... 61<br />
6.4.4 Aufbau <strong>von</strong> sozialen Netzwerken, Kontakte zu Gleichbetroffenen Jugendlichen und<br />
Erwachsenen......................................................................................................................... 62<br />
6.4.5 Vermitteln <strong>von</strong> Problemlösungsstrategien ............................................................................ 63<br />
6.4.6 Die Körperwahrnehmung schulen und Möglichkeiten für das eigene Wohlbefinden<br />
erkennen ............................................................................................................................... 63<br />
6.5 Reflexion der Arbeit ..................................................................................................................... 64<br />
6.5.1 Vorgehen............................................................................................................................... 64<br />
6.5.2 Weiterführende Forschungsfragen........................................................................................ 65<br />
7. Literaturverzeichnis ........................................................................................... 66<br />
8. Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... 70<br />
9. Anhang ................................................................................................................ 71<br />
5
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
1. Einleitung<br />
1.1 Persönlicher Bezug<br />
Als Audiopädagogin betreue ich Jugendliche im Alter <strong>von</strong> 13 bis 17 Jahren. Schülerinnen und Schüler<br />
stehen in diesem Alter an der Schwelle zum Eintritt ins Berufsleben. Sie müssen sich mit ihren<br />
Fähigkeiten und Schwächen auseinandersetzen, dazu gehört auch die Hörbehinderung. Die<br />
Auseinandersetzung mit der Schwerhörigkeit ist ein wichtiger Teil der Identitätsarbeit. Mein Auftrag als<br />
Audiopädagogin ist unter anderem, meine Schüler im Identitätsprozess zu unterstützen und Angebote<br />
zu entwickeln, die ihnen für ihre Lebensgestaltung nützlich sind.<br />
Auch Hintermair weist darauf hin, dass Fachleute, die mit hörgeschädigten Menschen<br />
zusammenarbeiten, ihre wesentliche Arbeit darin sehen müssen, hörgeschädigte Menschen bei der<br />
Gestaltung ihrer Identitätsarbeit zu unterstützen und zu begleiten, um so „Empowermentprozesse“ zu<br />
initiieren. Es ist zentral, dass diese jungen Menschen fähig werden, ihre eigenen Angelegenheiten in<br />
die Hand zu nehmen und den Wert selbst erarbeiteter Lösungen schätzen lernen (2007, S. 100).<br />
Die Ausgangslage zur Themenfindung innerhalb dieser Arbeit war mein Interesse und meine Neugier,<br />
was Jugendliche <strong>von</strong> Erwachsenen lernen könnten. Ich vertrete die Überzeugung, dass durch eine<br />
Kontaktschaffung zwischen erwachsenen und jugendlichen <strong>Schwerhörigen</strong> ein wertvoller<br />
Erfahrungsaustausch stattfinden könnte. Diesen kann ich grundsätzlich nicht leisten, da mir die<br />
Erfahrung der Schwerhörigkeit abgeht. Schwerhörige Jugendlich könnten hier konkret <strong>von</strong><br />
schwerhörigen Erwachsenen lernen. Ich stellte mir vor, solche Kommunikationsplattformen zu<br />
etablieren. Eine konkrete Idee war, dass ich geeignete Erwachsene suche, die eine Art Mentorfunktion<br />
übernehmen würden und solche Austauschgruppen moderieren könnten. Die Themen könnten<br />
vielfältig sein und reichen <strong>von</strong> der Berufsfindung, dem Verhalten innerhalb der Berufswelt bis zu ganz<br />
persönlichen Themen wie Freundschaft und Partnerschaft.<br />
Dass ein solcher Austausch weitgehend nicht stattfindet, ist dadurch bedingt, dass durch die<br />
Integration der <strong>Schwerhörigen</strong> in einer öffentlichen Schule praktisch kein Austausch unter<br />
Gleichbetroffenen stattfindet. Zwar finden viermal jährlich vom APD (Audiopädagogischen Dienst<br />
Zürich) organisierte Treffen statt. Dabei besteht der Austausch aber lediglich unter Gleichaltrigen, d.h.<br />
er werden keine erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong> einbezogen.<br />
Im Rahmen dieser Arbeit wäre die Konzipierung und Etablierung solcher Kommunikationsplattformen<br />
zu weit gegangen, schon allein aus zeitlichen Gründen. Darum beschränke ich mich in der<br />
vorliegenden Arbeit auf die Erarbeitung <strong>von</strong> Grundlagen, indem ich mich näher mit schwierigen<br />
Situationen, <strong>Copingstrategien</strong> und deren Verbesserung bei jugendlichen und erwachsenen<br />
<strong>Schwerhörigen</strong> befasse.<br />
Durch die Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit erhoffe ich mir wertvolle Erkenntnisse, die<br />
zu einer konkreten Verbesserung meiner jetzigen und künftigen Arbeit als Audiopädagogin beitragen<br />
werden. Bei der Unterstützung der jugendlichen <strong>Schwerhörigen</strong> erachte ich es grundsätzlich als<br />
wichtig, dass sie sich möglichst früh verschiedene und zuverlässige Strategien aneignen können, um<br />
dadurch wertvolle Instrumente für die Bewältigung <strong>von</strong> Stresssituationen zur Verfügung zu haben.<br />
6
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Schliesslich sollen durch die Erkenntnisse dieser Arbeit Grundlagen geschaffen werden, die mir<br />
behilflich sind für die praktische Umsetzung der oben dargelegten Idee der Etablierung <strong>von</strong><br />
Kommunikationsplattformen zwischen jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>.<br />
1.2 Problemdefinition und Herleitung der Fragestellung<br />
Hörbeeinträchtigte integrierte Jugendliche haben eine doppelte Erschwernis in der Adoleszenz.<br />
Einerseits wollen sie dazugehören, sich einer Gruppe anschliessen und andererseits verlangt das<br />
Alter, sich mit der eigenen Identität auseinander zu setzen. Das würde heissen, sich auch mit der<br />
Hörbeeinträchtigung und allen Begleitumständen befassen zu müssen. Gleichbetroffene fehlen, um<br />
sich austauschen oder vergleichen zu können. Keupp schreibt, dass angesichts des Machtgefälles<br />
zwischen Individuum und sozialer Welt dennoch nicht die blosse Anpassung an die Gegebenheit als<br />
gelungene Identität bezeichnet werden kann. Eine auf Anpassung ausgerichtete Identität bietet zwar<br />
ein gesichertes Mass an Anerkennung. Dafür muss der Mensch jedoch unangepasste Selbste und<br />
Identitätsentwürfe unterdrücken; oft ist ein recht hoher Preis zu entrichten (2006, S. 274). Diesen<br />
Spannungsbogen auszuhalten, erfordert sehr viel an eigenen Strategien, zumal bei den Hörenden<br />
nicht alles abgeschaut werden kann.<br />
Ich kann mir vorstellen, dass Schwerhörige spezifische Strategien haben, um mit der zusätzlichen<br />
Belastung der Schwerhörigkeit ein Leben mit physischem und psychischem Wohlbefinden zu leben.<br />
Es interessiert mich, Unterschiede und Gemeinsamkeiten <strong>von</strong> jugendlichen und erwachsenen<br />
<strong>Schwerhörigen</strong> bei der Bewältigung <strong>von</strong> schwierigen Situationen mittels <strong>Copingstrategien</strong><br />
herauszufinden. Im Rahmen meiner Arbeit befragte ich die zwei Zielgruppen: Einerseits 13- bis 17jährige<br />
Oberstufenschüler und anderseits junge schwerhörige Erwachsene, im Alter zwischen 27 und<br />
30 Jahren.<br />
Mit meiner Forschungsarbeit habe ich die Absicht herauszufinden, welche Bewältigungsstrategien in<br />
schwierigen Situationen angewendet werden.<br />
Gibt es dabei Unterschiede, die wesentlich durch das Alter bedingt sind und in welchem Ausmass<br />
findet eine altersbedingte Entwicklung und Verbesserung der <strong>Copingstrategien</strong> statt?<br />
Schliesslich möchte ich wissen, ob es sinnvoll wäre, bereits mit Oberstufenschülern gezielt an ihren<br />
<strong>Copingstrategien</strong> zu arbeiten.<br />
7
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
1.3 Formulierung der Forschungsfrage<br />
Durch das theoretische Vorwissen werden in diesem Kapitel Fragen und Hypothesen abgeleitet. Die<br />
Fragen dienen als Leitfaden für das Interview.<br />
1.3.1 Hauptfragestellung<br />
Mit welchen Strategien meistern schwerhörige 13 - bis 17-jährige Jugendliche und schwerhörige 27bis<br />
32-jährige Erwachsene schwierige Situationen?<br />
• Welche <strong>Copingstrategien</strong> verwenden schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche?<br />
• Welche <strong>Copingstrategien</strong> verwenden schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene?<br />
• Gibt es Übereinstimmungen?<br />
• Gibt es Unterschiede?<br />
1.3.2 Untergeordnete Fragen<br />
Schwierige Situationen:<br />
• Welches sind schwierige und belastende Situationen für schwerhörige 13- bis 17-jährige<br />
Jugendliche?<br />
• Welches sind schwierige und belastende Situationen für schwerhörige 27- bis 32-jährige<br />
Erwachsene?<br />
• Gibt es Übereinstimmungen?<br />
• Gibt es Unterschiede?<br />
Verbesserung der eigenen <strong>Copingstrategien</strong>:<br />
• Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer eigenen<br />
Strategien bewusst?<br />
• Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer eigenen<br />
Strategien bewusst?<br />
Schlussfolgerung für die pädagogische Praxis:<br />
• Was kann für die audiopädagogische Förderung abgeleitet werden?<br />
1.4 Hypothesen<br />
1. Erwachsene haben quantitativ mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Auswahl, da sie über eine längere<br />
Lebenserfahrung verfügen als jugendliche Schwerhörige.<br />
2. Erwachsene Schwerhörige verfügen über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> als jugendliche<br />
Schwerhörige.<br />
8
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
1.5 Entscheid über die verwendeten Forschungsmethoden<br />
Ich habe mich für eine qualitative Ausrichtung <strong>von</strong> Sozialforschung entschieden. Die Grundlage<br />
bildeten Leitfadeninterviews (je vier pro Zielgruppe), welche vorwiegend qualitativ ausgewertet<br />
wurden. Um den Vergleich zu ermöglichen, habe ich dabei auch quantitative Auswertungen<br />
vorgenommen. Die Zusammenführung und Integration der qualitativen und quantitativen<br />
Auswertungen der Ergebnisse bilden die Basis für die Interpretation und Diskussion im Hinblick auf<br />
die Beantwortung der definierten Forschungsfragen.<br />
1.6 Gliederung der Arbeit<br />
Die Arbeit ist gegliedert in:<br />
• einen theoretischen Teil (Kapitel 2)<br />
• einen empirischen Teil und (Kapitel 3 und 4)<br />
• die Interpretation der Ergebnisse des empirischen Teils (Kapitel 5)<br />
• den Schlussteil (6. Kapitel)<br />
Im theoretischen Teil werden vorerst die für die Arbeit zugrunde liegenden Stress- und<br />
Copingkonzepte <strong>von</strong> Lazarus, Simmen, Antonovsky und Seiffge- Krenke dargelegt. Da für die<br />
Beantwortung der Fragestellung die Thematik der Adoleszenz, als dem Erwerb neuer sozialer und<br />
kognitiver Fähigkeiten, eine wichtige Rolle spielt und es im Wesentlichen auch um den<br />
Identitätsprozess <strong>von</strong> Hörgeschädigten geht, werden auch dazu einige theoretische Grundlagen<br />
erläutert.<br />
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit besteht aus dem empirischen Teil inklusive der Darstellung<br />
und Interpretation der ermittelten Ergebnisse. Anfangs wird auf die <strong>von</strong> den Interviewten genannten<br />
schwierigen Situationen eingegangen. Diese wurden in vier Kategorien unterschieden. Hier erfolgte<br />
ein erster Vergleich der Aussagen der Erwachsenen gegenüber den Jugendlichen. Die 108<br />
Nennungen der Interviewten bezüglich ihrer verwendeten <strong>Copingstrategien</strong> wurden vorerst in<br />
aussenorientierte und innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> unterschieden. Anschliessend wurde eine<br />
differenzierte Unterteilung in fünf Überkategorien und 13 Kategorien vorgenommen.<br />
Im 5. Kapitel werden die fünf Überkategorien und die Kategorien (K1- K13) ausführlich dargestellt. Die<br />
13 Kategorien wurden jeweils definiert, interpretiert und diskutiert. Auch hier ging es um die<br />
Herausarbeitung <strong>von</strong> Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Zielgruppen. Dabei wurden die<br />
qualitativen Aussagen und quantitativen Auswertungen (in absoluten Zahlen und in Prozenten)<br />
miteinander verglichen.<br />
Im Schlussteil (6. Kapitel) wird auf die Hypothesen eingegangen, die Forschungsfrage und die<br />
untergeordneten Fragen werden beantwortet. Bei den Schlussfolgerungen für die audiopädagogische<br />
Förderung werden die Erkenntnisse aus dem empirischen Teil mit den dargelegten theoretischen<br />
Konzepten zusammengeführt. Dabei wird auch die Funktion der Audiopädagogen sowie weiteren<br />
Bezugspersonen eingegangen und es werden Antworten auf die Fragen gegeben, wo und in welcher<br />
Weise interveniert werden kann und soll, damit schwerhörige Jugendliche eine Verbesserung ihrer<br />
9
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Ausgangssituation bewirken und ihre <strong>Copingstrategien</strong> erfolgreich anwenden können. Der Abschluss<br />
der Arbeit bildet die kritische Reflexion über den Arbeitsprozess und die Ergebnisse.<br />
Aus Gründen der Leserfreundlichkeit habe ich in der vorliegenden Arbeit immer die männliche Form<br />
verwendet, selbstverständlich ist damit auch die weibliche Form gemeint.<br />
10
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
2. Theoretischer Teil<br />
Die hier dargelegten Theorien beziehen sich unmittelbar auf die Fragestellung. Es wurde aus der<br />
umfangreichen Literatur eine Auswahl getroffen. Zu Stress und belastenden Situationen fanden sich<br />
wertvolle Informationen bei Lazarus und Kaluza. Zu <strong>Copingstrategien</strong> wurden die Grundlagenwerke<br />
<strong>von</strong> Lazarus, Antonovsky und Simmen herangezogen. Antonovsky hat mit seinem Konzept der<br />
Salutogenese eine Theorie und Haltung dargelegt, die in verschiedener Hinsicht zentral erscheint. Es<br />
wird spezifisch auf seinen Begriff des Kohärenzgefühls eingegangen.<br />
2.1 Stresskonzepte<br />
Das theoretische Konzept der Bewältigung hat sich aus dem Stresskonzept entwickelt. Lazarus war<br />
einer der ersten, der Stress und Coping explizit als Prozess darstellte, wobei er hauptsächlich die<br />
Dynamik <strong>von</strong> Einschätzung und Coping untersuchte. Stress ist nach Lazarus (1981, zitiert nach<br />
Kavsek 1992, S.8) „jedes Ereignis … in dem äussere oder innere Anforderungen (oder beide) die<br />
Anpassungsfähigkeit eines Individuums, eines sozialen Systems oder eines organischen Systems<br />
beanspruchen oder übersteigen.“<br />
Wenn wir die verschiedenen Stresstheorien betrachten, dann ergeben sich sowohl Gemeinsamkeiten<br />
wie Unterschiede. Gemeinsam bei allen Theorien ist, dass Stress eine Störung des Gleichgewichts<br />
bewirkt. Da<strong>von</strong> gehen im Wesentlichen alle Stresstheorien aus.<br />
Hinsichtlich der spezifischer Definition des Stresses gibt es Unterschiede in Bezug auf das Interesse<br />
der Betrachtung. Dabei wird unterschieden in:<br />
1. die reizorientierte Definition (Reiz-Reaktionsmodell)<br />
2. das Reaktionsorientierte Stressmodell<br />
3. die transaktionalorientierte Definition <strong>von</strong> Stress<br />
zu1) Im Mittelpunkt des Interesses kann der Reiz stehen. Bei den reizorientierten Theorien wird<br />
nach dem Reiz-Reaktionsmodell der Stress als belastender Stimulus <strong>von</strong> aussen betrachtet. Dieser<br />
bewirkt beim Individuum eine Störungsreaktion.<br />
Bei einem aktuellen Stressgeschehen lassen sich grundsätzlich immer drei Aspekte oder Ebenen<br />
<strong>von</strong>einander unterscheiden:<br />
• Die äusseren belastenden Bedingungen und Situationen, die Stressoren genannt werden.<br />
• Die körperlichen und psychischen Antworten des Organismus auf diese Belastungen, die als<br />
Stressoren bezeichnet werden.<br />
• Individuelle Motive, Einstellungen und Bewertungen, mit denen das Individuum an die<br />
belastenden Situationen herangeht und die häufig mitentscheidend sind dafür, ob überhaupt<br />
Stressreaktionen auftreten.<br />
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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Als belastende Situationen (Stressoren) werden alle Anforderungsbedingungen bezeichnet, in deren<br />
Folge es zur Auslösung einer Stressreaktion kommt. Stressoren sind Ereignisse, die <strong>von</strong> einer Person<br />
bewusst oder unbewusst als stressreich bewertet werden, sie sind daher immer subjektiv. Dabei kann<br />
es sich um inhaltlich völlig unterschiedliche Situationen handeln.<br />
Häufige Stressoren:<br />
• physikalische Stressoren (Lärm, Hitze, Kälte, Nässe )<br />
• körperliche Stressoren (Verletzung, Schmerz, Hunger, Behinderung)<br />
• Leistungsstressoren (Zeitdruck, Überforderung, Unterforderung, Prüfungen)<br />
• soziale Stressoren (Konkurrenz, Isolation, zwischenmenschliche Konflikte, Trennung)<br />
(Kaluza, 2005 S.13- 14)<br />
zu 2) Liegt der Fokus bei der Reaktion, dann geht man der Frage nach, wie auf den negativen<br />
Stimulus reagiert wird und untersucht dabei die affektiven, verhaltensmässigen und/oder<br />
physiologischen Anpassungsreaktionen des Organismus.<br />
Dieser Begriff bezeichnet Prozesse, die auf Seiten der betroffenen Person als Antwort auf einen<br />
Stressor in Gang gesetzt werden. Diese Antworten können auf der körperlichen, auf der behavioralen<br />
und auf der kognitiv-emotionalen Ebene ablaufen. Stressreaktionen laufen nicht bei allen Menschen in<br />
allen Belastungssituationen in gleicher stereotyper Weise ab.<br />
Auf der körperlichen Ebene kann es zu Veränderungen kommen. Spürbar ist das z.B. an einem<br />
schnelleren Herzschlag oder an einer erhöhten Muskelspannung.<br />
Die behaviorale Ebene der Stressreaktionen umfasst das „offene“ Verhalten, das <strong>von</strong><br />
Aussenstehenden beobachtbar ist, also all das, was die betroffene Person in einer belastenden<br />
Situation tut oder sagt. Dies sind z.B.:<br />
• Hastiges und ungeduldiges Verhalten, Essen herunterschlingen, andere unterbrechen.<br />
• Betäubungsverhalten, z.B. unkontrolliertes Rauchen und Trinken, Schmerz- oder<br />
Aufputschmittel einnehmen<br />
• unkoordiniertes Arbeitsverhalten<br />
• konfliktreicher Umgang mit anderen Menschen<br />
Die kognitiv-emotionale Ebene der Stressreaktionen umfasst das „verdeckte“ Verhalten. Darunter<br />
sind jene intrapsychische Vorgänge zu verstehen, die für Aussenstehende nicht direkt sichtbar sind,<br />
also alle Gedanken und Gefühle, die bei der betroffenen Person in einer belastenden Situation<br />
ausgelöst werden können. Dies sind zum Beispiel:<br />
• Gefühle der inneren Unruhe, der Nervosität<br />
• Gefühle der Unzufriedenheit und des Ärgers<br />
• Angst zu versagen<br />
• Gefühle der Hilflosigkeit<br />
12
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
• Selbstvorwürfe<br />
• kreisende Gedanken<br />
Die körperlichen, behavioralen und kognitiv-emotionalen Stressreaktionen können sich wechselseitig<br />
aufschaukeln (Kaluza, 2005 S.13- 14).<br />
zu 3) Im dritten Stressmodell werden Reiz und Reaktion in wechselseitige Beziehung zueinander<br />
gesetzt. Auch hier ist es wiederum R.S. Lazarus, der als Begründer des transaktionistischen<br />
Stressmodells gilt und Stress systemisch definiert als das Wechselspiel zwischen System und<br />
Umwelt. „Stress stellt ein relationales Konzept dar, in dem ein Gleichgewicht hergestellt werden muss<br />
zwischen den Anforderungen und der Fähigkeit, mit diesen Anforderungen ohne zu hohe Kosten oder<br />
destruktive Folgen fertig zu werden“ (Lazarus, 1995, zitiert nach Bodenmann, S.74).<br />
2.1.1 Stresstoleranzgrenze<br />
Wird also ein Ereignis oder eine Situation <strong>von</strong> der Person als herausfordernd, bedrohlich oder<br />
schädigend eingeschätzt und nimmt sie diese durch innere oder äussere Bedingungen gestellten<br />
Anforderungen als die eigenen Ressourcen beanspruchend oder übersteigend wahr, dann entsteht<br />
Stress (Lazarus & Launier, 1981). Das üblicherweise stattfindende Wechselspiel zwischen<br />
Belastungsaufbau und Entspannung, welches die Dynamik des täglichen Lebens kennzeichnet, kann<br />
in Situationen höherer Belastungsdichte gestört sein und zu einer gesteigerten Beanspruchung des<br />
Organismus führen. Findet die Kumulierung <strong>von</strong> Stress auf mehreren Ebenen statt, darf <strong>von</strong> einer<br />
maximalen und häufig nicht mehr adäquat zu bewältigenden Belastung ausgegangen werden.<br />
Besonders gefährdet sind Personen bei denen Stressoren verschiedener Qualität zusammenfallen.<br />
Die individuelle Stresstoleranzgrenze, die aufgrund früherer Erfahrungen und genetischer<br />
Prädispositionen unterschiedlich hoch ist, entscheidet schliesslich darüber, zu welchem Zeitpunkt sich<br />
die destabilisierenden Einflüsse durch psychische, physische oder soziale Auffälligkeiten zeigen.<br />
Spätestens hier gibt es Anlass zur Stressbewältigung. (Tesch-Römer et al., 1997, S.76).<br />
Abbildung 1: Stresstoleranzgrenze nach Bodenmann in Tesch – Römer (1997) S.76<br />
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2.2 <strong>Copingstrategien</strong><br />
2.2.1 Begriffsklärung<br />
Der Begriff Coping (engl. to cope: fertig werden mit, etwas gewachsen sein) wird in Psychologie,<br />
Medizin und Psychotherapie als Oberbegriff für Bewältigungsformen und Krankheitsverarbeitung<br />
benutzt. Darunter werden zusammengefasst alle kognitiven, emotionalen und verhaltensmässigen<br />
Aktivitäten, die dazu dienen, Konflikte, Belastungen oder Stress zu bewältigen. Im Unterschied zum<br />
Konzept der Abwehr, das vorbewusste oder unbewusste Mechanismen zur Regulation<br />
intrapsychischer Belastungen beschreibt, werden Copingprozesse verstanden als bewusst<br />
eingesetzte (also nicht automatisch einsetzende) Strategien, die in Belastungssituationen der<br />
Problemlösung und Affektregulation dienen. Der Begriff Coping umfasst somit nicht nur solche<br />
Reaktionen, die auf eine aktive Meisterung der Belastungssituationen abzielen, sondern auch alle<br />
Reaktionen, die auf ein Aushalten, Tolerieren, Vermeiden und auch Verleugnen zum Ziel haben. Es<br />
geht nicht um den Erfolg, sondern um die Bemühungen mit den Anforderungen fertig zu werden<br />
(Kaluza, 2005). Das Copingkonzept geht zurück auf die Stresstheorie <strong>von</strong> Lazarus (1966) die besagt,<br />
das Coping der Versuch ist, interne und externe Anforderungen zu vermindern, zu meistern, damit<br />
fertig zu werden oder zu tolerieren.<br />
Allerdings wird der Begriff des Copings in der psychologischen und sozialen Forschung<br />
unterschiedlich verwendet und entzieht sich einer prägnanten Begriffsbestimmung (Tesch- Römer,<br />
1997, S. 1). Viele Autoren grenzen sich <strong>von</strong> der Definition <strong>von</strong> Lazarus ab. Sie beklagen unter<br />
anderem die mangelnde begriffliche Klarheit.<br />
Neben dem Begriff „Coping“ lassen sich in der Literatur ausserdem die Begriffe „Bewältigung“ oder<br />
„Belastungsverarbeitung“ finden. Allerdings werden diese Konzepte nicht immer synonym gebraucht.<br />
Lazarus und Folkman (1984) unterscheiden zwei grundsätzlich verschiedene <strong>Copingstrategien</strong>:<br />
• Problemfokussiertes Coping umfasst den direkten Umgang mit dem Stressor. Das mit<br />
Stress verbundene Problem wird direkt angegangen, mit dem Ziel eine Änderung der Situation<br />
herbeizuführen. Darunter fällt auch die Suche nach Kampf- oder Fluchtmöglichkeiten oder<br />
soziale Unterstützung sowie die Stärkung der Widerstandskraft<br />
• Emotionsfokussiertes Coping trachtet danach, das mit Stress verbundene Unbehagen zu<br />
reduzieren. Statt den Stressor geht es vielmehr darum, sich selbst zu ändern. Dabei geht es<br />
um die Kontrolle und Regulation der eigenen negativen Emotionen als Reaktion auf das<br />
Stresserlebnis. Dazu dienen unter anderem Aktivitäten, die am Körper ansetzen, die<br />
Einnahme <strong>von</strong> Medikamenten, das Annehmen <strong>von</strong> emotionaler Hilfe <strong>von</strong> anderen.<br />
2.2.2 Coping als Prozess<br />
Nur wenn Stress wahrgenommen wird, setzen Initiativen zur Bewältigung ein. Lazarus und Folkman<br />
(1984, S. 141) definieren Coping als „…kognitive oder verhaltensbezogene Bemühungen, um<br />
spezifische externale und /oder internale Anforderungen zu bewältigen, die als herausfordernd und die<br />
persönlichen Ressourcen bedrohend wahrgenommen werden.“ Coping zielt also auf die Reduktion<br />
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<strong>von</strong> Stress, der aus der Konfrontation mit fordernden oder überfordernden Ansprüchen resultiert. Die<br />
Wahl der Copingstrategie hängt ab <strong>von</strong> der subjektiven Bewertung der belastenden Situation im<br />
Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten, damit fertig zu werden. Hierbei spielen Gefühle wie Sicherheit,<br />
Macht oder Ohnmacht (im Zusammenhang mit Kontrollüberzeugungen infolge zur Verfügung<br />
stehender Fähigkeiten und Möglichkeiten) und individuelle Wertmuster eine wichtige Rolle.<br />
Die <strong>von</strong> Seiffge-Krenke (1995) durchgeführte Studie, Coping Across Situations Questionnaire,<br />
umfasst 20 <strong>Copingstrategien</strong>. Wie Faktorenanalysen zeigen, lassen sich die Strategien zu drei<br />
Klassen gruppieren: aktive Bewältigung unter Nutzung sozialer Ressourcen, internale<br />
Bewältigungsstrategien überwiegend mit instrumenteller Funktion und problemmeidendes Verhalten<br />
überwiegend mit palliativer Funktion. Instrumentelle oder problemorientierte Bewältigung zielt auf die<br />
Veränderung der stressauslösenden Gegebenheit ab. Dabei kann es sich um äussere Situationen<br />
handeln, wie Lärm und Termine oder Einstellungen der Person. Palliative oder emotionsgesteuerte<br />
Bewältigung ist auf eine Regulierung der Stressreaktionen wie Angst- oder Ärgerreaktionen<br />
ausgerichtet.<br />
Für Bodenmann ist es wichtig, dass im Coping-Prozess der Komplexität genügend Rechnung<br />
getragen wird und somit auch genügend Zeit eingeräumt wird. Er beleuchtet vier Gesichtspunkte:<br />
• Stress im zeitlichen Verlauf, Stresskumulierung<br />
• Stress im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse (dyadisches Coping)<br />
• Kaskadenmodell <strong>von</strong> Stress und Coping (Abfolge <strong>von</strong> verschiedenen Copingreaktionen in<br />
Abhängigkeit des Stressniveaus)<br />
• Stressprozess im Wechselspiel <strong>von</strong> offenem und verdecktem Bewältigungsverhalten<br />
(in Tesch-Römer, 1997, S. 75)<br />
2.2.3 Coping- Modell nach Simmen<br />
René Simmen ist klinischer Psychologe und Heilpädagoge und bezeichnet Coping ähnlich wie<br />
Lazarus und Folkman als „prozesshafte Auseinandersetzung einer Person mit kritischen<br />
Lebensereignissen im Gefolge <strong>von</strong> chronischen Krankheiten und Behinderungen“(2000, S. 51).<br />
Der erfolgreiche Umgang mit stressreichen Erlebnissen hängt massgeblich da<strong>von</strong> ab, welche Mittel<br />
gegeben sind um konstruktive Handlungen ins Auge zu fassen. Unter Ressourcen versteht man<br />
diejenigen Faktoren, deren Verfügbarkeit die Bewältigung <strong>von</strong> Stress erleichtern.<br />
Simmen meint, dass keine Copingstrategie für sich allein genommen als gut oder schlecht bezeichnet<br />
werden kann. Mit Hilfe eines Modells zeigt Simmen, dass jede Copingstrategie sich aufgrund der<br />
jeweiligen Ausprägung auf den drei Anteilen charakterisieren lässt (2000, S. 52).<br />
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Coping - Anteile extreme Ausprägungen<br />
Coping- Ziele Umgang mit Folgeereignissen Umgang mit der Krankheit<br />
Coping- Art durch konkretes Handeln durch symbolisches<br />
Handeln (Denken,<br />
emotionales Verarbeiten)<br />
Coping- Intensität passives Erdulden aktiv gestaltend<br />
Abbildung 2: Coping-Modell nach Simmen (2000), S. 52<br />
In der Arbeit mit Klienten wurden folgende Fragen und Kriterien in Bezug auf das Coping der Klienten<br />
beachtet:<br />
Komplexität<br />
Wie gross ist das Repertoire an <strong>Copingstrategien</strong> und Copingverhalten, über die eine Person verfügt?<br />
Wo bestehen allfällige Lücken, die zu Lerninhalten werden können? Wo können die Ressourcen<br />
ausgebaut und dadurch Lücken geschlossen werden?<br />
Flexibilität<br />
Wie flexibel in Bezug auf unterschiedliche Situationen und Umweltbedingungen setzt die Person ihr<br />
verfügbares Coping- Repertoire ein? Lässt sie sich mehrheitlich <strong>von</strong> aussen bestimmen, oder nimmt<br />
sie durch einen geschickten Einsatz ihres Coping-Repertoirs selbst Einfluss auf das Geschehen?<br />
Lernfähigkeit<br />
Wie lernt die Person aus ihren eigenen Erfahrungen aus den Konsequenzen ihres Copingverhaltens?<br />
Ist der Person ihr eigenes Copingverhalten bewusst? Hat sie sich schon mit alternativen Möglichkeiten<br />
befasst?<br />
Chronische Krankheiten oder Behinderungen kann keiner akzeptieren, man kann damit leben lernen.<br />
Unbeantwortet bleiben oft die Fragen, wer den Betroffenen dabei hilft und wie diese Hilfe aussehen<br />
müsste. Chronische Krankheiten und Behinderungen stellen grosse Anforderungen an die<br />
Lernbereitschaft und Lernfähigkeit des Betroffenen. So ist dies auch die Kernaufgabe der Berater.<br />
Wichtig ist es, dass sie selber lernfähig bleiben und sich nicht an einem allgemeingültigen<br />
Phasenverlauf des Copingprozesses orientieren, sondern sich und den Klienten <strong>von</strong> einem<br />
Erwartungsdruck befreien. Die Betroffenen selbst bleiben die „Experten“ für ihre eigene, einmalige und<br />
unverwechselbare Situation. Sie werden dafür auch anerkannt und ernst genommen (Simmen, S.55-<br />
56).<br />
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2.3 Konzept der Salutogenese <strong>von</strong> Antonovsky<br />
Eine ressourcenorientierte Grundhaltung zeigt sich auch im Konzept der Salutogenese <strong>von</strong><br />
Antonovsky. Bestimmte Menschen bleiben gesund trotz erheblicher Belastungen und<br />
Krankheitsgefährdung. Nach Antonovsky handelt es sich bei diesen schützenden Faktoren um<br />
“generalisierte Widerstandsressourcen“, die Personen schützen, so dass Belastungen nicht zu<br />
Bedingungen für Krankheit werden. Von zentraler Bedeutung für die erfolgreiche Bewältigung <strong>von</strong><br />
Spannungen und Stress ist für ihn eine personale Ressource, die er als SOC „sense of coherence“<br />
bezeichnet und mit der die Überzeugung des Einzelnen umschrieben wird, über hinreichende<br />
Handlungs- und Bewältigungsfähigkeiten zur Steuerung und Gestaltung des Lebens verfügen zu<br />
können, wobei die Hilfe anderer genauso wichtig ist wie die eigene Kraft.<br />
Antonovsky geht da<strong>von</strong> aus, dass Stressoren zum menschlichen Leben gehören. Vielen Menschen<br />
mit hohem Stressniveau geht es gut, es werden nicht alle krank oder leiden. Auch die Konsequenzen<br />
<strong>von</strong> Stressoren sind nicht notwendigerweise pathologisch. Anstatt sich auf Stressoren zu<br />
konzentrieren, kann man sich fragen, welche Faktoren daran beteiligt sind, dass man sich auf einen<br />
gesunden Pol hin bewegen kann. Es werden Copingressourcen ins Zentrum der Aufmerksamkeit<br />
gestellt. Wie sich die Gesundheit des Menschen entwickelt, dies versucht die Salutognese zu<br />
enträtseln (1997).<br />
2.3.1 Kohärenzgefühl<br />
Die Antwort, die sich auf die salutogenetische Frage entwickelte, war das Konzept des<br />
Kohärenzgefühls (SOC). Antonovsky nannte das Kohärenzgefühl eine globale Orientierung, die das<br />
Mass ausdrückt, in dem jemand ein überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens<br />
hat, dass die Anforderungen, die sich im Verlauf des Lebens ergeben, vorhersehbar und erklärbar<br />
sind; dass einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um diese Anforderungen als<br />
Herausforderungen zu sehen, für die es sich lohnt, Engagement zu zeigen. Es ist eine bestimmte Art<br />
im Leben zu stehen und die Beziehungen mit der Umwelt aufzufassen. Die drei Komponenten des<br />
Konzepts sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit.<br />
Verstehbarkeit<br />
Sie bezieht sich auf das Ausmass, wie man interne und externe Stimuli als kognitiv sinnhaft<br />
wahrnimmt. Jemand mit einem hohen Grad an Verstehbarkeit geht da<strong>von</strong> aus, dass Stimuli, denen<br />
man begegnen wird, vorhersagbar sein werden, oder zumindest eingeordnet und erklärt werden<br />
können. Es besteht eine solide Fähigkeit die Realität zu beurteilen.<br />
Handhabbarkeit<br />
Damit wird das Ausmass bezeichnet, in dem man wahrnimmt, dass man geeignete Ressourcen zur<br />
Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen, die <strong>von</strong> den Stimuli erzeugt werden. Es können<br />
Ressourcen sein, die man selber unter Kontrolle hat oder <strong>von</strong> legitimiert anderen (Ehepartner, Freund,<br />
Arbeitgeber, usw.) kontrolliert werden. Wer ein hohes Mass an Handhabbarkeit besitzt, wird durch<br />
schwierige Ereignisse, die es immer wieder gibt, nicht in die Opferrolle gedrängt. Man ist überzeugt,<br />
Möglichkeiten zu haben, die Situation mitgestalten zu können.<br />
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Bedeutsamkeit<br />
Die Bedeutsamkeit des Kohärenzgefühls bezieht sich auf das Ausmass, in dem man das Leben<br />
emotional als sinnvoll empfindet, dass wenigstens einige vom Leben gestellten Probleme und<br />
Anforderungen es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und<br />
sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforderungen sind als Lasten.<br />
Antonovsky bewertet die drei Komponenten nicht gleich stark. Die Bedeutsamkeit scheint ihm am<br />
wichtigsten zu sein. Nur wenn die Motivation da ist, engagiert man sich. Als nächste wichtige<br />
Komponente nennt er die Verstehbarkeit, da ein hohes Mass der Handhabbarkeit da<strong>von</strong> abhängt.<br />
(Antonovsky, 1998, S. 34- 38).<br />
2.3.2 Wege zu erfolgreichem Coping und Gesundheit<br />
Stressoren, die uns im Leben begegnen, sind vielfältig. So kann eine Person mit einem hohen Mass<br />
an Herausforderungen, Veränderungen im Leben eher als Norm, denn als Ausnahme auffassen und<br />
antizipiert diese als Stimulus für Wachstum und nicht als Sicherheitsgefährdung.<br />
Aus der Perspektive der Herausforderung kann ein Grossteil der Störung, die mit dem Eintreten eines<br />
stresshaften Lebensereignisses einhergeht, als eine Möglichkeit und ein Ansporn für die persönliche<br />
Weiterentwicklung genutzt werden. Personen, die Herausforderungen willkommen heissen, zeichnen<br />
sich durch Offenheit, kognitive Flexibilität und durch Ambiguitätstoleranz aus. Solche Personen<br />
werden sich auf die Frage konzentrieren, welche Ressourcen zur Problembewältigung mobilisiert<br />
werden können. In der Überzeugung, dass Probleme geordnet werden können, kann die Person<br />
Chaos in Ordnung, Verwirrung in Klarheit verwandeln. Personen mit einem schwachen<br />
Kohärenzgefühl werden sich auf die emotionalen Parameter konzentrieren, darauf, wie sie mit der<br />
Angst oder dem Unglücklichsein umgehen können. Diese Personen gehen da<strong>von</strong> aus, dass Chaos<br />
unumgänglich ist und versuchen der Situation auch keinen Sinn abzugewinnen.<br />
Wir gehen mit Stressoren immer in einem kulturellen Kontext um und bei optimalem Kohärenzgefühl<br />
sind wir innerhalb dieser kulturellen Einschränkungen in der Auswahl der <strong>Copingstrategien</strong> flexibel.<br />
Man hat festgestellt, dass es nicht in erster Linie entscheidend ist, welche Copingstrategie genutzt<br />
wird, sondern wie viele zur Verfügung stehen und wie flexibel man damit umgehen kann.<br />
Für Antonovsky ist ein starkes Kohärenzgefühl noch kein Copingstil. Ein starres oder automatisches<br />
Benutzen des immer gleichen Copingstils bedeutet der Natur des Stressors nicht gerecht zu werden.<br />
Die Person mit einem starken Kohärenzgefühl wählt eine bestimmte Copingstrategie aus, die am<br />
geeignetsten scheint, mit dem Stressor umzugehen. Sie ist fähig eine Kombination <strong>von</strong><br />
Coingstrategien auszuwählen und anzuwenden.<br />
Antonovsky schreibt, dass der Mensch nicht ohne schädliche Folgen auf einem hohen und intensiven<br />
Level emotionaler Spannung verharren kann, auch nicht, wenn die Emotionen angenehm sind. Man<br />
muss sich entspannen, um nicht zu erschöpfen. Eine Person mit einem starken Kohärenzgefühl wird<br />
sich ihrer Emotionen eher bewusst sein, kann sie benennen und fühlt sich dadurch weniger bedroht<br />
(Antonovsky, 1997).<br />
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2.3.3 Adoleszenz<br />
Als Adoleszenz wird die Lebensphase bezeichnet, die den Übergang <strong>von</strong> der Kindheit ins<br />
Erwachsenenalter beschreibt. Der Begriff der Adoleszenz wird bewusst sehr weit gefasst, da nur eine<br />
mehrdimensionale Betrachtung der Vielfalt dieser Entwicklungsphase gerecht werden kann. Eine<br />
Reihe tief greifender körperlicher wie psychischer Veränderungen finden statt, die oft zu<br />
Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft führen. Die Adoleszenz wird oftmals als eine Phase des<br />
„erhöhten Selbstbewusstseins“ betrachtet. In diesem Prozess spielt der Erweb neuer sozialer und<br />
kognitiver Fertigkeiten eine wichtige Rolle. Herzka definiert diese Selbstfindung im Rahmen des<br />
dialogischen Konzepts als eine Phase, die dem Jugendlichen die Widersprüchlichkeit zwischen dem<br />
Individuum und seiner Lebenswelt offenbart. Die Jugendlichen müssen lernen, Spannungen<br />
auszuhalten und auszugleichen und schliesslich im Zuge der Identitätsbildung zu integrieren (1991).<br />
Vorwiegend wollen Menschen in der Adoleszenz selbständig werden, sich behaupten und sich <strong>von</strong><br />
Hilfestellungen lösen. Sie wollen ihre eigenen Wege gehen und das Leben selber gestalten. Sie<br />
möchten das Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Das Leben ist ein entwicklungsoffener<br />
Prozess, wo der Mensch seine Biographie erschafft. Die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen<br />
beschleunigen diesen Prozess (Brater,1997).<br />
Beck meint, dass in Zeiten, in denen niemand die Vorgaben der Zukunft wissen kann, Lernen nicht<br />
länger mit dem Trichtermodell organisierbar ist. Alle Jugendlichen müssen heute lernen, ganz aus sich<br />
heraus, auf sich gestellt, in einer Welt voller Widersprüche ihr Leben zu führen. Genau dieser offene<br />
Prozess muss in Ausbildungsprozessen gelernt werden (1997).<br />
Im Verlauf der Adoleszenz hat sich im besten Falle ein ziemlich realistisches Selbstbild entwickelt. Der<br />
Jugendliche weiss, dass er sich nicht in allen Situationen seinem Idealbild entsprechend verhalten<br />
kann. Er vermag sich selbst viel realistischer als früher einzuschätzen, kennt seine Stärken und<br />
Schwächen genauer. Mit der Bildung des Selbstkonzeptes verfügt der Jugendliche über gute<br />
Voraussetzungen zur Identitätsbildung.<br />
2.3.4 Identität und Hörschädigung<br />
Der Identitätsprozess ist, so sehen es die meisten neueren Ansätze der Identitätsforschung, nicht<br />
mehr nur ein Mittel, um am Ende der Adoleszenz ein Niveau einer gesicherten Identität zu erreichen,<br />
sondern der Motor lebenslanger Entwicklung. Identitätsarbeit ist vor allem Verknüpfungsarbeit, die<br />
dem Subjekt hilft, sich im Strom der eigenen Erfahrungen selbst zu begreifen. Einerseits ordnet der<br />
Mensch seine Erfahrungen einer zeitlichen und einer lebensweltlichen Perspektive unter, andererseits<br />
verknüpft es Erfahrungen die ähnlich und unterschiedlich sind. Identität entsteht als Passungsarbeit<br />
an der Schnittstelle <strong>von</strong> Innen und Aussen. Der Identitätsprozess basiert vor allem im Aushandeln mit<br />
der Umwelt und mit sich selbst. Die Verknüpfungsarbeit ist stark kulturell und narrativ geprägt. Indem<br />
Erfahrungen prägen, werden sie nicht nur zusammengefasst, sondern auch sortiert, eingeordnet und<br />
oftmals umgeschrieben. Es erfolgt ein Vergleich mit aktuellen und vergangenen Erfahrungen.<br />
Identitätsarbeit bleibt nicht bei der retrospektiven Selbstreflexion stehen, es geht auch um die Zukunft<br />
des Menschen. Allerdings sind retrospektive und prospektive Prozesse immer miteinander verbunden,<br />
es gibt keine Erinnerung, die nicht auch in die Zukunft gerichtet wäre, und keinen Entwurf, der nicht<br />
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vergangene Erfahrungen beinhalten würde (Hintermair, 2007). Für die alltägliche Identitätsarbeit sind<br />
zum einen nicht einfach „objektiv“ vorhandene Ressourcen relevant, sondern was ein Mensch<br />
wahrnimmt, jene Ressourcen, die er nutzen kann. Oft ist es gerade der Mangel an gewissen<br />
Ressourcen, der einen Entwicklungsprozess initiieren kann. Selbst dann, wenn zur Umsetzung <strong>von</strong><br />
Identitätszielen oder –projekten die entsprechenden Kompetenzen, Energien und Kontakte erst noch<br />
angeeignet werden müssen, wirken diese bereits als Zukunftsorientierung und<br />
Entwicklungsressourcen. Viele Ressourcen sind keineswegs schon eine Garantie für eine gelingende<br />
Identitätsentwicklung (Keupp, 2006 S.189 – 198).<br />
Gutjahr (2007) fragt sich, inwiefern der Identitätsprozess bei hörgeschädigten Menschen anders<br />
verläuft und ob das Weniger-Hören Auswirkungen auf die Lebensgestaltung oder die psychosoziale<br />
Gesundheit und Erleben eines Menschen hat. Diese Frage lässt sich aus der Sicht <strong>von</strong> Hörenden<br />
nicht beantworten und müsste individuell und auf den jeweiligen Menschen bezogen, untersucht<br />
werden.<br />
Hörgeschädigte Menschen bezeichnen ihre Hörschädigung sehr unterschiedlich. Hessmann schlägt<br />
vor, man solle nicht in erster Linie die korrekte Bezeichnung des Hörschadens finden, weil sich in der<br />
Benennung die subjektive Erfahrung des Betroffenen widerspiegelt. Die Entscheidung, welcher Begriff<br />
gewählt wird, soll alleine durch die Hörgeschädigten bestimmt werden (1998). Weder in der Audiologie<br />
noch unter Hörgeschädigtenpädagogen herrscht Einigkeit über die Begrifflichkeit. Manche bezeichnen<br />
einen Gehörverlust bis 90dB als schwerhörig, andere setzen die Grenze bei 100dB (Gutjahr, 2007).<br />
Ich werde in der vorliegenden Arbeit vor allem den Begriff ‚schwerhörig’ verwenden, da <strong>von</strong> acht<br />
Interviewten sieben hochgradig schwerhörig sind. Selber bevorzugen über die Hälfte der Befragten<br />
den Begriff schwerhörig. .<br />
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3. Empirischer Teil<br />
3.1 Methoden der Datengewinnung<br />
Das Ziel <strong>von</strong> Wissenschaft und Forschung ist es, Aussagen zu erarbeiten, die über eine bestimmte<br />
vorgegebene Situation hinaus gültig sind. Wenn es um empirische Forschung geht, dann ergeben sich<br />
grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze wie dieses Ziel erreicht werden kann, entweder stärker<br />
quantitativ oder qualitativ ausgerichtet.<br />
3.1.1 Forschungsmethode<br />
Bei der Wahl der Forschungsmethode wurde für diese Arbeit die qualitative Ausrichtung gewählt,<br />
unter Einbezug <strong>von</strong> qualitativen Interviews.<br />
Die Arbeit beinhaltet aber auch quantitative Auswertungen. Mit dem Wissen, dass aufgrund der<br />
kleinen Stichprobe hieraus keine erhärtete wissenschaftliche Erkenntnis abgeleitet werden kann.<br />
Der eigentliche Grund für den Entscheid, qualitativ zu arbeiten war aber, dass es bei der angewandten<br />
Forschung – basierend auf qualitativen Interviews – nicht allein darum geht, allgemeine Aussagen und<br />
Hypothesen zu überprüfen, so wie es die klassische quantitative empirische Forschung tut, sondern<br />
tendenziell Theorie überprüfend zu forschen. Zwar habe ich auch mit Hypothesen gearbeitet, die ich<br />
überprüft habe.<br />
Nach Moser geht es in qualitativen Studien darum, Deutungen zu entwickeln, die etwas Typisches<br />
beschreiben, während bei quantitativen Verfahren mit Hilfe <strong>von</strong> statistischen Daten Theorien<br />
überprüft werden. Auch in der qualitativen Forschung gilt das Kriterium der Verallgemeinerung. Man<br />
erstrebt ein Ergebnis, das über den einzelnen Fall hinausgeht, man sucht etwas Exemplarisches,<br />
Typisches (2003, S. 22 – 26).<br />
3.1.2 Erhebungsinstrument: Leitfadeninterview<br />
Als Methode zur Datengewinnung wurde in der vorliegenden Arbeit das Interview gewählt. Das<br />
Interview ist eine Form der Datenerhebung mit dem Ziel, subjektive Informationen und Interpretationen<br />
über einen Forschungsgegenstand zu erfragen. Oft interessieren dabei die Aussagen <strong>von</strong><br />
Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Gruppen, deren Sichtweisen miteinander verglichen<br />
werden. Bei qualitativen Interviews beschränkt man sich meistens auf eine kleine Zahl <strong>von</strong> Personen,<br />
die stellvertretend für ein spezifisches Untersuchungsfeld Aussagen machen (Moser, 2003, S. 94).<br />
Interviews verlaufen oft nach einem vorher erstellten, forschungsrelevanten Leitfaden, wie in der<br />
Broschüre Wissenschaftliches Arbeiten der HfH nachzulesen ist (2007, S. 5). Mit dem Begriff<br />
Leitfaden bezeichnet man ein mehr oder weniger strukturiertes schriftliches Frageschema. Es dient<br />
als Orientierungshilfe und Gedächtnisstütze und enthält sämtliche wichtige Fragen. Man unterscheidet<br />
zwischen Schlüsselfragen, das sind solche, die unbedingt gestellt werden sollten und optimalen<br />
Fragen, die <strong>von</strong> untergeordneter Bedeutung sind. Von zentraler Bedeutung ist immer der Bezug einer<br />
Frage zur Fragestellung (Stigler und Reicher, 2005, S. 129).<br />
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3.1.3 Aufbau des Interviews<br />
Um Antworten auf die zentralen Fragen zu erhalten, ist es wichtig, einen Leitfaden auszuarbeiten. Eng<br />
verbunden mit der theoretischen Relevanz, im Sinne der Fragestellung, ist die inhaltliche Dimension<br />
einer Frage. Es ist immer zu prüfen, ob die Frage tatsächlich auf den intendierten Inhalt zielt. Je<br />
geschlossener die Fragen sind, desto leichter gestaltet sich die Auswertung. Jedenfalls sollten keine<br />
thematischen Sprünge im Gesprächsverlauf gemacht werden. Bei der Formulierung der Fragen sollte<br />
vor allem die Verständlichkeit eines der wichtigsten Kriterien sein (Stigler und Reicher, 2005, S. 130 -<br />
131).<br />
Folgende inhaltliche Aspekte wurden im Interview erfasst: (siehe Interview, Anhang 1)<br />
• Was sind schwierige Situationen?<br />
• Welche <strong>Copingstrategien</strong> werden verwendet? (Hauptfragestellung)<br />
• Haben sich die Strategien im Laufe des Lebens verbessert oder verändert?<br />
• Wie könnte man <strong>Copingstrategien</strong> einüben?<br />
3.1.4 Beschreibung der Stichprobe<br />
Lamnek schreibt, dass eine gezielte Auswahl der Stichprobe immer auch willkürlich ist und der<br />
Forscher nie wissen kann, ob er eine selektive Auswahl vorgenommen hat. Deshalb sind<br />
Generalisierungen problematisch. Bei qualitativen Methoden geht es eben eher um Typisierungen,<br />
weshalb die Repräsentativität nicht so bedeutsam ist (2005). Bei qualitativen Studien spielt die<br />
inhaltliche Repräsentation eine zentrale Rolle. Die Informanten sollen über das Wissen und die<br />
Erfahrung verfügen, deren die Forscher bedürfen, sie sollten die Fähigkeit haben, zu reflektieren und<br />
zu artikulieren (Stigler und Reicher, 2005, S. 100).<br />
Ich suchte zwei Vergleichsgruppen, vier jugendliche Schwerhörige im Alter <strong>von</strong> 13 bis17 Jahren und<br />
vier erwachsene Schwerhörige im Alter <strong>von</strong> 27 bis 32 Jahren. Alle sollten über gute lautsprachliche<br />
Kompetenzen verfügen.<br />
Folgende Kriterien waren für die Stichprobe massgebend:<br />
Gruppe 1 Gruppe 2<br />
13- bis 17- jährige Schwerhörige 27- bis 32- jährige Schwerhörige<br />
Oberstufenschüler Stundenten, oder berufstätig<br />
besuchen die öffentliche Schule selbständig lebend<br />
3.1.5 Pretest<br />
Den Probelauf machte ich mit einer 24-jährigen schwerhörigen Frau. Das Interview dauerte dreissig<br />
Minuten und fand in der Wohnung der betreffenden Person statt. Der Einstieg erfolgte über die Frage<br />
nach schwierigen Situationen und eröffnete das Feld für den Umgang mit diesen Situationen. Der<br />
Probelauf half mir mit der Technik zu Recht zu kommen und zeigte mir, dass gewisse Fragen nur den<br />
Fluss des Gespräches störten. Einige Fragen erwiesen sich als suggestiv und zu geschlossen, worauf<br />
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ich sie aus dem Interviewleitfaden strich. Bei anderen Fragen wiederholte sie Aussagen, die sie<br />
bereits in einer andern Frage beantwortet hatte. Ich beschloss, diese Fragen so zu belassen, denn<br />
auch Doppelaussagen sind nützliche Informationen und zeigen die Wichtigkeit der Aussage auf. Das<br />
Probeinterview hätte durchaus brauchbare Daten geliefert, nur war die Frau zu jung und gehörte somit<br />
nicht in meine Stichprobe.<br />
3.2 Durchführung der Datenerhebung<br />
3.2.1 Auswahl der Stichprobe<br />
Einige der Interviewpartner kenne ich durch meine Arbeit als Audiopädagogin und die andern waren<br />
mir unbekannt und wurden mir <strong>von</strong> Kollegen vermittelt. Oft waren die Personen, die ich gerne befragt<br />
hätte, zu jung oder zu alt und es brauchte Geduld, jene zu finden, die zu meiner Stichprobe passten.<br />
Somit hat die Stichprobe auch einen Zufallscharakter. Alle acht befragten Personen sind mittelgradig<br />
bis hochgradig schwerhörig, haben keine zusätzliche Behinderung, sieben da<strong>von</strong> sind lautsprachlich<br />
orientiert, eine erwachsene Person spricht in Gebärdensprache und in Lautsprache. Alle erwachsenen<br />
Personen besuchen oder besuchten eine Fachhochschule. Zwei Jugendliche besuchen die<br />
Sekundarschule im Niveau A und zwei im Niveau B. Bei den erwachsenen Informanten sind zwei<br />
männlich und zwei weiblich. Bei den Jugendlichen drei weiblich und eine Person männlich. Alle<br />
Jugendlichen besuchen die öffentliche Schule und sind Aktivmitglieder in einem Sportclub, alle<br />
betreiben ein Hobby und <strong>von</strong> vier Befragten, haben drei schwerhörige Geschwister. Eine jugendliche<br />
Person hat neben der Hörbehinderung noch zusätzliche gesundheitliche Probleme. Sieben<br />
Interviewpartner tragen Hörgeräte und eine erwachsene Person trägt ein Cochlear Implantat.<br />
3.2.2 Rahmenbedingung für die Durchführung der Interviews<br />
Mir war es wichtig, dass die Befragten bestimmen konnten, wo die Interviews durchgeführt werden<br />
sollten. Mir schien es vorteilhaft, wenn sie in ihrer Lebenswelt bleiben konnten, damit ein gewisses<br />
Mass an Vertrautheit und Alltäglichkeit gewährleistet war.<br />
Bei den Jugendlichen fragte ich die Eltern um das Einverständnis und holte vorher eine schriftliche<br />
Erlaubnis ein, mit der Zusicherung, dass alle Daten anonymisiert werden. Dasselbe tat ich bei den<br />
Erwachsenen. (Einverständniserklärung, Anhang 2)<br />
3.2.3 Erfahrungen bei der Durchführung der Interviews<br />
Lamnek betont, dass die Neugierde, theoretische Fragestellungen zu beantworten, nicht dominieren<br />
darf. Der Interviewer passt sich den Denkstrukturen und dem Sprachvermögen des Befragten an.<br />
Jede Fremddetermination wäre nicht nur behindernd, sondern auch schädlich. Es liegt am Interviewer,<br />
gerade die Selbstverständlichkeiten anzusprechen, und dies kann oft nur durch suggestive<br />
Fragestellung bewirkt werden (2005, S. 389)<br />
Ich habe mich schon im Vorfeld gefreut, diese Menschen kennen zu lernen und es war mir wichtig<br />
ihnen zu vermitteln, dass ihre Informationen wichtige Bausteine für meine Arbeit sind. Ich versuchte<br />
nicht aufdringlich nachzufragen, sondern ein natürliches Gespräch in Gang zu halten. Es gab eine<br />
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Gesprächsaufwärmungszeit vor dem Interview und einen Gesprächsausklang nach dem Interview.<br />
Diese Zusatzgespräche gaben mir Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt der Befragten, zeigten<br />
mir die speziellen Wesenszüge und vermittelten wichtige Wertvorstellungen. Für diese Offenheit bin<br />
ich allen Interviewpartnern sehr dankbar. Bei der Beantwortung der Fragen zeigte sich die Persönlichkeit<br />
der einzelnen Menschen deutlich. Mir haben diese Begegnungen über das Forschungsinteresse<br />
hinaus sehr viel Freude bereitet.<br />
Die vier Interviews mit den erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong> fanden zur Hälfte in ihren Wohnungen statt,<br />
die anderen zwei Interviews wurden an neutralen Orten durchgeführt. Die Erwachsenen waren sehr<br />
gesprächig und in ihren Aussagen recht differenziert. Ich bekam zu allen Fragen genügend Aussagen.<br />
Ich stellte auch fest, dass alle sich schon öfters Gedanken zu ihren <strong>Copingstrategien</strong> gemacht und im<br />
Verlaufe des Lebens einige Erfahrungen gesammelt hatten, die sie mir offen mitteilten.<br />
Die Jugendlichen befragte ich in der Schule. Sie verhielten sich eher zurückhaltend. Ich vermute, weil<br />
sie sich zu den Interviewfragen zuerst Gedanken machen mussten und sie sich das erste Mal bewusst<br />
mit dem Thema <strong>Copingstrategien</strong> befassten. Daher waren die Aussagen nicht so zahlreich wie bei<br />
den Erwachsenen.<br />
3.2.4 Transkription<br />
Der erste Schritt der Analyse besteht aus der Verschriftlichung der durchgeführten Interviews. Flick<br />
schreibt dazu, dass man sich <strong>von</strong> der Sparsamkeitsregel der Aufzeichnungen leiten lassen solle. Das<br />
heisst, der Forscher soll nur so viel aufzeichnen, wie er zur Beantwortung der Fragestellung braucht.<br />
Die wörtliche Transkription, inklusive Nebengesprächen und Räuspern, wäre die andere Art der<br />
Niederschrift (2002).<br />
Ich habe sinnhaltige Sätze wörtlich wiedergegeben. Dialekt, Selbstkorrekturen, Räuspern und andere<br />
Eigenheiten wurden aufgrund der besseren Lesbarkeit und Verstehbarkeit weggelassen oder<br />
korrigiert. Für den Zweck dieser Arbeit wäre eine Transkription inklusive Sprechpausen oder<br />
Betonungen nicht zweckmässig gewesen.<br />
Da in der Mehrzahl der Fälle die Interviews auf Schweizerdeutsch geführt wurden, habe ich sie ins<br />
Schriftdeutsche übersetzt, somit änderte sich die Satzstellung oder die Ausdrücke bekamen einen<br />
anderen Wortlaut. Ich war aber bedacht, dass die Aussagen dem ursprünglichen Inhalt entsprachen.<br />
Die Transkripte wurden mit der Bandaufnahme nochmals verglichen und wenn nötig korrigiert.<br />
Ich habe mir die biographischen Besonderheiten notiert, die dann später bei der Interpretation <strong>von</strong><br />
Nutzen sein könnten. Die Transkripte wurden jeweils unmittelbar nach dem Interview<br />
niedergeschrieben, dadurch waren die Eindrücke noch ganz lebendig.<br />
3.2.5 Erarbeitung des Kategoriensystems<br />
In der Literatur werden zwei Wege beschrieben, die zu Kategorien führen. Beim deduktiven Weg<br />
werden aufgrund <strong>von</strong> Vorwissen der Forscher und aufgrund ihrer Fragestellung, Schlüsselbegriffe<br />
formuliert, mit denen dann das Datenmaterial auf einschlägige Stellen abgesucht wird. Die<br />
Entwicklung der Kategorien erfolgt also vor der Durchsicht des Datenmaterials. Beim induktiven<br />
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Vorgehen erfolgt die Formulierung der Kategorien während und nach der Durchsicht des<br />
Datenmaterials. Altrichter und Posch meinen, dass gerade für die Sozialforschung eine Mischung<br />
beider Methoden am günstigsten wäre (2007, S. 195).<br />
Da ich mich intensiv mit <strong>Copingstrategien</strong> befasst und den theoretischen Teil der Arbeit bereits vor<br />
den Interviews verfasst hatte, ging ich mit Vorkenntnissen an die Kategorienbildung heran. Ich bildete<br />
Kategorien, die mir sinnvoll schienen. Ich versuchte auf deduktive Weise das Datenmaterial diesen<br />
Kategorien zuzuordnen. Mit einer Zweitperson verglich ich die Zuordnungen und stellte fest, dass viele<br />
Aussagen zu mehreren Kategorien passten, was mich veranlasste, das Kategoriensystem neu zu<br />
überarbeiten. Ich kam mit den Namen und Definitionen der <strong>Copingstrategien</strong> aus der Literatur nicht<br />
zurecht, denn sie liessen sich zu wenig scharf unterscheiden und waren inhaltlich zu weit gefasst. Es<br />
existiert auch kein einheitliches Klassifikationsschema. Daher liess ich alle diese Vorkenntnisse<br />
beiseite und war neugierig wie sich die Aussagen auf induktive Weise zu Kategorien<br />
zusammenfassen lassen. Nach verschiedenen Zuordnungsversuchen entschied ich mich, das<br />
Datenmaterial vorerst zwei übergeordneten Kategorien zuzuordnen. Ich unterteilte das Material in<br />
innere- und äussere Bewältigungsstrategien. Anschliessend fasste ich die Aussagen zu Oberbegriffen<br />
zusammen und das Kategoriensystem entwickelte sich auf induktive Weise weiter. Mayering formuliert<br />
das wie folgt: „ Die induktive Kategorienbildung hingegen leitet die Kategorien direkt aus dem Material<br />
in einem Verallgemeinerungsprozess ab, ohne sich auf vorab formulierte Theoriekonzepte zu<br />
beziehen“ (2008, S.75). Die Definition der Kategorien ist wichtig, dadurch wird bestimmt, welche<br />
Aussagen zugeordnet werden können. Anschliessend habe ich zu jeder Kategorie konkrete<br />
Textstellen eingefügt, die als Ankerbeispiel dienen sollen. Damit Klarheit zwischen der Abgrenzung<br />
der einzelnen Kategorien besteht, werden Kodierregeln formuliert, die eine eindeutige Zuordnung<br />
ermöglichen. Bei einem ersten Materialdurchgang wird erprobt, ob die Kategorien überhaupt greifen,<br />
ob die Definitionen, Ankerbeispiele und Kodierregeln eine eindeutige Zuordnung ermöglichen<br />
(Mayering, 2008, S. 83). Ich machte mehrere Probedurchgänge und es gab jeweils Überarbeitungen.<br />
Die Kategorien wurden geändert und genauer definiert und die Aussagen wurden teilweise anders<br />
zugeordnet. Schliesslich entstanden fünf Überkategorien und dreizehn Kategorien. Das gebildete<br />
Kategoriensystem hilft zudem, die Analyse auch für Aussenstehende nachvollziehbar zu machen. Das<br />
Kategoriensystem befindet sich im Anhang 3.<br />
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4. Darstellung der Ergebnisse<br />
Es handelt sich bei dieser Arbeit um ein qualitatives Auswertungsverfahren, dennoch kommt es zu<br />
Quantifizierungen. Es sind die Anzahl Aussagen aus den geführten Interviews, die aufgelistet und<br />
interpretiert werden. Die Ergebnisse der Jugendlichen und der Erwachsenen werden jeweils<br />
miteinander verglichen. Um eine Vergleich zu erhalten, sind die Ergebnisse auch in Prozenten<br />
dargestellt worden. Sowohl bei der Eingangsfragestellung „Welches sind für dich schwierige<br />
Situationen“, wie auch bei der Aufzählung der <strong>Copingstrategien</strong>, sind Kategorien erstellt worden.<br />
Wenig Nennungen innerhalb einer Kategorie heissen nicht, dass diese Strategien kaum vorkommen,<br />
sondern nur, dass sie kaum erwähnt wurden. Womöglich hätte es bei konkreter Fragestellung, wie<br />
das bei standardisierten Interviews vorkommt, eine andere Verteilung der Antworten gegeben. Die<br />
Kategorien wollte ich nicht nur deskriptiv darstellen, daher erstellte ich zu jeder Kategorie eine Tabelle<br />
mit quantitativen Angaben. Anschliessend wurden immer einige ausgewählte Aussagen der<br />
Interviewpartner als Beispiele aufgeführt oder in der Interpretation und Diskussion verwendet.<br />
4.1 Darstellung der Ergebnisse: Schwierige Situationen<br />
Als Einstiegsfrage beim Interview wurden die Jugendlichen und Erwachsenen zuerst nach<br />
schwierigen Situationen befragt und erst in einem zweiten Schritt nach ihren <strong>Copingstrategien</strong>. Die<br />
Antworten sind ausführlich im Anhang 6 nachzulesen. Erwachsene nannten 20 schwierige<br />
Situationen, die für sie belastend waren und teilweise noch sind. Jugendliche nannten nur sechs<br />
schwierige Situationen.<br />
In der untenstehenden Tabelle sind die Situationen in vier Kategorien, die induktiv hergeleitet wurden,<br />
zusammengefasst und zeigen einen Vergleich zwischen den jugendlichen und erwachsenen<br />
<strong>Schwerhörigen</strong>.<br />
Die Kategorien werden hier mit „S“ abgekürzt, damit sie sich <strong>von</strong> den Kategorien der<br />
<strong>Copingstrategien</strong>, die mit „K“ abgekürzt werden, unterscheiden. Zuerst steht die Anzahl Nennungen<br />
und anschliessend die Prozentzahl.<br />
Kategorien Schwierige Situationen Erwachsene Jugendliche<br />
S1 Ausgrenzungssituation<br />
2 Aussagen 3 Aussagen<br />
10%<br />
50%<br />
S2 fehlende Empathie und<br />
5 Aussagen -<br />
Rücksichtnahme aus der Umwelt<br />
25%<br />
0%<br />
S3 Auf Grund der Schwerhörigkeit 6 Aussagen 2 Aussagen<br />
akustisch nicht verstehen können<br />
30%<br />
34%<br />
S4 Schwierigkeit, wie mit der<br />
7 Aussagen 1 Aussagen<br />
Schwerhörigkeit umgegangen<br />
werden soll<br />
35%<br />
16%<br />
Abbildung 3: Schwierige Situationen<br />
20 Aussagen<br />
100%<br />
6 Aussagen<br />
100%<br />
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Kategorie S1: Ausgrenzungssituationen<br />
In diese Kategorie fallen zwei Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen, in denen sie Bezug auf frühere<br />
Erlebnisse nahmen. Niemand beklagte sich über Ausgrenzungssituationen zum jetzigen Zeitpunkt.<br />
Auch die Jugendlichen nahmen Bezug auf frühere Situationen und nannten drei Erlebnisse.<br />
„In der 1.Kl war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte. Sie haben mir schlimme Wörter<br />
nachgesagt“ (JC).<br />
„In der 2./3. Kasse gehörte ich nicht zu den Klassenfreundinnen. Sie gingen einfach weg <strong>von</strong> mir und<br />
wollten nicht mit mir spielen“(JM).<br />
Interpretation<br />
Von Seiten der Erwachsenen gibt es nur zwei Nennungen und ich nehme an, dass die Befragten zum<br />
jetzigen Zeitpunkt recht gut mit ihrer Lebenssituation zu Recht kommen und mehrere verlässliche<br />
Bezugspersonen haben. Die Jugendlichen scheinen in der Kindheit unter Ausgrenzungssituationen<br />
gelitten zu haben und diese Situationen sind ihnen noch sehr präsent. Es könnte aber auch sein, dass<br />
Ausgrenzungssituationen erst im Nachhinein als solche erkennbar sind und zugelassen werden.<br />
Meines Erachtens sind gerade in der Adoleszenz Peerkontakte wichtig. Dies wird auch <strong>von</strong> Gutjahr<br />
bestätigt: „Voraussetzung für die Entstehung eines sozialen (…) Netzwerkes ist jedoch zunächst, dass<br />
Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung Gleichaltrige kennen lernen können, ihnen überhaupt<br />
die Möglichkeit zur Verfügung steht, vor allem mit nicht behinderten Kindern, zusammenzutreffen“<br />
(Gutjahr, 2007, S. 235).<br />
Kategorie S 2: Keine Rücksichtnahme, fehlende Empathie, negative Reaktion aus der Umwelt<br />
Erwachsene nennen fünf Situationen und Jugendliche keine. Die betroffenen Erwachsenen nennen<br />
einerseits Situationen, in denen sie aufgrund ihrer Schwerhörigkeit verkannt werden und andererseits<br />
auf ihre spezielle Situation keine Rücksicht genommen wird. Die folgenden Begebenheiten, die<br />
Erwachsene beschreiben, nehmen wiederum Bezug auf ihre Kindheit.<br />
„Niemand nahm Rücksicht oder wäre für mich eingestanden. Ich habe immer das Gefühl, weil es<br />
keine <strong>Schwerhörigen</strong> Schule ist, kann ich nichts Spezielles fordern, muss mich anpassen“(ES).<br />
„Im Kindergarten hatte ich bereits nichts gehört und galt als verhaltensauffällig“(EE).<br />
Interpretation<br />
Die befragten Erwachsenen und Jugendlichen beklagen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht über<br />
fehlende Empathie. Dass die Jugendlichen keine Situation erwähnen, in denen sie zuwenig Empathie<br />
erleben, könnte folgendermassen interpretiert werden:<br />
Fehlende Empathie oder Rücksichtnahme muss zuerst als solche erkannt werden und vielleicht<br />
verfügen die Jugendlichen noch nicht über die nötigen Zusammenhänge und die nötige<br />
Reflexionsfähigkeit. Es mag sein, dass sie solche Situationen emotional wahrnehmen, aber diese<br />
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nicht formulieren können. Einerseits kann dies ein Schutz sein und bewahrt vor unliebsamen<br />
Tatsachen, andererseits kann durch das Verdrängen die Situation nicht verändert werden.<br />
Kategorie S3: Auf Grund der Schwerhörigkeit akustisch nicht verstehen können<br />
In diese Kategorie fallen acht Nennungen, zwei <strong>von</strong> Jugendlichen und sechs <strong>von</strong> Erwachsenen. Die<br />
unten aufgeführten Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen beschreiben typische Situationen, sie beziehen sich<br />
auf den zwischenmenschlichen Bereich und auch auf schlechte räumliche Verhältnisse.<br />
„Wir haben in einem Provisorium Schule, in einer Fabrikhalle. Es hallt sehr und wenn die Schüler<br />
sprechen, verstehe ich überhaupt nichts“(EL).<br />
„Wenn ich nur mit einer Person im Ausgang bin und etwas plaudere, geht das gut, weil ich ja der<br />
einzige Ansprechpartner bin. Wenn da jemand dazu kommt, bin ich plötzlich draussen im Gespräch“<br />
(EM).<br />
Interpretation<br />
Auch hier ist auffallend, dass vor allem Erwachsene an schlechten akustischen Situationen leiden und<br />
diese als solche wahrnehmen. Es ist erwiesen, dass schwerhörige Menschen aufgrund ihrer<br />
Hörbeeinträchtigung erhebliche Zusatzleistungen erbringen müssen und dass sie oft unter schlechten<br />
Kommunikationsbedingungen leiden. Daher ist es verwunderlich, dass Jugendliche diese Situationen<br />
nur wenig nennen.<br />
Kategorie S4: Schwierigkeit, wie mit der Schwerhörigkeit umgegangen werden soll<br />
Ein Jugendlicher und sieben Erwachsene berichten über ihre Schwierigkeiten im Bereich der<br />
Kommunikation mit anderen.<br />
„Ich habe immer das Gefühl, weil es keine <strong>Schwerhörigen</strong>- Schule ist, kann ich nichts Spezielles<br />
fordern, muss ich mich anpassen“(ES).<br />
„Nachfragen ist für mich schwierig. Vor allem in der Schule. Jetzt wird es immer besser, am Anfang<br />
war es schwierig und schlimm für mich“(JP).<br />
Interpretation<br />
Die Erwachsenen beschreiben vor allem Situationen <strong>von</strong> früher. Es fiel ihnen schwer, ihre besonderen<br />
Bedürfnisse aufgrund ihrer Schwerhörigkeit anderen mitzuteilen. Es bestand eine grosse<br />
Verunsicherung über ihre Rechte. Sie wussten nicht, wie viel Rücksicht sie <strong>von</strong> andern fordern<br />
können. Es braucht Selbstvertrauen und die Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber, um die<br />
eigene Situation offen zu beschreiben und um mögliche Unterstützung zu bitten. Die Anpassung wird<br />
oft bevorzugt. Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung müssen aufgrund der bruchstückhaften<br />
auditiven Wahrnehmung stets einen erhöhten Konzentrationsaufwand leisten. Wenn diese<br />
schwierigen Situationen, die oft zu Stress führen, nicht mit geeigneten <strong>Copingstrategien</strong> gemildert<br />
werden können, führt dies oft zu Erschöpfung und der Zunahme <strong>von</strong> Versagensängsten und der<br />
vermehrten Unsicherheit auf andere Menschen zuzugehen. Das Selbstvertrauen und Gefühl der<br />
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Kohärenz wird geschwächt. Es erstaunte mich, dass Jugendliche sowohl zu S3 wie zu S4 wenig<br />
Aussagen machten.<br />
4.2 Darstellung der Ergebnisse der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />
In diesem Kapitel befinden sich in Tabellenform die wichtigsten Ergebnisse. Im Anhang 3 ist das<br />
Kategoriensystem mit den Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln ausführlich beschrieben<br />
und abgebildet. Im Anhang 4 und 5 befinden sich die Aussagen der Befragten mit den<br />
entsprechenden Zuordnungen zu den Kategorien. Die Namen sind kodiert. E steht für eine<br />
erwachsene und J für eine jugendliche Person.<br />
Insgesamt gab es 108 Nennungen, die <strong>Copingstrategien</strong> zugeordnet werden konnten. Da<strong>von</strong><br />
stammen 35 Aussagen <strong>von</strong> Jugendlichen und 73 Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen.<br />
4.2.1 Übersicht der gewählten <strong>Copingstrategien</strong><br />
Die Nennungen zu <strong>Copingstrategien</strong> sind in fünf Überkategorien und den dazugehörenden Kategorien<br />
(K1 – K13) eingeteilt. Nennungen, die wegen ihrer Häufigkeit auffallen, werden farbig hervorgehoben.<br />
Die Überkategorien und Kategorien werden in Kapitel 5.2 und 5.3 genau beschrieben, interpretiert und<br />
diskutiert.<br />
a) Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />
Kooperation:<br />
• K1: Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen<br />
• K2: Kooperation mit fixer Bezugsperson<br />
• K3: Kooperation unter Gleichbetroffenen<br />
Konfrontation:<br />
• K4: offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung<br />
• K5: abwägend-zurückhaltende Konfrontation<br />
sachlich informieren:<br />
• K6: direkt und offen informieren<br />
• K7: abwägend und Kontext bezogen informieren<br />
b) Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />
Vermeidung und Verdrängung:<br />
• K8: sich andern nicht mitteilen, Rückzug<br />
• K9: Schwerhörigkeit verstecken<br />
29
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Reflexion und Planung:<br />
• K10: Hör- und Kommunikationsstrategien<br />
• K11: Entspannen<br />
• K12: Mehraufwand betreiben<br />
• K13: Denken-abwägen-adäquate Strategien entwickeln<br />
4.2.2 Tabelle mit Prozentangaben zu den fünf Überkategorien, Anzahl Nennungen und<br />
Namencodes zu allen 13 Kategorien<br />
Kooperation<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K1<br />
Kooperation mit<br />
unterschiedlichen<br />
Zielgruppen<br />
Erwachsene 15% 11 EE, EM, ES,<br />
2xEL,<br />
Jugendliche 28% 10 4xJD; 3xJC,<br />
3xJP, JM<br />
K2<br />
Kooperation mit fixer<br />
Bezugsperson<br />
5 EE, ES, EL<br />
(früher)<br />
K3<br />
Kooperation unter<br />
Gleichbetroffenen<br />
3 2x EE, EL 3<br />
8 JC (früher) JP 2 0<br />
21 Insgesamt 21 13 5 3<br />
Konfrontation<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K4<br />
offene und direkte Konfrontation und<br />
Meinungsäusserung<br />
K 5<br />
abwägend- zurückhaltende<br />
Konfrontation<br />
Erwachsene 26% 19 5xEE, 3xES, 4xEL, EM 13 2xES, 3xEM, EE 6<br />
Jugendliche 20% 7 6xJD, JM 7 0<br />
26 Insgesamt 26 20 6<br />
informieren<br />
sachlich<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K6<br />
direkt und offen informieren<br />
K7<br />
abwägend und Kontext<br />
bezogen informieren<br />
Erwachsene 15% 11 3xES, 4xEM,2xEL 9 2xEM, 2<br />
Jugendliche 15% 5 JD, JC 2 3xJC 3<br />
16 Insgesamt 16 11 5<br />
30
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Vermeidung und<br />
Verdrängung<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K8<br />
sich andern nicht mitteilen,<br />
Rückzug<br />
K9<br />
Schwerhörigkeit verstecken<br />
Erwachsene 7% 5 2xES, EM, EE 4 EL 1<br />
Jugendliche 20% 7 2xJP, JC 3 2x JC, JD, JM 4<br />
12 Insgesamt 12 7 5<br />
Reflexion und Planung<br />
Anzahl<br />
Nennungen<br />
Erwachsene<br />
37%<br />
Jugendliche<br />
17%<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K10<br />
Hör- und<br />
Kommunikationsstrategien<br />
27 7xEM,<br />
4xES,<br />
2xEE,<br />
K11<br />
Entspannen<br />
13 2xES<br />
2xEM<br />
K12<br />
Mehraufwand<br />
betreiben<br />
4 4xES,<br />
EM, EL<br />
K13<br />
Denken – abwägen -<br />
adäquate Strategien<br />
entwickeln<br />
6 3xEM<br />
ES<br />
6 JP,2xJC 3 2xJM 2 0 JP 1<br />
33 Insgesamt 33 16 6 6<br />
Abbildung 4: Überkategorien und Kategorien<br />
4<br />
5<br />
31
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4.2.3 Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen<br />
40%<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
28%<br />
15%<br />
20%<br />
26%<br />
15% 15%<br />
Kooperation Konfrontation Sachlich<br />
informieren<br />
20%<br />
7%<br />
Vermeidung,<br />
Verdrängung<br />
17%<br />
37%<br />
Reflexion,<br />
Planung<br />
Abbildung 5: Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen<br />
63%<br />
56%<br />
37%<br />
Aussenorientiert Innenorientiert<br />
44%<br />
Abbildung 6: Aussen- und innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> im prozentualen Vergleich<br />
Jugendliche<br />
Erwachsene<br />
Jugendliche<br />
Erw achsene<br />
32
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5. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse zur<br />
<strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />
In diesem Kapitel werden die induktiv hergeleiteten Überkategorien und die Kategorien (K1- K13)<br />
ausführlich beschrieben und mit kursiv geschriebenen Aussagen der Interviewten, verdeutlicht.<br />
Bei der Auswertung der Daten wurden folgende Punkte untersucht:<br />
• bevorzugte <strong>Copingstrategien</strong><br />
• Interpretation und Diskussion der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />
• Unterschiede in der Auswahl der Strategien bei Jugendlichen und Erwachsenen<br />
5.1 Definition der Begriffe „aussenorientierte“ und „innenorientierte“<br />
<strong>Copingstrategien</strong><br />
Das Datenmaterial wurde vorerst in zwei Unterscheidungskategorien „innenorientierte“ und<br />
„aussenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong> eingeteilt. 63 codierte Aussagen fallen unter die<br />
Unterscheidungskategorie „aussenorientiert“ und 45 Aussagen unter “innenorientiert“.<br />
Anzahl<br />
Aussagen<br />
Nennungen <strong>von</strong><br />
Jugendlichen<br />
Nennungen <strong>von</strong><br />
Erwachsenen<br />
aussenorientiert 63 22 63% 41 56%<br />
innenorientiert 45 13 37% 32 44%<br />
108 35 100% 73 100%<br />
Abbildung 7: Aussen- und innenorientierte Nennungen <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong><br />
a) In die Unterscheidungskategorie „aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>“ fallen drei Überkategorien<br />
Kooperation, Konfrontation, sachlich informieren und sieben Kategorien (K1 – K7). Es sind 63<br />
Aussagen zu aussenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> genannt worden. Die ausführlichen Antworten sind<br />
im Anhang 4 nachzulesen.<br />
Überkategorie Kategorien Anzahl Nennungen Jugendliche Erwachsene<br />
Kooperation K1 K2 K3 21 10 28% 11 15%<br />
Konfrontation K4 K5 26 7 20% 19 26%<br />
sachlich<br />
informieren<br />
K6 K7<br />
Abbildung 8: Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K1- K7)<br />
16 5 15% 11 15%<br />
Unter „aussenorientiert“ verstehe ich <strong>Copingstrategien</strong>, die das Problem direkt angehen und zu<br />
lösen versuchen, es werden andere Menschen einbezogen. Man könnte auch <strong>von</strong> aktivem<br />
Copingverhalten sprechen. Der Betroffene hat eine nach aussen gewandte Haltung, er steht aktiv für<br />
seine Interessen ein, geht auf die Suche nach Unterstützung. Er bekundet seinen Willen, er informiert<br />
33
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sich und andere, oder äussert seine Meinung. Er fragt andere um Rat oder Unterstützung. Er ist in<br />
seinen Bewältigungsbemühungen auf andere Menschen ausgerichtet und dies kann zu Kooperation,<br />
Konfrontation oder sachlichem Informationsaustausch führen.<br />
b) In die Unterscheidungskategorie „innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>“ fallen zwei Überkategorien<br />
Vermeidung und Verdrängung und Reflexion und Planung und sieben Kategorien (K8 – K13). Es<br />
sind insgesamt 45 Nennungen zu innenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> genannt worden. Die<br />
ausführlichen Antworten sind im Anhang 5 nachzulesen.<br />
Überkategorie Kategorien Anzahl Nennungen Jugendliche Erwachsene<br />
Vermeidung und<br />
Verdrängung<br />
Reflexion und<br />
Planung<br />
K8 K9 12 7 20% 5 7%<br />
K10 K11<br />
K12 K13<br />
Abbildung 9: Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K8 – K13)<br />
33 6 17% 27 37%<br />
Unter „innenorientiert“ verstehe ich Strategien, bei denen die Energien zur Handhabung <strong>von</strong><br />
Stresssituationen nach innen gewendet werden. Es werden Strategien verwendet, die unabhängig <strong>von</strong><br />
anderen Menschen sind, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Andere Menschen werden<br />
nicht einbezogen, oder nur wenn sie es nicht wissen. Es besteht weder eine Kooperation noch eine<br />
Konfrontation. Der Mensch kann sich zurückziehen, die eigene Haltung ändern, seine Emotionen<br />
regulieren, antizipieren, planen, für sein Wohlergehen selber etwas tun.<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Insgesamt hat die Mehrzahl der Befragten „aussenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong>. 22 Jugendliche (63%)<br />
und 41 Erwachsene (56%). „Innenorientierte“ Copingstategien wurden <strong>von</strong> den Erwachsenen 32-mal<br />
(44%) genannt und <strong>von</strong> den Jugendlichen 13-mal (37%). Erwachsene verwenden vermehrt<br />
innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>. Jugendliche verwenden aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> stärker<br />
als Erwachsene, da sie auch noch viel stärker auf Familie und Peers angewiesen sind. Meine<br />
Schlussfolgerung ist, dass Erwachsene bereits über ihre Strategien reflektiert und verschiedene<br />
erprobt haben und dadurch können sie diese eher situationsbezogen anwenden. Sie sind in ihrer<br />
Identitätsarbeit bereits einen Schritt weiter als die Jugendlichen. Sie leben und denken unabhängiger.<br />
Auch Lazarus und Folkman (1985, zit. nach Carpenter, 1992) gehen da<strong>von</strong> aus, „ dass der<br />
Bewältigungsprozess in komplexe Feedbacksysteme eingebunden ist und ständig Aktualisierung<br />
erfährt. Das bedeutet, dass sich bei einem Individuum das Bewältigungsverhalten über die Zeit<br />
verändern kann. Ein wichtiges Forschungskriterium ist dabei die Wechselwirkung zwischen dem<br />
Copingprozess und den relativ stabilen Persönlichkeitsmerkmalen. Welche <strong>Copingstrategien</strong> gewählt<br />
werden, ist auch <strong>von</strong> situativen Variablen wie Neuigkeit, Durchschaubarkeit, Komplexität,<br />
Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit der belastenden Situation abhängig.“<br />
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In Bezug zur Identitätsarbeit, die diese äussere und innere Dimension betrifft, sagt Keupp:<br />
• Die äussere Dimension beschreibt dabei vor allem die sozialen Bedingungen, die notwendig<br />
sind, damit die individuelle Verknüpfungsarbeit bestmöglich gelingen kann, die aber auch<br />
dazu beitragen können, dass Identitätsarbeit erschwert wird. Positiv gewendet sind es die<br />
Themen der sozialen Integration, also der Möglichkeit, sich im Zusammenschluss mit anderen<br />
Menschen als Individuum zu finden und weiterzuentwickeln, aber vor allem auch der sozialen<br />
Anerkennung innerhalb der sozialen Beziehungssysteme und Gemeinschaften, in denen man<br />
sich bewegt .<br />
• Die innere Dimension meint die eigentliche Synthesearbeit des einzelnen Individuums, die<br />
ein Ausdruck dessen ist, wie gut dem Individuum die Verknüpfungsarbeit pluraler und häufig<br />
widersprüchlicher Erfahrungen gelingt. Es geht zentral um die Konstruktion und<br />
Aufrechterhaltung <strong>von</strong> Kohärenz und Selbstanerkennung, sowie um das Gefühl <strong>von</strong><br />
Authentizität und Sinnhaftigkeit (Keupp, 2004, zit. nach Hintermair, 2007, S. 10).<br />
5.2 Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />
• Kooperation: K1, K2, K3<br />
• Konfrontation: K4, K5<br />
• sachlich informieren: K6, K7<br />
5.2.1 Überkategorie „Kooperation“ und die Kategorien K1, K2, K3<br />
Unter Kooperation verstehe ich das Zusammenwirken <strong>von</strong> Handlungen zweier oder mehrerer<br />
Personen. Angestrebt werden der Austausch und die Zusammenarbeit mit einem anderen Menschen<br />
oder mit einer Gruppe. Die freundschaftliche und freiwillige Unterstützung anderer steht im<br />
Vordergrund und wird angestrebt. Unter diese Überkategorie fallen die Kategorien K1, K2 und K3.<br />
Kooperation<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kooperationsstrategien<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K1<br />
Kooperation mit<br />
unterschiedlichen<br />
Zielgruppen<br />
Erwachsene 15% 11 EE, EM, ES,<br />
2xEL,<br />
Jugendliche 28% 10 4xJD; 3xJC,<br />
3xJP, JM<br />
K2<br />
Kooperation mit fixer<br />
Bezugsperson<br />
5 EE, ES, EL<br />
(früher)<br />
K3<br />
Kooperation unter<br />
Gleichbetroffenen<br />
3 2x EE, EL 3<br />
8 JC (früher) JP 2 0<br />
21 Insgesamt 21 13 5 3<br />
Abbildung 10: <strong>Copingstrategien</strong>“ Kooperation, Kategorien 1-3<br />
Diese Überkategorie wird <strong>von</strong> den Jugendlichen am häufigsten gewählt. Sie bevorzugen es, sich in<br />
schwierigen Situationen bei anderen Menschen Unterstützung zu holen.<br />
35
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
5.2.1.1 K1 Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen<br />
Definition der Copingstrategie K1<br />
Das Zusammenwirken und Zusammenarbeiten mit anderen wird gesucht. Oft ist es eine<br />
Unterstützung, die <strong>von</strong> anderen geleistet wird. Dies können unterschiedliche Menschen sein, die sich<br />
fremd sind oder nahe stehen. Es sind verschiedene Bezugspersonen und es besteht keine Fixierung<br />
auf nur eine Person wie dies in K2 der Fall ist.<br />
Beispiele<br />
„Ich musste immer jemanden suchen, der mir liebenswürdigerweise erzählte, was der Lehrmeister<br />
oder die Mitarbeiter gesagt hatten“(EE).<br />
„Wenn ich im Zug eine Durchsage höre, die ich nicht verstehe, frage ich nach. Ich frage die Leute“<br />
(JC).<br />
„Ich bin mitgelaufen in der Clique und ging mit anderen mit, wollte dazu gehören“ (EL).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Es fallen acht Äusserungen <strong>von</strong> Jugendlichen und fünf Äusserungen <strong>von</strong> Erwachsenen in diese<br />
Kategorie.<br />
Diese Mehrheit der Aussagen <strong>von</strong> Jugendlichen kann so interpretiert werden, dass einerseits eine<br />
grosse Abhängigkeit <strong>von</strong> anderen Menschen im Bewältigen <strong>von</strong> schwierigen Situationen in diesem<br />
Alter noch besteht und andererseits, dass der Mensch besonders im Alter der Adoleszenz das<br />
Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit hat.<br />
Die Beispiele verdeutlichen, dass der Kontakt zu Hörenden und deren Unterstützung sehr wichtig<br />
sind, da vieles nicht verstanden wird. Aus den Aussagen geht hervor, dass der Schwerhörige immer<br />
selber auf andere zugehen muss, dass die Umwelt zu schnell vergisst, weil eine Hörschädigung<br />
unsichtbar ist und die Betroffenen oft nur in Notsituationen fragen. Es wird ersichtlich, dass der<br />
Betroffene über die Personenwahl und den Zeitpunkt der Nachfrage um Unterstützung unsicher ist.<br />
„Manchmal frage ich gleich, manchmal warte ich, bis ich die Antwort <strong>von</strong> anderswo erfahre. Ich frage<br />
die Mitschüler, die Mutter und erst am Schluss die Lehrpersonen.“<br />
Audeoud & Lienhard verweisen darauf, dass auch ein gut informiertes Umfeld immer wieder<br />
Aufklärung braucht, da die Hörbehinderung unsichtbar ist und die meisten Betroffenen sich anpassen<br />
und unauffällig benehmen. Ebenfalls ist der Aufwand des Betroffenen für das Umfeld nicht sichtbar<br />
und es wäre erwünscht, dass er <strong>von</strong> beiden Seiten zu gleichen Teilen erfolgt. Auf das Umfeld ist<br />
diesbezüglich nicht Verlass. Zum Teil sind die Strategien so gut, dass die Behinderung nicht auffällt<br />
(2006, S. 140 -141). Die Hörenden gehen da<strong>von</strong> aus, dass sich die <strong>Schwerhörigen</strong> schon melden,<br />
wenn sie etwas nicht verstehen.<br />
5.2.1.2 K2 Kooperation mit fixer Bezugsperson<br />
Definition der Copingstrategie K2<br />
36
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Aktiv auf eine bestimmte Person fixiert sein. Diese ist einverstanden und wirkt als Unterstützung und<br />
ist sozusagen die Rechte Hand des Hörbeeinträchtigten. Auf diese Person ist Verlass und dieser<br />
freiwillige Zusammenschluss bildet ein abgeschlossenes System.<br />
Beispiele<br />
„Ich hatte dann eine Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen“(JC).<br />
„Bis vor kurzem habe ich nur Adrian gefragt“(JP).<br />
„Ich habe mich auf die Banknachbarin verlassen und mit ihr zusammen gearbeitet“(EL).<br />
„Früher hatte ich eine Kollegin, die mit mir Zug gefahren ist. An sie habe ich mich gehalten“(ES).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
In diese Kategorie fallen drei Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen, die sich alle auf früher beziehen. Ebenso<br />
bezieht sich eine der zwei Nennungen der Jugendlichen auf die frühere Kindheit.<br />
Schwerhörige Menschen missverstehen häufig, was ihre Gesprächspartner sagen. So können die<br />
Gesprächsregeln: „Antworte, wenn du gefragt wirst!“ oder „Beziehe dich auf die vorhergehende<br />
Äusserung!“ meistens nicht befolgt werden. Es stellt eine ausserordentliche Belastung dar, die<br />
Kommunikation mit anderen Menschen zu sichern, dies kann zu Einsamkeit und<br />
Niedergeschlagenheit führen (Tesch- Römer, 1997, S. 153). Eine enge und zuverlässige<br />
Bezugsperson scheint daher in der Jugend oft eine tragende Rolle zu spielen. Sie füllt die<br />
Informationslücken und sie kann jederzeit angesprochen werden, weil der Betroffene zu ihr ein<br />
Vertrauensverhältnis hat. Diese Person ist offensichtlich mit ihrer Rolle einverstanden und ist mit den<br />
Schwierigkeiten des schwerhörigen Menschen vertraut. Sie begegnet ihm offensichtlich mit Empathie,<br />
so dass sich der Schwerhörige sicher und akzeptiert fühlt. Er muss sich nicht immer wieder <strong>von</strong><br />
neuem erklären, was heissen würde, sich immer wieder <strong>von</strong> neuem exponieren zu müssen, mit dem<br />
Risiko, auf Ablehnung zu stossen. Die Reaktionen mit nur einem Gegenüber sind eher abschätzbar<br />
und kontrollierbar. Dieser Rückzug aus der Kommunikation mit der Gruppe und die Fokussierung auf<br />
eine Person, schafft eine grosse Abhängigkeit. Aus den Interviews ging aber auch hervor, dass viele<br />
der Betroffenen in der Kindheit schwierige Erfahrung mit der Gruppe in der Schule erlebten und sich<br />
abwandten. Die Zweiersituation war eine Notlösung, um den Anschluss an die Informationen und das<br />
Bedürfnis nach Austausch zu gewährleisten, so wie dies JC, eine 13-jährige Schülerin berichtete: „ Ich<br />
habe mich dann einfach abgewendet <strong>von</strong> den andern, versuchte sie zu ignorieren. Ich hatte dann eine<br />
Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen.“ Diese Strategie funktioniert natürlich<br />
nur, solange sich jemanden finden lässt, der dies Rolle übernimmt. Beim Schüler, der sagte, er hätte<br />
bis vor kurzem nur Adrian gefragt, hatte diese Copingstrategie ein jähes Ende. Adrian wechselte in<br />
eine Privatschule und somit fiel die konstante und zuverlässige Unterstützung aus, was eine grosse<br />
emotionale Verunsicherung auslöste. Die Gewissheit, dass auf jemanden Verlass ist, bringt auch<br />
Ruhe und Sicherheit ins Leben. Der jugendliche Schwerhörige war nach längerer Zeit dankbar für<br />
diese Situation, weil er sich anderen wieder vermehrt öffnen konnte. Es dauerte einige Monate bevor<br />
er in diesem Verlust auch einen Gewinn sehen könnte.<br />
Cloerkes weist darauf hin, dass es vor allem auf die Intensität der Kontakte ankommt und nicht auf die<br />
Häufigkeit. Nicht jeder intensive und enge Kontakt ist für die Entwicklung einer positiven Einstellung<br />
37
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
förderlich; wichtige Nebenbedingungen sind gegenseitige Sympathie, Freiwilligkeit, relative<br />
Statusgleichheit, eine gewisse Belohnung aus der sozialen Beziehung und die Verfolgung<br />
gemeinsamer Ziele (2001).<br />
Soziale Integration verändert sich in der Jugendzeit. In diesem Alter wird die Kommunikation, der<br />
Austausch <strong>von</strong> Gedanken und Gefühlen, und die Bedeutung <strong>von</strong> gemeinsamen Aktivitäten immer<br />
wichtiger. Auch die Akzeptanz gegenüber behinderten Schülern nimmt ab (Gutjahr, 2007). Dies<br />
könnte einerseits eine Erklärung sein, dass alle erwachsenen Interviewpartner diese Strategie nur im<br />
Zusammenhang mit ihrer Jugendzeit nannten.<br />
5.2.1.3 K3 Kooperation mit Gleichbetroffenen<br />
Definition der Copingstrategie K3<br />
Gleichbetroffene werden aufgesucht, um sich auszutauschen und <strong>von</strong> gegenseitigen Erfahrungen zu<br />
profitieren.<br />
Beispiele<br />
„Da haben wir viel ausgetauscht und andere haben erzählt, wie sie es gemacht haben bei ähnlichen<br />
Situationen. Wenn es das nicht gegeben hätte, hätte ich mich zurückgezogen. Durch die<br />
Gleichbetroffenen wurde ich gestärkt“ (EE).<br />
„Erst mit 24 Jahren hatte ich Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufgenommen. Es war sehr wichtig<br />
für mich, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen“(EL).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Von den Jugendlichen gab es in dieser Kategorie keine Nennungen. Nur zwei erwachsene Personen<br />
nennen Gleichbetroffene im Zusammenhang mit der Bewältigung <strong>von</strong> schwierigen Situationen als<br />
hilfreich und unterstützend. Dies will nicht heissen, dass andere das nicht auch finden, nur wurde es<br />
nicht genannt.<br />
Eine befragte Person (EE) besuchte die Berufsschule in Oerlikon. Für sie war dieser Ort eine<br />
Möglichkeit sich mit Gleichbetroffenen auszutauschen. Eine Oase, in der sie Kraft tanken konnte und<br />
sie lernte sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Die gleiche Person lernte die Gebärdensprache, die<br />
ihr grosses Selbstvertrauen gab, ihre Wünsche und Bedürfnisse auch einzufordern.<br />
Bat-Chava (1994) untersuchte in einer Studie die Beziehung zwischen Gruppenidentität und<br />
Selbstwertgefühl. Es wird in dieser Untersuchung ein signifikanter Unterschied zwischen kultureller<br />
Orientierung und Selbstwertgefühl aufgezeigt. Schwerhörige, die sich stark mit anderen<br />
Hörgeschädigten identifizieren, weisen höhere Werte im Selbstwertgefühl auf als Hörgeschädigte, die<br />
sich mit Hörenden identifizierten. (Hintermair, 2007, S.34-35)<br />
Die bikulturelle Orientierung erweist sich als sichere Option für die Qualität der psychosozialen<br />
Gesamtbefindlichkeit. Wer sich mit den Zielen und Werten der hörenden und gehörlosen Welt<br />
identifizieren und diese im Leben flexibel anwenden kann, zeigt Vorteile sowohl im Selbstwerterleben,<br />
als auch in der allgemeinen Lebenszufriedenheit (Hintermair, 2007, S 87).<br />
38
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
„Ich habe die Gebärdensprache gelernt, endlich bin ich zu Informationen über die Kultur der<br />
Gehörlosen gekommen. Das gibt mir Sicherheit. Ich hatte früher immer das Gefühl, ich müsste hörend<br />
werden. Das hatte schon mit der Logopädie angefangen, da musste ich immer Wörter lernen und<br />
wiederholen, darin sah ich keinen Sinn. Die Gebärdensprachausbildung hat mich gelehrt auch etwas<br />
für mich in Anspruch zu nehmen und nicht nur auf die anderen Rücksicht zu nehmen, sondern auch<br />
etwas für mich zu wollen und zu bekommen, und ich übernehme die Verantwortung dies zu<br />
kommunizieren“ (EE).<br />
Aus dem Auftreten und den Antworten der beiden kamen mir sehr viel Selbstvertrauen und<br />
Lebenszufriedenheit entgegen. Ich möchte nicht behaupten, dass die bikulturelle Zugehörigkeit<br />
zwingend ist für das psychosoziale Wohlbefinden, denn auch einige andere Interviewpartner verfügten<br />
über Lebensoptimismus. Hintermair meint, dass die Synthesearbeit des einzelnen Individuums, die<br />
verschiedenen Fragmente der eigenen biographischen Erfahrungen zu einem sinnvollen Ganzen zu<br />
verknüpfen, psychische Stärke braucht. Das hängt stark <strong>von</strong> den eigenen Ressourcen und dem<br />
Selbstwertgefühl ab. Es bedeutet aber auch, dass Befragte, die über die Laut- und Gebärdensprache<br />
verfügen, durchschnittlich über höhere psychische Ressourcen und über eine höhere<br />
Selbstwirksamkeit verfügen. Gute Kommunikationsbedingungen beugen psychischen Problemen vor<br />
und fördern die psychosoziale Gesamtentwicklung. Lebenszufriedenheit zu entwickeln und eine<br />
gesicherte Identität aufzubauen wird durch soziale und kulturelle Zugehörigkeitsoptionen erleichtert.<br />
Das Individuum braucht Räume, in denen es möglichst unterschiedliche Erfahrungen sammeln kann,<br />
um so flexible Lebensmuster zu gestalten (Hintermair, 2007). Beide Interviewpartner schätzen den<br />
Austausch mit Gleichbetroffenen, weil sie sich verstanden fühlen. Es sind ähnliche Probleme und<br />
Fragen mit denen sie sich auseinandersetzten müssen.<br />
5.2.2 Überkategorie „Konfrontation“ und die Kategorien K4 und K5<br />
„Konfrontation ist die Gegenüberstellung <strong>von</strong> sich gegenseitig störenden und vorerst nicht zu<br />
vereinbarenden Positionen. Sie eröffnet einen Konflikt und richtet sich gegen einen Kontrahenten mit<br />
dem Ziel, diesen zur Aufgabe oder zu Annäherung seiner Position zu bewegen.“<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Konfrontation (9.11.2008)<br />
Konfrontation<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K4<br />
offene und direkte Konfrontation und<br />
Meinungsäusserung<br />
K 5<br />
abwägend- zurückhaltende<br />
Konfrontation<br />
Erwachsene 26% 19 5xEE, 3xES, 4xEL, EM 13 2xES, 3xEM, EE 6<br />
Jugendliche 20% 7 6xJD, JM 7 0<br />
26 Insgesamt 26 20 6<br />
Abbildung 11: <strong>Copingstrategien</strong> „Konfrontation“, Kategorien 4-5<br />
5.2.2.1 K4 Offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung<br />
Definition der Copingstrategie K4<br />
39
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Die eigene Meinung offen sagen, die anderen zu einer Meinungs- und oder Handlungsänderung<br />
bewegen. Sich aktiv für die eigenen Bedürfnisse einsetzen, auch wenn diese beim Gegenüber nicht<br />
auf Akzeptanz stossen.<br />
Beispiele<br />
„Ich sage, dass ich einen ruhigen Arbeitsplatz bevorzuge und in keinem Grossraumbüro arbeiten<br />
kann“(ES).<br />
„Heute habe ich definitiv mehr Mut und nehme mir die Freiheit, mich für meine Rechte<br />
einzusetzen“(EM).<br />
„Ich bin dran mich immer mehr zu wehren. Das war früher nicht so, denn ich wollte zu den Hörenden<br />
gehören und mich ja nicht outen mit Fragen stellen“(EL).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
In diese Kategorie fallen 13 Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen und sieben <strong>von</strong> Jugendlichen. Um eine<br />
Konfrontation zu wagen, braucht es sehr viel Selbstvertrauen. Eine Konfrontation kann zum<br />
gewünschten Erfolg führen, es kann aber auch ganz klar Abwendungen <strong>von</strong> Personen geben. Um<br />
diese Spannung auszuhalten, braucht es eine innere Sicherheit und die Möglichkeiten auf andere<br />
Bezugssysteme zurückgreifen zu können.<br />
Es ist aber auffallend, dass die Jugendlichen zu dieser Kategorie neben K1 am meisten<br />
<strong>Copingstrategien</strong> nennen. JD benutzt diese Strategie besonders häufig (sechs Nennungen), er ist 16<br />
Jahre alt, ist zweisprachig aufgewachsen und er sagt <strong>von</strong> sich: „Ich bin ein direkter Mensch, ich sage<br />
meine Meinung sofort. Ich denke nicht lange über die Dinge nach, ich handle sofort“(JD).<br />
Nur ein Jugendlicher, der sich selbst akzeptieren kann und die Akzeptanz und Toleranz seines<br />
Umfeldes erlebt, der über angemessene Kommunikationssysteme verfügt, um sich in seinen<br />
Bedürfnissen austauschen und mitteilen zu können, sich Wissen selbständig erarbeiten und auf<br />
entsprechende Angebote im Freizeitbereich zur Erholung zurückgreifen kann, hat die Chance als<br />
zufriedener und glücklicher Mensch zu leben (Donath, 1995, S.52).<br />
In diesem Zusammenhang scheint ein Bezug zu der im theoretischen Teil dargelegten Salutogenese<br />
<strong>von</strong> Antonovsky sinnvoll. Offensichtlich weist JD ein sehr hohes Kohärenzgefühl auf, d.h. unter<br />
anderem, er hat ein hohes Vertrauen und glaubt an seine Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen,<br />
um schwierige Situationen bewältigen zu können. Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl weisen<br />
eine grosse Zuversicht auf, glauben an Lösungen und zeigen eine Neugier, diese zu finden und<br />
umzusetzen.<br />
Wenn nun die Aussagen der andern drei Jugendlichen betrachtet werden, dann stellt sich immer noch<br />
die Frage, warum die konfrontative Strategie weniger genannt wurde im Vergleich zu den<br />
Erwachsenen. Eine mögliche Interpretation wäre, dass die innere Stabilität und Selbstüberzeugung, „<br />
so wie ich bin, so bin ich gut“, schlicht zu wenig ausprägt ist. Dies gibt bereits eine erste Antwort in<br />
Bezug auf die Frage der Interventionen des Beraters. Hier scheint eine Intervention sehr wohl sinnvoll<br />
zu sein, geht es doch darum bei den Jugendlichen die Ressourcen zu stärken, um so ihr<br />
40
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Selbstwertgefühl zu erhöhen. Zudem wäre dies ein guter Ansatzpunkt für den angestrebten<br />
Erfahrungsaustausch zwischen jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>.<br />
Von Geburt an Hörbeeinträchtigte erleben den Zustand der Kommunikationsstörung zunächst als<br />
normal. Spätestens in der Pubertät erfahren sie die Diskrepanz zwischen dem pädagogisch<br />
vermittelten Anspruch, voll in die Welt der Hörenden integriert zu sein und dem täglichen Ausschluss<br />
im alltäglich kommunikativen wie informativen Austausch (Kruse und Kiefer, 1988).<br />
Die erwachsene Interviewpartnerin (EE) betont, dass sie zum Glück über gute<br />
Kommunikationsfertigkeiten verfüge. „Zum Glück wusste ich schon einige Kommunikationstechniken.<br />
So bat ich den Betriebsleiter bei Schwierigkeiten um ein Gespräch mit dem Chef. Er kam sich blöd<br />
vor und wollte ab jetzt alles richtig machen“(EE). Hier zeigt sich wie wichtig verschiedene<br />
Kommunikationsfähigkeiten sind, dadurch können sich Schwerhörige am Arbeitsplatz und in der<br />
Gesellschaft leichter bewegen, das heisst, sie haben mehr Mut und Sicherheit, um ihre Anliegen und<br />
Wünsche mitzuteilen. Alle Interviewten verfügen über gute Kommunikationsfertigkeiten. Einige haben<br />
grosses Selbstvertrauen und können ihre Bedürfnissen und Wünsche offen äussern. Sie haben den<br />
Mut <strong>von</strong> ihren Mitmenschen etwas zu verlangen und gehen auch das Risiko ein, abgelehnt zu<br />
werden. Eine Interviewpartnerin meint: „Wenn jemand Dialekt spricht, sage ich, könntest du das<br />
wiederholen. Ich versuche es freundlich, wenn es nicht klappt, werde ich direkter. Wenn ich auf<br />
Ablehnung stosse, sehe ich das nicht nur als mein Problem an“ (EE). Dieser Interviewpartner lässt<br />
sich gerne herausfordern, denn er ist überzeugt, dass neue Ereignisse immer neue Lernprozesse und<br />
damit auch persönliches Wachstum ermöglichen.<br />
Kaluza schreibt: „Wer Ärger, Unmut oder Verletzung nicht zeigt, geht damit Streit und möglichem<br />
Ärger aus dem Weg. Bestehende Konflikte lösen sich dadurch nicht und verlagern sich auf andere<br />
Lebensbereiche. Das bedeutet, dass die positive Bewältigung soziale Kompetenzen voraussetzt, die<br />
die Person in die Lage versetzt, eigene Gefühle und Bedürfnisse realitätsangepasst zu vertreten und<br />
Konflikte aktiv zu lösen“ (Kaluza, 2004, S.55).<br />
5.2.2.2 K5 Abwägend- zurückhaltende Konfrontation<br />
Definition der Copingstrategie K5<br />
Mit dem Einfordern <strong>von</strong> Bedürfnissen und Wünschen, sowie der offenen Meinungsäusserung wird<br />
eher vorsichtig und situationsbezogen umgegangen. Ein stark reflexives Element kommt hier dazu. Es<br />
werden mehrere Faktoren miteinbezogen, der Nutzen und Aufwand werden sorgfältig gegeneinander<br />
abgewogen.<br />
Beispiele<br />
„Ich entscheide aus dem Bewusstsein heraus, wie ich mich verhalten will, was ich sagen will und was<br />
ich <strong>von</strong> den anderen mir wünsche“(ES).<br />
„Ich mag es aber auch nicht, wenn ich gerade drauflos fordere, ich schaue, was automatisch kommt<br />
und wo und wann ich mich melden soll. Ich versuche einen Mittelweg zu finden“(EM).<br />
41
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„Ich habe reflektiert, wie ich es hätte machen können. Als Typ habe ich immer versucht, wie ich es<br />
optimal machen könnte. Muss ich freundlicher sein, muss ich mich anbiedern, mehr nachfragen,<br />
höflicher sein?“(EE)<br />
„Ich habe immer noch den inneren Konflikt, soll ich meine Bedürfnisse oder besonderen Wünsche<br />
bezüglich der Schwerhörigkeit ansprechen oder noch abwarten. Ich habe immer noch keine<br />
befriedigende Lösung. Eigentlich möchte ich für mich Klarheit haben, dass ich alles anspreche“(ES).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Bei den Jugendlichen liess sich keine Aussage in diese Kategorie einordnen.<br />
Die sechs Nennungen stammen <strong>von</strong> Erwachsenen, welche alle die Fähigkeit haben, ihre Wünsche zu<br />
formulieren und sie angemessen einzufordern. Dennoch reflektieren sie stark und überlegen, welche<br />
Strategie wohl die beste sei. Es bleibt natürlich eine Unsicherheit, ob sie die Situation richtig<br />
einschätzen können. Sehr oft müssen sich schwerhörige Menschen auf Vermutungen verlassen,<br />
wodurch erneute Erfahrungsdefizite entstehen. Unabhängig vom Grad der Hörschädigung existiert<br />
das Problem, kein sicheres Gefühl im Umgang mit Guthörenden zu haben. Immer wird befürchtet,<br />
etwas nicht verstanden zu haben und durch falsche Reaktionen aufzufallen (Weber, 1995, S.56).<br />
Daher ist es <strong>von</strong> grossem Nutzen über sichere Kommunikationsstrategien zu verfügen, damit alleine<br />
die Situation abgewogen werden muss und nicht zusätzlich Kommunikationsbarrieren bestehen. Die<br />
Art und Weise, sich in Gespräche ein- und auszuklinken, ist ein wesentlicher Lernprozess, der im<br />
späteren Berufsleben nur <strong>von</strong> Vorteil sein kann. In den meisten Fällen ist der erhöhte Sprachumsatz<br />
ein wesentlicher Gewinn, der zur Ausprägung der individuellen Persönlichkeit nicht unerheblich<br />
beiträgt (Leonhardt, 2001, S.69).<br />
Erwachsene haben in der vorliegenden Untersuchung mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Verfügung als<br />
Jugendliche und können sie auch flexibler anwenden. Dies zeigt sich besonders in der Wahl dieser<br />
spezifischen Copinstrategie. Sie können Vor- und Nachteile abwägen und wählen auf die Situation<br />
bezogen geeignete Strategien wie das folgende Beispiel verdeutlicht: „Ich wäge ab, ob es sich lohnt,<br />
spezielle Rücksicht zu fordern. Bei irgendwelchen Leuten, die keinen Bezug zur Hörbehinderung<br />
haben, ist es schwierig. Es kommt aber sehr auf die Situation an“(EM).<br />
Integration ist dann möglich, wenn ein Schwerhöriger seine Fähigkeiten und Grenzen kennt und damit<br />
umgehen kann. Es braucht auch eine gewisse Frustrationstoleranz und Gelassenheit um mit dem<br />
zufrieden zu sein, was möglich ist. Frustrationstoleranz bedeutet, sich an einem Konflikt, den man<br />
trotz allen Einsatzes nicht lösen kann, nicht unnötig aufzureiben. Es heisst aber nicht, sich alles<br />
gefallen zu lassen. Es geht darum, nicht unnötig Kraft zu verschwenden, wenn sie anderswo sinnvoll<br />
hätte eingesetzt werden können. Es geht darum, mit den Kräften sinnvoll haushalten zu lernen. Wenn<br />
die Möglichkeiten ausgeschöpft sind, die Gegebenheiten mit den eigenen Wünschen und<br />
Bedürfnissen in Einklang zu bringen, dann ist es ratsam die eigenen Kräfte nicht weiter sinnlos daran<br />
zu verschwenden (Stein, 1999, S. 283).<br />
Diese Copingstrategie wurde <strong>von</strong> den Jugendlichen nicht erwähnt. Daraus wird gefolgert, dass das<br />
differenzierte Einschätzen <strong>von</strong> Situationen noch nicht so ausgereift ist, wie bei den Erwachsenen.<br />
Entweder wird eine Situation direkt angegangen, wie K4 zeigt oder es besteht die Tendenz,<br />
42
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schwierige Situationen zu meiden, wie dies aus K8 und K9 ersichtlich ist. Es fehlen Erfahrungen und<br />
dadurch so genannte „Zwischentöne“. <strong>Copingstrategien</strong> können weniger flexibel angewendet werden..<br />
5.2.3 Überkategorie „sachlich informieren“ und die Kategorien K6 und K7<br />
Definition<br />
Sachlich und offen über die Schwerhörigkeit und die möglichen Konsequenzen informieren. Mit der<br />
Information sind keine Bedingungen verknüpft und es werden keine bestimmten Reaktionen erwartet.<br />
Dadurch kann beim Gegenüber Kooperation oder Konfrontation ausgelöst werden.<br />
informieren<br />
sachlich<br />
Anzahl Nennungen<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K6<br />
direkt und offen informieren<br />
K7<br />
abwägend und Kontext<br />
bezogen informieren<br />
Erwachsene 15% 11 3xES, 4xEM,2xEL 9 2xEM, 2<br />
Jugendliche 15% 5 JD, JC 2 3xJC 3<br />
16 Insgesamt 16 11 5<br />
Abbildung 12: <strong>Copingstrategien</strong> „ sachlich informieren“, Kategorien 6-7<br />
5.2.3.1 K6 Direkt und offen über die Schwerhörigkeit informieren<br />
Definition der Copingstrategie K6<br />
Es wird in jedem Fall, unabhängig wie die äusseren oder inneren Bedingungen sich gestalten, offen<br />
über die Schwerhörigkeit und ihre speziellen Erfordernisse informiert.<br />
Beispiel<br />
„Wenn ihr etwas über meine Hörgeräte wissen möchtet, informiere ich euch gerne“(JD).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Interessant gestaltet sich das Verhältnis zwischen den genannten schwierigen Situationen, die bei den<br />
Erwachsenen in der Kategorie S4 (Schwierigkeiten im Umgang mit der Schwerhörigkeit, fehlendes<br />
Selbstvertrauen) eine hohe Nennung erreichten. Die Situationen bezogen sich meistens auf früher. Im<br />
Vergleich zu den Jugendlichen fallen in diese Kategorie auffallend mehr Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen.<br />
Es scheint, dass ein Lernprozess in Richtung „offen informieren“ stattgefunden hat. Wie dies EL sagt:<br />
„Als ich die Ausbildung begann, beschloss ich <strong>von</strong> Anfang an zu sagen, dass ich schwerhörig bin,<br />
nicht dass die anderen einen falschen Eindruck <strong>von</strong> mir bekommen. Die anderen waren froh, dass es<br />
offen gelegt wurde“. Stein schreibt (1999) Erst wenn die Schwerhörigkeit akzeptiert, die eigenen<br />
Grenzen und Möglichkeiten ausgelotet wurden, können Mut und Klarheit aufgebracht werden, um<br />
andere über die Behinderung zu informieren und sie um Rücksicht oder bestimmte Verhaltensweisen<br />
zu bitten.<br />
JD hat erst im Erwachsenenalter Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufgenommen und dadurch eine<br />
grosse Unterstützung in Richtung Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber entwickeln können.<br />
43
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Sie erzählte: „ Es gefiel mir sehr gut mit diesen Menschen.“<br />
Im Zusammenhang mit den schwierigen Situationen wurde auch erwähnt, dass man falsch<br />
eingeschätzt wird, weil die Schwerhörigkeit <strong>von</strong> Aussenstehenden nicht gesehen wird und der Mut zur<br />
offenen Information über die Behinderung fehlt. Die Interviewpartnerin (JC) hat daraus gelernt und<br />
meinte: „Ich sage, dass ich schwerhörig bin, denn sonst meinen die Leute, ich würde nicht aufpassen.“<br />
Auch für EL war es nach einigen unangenehmen Erlebnissen klar, dass sie andere offen über ihre<br />
Schwerhörigkeit informieren muss.<br />
5.2.3.2 K7 Abwägen und kontextbezogen über die Schwerhörigkeit informieren<br />
Definition der Copingstrategie K7<br />
Es werden mehrere Faktoren miteinbezogen. Der Nutzen, der offenen Information über die eigene<br />
Schwerhörigkeit, wird sorgfältig abgewogen und situationsbedingt angewendet.<br />
Beispiele<br />
„Sonst sage ich nicht sofort, dass ich schwerhörig bin, ich wäge ab“(JC).<br />
„Es kommt auf die Situation an, ob ich sage, dass ich schwerhörig bin“(JC).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Auch hier wie bei K5 besteht eine Unsicherheit, wie und wann die Schwerhörigkeit dem Gegenüber<br />
kommuniziert werden soll. Eine erwachsene Interviewpartnerin (EM) drückte es folgendermassen aus:<br />
„Ich finde es wichtig, dass man offen mit der Hörbehinderung umgeht, sie aber nicht ins Zentrum<br />
stellt.“ Dieser Aussage entnehme ich auch die Angst, vielleicht einen zu fordernden Eindruck<br />
hinterlassen zu können, falsch verstanden zu werden, ein schlechtes Bild abzugeben, oder als<br />
schwach zu gelten. Weiter führte sie an: „Ich wäge immer ab, ob es nötig ist zu sagen, dass ich<br />
schwerhörig bin; eigentlich wäre es besser immer am Anfang offen darüber zu informieren.“ Durch<br />
den eher defensiven Umgang mit Informationen wird auch dem Gegenüber keine Hilfestellung<br />
geboten wie es auf die Hörbehinderung mit geeignetem Verhalten reagieren könnte. Zum einen liegt<br />
es an der Unsicherheit sich mitzuteilen und zum anderen, dass dadurch auch der hörende<br />
Gesprächspartner verunsichert wird. Auch dem hörenden Gesprächspartner fällt auf, dass die<br />
Kommunikation misslingt, er hat aber kein Wissen und keine Möglichkeiten dem entgegenzuwirken.<br />
Dies belastet die Beziehung unnötig und Kontakte werden in Zukunft <strong>von</strong> beiden vermieden. Dies führt<br />
wiederum dazu, dass sich der Schwerhörige, dem diese Interpendenz nicht bewusst ist, in seinem<br />
Stigma und seinem Defizit bestätigt fühlt und seine Behinderung weiterhin geheim hält (Rien, 2007, S.<br />
31).<br />
5.3 Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />
45 Nennungen, da<strong>von</strong> 32 Erwachsene und 13 Jugendliche<br />
• Vermeidung und Verdrängung: K8, K9<br />
• Reflexion und Planung: K10, K11, K12, K13<br />
44
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
5.3.1 Überkategorie „Vermeidung und Verdrängung“ und die Kategorien K8 und K9<br />
- Es besteht kein Bestreben an einer unangenehmen Situation etwas zu verbessern.<br />
- Sich <strong>von</strong> andern und der Situation zurückziehen, sich damit abfinden, nicht in die Aktion treten.<br />
- Etwas verdecken, so tun als ob, eine Scheinwelt, Scheinwahrheit aufrechterhalten.<br />
- Sich Schwierigkeiten nicht bewusst machen, nicht darüber sprechen, sie verdängen.<br />
Vermeidung und<br />
Verdrängung<br />
Anzahl Nennungen<br />
Erwachsene<br />
7%<br />
Jugendliche<br />
20%<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K8<br />
sich andern nicht mitteilen,<br />
Rückzug<br />
K9<br />
Schwerhörigkeit verstecken<br />
5 2xES, EM, EE 4 EL 1<br />
7 2xJP, JC 3 2x JC, JD, JM 4<br />
12 Insgesamt 12 7 5<br />
Abbildung 13: <strong>Copingstrategien</strong> „Vermeidung und Verdrängung“, Kategorien 8-9<br />
Vor allem die Jugendlichen wählten Vermeidungs- und Verdrängungsstrategien. Die erwachsenen<br />
befragten Personen nutzen diese Strategie selten. Es scheint, dass sie über stärkere<br />
lösungsorientierte Strategien verfügen.<br />
5.3.1.1 K8 Sich andern nicht mitteilen, Rückzug<br />
Definition der Copingstrategie K8<br />
Sich <strong>von</strong> der Umwelt zurückziehen. Sich anderen nicht mitteilen. Mit den Gefühlen alleine sein wollen.<br />
Problemen ausweichen und sie nicht benennen.<br />
Beispiele<br />
„Ich habe während der Schulzeit etwa ¾ nicht verstanden“ (EM, früher).<br />
„Als ich im Kindergarten ausgelacht wurde, habe ich mich einfach abgewendet <strong>von</strong> den andern,<br />
versuchte sie zu ignorieren“ (JC, früher).<br />
„Ich musste mich wieder anpassen und mein Bestes geben“ (ES, früher).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Alle vier Aussagen der Erwachsenen beziehen sich auf früher. Die Jugendlichen machte drei<br />
Aussagen zu Strategien in dieser Kategorie. Ein Jugendlicher findet es nach wie vor unmöglich, seine<br />
Emotionen zu zeigen und der Rückzug bietet mehr Sicherheit. „Ich zeige meine Gefühle nicht und<br />
sage meine Meinung nicht“(JP). Der Rückzug ist eine Folge <strong>von</strong> Enttäuschungen und die Ohnmacht,<br />
sich mit allen Persönlichkeitsanteilen zu zeigen. Wenn immer wieder erlebt wird, dass man wenig bis<br />
nichts versteht, zieht man sich zurück wie das EM tat. „Irgendwann zog ich mich auch zurück und<br />
fragte nicht mehr nach.“ Dieser Schüler weiss, dass er vieles nicht versteht. Die<br />
45
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Kommunikationsprobleme nimmt er wahr und sieht keine Chance, in der Klasse mit den anderen<br />
mitzuhalten. Gerade im Alter <strong>von</strong> 13 bis 17 Jahren setzt bei Jugendlichen eine neue Dimension des<br />
Wahrnehmens ein, die Reflektionsfähigkeit nimmt zu und das „Nichtdazugehören“ wird sehr deutlich<br />
wahrgenommen. Gerade in diesem Alter ist der Austausch und das Sich- Erproben in der<br />
Kommunikation mit Gleichaltrigen sehr wichtig. Viele Jugendliche können dank guter Strategien im<br />
Unterricht folgen. Auf dem Pausenplatz wird es dann schwieriger und da sind sie oft alleine. „Ich war<br />
oft sehr traurig, weil ich alleine war. Ich zog mich zurück,“ erzählte ES. Sie meinte weiter, dass sie<br />
damals nicht wusste, was los war. In der Primarschule sei sie auch noch nicht fähig gewesen ihre<br />
Gefühle zu formulieren, sie sei ratlos gewesen, wie dies die folgende Aussage zeigt: „Ich war in Panik<br />
ausgebrochen, als ich in die Schule musste. Es gab nicht wirklich einen Grund. Also ging ich nicht<br />
mehr zur Schule, ich weigerte mich“(ES).<br />
Lazarus schreibt: „ Das Individuum, dass durch eine aktuelle Transaktion bedroht ist, kann die<br />
bewertete Bedrohung bewältigen, indem sie sie leugnet, sich psychologisch <strong>von</strong> ihr distanziert …, und<br />
auf diese Weise eine weitgehend selbsterzeugte und selbsttäuschende Neubewertung vollzieht“<br />
(1966, zitiert nach Nitsch, J. R. 1981, S. 241). Dadurch kann ursprünglich Bedrohendes abgewendet<br />
und als nichtbedrohend bewertet werden.<br />
5.3.1.2 K9 Die Schwerhörigkeit verstecken<br />
Definition der Copingstrategie K9<br />
Nicht zur eigenen Schwerhörigkeit stehen, sie auch in schwierigen Situationen nicht erwähnen.<br />
Die Hörgeräte verstecken oder sie nicht tragen.<br />
Beispiele<br />
„ Früher habe ich meine HG versteckt und wollte, dass niemand weiss, dass ich schwerhörig bin“(JC).<br />
„ In der ersten Klasse war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte, da habe ich sie auch schon<br />
nicht getragen, da hörte ich nicht gut“ (JC).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Eine erwachsene und vier jugendliche Personen wählten diese Copingstrategie. Die erwachsene<br />
Person beschreibt eine Situation aus ihrer Jugend. JD beschreibt, wie es für ihn schwierig ist die<br />
eigene Behinderung dem Gegenüber transparent zu machen: „Ich muss mich anstrengen der neuen<br />
Lehrerin zu sagen, dass ich schwerhörig bin, dass es für mich nicht immer so leicht ist alles zu<br />
verstehen.“<br />
Noch schwerer ist es, zur eigenen Behinderung Zugang zu finden. Flöther meint, dass eine normale<br />
Identitätsentwicklung dann möglich ist, wenn die Hörbeeinträchtigung durch den hörgeschädigten<br />
Menschen selbst und durch Kontaktpersonen akzeptiert wird. Dies sei eine Voraussetzung, dass Hörund<br />
Kommunikationshilfen kompetent genutzt werden. Er stellt die Frage in den Raum, ob Akzeptanz<br />
nur erreicht werden kann, wenn Kontakte mit anderen Hörgeschädigten bestehen (2002). Ein<br />
erwachsener Interviewpartner (EL), den ich interviewte, hatte seine Hörbehinderung jahrelang nicht<br />
wahrhaben wollen und wenn möglich versteckt. „Im I&S Kurs habe ich nicht gesagt, dass ich<br />
schwerhörig bin. Die Leute merkten, dass mit mir etwas nicht stimmte.“ In einem Hörbehindertenlager,<br />
46
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
das er in seiner Kindheit besuchte, hatte es ihm überhaupt nicht gefallen, so dass er sich <strong>von</strong> anderen<br />
Hörbeeinträchtigten total abgrenzte und noch weniger bereit war, sich zur Behinderung zu bekennen.<br />
Er sagte sich damals etwa im Alter <strong>von</strong> zehn Jahren, „Ich will ein Hörender sein.“ Er erzählte, dass er<br />
keinen Mut hatte zu seiner Schwerhörigkeit zu stehen. Das habe sich erst mit 24 Jahren geändert, als<br />
er mit einer Gruppe <strong>von</strong> schwerhörigen Jugendlichen in Kontakt kam. Diese Kontakte seien sehr<br />
wichtig gewesen.<br />
Leonhardt beschreibt in einem Fachbeitrag die schulische Integration hörgeschädigter Schüler aus<br />
Sicht der Lehrer und schreibt, dass die Lehrer die Akzeptanz und das Tragen der technischen<br />
Hörhilfen für einen Schlüssel zum Erfolg im schulischen Alltag anschauen. Es fällt den Lehrern aber<br />
auch auf, dass viele Schüler ihre Hörgeräte möglichst so tragen, dass sie nicht auffallen und teilweise<br />
werden die Mikroport - Anlagen <strong>von</strong> den Schülern abgelehnt mit der Begründung, dass sie störend<br />
oder unnütz seien (2005, S. 32). Auch die Schülerin JM erzählte: „Wenn ich die Hörgeräte trage, höre<br />
ich schon besser, aber ich habe sie lange nicht getragen.“ Die Sichtbarkeit der körperlichen<br />
Schädigung, meint Ortland, ist häufig der Grund zur Kontaktvermeidung. In der Pubertät ist die<br />
körperliche Attraktivität sehr wichtig, da diese in hohem Mass das Selbstwertgefühl und die<br />
Selbsteinschätzung bestimmt. Gewisse Formen des Stigma-Managements lassen nur einen<br />
begrenzten Spielraum offen, um negative ablehnende Erfahrungen zu vermeiden. Gerade weniger<br />
sichtbare Formen <strong>von</strong> Behinderungen kann man verdecken, langfristig stehen diese Menschen aber in<br />
einem Rollenkonflikt (2006).Silke Stein ist selbst schwerhörig und meint, je normaler und<br />
problemloser man vordergründig auf andere wirke, desto grösser würden oft die Schwierigkeiten, weil<br />
die Schwerhörigkeit vom Umfeld total übersehen wird. Ebenso sei es wichtig, Hörbehinderten die<br />
Chance zu geben, ihre kommunikativen und sozialen Fähigkeiten ohne Vorzeichen der Behinderung<br />
kennen zu lernen. So könne es möglich werden, dass sie unterscheiden lernen, welche ihrer<br />
Probleme auf die Hörbeeinträchtigung zurückzuführen sind und welche nicht (1999, S. 283).<br />
Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung versuchen sich möglichst angepasst und unauffällig zu<br />
verhalten. Dies gelingt ihnen erstaunlicherweise gut mit Ausreden und Tricks. In der Pubertät werden<br />
die Hörhilfen oft abgelegt. Die Jugendlichen verdrängen ihre Behinderung um den „normalen“ Schein<br />
zu wahren. Jugendliche wollen so sein wie andere. Dieses Verhalten ist verständlich, denn es fehlen<br />
Vorbilder. Meistens machen diese Jugendlichen keine Erfahrungen mit Menschen, die zugeben<br />
können, dass sie etwas nicht verstanden haben, dass sie müde sind, anderen ihre<br />
Hörbeeinträchtigung zu erklären oder um etwas zu bitten (Hintermair, 1996, S. 103).<br />
5.3.2 Überkategorie „Reflexion und Planung“ und die Kategorien K10 - K14<br />
Die eigenen <strong>Copingstrategien</strong> werden reflektiert. Dadurch werden bestimmte Verhaltens- oder<br />
Arbeitstechniken dazu lernen und angewendet. Somit ist ein planvolles Vorgehen möglich. Reflexion<br />
und Planung dienen als Grundlage für Handlungsstrategien.<br />
47
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Reflexion und Planung<br />
Anzahl Nennungen<br />
Erwachsene<br />
37%<br />
Jugendliche<br />
17%<br />
Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />
K10<br />
Hör- und<br />
Kommunikationsstrategien<br />
27 7xEM,<br />
4xES,<br />
2xEE,<br />
K11<br />
Entspannen<br />
13 2xES<br />
2xEM<br />
K12<br />
Mehraufwand<br />
betreiben<br />
4 4xES,<br />
EM, EL<br />
K13<br />
Denken – abwägen -<br />
adäquate Strategien<br />
entwickeln<br />
6 3xEM<br />
ES<br />
6 JP2xJC 3 2xJM 2 0 JP 1<br />
33 Insgesamt 33 16 6 6<br />
Abbildung 14: <strong>Copingstrategien</strong> „Reflexion und Planung“<br />
5.3.2.1 K10 Hör- und Kommunikationsstrategien<br />
Definition der Copingstrategie K10<br />
Informationen aus verschiedenen Quellen werden kombiniert und verknüpft. Daraus werden<br />
Schlussfolgerungen gezogen. Es werden Hör- und Kommunikationsstrategien angewendet, die zu<br />
einer verbesserten Informationsaufnahme führen sollen. Der schwerhörige Jugendliche oder<br />
Erwachsene ist selber darum bemüht.<br />
Beispiele<br />
„Ich versuche Wortfetzen zu verstehen und sie zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen“(ES).<br />
„Ich war wirklich ein Meister im Kombinieren geworden. Ich kann mit sehr wenigen Informationen<br />
auskommen und bekomme meistens die richtigen Zusammenhänge mit“(ES).<br />
„Ich merke mir stichwortartig, um was es im Gespräch geht. Bis ich kombiniert habe, geht es eine<br />
Weile“(EM).<br />
„Ich lese <strong>von</strong> den Lippen ab, das hilft mir zu verstehen, was jemand sagt“(JC).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
13 Erwachsene und drei Jugendliche wählten diese Copingstrategie. Hier ist offensichtlich, dass diese<br />
Strategie <strong>von</strong> den Erwachsenen bevorzugt wird. Man kann annehmen, dass dies mit der<br />
Lebenserfahrung der Erwachsenen zu tun hat und der Auseinandersetzung mit der<br />
Hörbeeinträchtigung, mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen und deren Umsetzung und<br />
Anwendung. Wisotzki schreibt, dass Menschen mit einer Schwerhörigkeit aufgrund der<br />
bruchstückhaften auditiven Wahrnehmung einen erhöhten Konzentrationsaufwand leisten müssen und<br />
es trotzdem zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen kommt. Das Verständnis wird durch<br />
verschiedene Fakten erheblich eingeschränkt: durch ein schlechtes Mundbild, durch eine undeutliche<br />
4<br />
5<br />
48
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Sprache, durch komplizierte sprachliche Zusammenhänge, schlechte Raum- und Lichtverhältnisse<br />
oder Störschall (1993, S.2).<br />
Die Strategie, sich auf die Lehrperson als zuverlässige Informationsquelle zu berufen, ist mehrmals<br />
erwähnt worden. „In der Schule habe ich mich auf den Lehrer konzentriert und gut zugehört. Das was<br />
die Klasse sagte, hörte ich vielfach nicht. Ich machte dann einfach Pause, wenn Klassenbeiträge<br />
kamen, damit ich mich nicht zusätzlich belastete damit. Ich setzte Prioritäten“(EM). Diese junge Frau<br />
erzählte, dass sie sich irgendwann nicht mehr bemüht hatte, die Klassengespräche und Beiträge zu<br />
decodieren, da sie nur sehr wenig da<strong>von</strong> verstand und der Aufwand sich nicht lohnte. Sie hatte<br />
gelernt sich zu entspannen statt sich aufzuregen. Um sich in der hörenden und schwerhörigen Welt<br />
bewegen zu können, braucht es Flexibilität und Wissen über die Lebenswelten <strong>von</strong> Hörenden und<br />
<strong>Schwerhörigen</strong>. Daher ist es in Gesprächssituationen wichtig, die eigenen Unsicherheiten und jene<br />
des hörenden Gegenübers zu kennen. Oft kann ein Gespräch besser gelingen, wenn man den<br />
Hörenden klare Hinweise zur Gesprächsgestaltung gibt. Schröder meint, dass es eine Menge an<br />
Selbstvertrauen und Energie voraussetzt, um den Unsicherheiten hörender Gesprächspartner<br />
entgegenzukommen und ihnen konkrete Anleitungen zur Kommunikation mit <strong>Schwerhörigen</strong> zu<br />
geben. Es gilt nicht nur Kommunikationsbedingungen aktiv mitzugestalten, sondern auch Grenzen zu<br />
erkennen, um nicht sinnlos Kräfte zu vergeuden (2001).<br />
Eine weitere Aussage derselben Person dokumentiert, dass die Situation im Unterricht, früher wie<br />
heute, sehr viel Unsicherheit mit sich brachte, dass sie nie sicher war, ob sie alles verstanden hätte.<br />
„Ich habe mich durchgeschlängelt und beschlossen, nur auf den Lehrer zu hören“(EM.) Sie sagte, es<br />
sei nicht einfach zu wissen, was man nachfragen solle. Der ganze Inhalt eines Gesprächs sei<br />
meistens überflüssig und oft wolle sie nur bestimmte Informationen hören und sie wisse ja nie zuvor,<br />
was für sie <strong>von</strong> Interesse sei. EE spricht neben Lautsprache auch Gebärdensprache und sie erzählt,<br />
dass sie ganz bewusst auf die Körpersprache ihres Gesprächspartners achtet, dass ihr das viele<br />
zusätzliche Informationen liefert. „Ich interpretiere die Kommunikationshaltung und die Mimik meiner<br />
Gesprächspartner, ich habe die visuellen Hilfen gelernt zu nutzen“(EE.) Je mehr Kommunikationsund<br />
Hörstrategien gewählt werden, je flexibler sie angewendet werden können, je mehr sich der<br />
Schwerhörige Grenzen und Erholungsphasen gönnen kann, desto zufriedener und ausgeglichener<br />
kann er sein Leben gestalten.<br />
Die hohe Anzahl Nennungen lässt vermuten, dass die erwachsenen Interviewpartner ihre<br />
Kommunikations- und Hörstrategien verbessert haben und sie recht flexibel anwenden können. Hinzu<br />
kommt, dass es für sie enorm wichtig ist, zu verstehen, was sich bei der Nachfrage über schwierige<br />
Situationen gezeigt hat. Als schwierige Situationen wurde S3 (akustisch nicht verstehen können) und<br />
S4 (unsicheres Kommunikationsverhalten) genannt. So wie sie mir erzählten, sind sie heutzutage<br />
viel eher in der Lage in sozialen Kontakten mit ihren Schwierigkeiten und Ängsten angemessen<br />
umzugehen. Dies wiederum gibt ihnen ein Gefühl <strong>von</strong> Kohärenz und ermutigt zu neuen Schritten.<br />
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5.3.2.2 K11 Entspannen<br />
Definition der Copingstrategie K11<br />
Durch Entspannung wird körperlicher und emotionaler Stress reduziert und ein grösseres<br />
Wohlbefinden herbeigeführt.<br />
Beispiele<br />
„Die Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in die Yogastunde und der<br />
Körper ist wieder neu geboren“(ES).<br />
„Ich habe beim Schwimmwettbewerb gut durchgeatmet, das Meridianklopfen gemacht“(JM).<br />
„Ich verliere aber den Faden immer wieder und versuche zurückzulehnen. Ich habe auch gelernt zu<br />
akzeptieren, dass ich eben nicht alles verstehe und trotzdem den Abend geniessen kann“(EM).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Vier Erwachsene und zwei Jugendliche nannten diese Strategie, insgesamt vier weibliche und zwei<br />
männliche Personen. Eine Hörbeeinträchtigung bringt erwiesenermassen eine Mehrbelastung mit<br />
sich. Die Befragten wenden bewusst Entspannungstechniken an, um Belastungen zu mindern und<br />
wieder ein Gefühl des Wohlbefindens zu bekommen. Die Entspannungstechniken sind sehr<br />
verschieden. Der Interviewpartner ES betreibt Yoga um ganz bei sich zu sein. Er erzählte, Yoga helfe<br />
ihm, ganz im Körper zu sein. Dadurch hätte er gelernt seine Bedürfnisse wahrzunehmen und die<br />
Stimme des Körpers ernst zu nehmen. Früher hätte er alles mit dem Kopf und dem Willen getan.<br />
„Früher habe ich mich immer sehr stark ausgebeutet. Ich bin mir dessen in den letzten Jahren<br />
bewusst geworden. Ich muss mir auch Schonzeiten gönnen, Pausen einrichten. Ich gehe einmal pro<br />
Woche ins Yoga, das ist ein fixer Termin. Meine Bedürfnisse sind wichtig“(ES). Kaluza schreibt, dass<br />
bei den meisten Menschen die Sehnsucht nach Erholung vorhanden ist, ihre Erfüllung wird aber<br />
meistens auf später verschoben. Diese Sehnsucht gilt es zu wecken, um im Alltag diese Gegenwelt zu<br />
integrieren(2005 S. 63). Eine weitere Entspannungsstrategie wurde vor allem <strong>von</strong> der<br />
Interviewpartnerin (EM) genannt. Sie hat gelernt bei schwierigen Situationen auf Distanz zu gehen,<br />
einfach zu beobachten. „Ich bin offener geworden. Ich kann auch lachen, wenn ich etwas falsch<br />
verstehe ich kann auch lachen und nehme nicht alles persönlich. Ich habe eine gewisse Distanz“(EM).<br />
Auch wenn Emotionen den Kognitionen vorauseilen, so sind sie einer bewussten Reflexion zugänglich<br />
und durch Umbewertung der Situation veränderbar. Es gilt die emotional ablaufenden Emotionen<br />
einfach nur zu beobachten, ohne Wertung und Veränderungsabsichten. Es geht darum, einen Ort in<br />
sich selber zu finden, der in das Stressgeschehen nicht involviert ist, <strong>von</strong> dem es aus Distanz<br />
betrachtet werden kann. Dieser Ort kann in belastenden Situationen durch körperliche<br />
Entspannungstechniken wieder gefunden werden. Durch die Entspannung der Muskulatur können<br />
Zeichen körperlicher und emotionaler Unruhe verringert werden und alltäglichen Stresssituationen<br />
gelassener begegnet werden (Kaluza, 2005).<br />
50
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5.3.2.3 K12 Mehraufwand betreiben<br />
Definition der Copingstrategie K12<br />
Da die Probleme, die mit der Schwerhörigkeit verbunden sind, hier vor allem das „Nichtguthören“, das<br />
nur bruchstückhafte Informationen liefert, nicht gelöst werden können, wird oft mit einem<br />
Mehraufwand kompensiert. Es wird ein grosser Teil der Freizeit wird dafür verwendet.<br />
Beispiele<br />
„Ich habe in der Sek sehr viel für die Schule gearbeitet, damit ich den Stoff bewältigen konnte“(EL.)<br />
„Früher habe ich sehr viel an mir gearbeitet und mit mir selber ausgemacht“(EM).<br />
„Wie soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen?“(ES)<br />
Interpretation und Diskussion<br />
Es gab bei dieser Strategie sechs Nennungen, die alle <strong>von</strong> Erwachsenen kamen. Die Aussagen<br />
bezogen sich auf früher, vor allem auf die Schulzeit in der Oberstufe. Es wird sichtbar wie enorm<br />
gross der Aufwand war und im Nachhinein als grosse Belastung empfunden wurde, so wie das der<br />
erwachsene Interviewpartner ES beschreibt: „Am Wochenende hatte ich sehr viel gelernt. Ich hatte<br />
einen grossen Ehrgeiz, das würde ich heute nicht mehr machen“. Viele junge Schwerhörige setzen<br />
ihren ganzen Ehrgeiz in den Beruf, arbeiten überproportional viel, um in der Schule oder der<br />
Arbeitswelt zu beweisen, dass sie mithalten können. Mittel- bis langfristig strapazieren sie ihre<br />
psychische und physische Gesundheit. Es können psychosomatische Störungen auftreten, die lange<br />
Zeit nicht mit dieser permanenten Überforderung in Zusammenhang gebracht werden. Spätestens<br />
beim Eintreten ins Berufsleben, wo der junge Schwerhörige meistens nur wenig bis keine<br />
Unterstützung mehr bekommt, da erlebt er die volle Härte der Arbeitswelt und die Enttäuschung, dass<br />
trotz Lautsprache und Mehraufwand die Integration nicht ganz gelingen will (Donath,1995, S.56).<br />
Die Befragten beklagten sich auch, dass zu ihrer Schulzeit die Lehrer kaum Rücksicht genommen<br />
haben und sie sich für ihre Behinderung fast entschuldigen mussten, dass sie ein schlechtes<br />
Gewissen hatten, etwas vom Lehrer zu fordern. ES war besonders bemüht nicht aufzufallen, mit guten<br />
Leistungen seine Defizite zu kompensieren und niemandem zur Last zu fallen. „Ich hatte früher<br />
versucht perfekt zu sein, statt zu sagen, diese Schwäche ist einfach da. Ich hatte immer versucht<br />
auszugleichen, das wett zu machen, was mir fehlte, so zusagen für meine Defizite das Doppelte zu<br />
leisten. Ich wollte es allen recht machen und hatte mich permanent zu Höchstleistungen angetrieben.<br />
Heute kann ich meine Schwächen akzeptieren“. Diese Höchstleistung und das unermüdliche<br />
Bemühen brachte Lob und Anerkennung und vermittelte den Eindruck <strong>von</strong> Souveränität.<br />
Interessant ist auch die Umfrage <strong>von</strong> Annette Leonhardt bei Lehrpersonen in der öffentlichen Schule,<br />
die schwerhörige Schüler in der Klasse haben. Sie sind der Meinung, dass sie durch die Anwesenheit<br />
eines schwerhörigen Schülers keinen speziellen Mehraufwand betreiben müssen, dass sich diese<br />
Schüler meistens unauffällig benehmen und sich zu helfen wissen (2005). Hier wird deutlich, wie<br />
dieser Eindruck täuscht, denn die Mehrarbeit und die permanente Überforderung der schwerhörigen<br />
Schüler ist nicht sichtbar.<br />
51
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
5.3.2.4 K13 Denken- abwägen- adäquate Strategien entwickeln<br />
Definition der Copingstrategie K13<br />
Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer aktiven inneren Beschäftigung<br />
mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen suchen, mit dem Ziel, damit<br />
brauchbare Handlungsanweisungen zur Meisterung <strong>von</strong> Lebenssituationen zu gewinnen.<br />
(http://de.wikipedia.org/wiki/Denken 11.10.2008)<br />
Beispiele<br />
„Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir verschiedene Möglichkeiten“( JP).<br />
„Ich wähle mein Umfeld sorgfältig aus“(EM).<br />
Interpretation und Diskussion<br />
In diese Kategorie fallen fünf Nennungen <strong>von</strong> vier erwachsenen Personen und einer Jugendlichen.<br />
Die Beispiele zeigen die Bemühung richtig zu handeln, sich nicht zu über- oder unterfordern. Es<br />
werden Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen und es wird überlegt, welche Handlungsstrategie zu<br />
Erfolg führen könnten, wie das Beispiel <strong>von</strong> EM zeigt. „Ich überlege mir immer wann, wo mit wem. Ich<br />
überlege mir das immer vorher.“ Frühere Erfahrungen mit ähnlichen Situationen beeinflussen den<br />
Bewertungsprozess und die Handlung massgebend, wenn nicht eine Umbewertung der neuen<br />
Situation vorgenommen wird. Die folgende Aussage verdeutlicht, wie mit Hilfe <strong>von</strong> aussen<br />
Reflexionsprozesse und Neubewertungen gelingen können: „Ich hatte viele Jahre Psychotherapie.<br />
Durch das Nachdenken über das eigene Verhalten habe ich herausgefunden, was ich tue und nicht<br />
tue und wie ich handeln möchte“(ES). Positives Bewältigungsverhalten ist mit der Fähigkeit<br />
verbunden, eigene Kontrollmöglichkeiten der Situation entsprechend realistisch einschätzen zu<br />
können, wie dies JP sagt: „Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir<br />
verschiedene Möglichkeiten.“<br />
52
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
6. Schlussteil<br />
Im Folgenden werden die aus dem empirischen Teil hervorgegangenen wichtigsten Ergebnisse<br />
zusammengefasst und zueinander in Bezug gesetzt.<br />
Im 5. Kapitel wurden die <strong>von</strong> den Interviewten genannten schwierigen Situationen in vier Kategorien<br />
(S 1, S 2, S 3, S 4) unterteilt und je einzeln beschrieben und interpretiert.<br />
Im 6. Kapitel wurden die Aussagen der Interviewten, wie sie die schwierigen Situationen bewältigen,<br />
in 13 <strong>Copingstrategien</strong> (K 1 bis K 13) unterteilt. Jede Strategie wurde jeweils definiert, die Anzahl<br />
Nennungen zu jeder Kategorie dargelegt, interpretiert und diskutiert. Zudem wurden zu jeder<br />
Kategorie bzw. Copingstrategie jeweils wörtliche Zitate mit exemplarischem Charakter angefügt,<br />
sodass sich der Leser konkret etwas darunter vorstellen kann.<br />
Indem in diesem Schlusskapitel Kategorien übergreifende Querbezüge geschaffen werden, soll eine<br />
Grundlage für die Anwendung der Erkenntnisse in der Praxis geschaffen werden.<br />
6.1 Überprüfung der Hypothesen<br />
Beide Hypothesen konnten verifiziert werden.<br />
1. Hypothese<br />
Erwachsene haben quantitativ mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Wahl, da sie über eine längere<br />
Lebenserfahrung verfügen als jugendliche Schwerhörige.<br />
Durch die Auszählung der Aussagen aus den Interviews wird deutlich, dass die erwachsenen<br />
<strong>Schwerhörigen</strong> 73 Nennungen zu <strong>Copingstrategien</strong> machten, im Gegensatz zu nur 35 Aussagen, die<br />
<strong>von</strong> den jugendlichen Befragten geäussert wurden. Der Vergleich bestätigt, dass die Erwachsenen<br />
quantitativ beinahe doppelt so viele <strong>Copingstrategien</strong> nannten, wie die Jugendlichen.<br />
Kritisch zu bedenken wäre allerdings, ob Jugendliche tatsächlich weniger Strategien zur Verfügung<br />
haben oder ob sie - verglichen mit den Erwachsenen - einfach ein noch weniger differenziertes<br />
Reflexions- und Artikulationsvermögen, haben. In diese Richtung denkt auch Salisch, wenn er darauf<br />
hinweist, dass „Kinder bereits Strategien real anwenden, ohne sie verbalisieren zu können“ (2000,<br />
zitiert nach Seiffge-Krenke 2007, S. 87)<br />
2. Hypothese<br />
Erwachsene Schwerhörige verfügen über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> als jugendliche<br />
Schwerhörige.<br />
Die <strong>Copingstrategien</strong> der jugendlichen und erwachsenen Interviewten wurden 13 selbst definierten<br />
Kategorien zugeordnet. Die erwachsenen Personen nannten Strategien zu allen 13 Kategorien, die<br />
Jugendlichen hingegen nur zu zehn Kategorien. Dies ist ein erster Hinweis, dass Erwachsene nicht<br />
53
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
nur über quantitativ mehr, sondern auch über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> verfügen. Wenn wir<br />
nun die Auswertungen im Einzelnen heranziehen, dann zeigt sich bei der Kategorie K 3 (Kooperation<br />
mit Gleichbetroffenen), bei K5 (abwägend-zurückhaltende Konfrontation) und bei K 12 (Mehraufwand<br />
betreiben) ein erheblicher Unterschied. Bei den Erwachsenen sind bei K3 sechs, bei den<br />
Jugendlichen null Aussagen, beziehungsweise bei K5 sechs und null, bei K 12 sechs und null zu<br />
verzeichnen. Im Vergleich zu den Erwachsenen nennen Jugendliche also nicht zu allen Kategorien<br />
<strong>Copingstrategien</strong>.<br />
6.2 Beantwortung der Fragestellungen<br />
6.2.1 Welches sind für schwerhörige Jugendliche und Erwachsene schwierige<br />
Situationen?<br />
Wie in der Einleitung erwähnt sind Jugendliche vermehrt Stresssituationen ausgesetzt, da sie sich<br />
einerseits mit den Veränderungen infolge der Adoleszenz auseinandersetzen und andererseits durch<br />
die Schwerhörigkeit einen Mehraufwand betreiben müssen. Die Erwachsenen nannten mehr<br />
schwierige Situationen als die Jugendlichen.<br />
Die Einstiegsfragestellung bei den Interviews befasste sich mit der Frage nach schwierigen<br />
Situationen im Leben der jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>. Rein quantitativ nannten die<br />
Erwachsenen 20 schwierige Situationen, die Jugendlichen nur sechs.<br />
Zur Veranschaulichung der Resultate möchte ich auf die Abbildung 3 auf Seite 26 verweisen.<br />
Grundsätzlich kann man da<strong>von</strong> ausgehen, dass Erwachsene aufgrund ihrer reicheren<br />
Lebenserfahrungen einen höheren Grad an bewusster Wahrnehmung und Reflexion aufweisen wie<br />
die Jugendlichen. Dies spiegelt sich in der quantitativen Auswertung und entspricht zudem in hohem<br />
Ausmasse der unmittelbaren Wahrnehmung bei der Durchführung der Interviews. In diesem<br />
Interaktionsprozess wurde offenkundig, dass es den Erwachsenen leichter fiel, ihre Wahrnehmung zu<br />
artikulieren und in Begriffe zu fassen.<br />
Im Folgenden sind die wesentlichen quantitativen Resultate der empirischen Studie aufgeführt:<br />
• Bei den Jugendlichen stehen mit Abstand an erster Stelle die Ausgrenzungssituationen<br />
(50%).<br />
• Bei den Erwachsenen ist die Verteilung in die vier Kategorien (S1, S2, S3, S4)<br />
gleichmässiger als bei den Jugendlichen.<br />
• Bei den Erwachsenen wurde am meisten genannt: Schwierigkeit, wie sie mit der<br />
Schwerhörigkeit umgehen sollen (35%).<br />
• An zweiter Stelle ist sowohl bei den Erwachsenen wie bei den Jugendlichen (30% bzw. 34%<br />
der Nennungen) die Kategorie S3 (aufgrund der Schwerhörigkeit akustisch nicht<br />
verstehen können).<br />
• Speziell zu erwähnen ist die Kategorie S 2 (fehlende Empathie und Rücksichtnahme aus<br />
der Umwelt) Hier gab es null Nennungen bei den Jugendlichen gegenüber 25 % der<br />
Erwachsenen.<br />
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Diese Resultate sind auch aus qualitativer Sicht durchaus nachvollziehbar. Dass<br />
Ausgrenzungssituationen bei den Jugendlichen eine Hauptthematik ausmachen, ist bereits augrund<br />
der Entwicklungspsychologie klar nachzuweisen. In dieser Phase sind Kinder und Jugendliche stark<br />
abhängig <strong>von</strong> Bezugspersonen. Klassenkameraden sind wichtige Kontakte und bieten erste<br />
Erfahrungen ausserhalb des Familiensystems. Jugendliche können, im Gegensatz zu Erwachsenen,<br />
ihr Bezugssystem noch nicht ganz frei wählen. Menschen in der Nachbarschaft und in der Klasse sind<br />
gegeben, man ist ihnen auf Gedeih und Verderben ausgesetzt. Hier ergibt sich bereits ein erster<br />
Querbezug zu den gewählten <strong>Copingstrategien</strong>. Die am häufigsten erwähnte Copingstrategie der<br />
Jugendlichen ist K1 (Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen).<br />
Auffallend ist, dass bei S 2 (fehlende Empathie und Rücksichtnahme aus der Umwelt) <strong>von</strong> den<br />
Jugendlichen keine Nennungen erfolgten. Dieses quantitative Resultat ist aus meiner Sicht kritisch zu<br />
reflektieren. Aus qualitativer Sicht könnte diese Nullnennung auch dadurch begründet sein, dass die<br />
Jugendlichen diese Situationen wie die Erwachsenen emotional zwar wahrnehmen, aber ihre noch<br />
mangelnde Reflexions- und Artikulationsfähigkeit noch wenig ausgeprägt ist. Hätte man explizit<br />
danach gefragt, wäre die Wahrscheinlichkeit wohl gross gewesen, dass die Jugendlichen hierzu auch<br />
Aussagen gemacht hätten.<br />
6.2.2 Beantwortung der Forschungsfrage<br />
Mit welchen Strategien meistern schwerhörige Jugendliche und schwerhörige jüngere Erwachsene<br />
schwierige Situationen?<br />
6.2.2.1 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Jugendliche schwierige Situationen?<br />
Es zeigt sich, dass jugendliche Schwerhörige vor allem aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (63%)<br />
verwenden. Innerhalb der aussenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> machen die kooperativen<br />
<strong>Copingstrategien</strong> (K1, K2, K3) 28% aus. Sie wurden <strong>von</strong> den Jugendlichen am häufigsten genannt,<br />
knapp gefolgt <strong>von</strong> den konfrontativen <strong>Copingstrategien</strong>.<br />
Es bestätigt sich einmal mehr, dass Jugendliche vermehrt auf soziale Ressourcen wie die Familie,<br />
Freunde und Bezugspersonen angewiesen sind, um erfolgreich mit schwierigen Situationen umgehen<br />
zu können. Es findet eine Bereitschaft zu Kompromissen und auch zur Anpassung statt. Die<br />
Jugendlichen erwähnten recht häufig erlebte Ausgrenzungssituationen, was einen direkten<br />
Zusammenhang aufweist mit dem Bedürfnis, sozial anerkannt und eingebettet zu sein.<br />
Dass die konfrontativen <strong>Copingstrategien</strong> (K 4 offene und direkte Konfrontation und K 5 abwägendzurückhaltende<br />
Konfrontation) rein quantitativ an zweiter Stelle stehen und insgesamt 20 % aller<br />
andern Strategien ausmachen, ist kritisch zu hinterfragen. Auch hier muss für die Interpretation die<br />
qualitative Auswertung zu Hilfe genommen werden. Denn tatsächlich kam diese Anzahl Nennungen<br />
praktisch ausschliesslich aufgrund der Aussagen <strong>von</strong> einem einzelnen Jugendlichen (JD) zustande.<br />
Wenn wir die sieben Aussagen der der innenorientierten Überkategorie Vermeidung- und<br />
Verdrängung (K8 und K9) näher betrachten, dann fällt im Gegensatz zur oben beschriebenen<br />
Überkategorie (Konfrontation) auf, dass alle Jugendlichen Aussagen machen.<br />
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Hier macht es Sinn, einen Querbezug zur Fragestellung bezüglich des Lernprozesses herzustellen. Es<br />
ist durchaus funktional, dass die Vermeidungsstrategien längerfristig reduziert und durch andere<br />
Strategien ersetzt werden. Dies zeigt sich bereits bei den Aussagen der Jugendlichen, indem sich die<br />
Aussagen <strong>von</strong> K8 (sich andern nicht mitteilen, Rückzug) auf früher, d.h. auf schwierige Situationen<br />
aus der Kindheit beziehen. Noch öfters wurde die Hörbeeinträchtigung versteckt und die<br />
Auseinandersetzung damit vermieden. Das zeigt sich bei der Kategorie K9 Schwerhörigkeit<br />
verstecken, hier gab es <strong>von</strong> den Jugendlichen eindeutig mehr Nennungen als bei den Erwachsenen.<br />
Auch die Studie <strong>von</strong> Seiffge-Krenke (2007) bestätigt, dass vor allem die besonders stressreichen und<br />
wenig kontrollierbaren Ereignisse, häufig zu Rückzug führen und dass dies vor allem in der frühen<br />
Adoleszenz der Fall ist. Gut kontrollierbare Ereignisse führen verstärkt zu Handlungen.<br />
Innerhalb der innenorientierten Strategien ist noch die Überkategorie Reflexion und Planung zu<br />
erwähnen. Sie weist relativ wenige Nennungen auf. Einmal mehr eine Bestätigung, dass die<br />
kognitiven und reflexiven Fähigkeiten noch stark in der Entwicklung begriffen sind und sich gerade in<br />
diesem Altersegment der 13- bis 17-Jährigen, bezüglich Reflexions- und Problemlösungsfähigkeit,<br />
noch grosse Unterschiede zeigen. Es ist bereits in den Interviews aufgefallen, dass die Jugendlichen<br />
teilweise Mühe hatten, differenziert über ihre Strategien Auskunft zu geben. Hier könnte auch noch<br />
weiter differenziert werden: Die beiden 13-Jährigen zählten weniger Strategien auf als die beiden 16-<br />
Jährigen. Die Jüngeren benutzten sehr wohl Strategien, ohne je zuvor darüber reflektiert oder sie<br />
verbalisiert zu haben. Die ältere Gruppe der Jugendlichen verwendete häufiger kognitive Strategien<br />
und war in der Lage, über Problemlösungen nachzudenken und verschiedene Strategien<br />
gegeneinander abzuwägen und Auskunft über ihre Denkprozesse zu geben.<br />
6.2.2.2 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Erwachsene schwierige Situationen<br />
Das Verhältnis zwischen aussenorientierten und innenorientierten Strategien liegt bei den<br />
Erwachsenen im Verhältnis <strong>von</strong> 56% zu 44 %. Rein zahlenmässig dominieren also auch bei den<br />
Erwachsenen die aussenorientierten Strategien. Allerdings verzeichnet die Überkategorie<br />
Reflexion und Planung am meisten Nennungen: 27 Nennungen was 37% aller Aussagen entspricht.<br />
Und diese Überkategorie (mit den Kategorien: K 10 - Hör- und Kommunikationsstrategien, K11 –<br />
Entspannen, K12 – Mehraufwand betreiben, K13 – Denken- abwägen- adäquate Strategien abwägen<br />
) ist den innenorientierten Strategien zugeordnet. Augenfällig ist, dass diese Kategorien wesentlich<br />
stärker besetzt sind als bei den Jugendlichen. Dies bestätigt einmal mehr, dass sich die befragten<br />
Erwachsenen durch eine hohe Reflexions- und Artikulationsfähigkeit auszeichnen. Das heisst, dass<br />
viele Erwachsene im Alter <strong>von</strong> 27 bis 32 Jahren fähig sind, Zusammenhänge zwischen Kognitionen,<br />
Emotionen und Verhalten zu erkennen und Neubewertungen vornehmen können. Innerhalb dieser<br />
Überkategorie gibt es eine klare Dominanz, nämlich <strong>von</strong> der Kategorie K10 Hör- und<br />
Kommunikationsstrategien. Wie in Kapitel 5.3.2.1 beschrieben, wurden in diesem Bereich am<br />
meisten Strategien genannt, was einen direkten Zusammenhang hat mit den erwähnten schwierigen<br />
Situationen im Bereich des akustisch Nichtverstehens und mit der Schwierigkeit, wie mit der<br />
Schwerhörigkeit umgegangen werden soll. Hier zeigt sich eindrücklich, wie die Erwachsenen im Laufe<br />
des Lebens Strategien und Kompetenzen entwickelt haben, die ihnen vor allem im Bereich „Hören<br />
und Verstehen“ helfen. Hier wird klar ein Lernprozess in Richtung Wissenszuwachs sichtbar.<br />
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Die zweite Überkategorie Vermeidung und Verdrängung wird nur noch geringfügig verwendet (7%).<br />
Damit kann auch der Bezug geschaffen werden zu den aussenorientierten Strategien, die - wenn<br />
auch in geringerem Ausmasse als bei den Jugendlichen - auch bei den Erwachsenen dominieren.<br />
Dabei sind die Nennungen zur Überkategorie Konfrontation (26%) am höchsten. Die Erwachsenen<br />
können ihre Meinung äussern, Bedürfnisse einfordern oder abwägen und Kontext bezogen handeln.<br />
Die Namenscodes sind bei ihnen in dieser Überkategorie (im Gegensatz zu den Jugendlichen)<br />
gleichmässig verteilt, d.h. alle nennen <strong>Copingstrategien</strong>.<br />
6.2.2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> schwerhörigen 13- bis<br />
17-jährigen Jugendlichen und 27- bis 32-jährigen Erwachsenen<br />
Vergleichen wir nun die Strategien der Erwachsenen mit jenen der Jugendlichen, dann fällt<br />
zusammenfassend Folgendes auf:<br />
Gemeinsames:<br />
• Beide Zielgruppen verwenden mehr aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>.<br />
• Beide Gruppen verwenden die Kategorie „sachlich informieren“ relativ wenig (prozentualer<br />
Anteil bei beiden Gruppen in Relation zur Gesamtmenge genau gleich, nämlich 15%).<br />
Unterschiede:<br />
• Eindeutige Unterschiede zeigen sich bei der Kategorie „Vermeidung und Verdrängung“<br />
(Erwachsene 7% und Jugendliche 20%)<br />
• Die innenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> (44%) sind bei den Erwachsenen stärker vertreten als<br />
bei den Jugendlichen (37%).<br />
• Am meisten Nennung sind bei den Erwachsenen bei der innenorientierten Überkategorie<br />
„Reflexion und Planung“ zu verzeichnen. Bei den Jugendlichen steht die aussenorientierte<br />
Überkategorie „Kooperation“ an erster Stelle.<br />
• Dass die Erwachsenen gegenüber den Jugendlichen einen Lernprozess durchlaufen haben,<br />
zeigt sich spezifisch auch bei der starken Besetzung <strong>von</strong> K 10 (Hör- und<br />
Kommunikationsstrategien):13 Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen gegenüber lediglich drei<br />
Nennungen der Jugendlichen. Dieser doch markante Unterschied ist durchaus plausibel und<br />
erklärbar. Die Erwachsenen haben im Laufe ihres Lernprozesses Strategien entwickelt, um<br />
die schwierigen Situationen zu mildern, die sich aufgrund der Hörbehinderung (akustisch nicht<br />
wahrnehmen und verstehen können) ergeben.<br />
• Auch bei der Kategorie K 12 (Mehraufwand betreiben) ist ein markanter Unterscheid bei den<br />
Nennungen feststellbar (Erwachsene sechs, Jugendliche null Nennungen). Dass alle aufgrund<br />
ihrer Schwerhörigkeit einen Mehraufwand betreiben müssen ist offensichtlich. Auch hier<br />
können nur die Erwachsenen diesen Mehraufwand erkennen und verbalisieren, was einmal<br />
mehr mit dem bereits stärker entwickelten Bewusstsein der Erwachsenen gegenüber den<br />
Jugendlichen zu tun hat.<br />
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• Ein weiterer markanter Unterschied zeigt sich auch bei Kategorie K5 (abwägendzurückhaltende<br />
Konfrontation).. Hier zählen wir sechs Nennungen der Erwachsenen<br />
gegenüber null Nennungen der Jugendlichen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die<br />
Erwachsenen es besser verstehen, Vor- und Nachteile abzuwägen und aufgrund ihrer<br />
variantenreicheren Strategien situationsadäquater und flexibler agieren können.<br />
6.3 Beantwortung der untergeordneten Fragen<br />
Die Jugendlichen und Erwachsen wurden im Interview gefragt, ob sie sich einer Verbesserung ihrer<br />
<strong>Copingstrategien</strong> bewusst sind. Exemplarische Antworten sind unten aufgeführt.<br />
6.3.1 Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer<br />
eigenen Strategien bewusst?<br />
• „ Ich denke ich bin noch mutiger geworden, ich war es schon früher. Als Kind ging ich bereits<br />
alleine zum Arzt. Es ist alles <strong>von</strong> alleine gekommen, ich habe nichts dazu beigetragen“(JD).<br />
• „ Früher hatte ich sehr grosse Angst und dachte, dass ich Fehler machen könnte oder nicht<br />
gut genug bin. Heute ist das besser“(JM).<br />
• „ Heute habe ich mehr Möglichkeiten als früher. Ich habe immer nur zu einer Person<br />
gesprochen in der Schule, heute frage ich auch andere. Allgemein hat sich viel verbessert, es<br />
ist aber noch nicht gut. Ich frage in der Schule häufiger nach als früher, aber aufstrecken tue<br />
ich nicht und ich werde es auch nie tun. Ich bin heute im Unterricht aufmerksamer, früher war<br />
ich meistens abwesend“(JP).<br />
• „Ich kann heute verschiedene Menschen nach Informationen fragen, oder kann auch<br />
abwarten“ (JC).<br />
Die Aussagen zeigen, dass zwei Jugendliche mehr Selbstvertrauen und mehr Mut entwickelt haben.<br />
Zwei Jugendliche können besser nachfragen.<br />
6.3.2 Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer<br />
eigenen Strategien bewusst?<br />
• „ Ich habe mehr Selbstbewusstsein und Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber<br />
entwickelt. Ich kann jetzt meine Bedürfnisse erkennen und sie ernst nehmen. Ich verlange <strong>von</strong><br />
mir nicht mehr Höchstleistung“ (ES).<br />
• „Heute kann ich verschiedene Kommunikationssysteme anwenden. Ich kann mich<br />
lautsprachlich oder mit Gebärden ausdrücken. Wenn ich in der Kommunikation und im<br />
Auftreten sicher bin, dann reagieren auch die anderen besser auf mich.<br />
Kommunikationsfähigkeit und Selbstsicherheit gehören für mich zusammen“(EE).<br />
• „ Aus der Praxis habe ich gelernt, dass sich gewisse Dinge einfach entwickeln. Ich habe<br />
Vertrauen, dass einige Fähigkeiten sich <strong>von</strong> selbst einstellen. Heute mach ich auf mich<br />
aufmerksam, wenn ich vergessen gehe“(EM).<br />
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• „Vor allem die Kommunikation und das Auftreten haben sich verbessert. Denn früher hatte<br />
das meine Familie für mich übernommen und ich musste mir das im Nachhinein erwerben“<br />
(EL).<br />
Zwei Erwachsene haben im Bereich Kommunikationsstrategien Fortschritte erzielt und zwei Personen<br />
haben mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein entwickelt. Insgesamt wird mehr Akzeptanz der<br />
eigenen Behinderung gegenüber aufgebracht.<br />
Durch die Erzählungen und Aussagen der jugendlichen und erwachsenen Interviewpartner hat sich<br />
gezeigt, dass sich die <strong>Copingstrategien</strong> im Laufe des Lebens verändern, dass der Erwerb <strong>von</strong><br />
<strong>Copingstrategien</strong> ein lebenslanger Prozess ist, der nie abgeschlossen ist.<br />
Leyendecker schreibt, dass Bewältigungsaufgaben sich im Laufe des Lebens immer wieder neu<br />
stellen. Er meint weiter, dass es eine arrogante Forderung sei, zu erwarten, dass Menschen mit einer<br />
Körperbehinderung diese im Laufe des Lebens endgültig verarbeitet und akzeptiert haben müssen.<br />
Das sei eine Weltsicht, die mehr das Haben als das Sein in den Vordergrund rücke. „Copingprozesse<br />
sind immer im Werden und in der Veränderung: ein lebenslanger Prozess, begleitet <strong>von</strong> Krisen und<br />
Enttäuschungen, aber auch <strong>von</strong> Anpassung und Selbstbewusstsein, <strong>von</strong> Widerstand, Neuorientierung<br />
und Hoffnung“ (Leyendecker, 2006, S. 28-29).<br />
6.4 Diskussion und Schlussfolgerungen für die audiopädagogische Förderung<br />
In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass im Laufe der Entwicklung vom Jugendlichen zum<br />
Erwachsenen eine Verschiebung <strong>von</strong> vermeidenden <strong>Copingstrategien</strong> hin zu reflexiven und planvollen<br />
Strategien stattgefunden hat. Der Kategorie K10 (Hör- und Kommunikationsstrategien), die bei den<br />
Erwachsenen eine eindeutig höhere Anzahl Nennungen aufweist als bei den Jugendlichen, wird ein<br />
besonderes Gewicht gegeben. Die Jugendlichen und die Erwachsenen sind sich einer Verbesserung<br />
ihrer <strong>Copingstrategien</strong> bewusst. Zwei Interviewte sind der Ansicht, dass sich eine Verbesserung ihrer<br />
Strategien teilweise auch automatisch eingestellt hat. Das kann natürlich auch so verstanden werden,<br />
dass diese Personen über Vertrauen in die eigenen Ressourcen verfügen und überzeugt sind, dass<br />
sie den Anforderungen gewachsen sind.<br />
Das Jugendalter ist durch tief greifende und rasche Veränderungen auf der biologischen und<br />
kognitiven Ebene sowie durch neue soziale Anforderungen charakterisiert. Ein Grossteil der<br />
Jugendlichen bewältigt die Anforderungen erfolgreich und nutzt sie, um ein Bewältigungspotential<br />
aufzubauen und sich weiterzuentwickeln. Gerade in der Adoleszenz und bei anderen<br />
Entwicklungsübergängen, wie Schulwechsel oder Berufseinstieg, sind die Jugendlichen oft überfordert<br />
(Seiffge- Krenke, 2007). In der vorliegenden Untersuchung vermittelten alle Jugendlichen den<br />
Eindruck, dass sie für die Anforderungen die das Leben und insbesondere die Hörbeeinträchtigung an<br />
sie stellt, gute Ressourcen und eine Auswahl an <strong>Copingstrategien</strong> zur Verfügung haben, mit denen sie<br />
das Leben meistern und durch allmählich einsetzende Reflexionsprozesse bereit sind dazu zu lernen.<br />
Wie Antonovsky (1997) schreibt, gibt es viele Menschen, die gut mit einem hohen Stressniveau<br />
umgehen können. Anstatt sich auf Stressoren zu konzentrieren könnte man sich fragen, welche<br />
Faktoren beteiligt sind, dass man sich auf einen gesunden Pol hinbewegen kann. Nachfolgend<br />
werden aufgrund der Ergebnisse aus der Untersuchung für die audiopädagogische Praxis Vorschläge<br />
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skizziert und die Gedanken <strong>von</strong> Antonovsky einbezogen. Die acht befragten Personen wurden im<br />
Interview ebenfalls nach ihren Vorschlägen für die praktische Umsetzung und das Trainieren <strong>von</strong><br />
<strong>Copingstrategien</strong> befragt. Erfahrungen und Strategien, die ihnen nachhaltig geholfen haben, werden<br />
bei den Umsetzungsvorschlägen erwähnt. In der Arbeit mit Klienten schlägt Simmen (2000) vor, dass<br />
darauf geachtet wird, die Ressourcen auszubauen und allfällige Lücken zu schliessen, die Flexibilität<br />
und der geschickte Einsatz der <strong>Copingstrategien</strong> zu trainieren und den Personen ihr eigenes<br />
Copingverhalten bewusst zu machen, damit sie überhaupt über alternative Möglichkeiten nachdenken<br />
können.<br />
6.4.1 Soziale Unterstützung fördern<br />
Durch die hohe Anzahl Nennungen der Jugendlichen im Bereich „Kooperation“ zeigt sich, dass<br />
schwerhörige Kinder und Jugendliche sehr auf Bezugspersonen angewiesen sind und ein konstantes<br />
und gut informiertes Bezugsnetz äusserst hilfreich ist. Daher ist es wichtig, mit den Jugendlichen<br />
individuell das eigene Bezugsnetz zu überprüfen und allenfalls Möglichkeiten zur Erweiterung dessen<br />
zu besprechen. Wenn Erfahrungen der Wertschätzung trotz einer Behinderung schon früh gemacht<br />
werden können, kann sich der schwerhörige Mensch auch selber mögen und annehmen. So müssen<br />
die Eltern und Bezugspersonen auch immer mitberaten und unterstützt werden, damit der<br />
Schwerhörige <strong>von</strong> Nahestehenden optimal betreut werden kann. Audiopädagogen haben also die<br />
Aufgabe, das Umfeld immer wieder für die Problematik der Schwerhörigkeit zu sensibilisieren und auf<br />
Beratungsangebote hinzuweisen. Es wird die Aufgabe der Audiopädagogen sein, möglichst vielfältige<br />
Angebote sicher zu stellen und nicht nur die schulische und sprachliche Entwicklung zu fördern,<br />
sondern auch das psychosoziale Wohlbefinden zu beachten. Hintermair schreibt:<br />
„Damit dieser Prozess der Identitätsarbeit bei hörgeschädigten Menschen eine<br />
günstige Basis hat, ist neben den beiden Aspekten der sozialen Anerkennung (durch<br />
andere Menschen) und der personalen Stärkung vor allem auch dafür Sorge zu tragen,<br />
dass eine möglichst hohe Vielfalt an sozialen und kulturellen Optionen verfügbar<br />
gemacht wird, damit das einzelne hörgeschädigte Individuum gute Voraussetzungen<br />
vorfindet, um seine Identitätsarbeit konstruktiv, befriedigend und zukunftsorientiert zu<br />
leisten“ (2007, S. 99).<br />
Die audiopädagogische Förderung soll es sich zur Aufgabe machen, unterschiedliche<br />
Begegnungsangebote anzubieten.<br />
6.4.2 Stärkung der Persönlichkeit und Sozialkompetenzen erweitern<br />
EE, eine befragte Person meinte: „ Es wäre wichtig zu lernen, wie man sich in einer Diskussion<br />
verhalten sollte. Die Kinder sind zu angepasst, sie fragen sich, wie sie sich verhalten sollten. Sie<br />
sollten lernen, dass man <strong>von</strong> andern auch etwas verlangen kann, nicht nur <strong>von</strong> sich selber.“<br />
EM meinte:“ Sich wehren und Rechte für sich in Anspruch nehmen sollte man lernen, aber man muss<br />
es auf eine gewisse Art tun, damit es ankommt.“<br />
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ES sagte: „Mir hat man immer gesagt, ich müsse mich wehren, wenn ich nichts verstehe, das hat<br />
aber überhaupt nichts gebracht; ich konnte das einfach nicht. Mir hat es geholfen, mich selber kennen<br />
zu lernen, die eignen Bedürfnisse anzuerkennen. Ein Bewusstsein mir selber gegenüber zu<br />
entwickeln, das war für mich wichtig und hilfreich.“<br />
Hintermair schreibt: „Es geht also darum, sozusagen nach den verborgenen Fähigkeiten zu graben,<br />
die in den hörgeschädigten Menschen schlummern und diese systematisch zum Zug kommen zu<br />
lassen, indem man sie gemeinsam mit den Betroffenen in kooperativer und nicht bevormundender<br />
Weise gestaltet“ (Hintermair, 2004, S.13).<br />
Für die Hörgeschädigten gilt es, ihre Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen, damit sie auch die<br />
ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Möglichkeiten voll ausschöpfen können und sich<br />
nicht zu früh, auf Grund <strong>von</strong> unbewussten Abwehrmechanismen, selbst Grenzen auferlegen (Stein,<br />
1999, S. 283).<br />
Das heisst für die audiopädagogische Förderung, mit den schwerhörigen Jugendlichen an ihrer<br />
Identität und der Stärkung der Persönlichkeit zu arbeiten, ihnen die eigenen Grenzen und<br />
Möglichkeiten aufzuzeigen und an ihren Ressourcen anzuknüpfen. So könnte man ihnen z.B. in<br />
einem Training situationsadäquates Verhalten aufzeigen und ihnen Kommunikations- und<br />
Sozialkompetenzen vermitteln, die ihnen Sicherheit im Auftreten und in sozialen Kontakten geben<br />
können. Wichtig wäre, dass sie lernen, wie man mit Lob, Kritik und Misserfolg umgeht. Die<br />
Jugendlichen sollten in der Lage sein, ihre Gedankengänge zu erkennen und diese zu verändern. Das<br />
heisst konkret, stresserzeugende Gedanken zu erkennen und diese durch positive zu ersetzen. Weiter<br />
wäre es wichtig, sich im offenen Gefühlsaustausch mit anderen zu üben und zu lernen wie man<br />
angemessen seine Forderungen durchsetzen kann. Das Ziel soll sein, ihre Selbst- und<br />
Fremdwahrnehmung und den Umgang mit den eigenen Gefühlen und Gedanken zu entwickeln.<br />
6.4.3 Hör- und Kommunikationsstrategien vermitteln<br />
„Wichtig wäre für mich gewesen, man hätte mich über meine Behinderung aufgeklärt“ (EL).<br />
Für die audiopädagogische Praxis heisst das, die Kinder und Jugendlichen über ihre Schwerhörigkeit<br />
und die Auswirkungen zu informieren und ihnen praktische Kommunikations- und Hörstrategien zu<br />
vermitteln. Ein Befragter erzählte: „ Es gibt viele Leute, denen tue ich leid. Sie haben aber dann mehr<br />
Respekt vor mir, wenn ich ihnen Informationen über meine Schwerhörigkeit gebe, ihnen sage, was gut<br />
und nicht gut für mich ist. In der Klasse wissen sie auch, was ein Hörgerät kostet. Auf dem<br />
Pausenplatz bekomme ich keine Faust, sie sind vorsichtig mit mir und ich fühle mich ernst<br />
genommen“ (JD). Rien schreibt, dass es auffällig sei, dass schwerhörige Menschen ihre<br />
Hörschädigung nur selten erwähnen und somit Hör- und Kommunikationstaktik nicht in Anwendung<br />
brächten (2007). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung weisen klaren darauf hin, dass die<br />
Jugendlichen verunsichert sind, wie und wann sie andere über die eigene Hörbeeinträchtigung<br />
informieren sollen. Das würde für die Praxis heissen, den Jugendlichen aufzuzeigen, wie sie ihr<br />
Gegenüber mit Anweisungen anleiten können, damit die gegenseitige Kommunikation besser gelingen<br />
könnte. Hierzu macht Schröder (2001) folgende Vorschläge:<br />
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• Mimik und Gestik beachten und das Vertrauen in die Wahrnehmung schulen.<br />
• Gezieltes Nachfragen üben.<br />
• Verschiedene Gesprächstechniken üben und deren Sinn erklären. z.B. Was ist ein Smalltalk<br />
und was ist der Sinn da<strong>von</strong>?<br />
• Gesprächsumfeld gestalten, z.B. selber auf geeignete Lichtverhältnisse achten.<br />
• Bewusstsein <strong>von</strong> Grenzen und Möglichkeiten schulen.<br />
• Unterschiede <strong>von</strong> Hörenden und <strong>Schwerhörigen</strong> bezüglich der Wahrnehmung <strong>von</strong> Sprache,<br />
erkennen. Verstehen, was zwischen den Worten zu lesen ist. z.B. Bedeutung der Prosodie,<br />
Mimik und Körperhaltung, Bedeutung des Körperabstandes, Blickverhalten usw.<br />
Rien (2007, S. 30) schlägt fünf einfache Sätze vor, die jeder kennen und anwenden sollte.<br />
• Ich bin schwerhörig.<br />
• Bitte schauen sie mich beim Sprechen an.<br />
• Ich muss vom Mund ablesen.<br />
• Bitte sprechen Sie langsam.<br />
• Bitte machen Sie kurze Sätze.<br />
Oliver Rien stellt ein Trainingsprogramm für den Erwerb <strong>von</strong> Gesprächskompetenzen vor (Zeitschrift,<br />
hörgeschädigte Kinder, hk, 1/07).<br />
6.4.4 Aufbau <strong>von</strong> sozialen Netzwerken, Kontakte zu Gleichbetroffenen Jugendlichen<br />
und Erwachsenen<br />
Die Kategorie „Vermeidung und Verdrängung“ enthält 20% der Aussagen der Jugendlichen. Auch die<br />
Erwachsenen konnten sich sehr gut an Phasen des Rückzugs in ihrer Kindheit erinnern. Seiffge-<br />
Krenke schreibt dazu, dass der Jugendliche sich in einer anspruchsvollen Anforderungsstruktur<br />
befindet, die situationsadäquate Strategien zur Bewältigungsverarbeitung abverlangt. Eine<br />
Überlastung <strong>von</strong> Problemen führt eher zum Rückzug und der Vermeidung <strong>von</strong> aktiver<br />
Problembewältigung, daher sollten präventiv bereits in der Kindheit effektive Bewältigungsstrategien<br />
aufgebaut werden (2007). Dazu gehören vor allem tragfähige soziale Netzwerke, eine sinnvolle<br />
Freizeitbeschäftigung und Möglichkeiten für Kontaktaufnahme, um dadurch das Üben <strong>von</strong> sozialen<br />
Kompetenzen zu ermöglichen. Die Befragten hatten ja vor allem in der Kindheit Mühe mit ihrer<br />
Schwerhörigkeit und versteckten sie teilweise. Wichtig für die audiopädagogische Förderung wäre es,<br />
Möglichkeiten zu schaffen für die Kontaktaufnahme mit Gleichbetroffenen und ebenso mit<br />
erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>, z.B. in Form einer Kommunikationsplattform, wo man sich über die<br />
verschiedensten Themen austauschen könnte. Obwohl die Jugendlichen keine Äusserung über<br />
Gleichbetroffene gemacht haben, wird der Austausch trotzdem sehr empfohlen. Schwerhörige Kinder<br />
und Jugendliche brauchen realistische Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Sie brauchen<br />
eine Zukunftsperspektive und wollen verschiedene Lebensentwürfe <strong>von</strong> anderen <strong>Schwerhörigen</strong><br />
kennen lernen. Das kann Mut vermitteln trotz aller Einschränkungen, das eigene Leben anzupacken<br />
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und zu gestalten (Hintermair, 2007). Das würde auch heissen, interessante Möglichkeiten zu<br />
gestalten, an denen Jugendliche vermehrt Austausch mit Gleichbetroffenen hätten. Eine befragte<br />
Person wünscht sich diesen Austausch im schulischen Kontext: „Ich würde drei bis vier schwerhörige<br />
Schüler zusammen in einer Regelklasse integrieren“(EE). Eine andere Person meinte: „Es wäre<br />
ratsam, schon früh Kindertreffen zu organisieren und wichtig wäre auch, dass sich dort die Eltern<br />
austauschen könnten.“ Gemeinsame Erfahrungen unter gleichen Bedingungen helfen auch zu<br />
relativieren, so wie dies ES sagt:“ Es wäre wichtig Relationen zu schaffen, nachzufragen, wie es<br />
andere machen und zu merken, dass andere ähnliche Probleme haben, dass ich nicht die Einzige<br />
bin.“<br />
6.4.5 Vermitteln <strong>von</strong> Problemlösungsstrategien<br />
Für die Erwachsenen hat die Überkategorie „Reflexion und Planung als Grundlage <strong>von</strong><br />
Handlungsstrategien“ eine wichtige Bedeutung. Die Resultate der vorliegenden Untersuchung zeigen<br />
auch, dass sich die <strong>Copingstrategien</strong> im Erwachsenenalter <strong>von</strong> äusseren hin zu inneren verschoben<br />
haben. Durch die immer stärker zunehmende Fähigkeit zur Reflexion wird es vermehrt möglich, die<br />
eigenen Gedanken, Gefühle und Einstellungen anzuschauen und zu verändern. Die Jugendlichen<br />
sollten mit der Zeit in der Lage sein, ihre eigenen stressbezogenen Gedanken und Stressauslöser<br />
kennen zu lernen und nach geeigneten Stressbewältigungsstrategien zu suchen. Gerade in der<br />
Oberstufe heisst das für die audiopädagogische Förderung, schon frühzeitig<br />
Problemlösungsstrategien zu trainieren.<br />
Problemlösen ist eine übergeordnete Form der Stressbewältigung. Es geht darum, Lösungsvarianten<br />
wahrzunehmen und die beste auszuwählen. In Lösungsschritten könnte so vorgegangen werden:<br />
• Allgemeine Orientierung<br />
• Problemdefinition und –konkretisierung<br />
• Generieren <strong>von</strong> Lösungsalternativen<br />
• Entscheidung für eine Lösung<br />
• Handlungsdurchführung und Evaluation (Seiffge-Krenke, 2007, S. 251 - 252)<br />
6.4.6 Die Körperwahrnehmung schulen und Möglichkeiten für das eigene<br />
Wohlbefinden erkennen<br />
Audedoud und Lienhard schreiben, dass der ständige Mehraufwand, den Hörgeschädigte zur<br />
Informationsbeschaffung zu leisten haben, den Betroffenen bewusst sein sollte. Dadurch können sie<br />
einem Raubbau an Kräften vorbeugen und sich frühzeitig Möglichkeiten zum Auftanken und Erholen<br />
schaffen, um in Balance zu bleiben (2006).<br />
Leistungsansprüche an sich und Vorstellungen <strong>von</strong> sich und anderen sollten mit den Jugendlichen<br />
kritisch überprüft werden. Es ist sorgfältig abzuwägen, ob dieser Mehraufwand eine Form <strong>von</strong><br />
Anerkennung ist, eine Sehnsucht nach Angenommensein und Zuwendung. Gerade für schwerhörige<br />
Menschen, die in der hörenden Welt immer einen Mehraufwand betreiben müssen, kann es wertvoll<br />
sein, Entspannungsmöglichkeiten zu kennen, da die unmittelbare Problemlösung nicht immer möglich<br />
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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
ist, vor allem bei unkontrollierbaren Situationen. Eine Schülerin erzählte, wie ihr das bewusste Atmen<br />
in schwierigen Situationen helfe, wieder ruhig zu werden.<br />
Seiffge - Krenke schreibt, dass sensorische und kognitive Verfahren kurzfristig zu Entspannung führen<br />
können, dass aber gerade im Jugendalter mulitmodale Trainingsausrichtungen, das heisst die<br />
Kombination verschiedener Verfahren, empfohlen werden (2007).<br />
Das permanente Bemühen um Kontrolle und der Mehraufwand, den Hörbeeinträchtigte leisten, sind<br />
oft verbunden mit einer mangelnden Wahrnehmung <strong>von</strong> eigenen Entspannungsbedürfnissen. Die<br />
erwachsene Interviewpartnerin (ES) erzählte, weshalb die Yogastunden für sie so wertvoll sind:<br />
„Sprechen über ein Thema ist schon gut, besser ist aber noch Erfahrungen über den Körper zu<br />
sammeln und dort anzusetzen. Kommunizieren, da ist auch immer der Verstand eingeschaltet. Der<br />
Zugang zu den anderen Ebenen ist sehr wichtig und da kommt man mit Erklärungen nicht hin. Die<br />
Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in die Yogastunde und der Körper ist<br />
wie neu geboren.“<br />
Für die audiopädagogische Förderung heisst das, die Wahrnehmung des Körpers und der eigenen<br />
Bedürfnisse zu schulen, mögliche Entspannungstechniken zu vermitteln, Tipps zum Zeitmanagement<br />
anzubieten, sowie die Sensibilisierung und die Bedeutung <strong>von</strong> Ruhe zu erklären.<br />
6.5 Reflexion der Arbeit<br />
6.5.1 Vorgehen<br />
Die Fragen nach dem „richtigen“ Umgang mit schwierigen Situationen im Zusammenhang mit der<br />
Schwerhörigkeit und den damit verbundenen pädagogisch-therapeutischen Bemühungen, sind Fragen<br />
aus meinem Berufsalltag. Es interessierte mich, genauere Einsichten zu erhalten, welche Arten <strong>von</strong><br />
Schwierigkeiten <strong>von</strong> den <strong>Schwerhörigen</strong> wahrgenommen werden und wie sie damit umgehen. Diese<br />
Neugier war denn auch einer meiner Motivationsfaktoren für die Themenwahl dieser Arbeit.<br />
Der Fragenkatalog bei den Interviews war sehr komplex, was für die Auswertung eine gewisse<br />
Herausforderung darstellte. Ich fokussierte auf die Hauptfragestellung, und diese konnte ausführlich<br />
und vertieft beantwortet werden. Die untergeordneten Fragen hatten nicht den gleichen Stellenwert<br />
und wurden nicht in derselben Ausführlichkeit bearbeitet. Dies betraf insbesondere die Frage nach der<br />
Verbesserung der <strong>Copingstrategien</strong>. Hier habe ich mich darauf beschränkt, einige exemplarische<br />
Aussagen aufzuführen.<br />
Die Zusammenführung und Integration der qualitativen und quantitativen Auswertungen der<br />
Ergebnisse bildeten die Basis für die Interpretation und Diskussion im Hinblick auf die Beantwortung<br />
der Fragestellung. Bei der Darstellung der quantitativen Daten habe ich mich bemüht die Tabellen<br />
übersichtlich zu gestalten und die Zahlen leserfreundlich in den Text einzuarbeiten.<br />
In einer ersten Literaturrecherche habe ich mir einen Überblick über Stresstheorien und<br />
<strong>Copingstrategien</strong> verschafft. Dies war eine sinnvolle und gute Möglichkeit mich ins Thema<br />
einzuarbeiten. Einiges erwies sich als meine persönliche Wissenserweiterung. Ich hatte mich<br />
entschieden nur diejenige Literatur in die Arbeit einfliessen zu lassen, die sich als unmittelbar relevant<br />
64
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
für den empirischen Teil erwies. Wenn ich nachträglich nochmals Zeit ins Literaturstudium investieren<br />
könnte, dann würde ich die <strong>von</strong> mir induktiv erstellten 13 Kategorien zu <strong>Copingstrategien</strong> mit den<br />
bereits in der Literatur bestehenden vergleichen.<br />
Das Befassen mit dieser Arbeit hat mich auch persönlich bereichert, nicht zuletzt auch wegen des<br />
vertieften Verständnisses für die schwerhörigen Menschen. Wichtig ist mir, wie Simmen (2000) es<br />
ausdrückt, selber lernfähig zu bleiben und mich nicht an allgemeingültigen Phasenverläufen <strong>von</strong><br />
Copingverhalten zu orientieren, sondern offen zu bleiben für die Betroffenen in ihrer einmaligen und<br />
unverwechselbaren Situation.<br />
6.5.2 Weiterführende Forschungsfragen<br />
Einige meiner Befragten haben schwerhörige ältere Geschwister. Ich habe die Feststellung gemacht,<br />
dass die jüngeren Geschwister über bessere <strong>Copingstrategien</strong> verfügen als ihre älteren Geschwister.<br />
Es wäre interessant zu erfahren, wie und was sie <strong>von</strong> den älteren Geschwistern gelernt haben und ob<br />
sie nur funktionierendes Copingverhalten imitieren oder auch <strong>von</strong> nicht funktionierenden lernen.<br />
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie sich das Copingverhalten der Eltern (in<br />
Bezug auf die Schwerhörigkeit ihres Kindes) auf das Copingverhalten des Kindes auswirkt. Inwiefern<br />
sie mit ihrem eigenen Verhalten beispielhaft wirken.<br />
Eine weitere Fragestellung ergibt sich im Zusammenhang mit „Beziehungen knüpfen und diese<br />
aufrechterhalten“. Ein Thema, das vor allem in der Adoleszenz an Bedeutung gewinnt und für viele<br />
schwerhörige Jugendliche aber aufgrund der erschwerten Hör- und Kommunikationssituation eine<br />
grosse Herausforderung darstellt. Es wäre aufschlussreich zu erfahren, mit welchen Strategien<br />
schwerhörige Jugendliche erfolgreich Kontakte knüpfen und welche Voraussetzungen die<br />
Jugendlichen selber als wichtig erachten würden. Die Erörterung dieser Fragstellung wäre ein weiterer<br />
Schritt zur angeführten Idee der Schaffung <strong>von</strong> Informationsplattformen.<br />
65
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
7. Literaturverzeichnis<br />
Altrichter, H. / Posch, P. (2007). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. (4. Auflage). Bad<br />
Heilbrunn: Julius Klinkhardt.<br />
Anonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche erweiterte<br />
Ausgabe <strong>von</strong> A. Franke. Tübingen: dgvt.<br />
Bodenmann, G. (1997). Stress und coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. &<br />
Schwarz, G. (Hrsg.). Psychologie der Bewältigung. Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />
Brater, M. (1997). Schule und Ausbildung im Zeichen der Individualisierung. In U. Beck (Hrsg.),Kinder<br />
der Freiheit (S. 149-174). Frankfurt a.M: Shurkamp.<br />
Beck, U. (1997). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.<br />
Cloerkes, G. (2001). Soziologie der Behinderung. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter.<br />
Donath, P. (1995). Soziale Probleme gehörloser, schwerhöriger und ertaubter Jugendlicher.<br />
Hörgeschädigte Kinder, hk, 2 .<br />
Flöther, (2002). Integration – Reizwort oder Vision für die Hörgeschädigtenpädagogik?<br />
Hörgeschädigtenpädagogik, 2.<br />
Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.<br />
Herzka, H.S. (1991, 3.ergänzende Aufl.). Kinderpsychopathalogie. Basel: Schwabe & Co. AG.<br />
Hessmann, J. (1998). Behinderung und sprachliche Diskriminierung am Beispiel <strong>von</strong> Gehörlosen. In:<br />
Eberwein, Hl & Sasse, A. (Hersg.), Behindert sein oder behindert werden? S. 170 – 197.<br />
Berlin: Luchterhand.<br />
Hintermair, M. und Mende-Bauer, I. (1996) Schulische Angebote zur Auseinandersetzung mit der<br />
Hörschädigung in der <strong>Schwerhörigen</strong>schule. Hörgeschädigte Kinder, hk, 3, S.10.<br />
Hintermair, M. (2004). Gedanken zur Identitätsentwicklung cochlea-implantierter Kinder gehörloser<br />
Eltern. Schnecke, 45, 2004, S. 10-13.<br />
66
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Hintermair, M. (2007). Psychosoziales Wohlbefinden Hörgeschädigter Menschen.<br />
Seedorf: Signum.<br />
Kaluza, G. (2005). Stressbewältigung.Heidelberg: Springer Medizin Verlag.<br />
Kavsek, M.J (1992). Alltagsbewältigung i Jugendalter. Hamburg: Verlag Dr. Kovac.<br />
Keupp, H., Ahbe, T., Gmür, W., Höfer, R., Mitzscherlich, B., Kraus, W. & Straus, F. (1999).<br />
Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne (3. Auflage<br />
2006). Hamburg: Rowohlt.<br />
Keupp, H. (2004). In Hintermair, M. (2007). Psychosoziales Wohlbefinden Hörgeschädigter<br />
Menschen. Seedorf: Signum.<br />
Klemenz, B. (2006). Ressourcenorientierte Beziehung. Tübingen: DGVT-Verlag.<br />
Konzept, Anleitung und Richtlinien zur Verfassung <strong>von</strong> wissenschaftlichen Arbeiten an der<br />
Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. (2007). Wissenschaftliches Arbeiten.<br />
Kruse, M & Kiefer- Pählke, H.(1988). Schwerhörigkeit. Probleme mit der Identität.<br />
Hörgeschädigtenpädagogik Beiheft 23. Heidelberg: Julius Groos Verlag.<br />
Lamnek, S. (2005). Qualitative Sozialforschung. Weinheim, Basel: Verlags Union.<br />
Larish, H. & Lohaus, A. (1992). Coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. & Schwarz,<br />
G. (Hrsg.). Psychologie der Bewältigung. (S.105) Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />
Lazarus, R. S. & Fokman, S. (1984). Stress, appraisal and coping. New York: Springer.<br />
Lazarus, R.S. & Launier, R. (1981). Stressbezogene Transaktionen zwischen Personen und Umwelt.<br />
In J.R. Nitsch (Hersg.), Stress. Theorien, Untersuchungen, Massnahmen (S. 213-260). Bern:<br />
Huber.<br />
Lenz, A. (2008). Empowerment und Ressourcenaktivierung – Perspektiven für die psychosoziale<br />
praxis. In: Lenz, A. & Stark, W.(Hrsg) Empowerment. Neue Perspektiven für die<br />
psychosoziale Praxis und Organisation (S.13 – 53). Tübingen: DGVT-Verlag.<br />
Leonhardt, A. (2001). Gemeinsames Lernen <strong>von</strong> hörenden und hörgeschädigten Schülern. Hamburg:<br />
Verlag hörgeschädigter kinder gGmbH.<br />
Leonhardt, A. (2005).Fachbeitrag. Schulische Integration hörgeschädigter Schüler.<br />
Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogen und ihre Nachbargebiete, VHN 1,Jg. 74, S. 28-36.<br />
67
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Leyendecker, Ch. (2006).“Normalerweise bin ich nicht behindert?!“ Entwicklung des Selbstkonzepts<br />
und Coping-Prozess im Leben mit einer körperlichen Schädigung. In: Ortland, B. (Hrsg.)<br />
Die eigene Behinderung im Fokus. Deutsche Bibliothek: Julius Klinkhardt.<br />
Lohaus, A. (1993). Coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. & Schwarz, G. (Hrsg.).<br />
Psychologie der Bewältigung. (S.109) Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />
Mayering, Ph. (2008). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (10. Auflage). Weinheim<br />
und Basel: Beltz.<br />
Moser, H. (2003). Instrumentenkoffer für die Praxisforschung. Zürich: Lambertus-Verlag.<br />
Ortland,B.(Hrsg.) (2006),Die eigene Behinderung im Fokus. Die Deutsche Bibliothek: Julius<br />
Klinkhardt.<br />
Rien, O. (2007). Training sozialer Kompetenzen bei hörgeschädigten Menschen.<br />
Hörgeschädigtenpädagogik 1.<br />
Salisch, M., Wenn Kinder sich ärgern, Göttingen: Hogrefe 2000. In: Seiffge-Krenke, I. & Lohaus, A.<br />
(2007). Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.<br />
Schröder, G. (2001). Zwischen den Worten. Zeitschrift: Das Zeichen, 58.<br />
Seiffge-Krenke, I. & Stemmler, (2002). Stresssymptomatik. In: Seiffge-Krenke, I.& Lohaus, A., Stressund<br />
Stressbewältigung im Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.<br />
Seiffge-Krenke, I. & Lohaus, A. (2007). Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter.<br />
Göttingen: Hogrefe.<br />
Simmen, R. (2000). coping-Beratung. Entwicklung und Erprobung eines Coping-Modells für die<br />
Beratung <strong>von</strong> chronisch-kranken und behinderten Menschen – Projektbericht. Zürich:<br />
Schweiz.Multiple Sklerose Gesellschaft<br />
Stein, S. (1999). Integration – Erfahrungen, Möglichkeiten, Grenzen. Hörgeschaädigtenpädagogik 5,<br />
S.283.<br />
Stigler, H. und Reicher, H. (2005) Praxisbuch, Emirische Sozialforschung in den Erziehungs- und<br />
Bildungswissenschaften. Innsbruck, Wein, Bozen: Studien Verlag<br />
68
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Stroebe, W. & Stroebe M.S. (1998). Lehrbuch der Gesundheitspsychologie (1. Aufl.) Eschborn:<br />
Dietmar Klotz. (Original erschienen 1995: Social Psychologie and Health).<br />
Tesch-Römer, C., Salewski, Ch & Schwarz, G. (1997). Psychologie der Bewältigung. Weinheim:<br />
Psychologie Verlags Union.<br />
Weber, B.(1995) Soziale Probleme gehörloser, schwerhöriger und ertaubter Jugendlicher.<br />
Hörgeschädigte Kinder, hk 2.<br />
Wikipedia (2008). Konfrontation. Internet: http//de. wikipedia.org/wiki/Konfrontation.<br />
Wisotzki, K.H. (1993). Kommunikationsbelastung und Kommunikationsstrategien Schwerhöriger.<br />
Hörbericht: Das Fachthema, 50, S.1-5.<br />
69
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
8. Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1: Stresstoleranzgrenze nach Tesch und Römer........................................................... 13<br />
Abbildung 2: Coping-Modell nach Simmen .................................................................................... 16<br />
Abbildung 3: Schwierige Situationen............................................................................................... 26<br />
Abbildung 4: Überkategorien und Kategorien (K1- K13)................................................................. 30<br />
Abbildung 5: Überkategorien im prozentualen Vergleich Jugendliche/ Erwachsene...................... 32<br />
Abbildung 6: Innen- und aussenorientiert <strong>Copingstrategien</strong> im prozentualen Vergleich ................ 32<br />
Abbildung 7: Aussen- und innenorientierte Nennungen <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong> .............................. 33<br />
Abbildung 8: Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K1- K7)............................................................. 33<br />
Abbildung 9: Innenorientierte Copingstrtegien (K8- K13)................................................................ 34<br />
Abbildung 10: <strong>Copingstrategien</strong> „ Kooperation“, Kategorien 1-3....................................................... 35<br />
Abbildung 11: <strong>Copingstrategien</strong> „Konfrontation“, Kategorien 4-5...................................................... 39<br />
Abbildung 12: <strong>Copingstrategien</strong> „sachlich informieren“, Kategorien 6-7.......................................... 43<br />
Abbildung 13: <strong>Copingstrategien</strong> „Vermeidung und Verdrängung“, Kategorien 8-9.......................... 45<br />
Abbildung 14: <strong>Copingstrategien</strong> „Reflexion und Planung“ ................................................................ 48<br />
70
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
9. Anhang<br />
Anhang 1: Interview ................................................................................................................... 72<br />
Anhang 2: Einverständniserklärung für das Interview ................................................................. 75<br />
Anhang 3: Kategoriensystem....................................................................................................... 77<br />
Anhang 4: Kategorienzuordnungen „aussenorientiert“ .............................................................. 84<br />
Anhang 5: Kategorienzuordnungen „innenorientiert“.................................................................. 92<br />
Anhang 6: Schwierige Situationen............................................................................................... 97<br />
71
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 1: Interview<br />
Datum Zeit:<br />
Fragebogennummer:<br />
Setting: Ort, wer ist anwesend, Aufnahmematerial<br />
Name: Alter: Berufliche Ausbildung:<br />
Hörstatus: Hörgeräteversorgung:<br />
Erklärungen:<br />
• Warum bin ich hier? Meine Aufgabe erklären?<br />
• Ziel der Masterarbeit erklären.<br />
• Wenn etwas nicht klar ist, unangenehm ist, nachfragen.<br />
• Einverständniserklärung lesen und unterschreiben.<br />
Interview-Leitfaden Mögliche Zusatzfragen<br />
Schwierige Situationen<br />
• eine Situation, die sehr schwierig war, wo<br />
Viele Betroffene berichten, dass es durch die<br />
Hörbeeinträchtigung im Beruf oder Alltag<br />
immer wieder schwierige Situationen gibt.<br />
du vielleicht traurig, hilflos und<br />
verzweifelt warst.<br />
• Wie hast du dich gefühlt?<br />
Ist das bei dir auch so? Wenn du darüber<br />
nachdenkst, kommen dir solche Situationen<br />
in den Sinn?<br />
Kannst du mir eine beschreiben?<br />
Umgang mit schwierigen Situationen<br />
a)<br />
Weißt du noch, was du in dieser schwierigen<br />
Situation gemacht hast, wie du dich verhalten<br />
hast?<br />
Weißt du noch, was du unternommen hast?<br />
b)<br />
Beschreibe mir eine schwierige Situation, die<br />
du besonders gut gemeistert hast.<br />
Erzähle mir, was du unternommen hast, um<br />
die Schwierigkeiten zu lösen?<br />
c)<br />
Fällt dir eine schwierige Situation ein, in der<br />
du die Schwierigkeiten nicht lösen konntest?<br />
Weißt du noch, was du unternommen hattest,<br />
um die Schwierigkeiten zu lösen?<br />
d)<br />
Fallen dir schwierige Situationen ein, in<br />
denen du immer gleich reagierst, die du immer<br />
• Wie merkst du, dass sie schwierig war?<br />
• Zeigt sich das körperlich?<br />
• Wie verhältst du dich, wie benimmst du<br />
dich?<br />
Gerne möchte ich noch wissen, wie du dich<br />
selbst einschätzt, im Umgang mit<br />
Schwierigkeiten, was denkst du?<br />
• Bist du ein Mensch, der sich eher<br />
anpasst oder die Situation zu ändern<br />
versucht?<br />
• Grübelst du über die Situation nach und<br />
versuchst sie zu verstehen?<br />
• Suchst du jemanden auf, mit dem du<br />
dich aussprechen kannst?<br />
• Zeigst du deine Gefühle? Wie tust du<br />
das?<br />
• Sagst du deine Meinung? Wann und wie<br />
tust du das?<br />
• Lenkst du dich ab mit Aktivitäten, z.B.<br />
Sport?<br />
• Wartest du einfach ab?<br />
• Gibt es noch andere Verhaltensweisen?<br />
72
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
auf gleiche Weise gelöst hast?<br />
Wenn mehrere Strategien zur Verfügung stehen<br />
Denke an die schwierige Situation.<br />
Hättest du sie auch noch anders anpacken<br />
können?<br />
Hattest du mehrere Strategien zur Auswahl, um<br />
die Situation zu lösen? Hast du eine Auswahl <strong>von</strong><br />
verschiedenen Strategien, <strong>von</strong> denen du wählen<br />
kannst?<br />
Haben sich deine Strategien im Laufe des<br />
Lebens verbessert?<br />
Wenn du an zwei ähnliche schwierige<br />
Situationen denkst, eine, die sich früher<br />
ereignete und eine aus deinem jetzigen Leben,<br />
was denkst du, hast du die Situationen<br />
ähnlich angepackt oder hat sich im Laufe der<br />
Zeit an deinen Strategien etwas geändert?<br />
Einüben und trainieren <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong><br />
Denkst du, <strong>Copingstrategien</strong> kann man<br />
einüben?<br />
.<br />
• Welche Strategie wendest du zuerst an?<br />
• Nach welchen Entscheidungskriterien<br />
wählst du eine Strategie aus?<br />
• Hast du bestimmte Strategien, die<br />
besser als andere funktionieren?<br />
• Bevorzugst du eine bestimmte<br />
Strategie? Wie erklärst du dir das?<br />
• Wendest du mehrere gleichzeitig an?<br />
• Wenn du merkst, dass eine Strategie<br />
nicht funktioniert, nimmst du eine<br />
andere?<br />
• Denkst du, dass dir deine Strategien<br />
helfen, verschiedene Schwierigkeiten<br />
im Zusammenhang mit der<br />
Hörbeeinträchtigung zu meistern?<br />
• Glaubst du, je mehr Strategien jemand<br />
zur Verfügung hat, desto besser kann<br />
er mit der Hörbeeinträchtigung<br />
umgehen?<br />
• In welchen Situationen gibst du auf?<br />
• Wenn du die Situationen vergleichst,<br />
nimmst du eine Verbesserung im<br />
Umgang mit der Situation wahr?<br />
• Denkst du, du hast deine Strategien<br />
verbessert?<br />
• Woran merkst du das?<br />
• Wie verbesserst du deine Strategie?<br />
(Schaust du bei anderen, wie sie es<br />
machen?)<br />
• Wie machst du das genau?<br />
• Oder haben sich eine oder mehrere<br />
Strategien im Laufe der Zeit sozusagen<br />
automatisch verbessert? Wie hat sich<br />
das ergeben?<br />
• Findest du das sinnvoll?<br />
Warum?<br />
• Ab welchem Alter wäre das deiner<br />
Meinung nach möglich?<br />
• Wie würdest du Strategien einüben?<br />
• In welchem Zusammenhang würdest du<br />
Strategien einüben. zB. nur wenn<br />
Probleme oder Konflikte auftreten?<br />
Diese aufgreifen und daran üben?<br />
73
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Abschluss<br />
Haben wir etwas vergessen, das du noch<br />
gerne sagen möchtest?<br />
Mich bedanken fürs Interview<br />
74
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 2:<br />
Einverständniserklärungen für das Interview/ Erwachsene<br />
Interview zu <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen im<br />
Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik<br />
Wolfhausen, den 19. August 2008<br />
Einverständniserklärung<br />
Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich einverstanden, dass ich im Rahmen einer Masterarbeit<br />
„<strong>Copingstrategien</strong> bei Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen“ an einem Interview<br />
teilnehme.<br />
Ich bin informiert, dass mit den Daten absolut vertraulich umgegangen wird. Die Daten und<br />
Aufnahmen werden nur für die Masterarbeit verwendet und werden ohne Namen und Angaben<br />
genutzt und anschliessend vernichtet.<br />
Ort, Datum und Unterschrift<br />
75
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Einverständniserklärungen für das Interview/Jugendliche<br />
Interview zu <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen im<br />
Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik<br />
Wolfhausen, den 20. August 2008<br />
Einverständniserklärung für Eltern<br />
Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich einverstanden, dass mein Sohn/ meine Tochter im Rahmen<br />
einer Masterarbeit „<strong>Copingstrategien</strong> bei Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen“ an<br />
einem Interview teilnehmen darf.<br />
Mit den Daten wird absolut vertraulich umgegangen. Die Daten und Aufnahmen werden nur für die<br />
Masterarbeit, ohne Namen und weiteren Angaben genutzt und anschliessend vernichtet.<br />
Ort, Datum und Unterschrift<br />
76
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 3: Kategoriensystem<br />
aussenorientiert<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
Kooperation<br />
1.1<br />
1.1.1<br />
Kooperation mit<br />
unterschiedlichen<br />
Zielgruppen<br />
- Strategien, die die andere Menschen<br />
einbeziehen<br />
- eine nach aussen gewendete Haltung<br />
- aktiv für die eigenen Interessen einstehen.<br />
- Willensäusserung<br />
- Ärger und Gefühle, die andere betreffen<br />
frei äussern<br />
- die eigene Meinung sagen<br />
- andere Menschen um Rat fragen<br />
- anderen <strong>von</strong> Schwierigkeiten erzählen<br />
- andere um soziale Unterstützung bitten<br />
- mit andern zusammen sein<br />
- Kooperation wie auch Konfrontation<br />
Unter Kooperation verstehe ich das Zusammenwirken<br />
<strong>von</strong> Handlungen zweier oder mehrer Personen.<br />
Angestrebt wird die Zusammenarbeit mit einer einzelnen<br />
Person oder mit einer Gruppe <strong>von</strong> Menschen. Die<br />
freundschaftliche und freiwillige Zusammenarbeit steht<br />
im Vordergrund und wird angestrebt<br />
Das Zusammenwirken und Zusammenarbeiten mit<br />
anderen suchen.<br />
Dies können unterschiedliche Menschen sein, die fremd<br />
sind oder einem nahe stehen.<br />
Im Sinne <strong>von</strong> „ würdest, könntest du/ Sie….“<br />
77<br />
„Ich musste immer<br />
jemanden suchen, der mir<br />
liebenswürdigerweise<br />
erzählte, was der<br />
Lehrmeister oder die<br />
Mitarbeiter gesagt hatten.“<br />
Aspekt muss sich<br />
abgrenzen <strong>von</strong> 1.1.2.<br />
und <strong>von</strong> 1.1.3
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
K1 (EE)<br />
1.2 Konfrontation<br />
1.1.2<br />
Kooperation mir<br />
fixer Bezugsperson<br />
K2<br />
1.1.3<br />
Kooperation mit<br />
Gleichbetroffenen<br />
K3<br />
1.2.1<br />
offene und direkte<br />
Konfrontation und<br />
Meinungsäusserung<br />
Aktiv auf eine bestimmte Person fokussiert sein. Diese<br />
ist einverstanden und wirkt als Unterstützung und ist<br />
sozusagen die Rechte Hand. Auf diese Person wird<br />
abgestützt und dieser freiwillige Zusammenschluss bildet<br />
ein abgeschlossenes System.<br />
Gleichbetroffene werden aufgesucht um sich<br />
auszutauschen und <strong>von</strong> Erfahrungen anderer zu<br />
profitieren.<br />
„Konfrontation ist die Gegenüberstellung <strong>von</strong> sich<br />
gegenseitig störenden und vorerst unvereinbaren<br />
Positionen. Sie eröffnet einen Konflikt und richtet sich<br />
gegen einen Kontrahenten mit dem Ziel diesen zur<br />
Aufgabe oder zu Annäherung seiner Position zu<br />
bewegen.“http://de.wikipedia.org/wiki/Konfrontation<br />
(9.10.2008)<br />
Die eigene Meinung offen sagen, die anderen zu einer<br />
Meinungs- und oder Handlungsänderung bewegen.<br />
Sich aktiv für die eigenen Bedürfnisse einsetzen, auch<br />
wenn diese beim Gegenüber nicht auf Akzeptanz<br />
78<br />
„Dann hatte ich eine<br />
Freundin und war nicht<br />
mehr auf die anderen<br />
angewiesen.“ (IC)<br />
„Da haben wir uns viel<br />
ausgetauscht und andere<br />
haben erzählt, wie sie es<br />
gemacht haben bei<br />
ähnlichen Situationen.“<br />
(EE)<br />
„Ich habe die Gruppe<br />
gebeten an einen andern<br />
Tisch zu sitzen, damit ich<br />
besser verstehe.“ (EM)<br />
Alle Aspekte müssen<br />
vorhanden sein.<br />
Alle anderen müssen<br />
hörbehindert sein.<br />
Mindestens zwei<br />
Aspekte müssen<br />
vorkommen.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
1.3 sachlich informieren<br />
K4<br />
1.2.2<br />
abwägendzurückhaltende<br />
Konfrontation<br />
K5<br />
1.3.1<br />
direkt und offen<br />
K6<br />
stossen.<br />
Die Meinung und Gesinnung des Gegenübers<br />
interessiert nicht.<br />
Mit dem Einfordern <strong>von</strong> Bedürfnissen und Wünschen,<br />
sowie der offenen Meinungsäusserung wird eher<br />
vorsichtig und situationsbezogen umgegangen. Ein stark<br />
reflexives Element kommt hier dazu. Es werden mehrere<br />
Faktoren berücksichtigt, der Nutzen und Aufwand<br />
(sowohl handelnder, als auch psychischer) werden<br />
abgewogen.<br />
Sachlich und offen über die Schwerhörigkeit und die<br />
möglichen Konsequenzen informieren. Mit der<br />
Information sind keine Bedingungen verknüpft und es<br />
werden keine bestimmten Reaktionen erwartet. Dadurch<br />
kann beim Gegenüber Kooperation oder Konfrontation<br />
ausgelöst werden.<br />
In jedem Fall offen informieren, unabhängig wie die<br />
äusseren oder inneren Bedingungen sich gestalten.<br />
79<br />
„Ich mag es aber auch<br />
nicht, wenn ich gerade<br />
drauflos fordere. Ich<br />
schaue, was automatisch<br />
kommt und wo und wann<br />
ich mich melden soll. Ich<br />
versuche einen Mittelweg<br />
zu finden.“ (EM)<br />
„Ich habe gerade am<br />
Anfang gesagt, dass ich<br />
schwerhörig bin.“ (EM(<br />
Die Aspekte des<br />
Abwägens und der<br />
Situationsbezogenheit<br />
müssen vorkommen.<br />
Grosse Offenheit und<br />
es darf kein Abwägen<br />
stattfinden.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
innenorientiert<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
1.3.2<br />
abwägend und<br />
Kontext bezogen<br />
K7<br />
Es werden mehrere Faktoren miteinbezogen. Der<br />
Nutzen, der offenen Information, wird sorgfältig<br />
abgewogen und situationsbedingt angewendet.<br />
Die Energie zur Handhabung <strong>von</strong> Stresssituationen wird<br />
nach innen gewendet. Es werden selber bewusst oder<br />
unbewusst Strategien gesucht, um mit schwierigen<br />
Situationen fertig zu werden. Andere Personen werden<br />
nicht involviert oder nur, wenn sie es nicht wissen.<br />
80<br />
„Sonst sage ich nicht<br />
sofort, dass ich<br />
schwerhörig bin, ich wäge<br />
ab.“( JC)<br />
Abwägen oder<br />
Gedanken der<br />
Unsicherheit über den<br />
Inhalt der Information<br />
oder den Zeitpunkt<br />
der Information<br />
müssen vorkommen.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
2.1 Vermeidung, Verdrängung<br />
2.1.1<br />
sich andern nicht<br />
mitteilen, Rückzug<br />
in die Einsamkeit<br />
K8<br />
2.1.2<br />
Schwerhörigkeit<br />
verstecken<br />
Schwierige Situationen werden verdrängt und die<br />
Auseinandersetzung damit vermieden.<br />
Es wird nicht darüber gesprochen.<br />
Es besteht kein Bestreben an einer unangenehmen<br />
Situation etwas zu verbessern.<br />
Sich <strong>von</strong> andern und der Situation zurückziehen, sich<br />
damit abfinden, nicht in die Aktion treten.<br />
Etwas verdecken, so tun als ob, eine Scheinwelt,<br />
Scheinwahrheit aufrecht erhalten.<br />
Sich <strong>von</strong> der Umwelt zurückziehen.<br />
Sich anderen nicht mitteilen.<br />
Mit den Gefühlen alleine sein.<br />
Nicht zur eigenen Schwerhörigkeit stehen, sie auch in<br />
schwierigen Situationen nicht erwähnen.<br />
Die Hörgeräte verstecken oder sie nicht anziehen.<br />
81<br />
“Ich zeige meine Gefühle<br />
und meine Meinung nicht.“<br />
(JP)<br />
„Ich habe meine HG<br />
versteckt, und wollte dass<br />
niemand etwas merkt.“<br />
(EL)<br />
Zwei Aspekte aus der<br />
Definition müssen<br />
vorkommen.<br />
Einer der Aspekte<br />
muss vorkommen.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Überkategorie Kategorien<br />
K9<br />
Definition Ankerbeispiel<br />
„Im I&S Kurs habe ich<br />
nicht gesagt, dass ich<br />
schwerhörig bin. Die Leute<br />
merkten, etwas stimmt<br />
nicht mit mir.“( EL)<br />
Kodierregel<br />
Reflexion und Planung<br />
2.2<br />
2.2.1<br />
Hör- und<br />
Kommunikationsstrategien<br />
K10<br />
2.2.2<br />
Entspannen<br />
- reflektieren<br />
- planvolles Vorgehen<br />
- bestimmte Verhaltens- oder Arbeitstechniken<br />
anwenden<br />
- Neubewertungen vornehmen<br />
- Handlungsstrategien entwerfen<br />
Informationen aus verschiedenen Quellen werden<br />
kombiniert und verknüpft. Daraus werden<br />
Schlussfolgerungen gezogen.<br />
Anwenden <strong>von</strong> Hör- und Kommunikationsstrategien, die<br />
zu einer verbesserten Informationsaufnahme führen<br />
sollen.<br />
Man ist selber darum bemüht.<br />
Durch Entspannung wird körperlicher und emotionaler<br />
Stress reduziert und ein grösseres Wohlbefinden<br />
herbeigeführt.<br />
82<br />
„Ich merkte mir die<br />
Stichworte und schaute,<br />
wie ich die Informationen<br />
vernetzen konnte, ich<br />
nutzte auch visuelle<br />
Hilfen.“ (EM)<br />
„Die<br />
Körperwahrnehmungen<br />
geben wichtige<br />
Informationen. Ich gehe in<br />
die Yogastunde und der<br />
Der Aspekt der<br />
besseren<br />
Informationsaufnahme<br />
muss in der Aussage<br />
erkennbar sein.<br />
Ein Aspekt des<br />
Wohlbefindens muss<br />
in der Aussage<br />
erkennbar sein.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />
K11 Körper ist wieder neu<br />
geboren.“ (ES)<br />
2.2.3<br />
Mehraufwand<br />
betreiben<br />
K12<br />
2.2.4<br />
Denken- abwägenadäquate<br />
Strategien<br />
entwickeln<br />
K13<br />
Da die Probleme, die mit der Schwerhörigkeit verbunden<br />
sind, hier vor allem das „Nichtguthören“, das nur<br />
bruchstückhafte Informationen liefert, nicht gelöst<br />
werden können, wird eine Kompensation gesucht. Es<br />
wird ein Mehraufwand geleistet, dafür wird ein Teil der<br />
Freizeit verwendet.<br />
Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst,<br />
die aus einer aktiven inneren Beschäftigung mit<br />
Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine<br />
Erkenntnis zu formen suchen, mit dem Ziel, damit<br />
brauchbare Handlungsanweisungen zur Meisterung <strong>von</strong><br />
Lebenssituationen zu gewinnen.<br />
(http://de.wikipedia.org/wiki/Denken 11.10.2008)<br />
83<br />
„Ich hatte immer versucht<br />
auszugleichen, das wett zu<br />
machen, was mir fehlte, so<br />
zusagen für meine Defizite<br />
das Doppelte zu leisten.“<br />
(ES)<br />
„Ich hatte viele Jahre<br />
Psychotherapie. Durch das<br />
Nachdenken über das<br />
eigene Verhalten habe ich<br />
herausgefunden, was ich<br />
tue und nicht tue und wie<br />
ich handeln möchte.“ (ES)<br />
Die Betonung auf<br />
Mehrarbeit oder<br />
vermehrte Leistung<br />
muss vorkommen.<br />
Alle Aspekte der<br />
Definition müssen<br />
vorkommen.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 4: Kategorienzuordnungen „aussenorientiert“<br />
Textausschnitte Name Zusammenfassende<br />
Aussagen<br />
Dann habe ich immer den Kollegen gefragt EE<br />
Ich musste immer jemanden suchen, der mir liebenswürdigerweise erzählte, was<br />
Lehrmeister oder die Mitarbeiter gesagt hatten.<br />
Ich war zum Glück in Oerlikon, BSFH. Da haben wir viel ausgetauscht und andere<br />
haben erzählt, wie sie es gemacht haben bei ähnlichen Situationen.<br />
Wenn es das nicht gegeben hätte, hätte ich mich zurückgezogen. Durch die<br />
Gleichbetroffenen wurde ich gestärkt, ich lernte mich zu wehren und einstehen für<br />
meine Bedürfnisse und Rechte. Die anderen waren mir teilweise gute Beispiele.<br />
Ich habe die Gebärdensprache gelernt, endlich bin ich zu Informationen über die<br />
Kultur der Gehörlosen gekommen. Das gibt mir Sicherheit. Ich hatte früher immer<br />
das Gefühl, ich müsste hörend werden. Das hatte schon mit der Logopädie<br />
angefangen, da musste ich immer Wörter lernen und wiederholen, darin sah ich<br />
keinen Sinn.<br />
EE<br />
EE<br />
EE<br />
Nachfragen, Suche nach<br />
sozialer Unterstützung<br />
Kollegen fragen<br />
Nachfragen, soziale<br />
Unterstützung<br />
Arbeitskollegen fragen<br />
Suche nach sozialer<br />
Unterstützung<br />
Austauschen mit<br />
Gleichgesinnten, über<br />
gleiche Probleme<br />
sprechen, lernen <strong>von</strong><br />
anderen<br />
Gleichbetroffene<br />
84<br />
Kategorie Überkategorie<br />
1.1.2 1.1<br />
früher<br />
1.1.1<br />
1.1.3<br />
1.1.3<br />
1.1<br />
früher<br />
1.1<br />
1.1.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
„Ich habe immer noch den inneren Konflikt, soll ich meine Bedürfnisse oder<br />
besonderen Wünsche bezüglich der Schwerhörigkeit ansprechen oder noch<br />
abwarten. Ich habe immer noch keine befriedigende Lösung. Eigentlich möchte<br />
ich für mich Klarheit haben, dass ich alles anspreche“(ES)<br />
Zum Glück wusste ich schon einige Kommunikationstechniken. So bat ich den<br />
Betriebsleiter bei Schwierigkeiten um ein Gespräch mit dem Chef. Er kam sich<br />
blöd vor und wollte ab jetzt alles richtig machen.<br />
An der neuen Stelle bat ich die anderen Schriftsprache zu sprechen, sie sollen die<br />
Hände benützen und die Mimik.<br />
Wenn jemand Dialekt spricht, sage ich, könntest du das wiederholen. Ich<br />
versuche es freundlich, nach einigen malen vielleicht direkter.<br />
ich kann ganz frei sagen, bitte noch einmal sagen, ich habe nicht verstanden.<br />
ES<br />
EE<br />
EE<br />
abwägen 1.3.2<br />
Kommunikationsstrategien<br />
anwenden, Konfrontation<br />
für mich einstehen , nicht<br />
nachgeben<br />
Konfrontation<br />
für meine Interessen und<br />
Bedürfnisse einstehen<br />
EE Konfrontation<br />
für meine Interessen und<br />
Bedürfnisse einstehen<br />
EE Konfrontation<br />
für meine Interessen und<br />
Bedürfnisse einstehen<br />
ich bitte die anderen mit den Händen und der Mimik zusprechen EE Konfrontation<br />
<strong>von</strong> andern etwas fordern,<br />
mich für meine Bedürfnisse<br />
einsetzen<br />
Bei der Stellenvermittlung habe ich meine Schwerhörigkeit offen gelegt. ES Offenheit, Ehrlichkeit,<br />
Authentizität, informieren<br />
Beim Arbeitsplatz lege ich meine Schwerhörigkeit offen.<br />
ES Informieren<br />
85<br />
1.2.1 1.2<br />
1.2.1 1.2<br />
1.2.1 1.2<br />
1.2.1 1.2<br />
1.2.1 1.2<br />
1.3.1<br />
1.3.1<br />
1.3<br />
1.3
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Ich sage, dass ich einen ruhigen Arbeitsplatz bevorzuge und in keinem<br />
Grossraumbüro arbeiten kann.<br />
Bei der neuen Stelle habe ich mich erkundigt, ob der Arbeitgeber auch wirklich<br />
über meine Schwerhörigkeit informiert ist. Es werden Infos per Sammelmail<br />
verschickt, so bin ich gut informiert.<br />
Bei einer Arbeitsstelle lege ich meine Hörschädigung offen.<br />
Ich entscheide aus dem Bewusstsein heraus, wie ich mich verhalten will, was ich<br />
sagen will und was ich <strong>von</strong> den anderen mir wünsche.<br />
Heute kann ich sagen, was ich brauche.<br />
Ich kommuniziere alles gegen aussen, das habe ich nicht gemacht früher.<br />
Früher hatte ich eine Kollegin, die mit mir Zug gefahren ist, an sie habe ich mich<br />
gehalten.<br />
Ich wäge immer ab, ob es nötig ist zu sagen, dass ich schwerhörig bin; eigentlich<br />
wäre es besser es immer am Anfang offen darüber zu informieren.<br />
ES Ich setze mich für meine<br />
Bedürfnisse ein<br />
ES Klarheit schaffen , alle<br />
Beteiligten informieren<br />
nachfragen, sicher stellen,<br />
ES Authentizität<br />
offen informieren<br />
ES<br />
ES Konfrontation<br />
mich für meine Bedürfnisse<br />
einsetzen<br />
ES Konfrontation<br />
Mich mitteilen<br />
mich für meine Bedürfnisse<br />
einsetzen<br />
86<br />
1.2.1 1.2<br />
1.1.1 1.1<br />
1.3.1<br />
1.3.<br />
1.2.2 1.2<br />
1.2.1<br />
1.2.1<br />
1.2<br />
1.2<br />
Vergleich<br />
früher/heute<br />
ES fixe Bezugsperson 1.1.2 1.2<br />
früher<br />
EM<br />
abwägen mit Informieren 1.3.2 1.3
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Bei der mündlichen Bewerbung sage ich sofort, dass ich schwerhörig bin, damit<br />
ich sie auch informieren kann.<br />
EM<br />
offen informieren 1.3.1 1.3<br />
Ich gehe zu den Lehrern und informiere sie über meine Schwerhörigkeit. EM offen informieren 1.3.1 1.3<br />
Ich wäge ab, ob es sich lohnt, spezielle Rücksicht zu fordern. Bei irgendwelchen<br />
Leuten, die keinen Bezug zur Hörbehinderung haben, ist es schwierig. Es kommt<br />
aber sehr auf die Situation an.<br />
EM zurückhaltend<br />
konfrontieren<br />
Ich kann relativ gut in Gesprächen mitgehen, auf einander hören und eingehen. EM auf andere eingehen,<br />
Versuch zu kooperieren<br />
Ich finde es wichtig, dass man offen mit der Hörbehinderung umgeht, sie aber<br />
nicht ins Zentrum stellt.<br />
Ich fange jetzt vermehrt an auf mich aufmerksam zu machen, wenn ich vergessen<br />
gehe oder übergangen werde.<br />
Es ist mir wichtig, die anderen zu informieren, damit sie wissen, dass man mit mir<br />
nicht nur über die Hörbehinderung sprechen kann.<br />
Heute habe ich definitiv mehr Mut und nehme mir die Freiheit, mich für meine<br />
Rechte einzusetzen.<br />
Es ist besser, gleich zu Anfang offen zu informieren.<br />
Ich mag es aber auch nicht, wenn ich gerade drauflos fordere, ich schaue, was<br />
automatisch kommt und wo und wann ich mich melden soll. Ich versuche einen<br />
Mittelweg zu finden.<br />
Erst mit 24 Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufzunehmen. Wichtig für mich,<br />
mich mit Gleichgesinnten auszutauschen<br />
EM<br />
offen, aber zurückhaltend<br />
EM beginnt eigene Wünsche<br />
und Bedürfnisse<br />
anzumelden<br />
87<br />
1.2..2. 1.2<br />
1.1.1<br />
1.1<br />
1.3.2 1.3<br />
1.2.2 1.2<br />
EM offen informieren 1.3.1 1.2<br />
EM durchsetzen,<br />
Konfrontationsbereitschaft<br />
1.2.1 1.2<br />
EM offen informieren 1.3.1 1.3<br />
EM abwägen beim Wünsche<br />
durchsetzten<br />
EL<br />
1.2.2 1.2<br />
Gleichbetroffene 1.1.3 1.1
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Auf meine Bedürfnisse muss ich schauen und es wurde auch <strong>von</strong> andern<br />
Rücksicht genommen. Ich fragte dann eine Passantin, was gesagt wurde.<br />
Mit 20 lernte ich dann sagen, dass ich schwerhörig bin.<br />
Als ich die Ausbildung begann, beschloss ich, das <strong>von</strong> Anfang an zu sagen, nicht<br />
dass die anderen einen falschen Eindruck <strong>von</strong> mir bekommen.<br />
Die anderen waren froh, dass es offen gelegt wurde.<br />
Ich bin daran mich immer mehr zu wehren. Das war früher nicht so, denn ich<br />
wollte zu den Hörenden gehören und mich ja nicht outen mit Fragen, die auf<br />
meine Hörbehinderung hingewiesen hätten.<br />
Letzte Woche ging ich zum Lehrer und bat ihn, dass er den Inhalt der Vorlesung<br />
nochmals zusammenfassen würde.<br />
Ich gebe ab und zu die FM Anlage in der Kleingruppe herum oder bitte den Lehrer<br />
eine Zusammenfassung zu machen.<br />
Ich habe reflektiert, wie ich es hätte machen können.. Als Typ habe ich immer<br />
versucht, wie ich es optimal machen könnte. Muss ich freundlicher sein, muss ich<br />
mich anbiedern, mehr nachfragen, höflicher sein?<br />
Ich habe mich auf die Banknachbarin verlassen und mit ihr zusammen gearbeitet<br />
EL für eigene Bedürfnisse<br />
einsetzen<br />
88<br />
1.2.1 1.2<br />
EL offen informieren 1.3.1 1.3<br />
EL offen informieren 1.3.1 1.3.<br />
EL sich für eigene Bedürfnisse<br />
einsetzen<br />
EL<br />
EL<br />
EE<br />
Wünsche äussern<br />
1.2.1 1.2<br />
1.2.1 1.2<br />
Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />
abwägen<br />
1.2.2<br />
EL fixiert auf eine Person 1.1.2 1.1<br />
früher/ heute<br />
1.2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Ich gehe auf die Leute zu<br />
EL Kooperation 1.1.1 1.1<br />
Ich bin mitgelaufen in der Clique und ging mit anderen mit, wollte dazu gehören. EL Kooperation 1.1.1 1.1<br />
Ich bat sie dann, dass sie lockerer mit mir umgehen sollte. Sie war dann lockerer<br />
und schimpfte nicht sofort, wenn ich etwas nicht hatte.<br />
ich bat sie lauter zu sprechen und gab ihr Antworten auf ihre Fragen.<br />
Ich bin ein direkter Mensch, ich sage die meine Meinung sofort.<br />
Ich denke nicht lange über die Dinge nach, ich handle sofort.<br />
Ich frage den Banknachbar, wenn der nicht draus kommt, frage ich den Lehrer.<br />
Ich gehe direkt auf andere zu, wenn mir etwas nicht passt. Ich bleibe anständig.<br />
Wenn jemand über mich redet wegen meinen Hörgeräten, dann spreche<br />
ich ihn an..<br />
Zwei Jungs in R. haben mit den Fingern Zeichen hinter ihren Ohren gemacht und<br />
ich wusste natürlich, dass sie über meine HG sprachen. Ich sagte, was habt ihr,<br />
sie sagten nichts.<br />
JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />
JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />
JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />
JD Meinungsäusserung direkt 1.2.1 1.2<br />
JD Kooperation suchen 1.1.1 1.1<br />
JD Meinungsäusserung 1.2.1 1.1<br />
Wenn ihr etwas über meine HG wissen möchtet, informiere ich euch gerne. JD informieren 1.3.1 1.3<br />
89
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Früher war ich eher scheu, fragte nur den Banknachbar und jetzt bin mutiger<br />
geworden und es ist mir egal, was die anderen <strong>von</strong> mir denken.<br />
Wenn im Zug eine Durchsage höre, die ich nicht verstehe, frage ich nach. Ich<br />
frage die Leute.<br />
Ich sage, dass ich schwerhörig bin, denn sonst meinen die Leute, ich würde nicht<br />
aufpassen.<br />
Sonst sage ich nicht sofort, dass ich schwerhörig bin, ich wäge ab.<br />
Wenn ich in der Schule nichts verstehe, dann frage ich die Banknachbarn, oder<br />
ich frage den Lehrer nachher.<br />
Wenn ich in einem Laden bin und es nicht verstehe, bitte ich die Leute es zu<br />
wiederholen, wenn ich nichts verstanden habe.<br />
Ich hatte dann eine Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen.<br />
Es kommt auf die Situation an, ob ich sage, dass ich schwerhörig bin.<br />
Ich kann andere fragen, informieren, oder einmal abwarten.<br />
Jetzt frage ich einfach mehr nach, ich gebe mir einen Ruck, und sage mir einfach,<br />
dass ich nichts verliere.<br />
JD Meinungsäusserung 1.2.1 1.1<br />
früher/ heute<br />
JC Nachfragen, Kooperation<br />
suchen<br />
90<br />
1.1.1 1.1<br />
JC informieren 1.3.1 1.3<br />
JC<br />
abwägen mit informieren 1.3.2 1.3<br />
JC Kooperation und Hilfe<br />
suchen<br />
JC Hilfe und Unterstützung<br />
suchen<br />
JC auf eine fixe Person<br />
angewiesen sein<br />
1.1.1 1.1<br />
1.1.1 1.1.<br />
1.1.2 1.1<br />
JC Kontextbedingt informieren 1.3.2 1.3<br />
JC Kontextbedingt fragen 1.3.2 1.3<br />
JP<br />
nachfragen , kooperieren 1.1.1 1.1.
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Manchmal frage ich gleich, manchmal warte ich, bis ich die Antwort <strong>von</strong> anderswo<br />
erfahre. Ich frage die Mitschüler, die Mutter und erst am Schluss die<br />
Lehrpersonen<br />
JP Kooperation mit andern 1.1.1 1.1<br />
Ich sage zuhause auch manchmal meine Meinung. JM Konfrontation 1.2.1 1.2<br />
Bis vor kurzem habe ich nur Brigitte gefragt. JP fixiert auf eine Person 1.1.2 1.1<br />
Heute frage ich verschiedene Mitschüler und auch andere Leute, es hat sich viel<br />
verbessert.<br />
JP zusammenarbeiten 1.1.1. 1.1<br />
Ich bat die Lehrperson mir zu helfen JM Um Unterstützung fragen 1.1.1 1.1<br />
91
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 5: Kategorienzuordnungen „innenorientiert“<br />
Textausschnitt<br />
Ich habe mich dann zurückgezogen<br />
Ich hatte in der zweiten Klasse grosse Schwierigkeiten. Ich war damals<br />
über mich selber sehr ratlos. Ich war in Panik ausgebrochen, wenn ich<br />
in die Schule musste. Es gab nicht wirklich einen Grund. Also ging ich<br />
nicht mehr zur Schule.<br />
Ich war oft sehr traurig, weil ich alleine war. Ich zog mich zurück.<br />
Irgendwann zog ich mich auch zurück und fragte nicht mehr nach. Ich<br />
habe während der Schulzeit etwa ¾ nicht verstanden.<br />
Als ich im Kindergarten ausgelacht wurde, habe ich mich einfach<br />
abgewendet <strong>von</strong> den andern, versuchte sie zu ignorieren.<br />
Name<br />
EE<br />
Generalisierung Kategorie Überkategorie<br />
sich zurückziehen 2.1.1 2.1 früher<br />
ES Schule verweigern<br />
sich zurückziehen<br />
92<br />
2.1.1 2.1<br />
früher<br />
ES sich zurückziehen 2.1.1 2.1<br />
früher<br />
EM sich zurückziehen 2.1.1 früher<br />
2.1<br />
JC innerlich zurückziehen, die<br />
anderen ignorieren<br />
Früher habe ich in der Schule nicht mitgemacht und war abwesend. JP zurückziehen, mich nicht<br />
beteiligen, Tagträumen<br />
2.1.1 früher 2.1<br />
2.1.1 2.1 früher<br />
Ich zeige meine Gefühle und meine Meinung nicht. JP mich nicht zeigen 2.1.1 2.1<br />
Im I&S Kurs habe ich nicht gesagt, dass ich schwerhörig bin. Die Leute<br />
merkten, etwas stimmt nicht mit mir.<br />
Früher habe ich meine Hörgeräte versteckt und wollte, dass niemand<br />
weiss, dass ich schwerhörig bin<br />
„Ich muss mich anstrengen der neuen Lehrerin zu sagen ,dass ich<br />
schwerhörig bin, dass es für mich nicht immer so leicht ist alles zu<br />
verstehen“<br />
EL Schwerhörigkeit verstecken 2.1.2 2.1 früher<br />
EL HG verstecken,<br />
Schwerhörigkeit verstecken<br />
2.1.2 früher<br />
2.1<br />
JD Schwerhörigkeit verleugnen 2.1.2 2.1
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Wenn ich die Hörgeräte trage, höre ich schon weniger, aber ich habe<br />
sie lange nicht getragen<br />
In der ersten Klasse war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte,<br />
da habe ich sie auch schon nicht getragen, da hörte ich nicht gut<br />
Ich versuche meine Position zu ändern, dass mein besseres Ohr der<br />
Person zugewandt ist, damit ich sie besser verstehe. Ich versuche<br />
zuerst einmal selber die Situation zu entschärfen.<br />
Ich versuche Wortfetzen zu verstehen und sie zu einem sinnvollen<br />
Ganzen zusammenzusetzen.<br />
Ich war wirklich ein Meister im Kombinieren geworden. Ich kann mit<br />
sehr wenigen Informationen auskommen und bekomme meistens die<br />
richtigen Zusammenhänge mit.<br />
Ich hatte viele Jahre Psychotherapie. Durch das Nachdenken über das<br />
eigene Verhalten habe ich herausgefunden, was ich tue und nicht tue<br />
und wie ich handeln möchte.<br />
Am Wochenende hatte ich sehr viel gelernt, ich hatte einen grossen<br />
Ehrgeiz, würde ich heute nicht mehr machen.<br />
Ich wollte es allen Recht machen und hatte mich permanent zu<br />
Höchstleistungen angetrieben. heute kann ich meine Schwächen<br />
akzeptieren.<br />
JM Hörgeräte nicht anziehen 2.1.2 2.1<br />
JC<br />
Hörgeräte nicht tragen<br />
ES Anwenden <strong>von</strong><br />
Hörstrategien<br />
ES Kombinieren <strong>von</strong><br />
Informationen<br />
93<br />
2.1.2 2.1<br />
2.2.1 2.2<br />
2.2.1 2.2.<br />
ES Kombinieren 2.2.1 2.2<br />
ES Mein Verhalten kennen<br />
lernen um bewusst zu<br />
handeln<br />
ES Kompensieren durch gute<br />
Leistungen<br />
ES Höchstleistung,<br />
Mehraufwand<br />
2.2.4 2.2<br />
2.2.3 2.2<br />
früher<br />
2.2.3<br />
2.2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Wie soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen? ES mehr leisten 2.2.3<br />
Schon als 17- Jährige hatte ich die Stärke des Kombinierens ES Kombinieren 2.2.1 2.2<br />
Früher habe ich mich immer sehr stark ausgebeutet. Ich bin mir dessen<br />
in den letzten Jahren bewusst geworden. Ich muss mir auch<br />
Schonzeiten gönnen, Pausen einzurichten. Ich gehe einmal pro Woche<br />
ins Yoga, das ist ein fixer Termin. Meine Bedürfnisse sind wichtig.<br />
Ich bemerke die Kommunikationshaltungen der anderen und die Mimik;<br />
Ich habe die visuellen Hilfen gelernt zu nutzen.<br />
ES bewusste<br />
Körperwahrnehmung<br />
mir Zeit gönnen<br />
EE Informationen, die andere<br />
senden und<br />
wahrgenommen werden,<br />
nutzen<br />
Ich kann auch die Fibration wahrnehmen, spüre dadurch besser. EE erworbene Feinfühligkeit<br />
nutzen<br />
Ich hatte früher versucht perfekt zu sein, statt zu sagen, diese<br />
Schwäche ist einfach da. Ich hatte immer versucht auszugleichen, das<br />
wett zu machen, was mir fehlte, so zusagen für meine Defizite das<br />
Doppelte zu leisten<br />
Die Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in<br />
die Yogastunde und der Körper ist wieder neu geboren.<br />
Strategie ist, dass ich immer wieder ein Stichwort ins Gespräch hinein<br />
gebe.<br />
Ich bin offener geworden, ich kann auch lachen, wenn ich etwas falsch<br />
verstehe ich kann auch lachen und nicht alles persönlich nehmen, habe<br />
eine gewisse Distanz.<br />
Ich überlege mir immer, wann, wo mit wem. Ich überlege mir das immer<br />
vorher.<br />
ES Kompensieren für meine<br />
Schwächen<br />
ES Yoga<br />
auf den Körper hören<br />
94<br />
2.2.2<br />
2.2<br />
früher<br />
2.2.1 2.2<br />
2.2.1 2.2<br />
2.2.3 2.2<br />
früher<br />
2.2.2 2.2<br />
EM Kommunikationstechniken 2.2.1 2.2<br />
EM bewusst entspannen 2.2.2 2.2<br />
EM planvolles vorgehen 2.2.4 2.2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Ich verliere aber den Faden immer wieder und versuche<br />
zurückzulehnen. Ich habe auch gelernt auszuhalten, dass ich eben<br />
nicht alles verstehe und trotzdem den Abend geniessen kann.<br />
Ich merke stichwortartig um was es im Gespräch geht, bis ich<br />
kombiniert habe, geht es eine Weile.<br />
EM entspannen 2.2.2 2.2<br />
EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />
Früher habe ich sehr viel gearbeitet und mit mir selber ausgemacht. EM Mehraufwand 2.2.3 2.2<br />
Ich habe mich durchgeschlängelt und beschlossen nur auf den Lehrer<br />
zu hören.<br />
In der Schule habe ich mich auf den Lehrer konzentriert und gut<br />
zugehört. Das was die Klasse sagte, hörte ich vielfach nicht. Ich machte<br />
dann 5 Minuten Pause, damit ich mich nicht zusätzlich belastete damit.<br />
Ich setzte Prioritäten<br />
EM Orientierung, Prioritäten<br />
setzen, sichere<br />
Informationsquelle<br />
benutzen, planvolles<br />
vorgehen<br />
EM Prioritäten setzen, sichere<br />
Informationsquelle<br />
benutzen, planvolles<br />
vorgehen<br />
Ich vertraute, dass das Wichtigste vom Lehrer wiederholt wurde EM Prioritäten setzen,<br />
planvolles vorgehen<br />
Ich merkte mir die Stichworte und schaute wie ich das vernetzen<br />
konnte, auch visuelle Hilfen waren hilfreich. Wenn der Lehrer fragen<br />
stellte, überlegte ich sehr genau wie die Antwort wäre, meldete mich<br />
auch, verstand aber nicht, was die anderen Schüler darauf sagten.<br />
Ich gab mir dann selber meine Antworten und korrigierte sie, wenn ich<br />
einen Fetzen aufschnappte. Es blieb natürlich die Unsicherheit, ob ich<br />
richtig lag, mit meinen Gedanken<br />
Heute schaue ich eher, was mir gut tut und ich brauche.<br />
95<br />
2.2.1 2.2<br />
2.2.1 2.2<br />
2.2.1 2.2<br />
EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />
EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />
EM<br />
planvolles vorgehen,<br />
selektionieren<br />
2.2.4 2.2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Ich habe in der Sek sehr viel für die Schule gearbeitet, damit ich den<br />
Stoff bewältigen konnte.<br />
Im Lager gehe ich in die Disco. Ich gehe dann nach draussen um zu<br />
sprechen.<br />
Ich lese <strong>von</strong> den Lippen ab, das hilft mir zu verstehen, was jemand<br />
sagt.<br />
Ich habe beim Schwimmwettbewerb gut durchgeatmet, das<br />
Meridianklopfen gemacht<br />
Ich sage mir, ich weiss, dass ich es schaffe, und klopfe an bestimmten<br />
Körperstellen. Ich beginne eine halbe Stunde vor dem Schwimmen und<br />
mache es auch schon zuhause. Und sage mir immer das Gleiche. Ich<br />
konzentriere mich einfach auf etwas anderes auf meine positiven Sätze.<br />
Ich sehe wie ich gut schwimme, und mit meiner Leistung zufrieden aus<br />
dem Wasser steige.<br />
Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir<br />
verschiedene Möglichkeiten.<br />
Ich wähle mein Umfeld sorgfältig aus. EM<br />
Heute bin ich beim Thema und versuche dabeizubleiben, soviel wie<br />
möglich aufzunehmen<br />
EL<br />
kompensieren<br />
96<br />
2.2.3 2.2<br />
JC planvolles vorgehen 2.2.1 2.2<br />
JC Arbeitstechnik,<br />
Ablesetechnik, kombinieren<br />
2.2.1 2.2<br />
JM Entspannungstechnik 2.2.2 2.2<br />
JM Arbeitstechnik,<br />
Imaginationstechnik<br />
Entspannung<br />
JP<br />
2.2.2 2.2<br />
Reflexion 2.2.4 2.2<br />
planvolles vorgehen,<br />
reflektieren<br />
2.2.4 2.2<br />
JP aufmerksam bleiben 2.2.1 2.2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Anhang 6: Schwierige Situationen<br />
Name Aussagen Reduktion Kategorie<br />
EM Bin draussen, möchte nicht, dass sie Rücksicht nehmen ausgeschlossen sein<br />
niemand nimmt Rücksicht, möchte<br />
das auch nicht, sie müssten es<br />
freiwillig tun.<br />
JM In der 2./3. Kasse gehörte ich nicht zu den Klassenfreundinnen. Sie gehöre nicht dazu<br />
gingen einfach weg <strong>von</strong> mir und wollten nicht mit mir spielen.<br />
ausgeschlossen sein<br />
EM<br />
Wenn ich nur mit einer Person im Ausgang bin und etwas Plaudere,<br />
geht das gut, weil ich ja der einzige Ansprechpartner bin.<br />
Wenn da jemand dazu kommt, bin ich plötzlich draussen im<br />
Gespräch,<br />
EM weil ich nichts verstehe.<br />
EM Ich finde es dann sehr schwierig ihnen mitzuteilen, dass ich froh<br />
wäre, wenn sie auf mich Rücksicht nehmen würde<br />
wenn in einer Gruppe gesprochen<br />
wird,<br />
verstehe ich kaum etwas<br />
Schwierigkeiten meine Wünsche zu<br />
formulieren<br />
Gruppengespräche verstehen<br />
schwierig<br />
niemand nimmt Rücksicht<br />
kann meine Bedürfnisse nicht<br />
mitteilen.<br />
97<br />
Ausgrenzung, Schule<br />
Ausgrenzung, Schule<br />
Nicht verstehen<br />
Nicht verstehen können<br />
fehlendes Selbstvertrauen und<br />
Durchsetzungsvermögen, nicht<br />
kommunizieren können<br />
keine Rücksichtnahe<br />
fehlende Empathie und diese<br />
nicht fordern können<br />
S1<br />
S1<br />
S3<br />
S3<br />
S4<br />
S1
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
ES<br />
ES<br />
ES<br />
Mein persönliches Unwohlsein, das mit den Fragen zu tun hat, „ wie<br />
soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen?“ Die anderen<br />
merken es gar nicht. Sie sehen wohl meine CI, sie wandern mich mit<br />
den Augen ab. Sie wissen nicht genau wie sie sich verhalten sollen.<br />
Die anderen fahren so weiter und warten ab, ob ich etwas sage dazu<br />
Als ich in der öffentlichen Schule war, war ich die einzige mit<br />
diesem Problem. Ich konnte es nicht auf eine selbstständige und<br />
natürliche Art bewältigen. Ich musste mich wieder anpassen und<br />
mein bestes geben.<br />
Niemand nahm Rücksicht oder wäre für mich eingestanden. Ich<br />
habe immer das Gefühl, weil es keine <strong>Schwerhörigen</strong> Schule ist,<br />
kann ich nichts Spezielles fordern, muss ich mich anpassen.<br />
wie kann ich mich mehr anstrengen,<br />
was soll ich tun?<br />
Ich bin die Einzige<br />
passe mich an<br />
Ich kann nicht fordern<br />
Unklarheit, wie ich mich verhalten soll<br />
Ausgrenzung, alleine fühlen<br />
Kann mich nicht für mich einsetzen<br />
unsicher, was ich fordern darf, was<br />
mir zusteht<br />
98<br />
Unsicherheit wie ich meine<br />
Schwerhörigkeit kommunizieren<br />
soll<br />
Ausgrenzungssituation,<br />
Isolation<br />
Unsicherheit wie ich meine<br />
Scherhörigkeit kommunizieren<br />
soll fehlendes<br />
Durchsetzungsvermögen, nicht<br />
kommunizieren , was ich<br />
möchte<br />
keine Rücksichtnahme.<br />
Fehlende Empathie<br />
S4<br />
S1<br />
S4<br />
S2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
JP Nachfragen ist für mich schwierig. Vor allem in der Schule. Jetzt wird<br />
es immer besser, am Anfang war es schwierig und schlimm für mich.<br />
JD Also, wenn ich jetzt schon an die Berufsschule denke, wird das<br />
schwierig und anstrengend für mich, weil ich dort niemanden kenne.<br />
EL Ich hatte Probleme mit der Identität und kannte keine anderen<br />
Hörbeeinträchtigten. Ich wollte eine Hörende sein. Ich war gut<br />
aufgehoben. aber in den Hörbehindertenlagern hat es mir gar nicht<br />
gefallen. Ich hatte so Mühe mit dieser Behinderung, dass ich mich<br />
noch weniger dazu bekannte<br />
EL Im I&S Kurs habe ich nichts gesagt und die Leute merkten etwas<br />
stimmt nicht mit mir.<br />
JC In der 1.Kl war ich Aussenseiterin wegen meinen Hörgeräten. Sie<br />
haben mir schlimme Wörter nachgesagt<br />
nachfragen ist schwierig<br />
wenn ich niemanden kenne<br />
der Einzige sein<br />
kannte keine anderen<br />
Hörbeeinträchtigeten<br />
Identitätsprobleme<br />
falsch eingeschätzt werden, wenn ich<br />
nicht sage, dass ich hörbeeinträchtigt<br />
bin.<br />
.<br />
99<br />
Unsicherheit wie ich meine<br />
Scherhörigkeit kommunizieren<br />
soll fehlendes<br />
Durchsetzungsvermögen, nicht<br />
kommunizieren , was ich<br />
möchte<br />
S4<br />
Alleine fühlen, Ausgrenzung S1<br />
Schwerhörigkeit ablehnen,<br />
Identitätsproblem<br />
Schwerhörigkeit ablehnen,<br />
Identitätsproblem,<br />
Komunikationsschwierigkeiten<br />
Aussenseiter sein, wegen HG, Ausgrenzungssituation S1<br />
S4<br />
S4
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
EM Es ist eine Einführung ins Tennis. Es hat viele Teilnehmer, alle<br />
sprechen durcheinander und man muss sich vorstellen.<br />
EL Wir haben in einem Provisorium Schule, in einer Fabrikhalle. Es hallt<br />
sehr und wenn die Schüler sprechen, verstehe ich überhaupt nichts.<br />
EL Im Zug, wenn eine Durchsage kommt, verstehe ich sie nicht.<br />
ES Im Verkehr bin ich auch unsicher, ob ich wirklich auch alles höre.<br />
JC In der Disco, wenn man wegen der lauten Musik nichts versteht.<br />
JC<br />
Wenn im Zug eine Durchsage ist, die ich es nicht verstehe,<br />
EL Beim Standortgespräch fanden die Fachleute, ich müsse die Prüfung<br />
nochmals machen, weil ich mündlich nicht gut rüber gekommen bin.<br />
Ich kam wieder nicht durch, ich war schockiert und sehr enttäuscht.<br />
Ich hatte den Mut und die Klarheit aber nicht, dass ich hätte<br />
nachfragen können.<br />
EE Im Kindergarten hatte ich bereits nichts gehört und galt als<br />
verhaltensauffällig.<br />
EE . Ich hatte in der Schule keine Vorbereitung auf die Lehre, auf die<br />
Kommunikation mit den Mitarbeitern, was da für Schwierigkeiten auf<br />
mich zukommen könnten.<br />
durcheinander sprechen<br />
Akustik ist schlecht, ich verstehe<br />
schlecht<br />
Durchsagen verstehe ich nicht<br />
akustisch nicht verstehen<br />
Verkehr macht unsicher<br />
akustisch nicht versehen<br />
Verunsicherung<br />
akustisch nicht verstehen<br />
unsicher, wie ich mündlich wirke,<br />
bekam keine Rückmeldung<br />
Unwissenheit der Lehrpersonen über<br />
falsch eingeschätzt werden<br />
Lehre und Kommunikation war hart,<br />
hatte keine Vorbereitung auf<br />
Realsituation<br />
100<br />
Nichtversehen<br />
Nichtversehen<br />
S3<br />
S3<br />
Nichtverstehen S3<br />
Nichtverstehen S3<br />
Nichtversehen<br />
Nichtverstehen<br />
keine Rücksichtnahme, keine<br />
Empathie<br />
Kommunikationsschwierigkeiten<br />
Unsicherheit, eigene Akzeptanz<br />
S3<br />
S3<br />
S2<br />
S4<br />
keine Empathie S2<br />
Kommunikations- und<br />
Verstehensschwierigkeiten<br />
<strong>von</strong> Lehrmeister<br />
S4
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
EE In der Lehre war es sehr schwierig. Der Lehrmeister war total nervös<br />
und hatte überhaupt keine Geduld gehabt.<br />
Lehrmeister war nicht vorbereitet auf<br />
mich, hatte keine Geduld<br />
falsch eingeschätzt werden<br />
101<br />
Reaktion der Umwelt, fehlende<br />
Empathie<br />
S2
Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />
Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />
Lebenslauf<br />
Rita Fontana, geb. 08. 05. 1960<br />
Mutter <strong>von</strong> zwei Söhnen<br />
Ausbildungen<br />
1977 – 1982 Lehrerseminar Pfäffikon/ Rickenbach<br />
1984 - 1987 Gestalt- und Kunsttherapieausbildung IAC, Zürich<br />
1987 - 1988 Designausbildung, Harrow College, London<br />
1988 - 2005 Diverse Ausbildungen im Bereich Beratung und Kommunikation<br />
2006 - 2009 Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Schwerpunkt Pädagogik<br />
für Schwerhörige und Gehörlose<br />
Berufliche Tätigkeit<br />
1982 – 1987 Primarlehrerin an der Regelschule, Brunnen<br />
1988 - 1990 Englisch- und Deutschlehrerin an der Oberstufe, Brunnen<br />
1990 – 1993 Deutschlehrerin DfF, Rüti<br />
1993 - 2005 Dozentin für Farbpsychologie und Farbgestaltung, Zürich<br />
2000 - 2006 Hörgeschädigtenpädagogin an einer Teilintegrationsklasse,<br />
Uster und Mönchaltdorf<br />
2006- Schulische Audiopädagogin am Zentrum für Gehör und<br />
Sprache, Zürich<br />
102