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Copingstrategien von Schwerhörigen - Sonos

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Hochschule für Heilpädagogik Zürich<br />

Departement 1/ Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose 06/09<br />

Master - Arbeit<br />

<strong>Copingstrategien</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Schwerhörigen</strong><br />

Mit welchen Strategien meistern<br />

schwerhörige Jugendliche und<br />

schwerhörige jüngere Erwachsene<br />

schwierige Situationen?<br />

Eingereicht <strong>von</strong>: Rita Fontana<br />

Beratung: Prof. lic. phil. Emanuela Wertli<br />

9. Januar 2009


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Abstract<br />

Menschen mit einer Hörschädigung sind in unserer Gesellschaft vermehrt mit schwierigen Situationen<br />

konfrontiert. Dies kann zu Stress führen. Gute <strong>Copingstrategien</strong> (Bewältigungsstrategien) erweisen<br />

sich dabei als Voraussetzung für eine gesunde Lebensführung. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die<br />

Frage, welche <strong>Copingstrategien</strong> die beiden Zielgruppen, schwerhörige Oberstufenschüler und jüngere<br />

Erwachsene, verwenden. In strukturierten Interviews mit vier Jugendlichen und vier Erwachsenen<br />

werden die <strong>Copingstrategien</strong> erfasst und mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse die Unterschiede<br />

der beiden Altersgruppen herausgearbeitet. Dabei zeigt sich unter anderem, dass im Laufe der<br />

Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen eine Verschiebung <strong>von</strong> vermeidenden hin zu<br />

reflexiven-planvollen Copingstilen stattfindet. Besonders die Hör- und Kommunikationsstrategien<br />

nehmen an Wichtigkeit zu. Aus diesen Erkenntnissen werden Empfehlungen für die<br />

audiopädagogische Praxis abgeleitet.<br />

2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung .............................................................................................................. 6<br />

1.1 Persönlicher Bezug........................................................................................................................ 6<br />

1.2 Problemdefinition und Herleitung der Fragestellung ..................................................................... 7<br />

1.3 Formulierung der Forschungsfrage ............................................................................................... 8<br />

1.3.1 Hauptfragestellung .................................................................................................................. 8<br />

1.3.2 Untergeordnete Fragen........................................................................................................... 8<br />

1.4 Hypothesen.................................................................................................................................... 8<br />

1.5 Entscheid über die verwendeten Forschungsmethoden ............................................................... 9<br />

1.6 Gliederung der Arbeit..................................................................................................................... 9<br />

2. Theoretischer Teil............................................................................................... 11<br />

2.1 Stresskonzepte ............................................................................................................................ 11<br />

2.1.1 Stresstoleranzgrenze ............................................................................................................ 13<br />

2.2 <strong>Copingstrategien</strong>.......................................................................................................................... 14<br />

2.2.1 Begriffsklärung ...................................................................................................................... 14<br />

2.2.2 Coping als Prozess ............................................................................................................... 14<br />

2.2.3 Coping- Modell nach Simmen ............................................................................................... 15<br />

2.3 Konzept der Salutogenese <strong>von</strong> Antonovsky................................................................................ 17<br />

2.3.1 Kohärenzgefühl ..................................................................................................................... 17<br />

2.3.2 Wege zu erfolgreichem Coping und Gesundheit .................................................................. 18<br />

2.3.3 Adoleszenz............................................................................................................................ 19<br />

2.3.4 Identität und Hörschädigung ................................................................................................. 19<br />

3. Empirischer Teil.................................................................................................. 21<br />

3.1 Methoden der Datengewinnung................................................................................................... 21<br />

3.1.1 Forschungsmethode ............................................................................................................. 21<br />

3.1.2 Erhebungsinstrument: Leitfadeninterview............................................................................. 21<br />

3.1.3 Aufbau des Interviews........................................................................................................... 22<br />

3.1.4 Beschreibung der Stichprobe................................................................................................ 22<br />

3.1.5 Pretest ................................................................................................................................... 22<br />

3.2 Durchführung der Datenerhebung............................................................................................... 23<br />

3.2.1 Auswahl der Stichprobe ........................................................................................................ 23<br />

3.2.2 Rahmenbedingung für die Durchführung der Interviews ...................................................... 23<br />

3.2.3 Erfahrungen bei der Durchführung der Interviews................................................................ 23<br />

3.2.4 Transkription.......................................................................................................................... 24<br />

3.2.5 Erarbeitung des Kategoriensystems ..................................................................................... 24<br />

4. Darstellung der Ergebnisse ............................................................................... 26<br />

4.1 Darstellung der Ergebnisse: Schwierige Situationen................................................................... 26<br />

4.2 Darstellung der Ergebnisse der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl ......................................................... 29<br />

4.2.1 Übersicht der gewählten <strong>Copingstrategien</strong> ........................................................................... 29<br />

3


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

4.2.2 Tabelle mit Prozentangaben zu den fünf Überkategorien, Anzahl Nennungen und<br />

Namencodes zu allen 13 Kategorien .................................................................................... 30<br />

4.2.3 Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen................ 32<br />

5. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse zur<br />

<strong>Copingstrategien</strong>auswahl.................................................................................. 33<br />

5.1 Definition der Begriffe „aussenorientierte“ und „innenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong> ................... 33<br />

5.2 Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>............................................................................................. 35<br />

5.2.1 Überkategorie „Kooperation“ und die Kategorien K1, K2, K3 ............................................... 35<br />

5.2.1.1 K1 Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen.................................................... 36<br />

5.2.1.2 K2 Kooperation mit fixer Bezugsperson..................................................................... 36<br />

5.2.1.3 K3 Kooperation mit Gleichbetroffenen ....................................................................... 38<br />

5.2.2 Überkategorie „Konfrontation“ und die Kategorien K4 und K5 ............................................. 39<br />

5.2.2.1 K4 Offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung ................................. 39<br />

5.2.2.2 K5 Abwägend- zurückhaltende Konfrontation............................................................. 41<br />

5.2.3 Überkategorie „sachlich informieren“ und die Kategorien K6 und K7................................... 43<br />

5.2.3.1 K6 Direkt und offen über die Schwerhörigkeit informieren......................................... 43<br />

5.2.3.2 K7 Abwägen und kontextbezogen über die Schwerhörigkeit informieren.................. 44<br />

5.3 Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>................................................................................................ 44<br />

5.3.1 Überkategorie „Vermeidung und Verdrängung“ und die Kategorien K8 und K9 .................. 45<br />

5.3.1.1 K8 Sich andern nicht mitteilen, Rückzug..................................................................... 45<br />

5.3.1.2 K9 Die Schwerhörigkeit verstecken............................................................................. 46<br />

5.3.2 Überkategorie „Reflexion und Planung“ und die Kategorien K10 - K14 .............................. 47<br />

5.3.2.1 K10 Hör- und Kommunikationsstrategien .................................................................. 48<br />

5.3.2.2 K11 Entspannen.......................................................................................................... 50<br />

5.3.2.3 K12 Mehraufwand betreiben ....................................................................................... 51<br />

5.3.2.4 K13 Denken- abwägen- adäquate Strategien entwickeln ........................................... 52<br />

6. Schlussteil........................................................................................................... 53<br />

6.1 Überprüfung der Hypothesen ...................................................................................................... 53<br />

6.2 Beantwortung der Fragestellungen.............................................................................................. 54<br />

6.2.1 Welches sind für schwerhörige Jugendliche und Erwachsene schwierige Situationen?...... 54<br />

6.2.2 Beantwortung der Forschungsfrage...................................................................................... 55<br />

6.2.2.1 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Jugendliche schwierige Situationen?........... 55<br />

6.2.2.2 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Erwachsene schwierige Situationen ............ 56<br />

6.2.2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> schwerhörigen<br />

13- bis 17-jährigen Jugendlichen und 27- bis 32-jährigen Erwachsenen .................. 57<br />

6.3 Beantwortung der untergeordneten Fragen ................................................................................ 58<br />

6.3.1 Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer eigenen<br />

Strategien bewusst?.............................................................................................................. 58<br />

6.3.2 Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer eigenen<br />

Strategien bewusst?.............................................................................................................. 58<br />

6.4 Diskussion und Schlussfolgerungen für die audiopädagogische Förderung............................... 59<br />

6.4.1 Soziale Unterstützung fördern............................................................................................... 60<br />

4


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

6.4.2 Stärkung der Persönlichkeit und Sozialkompetenzen erweitern........................................... 60<br />

6.4.3 Hör- und Kommunikationsstrategien vermitteln .................................................................... 61<br />

6.4.4 Aufbau <strong>von</strong> sozialen Netzwerken, Kontakte zu Gleichbetroffenen Jugendlichen und<br />

Erwachsenen......................................................................................................................... 62<br />

6.4.5 Vermitteln <strong>von</strong> Problemlösungsstrategien ............................................................................ 63<br />

6.4.6 Die Körperwahrnehmung schulen und Möglichkeiten für das eigene Wohlbefinden<br />

erkennen ............................................................................................................................... 63<br />

6.5 Reflexion der Arbeit ..................................................................................................................... 64<br />

6.5.1 Vorgehen............................................................................................................................... 64<br />

6.5.2 Weiterführende Forschungsfragen........................................................................................ 65<br />

7. Literaturverzeichnis ........................................................................................... 66<br />

8. Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... 70<br />

9. Anhang ................................................................................................................ 71<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

1. Einleitung<br />

1.1 Persönlicher Bezug<br />

Als Audiopädagogin betreue ich Jugendliche im Alter <strong>von</strong> 13 bis 17 Jahren. Schülerinnen und Schüler<br />

stehen in diesem Alter an der Schwelle zum Eintritt ins Berufsleben. Sie müssen sich mit ihren<br />

Fähigkeiten und Schwächen auseinandersetzen, dazu gehört auch die Hörbehinderung. Die<br />

Auseinandersetzung mit der Schwerhörigkeit ist ein wichtiger Teil der Identitätsarbeit. Mein Auftrag als<br />

Audiopädagogin ist unter anderem, meine Schüler im Identitätsprozess zu unterstützen und Angebote<br />

zu entwickeln, die ihnen für ihre Lebensgestaltung nützlich sind.<br />

Auch Hintermair weist darauf hin, dass Fachleute, die mit hörgeschädigten Menschen<br />

zusammenarbeiten, ihre wesentliche Arbeit darin sehen müssen, hörgeschädigte Menschen bei der<br />

Gestaltung ihrer Identitätsarbeit zu unterstützen und zu begleiten, um so „Empowermentprozesse“ zu<br />

initiieren. Es ist zentral, dass diese jungen Menschen fähig werden, ihre eigenen Angelegenheiten in<br />

die Hand zu nehmen und den Wert selbst erarbeiteter Lösungen schätzen lernen (2007, S. 100).<br />

Die Ausgangslage zur Themenfindung innerhalb dieser Arbeit war mein Interesse und meine Neugier,<br />

was Jugendliche <strong>von</strong> Erwachsenen lernen könnten. Ich vertrete die Überzeugung, dass durch eine<br />

Kontaktschaffung zwischen erwachsenen und jugendlichen <strong>Schwerhörigen</strong> ein wertvoller<br />

Erfahrungsaustausch stattfinden könnte. Diesen kann ich grundsätzlich nicht leisten, da mir die<br />

Erfahrung der Schwerhörigkeit abgeht. Schwerhörige Jugendlich könnten hier konkret <strong>von</strong><br />

schwerhörigen Erwachsenen lernen. Ich stellte mir vor, solche Kommunikationsplattformen zu<br />

etablieren. Eine konkrete Idee war, dass ich geeignete Erwachsene suche, die eine Art Mentorfunktion<br />

übernehmen würden und solche Austauschgruppen moderieren könnten. Die Themen könnten<br />

vielfältig sein und reichen <strong>von</strong> der Berufsfindung, dem Verhalten innerhalb der Berufswelt bis zu ganz<br />

persönlichen Themen wie Freundschaft und Partnerschaft.<br />

Dass ein solcher Austausch weitgehend nicht stattfindet, ist dadurch bedingt, dass durch die<br />

Integration der <strong>Schwerhörigen</strong> in einer öffentlichen Schule praktisch kein Austausch unter<br />

Gleichbetroffenen stattfindet. Zwar finden viermal jährlich vom APD (Audiopädagogischen Dienst<br />

Zürich) organisierte Treffen statt. Dabei besteht der Austausch aber lediglich unter Gleichaltrigen, d.h.<br />

er werden keine erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong> einbezogen.<br />

Im Rahmen dieser Arbeit wäre die Konzipierung und Etablierung solcher Kommunikationsplattformen<br />

zu weit gegangen, schon allein aus zeitlichen Gründen. Darum beschränke ich mich in der<br />

vorliegenden Arbeit auf die Erarbeitung <strong>von</strong> Grundlagen, indem ich mich näher mit schwierigen<br />

Situationen, <strong>Copingstrategien</strong> und deren Verbesserung bei jugendlichen und erwachsenen<br />

<strong>Schwerhörigen</strong> befasse.<br />

Durch die Beantwortung der Fragestellungen dieser Arbeit erhoffe ich mir wertvolle Erkenntnisse, die<br />

zu einer konkreten Verbesserung meiner jetzigen und künftigen Arbeit als Audiopädagogin beitragen<br />

werden. Bei der Unterstützung der jugendlichen <strong>Schwerhörigen</strong> erachte ich es grundsätzlich als<br />

wichtig, dass sie sich möglichst früh verschiedene und zuverlässige Strategien aneignen können, um<br />

dadurch wertvolle Instrumente für die Bewältigung <strong>von</strong> Stresssituationen zur Verfügung zu haben.<br />

6


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Schliesslich sollen durch die Erkenntnisse dieser Arbeit Grundlagen geschaffen werden, die mir<br />

behilflich sind für die praktische Umsetzung der oben dargelegten Idee der Etablierung <strong>von</strong><br />

Kommunikationsplattformen zwischen jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>.<br />

1.2 Problemdefinition und Herleitung der Fragestellung<br />

Hörbeeinträchtigte integrierte Jugendliche haben eine doppelte Erschwernis in der Adoleszenz.<br />

Einerseits wollen sie dazugehören, sich einer Gruppe anschliessen und andererseits verlangt das<br />

Alter, sich mit der eigenen Identität auseinander zu setzen. Das würde heissen, sich auch mit der<br />

Hörbeeinträchtigung und allen Begleitumständen befassen zu müssen. Gleichbetroffene fehlen, um<br />

sich austauschen oder vergleichen zu können. Keupp schreibt, dass angesichts des Machtgefälles<br />

zwischen Individuum und sozialer Welt dennoch nicht die blosse Anpassung an die Gegebenheit als<br />

gelungene Identität bezeichnet werden kann. Eine auf Anpassung ausgerichtete Identität bietet zwar<br />

ein gesichertes Mass an Anerkennung. Dafür muss der Mensch jedoch unangepasste Selbste und<br />

Identitätsentwürfe unterdrücken; oft ist ein recht hoher Preis zu entrichten (2006, S. 274). Diesen<br />

Spannungsbogen auszuhalten, erfordert sehr viel an eigenen Strategien, zumal bei den Hörenden<br />

nicht alles abgeschaut werden kann.<br />

Ich kann mir vorstellen, dass Schwerhörige spezifische Strategien haben, um mit der zusätzlichen<br />

Belastung der Schwerhörigkeit ein Leben mit physischem und psychischem Wohlbefinden zu leben.<br />

Es interessiert mich, Unterschiede und Gemeinsamkeiten <strong>von</strong> jugendlichen und erwachsenen<br />

<strong>Schwerhörigen</strong> bei der Bewältigung <strong>von</strong> schwierigen Situationen mittels <strong>Copingstrategien</strong><br />

herauszufinden. Im Rahmen meiner Arbeit befragte ich die zwei Zielgruppen: Einerseits 13- bis 17jährige<br />

Oberstufenschüler und anderseits junge schwerhörige Erwachsene, im Alter zwischen 27 und<br />

30 Jahren.<br />

Mit meiner Forschungsarbeit habe ich die Absicht herauszufinden, welche Bewältigungsstrategien in<br />

schwierigen Situationen angewendet werden.<br />

Gibt es dabei Unterschiede, die wesentlich durch das Alter bedingt sind und in welchem Ausmass<br />

findet eine altersbedingte Entwicklung und Verbesserung der <strong>Copingstrategien</strong> statt?<br />

Schliesslich möchte ich wissen, ob es sinnvoll wäre, bereits mit Oberstufenschülern gezielt an ihren<br />

<strong>Copingstrategien</strong> zu arbeiten.<br />

7


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

1.3 Formulierung der Forschungsfrage<br />

Durch das theoretische Vorwissen werden in diesem Kapitel Fragen und Hypothesen abgeleitet. Die<br />

Fragen dienen als Leitfaden für das Interview.<br />

1.3.1 Hauptfragestellung<br />

Mit welchen Strategien meistern schwerhörige 13 - bis 17-jährige Jugendliche und schwerhörige 27bis<br />

32-jährige Erwachsene schwierige Situationen?<br />

• Welche <strong>Copingstrategien</strong> verwenden schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche?<br />

• Welche <strong>Copingstrategien</strong> verwenden schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene?<br />

• Gibt es Übereinstimmungen?<br />

• Gibt es Unterschiede?<br />

1.3.2 Untergeordnete Fragen<br />

Schwierige Situationen:<br />

• Welches sind schwierige und belastende Situationen für schwerhörige 13- bis 17-jährige<br />

Jugendliche?<br />

• Welches sind schwierige und belastende Situationen für schwerhörige 27- bis 32-jährige<br />

Erwachsene?<br />

• Gibt es Übereinstimmungen?<br />

• Gibt es Unterschiede?<br />

Verbesserung der eigenen <strong>Copingstrategien</strong>:<br />

• Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer eigenen<br />

Strategien bewusst?<br />

• Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer eigenen<br />

Strategien bewusst?<br />

Schlussfolgerung für die pädagogische Praxis:<br />

• Was kann für die audiopädagogische Förderung abgeleitet werden?<br />

1.4 Hypothesen<br />

1. Erwachsene haben quantitativ mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Auswahl, da sie über eine längere<br />

Lebenserfahrung verfügen als jugendliche Schwerhörige.<br />

2. Erwachsene Schwerhörige verfügen über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> als jugendliche<br />

Schwerhörige.<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

1.5 Entscheid über die verwendeten Forschungsmethoden<br />

Ich habe mich für eine qualitative Ausrichtung <strong>von</strong> Sozialforschung entschieden. Die Grundlage<br />

bildeten Leitfadeninterviews (je vier pro Zielgruppe), welche vorwiegend qualitativ ausgewertet<br />

wurden. Um den Vergleich zu ermöglichen, habe ich dabei auch quantitative Auswertungen<br />

vorgenommen. Die Zusammenführung und Integration der qualitativen und quantitativen<br />

Auswertungen der Ergebnisse bilden die Basis für die Interpretation und Diskussion im Hinblick auf<br />

die Beantwortung der definierten Forschungsfragen.<br />

1.6 Gliederung der Arbeit<br />

Die Arbeit ist gegliedert in:<br />

• einen theoretischen Teil (Kapitel 2)<br />

• einen empirischen Teil und (Kapitel 3 und 4)<br />

• die Interpretation der Ergebnisse des empirischen Teils (Kapitel 5)<br />

• den Schlussteil (6. Kapitel)<br />

Im theoretischen Teil werden vorerst die für die Arbeit zugrunde liegenden Stress- und<br />

Copingkonzepte <strong>von</strong> Lazarus, Simmen, Antonovsky und Seiffge- Krenke dargelegt. Da für die<br />

Beantwortung der Fragestellung die Thematik der Adoleszenz, als dem Erwerb neuer sozialer und<br />

kognitiver Fähigkeiten, eine wichtige Rolle spielt und es im Wesentlichen auch um den<br />

Identitätsprozess <strong>von</strong> Hörgeschädigten geht, werden auch dazu einige theoretische Grundlagen<br />

erläutert.<br />

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit besteht aus dem empirischen Teil inklusive der Darstellung<br />

und Interpretation der ermittelten Ergebnisse. Anfangs wird auf die <strong>von</strong> den Interviewten genannten<br />

schwierigen Situationen eingegangen. Diese wurden in vier Kategorien unterschieden. Hier erfolgte<br />

ein erster Vergleich der Aussagen der Erwachsenen gegenüber den Jugendlichen. Die 108<br />

Nennungen der Interviewten bezüglich ihrer verwendeten <strong>Copingstrategien</strong> wurden vorerst in<br />

aussenorientierte und innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> unterschieden. Anschliessend wurde eine<br />

differenzierte Unterteilung in fünf Überkategorien und 13 Kategorien vorgenommen.<br />

Im 5. Kapitel werden die fünf Überkategorien und die Kategorien (K1- K13) ausführlich dargestellt. Die<br />

13 Kategorien wurden jeweils definiert, interpretiert und diskutiert. Auch hier ging es um die<br />

Herausarbeitung <strong>von</strong> Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Zielgruppen. Dabei wurden die<br />

qualitativen Aussagen und quantitativen Auswertungen (in absoluten Zahlen und in Prozenten)<br />

miteinander verglichen.<br />

Im Schlussteil (6. Kapitel) wird auf die Hypothesen eingegangen, die Forschungsfrage und die<br />

untergeordneten Fragen werden beantwortet. Bei den Schlussfolgerungen für die audiopädagogische<br />

Förderung werden die Erkenntnisse aus dem empirischen Teil mit den dargelegten theoretischen<br />

Konzepten zusammengeführt. Dabei wird auch die Funktion der Audiopädagogen sowie weiteren<br />

Bezugspersonen eingegangen und es werden Antworten auf die Fragen gegeben, wo und in welcher<br />

Weise interveniert werden kann und soll, damit schwerhörige Jugendliche eine Verbesserung ihrer<br />

9


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Ausgangssituation bewirken und ihre <strong>Copingstrategien</strong> erfolgreich anwenden können. Der Abschluss<br />

der Arbeit bildet die kritische Reflexion über den Arbeitsprozess und die Ergebnisse.<br />

Aus Gründen der Leserfreundlichkeit habe ich in der vorliegenden Arbeit immer die männliche Form<br />

verwendet, selbstverständlich ist damit auch die weibliche Form gemeint.<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

2. Theoretischer Teil<br />

Die hier dargelegten Theorien beziehen sich unmittelbar auf die Fragestellung. Es wurde aus der<br />

umfangreichen Literatur eine Auswahl getroffen. Zu Stress und belastenden Situationen fanden sich<br />

wertvolle Informationen bei Lazarus und Kaluza. Zu <strong>Copingstrategien</strong> wurden die Grundlagenwerke<br />

<strong>von</strong> Lazarus, Antonovsky und Simmen herangezogen. Antonovsky hat mit seinem Konzept der<br />

Salutogenese eine Theorie und Haltung dargelegt, die in verschiedener Hinsicht zentral erscheint. Es<br />

wird spezifisch auf seinen Begriff des Kohärenzgefühls eingegangen.<br />

2.1 Stresskonzepte<br />

Das theoretische Konzept der Bewältigung hat sich aus dem Stresskonzept entwickelt. Lazarus war<br />

einer der ersten, der Stress und Coping explizit als Prozess darstellte, wobei er hauptsächlich die<br />

Dynamik <strong>von</strong> Einschätzung und Coping untersuchte. Stress ist nach Lazarus (1981, zitiert nach<br />

Kavsek 1992, S.8) „jedes Ereignis … in dem äussere oder innere Anforderungen (oder beide) die<br />

Anpassungsfähigkeit eines Individuums, eines sozialen Systems oder eines organischen Systems<br />

beanspruchen oder übersteigen.“<br />

Wenn wir die verschiedenen Stresstheorien betrachten, dann ergeben sich sowohl Gemeinsamkeiten<br />

wie Unterschiede. Gemeinsam bei allen Theorien ist, dass Stress eine Störung des Gleichgewichts<br />

bewirkt. Da<strong>von</strong> gehen im Wesentlichen alle Stresstheorien aus.<br />

Hinsichtlich der spezifischer Definition des Stresses gibt es Unterschiede in Bezug auf das Interesse<br />

der Betrachtung. Dabei wird unterschieden in:<br />

1. die reizorientierte Definition (Reiz-Reaktionsmodell)<br />

2. das Reaktionsorientierte Stressmodell<br />

3. die transaktionalorientierte Definition <strong>von</strong> Stress<br />

zu1) Im Mittelpunkt des Interesses kann der Reiz stehen. Bei den reizorientierten Theorien wird<br />

nach dem Reiz-Reaktionsmodell der Stress als belastender Stimulus <strong>von</strong> aussen betrachtet. Dieser<br />

bewirkt beim Individuum eine Störungsreaktion.<br />

Bei einem aktuellen Stressgeschehen lassen sich grundsätzlich immer drei Aspekte oder Ebenen<br />

<strong>von</strong>einander unterscheiden:<br />

• Die äusseren belastenden Bedingungen und Situationen, die Stressoren genannt werden.<br />

• Die körperlichen und psychischen Antworten des Organismus auf diese Belastungen, die als<br />

Stressoren bezeichnet werden.<br />

• Individuelle Motive, Einstellungen und Bewertungen, mit denen das Individuum an die<br />

belastenden Situationen herangeht und die häufig mitentscheidend sind dafür, ob überhaupt<br />

Stressreaktionen auftreten.<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Als belastende Situationen (Stressoren) werden alle Anforderungsbedingungen bezeichnet, in deren<br />

Folge es zur Auslösung einer Stressreaktion kommt. Stressoren sind Ereignisse, die <strong>von</strong> einer Person<br />

bewusst oder unbewusst als stressreich bewertet werden, sie sind daher immer subjektiv. Dabei kann<br />

es sich um inhaltlich völlig unterschiedliche Situationen handeln.<br />

Häufige Stressoren:<br />

• physikalische Stressoren (Lärm, Hitze, Kälte, Nässe )<br />

• körperliche Stressoren (Verletzung, Schmerz, Hunger, Behinderung)<br />

• Leistungsstressoren (Zeitdruck, Überforderung, Unterforderung, Prüfungen)<br />

• soziale Stressoren (Konkurrenz, Isolation, zwischenmenschliche Konflikte, Trennung)<br />

(Kaluza, 2005 S.13- 14)<br />

zu 2) Liegt der Fokus bei der Reaktion, dann geht man der Frage nach, wie auf den negativen<br />

Stimulus reagiert wird und untersucht dabei die affektiven, verhaltensmässigen und/oder<br />

physiologischen Anpassungsreaktionen des Organismus.<br />

Dieser Begriff bezeichnet Prozesse, die auf Seiten der betroffenen Person als Antwort auf einen<br />

Stressor in Gang gesetzt werden. Diese Antworten können auf der körperlichen, auf der behavioralen<br />

und auf der kognitiv-emotionalen Ebene ablaufen. Stressreaktionen laufen nicht bei allen Menschen in<br />

allen Belastungssituationen in gleicher stereotyper Weise ab.<br />

Auf der körperlichen Ebene kann es zu Veränderungen kommen. Spürbar ist das z.B. an einem<br />

schnelleren Herzschlag oder an einer erhöhten Muskelspannung.<br />

Die behaviorale Ebene der Stressreaktionen umfasst das „offene“ Verhalten, das <strong>von</strong><br />

Aussenstehenden beobachtbar ist, also all das, was die betroffene Person in einer belastenden<br />

Situation tut oder sagt. Dies sind z.B.:<br />

• Hastiges und ungeduldiges Verhalten, Essen herunterschlingen, andere unterbrechen.<br />

• Betäubungsverhalten, z.B. unkontrolliertes Rauchen und Trinken, Schmerz- oder<br />

Aufputschmittel einnehmen<br />

• unkoordiniertes Arbeitsverhalten<br />

• konfliktreicher Umgang mit anderen Menschen<br />

Die kognitiv-emotionale Ebene der Stressreaktionen umfasst das „verdeckte“ Verhalten. Darunter<br />

sind jene intrapsychische Vorgänge zu verstehen, die für Aussenstehende nicht direkt sichtbar sind,<br />

also alle Gedanken und Gefühle, die bei der betroffenen Person in einer belastenden Situation<br />

ausgelöst werden können. Dies sind zum Beispiel:<br />

• Gefühle der inneren Unruhe, der Nervosität<br />

• Gefühle der Unzufriedenheit und des Ärgers<br />

• Angst zu versagen<br />

• Gefühle der Hilflosigkeit<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

• Selbstvorwürfe<br />

• kreisende Gedanken<br />

Die körperlichen, behavioralen und kognitiv-emotionalen Stressreaktionen können sich wechselseitig<br />

aufschaukeln (Kaluza, 2005 S.13- 14).<br />

zu 3) Im dritten Stressmodell werden Reiz und Reaktion in wechselseitige Beziehung zueinander<br />

gesetzt. Auch hier ist es wiederum R.S. Lazarus, der als Begründer des transaktionistischen<br />

Stressmodells gilt und Stress systemisch definiert als das Wechselspiel zwischen System und<br />

Umwelt. „Stress stellt ein relationales Konzept dar, in dem ein Gleichgewicht hergestellt werden muss<br />

zwischen den Anforderungen und der Fähigkeit, mit diesen Anforderungen ohne zu hohe Kosten oder<br />

destruktive Folgen fertig zu werden“ (Lazarus, 1995, zitiert nach Bodenmann, S.74).<br />

2.1.1 Stresstoleranzgrenze<br />

Wird also ein Ereignis oder eine Situation <strong>von</strong> der Person als herausfordernd, bedrohlich oder<br />

schädigend eingeschätzt und nimmt sie diese durch innere oder äussere Bedingungen gestellten<br />

Anforderungen als die eigenen Ressourcen beanspruchend oder übersteigend wahr, dann entsteht<br />

Stress (Lazarus & Launier, 1981). Das üblicherweise stattfindende Wechselspiel zwischen<br />

Belastungsaufbau und Entspannung, welches die Dynamik des täglichen Lebens kennzeichnet, kann<br />

in Situationen höherer Belastungsdichte gestört sein und zu einer gesteigerten Beanspruchung des<br />

Organismus führen. Findet die Kumulierung <strong>von</strong> Stress auf mehreren Ebenen statt, darf <strong>von</strong> einer<br />

maximalen und häufig nicht mehr adäquat zu bewältigenden Belastung ausgegangen werden.<br />

Besonders gefährdet sind Personen bei denen Stressoren verschiedener Qualität zusammenfallen.<br />

Die individuelle Stresstoleranzgrenze, die aufgrund früherer Erfahrungen und genetischer<br />

Prädispositionen unterschiedlich hoch ist, entscheidet schliesslich darüber, zu welchem Zeitpunkt sich<br />

die destabilisierenden Einflüsse durch psychische, physische oder soziale Auffälligkeiten zeigen.<br />

Spätestens hier gibt es Anlass zur Stressbewältigung. (Tesch-Römer et al., 1997, S.76).<br />

Abbildung 1: Stresstoleranzgrenze nach Bodenmann in Tesch – Römer (1997) S.76<br />

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2.2 <strong>Copingstrategien</strong><br />

2.2.1 Begriffsklärung<br />

Der Begriff Coping (engl. to cope: fertig werden mit, etwas gewachsen sein) wird in Psychologie,<br />

Medizin und Psychotherapie als Oberbegriff für Bewältigungsformen und Krankheitsverarbeitung<br />

benutzt. Darunter werden zusammengefasst alle kognitiven, emotionalen und verhaltensmässigen<br />

Aktivitäten, die dazu dienen, Konflikte, Belastungen oder Stress zu bewältigen. Im Unterschied zum<br />

Konzept der Abwehr, das vorbewusste oder unbewusste Mechanismen zur Regulation<br />

intrapsychischer Belastungen beschreibt, werden Copingprozesse verstanden als bewusst<br />

eingesetzte (also nicht automatisch einsetzende) Strategien, die in Belastungssituationen der<br />

Problemlösung und Affektregulation dienen. Der Begriff Coping umfasst somit nicht nur solche<br />

Reaktionen, die auf eine aktive Meisterung der Belastungssituationen abzielen, sondern auch alle<br />

Reaktionen, die auf ein Aushalten, Tolerieren, Vermeiden und auch Verleugnen zum Ziel haben. Es<br />

geht nicht um den Erfolg, sondern um die Bemühungen mit den Anforderungen fertig zu werden<br />

(Kaluza, 2005). Das Copingkonzept geht zurück auf die Stresstheorie <strong>von</strong> Lazarus (1966) die besagt,<br />

das Coping der Versuch ist, interne und externe Anforderungen zu vermindern, zu meistern, damit<br />

fertig zu werden oder zu tolerieren.<br />

Allerdings wird der Begriff des Copings in der psychologischen und sozialen Forschung<br />

unterschiedlich verwendet und entzieht sich einer prägnanten Begriffsbestimmung (Tesch- Römer,<br />

1997, S. 1). Viele Autoren grenzen sich <strong>von</strong> der Definition <strong>von</strong> Lazarus ab. Sie beklagen unter<br />

anderem die mangelnde begriffliche Klarheit.<br />

Neben dem Begriff „Coping“ lassen sich in der Literatur ausserdem die Begriffe „Bewältigung“ oder<br />

„Belastungsverarbeitung“ finden. Allerdings werden diese Konzepte nicht immer synonym gebraucht.<br />

Lazarus und Folkman (1984) unterscheiden zwei grundsätzlich verschiedene <strong>Copingstrategien</strong>:<br />

• Problemfokussiertes Coping umfasst den direkten Umgang mit dem Stressor. Das mit<br />

Stress verbundene Problem wird direkt angegangen, mit dem Ziel eine Änderung der Situation<br />

herbeizuführen. Darunter fällt auch die Suche nach Kampf- oder Fluchtmöglichkeiten oder<br />

soziale Unterstützung sowie die Stärkung der Widerstandskraft<br />

• Emotionsfokussiertes Coping trachtet danach, das mit Stress verbundene Unbehagen zu<br />

reduzieren. Statt den Stressor geht es vielmehr darum, sich selbst zu ändern. Dabei geht es<br />

um die Kontrolle und Regulation der eigenen negativen Emotionen als Reaktion auf das<br />

Stresserlebnis. Dazu dienen unter anderem Aktivitäten, die am Körper ansetzen, die<br />

Einnahme <strong>von</strong> Medikamenten, das Annehmen <strong>von</strong> emotionaler Hilfe <strong>von</strong> anderen.<br />

2.2.2 Coping als Prozess<br />

Nur wenn Stress wahrgenommen wird, setzen Initiativen zur Bewältigung ein. Lazarus und Folkman<br />

(1984, S. 141) definieren Coping als „…kognitive oder verhaltensbezogene Bemühungen, um<br />

spezifische externale und /oder internale Anforderungen zu bewältigen, die als herausfordernd und die<br />

persönlichen Ressourcen bedrohend wahrgenommen werden.“ Coping zielt also auf die Reduktion<br />

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<strong>von</strong> Stress, der aus der Konfrontation mit fordernden oder überfordernden Ansprüchen resultiert. Die<br />

Wahl der Copingstrategie hängt ab <strong>von</strong> der subjektiven Bewertung der belastenden Situation im<br />

Hinblick auf die eigenen Fähigkeiten, damit fertig zu werden. Hierbei spielen Gefühle wie Sicherheit,<br />

Macht oder Ohnmacht (im Zusammenhang mit Kontrollüberzeugungen infolge zur Verfügung<br />

stehender Fähigkeiten und Möglichkeiten) und individuelle Wertmuster eine wichtige Rolle.<br />

Die <strong>von</strong> Seiffge-Krenke (1995) durchgeführte Studie, Coping Across Situations Questionnaire,<br />

umfasst 20 <strong>Copingstrategien</strong>. Wie Faktorenanalysen zeigen, lassen sich die Strategien zu drei<br />

Klassen gruppieren: aktive Bewältigung unter Nutzung sozialer Ressourcen, internale<br />

Bewältigungsstrategien überwiegend mit instrumenteller Funktion und problemmeidendes Verhalten<br />

überwiegend mit palliativer Funktion. Instrumentelle oder problemorientierte Bewältigung zielt auf die<br />

Veränderung der stressauslösenden Gegebenheit ab. Dabei kann es sich um äussere Situationen<br />

handeln, wie Lärm und Termine oder Einstellungen der Person. Palliative oder emotionsgesteuerte<br />

Bewältigung ist auf eine Regulierung der Stressreaktionen wie Angst- oder Ärgerreaktionen<br />

ausgerichtet.<br />

Für Bodenmann ist es wichtig, dass im Coping-Prozess der Komplexität genügend Rechnung<br />

getragen wird und somit auch genügend Zeit eingeräumt wird. Er beleuchtet vier Gesichtspunkte:<br />

• Stress im zeitlichen Verlauf, Stresskumulierung<br />

• Stress im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse (dyadisches Coping)<br />

• Kaskadenmodell <strong>von</strong> Stress und Coping (Abfolge <strong>von</strong> verschiedenen Copingreaktionen in<br />

Abhängigkeit des Stressniveaus)<br />

• Stressprozess im Wechselspiel <strong>von</strong> offenem und verdecktem Bewältigungsverhalten<br />

(in Tesch-Römer, 1997, S. 75)<br />

2.2.3 Coping- Modell nach Simmen<br />

René Simmen ist klinischer Psychologe und Heilpädagoge und bezeichnet Coping ähnlich wie<br />

Lazarus und Folkman als „prozesshafte Auseinandersetzung einer Person mit kritischen<br />

Lebensereignissen im Gefolge <strong>von</strong> chronischen Krankheiten und Behinderungen“(2000, S. 51).<br />

Der erfolgreiche Umgang mit stressreichen Erlebnissen hängt massgeblich da<strong>von</strong> ab, welche Mittel<br />

gegeben sind um konstruktive Handlungen ins Auge zu fassen. Unter Ressourcen versteht man<br />

diejenigen Faktoren, deren Verfügbarkeit die Bewältigung <strong>von</strong> Stress erleichtern.<br />

Simmen meint, dass keine Copingstrategie für sich allein genommen als gut oder schlecht bezeichnet<br />

werden kann. Mit Hilfe eines Modells zeigt Simmen, dass jede Copingstrategie sich aufgrund der<br />

jeweiligen Ausprägung auf den drei Anteilen charakterisieren lässt (2000, S. 52).<br />

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Coping - Anteile extreme Ausprägungen<br />

Coping- Ziele Umgang mit Folgeereignissen Umgang mit der Krankheit<br />

Coping- Art durch konkretes Handeln durch symbolisches<br />

Handeln (Denken,<br />

emotionales Verarbeiten)<br />

Coping- Intensität passives Erdulden aktiv gestaltend<br />

Abbildung 2: Coping-Modell nach Simmen (2000), S. 52<br />

In der Arbeit mit Klienten wurden folgende Fragen und Kriterien in Bezug auf das Coping der Klienten<br />

beachtet:<br />

Komplexität<br />

Wie gross ist das Repertoire an <strong>Copingstrategien</strong> und Copingverhalten, über die eine Person verfügt?<br />

Wo bestehen allfällige Lücken, die zu Lerninhalten werden können? Wo können die Ressourcen<br />

ausgebaut und dadurch Lücken geschlossen werden?<br />

Flexibilität<br />

Wie flexibel in Bezug auf unterschiedliche Situationen und Umweltbedingungen setzt die Person ihr<br />

verfügbares Coping- Repertoire ein? Lässt sie sich mehrheitlich <strong>von</strong> aussen bestimmen, oder nimmt<br />

sie durch einen geschickten Einsatz ihres Coping-Repertoirs selbst Einfluss auf das Geschehen?<br />

Lernfähigkeit<br />

Wie lernt die Person aus ihren eigenen Erfahrungen aus den Konsequenzen ihres Copingverhaltens?<br />

Ist der Person ihr eigenes Copingverhalten bewusst? Hat sie sich schon mit alternativen Möglichkeiten<br />

befasst?<br />

Chronische Krankheiten oder Behinderungen kann keiner akzeptieren, man kann damit leben lernen.<br />

Unbeantwortet bleiben oft die Fragen, wer den Betroffenen dabei hilft und wie diese Hilfe aussehen<br />

müsste. Chronische Krankheiten und Behinderungen stellen grosse Anforderungen an die<br />

Lernbereitschaft und Lernfähigkeit des Betroffenen. So ist dies auch die Kernaufgabe der Berater.<br />

Wichtig ist es, dass sie selber lernfähig bleiben und sich nicht an einem allgemeingültigen<br />

Phasenverlauf des Copingprozesses orientieren, sondern sich und den Klienten <strong>von</strong> einem<br />

Erwartungsdruck befreien. Die Betroffenen selbst bleiben die „Experten“ für ihre eigene, einmalige und<br />

unverwechselbare Situation. Sie werden dafür auch anerkannt und ernst genommen (Simmen, S.55-<br />

56).<br />

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2.3 Konzept der Salutogenese <strong>von</strong> Antonovsky<br />

Eine ressourcenorientierte Grundhaltung zeigt sich auch im Konzept der Salutogenese <strong>von</strong><br />

Antonovsky. Bestimmte Menschen bleiben gesund trotz erheblicher Belastungen und<br />

Krankheitsgefährdung. Nach Antonovsky handelt es sich bei diesen schützenden Faktoren um<br />

“generalisierte Widerstandsressourcen“, die Personen schützen, so dass Belastungen nicht zu<br />

Bedingungen für Krankheit werden. Von zentraler Bedeutung für die erfolgreiche Bewältigung <strong>von</strong><br />

Spannungen und Stress ist für ihn eine personale Ressource, die er als SOC „sense of coherence“<br />

bezeichnet und mit der die Überzeugung des Einzelnen umschrieben wird, über hinreichende<br />

Handlungs- und Bewältigungsfähigkeiten zur Steuerung und Gestaltung des Lebens verfügen zu<br />

können, wobei die Hilfe anderer genauso wichtig ist wie die eigene Kraft.<br />

Antonovsky geht da<strong>von</strong> aus, dass Stressoren zum menschlichen Leben gehören. Vielen Menschen<br />

mit hohem Stressniveau geht es gut, es werden nicht alle krank oder leiden. Auch die Konsequenzen<br />

<strong>von</strong> Stressoren sind nicht notwendigerweise pathologisch. Anstatt sich auf Stressoren zu<br />

konzentrieren, kann man sich fragen, welche Faktoren daran beteiligt sind, dass man sich auf einen<br />

gesunden Pol hin bewegen kann. Es werden Copingressourcen ins Zentrum der Aufmerksamkeit<br />

gestellt. Wie sich die Gesundheit des Menschen entwickelt, dies versucht die Salutognese zu<br />

enträtseln (1997).<br />

2.3.1 Kohärenzgefühl<br />

Die Antwort, die sich auf die salutogenetische Frage entwickelte, war das Konzept des<br />

Kohärenzgefühls (SOC). Antonovsky nannte das Kohärenzgefühl eine globale Orientierung, die das<br />

Mass ausdrückt, in dem jemand ein überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens<br />

hat, dass die Anforderungen, die sich im Verlauf des Lebens ergeben, vorhersehbar und erklärbar<br />

sind; dass einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um diese Anforderungen als<br />

Herausforderungen zu sehen, für die es sich lohnt, Engagement zu zeigen. Es ist eine bestimmte Art<br />

im Leben zu stehen und die Beziehungen mit der Umwelt aufzufassen. Die drei Komponenten des<br />

Konzepts sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit.<br />

Verstehbarkeit<br />

Sie bezieht sich auf das Ausmass, wie man interne und externe Stimuli als kognitiv sinnhaft<br />

wahrnimmt. Jemand mit einem hohen Grad an Verstehbarkeit geht da<strong>von</strong> aus, dass Stimuli, denen<br />

man begegnen wird, vorhersagbar sein werden, oder zumindest eingeordnet und erklärt werden<br />

können. Es besteht eine solide Fähigkeit die Realität zu beurteilen.<br />

Handhabbarkeit<br />

Damit wird das Ausmass bezeichnet, in dem man wahrnimmt, dass man geeignete Ressourcen zur<br />

Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen, die <strong>von</strong> den Stimuli erzeugt werden. Es können<br />

Ressourcen sein, die man selber unter Kontrolle hat oder <strong>von</strong> legitimiert anderen (Ehepartner, Freund,<br />

Arbeitgeber, usw.) kontrolliert werden. Wer ein hohes Mass an Handhabbarkeit besitzt, wird durch<br />

schwierige Ereignisse, die es immer wieder gibt, nicht in die Opferrolle gedrängt. Man ist überzeugt,<br />

Möglichkeiten zu haben, die Situation mitgestalten zu können.<br />

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Bedeutsamkeit<br />

Die Bedeutsamkeit des Kohärenzgefühls bezieht sich auf das Ausmass, in dem man das Leben<br />

emotional als sinnvoll empfindet, dass wenigstens einige vom Leben gestellten Probleme und<br />

Anforderungen es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und<br />

sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforderungen sind als Lasten.<br />

Antonovsky bewertet die drei Komponenten nicht gleich stark. Die Bedeutsamkeit scheint ihm am<br />

wichtigsten zu sein. Nur wenn die Motivation da ist, engagiert man sich. Als nächste wichtige<br />

Komponente nennt er die Verstehbarkeit, da ein hohes Mass der Handhabbarkeit da<strong>von</strong> abhängt.<br />

(Antonovsky, 1998, S. 34- 38).<br />

2.3.2 Wege zu erfolgreichem Coping und Gesundheit<br />

Stressoren, die uns im Leben begegnen, sind vielfältig. So kann eine Person mit einem hohen Mass<br />

an Herausforderungen, Veränderungen im Leben eher als Norm, denn als Ausnahme auffassen und<br />

antizipiert diese als Stimulus für Wachstum und nicht als Sicherheitsgefährdung.<br />

Aus der Perspektive der Herausforderung kann ein Grossteil der Störung, die mit dem Eintreten eines<br />

stresshaften Lebensereignisses einhergeht, als eine Möglichkeit und ein Ansporn für die persönliche<br />

Weiterentwicklung genutzt werden. Personen, die Herausforderungen willkommen heissen, zeichnen<br />

sich durch Offenheit, kognitive Flexibilität und durch Ambiguitätstoleranz aus. Solche Personen<br />

werden sich auf die Frage konzentrieren, welche Ressourcen zur Problembewältigung mobilisiert<br />

werden können. In der Überzeugung, dass Probleme geordnet werden können, kann die Person<br />

Chaos in Ordnung, Verwirrung in Klarheit verwandeln. Personen mit einem schwachen<br />

Kohärenzgefühl werden sich auf die emotionalen Parameter konzentrieren, darauf, wie sie mit der<br />

Angst oder dem Unglücklichsein umgehen können. Diese Personen gehen da<strong>von</strong> aus, dass Chaos<br />

unumgänglich ist und versuchen der Situation auch keinen Sinn abzugewinnen.<br />

Wir gehen mit Stressoren immer in einem kulturellen Kontext um und bei optimalem Kohärenzgefühl<br />

sind wir innerhalb dieser kulturellen Einschränkungen in der Auswahl der <strong>Copingstrategien</strong> flexibel.<br />

Man hat festgestellt, dass es nicht in erster Linie entscheidend ist, welche Copingstrategie genutzt<br />

wird, sondern wie viele zur Verfügung stehen und wie flexibel man damit umgehen kann.<br />

Für Antonovsky ist ein starkes Kohärenzgefühl noch kein Copingstil. Ein starres oder automatisches<br />

Benutzen des immer gleichen Copingstils bedeutet der Natur des Stressors nicht gerecht zu werden.<br />

Die Person mit einem starken Kohärenzgefühl wählt eine bestimmte Copingstrategie aus, die am<br />

geeignetsten scheint, mit dem Stressor umzugehen. Sie ist fähig eine Kombination <strong>von</strong><br />

Coingstrategien auszuwählen und anzuwenden.<br />

Antonovsky schreibt, dass der Mensch nicht ohne schädliche Folgen auf einem hohen und intensiven<br />

Level emotionaler Spannung verharren kann, auch nicht, wenn die Emotionen angenehm sind. Man<br />

muss sich entspannen, um nicht zu erschöpfen. Eine Person mit einem starken Kohärenzgefühl wird<br />

sich ihrer Emotionen eher bewusst sein, kann sie benennen und fühlt sich dadurch weniger bedroht<br />

(Antonovsky, 1997).<br />

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2.3.3 Adoleszenz<br />

Als Adoleszenz wird die Lebensphase bezeichnet, die den Übergang <strong>von</strong> der Kindheit ins<br />

Erwachsenenalter beschreibt. Der Begriff der Adoleszenz wird bewusst sehr weit gefasst, da nur eine<br />

mehrdimensionale Betrachtung der Vielfalt dieser Entwicklungsphase gerecht werden kann. Eine<br />

Reihe tief greifender körperlicher wie psychischer Veränderungen finden statt, die oft zu<br />

Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft führen. Die Adoleszenz wird oftmals als eine Phase des<br />

„erhöhten Selbstbewusstseins“ betrachtet. In diesem Prozess spielt der Erweb neuer sozialer und<br />

kognitiver Fertigkeiten eine wichtige Rolle. Herzka definiert diese Selbstfindung im Rahmen des<br />

dialogischen Konzepts als eine Phase, die dem Jugendlichen die Widersprüchlichkeit zwischen dem<br />

Individuum und seiner Lebenswelt offenbart. Die Jugendlichen müssen lernen, Spannungen<br />

auszuhalten und auszugleichen und schliesslich im Zuge der Identitätsbildung zu integrieren (1991).<br />

Vorwiegend wollen Menschen in der Adoleszenz selbständig werden, sich behaupten und sich <strong>von</strong><br />

Hilfestellungen lösen. Sie wollen ihre eigenen Wege gehen und das Leben selber gestalten. Sie<br />

möchten das Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Das Leben ist ein entwicklungsoffener<br />

Prozess, wo der Mensch seine Biographie erschafft. Die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen<br />

beschleunigen diesen Prozess (Brater,1997).<br />

Beck meint, dass in Zeiten, in denen niemand die Vorgaben der Zukunft wissen kann, Lernen nicht<br />

länger mit dem Trichtermodell organisierbar ist. Alle Jugendlichen müssen heute lernen, ganz aus sich<br />

heraus, auf sich gestellt, in einer Welt voller Widersprüche ihr Leben zu führen. Genau dieser offene<br />

Prozess muss in Ausbildungsprozessen gelernt werden (1997).<br />

Im Verlauf der Adoleszenz hat sich im besten Falle ein ziemlich realistisches Selbstbild entwickelt. Der<br />

Jugendliche weiss, dass er sich nicht in allen Situationen seinem Idealbild entsprechend verhalten<br />

kann. Er vermag sich selbst viel realistischer als früher einzuschätzen, kennt seine Stärken und<br />

Schwächen genauer. Mit der Bildung des Selbstkonzeptes verfügt der Jugendliche über gute<br />

Voraussetzungen zur Identitätsbildung.<br />

2.3.4 Identität und Hörschädigung<br />

Der Identitätsprozess ist, so sehen es die meisten neueren Ansätze der Identitätsforschung, nicht<br />

mehr nur ein Mittel, um am Ende der Adoleszenz ein Niveau einer gesicherten Identität zu erreichen,<br />

sondern der Motor lebenslanger Entwicklung. Identitätsarbeit ist vor allem Verknüpfungsarbeit, die<br />

dem Subjekt hilft, sich im Strom der eigenen Erfahrungen selbst zu begreifen. Einerseits ordnet der<br />

Mensch seine Erfahrungen einer zeitlichen und einer lebensweltlichen Perspektive unter, andererseits<br />

verknüpft es Erfahrungen die ähnlich und unterschiedlich sind. Identität entsteht als Passungsarbeit<br />

an der Schnittstelle <strong>von</strong> Innen und Aussen. Der Identitätsprozess basiert vor allem im Aushandeln mit<br />

der Umwelt und mit sich selbst. Die Verknüpfungsarbeit ist stark kulturell und narrativ geprägt. Indem<br />

Erfahrungen prägen, werden sie nicht nur zusammengefasst, sondern auch sortiert, eingeordnet und<br />

oftmals umgeschrieben. Es erfolgt ein Vergleich mit aktuellen und vergangenen Erfahrungen.<br />

Identitätsarbeit bleibt nicht bei der retrospektiven Selbstreflexion stehen, es geht auch um die Zukunft<br />

des Menschen. Allerdings sind retrospektive und prospektive Prozesse immer miteinander verbunden,<br />

es gibt keine Erinnerung, die nicht auch in die Zukunft gerichtet wäre, und keinen Entwurf, der nicht<br />

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vergangene Erfahrungen beinhalten würde (Hintermair, 2007). Für die alltägliche Identitätsarbeit sind<br />

zum einen nicht einfach „objektiv“ vorhandene Ressourcen relevant, sondern was ein Mensch<br />

wahrnimmt, jene Ressourcen, die er nutzen kann. Oft ist es gerade der Mangel an gewissen<br />

Ressourcen, der einen Entwicklungsprozess initiieren kann. Selbst dann, wenn zur Umsetzung <strong>von</strong><br />

Identitätszielen oder –projekten die entsprechenden Kompetenzen, Energien und Kontakte erst noch<br />

angeeignet werden müssen, wirken diese bereits als Zukunftsorientierung und<br />

Entwicklungsressourcen. Viele Ressourcen sind keineswegs schon eine Garantie für eine gelingende<br />

Identitätsentwicklung (Keupp, 2006 S.189 – 198).<br />

Gutjahr (2007) fragt sich, inwiefern der Identitätsprozess bei hörgeschädigten Menschen anders<br />

verläuft und ob das Weniger-Hören Auswirkungen auf die Lebensgestaltung oder die psychosoziale<br />

Gesundheit und Erleben eines Menschen hat. Diese Frage lässt sich aus der Sicht <strong>von</strong> Hörenden<br />

nicht beantworten und müsste individuell und auf den jeweiligen Menschen bezogen, untersucht<br />

werden.<br />

Hörgeschädigte Menschen bezeichnen ihre Hörschädigung sehr unterschiedlich. Hessmann schlägt<br />

vor, man solle nicht in erster Linie die korrekte Bezeichnung des Hörschadens finden, weil sich in der<br />

Benennung die subjektive Erfahrung des Betroffenen widerspiegelt. Die Entscheidung, welcher Begriff<br />

gewählt wird, soll alleine durch die Hörgeschädigten bestimmt werden (1998). Weder in der Audiologie<br />

noch unter Hörgeschädigtenpädagogen herrscht Einigkeit über die Begrifflichkeit. Manche bezeichnen<br />

einen Gehörverlust bis 90dB als schwerhörig, andere setzen die Grenze bei 100dB (Gutjahr, 2007).<br />

Ich werde in der vorliegenden Arbeit vor allem den Begriff ‚schwerhörig’ verwenden, da <strong>von</strong> acht<br />

Interviewten sieben hochgradig schwerhörig sind. Selber bevorzugen über die Hälfte der Befragten<br />

den Begriff schwerhörig. .<br />

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3. Empirischer Teil<br />

3.1 Methoden der Datengewinnung<br />

Das Ziel <strong>von</strong> Wissenschaft und Forschung ist es, Aussagen zu erarbeiten, die über eine bestimmte<br />

vorgegebene Situation hinaus gültig sind. Wenn es um empirische Forschung geht, dann ergeben sich<br />

grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze wie dieses Ziel erreicht werden kann, entweder stärker<br />

quantitativ oder qualitativ ausgerichtet.<br />

3.1.1 Forschungsmethode<br />

Bei der Wahl der Forschungsmethode wurde für diese Arbeit die qualitative Ausrichtung gewählt,<br />

unter Einbezug <strong>von</strong> qualitativen Interviews.<br />

Die Arbeit beinhaltet aber auch quantitative Auswertungen. Mit dem Wissen, dass aufgrund der<br />

kleinen Stichprobe hieraus keine erhärtete wissenschaftliche Erkenntnis abgeleitet werden kann.<br />

Der eigentliche Grund für den Entscheid, qualitativ zu arbeiten war aber, dass es bei der angewandten<br />

Forschung – basierend auf qualitativen Interviews – nicht allein darum geht, allgemeine Aussagen und<br />

Hypothesen zu überprüfen, so wie es die klassische quantitative empirische Forschung tut, sondern<br />

tendenziell Theorie überprüfend zu forschen. Zwar habe ich auch mit Hypothesen gearbeitet, die ich<br />

überprüft habe.<br />

Nach Moser geht es in qualitativen Studien darum, Deutungen zu entwickeln, die etwas Typisches<br />

beschreiben, während bei quantitativen Verfahren mit Hilfe <strong>von</strong> statistischen Daten Theorien<br />

überprüft werden. Auch in der qualitativen Forschung gilt das Kriterium der Verallgemeinerung. Man<br />

erstrebt ein Ergebnis, das über den einzelnen Fall hinausgeht, man sucht etwas Exemplarisches,<br />

Typisches (2003, S. 22 – 26).<br />

3.1.2 Erhebungsinstrument: Leitfadeninterview<br />

Als Methode zur Datengewinnung wurde in der vorliegenden Arbeit das Interview gewählt. Das<br />

Interview ist eine Form der Datenerhebung mit dem Ziel, subjektive Informationen und Interpretationen<br />

über einen Forschungsgegenstand zu erfragen. Oft interessieren dabei die Aussagen <strong>von</strong><br />

Schlüsselpersonen aus unterschiedlichen Gruppen, deren Sichtweisen miteinander verglichen<br />

werden. Bei qualitativen Interviews beschränkt man sich meistens auf eine kleine Zahl <strong>von</strong> Personen,<br />

die stellvertretend für ein spezifisches Untersuchungsfeld Aussagen machen (Moser, 2003, S. 94).<br />

Interviews verlaufen oft nach einem vorher erstellten, forschungsrelevanten Leitfaden, wie in der<br />

Broschüre Wissenschaftliches Arbeiten der HfH nachzulesen ist (2007, S. 5). Mit dem Begriff<br />

Leitfaden bezeichnet man ein mehr oder weniger strukturiertes schriftliches Frageschema. Es dient<br />

als Orientierungshilfe und Gedächtnisstütze und enthält sämtliche wichtige Fragen. Man unterscheidet<br />

zwischen Schlüsselfragen, das sind solche, die unbedingt gestellt werden sollten und optimalen<br />

Fragen, die <strong>von</strong> untergeordneter Bedeutung sind. Von zentraler Bedeutung ist immer der Bezug einer<br />

Frage zur Fragestellung (Stigler und Reicher, 2005, S. 129).<br />

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3.1.3 Aufbau des Interviews<br />

Um Antworten auf die zentralen Fragen zu erhalten, ist es wichtig, einen Leitfaden auszuarbeiten. Eng<br />

verbunden mit der theoretischen Relevanz, im Sinne der Fragestellung, ist die inhaltliche Dimension<br />

einer Frage. Es ist immer zu prüfen, ob die Frage tatsächlich auf den intendierten Inhalt zielt. Je<br />

geschlossener die Fragen sind, desto leichter gestaltet sich die Auswertung. Jedenfalls sollten keine<br />

thematischen Sprünge im Gesprächsverlauf gemacht werden. Bei der Formulierung der Fragen sollte<br />

vor allem die Verständlichkeit eines der wichtigsten Kriterien sein (Stigler und Reicher, 2005, S. 130 -<br />

131).<br />

Folgende inhaltliche Aspekte wurden im Interview erfasst: (siehe Interview, Anhang 1)<br />

• Was sind schwierige Situationen?<br />

• Welche <strong>Copingstrategien</strong> werden verwendet? (Hauptfragestellung)<br />

• Haben sich die Strategien im Laufe des Lebens verbessert oder verändert?<br />

• Wie könnte man <strong>Copingstrategien</strong> einüben?<br />

3.1.4 Beschreibung der Stichprobe<br />

Lamnek schreibt, dass eine gezielte Auswahl der Stichprobe immer auch willkürlich ist und der<br />

Forscher nie wissen kann, ob er eine selektive Auswahl vorgenommen hat. Deshalb sind<br />

Generalisierungen problematisch. Bei qualitativen Methoden geht es eben eher um Typisierungen,<br />

weshalb die Repräsentativität nicht so bedeutsam ist (2005). Bei qualitativen Studien spielt die<br />

inhaltliche Repräsentation eine zentrale Rolle. Die Informanten sollen über das Wissen und die<br />

Erfahrung verfügen, deren die Forscher bedürfen, sie sollten die Fähigkeit haben, zu reflektieren und<br />

zu artikulieren (Stigler und Reicher, 2005, S. 100).<br />

Ich suchte zwei Vergleichsgruppen, vier jugendliche Schwerhörige im Alter <strong>von</strong> 13 bis17 Jahren und<br />

vier erwachsene Schwerhörige im Alter <strong>von</strong> 27 bis 32 Jahren. Alle sollten über gute lautsprachliche<br />

Kompetenzen verfügen.<br />

Folgende Kriterien waren für die Stichprobe massgebend:<br />

Gruppe 1 Gruppe 2<br />

13- bis 17- jährige Schwerhörige 27- bis 32- jährige Schwerhörige<br />

Oberstufenschüler Stundenten, oder berufstätig<br />

besuchen die öffentliche Schule selbständig lebend<br />

3.1.5 Pretest<br />

Den Probelauf machte ich mit einer 24-jährigen schwerhörigen Frau. Das Interview dauerte dreissig<br />

Minuten und fand in der Wohnung der betreffenden Person statt. Der Einstieg erfolgte über die Frage<br />

nach schwierigen Situationen und eröffnete das Feld für den Umgang mit diesen Situationen. Der<br />

Probelauf half mir mit der Technik zu Recht zu kommen und zeigte mir, dass gewisse Fragen nur den<br />

Fluss des Gespräches störten. Einige Fragen erwiesen sich als suggestiv und zu geschlossen, worauf<br />

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ich sie aus dem Interviewleitfaden strich. Bei anderen Fragen wiederholte sie Aussagen, die sie<br />

bereits in einer andern Frage beantwortet hatte. Ich beschloss, diese Fragen so zu belassen, denn<br />

auch Doppelaussagen sind nützliche Informationen und zeigen die Wichtigkeit der Aussage auf. Das<br />

Probeinterview hätte durchaus brauchbare Daten geliefert, nur war die Frau zu jung und gehörte somit<br />

nicht in meine Stichprobe.<br />

3.2 Durchführung der Datenerhebung<br />

3.2.1 Auswahl der Stichprobe<br />

Einige der Interviewpartner kenne ich durch meine Arbeit als Audiopädagogin und die andern waren<br />

mir unbekannt und wurden mir <strong>von</strong> Kollegen vermittelt. Oft waren die Personen, die ich gerne befragt<br />

hätte, zu jung oder zu alt und es brauchte Geduld, jene zu finden, die zu meiner Stichprobe passten.<br />

Somit hat die Stichprobe auch einen Zufallscharakter. Alle acht befragten Personen sind mittelgradig<br />

bis hochgradig schwerhörig, haben keine zusätzliche Behinderung, sieben da<strong>von</strong> sind lautsprachlich<br />

orientiert, eine erwachsene Person spricht in Gebärdensprache und in Lautsprache. Alle erwachsenen<br />

Personen besuchen oder besuchten eine Fachhochschule. Zwei Jugendliche besuchen die<br />

Sekundarschule im Niveau A und zwei im Niveau B. Bei den erwachsenen Informanten sind zwei<br />

männlich und zwei weiblich. Bei den Jugendlichen drei weiblich und eine Person männlich. Alle<br />

Jugendlichen besuchen die öffentliche Schule und sind Aktivmitglieder in einem Sportclub, alle<br />

betreiben ein Hobby und <strong>von</strong> vier Befragten, haben drei schwerhörige Geschwister. Eine jugendliche<br />

Person hat neben der Hörbehinderung noch zusätzliche gesundheitliche Probleme. Sieben<br />

Interviewpartner tragen Hörgeräte und eine erwachsene Person trägt ein Cochlear Implantat.<br />

3.2.2 Rahmenbedingung für die Durchführung der Interviews<br />

Mir war es wichtig, dass die Befragten bestimmen konnten, wo die Interviews durchgeführt werden<br />

sollten. Mir schien es vorteilhaft, wenn sie in ihrer Lebenswelt bleiben konnten, damit ein gewisses<br />

Mass an Vertrautheit und Alltäglichkeit gewährleistet war.<br />

Bei den Jugendlichen fragte ich die Eltern um das Einverständnis und holte vorher eine schriftliche<br />

Erlaubnis ein, mit der Zusicherung, dass alle Daten anonymisiert werden. Dasselbe tat ich bei den<br />

Erwachsenen. (Einverständniserklärung, Anhang 2)<br />

3.2.3 Erfahrungen bei der Durchführung der Interviews<br />

Lamnek betont, dass die Neugierde, theoretische Fragestellungen zu beantworten, nicht dominieren<br />

darf. Der Interviewer passt sich den Denkstrukturen und dem Sprachvermögen des Befragten an.<br />

Jede Fremddetermination wäre nicht nur behindernd, sondern auch schädlich. Es liegt am Interviewer,<br />

gerade die Selbstverständlichkeiten anzusprechen, und dies kann oft nur durch suggestive<br />

Fragestellung bewirkt werden (2005, S. 389)<br />

Ich habe mich schon im Vorfeld gefreut, diese Menschen kennen zu lernen und es war mir wichtig<br />

ihnen zu vermitteln, dass ihre Informationen wichtige Bausteine für meine Arbeit sind. Ich versuchte<br />

nicht aufdringlich nachzufragen, sondern ein natürliches Gespräch in Gang zu halten. Es gab eine<br />

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Gesprächsaufwärmungszeit vor dem Interview und einen Gesprächsausklang nach dem Interview.<br />

Diese Zusatzgespräche gaben mir Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt der Befragten, zeigten<br />

mir die speziellen Wesenszüge und vermittelten wichtige Wertvorstellungen. Für diese Offenheit bin<br />

ich allen Interviewpartnern sehr dankbar. Bei der Beantwortung der Fragen zeigte sich die Persönlichkeit<br />

der einzelnen Menschen deutlich. Mir haben diese Begegnungen über das Forschungsinteresse<br />

hinaus sehr viel Freude bereitet.<br />

Die vier Interviews mit den erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong> fanden zur Hälfte in ihren Wohnungen statt,<br />

die anderen zwei Interviews wurden an neutralen Orten durchgeführt. Die Erwachsenen waren sehr<br />

gesprächig und in ihren Aussagen recht differenziert. Ich bekam zu allen Fragen genügend Aussagen.<br />

Ich stellte auch fest, dass alle sich schon öfters Gedanken zu ihren <strong>Copingstrategien</strong> gemacht und im<br />

Verlaufe des Lebens einige Erfahrungen gesammelt hatten, die sie mir offen mitteilten.<br />

Die Jugendlichen befragte ich in der Schule. Sie verhielten sich eher zurückhaltend. Ich vermute, weil<br />

sie sich zu den Interviewfragen zuerst Gedanken machen mussten und sie sich das erste Mal bewusst<br />

mit dem Thema <strong>Copingstrategien</strong> befassten. Daher waren die Aussagen nicht so zahlreich wie bei<br />

den Erwachsenen.<br />

3.2.4 Transkription<br />

Der erste Schritt der Analyse besteht aus der Verschriftlichung der durchgeführten Interviews. Flick<br />

schreibt dazu, dass man sich <strong>von</strong> der Sparsamkeitsregel der Aufzeichnungen leiten lassen solle. Das<br />

heisst, der Forscher soll nur so viel aufzeichnen, wie er zur Beantwortung der Fragestellung braucht.<br />

Die wörtliche Transkription, inklusive Nebengesprächen und Räuspern, wäre die andere Art der<br />

Niederschrift (2002).<br />

Ich habe sinnhaltige Sätze wörtlich wiedergegeben. Dialekt, Selbstkorrekturen, Räuspern und andere<br />

Eigenheiten wurden aufgrund der besseren Lesbarkeit und Verstehbarkeit weggelassen oder<br />

korrigiert. Für den Zweck dieser Arbeit wäre eine Transkription inklusive Sprechpausen oder<br />

Betonungen nicht zweckmässig gewesen.<br />

Da in der Mehrzahl der Fälle die Interviews auf Schweizerdeutsch geführt wurden, habe ich sie ins<br />

Schriftdeutsche übersetzt, somit änderte sich die Satzstellung oder die Ausdrücke bekamen einen<br />

anderen Wortlaut. Ich war aber bedacht, dass die Aussagen dem ursprünglichen Inhalt entsprachen.<br />

Die Transkripte wurden mit der Bandaufnahme nochmals verglichen und wenn nötig korrigiert.<br />

Ich habe mir die biographischen Besonderheiten notiert, die dann später bei der Interpretation <strong>von</strong><br />

Nutzen sein könnten. Die Transkripte wurden jeweils unmittelbar nach dem Interview<br />

niedergeschrieben, dadurch waren die Eindrücke noch ganz lebendig.<br />

3.2.5 Erarbeitung des Kategoriensystems<br />

In der Literatur werden zwei Wege beschrieben, die zu Kategorien führen. Beim deduktiven Weg<br />

werden aufgrund <strong>von</strong> Vorwissen der Forscher und aufgrund ihrer Fragestellung, Schlüsselbegriffe<br />

formuliert, mit denen dann das Datenmaterial auf einschlägige Stellen abgesucht wird. Die<br />

Entwicklung der Kategorien erfolgt also vor der Durchsicht des Datenmaterials. Beim induktiven<br />

24


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Vorgehen erfolgt die Formulierung der Kategorien während und nach der Durchsicht des<br />

Datenmaterials. Altrichter und Posch meinen, dass gerade für die Sozialforschung eine Mischung<br />

beider Methoden am günstigsten wäre (2007, S. 195).<br />

Da ich mich intensiv mit <strong>Copingstrategien</strong> befasst und den theoretischen Teil der Arbeit bereits vor<br />

den Interviews verfasst hatte, ging ich mit Vorkenntnissen an die Kategorienbildung heran. Ich bildete<br />

Kategorien, die mir sinnvoll schienen. Ich versuchte auf deduktive Weise das Datenmaterial diesen<br />

Kategorien zuzuordnen. Mit einer Zweitperson verglich ich die Zuordnungen und stellte fest, dass viele<br />

Aussagen zu mehreren Kategorien passten, was mich veranlasste, das Kategoriensystem neu zu<br />

überarbeiten. Ich kam mit den Namen und Definitionen der <strong>Copingstrategien</strong> aus der Literatur nicht<br />

zurecht, denn sie liessen sich zu wenig scharf unterscheiden und waren inhaltlich zu weit gefasst. Es<br />

existiert auch kein einheitliches Klassifikationsschema. Daher liess ich alle diese Vorkenntnisse<br />

beiseite und war neugierig wie sich die Aussagen auf induktive Weise zu Kategorien<br />

zusammenfassen lassen. Nach verschiedenen Zuordnungsversuchen entschied ich mich, das<br />

Datenmaterial vorerst zwei übergeordneten Kategorien zuzuordnen. Ich unterteilte das Material in<br />

innere- und äussere Bewältigungsstrategien. Anschliessend fasste ich die Aussagen zu Oberbegriffen<br />

zusammen und das Kategoriensystem entwickelte sich auf induktive Weise weiter. Mayering formuliert<br />

das wie folgt: „ Die induktive Kategorienbildung hingegen leitet die Kategorien direkt aus dem Material<br />

in einem Verallgemeinerungsprozess ab, ohne sich auf vorab formulierte Theoriekonzepte zu<br />

beziehen“ (2008, S.75). Die Definition der Kategorien ist wichtig, dadurch wird bestimmt, welche<br />

Aussagen zugeordnet werden können. Anschliessend habe ich zu jeder Kategorie konkrete<br />

Textstellen eingefügt, die als Ankerbeispiel dienen sollen. Damit Klarheit zwischen der Abgrenzung<br />

der einzelnen Kategorien besteht, werden Kodierregeln formuliert, die eine eindeutige Zuordnung<br />

ermöglichen. Bei einem ersten Materialdurchgang wird erprobt, ob die Kategorien überhaupt greifen,<br />

ob die Definitionen, Ankerbeispiele und Kodierregeln eine eindeutige Zuordnung ermöglichen<br />

(Mayering, 2008, S. 83). Ich machte mehrere Probedurchgänge und es gab jeweils Überarbeitungen.<br />

Die Kategorien wurden geändert und genauer definiert und die Aussagen wurden teilweise anders<br />

zugeordnet. Schliesslich entstanden fünf Überkategorien und dreizehn Kategorien. Das gebildete<br />

Kategoriensystem hilft zudem, die Analyse auch für Aussenstehende nachvollziehbar zu machen. Das<br />

Kategoriensystem befindet sich im Anhang 3.<br />

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4. Darstellung der Ergebnisse<br />

Es handelt sich bei dieser Arbeit um ein qualitatives Auswertungsverfahren, dennoch kommt es zu<br />

Quantifizierungen. Es sind die Anzahl Aussagen aus den geführten Interviews, die aufgelistet und<br />

interpretiert werden. Die Ergebnisse der Jugendlichen und der Erwachsenen werden jeweils<br />

miteinander verglichen. Um eine Vergleich zu erhalten, sind die Ergebnisse auch in Prozenten<br />

dargestellt worden. Sowohl bei der Eingangsfragestellung „Welches sind für dich schwierige<br />

Situationen“, wie auch bei der Aufzählung der <strong>Copingstrategien</strong>, sind Kategorien erstellt worden.<br />

Wenig Nennungen innerhalb einer Kategorie heissen nicht, dass diese Strategien kaum vorkommen,<br />

sondern nur, dass sie kaum erwähnt wurden. Womöglich hätte es bei konkreter Fragestellung, wie<br />

das bei standardisierten Interviews vorkommt, eine andere Verteilung der Antworten gegeben. Die<br />

Kategorien wollte ich nicht nur deskriptiv darstellen, daher erstellte ich zu jeder Kategorie eine Tabelle<br />

mit quantitativen Angaben. Anschliessend wurden immer einige ausgewählte Aussagen der<br />

Interviewpartner als Beispiele aufgeführt oder in der Interpretation und Diskussion verwendet.<br />

4.1 Darstellung der Ergebnisse: Schwierige Situationen<br />

Als Einstiegsfrage beim Interview wurden die Jugendlichen und Erwachsenen zuerst nach<br />

schwierigen Situationen befragt und erst in einem zweiten Schritt nach ihren <strong>Copingstrategien</strong>. Die<br />

Antworten sind ausführlich im Anhang 6 nachzulesen. Erwachsene nannten 20 schwierige<br />

Situationen, die für sie belastend waren und teilweise noch sind. Jugendliche nannten nur sechs<br />

schwierige Situationen.<br />

In der untenstehenden Tabelle sind die Situationen in vier Kategorien, die induktiv hergeleitet wurden,<br />

zusammengefasst und zeigen einen Vergleich zwischen den jugendlichen und erwachsenen<br />

<strong>Schwerhörigen</strong>.<br />

Die Kategorien werden hier mit „S“ abgekürzt, damit sie sich <strong>von</strong> den Kategorien der<br />

<strong>Copingstrategien</strong>, die mit „K“ abgekürzt werden, unterscheiden. Zuerst steht die Anzahl Nennungen<br />

und anschliessend die Prozentzahl.<br />

Kategorien Schwierige Situationen Erwachsene Jugendliche<br />

S1 Ausgrenzungssituation<br />

2 Aussagen 3 Aussagen<br />

10%<br />

50%<br />

S2 fehlende Empathie und<br />

5 Aussagen -<br />

Rücksichtnahme aus der Umwelt<br />

25%<br />

0%<br />

S3 Auf Grund der Schwerhörigkeit 6 Aussagen 2 Aussagen<br />

akustisch nicht verstehen können<br />

30%<br />

34%<br />

S4 Schwierigkeit, wie mit der<br />

7 Aussagen 1 Aussagen<br />

Schwerhörigkeit umgegangen<br />

werden soll<br />

35%<br />

16%<br />

Abbildung 3: Schwierige Situationen<br />

20 Aussagen<br />

100%<br />

6 Aussagen<br />

100%<br />

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Kategorie S1: Ausgrenzungssituationen<br />

In diese Kategorie fallen zwei Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen, in denen sie Bezug auf frühere<br />

Erlebnisse nahmen. Niemand beklagte sich über Ausgrenzungssituationen zum jetzigen Zeitpunkt.<br />

Auch die Jugendlichen nahmen Bezug auf frühere Situationen und nannten drei Erlebnisse.<br />

„In der 1.Kl war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte. Sie haben mir schlimme Wörter<br />

nachgesagt“ (JC).<br />

„In der 2./3. Kasse gehörte ich nicht zu den Klassenfreundinnen. Sie gingen einfach weg <strong>von</strong> mir und<br />

wollten nicht mit mir spielen“(JM).<br />

Interpretation<br />

Von Seiten der Erwachsenen gibt es nur zwei Nennungen und ich nehme an, dass die Befragten zum<br />

jetzigen Zeitpunkt recht gut mit ihrer Lebenssituation zu Recht kommen und mehrere verlässliche<br />

Bezugspersonen haben. Die Jugendlichen scheinen in der Kindheit unter Ausgrenzungssituationen<br />

gelitten zu haben und diese Situationen sind ihnen noch sehr präsent. Es könnte aber auch sein, dass<br />

Ausgrenzungssituationen erst im Nachhinein als solche erkennbar sind und zugelassen werden.<br />

Meines Erachtens sind gerade in der Adoleszenz Peerkontakte wichtig. Dies wird auch <strong>von</strong> Gutjahr<br />

bestätigt: „Voraussetzung für die Entstehung eines sozialen (…) Netzwerkes ist jedoch zunächst, dass<br />

Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung Gleichaltrige kennen lernen können, ihnen überhaupt<br />

die Möglichkeit zur Verfügung steht, vor allem mit nicht behinderten Kindern, zusammenzutreffen“<br />

(Gutjahr, 2007, S. 235).<br />

Kategorie S 2: Keine Rücksichtnahme, fehlende Empathie, negative Reaktion aus der Umwelt<br />

Erwachsene nennen fünf Situationen und Jugendliche keine. Die betroffenen Erwachsenen nennen<br />

einerseits Situationen, in denen sie aufgrund ihrer Schwerhörigkeit verkannt werden und andererseits<br />

auf ihre spezielle Situation keine Rücksicht genommen wird. Die folgenden Begebenheiten, die<br />

Erwachsene beschreiben, nehmen wiederum Bezug auf ihre Kindheit.<br />

„Niemand nahm Rücksicht oder wäre für mich eingestanden. Ich habe immer das Gefühl, weil es<br />

keine <strong>Schwerhörigen</strong> Schule ist, kann ich nichts Spezielles fordern, muss mich anpassen“(ES).<br />

„Im Kindergarten hatte ich bereits nichts gehört und galt als verhaltensauffällig“(EE).<br />

Interpretation<br />

Die befragten Erwachsenen und Jugendlichen beklagen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht über<br />

fehlende Empathie. Dass die Jugendlichen keine Situation erwähnen, in denen sie zuwenig Empathie<br />

erleben, könnte folgendermassen interpretiert werden:<br />

Fehlende Empathie oder Rücksichtnahme muss zuerst als solche erkannt werden und vielleicht<br />

verfügen die Jugendlichen noch nicht über die nötigen Zusammenhänge und die nötige<br />

Reflexionsfähigkeit. Es mag sein, dass sie solche Situationen emotional wahrnehmen, aber diese<br />

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nicht formulieren können. Einerseits kann dies ein Schutz sein und bewahrt vor unliebsamen<br />

Tatsachen, andererseits kann durch das Verdrängen die Situation nicht verändert werden.<br />

Kategorie S3: Auf Grund der Schwerhörigkeit akustisch nicht verstehen können<br />

In diese Kategorie fallen acht Nennungen, zwei <strong>von</strong> Jugendlichen und sechs <strong>von</strong> Erwachsenen. Die<br />

unten aufgeführten Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen beschreiben typische Situationen, sie beziehen sich<br />

auf den zwischenmenschlichen Bereich und auch auf schlechte räumliche Verhältnisse.<br />

„Wir haben in einem Provisorium Schule, in einer Fabrikhalle. Es hallt sehr und wenn die Schüler<br />

sprechen, verstehe ich überhaupt nichts“(EL).<br />

„Wenn ich nur mit einer Person im Ausgang bin und etwas plaudere, geht das gut, weil ich ja der<br />

einzige Ansprechpartner bin. Wenn da jemand dazu kommt, bin ich plötzlich draussen im Gespräch“<br />

(EM).<br />

Interpretation<br />

Auch hier ist auffallend, dass vor allem Erwachsene an schlechten akustischen Situationen leiden und<br />

diese als solche wahrnehmen. Es ist erwiesen, dass schwerhörige Menschen aufgrund ihrer<br />

Hörbeeinträchtigung erhebliche Zusatzleistungen erbringen müssen und dass sie oft unter schlechten<br />

Kommunikationsbedingungen leiden. Daher ist es verwunderlich, dass Jugendliche diese Situationen<br />

nur wenig nennen.<br />

Kategorie S4: Schwierigkeit, wie mit der Schwerhörigkeit umgegangen werden soll<br />

Ein Jugendlicher und sieben Erwachsene berichten über ihre Schwierigkeiten im Bereich der<br />

Kommunikation mit anderen.<br />

„Ich habe immer das Gefühl, weil es keine <strong>Schwerhörigen</strong>- Schule ist, kann ich nichts Spezielles<br />

fordern, muss ich mich anpassen“(ES).<br />

„Nachfragen ist für mich schwierig. Vor allem in der Schule. Jetzt wird es immer besser, am Anfang<br />

war es schwierig und schlimm für mich“(JP).<br />

Interpretation<br />

Die Erwachsenen beschreiben vor allem Situationen <strong>von</strong> früher. Es fiel ihnen schwer, ihre besonderen<br />

Bedürfnisse aufgrund ihrer Schwerhörigkeit anderen mitzuteilen. Es bestand eine grosse<br />

Verunsicherung über ihre Rechte. Sie wussten nicht, wie viel Rücksicht sie <strong>von</strong> andern fordern<br />

können. Es braucht Selbstvertrauen und die Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber, um die<br />

eigene Situation offen zu beschreiben und um mögliche Unterstützung zu bitten. Die Anpassung wird<br />

oft bevorzugt. Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung müssen aufgrund der bruchstückhaften<br />

auditiven Wahrnehmung stets einen erhöhten Konzentrationsaufwand leisten. Wenn diese<br />

schwierigen Situationen, die oft zu Stress führen, nicht mit geeigneten <strong>Copingstrategien</strong> gemildert<br />

werden können, führt dies oft zu Erschöpfung und der Zunahme <strong>von</strong> Versagensängsten und der<br />

vermehrten Unsicherheit auf andere Menschen zuzugehen. Das Selbstvertrauen und Gefühl der<br />

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Kohärenz wird geschwächt. Es erstaunte mich, dass Jugendliche sowohl zu S3 wie zu S4 wenig<br />

Aussagen machten.<br />

4.2 Darstellung der Ergebnisse der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />

In diesem Kapitel befinden sich in Tabellenform die wichtigsten Ergebnisse. Im Anhang 3 ist das<br />

Kategoriensystem mit den Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln ausführlich beschrieben<br />

und abgebildet. Im Anhang 4 und 5 befinden sich die Aussagen der Befragten mit den<br />

entsprechenden Zuordnungen zu den Kategorien. Die Namen sind kodiert. E steht für eine<br />

erwachsene und J für eine jugendliche Person.<br />

Insgesamt gab es 108 Nennungen, die <strong>Copingstrategien</strong> zugeordnet werden konnten. Da<strong>von</strong><br />

stammen 35 Aussagen <strong>von</strong> Jugendlichen und 73 Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen.<br />

4.2.1 Übersicht der gewählten <strong>Copingstrategien</strong><br />

Die Nennungen zu <strong>Copingstrategien</strong> sind in fünf Überkategorien und den dazugehörenden Kategorien<br />

(K1 – K13) eingeteilt. Nennungen, die wegen ihrer Häufigkeit auffallen, werden farbig hervorgehoben.<br />

Die Überkategorien und Kategorien werden in Kapitel 5.2 und 5.3 genau beschrieben, interpretiert und<br />

diskutiert.<br />

a) Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />

Kooperation:<br />

• K1: Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen<br />

• K2: Kooperation mit fixer Bezugsperson<br />

• K3: Kooperation unter Gleichbetroffenen<br />

Konfrontation:<br />

• K4: offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung<br />

• K5: abwägend-zurückhaltende Konfrontation<br />

sachlich informieren:<br />

• K6: direkt und offen informieren<br />

• K7: abwägend und Kontext bezogen informieren<br />

b) Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />

Vermeidung und Verdrängung:<br />

• K8: sich andern nicht mitteilen, Rückzug<br />

• K9: Schwerhörigkeit verstecken<br />

29


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Reflexion und Planung:<br />

• K10: Hör- und Kommunikationsstrategien<br />

• K11: Entspannen<br />

• K12: Mehraufwand betreiben<br />

• K13: Denken-abwägen-adäquate Strategien entwickeln<br />

4.2.2 Tabelle mit Prozentangaben zu den fünf Überkategorien, Anzahl Nennungen und<br />

Namencodes zu allen 13 Kategorien<br />

Kooperation<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K1<br />

Kooperation mit<br />

unterschiedlichen<br />

Zielgruppen<br />

Erwachsene 15% 11 EE, EM, ES,<br />

2xEL,<br />

Jugendliche 28% 10 4xJD; 3xJC,<br />

3xJP, JM<br />

K2<br />

Kooperation mit fixer<br />

Bezugsperson<br />

5 EE, ES, EL<br />

(früher)<br />

K3<br />

Kooperation unter<br />

Gleichbetroffenen<br />

3 2x EE, EL 3<br />

8 JC (früher) JP 2 0<br />

21 Insgesamt 21 13 5 3<br />

Konfrontation<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K4<br />

offene und direkte Konfrontation und<br />

Meinungsäusserung<br />

K 5<br />

abwägend- zurückhaltende<br />

Konfrontation<br />

Erwachsene 26% 19 5xEE, 3xES, 4xEL, EM 13 2xES, 3xEM, EE 6<br />

Jugendliche 20% 7 6xJD, JM 7 0<br />

26 Insgesamt 26 20 6<br />

informieren<br />

sachlich<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K6<br />

direkt und offen informieren<br />

K7<br />

abwägend und Kontext<br />

bezogen informieren<br />

Erwachsene 15% 11 3xES, 4xEM,2xEL 9 2xEM, 2<br />

Jugendliche 15% 5 JD, JC 2 3xJC 3<br />

16 Insgesamt 16 11 5<br />

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Vermeidung und<br />

Verdrängung<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K8<br />

sich andern nicht mitteilen,<br />

Rückzug<br />

K9<br />

Schwerhörigkeit verstecken<br />

Erwachsene 7% 5 2xES, EM, EE 4 EL 1<br />

Jugendliche 20% 7 2xJP, JC 3 2x JC, JD, JM 4<br />

12 Insgesamt 12 7 5<br />

Reflexion und Planung<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

Erwachsene<br />

37%<br />

Jugendliche<br />

17%<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K10<br />

Hör- und<br />

Kommunikationsstrategien<br />

27 7xEM,<br />

4xES,<br />

2xEE,<br />

K11<br />

Entspannen<br />

13 2xES<br />

2xEM<br />

K12<br />

Mehraufwand<br />

betreiben<br />

4 4xES,<br />

EM, EL<br />

K13<br />

Denken – abwägen -<br />

adäquate Strategien<br />

entwickeln<br />

6 3xEM<br />

ES<br />

6 JP,2xJC 3 2xJM 2 0 JP 1<br />

33 Insgesamt 33 16 6 6<br />

Abbildung 4: Überkategorien und Kategorien<br />

4<br />

5<br />

31


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4.2.3 Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen<br />

40%<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

28%<br />

15%<br />

20%<br />

26%<br />

15% 15%<br />

Kooperation Konfrontation Sachlich<br />

informieren<br />

20%<br />

7%<br />

Vermeidung,<br />

Verdrängung<br />

17%<br />

37%<br />

Reflexion,<br />

Planung<br />

Abbildung 5: Überkategorien im prozentualen Vergleich <strong>von</strong> Jugendlichen und Erwachsenen<br />

63%<br />

56%<br />

37%<br />

Aussenorientiert Innenorientiert<br />

44%<br />

Abbildung 6: Aussen- und innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> im prozentualen Vergleich<br />

Jugendliche<br />

Erwachsene<br />

Jugendliche<br />

Erw achsene<br />

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5. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse zur<br />

<strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />

In diesem Kapitel werden die induktiv hergeleiteten Überkategorien und die Kategorien (K1- K13)<br />

ausführlich beschrieben und mit kursiv geschriebenen Aussagen der Interviewten, verdeutlicht.<br />

Bei der Auswertung der Daten wurden folgende Punkte untersucht:<br />

• bevorzugte <strong>Copingstrategien</strong><br />

• Interpretation und Diskussion der <strong>Copingstrategien</strong>auswahl<br />

• Unterschiede in der Auswahl der Strategien bei Jugendlichen und Erwachsenen<br />

5.1 Definition der Begriffe „aussenorientierte“ und „innenorientierte“<br />

<strong>Copingstrategien</strong><br />

Das Datenmaterial wurde vorerst in zwei Unterscheidungskategorien „innenorientierte“ und<br />

„aussenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong> eingeteilt. 63 codierte Aussagen fallen unter die<br />

Unterscheidungskategorie „aussenorientiert“ und 45 Aussagen unter “innenorientiert“.<br />

Anzahl<br />

Aussagen<br />

Nennungen <strong>von</strong><br />

Jugendlichen<br />

Nennungen <strong>von</strong><br />

Erwachsenen<br />

aussenorientiert 63 22 63% 41 56%<br />

innenorientiert 45 13 37% 32 44%<br />

108 35 100% 73 100%<br />

Abbildung 7: Aussen- und innenorientierte Nennungen <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong><br />

a) In die Unterscheidungskategorie „aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>“ fallen drei Überkategorien<br />

Kooperation, Konfrontation, sachlich informieren und sieben Kategorien (K1 – K7). Es sind 63<br />

Aussagen zu aussenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> genannt worden. Die ausführlichen Antworten sind<br />

im Anhang 4 nachzulesen.<br />

Überkategorie Kategorien Anzahl Nennungen Jugendliche Erwachsene<br />

Kooperation K1 K2 K3 21 10 28% 11 15%<br />

Konfrontation K4 K5 26 7 20% 19 26%<br />

sachlich<br />

informieren<br />

K6 K7<br />

Abbildung 8: Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K1- K7)<br />

16 5 15% 11 15%<br />

Unter „aussenorientiert“ verstehe ich <strong>Copingstrategien</strong>, die das Problem direkt angehen und zu<br />

lösen versuchen, es werden andere Menschen einbezogen. Man könnte auch <strong>von</strong> aktivem<br />

Copingverhalten sprechen. Der Betroffene hat eine nach aussen gewandte Haltung, er steht aktiv für<br />

seine Interessen ein, geht auf die Suche nach Unterstützung. Er bekundet seinen Willen, er informiert<br />

33


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sich und andere, oder äussert seine Meinung. Er fragt andere um Rat oder Unterstützung. Er ist in<br />

seinen Bewältigungsbemühungen auf andere Menschen ausgerichtet und dies kann zu Kooperation,<br />

Konfrontation oder sachlichem Informationsaustausch führen.<br />

b) In die Unterscheidungskategorie „innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>“ fallen zwei Überkategorien<br />

Vermeidung und Verdrängung und Reflexion und Planung und sieben Kategorien (K8 – K13). Es<br />

sind insgesamt 45 Nennungen zu innenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> genannt worden. Die<br />

ausführlichen Antworten sind im Anhang 5 nachzulesen.<br />

Überkategorie Kategorien Anzahl Nennungen Jugendliche Erwachsene<br />

Vermeidung und<br />

Verdrängung<br />

Reflexion und<br />

Planung<br />

K8 K9 12 7 20% 5 7%<br />

K10 K11<br />

K12 K13<br />

Abbildung 9: Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K8 – K13)<br />

33 6 17% 27 37%<br />

Unter „innenorientiert“ verstehe ich Strategien, bei denen die Energien zur Handhabung <strong>von</strong><br />

Stresssituationen nach innen gewendet werden. Es werden Strategien verwendet, die unabhängig <strong>von</strong><br />

anderen Menschen sind, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Andere Menschen werden<br />

nicht einbezogen, oder nur wenn sie es nicht wissen. Es besteht weder eine Kooperation noch eine<br />

Konfrontation. Der Mensch kann sich zurückziehen, die eigene Haltung ändern, seine Emotionen<br />

regulieren, antizipieren, planen, für sein Wohlergehen selber etwas tun.<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Insgesamt hat die Mehrzahl der Befragten „aussenorientierte“ <strong>Copingstrategien</strong>. 22 Jugendliche (63%)<br />

und 41 Erwachsene (56%). „Innenorientierte“ Copingstategien wurden <strong>von</strong> den Erwachsenen 32-mal<br />

(44%) genannt und <strong>von</strong> den Jugendlichen 13-mal (37%). Erwachsene verwenden vermehrt<br />

innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>. Jugendliche verwenden aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> stärker<br />

als Erwachsene, da sie auch noch viel stärker auf Familie und Peers angewiesen sind. Meine<br />

Schlussfolgerung ist, dass Erwachsene bereits über ihre Strategien reflektiert und verschiedene<br />

erprobt haben und dadurch können sie diese eher situationsbezogen anwenden. Sie sind in ihrer<br />

Identitätsarbeit bereits einen Schritt weiter als die Jugendlichen. Sie leben und denken unabhängiger.<br />

Auch Lazarus und Folkman (1985, zit. nach Carpenter, 1992) gehen da<strong>von</strong> aus, „ dass der<br />

Bewältigungsprozess in komplexe Feedbacksysteme eingebunden ist und ständig Aktualisierung<br />

erfährt. Das bedeutet, dass sich bei einem Individuum das Bewältigungsverhalten über die Zeit<br />

verändern kann. Ein wichtiges Forschungskriterium ist dabei die Wechselwirkung zwischen dem<br />

Copingprozess und den relativ stabilen Persönlichkeitsmerkmalen. Welche <strong>Copingstrategien</strong> gewählt<br />

werden, ist auch <strong>von</strong> situativen Variablen wie Neuigkeit, Durchschaubarkeit, Komplexität,<br />

Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit der belastenden Situation abhängig.“<br />

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In Bezug zur Identitätsarbeit, die diese äussere und innere Dimension betrifft, sagt Keupp:<br />

• Die äussere Dimension beschreibt dabei vor allem die sozialen Bedingungen, die notwendig<br />

sind, damit die individuelle Verknüpfungsarbeit bestmöglich gelingen kann, die aber auch<br />

dazu beitragen können, dass Identitätsarbeit erschwert wird. Positiv gewendet sind es die<br />

Themen der sozialen Integration, also der Möglichkeit, sich im Zusammenschluss mit anderen<br />

Menschen als Individuum zu finden und weiterzuentwickeln, aber vor allem auch der sozialen<br />

Anerkennung innerhalb der sozialen Beziehungssysteme und Gemeinschaften, in denen man<br />

sich bewegt .<br />

• Die innere Dimension meint die eigentliche Synthesearbeit des einzelnen Individuums, die<br />

ein Ausdruck dessen ist, wie gut dem Individuum die Verknüpfungsarbeit pluraler und häufig<br />

widersprüchlicher Erfahrungen gelingt. Es geht zentral um die Konstruktion und<br />

Aufrechterhaltung <strong>von</strong> Kohärenz und Selbstanerkennung, sowie um das Gefühl <strong>von</strong><br />

Authentizität und Sinnhaftigkeit (Keupp, 2004, zit. nach Hintermair, 2007, S. 10).<br />

5.2 Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />

• Kooperation: K1, K2, K3<br />

• Konfrontation: K4, K5<br />

• sachlich informieren: K6, K7<br />

5.2.1 Überkategorie „Kooperation“ und die Kategorien K1, K2, K3<br />

Unter Kooperation verstehe ich das Zusammenwirken <strong>von</strong> Handlungen zweier oder mehrerer<br />

Personen. Angestrebt werden der Austausch und die Zusammenarbeit mit einem anderen Menschen<br />

oder mit einer Gruppe. Die freundschaftliche und freiwillige Unterstützung anderer steht im<br />

Vordergrund und wird angestrebt. Unter diese Überkategorie fallen die Kategorien K1, K2 und K3.<br />

Kooperation<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kooperationsstrategien<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K1<br />

Kooperation mit<br />

unterschiedlichen<br />

Zielgruppen<br />

Erwachsene 15% 11 EE, EM, ES,<br />

2xEL,<br />

Jugendliche 28% 10 4xJD; 3xJC,<br />

3xJP, JM<br />

K2<br />

Kooperation mit fixer<br />

Bezugsperson<br />

5 EE, ES, EL<br />

(früher)<br />

K3<br />

Kooperation unter<br />

Gleichbetroffenen<br />

3 2x EE, EL 3<br />

8 JC (früher) JP 2 0<br />

21 Insgesamt 21 13 5 3<br />

Abbildung 10: <strong>Copingstrategien</strong>“ Kooperation, Kategorien 1-3<br />

Diese Überkategorie wird <strong>von</strong> den Jugendlichen am häufigsten gewählt. Sie bevorzugen es, sich in<br />

schwierigen Situationen bei anderen Menschen Unterstützung zu holen.<br />

35


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

5.2.1.1 K1 Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen<br />

Definition der Copingstrategie K1<br />

Das Zusammenwirken und Zusammenarbeiten mit anderen wird gesucht. Oft ist es eine<br />

Unterstützung, die <strong>von</strong> anderen geleistet wird. Dies können unterschiedliche Menschen sein, die sich<br />

fremd sind oder nahe stehen. Es sind verschiedene Bezugspersonen und es besteht keine Fixierung<br />

auf nur eine Person wie dies in K2 der Fall ist.<br />

Beispiele<br />

„Ich musste immer jemanden suchen, der mir liebenswürdigerweise erzählte, was der Lehrmeister<br />

oder die Mitarbeiter gesagt hatten“(EE).<br />

„Wenn ich im Zug eine Durchsage höre, die ich nicht verstehe, frage ich nach. Ich frage die Leute“<br />

(JC).<br />

„Ich bin mitgelaufen in der Clique und ging mit anderen mit, wollte dazu gehören“ (EL).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Es fallen acht Äusserungen <strong>von</strong> Jugendlichen und fünf Äusserungen <strong>von</strong> Erwachsenen in diese<br />

Kategorie.<br />

Diese Mehrheit der Aussagen <strong>von</strong> Jugendlichen kann so interpretiert werden, dass einerseits eine<br />

grosse Abhängigkeit <strong>von</strong> anderen Menschen im Bewältigen <strong>von</strong> schwierigen Situationen in diesem<br />

Alter noch besteht und andererseits, dass der Mensch besonders im Alter der Adoleszenz das<br />

Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit hat.<br />

Die Beispiele verdeutlichen, dass der Kontakt zu Hörenden und deren Unterstützung sehr wichtig<br />

sind, da vieles nicht verstanden wird. Aus den Aussagen geht hervor, dass der Schwerhörige immer<br />

selber auf andere zugehen muss, dass die Umwelt zu schnell vergisst, weil eine Hörschädigung<br />

unsichtbar ist und die Betroffenen oft nur in Notsituationen fragen. Es wird ersichtlich, dass der<br />

Betroffene über die Personenwahl und den Zeitpunkt der Nachfrage um Unterstützung unsicher ist.<br />

„Manchmal frage ich gleich, manchmal warte ich, bis ich die Antwort <strong>von</strong> anderswo erfahre. Ich frage<br />

die Mitschüler, die Mutter und erst am Schluss die Lehrpersonen.“<br />

Audeoud & Lienhard verweisen darauf, dass auch ein gut informiertes Umfeld immer wieder<br />

Aufklärung braucht, da die Hörbehinderung unsichtbar ist und die meisten Betroffenen sich anpassen<br />

und unauffällig benehmen. Ebenfalls ist der Aufwand des Betroffenen für das Umfeld nicht sichtbar<br />

und es wäre erwünscht, dass er <strong>von</strong> beiden Seiten zu gleichen Teilen erfolgt. Auf das Umfeld ist<br />

diesbezüglich nicht Verlass. Zum Teil sind die Strategien so gut, dass die Behinderung nicht auffällt<br />

(2006, S. 140 -141). Die Hörenden gehen da<strong>von</strong> aus, dass sich die <strong>Schwerhörigen</strong> schon melden,<br />

wenn sie etwas nicht verstehen.<br />

5.2.1.2 K2 Kooperation mit fixer Bezugsperson<br />

Definition der Copingstrategie K2<br />

36


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Aktiv auf eine bestimmte Person fixiert sein. Diese ist einverstanden und wirkt als Unterstützung und<br />

ist sozusagen die Rechte Hand des Hörbeeinträchtigten. Auf diese Person ist Verlass und dieser<br />

freiwillige Zusammenschluss bildet ein abgeschlossenes System.<br />

Beispiele<br />

„Ich hatte dann eine Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen“(JC).<br />

„Bis vor kurzem habe ich nur Adrian gefragt“(JP).<br />

„Ich habe mich auf die Banknachbarin verlassen und mit ihr zusammen gearbeitet“(EL).<br />

„Früher hatte ich eine Kollegin, die mit mir Zug gefahren ist. An sie habe ich mich gehalten“(ES).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

In diese Kategorie fallen drei Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen, die sich alle auf früher beziehen. Ebenso<br />

bezieht sich eine der zwei Nennungen der Jugendlichen auf die frühere Kindheit.<br />

Schwerhörige Menschen missverstehen häufig, was ihre Gesprächspartner sagen. So können die<br />

Gesprächsregeln: „Antworte, wenn du gefragt wirst!“ oder „Beziehe dich auf die vorhergehende<br />

Äusserung!“ meistens nicht befolgt werden. Es stellt eine ausserordentliche Belastung dar, die<br />

Kommunikation mit anderen Menschen zu sichern, dies kann zu Einsamkeit und<br />

Niedergeschlagenheit führen (Tesch- Römer, 1997, S. 153). Eine enge und zuverlässige<br />

Bezugsperson scheint daher in der Jugend oft eine tragende Rolle zu spielen. Sie füllt die<br />

Informationslücken und sie kann jederzeit angesprochen werden, weil der Betroffene zu ihr ein<br />

Vertrauensverhältnis hat. Diese Person ist offensichtlich mit ihrer Rolle einverstanden und ist mit den<br />

Schwierigkeiten des schwerhörigen Menschen vertraut. Sie begegnet ihm offensichtlich mit Empathie,<br />

so dass sich der Schwerhörige sicher und akzeptiert fühlt. Er muss sich nicht immer wieder <strong>von</strong><br />

neuem erklären, was heissen würde, sich immer wieder <strong>von</strong> neuem exponieren zu müssen, mit dem<br />

Risiko, auf Ablehnung zu stossen. Die Reaktionen mit nur einem Gegenüber sind eher abschätzbar<br />

und kontrollierbar. Dieser Rückzug aus der Kommunikation mit der Gruppe und die Fokussierung auf<br />

eine Person, schafft eine grosse Abhängigkeit. Aus den Interviews ging aber auch hervor, dass viele<br />

der Betroffenen in der Kindheit schwierige Erfahrung mit der Gruppe in der Schule erlebten und sich<br />

abwandten. Die Zweiersituation war eine Notlösung, um den Anschluss an die Informationen und das<br />

Bedürfnis nach Austausch zu gewährleisten, so wie dies JC, eine 13-jährige Schülerin berichtete: „ Ich<br />

habe mich dann einfach abgewendet <strong>von</strong> den andern, versuchte sie zu ignorieren. Ich hatte dann eine<br />

Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen.“ Diese Strategie funktioniert natürlich<br />

nur, solange sich jemanden finden lässt, der dies Rolle übernimmt. Beim Schüler, der sagte, er hätte<br />

bis vor kurzem nur Adrian gefragt, hatte diese Copingstrategie ein jähes Ende. Adrian wechselte in<br />

eine Privatschule und somit fiel die konstante und zuverlässige Unterstützung aus, was eine grosse<br />

emotionale Verunsicherung auslöste. Die Gewissheit, dass auf jemanden Verlass ist, bringt auch<br />

Ruhe und Sicherheit ins Leben. Der jugendliche Schwerhörige war nach längerer Zeit dankbar für<br />

diese Situation, weil er sich anderen wieder vermehrt öffnen konnte. Es dauerte einige Monate bevor<br />

er in diesem Verlust auch einen Gewinn sehen könnte.<br />

Cloerkes weist darauf hin, dass es vor allem auf die Intensität der Kontakte ankommt und nicht auf die<br />

Häufigkeit. Nicht jeder intensive und enge Kontakt ist für die Entwicklung einer positiven Einstellung<br />

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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

förderlich; wichtige Nebenbedingungen sind gegenseitige Sympathie, Freiwilligkeit, relative<br />

Statusgleichheit, eine gewisse Belohnung aus der sozialen Beziehung und die Verfolgung<br />

gemeinsamer Ziele (2001).<br />

Soziale Integration verändert sich in der Jugendzeit. In diesem Alter wird die Kommunikation, der<br />

Austausch <strong>von</strong> Gedanken und Gefühlen, und die Bedeutung <strong>von</strong> gemeinsamen Aktivitäten immer<br />

wichtiger. Auch die Akzeptanz gegenüber behinderten Schülern nimmt ab (Gutjahr, 2007). Dies<br />

könnte einerseits eine Erklärung sein, dass alle erwachsenen Interviewpartner diese Strategie nur im<br />

Zusammenhang mit ihrer Jugendzeit nannten.<br />

5.2.1.3 K3 Kooperation mit Gleichbetroffenen<br />

Definition der Copingstrategie K3<br />

Gleichbetroffene werden aufgesucht, um sich auszutauschen und <strong>von</strong> gegenseitigen Erfahrungen zu<br />

profitieren.<br />

Beispiele<br />

„Da haben wir viel ausgetauscht und andere haben erzählt, wie sie es gemacht haben bei ähnlichen<br />

Situationen. Wenn es das nicht gegeben hätte, hätte ich mich zurückgezogen. Durch die<br />

Gleichbetroffenen wurde ich gestärkt“ (EE).<br />

„Erst mit 24 Jahren hatte ich Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufgenommen. Es war sehr wichtig<br />

für mich, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen“(EL).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Von den Jugendlichen gab es in dieser Kategorie keine Nennungen. Nur zwei erwachsene Personen<br />

nennen Gleichbetroffene im Zusammenhang mit der Bewältigung <strong>von</strong> schwierigen Situationen als<br />

hilfreich und unterstützend. Dies will nicht heissen, dass andere das nicht auch finden, nur wurde es<br />

nicht genannt.<br />

Eine befragte Person (EE) besuchte die Berufsschule in Oerlikon. Für sie war dieser Ort eine<br />

Möglichkeit sich mit Gleichbetroffenen auszutauschen. Eine Oase, in der sie Kraft tanken konnte und<br />

sie lernte sich für ihre Bedürfnisse einzusetzen. Die gleiche Person lernte die Gebärdensprache, die<br />

ihr grosses Selbstvertrauen gab, ihre Wünsche und Bedürfnisse auch einzufordern.<br />

Bat-Chava (1994) untersuchte in einer Studie die Beziehung zwischen Gruppenidentität und<br />

Selbstwertgefühl. Es wird in dieser Untersuchung ein signifikanter Unterschied zwischen kultureller<br />

Orientierung und Selbstwertgefühl aufgezeigt. Schwerhörige, die sich stark mit anderen<br />

Hörgeschädigten identifizieren, weisen höhere Werte im Selbstwertgefühl auf als Hörgeschädigte, die<br />

sich mit Hörenden identifizierten. (Hintermair, 2007, S.34-35)<br />

Die bikulturelle Orientierung erweist sich als sichere Option für die Qualität der psychosozialen<br />

Gesamtbefindlichkeit. Wer sich mit den Zielen und Werten der hörenden und gehörlosen Welt<br />

identifizieren und diese im Leben flexibel anwenden kann, zeigt Vorteile sowohl im Selbstwerterleben,<br />

als auch in der allgemeinen Lebenszufriedenheit (Hintermair, 2007, S 87).<br />

38


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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

„Ich habe die Gebärdensprache gelernt, endlich bin ich zu Informationen über die Kultur der<br />

Gehörlosen gekommen. Das gibt mir Sicherheit. Ich hatte früher immer das Gefühl, ich müsste hörend<br />

werden. Das hatte schon mit der Logopädie angefangen, da musste ich immer Wörter lernen und<br />

wiederholen, darin sah ich keinen Sinn. Die Gebärdensprachausbildung hat mich gelehrt auch etwas<br />

für mich in Anspruch zu nehmen und nicht nur auf die anderen Rücksicht zu nehmen, sondern auch<br />

etwas für mich zu wollen und zu bekommen, und ich übernehme die Verantwortung dies zu<br />

kommunizieren“ (EE).<br />

Aus dem Auftreten und den Antworten der beiden kamen mir sehr viel Selbstvertrauen und<br />

Lebenszufriedenheit entgegen. Ich möchte nicht behaupten, dass die bikulturelle Zugehörigkeit<br />

zwingend ist für das psychosoziale Wohlbefinden, denn auch einige andere Interviewpartner verfügten<br />

über Lebensoptimismus. Hintermair meint, dass die Synthesearbeit des einzelnen Individuums, die<br />

verschiedenen Fragmente der eigenen biographischen Erfahrungen zu einem sinnvollen Ganzen zu<br />

verknüpfen, psychische Stärke braucht. Das hängt stark <strong>von</strong> den eigenen Ressourcen und dem<br />

Selbstwertgefühl ab. Es bedeutet aber auch, dass Befragte, die über die Laut- und Gebärdensprache<br />

verfügen, durchschnittlich über höhere psychische Ressourcen und über eine höhere<br />

Selbstwirksamkeit verfügen. Gute Kommunikationsbedingungen beugen psychischen Problemen vor<br />

und fördern die psychosoziale Gesamtentwicklung. Lebenszufriedenheit zu entwickeln und eine<br />

gesicherte Identität aufzubauen wird durch soziale und kulturelle Zugehörigkeitsoptionen erleichtert.<br />

Das Individuum braucht Räume, in denen es möglichst unterschiedliche Erfahrungen sammeln kann,<br />

um so flexible Lebensmuster zu gestalten (Hintermair, 2007). Beide Interviewpartner schätzen den<br />

Austausch mit Gleichbetroffenen, weil sie sich verstanden fühlen. Es sind ähnliche Probleme und<br />

Fragen mit denen sie sich auseinandersetzten müssen.<br />

5.2.2 Überkategorie „Konfrontation“ und die Kategorien K4 und K5<br />

„Konfrontation ist die Gegenüberstellung <strong>von</strong> sich gegenseitig störenden und vorerst nicht zu<br />

vereinbarenden Positionen. Sie eröffnet einen Konflikt und richtet sich gegen einen Kontrahenten mit<br />

dem Ziel, diesen zur Aufgabe oder zu Annäherung seiner Position zu bewegen.“<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Konfrontation (9.11.2008)<br />

Konfrontation<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K4<br />

offene und direkte Konfrontation und<br />

Meinungsäusserung<br />

K 5<br />

abwägend- zurückhaltende<br />

Konfrontation<br />

Erwachsene 26% 19 5xEE, 3xES, 4xEL, EM 13 2xES, 3xEM, EE 6<br />

Jugendliche 20% 7 6xJD, JM 7 0<br />

26 Insgesamt 26 20 6<br />

Abbildung 11: <strong>Copingstrategien</strong> „Konfrontation“, Kategorien 4-5<br />

5.2.2.1 K4 Offene und direkte Konfrontation und Meinungsäusserung<br />

Definition der Copingstrategie K4<br />

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Die eigene Meinung offen sagen, die anderen zu einer Meinungs- und oder Handlungsänderung<br />

bewegen. Sich aktiv für die eigenen Bedürfnisse einsetzen, auch wenn diese beim Gegenüber nicht<br />

auf Akzeptanz stossen.<br />

Beispiele<br />

„Ich sage, dass ich einen ruhigen Arbeitsplatz bevorzuge und in keinem Grossraumbüro arbeiten<br />

kann“(ES).<br />

„Heute habe ich definitiv mehr Mut und nehme mir die Freiheit, mich für meine Rechte<br />

einzusetzen“(EM).<br />

„Ich bin dran mich immer mehr zu wehren. Das war früher nicht so, denn ich wollte zu den Hörenden<br />

gehören und mich ja nicht outen mit Fragen stellen“(EL).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

In diese Kategorie fallen 13 Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen und sieben <strong>von</strong> Jugendlichen. Um eine<br />

Konfrontation zu wagen, braucht es sehr viel Selbstvertrauen. Eine Konfrontation kann zum<br />

gewünschten Erfolg führen, es kann aber auch ganz klar Abwendungen <strong>von</strong> Personen geben. Um<br />

diese Spannung auszuhalten, braucht es eine innere Sicherheit und die Möglichkeiten auf andere<br />

Bezugssysteme zurückgreifen zu können.<br />

Es ist aber auffallend, dass die Jugendlichen zu dieser Kategorie neben K1 am meisten<br />

<strong>Copingstrategien</strong> nennen. JD benutzt diese Strategie besonders häufig (sechs Nennungen), er ist 16<br />

Jahre alt, ist zweisprachig aufgewachsen und er sagt <strong>von</strong> sich: „Ich bin ein direkter Mensch, ich sage<br />

meine Meinung sofort. Ich denke nicht lange über die Dinge nach, ich handle sofort“(JD).<br />

Nur ein Jugendlicher, der sich selbst akzeptieren kann und die Akzeptanz und Toleranz seines<br />

Umfeldes erlebt, der über angemessene Kommunikationssysteme verfügt, um sich in seinen<br />

Bedürfnissen austauschen und mitteilen zu können, sich Wissen selbständig erarbeiten und auf<br />

entsprechende Angebote im Freizeitbereich zur Erholung zurückgreifen kann, hat die Chance als<br />

zufriedener und glücklicher Mensch zu leben (Donath, 1995, S.52).<br />

In diesem Zusammenhang scheint ein Bezug zu der im theoretischen Teil dargelegten Salutogenese<br />

<strong>von</strong> Antonovsky sinnvoll. Offensichtlich weist JD ein sehr hohes Kohärenzgefühl auf, d.h. unter<br />

anderem, er hat ein hohes Vertrauen und glaubt an seine Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen,<br />

um schwierige Situationen bewältigen zu können. Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl weisen<br />

eine grosse Zuversicht auf, glauben an Lösungen und zeigen eine Neugier, diese zu finden und<br />

umzusetzen.<br />

Wenn nun die Aussagen der andern drei Jugendlichen betrachtet werden, dann stellt sich immer noch<br />

die Frage, warum die konfrontative Strategie weniger genannt wurde im Vergleich zu den<br />

Erwachsenen. Eine mögliche Interpretation wäre, dass die innere Stabilität und Selbstüberzeugung, „<br />

so wie ich bin, so bin ich gut“, schlicht zu wenig ausprägt ist. Dies gibt bereits eine erste Antwort in<br />

Bezug auf die Frage der Interventionen des Beraters. Hier scheint eine Intervention sehr wohl sinnvoll<br />

zu sein, geht es doch darum bei den Jugendlichen die Ressourcen zu stärken, um so ihr<br />

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Selbstwertgefühl zu erhöhen. Zudem wäre dies ein guter Ansatzpunkt für den angestrebten<br />

Erfahrungsaustausch zwischen jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>.<br />

Von Geburt an Hörbeeinträchtigte erleben den Zustand der Kommunikationsstörung zunächst als<br />

normal. Spätestens in der Pubertät erfahren sie die Diskrepanz zwischen dem pädagogisch<br />

vermittelten Anspruch, voll in die Welt der Hörenden integriert zu sein und dem täglichen Ausschluss<br />

im alltäglich kommunikativen wie informativen Austausch (Kruse und Kiefer, 1988).<br />

Die erwachsene Interviewpartnerin (EE) betont, dass sie zum Glück über gute<br />

Kommunikationsfertigkeiten verfüge. „Zum Glück wusste ich schon einige Kommunikationstechniken.<br />

So bat ich den Betriebsleiter bei Schwierigkeiten um ein Gespräch mit dem Chef. Er kam sich blöd<br />

vor und wollte ab jetzt alles richtig machen“(EE). Hier zeigt sich wie wichtig verschiedene<br />

Kommunikationsfähigkeiten sind, dadurch können sich Schwerhörige am Arbeitsplatz und in der<br />

Gesellschaft leichter bewegen, das heisst, sie haben mehr Mut und Sicherheit, um ihre Anliegen und<br />

Wünsche mitzuteilen. Alle Interviewten verfügen über gute Kommunikationsfertigkeiten. Einige haben<br />

grosses Selbstvertrauen und können ihre Bedürfnissen und Wünsche offen äussern. Sie haben den<br />

Mut <strong>von</strong> ihren Mitmenschen etwas zu verlangen und gehen auch das Risiko ein, abgelehnt zu<br />

werden. Eine Interviewpartnerin meint: „Wenn jemand Dialekt spricht, sage ich, könntest du das<br />

wiederholen. Ich versuche es freundlich, wenn es nicht klappt, werde ich direkter. Wenn ich auf<br />

Ablehnung stosse, sehe ich das nicht nur als mein Problem an“ (EE). Dieser Interviewpartner lässt<br />

sich gerne herausfordern, denn er ist überzeugt, dass neue Ereignisse immer neue Lernprozesse und<br />

damit auch persönliches Wachstum ermöglichen.<br />

Kaluza schreibt: „Wer Ärger, Unmut oder Verletzung nicht zeigt, geht damit Streit und möglichem<br />

Ärger aus dem Weg. Bestehende Konflikte lösen sich dadurch nicht und verlagern sich auf andere<br />

Lebensbereiche. Das bedeutet, dass die positive Bewältigung soziale Kompetenzen voraussetzt, die<br />

die Person in die Lage versetzt, eigene Gefühle und Bedürfnisse realitätsangepasst zu vertreten und<br />

Konflikte aktiv zu lösen“ (Kaluza, 2004, S.55).<br />

5.2.2.2 K5 Abwägend- zurückhaltende Konfrontation<br />

Definition der Copingstrategie K5<br />

Mit dem Einfordern <strong>von</strong> Bedürfnissen und Wünschen, sowie der offenen Meinungsäusserung wird<br />

eher vorsichtig und situationsbezogen umgegangen. Ein stark reflexives Element kommt hier dazu. Es<br />

werden mehrere Faktoren miteinbezogen, der Nutzen und Aufwand werden sorgfältig gegeneinander<br />

abgewogen.<br />

Beispiele<br />

„Ich entscheide aus dem Bewusstsein heraus, wie ich mich verhalten will, was ich sagen will und was<br />

ich <strong>von</strong> den anderen mir wünsche“(ES).<br />

„Ich mag es aber auch nicht, wenn ich gerade drauflos fordere, ich schaue, was automatisch kommt<br />

und wo und wann ich mich melden soll. Ich versuche einen Mittelweg zu finden“(EM).<br />

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„Ich habe reflektiert, wie ich es hätte machen können. Als Typ habe ich immer versucht, wie ich es<br />

optimal machen könnte. Muss ich freundlicher sein, muss ich mich anbiedern, mehr nachfragen,<br />

höflicher sein?“(EE)<br />

„Ich habe immer noch den inneren Konflikt, soll ich meine Bedürfnisse oder besonderen Wünsche<br />

bezüglich der Schwerhörigkeit ansprechen oder noch abwarten. Ich habe immer noch keine<br />

befriedigende Lösung. Eigentlich möchte ich für mich Klarheit haben, dass ich alles anspreche“(ES).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Bei den Jugendlichen liess sich keine Aussage in diese Kategorie einordnen.<br />

Die sechs Nennungen stammen <strong>von</strong> Erwachsenen, welche alle die Fähigkeit haben, ihre Wünsche zu<br />

formulieren und sie angemessen einzufordern. Dennoch reflektieren sie stark und überlegen, welche<br />

Strategie wohl die beste sei. Es bleibt natürlich eine Unsicherheit, ob sie die Situation richtig<br />

einschätzen können. Sehr oft müssen sich schwerhörige Menschen auf Vermutungen verlassen,<br />

wodurch erneute Erfahrungsdefizite entstehen. Unabhängig vom Grad der Hörschädigung existiert<br />

das Problem, kein sicheres Gefühl im Umgang mit Guthörenden zu haben. Immer wird befürchtet,<br />

etwas nicht verstanden zu haben und durch falsche Reaktionen aufzufallen (Weber, 1995, S.56).<br />

Daher ist es <strong>von</strong> grossem Nutzen über sichere Kommunikationsstrategien zu verfügen, damit alleine<br />

die Situation abgewogen werden muss und nicht zusätzlich Kommunikationsbarrieren bestehen. Die<br />

Art und Weise, sich in Gespräche ein- und auszuklinken, ist ein wesentlicher Lernprozess, der im<br />

späteren Berufsleben nur <strong>von</strong> Vorteil sein kann. In den meisten Fällen ist der erhöhte Sprachumsatz<br />

ein wesentlicher Gewinn, der zur Ausprägung der individuellen Persönlichkeit nicht unerheblich<br />

beiträgt (Leonhardt, 2001, S.69).<br />

Erwachsene haben in der vorliegenden Untersuchung mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Verfügung als<br />

Jugendliche und können sie auch flexibler anwenden. Dies zeigt sich besonders in der Wahl dieser<br />

spezifischen Copinstrategie. Sie können Vor- und Nachteile abwägen und wählen auf die Situation<br />

bezogen geeignete Strategien wie das folgende Beispiel verdeutlicht: „Ich wäge ab, ob es sich lohnt,<br />

spezielle Rücksicht zu fordern. Bei irgendwelchen Leuten, die keinen Bezug zur Hörbehinderung<br />

haben, ist es schwierig. Es kommt aber sehr auf die Situation an“(EM).<br />

Integration ist dann möglich, wenn ein Schwerhöriger seine Fähigkeiten und Grenzen kennt und damit<br />

umgehen kann. Es braucht auch eine gewisse Frustrationstoleranz und Gelassenheit um mit dem<br />

zufrieden zu sein, was möglich ist. Frustrationstoleranz bedeutet, sich an einem Konflikt, den man<br />

trotz allen Einsatzes nicht lösen kann, nicht unnötig aufzureiben. Es heisst aber nicht, sich alles<br />

gefallen zu lassen. Es geht darum, nicht unnötig Kraft zu verschwenden, wenn sie anderswo sinnvoll<br />

hätte eingesetzt werden können. Es geht darum, mit den Kräften sinnvoll haushalten zu lernen. Wenn<br />

die Möglichkeiten ausgeschöpft sind, die Gegebenheiten mit den eigenen Wünschen und<br />

Bedürfnissen in Einklang zu bringen, dann ist es ratsam die eigenen Kräfte nicht weiter sinnlos daran<br />

zu verschwenden (Stein, 1999, S. 283).<br />

Diese Copingstrategie wurde <strong>von</strong> den Jugendlichen nicht erwähnt. Daraus wird gefolgert, dass das<br />

differenzierte Einschätzen <strong>von</strong> Situationen noch nicht so ausgereift ist, wie bei den Erwachsenen.<br />

Entweder wird eine Situation direkt angegangen, wie K4 zeigt oder es besteht die Tendenz,<br />

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schwierige Situationen zu meiden, wie dies aus K8 und K9 ersichtlich ist. Es fehlen Erfahrungen und<br />

dadurch so genannte „Zwischentöne“. <strong>Copingstrategien</strong> können weniger flexibel angewendet werden..<br />

5.2.3 Überkategorie „sachlich informieren“ und die Kategorien K6 und K7<br />

Definition<br />

Sachlich und offen über die Schwerhörigkeit und die möglichen Konsequenzen informieren. Mit der<br />

Information sind keine Bedingungen verknüpft und es werden keine bestimmten Reaktionen erwartet.<br />

Dadurch kann beim Gegenüber Kooperation oder Konfrontation ausgelöst werden.<br />

informieren<br />

sachlich<br />

Anzahl Nennungen<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K6<br />

direkt und offen informieren<br />

K7<br />

abwägend und Kontext<br />

bezogen informieren<br />

Erwachsene 15% 11 3xES, 4xEM,2xEL 9 2xEM, 2<br />

Jugendliche 15% 5 JD, JC 2 3xJC 3<br />

16 Insgesamt 16 11 5<br />

Abbildung 12: <strong>Copingstrategien</strong> „ sachlich informieren“, Kategorien 6-7<br />

5.2.3.1 K6 Direkt und offen über die Schwerhörigkeit informieren<br />

Definition der Copingstrategie K6<br />

Es wird in jedem Fall, unabhängig wie die äusseren oder inneren Bedingungen sich gestalten, offen<br />

über die Schwerhörigkeit und ihre speziellen Erfordernisse informiert.<br />

Beispiel<br />

„Wenn ihr etwas über meine Hörgeräte wissen möchtet, informiere ich euch gerne“(JD).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Interessant gestaltet sich das Verhältnis zwischen den genannten schwierigen Situationen, die bei den<br />

Erwachsenen in der Kategorie S4 (Schwierigkeiten im Umgang mit der Schwerhörigkeit, fehlendes<br />

Selbstvertrauen) eine hohe Nennung erreichten. Die Situationen bezogen sich meistens auf früher. Im<br />

Vergleich zu den Jugendlichen fallen in diese Kategorie auffallend mehr Aussagen <strong>von</strong> Erwachsenen.<br />

Es scheint, dass ein Lernprozess in Richtung „offen informieren“ stattgefunden hat. Wie dies EL sagt:<br />

„Als ich die Ausbildung begann, beschloss ich <strong>von</strong> Anfang an zu sagen, dass ich schwerhörig bin,<br />

nicht dass die anderen einen falschen Eindruck <strong>von</strong> mir bekommen. Die anderen waren froh, dass es<br />

offen gelegt wurde“. Stein schreibt (1999) Erst wenn die Schwerhörigkeit akzeptiert, die eigenen<br />

Grenzen und Möglichkeiten ausgelotet wurden, können Mut und Klarheit aufgebracht werden, um<br />

andere über die Behinderung zu informieren und sie um Rücksicht oder bestimmte Verhaltensweisen<br />

zu bitten.<br />

JD hat erst im Erwachsenenalter Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufgenommen und dadurch eine<br />

grosse Unterstützung in Richtung Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber entwickeln können.<br />

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Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Sie erzählte: „ Es gefiel mir sehr gut mit diesen Menschen.“<br />

Im Zusammenhang mit den schwierigen Situationen wurde auch erwähnt, dass man falsch<br />

eingeschätzt wird, weil die Schwerhörigkeit <strong>von</strong> Aussenstehenden nicht gesehen wird und der Mut zur<br />

offenen Information über die Behinderung fehlt. Die Interviewpartnerin (JC) hat daraus gelernt und<br />

meinte: „Ich sage, dass ich schwerhörig bin, denn sonst meinen die Leute, ich würde nicht aufpassen.“<br />

Auch für EL war es nach einigen unangenehmen Erlebnissen klar, dass sie andere offen über ihre<br />

Schwerhörigkeit informieren muss.<br />

5.2.3.2 K7 Abwägen und kontextbezogen über die Schwerhörigkeit informieren<br />

Definition der Copingstrategie K7<br />

Es werden mehrere Faktoren miteinbezogen. Der Nutzen, der offenen Information über die eigene<br />

Schwerhörigkeit, wird sorgfältig abgewogen und situationsbedingt angewendet.<br />

Beispiele<br />

„Sonst sage ich nicht sofort, dass ich schwerhörig bin, ich wäge ab“(JC).<br />

„Es kommt auf die Situation an, ob ich sage, dass ich schwerhörig bin“(JC).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Auch hier wie bei K5 besteht eine Unsicherheit, wie und wann die Schwerhörigkeit dem Gegenüber<br />

kommuniziert werden soll. Eine erwachsene Interviewpartnerin (EM) drückte es folgendermassen aus:<br />

„Ich finde es wichtig, dass man offen mit der Hörbehinderung umgeht, sie aber nicht ins Zentrum<br />

stellt.“ Dieser Aussage entnehme ich auch die Angst, vielleicht einen zu fordernden Eindruck<br />

hinterlassen zu können, falsch verstanden zu werden, ein schlechtes Bild abzugeben, oder als<br />

schwach zu gelten. Weiter führte sie an: „Ich wäge immer ab, ob es nötig ist zu sagen, dass ich<br />

schwerhörig bin; eigentlich wäre es besser immer am Anfang offen darüber zu informieren.“ Durch<br />

den eher defensiven Umgang mit Informationen wird auch dem Gegenüber keine Hilfestellung<br />

geboten wie es auf die Hörbehinderung mit geeignetem Verhalten reagieren könnte. Zum einen liegt<br />

es an der Unsicherheit sich mitzuteilen und zum anderen, dass dadurch auch der hörende<br />

Gesprächspartner verunsichert wird. Auch dem hörenden Gesprächspartner fällt auf, dass die<br />

Kommunikation misslingt, er hat aber kein Wissen und keine Möglichkeiten dem entgegenzuwirken.<br />

Dies belastet die Beziehung unnötig und Kontakte werden in Zukunft <strong>von</strong> beiden vermieden. Dies führt<br />

wiederum dazu, dass sich der Schwerhörige, dem diese Interpendenz nicht bewusst ist, in seinem<br />

Stigma und seinem Defizit bestätigt fühlt und seine Behinderung weiterhin geheim hält (Rien, 2007, S.<br />

31).<br />

5.3 Innenorientierte <strong>Copingstrategien</strong><br />

45 Nennungen, da<strong>von</strong> 32 Erwachsene und 13 Jugendliche<br />

• Vermeidung und Verdrängung: K8, K9<br />

• Reflexion und Planung: K10, K11, K12, K13<br />

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5.3.1 Überkategorie „Vermeidung und Verdrängung“ und die Kategorien K8 und K9<br />

- Es besteht kein Bestreben an einer unangenehmen Situation etwas zu verbessern.<br />

- Sich <strong>von</strong> andern und der Situation zurückziehen, sich damit abfinden, nicht in die Aktion treten.<br />

- Etwas verdecken, so tun als ob, eine Scheinwelt, Scheinwahrheit aufrechterhalten.<br />

- Sich Schwierigkeiten nicht bewusst machen, nicht darüber sprechen, sie verdängen.<br />

Vermeidung und<br />

Verdrängung<br />

Anzahl Nennungen<br />

Erwachsene<br />

7%<br />

Jugendliche<br />

20%<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K8<br />

sich andern nicht mitteilen,<br />

Rückzug<br />

K9<br />

Schwerhörigkeit verstecken<br />

5 2xES, EM, EE 4 EL 1<br />

7 2xJP, JC 3 2x JC, JD, JM 4<br />

12 Insgesamt 12 7 5<br />

Abbildung 13: <strong>Copingstrategien</strong> „Vermeidung und Verdrängung“, Kategorien 8-9<br />

Vor allem die Jugendlichen wählten Vermeidungs- und Verdrängungsstrategien. Die erwachsenen<br />

befragten Personen nutzen diese Strategie selten. Es scheint, dass sie über stärkere<br />

lösungsorientierte Strategien verfügen.<br />

5.3.1.1 K8 Sich andern nicht mitteilen, Rückzug<br />

Definition der Copingstrategie K8<br />

Sich <strong>von</strong> der Umwelt zurückziehen. Sich anderen nicht mitteilen. Mit den Gefühlen alleine sein wollen.<br />

Problemen ausweichen und sie nicht benennen.<br />

Beispiele<br />

„Ich habe während der Schulzeit etwa ¾ nicht verstanden“ (EM, früher).<br />

„Als ich im Kindergarten ausgelacht wurde, habe ich mich einfach abgewendet <strong>von</strong> den andern,<br />

versuchte sie zu ignorieren“ (JC, früher).<br />

„Ich musste mich wieder anpassen und mein Bestes geben“ (ES, früher).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Alle vier Aussagen der Erwachsenen beziehen sich auf früher. Die Jugendlichen machte drei<br />

Aussagen zu Strategien in dieser Kategorie. Ein Jugendlicher findet es nach wie vor unmöglich, seine<br />

Emotionen zu zeigen und der Rückzug bietet mehr Sicherheit. „Ich zeige meine Gefühle nicht und<br />

sage meine Meinung nicht“(JP). Der Rückzug ist eine Folge <strong>von</strong> Enttäuschungen und die Ohnmacht,<br />

sich mit allen Persönlichkeitsanteilen zu zeigen. Wenn immer wieder erlebt wird, dass man wenig bis<br />

nichts versteht, zieht man sich zurück wie das EM tat. „Irgendwann zog ich mich auch zurück und<br />

fragte nicht mehr nach.“ Dieser Schüler weiss, dass er vieles nicht versteht. Die<br />

45


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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Kommunikationsprobleme nimmt er wahr und sieht keine Chance, in der Klasse mit den anderen<br />

mitzuhalten. Gerade im Alter <strong>von</strong> 13 bis 17 Jahren setzt bei Jugendlichen eine neue Dimension des<br />

Wahrnehmens ein, die Reflektionsfähigkeit nimmt zu und das „Nichtdazugehören“ wird sehr deutlich<br />

wahrgenommen. Gerade in diesem Alter ist der Austausch und das Sich- Erproben in der<br />

Kommunikation mit Gleichaltrigen sehr wichtig. Viele Jugendliche können dank guter Strategien im<br />

Unterricht folgen. Auf dem Pausenplatz wird es dann schwieriger und da sind sie oft alleine. „Ich war<br />

oft sehr traurig, weil ich alleine war. Ich zog mich zurück,“ erzählte ES. Sie meinte weiter, dass sie<br />

damals nicht wusste, was los war. In der Primarschule sei sie auch noch nicht fähig gewesen ihre<br />

Gefühle zu formulieren, sie sei ratlos gewesen, wie dies die folgende Aussage zeigt: „Ich war in Panik<br />

ausgebrochen, als ich in die Schule musste. Es gab nicht wirklich einen Grund. Also ging ich nicht<br />

mehr zur Schule, ich weigerte mich“(ES).<br />

Lazarus schreibt: „ Das Individuum, dass durch eine aktuelle Transaktion bedroht ist, kann die<br />

bewertete Bedrohung bewältigen, indem sie sie leugnet, sich psychologisch <strong>von</strong> ihr distanziert …, und<br />

auf diese Weise eine weitgehend selbsterzeugte und selbsttäuschende Neubewertung vollzieht“<br />

(1966, zitiert nach Nitsch, J. R. 1981, S. 241). Dadurch kann ursprünglich Bedrohendes abgewendet<br />

und als nichtbedrohend bewertet werden.<br />

5.3.1.2 K9 Die Schwerhörigkeit verstecken<br />

Definition der Copingstrategie K9<br />

Nicht zur eigenen Schwerhörigkeit stehen, sie auch in schwierigen Situationen nicht erwähnen.<br />

Die Hörgeräte verstecken oder sie nicht tragen.<br />

Beispiele<br />

„ Früher habe ich meine HG versteckt und wollte, dass niemand weiss, dass ich schwerhörig bin“(JC).<br />

„ In der ersten Klasse war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte, da habe ich sie auch schon<br />

nicht getragen, da hörte ich nicht gut“ (JC).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Eine erwachsene und vier jugendliche Personen wählten diese Copingstrategie. Die erwachsene<br />

Person beschreibt eine Situation aus ihrer Jugend. JD beschreibt, wie es für ihn schwierig ist die<br />

eigene Behinderung dem Gegenüber transparent zu machen: „Ich muss mich anstrengen der neuen<br />

Lehrerin zu sagen, dass ich schwerhörig bin, dass es für mich nicht immer so leicht ist alles zu<br />

verstehen.“<br />

Noch schwerer ist es, zur eigenen Behinderung Zugang zu finden. Flöther meint, dass eine normale<br />

Identitätsentwicklung dann möglich ist, wenn die Hörbeeinträchtigung durch den hörgeschädigten<br />

Menschen selbst und durch Kontaktpersonen akzeptiert wird. Dies sei eine Voraussetzung, dass Hörund<br />

Kommunikationshilfen kompetent genutzt werden. Er stellt die Frage in den Raum, ob Akzeptanz<br />

nur erreicht werden kann, wenn Kontakte mit anderen Hörgeschädigten bestehen (2002). Ein<br />

erwachsener Interviewpartner (EL), den ich interviewte, hatte seine Hörbehinderung jahrelang nicht<br />

wahrhaben wollen und wenn möglich versteckt. „Im I&S Kurs habe ich nicht gesagt, dass ich<br />

schwerhörig bin. Die Leute merkten, dass mit mir etwas nicht stimmte.“ In einem Hörbehindertenlager,<br />

46


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das er in seiner Kindheit besuchte, hatte es ihm überhaupt nicht gefallen, so dass er sich <strong>von</strong> anderen<br />

Hörbeeinträchtigten total abgrenzte und noch weniger bereit war, sich zur Behinderung zu bekennen.<br />

Er sagte sich damals etwa im Alter <strong>von</strong> zehn Jahren, „Ich will ein Hörender sein.“ Er erzählte, dass er<br />

keinen Mut hatte zu seiner Schwerhörigkeit zu stehen. Das habe sich erst mit 24 Jahren geändert, als<br />

er mit einer Gruppe <strong>von</strong> schwerhörigen Jugendlichen in Kontakt kam. Diese Kontakte seien sehr<br />

wichtig gewesen.<br />

Leonhardt beschreibt in einem Fachbeitrag die schulische Integration hörgeschädigter Schüler aus<br />

Sicht der Lehrer und schreibt, dass die Lehrer die Akzeptanz und das Tragen der technischen<br />

Hörhilfen für einen Schlüssel zum Erfolg im schulischen Alltag anschauen. Es fällt den Lehrern aber<br />

auch auf, dass viele Schüler ihre Hörgeräte möglichst so tragen, dass sie nicht auffallen und teilweise<br />

werden die Mikroport - Anlagen <strong>von</strong> den Schülern abgelehnt mit der Begründung, dass sie störend<br />

oder unnütz seien (2005, S. 32). Auch die Schülerin JM erzählte: „Wenn ich die Hörgeräte trage, höre<br />

ich schon besser, aber ich habe sie lange nicht getragen.“ Die Sichtbarkeit der körperlichen<br />

Schädigung, meint Ortland, ist häufig der Grund zur Kontaktvermeidung. In der Pubertät ist die<br />

körperliche Attraktivität sehr wichtig, da diese in hohem Mass das Selbstwertgefühl und die<br />

Selbsteinschätzung bestimmt. Gewisse Formen des Stigma-Managements lassen nur einen<br />

begrenzten Spielraum offen, um negative ablehnende Erfahrungen zu vermeiden. Gerade weniger<br />

sichtbare Formen <strong>von</strong> Behinderungen kann man verdecken, langfristig stehen diese Menschen aber in<br />

einem Rollenkonflikt (2006).Silke Stein ist selbst schwerhörig und meint, je normaler und<br />

problemloser man vordergründig auf andere wirke, desto grösser würden oft die Schwierigkeiten, weil<br />

die Schwerhörigkeit vom Umfeld total übersehen wird. Ebenso sei es wichtig, Hörbehinderten die<br />

Chance zu geben, ihre kommunikativen und sozialen Fähigkeiten ohne Vorzeichen der Behinderung<br />

kennen zu lernen. So könne es möglich werden, dass sie unterscheiden lernen, welche ihrer<br />

Probleme auf die Hörbeeinträchtigung zurückzuführen sind und welche nicht (1999, S. 283).<br />

Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung versuchen sich möglichst angepasst und unauffällig zu<br />

verhalten. Dies gelingt ihnen erstaunlicherweise gut mit Ausreden und Tricks. In der Pubertät werden<br />

die Hörhilfen oft abgelegt. Die Jugendlichen verdrängen ihre Behinderung um den „normalen“ Schein<br />

zu wahren. Jugendliche wollen so sein wie andere. Dieses Verhalten ist verständlich, denn es fehlen<br />

Vorbilder. Meistens machen diese Jugendlichen keine Erfahrungen mit Menschen, die zugeben<br />

können, dass sie etwas nicht verstanden haben, dass sie müde sind, anderen ihre<br />

Hörbeeinträchtigung zu erklären oder um etwas zu bitten (Hintermair, 1996, S. 103).<br />

5.3.2 Überkategorie „Reflexion und Planung“ und die Kategorien K10 - K14<br />

Die eigenen <strong>Copingstrategien</strong> werden reflektiert. Dadurch werden bestimmte Verhaltens- oder<br />

Arbeitstechniken dazu lernen und angewendet. Somit ist ein planvolles Vorgehen möglich. Reflexion<br />

und Planung dienen als Grundlage für Handlungsstrategien.<br />

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Reflexion und Planung<br />

Anzahl Nennungen<br />

Erwachsene<br />

37%<br />

Jugendliche<br />

17%<br />

Kategorien und Verteilung der Namencodes<br />

K10<br />

Hör- und<br />

Kommunikationsstrategien<br />

27 7xEM,<br />

4xES,<br />

2xEE,<br />

K11<br />

Entspannen<br />

13 2xES<br />

2xEM<br />

K12<br />

Mehraufwand<br />

betreiben<br />

4 4xES,<br />

EM, EL<br />

K13<br />

Denken – abwägen -<br />

adäquate Strategien<br />

entwickeln<br />

6 3xEM<br />

ES<br />

6 JP2xJC 3 2xJM 2 0 JP 1<br />

33 Insgesamt 33 16 6 6<br />

Abbildung 14: <strong>Copingstrategien</strong> „Reflexion und Planung“<br />

5.3.2.1 K10 Hör- und Kommunikationsstrategien<br />

Definition der Copingstrategie K10<br />

Informationen aus verschiedenen Quellen werden kombiniert und verknüpft. Daraus werden<br />

Schlussfolgerungen gezogen. Es werden Hör- und Kommunikationsstrategien angewendet, die zu<br />

einer verbesserten Informationsaufnahme führen sollen. Der schwerhörige Jugendliche oder<br />

Erwachsene ist selber darum bemüht.<br />

Beispiele<br />

„Ich versuche Wortfetzen zu verstehen und sie zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen“(ES).<br />

„Ich war wirklich ein Meister im Kombinieren geworden. Ich kann mit sehr wenigen Informationen<br />

auskommen und bekomme meistens die richtigen Zusammenhänge mit“(ES).<br />

„Ich merke mir stichwortartig, um was es im Gespräch geht. Bis ich kombiniert habe, geht es eine<br />

Weile“(EM).<br />

„Ich lese <strong>von</strong> den Lippen ab, das hilft mir zu verstehen, was jemand sagt“(JC).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

13 Erwachsene und drei Jugendliche wählten diese Copingstrategie. Hier ist offensichtlich, dass diese<br />

Strategie <strong>von</strong> den Erwachsenen bevorzugt wird. Man kann annehmen, dass dies mit der<br />

Lebenserfahrung der Erwachsenen zu tun hat und der Auseinandersetzung mit der<br />

Hörbeeinträchtigung, mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen und deren Umsetzung und<br />

Anwendung. Wisotzki schreibt, dass Menschen mit einer Schwerhörigkeit aufgrund der<br />

bruchstückhaften auditiven Wahrnehmung einen erhöhten Konzentrationsaufwand leisten müssen und<br />

es trotzdem zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen kommt. Das Verständnis wird durch<br />

verschiedene Fakten erheblich eingeschränkt: durch ein schlechtes Mundbild, durch eine undeutliche<br />

4<br />

5<br />

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Sprache, durch komplizierte sprachliche Zusammenhänge, schlechte Raum- und Lichtverhältnisse<br />

oder Störschall (1993, S.2).<br />

Die Strategie, sich auf die Lehrperson als zuverlässige Informationsquelle zu berufen, ist mehrmals<br />

erwähnt worden. „In der Schule habe ich mich auf den Lehrer konzentriert und gut zugehört. Das was<br />

die Klasse sagte, hörte ich vielfach nicht. Ich machte dann einfach Pause, wenn Klassenbeiträge<br />

kamen, damit ich mich nicht zusätzlich belastete damit. Ich setzte Prioritäten“(EM). Diese junge Frau<br />

erzählte, dass sie sich irgendwann nicht mehr bemüht hatte, die Klassengespräche und Beiträge zu<br />

decodieren, da sie nur sehr wenig da<strong>von</strong> verstand und der Aufwand sich nicht lohnte. Sie hatte<br />

gelernt sich zu entspannen statt sich aufzuregen. Um sich in der hörenden und schwerhörigen Welt<br />

bewegen zu können, braucht es Flexibilität und Wissen über die Lebenswelten <strong>von</strong> Hörenden und<br />

<strong>Schwerhörigen</strong>. Daher ist es in Gesprächssituationen wichtig, die eigenen Unsicherheiten und jene<br />

des hörenden Gegenübers zu kennen. Oft kann ein Gespräch besser gelingen, wenn man den<br />

Hörenden klare Hinweise zur Gesprächsgestaltung gibt. Schröder meint, dass es eine Menge an<br />

Selbstvertrauen und Energie voraussetzt, um den Unsicherheiten hörender Gesprächspartner<br />

entgegenzukommen und ihnen konkrete Anleitungen zur Kommunikation mit <strong>Schwerhörigen</strong> zu<br />

geben. Es gilt nicht nur Kommunikationsbedingungen aktiv mitzugestalten, sondern auch Grenzen zu<br />

erkennen, um nicht sinnlos Kräfte zu vergeuden (2001).<br />

Eine weitere Aussage derselben Person dokumentiert, dass die Situation im Unterricht, früher wie<br />

heute, sehr viel Unsicherheit mit sich brachte, dass sie nie sicher war, ob sie alles verstanden hätte.<br />

„Ich habe mich durchgeschlängelt und beschlossen, nur auf den Lehrer zu hören“(EM.) Sie sagte, es<br />

sei nicht einfach zu wissen, was man nachfragen solle. Der ganze Inhalt eines Gesprächs sei<br />

meistens überflüssig und oft wolle sie nur bestimmte Informationen hören und sie wisse ja nie zuvor,<br />

was für sie <strong>von</strong> Interesse sei. EE spricht neben Lautsprache auch Gebärdensprache und sie erzählt,<br />

dass sie ganz bewusst auf die Körpersprache ihres Gesprächspartners achtet, dass ihr das viele<br />

zusätzliche Informationen liefert. „Ich interpretiere die Kommunikationshaltung und die Mimik meiner<br />

Gesprächspartner, ich habe die visuellen Hilfen gelernt zu nutzen“(EE.) Je mehr Kommunikationsund<br />

Hörstrategien gewählt werden, je flexibler sie angewendet werden können, je mehr sich der<br />

Schwerhörige Grenzen und Erholungsphasen gönnen kann, desto zufriedener und ausgeglichener<br />

kann er sein Leben gestalten.<br />

Die hohe Anzahl Nennungen lässt vermuten, dass die erwachsenen Interviewpartner ihre<br />

Kommunikations- und Hörstrategien verbessert haben und sie recht flexibel anwenden können. Hinzu<br />

kommt, dass es für sie enorm wichtig ist, zu verstehen, was sich bei der Nachfrage über schwierige<br />

Situationen gezeigt hat. Als schwierige Situationen wurde S3 (akustisch nicht verstehen können) und<br />

S4 (unsicheres Kommunikationsverhalten) genannt. So wie sie mir erzählten, sind sie heutzutage<br />

viel eher in der Lage in sozialen Kontakten mit ihren Schwierigkeiten und Ängsten angemessen<br />

umzugehen. Dies wiederum gibt ihnen ein Gefühl <strong>von</strong> Kohärenz und ermutigt zu neuen Schritten.<br />

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5.3.2.2 K11 Entspannen<br />

Definition der Copingstrategie K11<br />

Durch Entspannung wird körperlicher und emotionaler Stress reduziert und ein grösseres<br />

Wohlbefinden herbeigeführt.<br />

Beispiele<br />

„Die Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in die Yogastunde und der<br />

Körper ist wieder neu geboren“(ES).<br />

„Ich habe beim Schwimmwettbewerb gut durchgeatmet, das Meridianklopfen gemacht“(JM).<br />

„Ich verliere aber den Faden immer wieder und versuche zurückzulehnen. Ich habe auch gelernt zu<br />

akzeptieren, dass ich eben nicht alles verstehe und trotzdem den Abend geniessen kann“(EM).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Vier Erwachsene und zwei Jugendliche nannten diese Strategie, insgesamt vier weibliche und zwei<br />

männliche Personen. Eine Hörbeeinträchtigung bringt erwiesenermassen eine Mehrbelastung mit<br />

sich. Die Befragten wenden bewusst Entspannungstechniken an, um Belastungen zu mindern und<br />

wieder ein Gefühl des Wohlbefindens zu bekommen. Die Entspannungstechniken sind sehr<br />

verschieden. Der Interviewpartner ES betreibt Yoga um ganz bei sich zu sein. Er erzählte, Yoga helfe<br />

ihm, ganz im Körper zu sein. Dadurch hätte er gelernt seine Bedürfnisse wahrzunehmen und die<br />

Stimme des Körpers ernst zu nehmen. Früher hätte er alles mit dem Kopf und dem Willen getan.<br />

„Früher habe ich mich immer sehr stark ausgebeutet. Ich bin mir dessen in den letzten Jahren<br />

bewusst geworden. Ich muss mir auch Schonzeiten gönnen, Pausen einrichten. Ich gehe einmal pro<br />

Woche ins Yoga, das ist ein fixer Termin. Meine Bedürfnisse sind wichtig“(ES). Kaluza schreibt, dass<br />

bei den meisten Menschen die Sehnsucht nach Erholung vorhanden ist, ihre Erfüllung wird aber<br />

meistens auf später verschoben. Diese Sehnsucht gilt es zu wecken, um im Alltag diese Gegenwelt zu<br />

integrieren(2005 S. 63). Eine weitere Entspannungsstrategie wurde vor allem <strong>von</strong> der<br />

Interviewpartnerin (EM) genannt. Sie hat gelernt bei schwierigen Situationen auf Distanz zu gehen,<br />

einfach zu beobachten. „Ich bin offener geworden. Ich kann auch lachen, wenn ich etwas falsch<br />

verstehe ich kann auch lachen und nehme nicht alles persönlich. Ich habe eine gewisse Distanz“(EM).<br />

Auch wenn Emotionen den Kognitionen vorauseilen, so sind sie einer bewussten Reflexion zugänglich<br />

und durch Umbewertung der Situation veränderbar. Es gilt die emotional ablaufenden Emotionen<br />

einfach nur zu beobachten, ohne Wertung und Veränderungsabsichten. Es geht darum, einen Ort in<br />

sich selber zu finden, der in das Stressgeschehen nicht involviert ist, <strong>von</strong> dem es aus Distanz<br />

betrachtet werden kann. Dieser Ort kann in belastenden Situationen durch körperliche<br />

Entspannungstechniken wieder gefunden werden. Durch die Entspannung der Muskulatur können<br />

Zeichen körperlicher und emotionaler Unruhe verringert werden und alltäglichen Stresssituationen<br />

gelassener begegnet werden (Kaluza, 2005).<br />

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5.3.2.3 K12 Mehraufwand betreiben<br />

Definition der Copingstrategie K12<br />

Da die Probleme, die mit der Schwerhörigkeit verbunden sind, hier vor allem das „Nichtguthören“, das<br />

nur bruchstückhafte Informationen liefert, nicht gelöst werden können, wird oft mit einem<br />

Mehraufwand kompensiert. Es wird ein grosser Teil der Freizeit wird dafür verwendet.<br />

Beispiele<br />

„Ich habe in der Sek sehr viel für die Schule gearbeitet, damit ich den Stoff bewältigen konnte“(EL.)<br />

„Früher habe ich sehr viel an mir gearbeitet und mit mir selber ausgemacht“(EM).<br />

„Wie soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen?“(ES)<br />

Interpretation und Diskussion<br />

Es gab bei dieser Strategie sechs Nennungen, die alle <strong>von</strong> Erwachsenen kamen. Die Aussagen<br />

bezogen sich auf früher, vor allem auf die Schulzeit in der Oberstufe. Es wird sichtbar wie enorm<br />

gross der Aufwand war und im Nachhinein als grosse Belastung empfunden wurde, so wie das der<br />

erwachsene Interviewpartner ES beschreibt: „Am Wochenende hatte ich sehr viel gelernt. Ich hatte<br />

einen grossen Ehrgeiz, das würde ich heute nicht mehr machen“. Viele junge Schwerhörige setzen<br />

ihren ganzen Ehrgeiz in den Beruf, arbeiten überproportional viel, um in der Schule oder der<br />

Arbeitswelt zu beweisen, dass sie mithalten können. Mittel- bis langfristig strapazieren sie ihre<br />

psychische und physische Gesundheit. Es können psychosomatische Störungen auftreten, die lange<br />

Zeit nicht mit dieser permanenten Überforderung in Zusammenhang gebracht werden. Spätestens<br />

beim Eintreten ins Berufsleben, wo der junge Schwerhörige meistens nur wenig bis keine<br />

Unterstützung mehr bekommt, da erlebt er die volle Härte der Arbeitswelt und die Enttäuschung, dass<br />

trotz Lautsprache und Mehraufwand die Integration nicht ganz gelingen will (Donath,1995, S.56).<br />

Die Befragten beklagten sich auch, dass zu ihrer Schulzeit die Lehrer kaum Rücksicht genommen<br />

haben und sie sich für ihre Behinderung fast entschuldigen mussten, dass sie ein schlechtes<br />

Gewissen hatten, etwas vom Lehrer zu fordern. ES war besonders bemüht nicht aufzufallen, mit guten<br />

Leistungen seine Defizite zu kompensieren und niemandem zur Last zu fallen. „Ich hatte früher<br />

versucht perfekt zu sein, statt zu sagen, diese Schwäche ist einfach da. Ich hatte immer versucht<br />

auszugleichen, das wett zu machen, was mir fehlte, so zusagen für meine Defizite das Doppelte zu<br />

leisten. Ich wollte es allen recht machen und hatte mich permanent zu Höchstleistungen angetrieben.<br />

Heute kann ich meine Schwächen akzeptieren“. Diese Höchstleistung und das unermüdliche<br />

Bemühen brachte Lob und Anerkennung und vermittelte den Eindruck <strong>von</strong> Souveränität.<br />

Interessant ist auch die Umfrage <strong>von</strong> Annette Leonhardt bei Lehrpersonen in der öffentlichen Schule,<br />

die schwerhörige Schüler in der Klasse haben. Sie sind der Meinung, dass sie durch die Anwesenheit<br />

eines schwerhörigen Schülers keinen speziellen Mehraufwand betreiben müssen, dass sich diese<br />

Schüler meistens unauffällig benehmen und sich zu helfen wissen (2005). Hier wird deutlich, wie<br />

dieser Eindruck täuscht, denn die Mehrarbeit und die permanente Überforderung der schwerhörigen<br />

Schüler ist nicht sichtbar.<br />

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5.3.2.4 K13 Denken- abwägen- adäquate Strategien entwickeln<br />

Definition der Copingstrategie K13<br />

Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer aktiven inneren Beschäftigung<br />

mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen suchen, mit dem Ziel, damit<br />

brauchbare Handlungsanweisungen zur Meisterung <strong>von</strong> Lebenssituationen zu gewinnen.<br />

(http://de.wikipedia.org/wiki/Denken 11.10.2008)<br />

Beispiele<br />

„Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir verschiedene Möglichkeiten“( JP).<br />

„Ich wähle mein Umfeld sorgfältig aus“(EM).<br />

Interpretation und Diskussion<br />

In diese Kategorie fallen fünf Nennungen <strong>von</strong> vier erwachsenen Personen und einer Jugendlichen.<br />

Die Beispiele zeigen die Bemühung richtig zu handeln, sich nicht zu über- oder unterfordern. Es<br />

werden Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen und es wird überlegt, welche Handlungsstrategie zu<br />

Erfolg führen könnten, wie das Beispiel <strong>von</strong> EM zeigt. „Ich überlege mir immer wann, wo mit wem. Ich<br />

überlege mir das immer vorher.“ Frühere Erfahrungen mit ähnlichen Situationen beeinflussen den<br />

Bewertungsprozess und die Handlung massgebend, wenn nicht eine Umbewertung der neuen<br />

Situation vorgenommen wird. Die folgende Aussage verdeutlicht, wie mit Hilfe <strong>von</strong> aussen<br />

Reflexionsprozesse und Neubewertungen gelingen können: „Ich hatte viele Jahre Psychotherapie.<br />

Durch das Nachdenken über das eigene Verhalten habe ich herausgefunden, was ich tue und nicht<br />

tue und wie ich handeln möchte“(ES). Positives Bewältigungsverhalten ist mit der Fähigkeit<br />

verbunden, eigene Kontrollmöglichkeiten der Situation entsprechend realistisch einschätzen zu<br />

können, wie dies JP sagt: „Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir<br />

verschiedene Möglichkeiten.“<br />

52


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6. Schlussteil<br />

Im Folgenden werden die aus dem empirischen Teil hervorgegangenen wichtigsten Ergebnisse<br />

zusammengefasst und zueinander in Bezug gesetzt.<br />

Im 5. Kapitel wurden die <strong>von</strong> den Interviewten genannten schwierigen Situationen in vier Kategorien<br />

(S 1, S 2, S 3, S 4) unterteilt und je einzeln beschrieben und interpretiert.<br />

Im 6. Kapitel wurden die Aussagen der Interviewten, wie sie die schwierigen Situationen bewältigen,<br />

in 13 <strong>Copingstrategien</strong> (K 1 bis K 13) unterteilt. Jede Strategie wurde jeweils definiert, die Anzahl<br />

Nennungen zu jeder Kategorie dargelegt, interpretiert und diskutiert. Zudem wurden zu jeder<br />

Kategorie bzw. Copingstrategie jeweils wörtliche Zitate mit exemplarischem Charakter angefügt,<br />

sodass sich der Leser konkret etwas darunter vorstellen kann.<br />

Indem in diesem Schlusskapitel Kategorien übergreifende Querbezüge geschaffen werden, soll eine<br />

Grundlage für die Anwendung der Erkenntnisse in der Praxis geschaffen werden.<br />

6.1 Überprüfung der Hypothesen<br />

Beide Hypothesen konnten verifiziert werden.<br />

1. Hypothese<br />

Erwachsene haben quantitativ mehr <strong>Copingstrategien</strong> zur Wahl, da sie über eine längere<br />

Lebenserfahrung verfügen als jugendliche Schwerhörige.<br />

Durch die Auszählung der Aussagen aus den Interviews wird deutlich, dass die erwachsenen<br />

<strong>Schwerhörigen</strong> 73 Nennungen zu <strong>Copingstrategien</strong> machten, im Gegensatz zu nur 35 Aussagen, die<br />

<strong>von</strong> den jugendlichen Befragten geäussert wurden. Der Vergleich bestätigt, dass die Erwachsenen<br />

quantitativ beinahe doppelt so viele <strong>Copingstrategien</strong> nannten, wie die Jugendlichen.<br />

Kritisch zu bedenken wäre allerdings, ob Jugendliche tatsächlich weniger Strategien zur Verfügung<br />

haben oder ob sie - verglichen mit den Erwachsenen - einfach ein noch weniger differenziertes<br />

Reflexions- und Artikulationsvermögen, haben. In diese Richtung denkt auch Salisch, wenn er darauf<br />

hinweist, dass „Kinder bereits Strategien real anwenden, ohne sie verbalisieren zu können“ (2000,<br />

zitiert nach Seiffge-Krenke 2007, S. 87)<br />

2. Hypothese<br />

Erwachsene Schwerhörige verfügen über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> als jugendliche<br />

Schwerhörige.<br />

Die <strong>Copingstrategien</strong> der jugendlichen und erwachsenen Interviewten wurden 13 selbst definierten<br />

Kategorien zugeordnet. Die erwachsenen Personen nannten Strategien zu allen 13 Kategorien, die<br />

Jugendlichen hingegen nur zu zehn Kategorien. Dies ist ein erster Hinweis, dass Erwachsene nicht<br />

53


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nur über quantitativ mehr, sondern auch über variantenreichere <strong>Copingstrategien</strong> verfügen. Wenn wir<br />

nun die Auswertungen im Einzelnen heranziehen, dann zeigt sich bei der Kategorie K 3 (Kooperation<br />

mit Gleichbetroffenen), bei K5 (abwägend-zurückhaltende Konfrontation) und bei K 12 (Mehraufwand<br />

betreiben) ein erheblicher Unterschied. Bei den Erwachsenen sind bei K3 sechs, bei den<br />

Jugendlichen null Aussagen, beziehungsweise bei K5 sechs und null, bei K 12 sechs und null zu<br />

verzeichnen. Im Vergleich zu den Erwachsenen nennen Jugendliche also nicht zu allen Kategorien<br />

<strong>Copingstrategien</strong>.<br />

6.2 Beantwortung der Fragestellungen<br />

6.2.1 Welches sind für schwerhörige Jugendliche und Erwachsene schwierige<br />

Situationen?<br />

Wie in der Einleitung erwähnt sind Jugendliche vermehrt Stresssituationen ausgesetzt, da sie sich<br />

einerseits mit den Veränderungen infolge der Adoleszenz auseinandersetzen und andererseits durch<br />

die Schwerhörigkeit einen Mehraufwand betreiben müssen. Die Erwachsenen nannten mehr<br />

schwierige Situationen als die Jugendlichen.<br />

Die Einstiegsfragestellung bei den Interviews befasste sich mit der Frage nach schwierigen<br />

Situationen im Leben der jugendlichen und erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>. Rein quantitativ nannten die<br />

Erwachsenen 20 schwierige Situationen, die Jugendlichen nur sechs.<br />

Zur Veranschaulichung der Resultate möchte ich auf die Abbildung 3 auf Seite 26 verweisen.<br />

Grundsätzlich kann man da<strong>von</strong> ausgehen, dass Erwachsene aufgrund ihrer reicheren<br />

Lebenserfahrungen einen höheren Grad an bewusster Wahrnehmung und Reflexion aufweisen wie<br />

die Jugendlichen. Dies spiegelt sich in der quantitativen Auswertung und entspricht zudem in hohem<br />

Ausmasse der unmittelbaren Wahrnehmung bei der Durchführung der Interviews. In diesem<br />

Interaktionsprozess wurde offenkundig, dass es den Erwachsenen leichter fiel, ihre Wahrnehmung zu<br />

artikulieren und in Begriffe zu fassen.<br />

Im Folgenden sind die wesentlichen quantitativen Resultate der empirischen Studie aufgeführt:<br />

• Bei den Jugendlichen stehen mit Abstand an erster Stelle die Ausgrenzungssituationen<br />

(50%).<br />

• Bei den Erwachsenen ist die Verteilung in die vier Kategorien (S1, S2, S3, S4)<br />

gleichmässiger als bei den Jugendlichen.<br />

• Bei den Erwachsenen wurde am meisten genannt: Schwierigkeit, wie sie mit der<br />

Schwerhörigkeit umgehen sollen (35%).<br />

• An zweiter Stelle ist sowohl bei den Erwachsenen wie bei den Jugendlichen (30% bzw. 34%<br />

der Nennungen) die Kategorie S3 (aufgrund der Schwerhörigkeit akustisch nicht<br />

verstehen können).<br />

• Speziell zu erwähnen ist die Kategorie S 2 (fehlende Empathie und Rücksichtnahme aus<br />

der Umwelt) Hier gab es null Nennungen bei den Jugendlichen gegenüber 25 % der<br />

Erwachsenen.<br />

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Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Diese Resultate sind auch aus qualitativer Sicht durchaus nachvollziehbar. Dass<br />

Ausgrenzungssituationen bei den Jugendlichen eine Hauptthematik ausmachen, ist bereits augrund<br />

der Entwicklungspsychologie klar nachzuweisen. In dieser Phase sind Kinder und Jugendliche stark<br />

abhängig <strong>von</strong> Bezugspersonen. Klassenkameraden sind wichtige Kontakte und bieten erste<br />

Erfahrungen ausserhalb des Familiensystems. Jugendliche können, im Gegensatz zu Erwachsenen,<br />

ihr Bezugssystem noch nicht ganz frei wählen. Menschen in der Nachbarschaft und in der Klasse sind<br />

gegeben, man ist ihnen auf Gedeih und Verderben ausgesetzt. Hier ergibt sich bereits ein erster<br />

Querbezug zu den gewählten <strong>Copingstrategien</strong>. Die am häufigsten erwähnte Copingstrategie der<br />

Jugendlichen ist K1 (Kooperation mit unterschiedlichen Zielgruppen).<br />

Auffallend ist, dass bei S 2 (fehlende Empathie und Rücksichtnahme aus der Umwelt) <strong>von</strong> den<br />

Jugendlichen keine Nennungen erfolgten. Dieses quantitative Resultat ist aus meiner Sicht kritisch zu<br />

reflektieren. Aus qualitativer Sicht könnte diese Nullnennung auch dadurch begründet sein, dass die<br />

Jugendlichen diese Situationen wie die Erwachsenen emotional zwar wahrnehmen, aber ihre noch<br />

mangelnde Reflexions- und Artikulationsfähigkeit noch wenig ausgeprägt ist. Hätte man explizit<br />

danach gefragt, wäre die Wahrscheinlichkeit wohl gross gewesen, dass die Jugendlichen hierzu auch<br />

Aussagen gemacht hätten.<br />

6.2.2 Beantwortung der Forschungsfrage<br />

Mit welchen Strategien meistern schwerhörige Jugendliche und schwerhörige jüngere Erwachsene<br />

schwierige Situationen?<br />

6.2.2.1 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Jugendliche schwierige Situationen?<br />

Es zeigt sich, dass jugendliche Schwerhörige vor allem aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (63%)<br />

verwenden. Innerhalb der aussenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> machen die kooperativen<br />

<strong>Copingstrategien</strong> (K1, K2, K3) 28% aus. Sie wurden <strong>von</strong> den Jugendlichen am häufigsten genannt,<br />

knapp gefolgt <strong>von</strong> den konfrontativen <strong>Copingstrategien</strong>.<br />

Es bestätigt sich einmal mehr, dass Jugendliche vermehrt auf soziale Ressourcen wie die Familie,<br />

Freunde und Bezugspersonen angewiesen sind, um erfolgreich mit schwierigen Situationen umgehen<br />

zu können. Es findet eine Bereitschaft zu Kompromissen und auch zur Anpassung statt. Die<br />

Jugendlichen erwähnten recht häufig erlebte Ausgrenzungssituationen, was einen direkten<br />

Zusammenhang aufweist mit dem Bedürfnis, sozial anerkannt und eingebettet zu sein.<br />

Dass die konfrontativen <strong>Copingstrategien</strong> (K 4 offene und direkte Konfrontation und K 5 abwägendzurückhaltende<br />

Konfrontation) rein quantitativ an zweiter Stelle stehen und insgesamt 20 % aller<br />

andern Strategien ausmachen, ist kritisch zu hinterfragen. Auch hier muss für die Interpretation die<br />

qualitative Auswertung zu Hilfe genommen werden. Denn tatsächlich kam diese Anzahl Nennungen<br />

praktisch ausschliesslich aufgrund der Aussagen <strong>von</strong> einem einzelnen Jugendlichen (JD) zustande.<br />

Wenn wir die sieben Aussagen der der innenorientierten Überkategorie Vermeidung- und<br />

Verdrängung (K8 und K9) näher betrachten, dann fällt im Gegensatz zur oben beschriebenen<br />

Überkategorie (Konfrontation) auf, dass alle Jugendlichen Aussagen machen.<br />

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Hier macht es Sinn, einen Querbezug zur Fragestellung bezüglich des Lernprozesses herzustellen. Es<br />

ist durchaus funktional, dass die Vermeidungsstrategien längerfristig reduziert und durch andere<br />

Strategien ersetzt werden. Dies zeigt sich bereits bei den Aussagen der Jugendlichen, indem sich die<br />

Aussagen <strong>von</strong> K8 (sich andern nicht mitteilen, Rückzug) auf früher, d.h. auf schwierige Situationen<br />

aus der Kindheit beziehen. Noch öfters wurde die Hörbeeinträchtigung versteckt und die<br />

Auseinandersetzung damit vermieden. Das zeigt sich bei der Kategorie K9 Schwerhörigkeit<br />

verstecken, hier gab es <strong>von</strong> den Jugendlichen eindeutig mehr Nennungen als bei den Erwachsenen.<br />

Auch die Studie <strong>von</strong> Seiffge-Krenke (2007) bestätigt, dass vor allem die besonders stressreichen und<br />

wenig kontrollierbaren Ereignisse, häufig zu Rückzug führen und dass dies vor allem in der frühen<br />

Adoleszenz der Fall ist. Gut kontrollierbare Ereignisse führen verstärkt zu Handlungen.<br />

Innerhalb der innenorientierten Strategien ist noch die Überkategorie Reflexion und Planung zu<br />

erwähnen. Sie weist relativ wenige Nennungen auf. Einmal mehr eine Bestätigung, dass die<br />

kognitiven und reflexiven Fähigkeiten noch stark in der Entwicklung begriffen sind und sich gerade in<br />

diesem Altersegment der 13- bis 17-Jährigen, bezüglich Reflexions- und Problemlösungsfähigkeit,<br />

noch grosse Unterschiede zeigen. Es ist bereits in den Interviews aufgefallen, dass die Jugendlichen<br />

teilweise Mühe hatten, differenziert über ihre Strategien Auskunft zu geben. Hier könnte auch noch<br />

weiter differenziert werden: Die beiden 13-Jährigen zählten weniger Strategien auf als die beiden 16-<br />

Jährigen. Die Jüngeren benutzten sehr wohl Strategien, ohne je zuvor darüber reflektiert oder sie<br />

verbalisiert zu haben. Die ältere Gruppe der Jugendlichen verwendete häufiger kognitive Strategien<br />

und war in der Lage, über Problemlösungen nachzudenken und verschiedene Strategien<br />

gegeneinander abzuwägen und Auskunft über ihre Denkprozesse zu geben.<br />

6.2.2.2 Mit welchen <strong>Copingstrategien</strong> meistern Erwachsene schwierige Situationen<br />

Das Verhältnis zwischen aussenorientierten und innenorientierten Strategien liegt bei den<br />

Erwachsenen im Verhältnis <strong>von</strong> 56% zu 44 %. Rein zahlenmässig dominieren also auch bei den<br />

Erwachsenen die aussenorientierten Strategien. Allerdings verzeichnet die Überkategorie<br />

Reflexion und Planung am meisten Nennungen: 27 Nennungen was 37% aller Aussagen entspricht.<br />

Und diese Überkategorie (mit den Kategorien: K 10 - Hör- und Kommunikationsstrategien, K11 –<br />

Entspannen, K12 – Mehraufwand betreiben, K13 – Denken- abwägen- adäquate Strategien abwägen<br />

) ist den innenorientierten Strategien zugeordnet. Augenfällig ist, dass diese Kategorien wesentlich<br />

stärker besetzt sind als bei den Jugendlichen. Dies bestätigt einmal mehr, dass sich die befragten<br />

Erwachsenen durch eine hohe Reflexions- und Artikulationsfähigkeit auszeichnen. Das heisst, dass<br />

viele Erwachsene im Alter <strong>von</strong> 27 bis 32 Jahren fähig sind, Zusammenhänge zwischen Kognitionen,<br />

Emotionen und Verhalten zu erkennen und Neubewertungen vornehmen können. Innerhalb dieser<br />

Überkategorie gibt es eine klare Dominanz, nämlich <strong>von</strong> der Kategorie K10 Hör- und<br />

Kommunikationsstrategien. Wie in Kapitel 5.3.2.1 beschrieben, wurden in diesem Bereich am<br />

meisten Strategien genannt, was einen direkten Zusammenhang hat mit den erwähnten schwierigen<br />

Situationen im Bereich des akustisch Nichtverstehens und mit der Schwierigkeit, wie mit der<br />

Schwerhörigkeit umgegangen werden soll. Hier zeigt sich eindrücklich, wie die Erwachsenen im Laufe<br />

des Lebens Strategien und Kompetenzen entwickelt haben, die ihnen vor allem im Bereich „Hören<br />

und Verstehen“ helfen. Hier wird klar ein Lernprozess in Richtung Wissenszuwachs sichtbar.<br />

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Die zweite Überkategorie Vermeidung und Verdrängung wird nur noch geringfügig verwendet (7%).<br />

Damit kann auch der Bezug geschaffen werden zu den aussenorientierten Strategien, die - wenn<br />

auch in geringerem Ausmasse als bei den Jugendlichen - auch bei den Erwachsenen dominieren.<br />

Dabei sind die Nennungen zur Überkategorie Konfrontation (26%) am höchsten. Die Erwachsenen<br />

können ihre Meinung äussern, Bedürfnisse einfordern oder abwägen und Kontext bezogen handeln.<br />

Die Namenscodes sind bei ihnen in dieser Überkategorie (im Gegensatz zu den Jugendlichen)<br />

gleichmässig verteilt, d.h. alle nennen <strong>Copingstrategien</strong>.<br />

6.2.2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> schwerhörigen 13- bis<br />

17-jährigen Jugendlichen und 27- bis 32-jährigen Erwachsenen<br />

Vergleichen wir nun die Strategien der Erwachsenen mit jenen der Jugendlichen, dann fällt<br />

zusammenfassend Folgendes auf:<br />

Gemeinsames:<br />

• Beide Zielgruppen verwenden mehr aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong>.<br />

• Beide Gruppen verwenden die Kategorie „sachlich informieren“ relativ wenig (prozentualer<br />

Anteil bei beiden Gruppen in Relation zur Gesamtmenge genau gleich, nämlich 15%).<br />

Unterschiede:<br />

• Eindeutige Unterschiede zeigen sich bei der Kategorie „Vermeidung und Verdrängung“<br />

(Erwachsene 7% und Jugendliche 20%)<br />

• Die innenorientierten <strong>Copingstrategien</strong> (44%) sind bei den Erwachsenen stärker vertreten als<br />

bei den Jugendlichen (37%).<br />

• Am meisten Nennung sind bei den Erwachsenen bei der innenorientierten Überkategorie<br />

„Reflexion und Planung“ zu verzeichnen. Bei den Jugendlichen steht die aussenorientierte<br />

Überkategorie „Kooperation“ an erster Stelle.<br />

• Dass die Erwachsenen gegenüber den Jugendlichen einen Lernprozess durchlaufen haben,<br />

zeigt sich spezifisch auch bei der starken Besetzung <strong>von</strong> K 10 (Hör- und<br />

Kommunikationsstrategien):13 Nennungen <strong>von</strong> Erwachsenen gegenüber lediglich drei<br />

Nennungen der Jugendlichen. Dieser doch markante Unterschied ist durchaus plausibel und<br />

erklärbar. Die Erwachsenen haben im Laufe ihres Lernprozesses Strategien entwickelt, um<br />

die schwierigen Situationen zu mildern, die sich aufgrund der Hörbehinderung (akustisch nicht<br />

wahrnehmen und verstehen können) ergeben.<br />

• Auch bei der Kategorie K 12 (Mehraufwand betreiben) ist ein markanter Unterscheid bei den<br />

Nennungen feststellbar (Erwachsene sechs, Jugendliche null Nennungen). Dass alle aufgrund<br />

ihrer Schwerhörigkeit einen Mehraufwand betreiben müssen ist offensichtlich. Auch hier<br />

können nur die Erwachsenen diesen Mehraufwand erkennen und verbalisieren, was einmal<br />

mehr mit dem bereits stärker entwickelten Bewusstsein der Erwachsenen gegenüber den<br />

Jugendlichen zu tun hat.<br />

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• Ein weiterer markanter Unterschied zeigt sich auch bei Kategorie K5 (abwägendzurückhaltende<br />

Konfrontation).. Hier zählen wir sechs Nennungen der Erwachsenen<br />

gegenüber null Nennungen der Jugendlichen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass die<br />

Erwachsenen es besser verstehen, Vor- und Nachteile abzuwägen und aufgrund ihrer<br />

variantenreicheren Strategien situationsadäquater und flexibler agieren können.<br />

6.3 Beantwortung der untergeordneten Fragen<br />

Die Jugendlichen und Erwachsen wurden im Interview gefragt, ob sie sich einer Verbesserung ihrer<br />

<strong>Copingstrategien</strong> bewusst sind. Exemplarische Antworten sind unten aufgeführt.<br />

6.3.1 Sind sich schwerhörige 13- bis 17-jährige Jugendliche einer Verbesserung ihrer<br />

eigenen Strategien bewusst?<br />

• „ Ich denke ich bin noch mutiger geworden, ich war es schon früher. Als Kind ging ich bereits<br />

alleine zum Arzt. Es ist alles <strong>von</strong> alleine gekommen, ich habe nichts dazu beigetragen“(JD).<br />

• „ Früher hatte ich sehr grosse Angst und dachte, dass ich Fehler machen könnte oder nicht<br />

gut genug bin. Heute ist das besser“(JM).<br />

• „ Heute habe ich mehr Möglichkeiten als früher. Ich habe immer nur zu einer Person<br />

gesprochen in der Schule, heute frage ich auch andere. Allgemein hat sich viel verbessert, es<br />

ist aber noch nicht gut. Ich frage in der Schule häufiger nach als früher, aber aufstrecken tue<br />

ich nicht und ich werde es auch nie tun. Ich bin heute im Unterricht aufmerksamer, früher war<br />

ich meistens abwesend“(JP).<br />

• „Ich kann heute verschiedene Menschen nach Informationen fragen, oder kann auch<br />

abwarten“ (JC).<br />

Die Aussagen zeigen, dass zwei Jugendliche mehr Selbstvertrauen und mehr Mut entwickelt haben.<br />

Zwei Jugendliche können besser nachfragen.<br />

6.3.2 Sind sich schwerhörige 27- bis 32-jährige Erwachsene einer Verbesserung ihrer<br />

eigenen Strategien bewusst?<br />

• „ Ich habe mehr Selbstbewusstsein und Akzeptanz der eigenen Behinderung gegenüber<br />

entwickelt. Ich kann jetzt meine Bedürfnisse erkennen und sie ernst nehmen. Ich verlange <strong>von</strong><br />

mir nicht mehr Höchstleistung“ (ES).<br />

• „Heute kann ich verschiedene Kommunikationssysteme anwenden. Ich kann mich<br />

lautsprachlich oder mit Gebärden ausdrücken. Wenn ich in der Kommunikation und im<br />

Auftreten sicher bin, dann reagieren auch die anderen besser auf mich.<br />

Kommunikationsfähigkeit und Selbstsicherheit gehören für mich zusammen“(EE).<br />

• „ Aus der Praxis habe ich gelernt, dass sich gewisse Dinge einfach entwickeln. Ich habe<br />

Vertrauen, dass einige Fähigkeiten sich <strong>von</strong> selbst einstellen. Heute mach ich auf mich<br />

aufmerksam, wenn ich vergessen gehe“(EM).<br />

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• „Vor allem die Kommunikation und das Auftreten haben sich verbessert. Denn früher hatte<br />

das meine Familie für mich übernommen und ich musste mir das im Nachhinein erwerben“<br />

(EL).<br />

Zwei Erwachsene haben im Bereich Kommunikationsstrategien Fortschritte erzielt und zwei Personen<br />

haben mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein entwickelt. Insgesamt wird mehr Akzeptanz der<br />

eigenen Behinderung gegenüber aufgebracht.<br />

Durch die Erzählungen und Aussagen der jugendlichen und erwachsenen Interviewpartner hat sich<br />

gezeigt, dass sich die <strong>Copingstrategien</strong> im Laufe des Lebens verändern, dass der Erwerb <strong>von</strong><br />

<strong>Copingstrategien</strong> ein lebenslanger Prozess ist, der nie abgeschlossen ist.<br />

Leyendecker schreibt, dass Bewältigungsaufgaben sich im Laufe des Lebens immer wieder neu<br />

stellen. Er meint weiter, dass es eine arrogante Forderung sei, zu erwarten, dass Menschen mit einer<br />

Körperbehinderung diese im Laufe des Lebens endgültig verarbeitet und akzeptiert haben müssen.<br />

Das sei eine Weltsicht, die mehr das Haben als das Sein in den Vordergrund rücke. „Copingprozesse<br />

sind immer im Werden und in der Veränderung: ein lebenslanger Prozess, begleitet <strong>von</strong> Krisen und<br />

Enttäuschungen, aber auch <strong>von</strong> Anpassung und Selbstbewusstsein, <strong>von</strong> Widerstand, Neuorientierung<br />

und Hoffnung“ (Leyendecker, 2006, S. 28-29).<br />

6.4 Diskussion und Schlussfolgerungen für die audiopädagogische Förderung<br />

In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass im Laufe der Entwicklung vom Jugendlichen zum<br />

Erwachsenen eine Verschiebung <strong>von</strong> vermeidenden <strong>Copingstrategien</strong> hin zu reflexiven und planvollen<br />

Strategien stattgefunden hat. Der Kategorie K10 (Hör- und Kommunikationsstrategien), die bei den<br />

Erwachsenen eine eindeutig höhere Anzahl Nennungen aufweist als bei den Jugendlichen, wird ein<br />

besonderes Gewicht gegeben. Die Jugendlichen und die Erwachsenen sind sich einer Verbesserung<br />

ihrer <strong>Copingstrategien</strong> bewusst. Zwei Interviewte sind der Ansicht, dass sich eine Verbesserung ihrer<br />

Strategien teilweise auch automatisch eingestellt hat. Das kann natürlich auch so verstanden werden,<br />

dass diese Personen über Vertrauen in die eigenen Ressourcen verfügen und überzeugt sind, dass<br />

sie den Anforderungen gewachsen sind.<br />

Das Jugendalter ist durch tief greifende und rasche Veränderungen auf der biologischen und<br />

kognitiven Ebene sowie durch neue soziale Anforderungen charakterisiert. Ein Grossteil der<br />

Jugendlichen bewältigt die Anforderungen erfolgreich und nutzt sie, um ein Bewältigungspotential<br />

aufzubauen und sich weiterzuentwickeln. Gerade in der Adoleszenz und bei anderen<br />

Entwicklungsübergängen, wie Schulwechsel oder Berufseinstieg, sind die Jugendlichen oft überfordert<br />

(Seiffge- Krenke, 2007). In der vorliegenden Untersuchung vermittelten alle Jugendlichen den<br />

Eindruck, dass sie für die Anforderungen die das Leben und insbesondere die Hörbeeinträchtigung an<br />

sie stellt, gute Ressourcen und eine Auswahl an <strong>Copingstrategien</strong> zur Verfügung haben, mit denen sie<br />

das Leben meistern und durch allmählich einsetzende Reflexionsprozesse bereit sind dazu zu lernen.<br />

Wie Antonovsky (1997) schreibt, gibt es viele Menschen, die gut mit einem hohen Stressniveau<br />

umgehen können. Anstatt sich auf Stressoren zu konzentrieren könnte man sich fragen, welche<br />

Faktoren beteiligt sind, dass man sich auf einen gesunden Pol hinbewegen kann. Nachfolgend<br />

werden aufgrund der Ergebnisse aus der Untersuchung für die audiopädagogische Praxis Vorschläge<br />

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skizziert und die Gedanken <strong>von</strong> Antonovsky einbezogen. Die acht befragten Personen wurden im<br />

Interview ebenfalls nach ihren Vorschlägen für die praktische Umsetzung und das Trainieren <strong>von</strong><br />

<strong>Copingstrategien</strong> befragt. Erfahrungen und Strategien, die ihnen nachhaltig geholfen haben, werden<br />

bei den Umsetzungsvorschlägen erwähnt. In der Arbeit mit Klienten schlägt Simmen (2000) vor, dass<br />

darauf geachtet wird, die Ressourcen auszubauen und allfällige Lücken zu schliessen, die Flexibilität<br />

und der geschickte Einsatz der <strong>Copingstrategien</strong> zu trainieren und den Personen ihr eigenes<br />

Copingverhalten bewusst zu machen, damit sie überhaupt über alternative Möglichkeiten nachdenken<br />

können.<br />

6.4.1 Soziale Unterstützung fördern<br />

Durch die hohe Anzahl Nennungen der Jugendlichen im Bereich „Kooperation“ zeigt sich, dass<br />

schwerhörige Kinder und Jugendliche sehr auf Bezugspersonen angewiesen sind und ein konstantes<br />

und gut informiertes Bezugsnetz äusserst hilfreich ist. Daher ist es wichtig, mit den Jugendlichen<br />

individuell das eigene Bezugsnetz zu überprüfen und allenfalls Möglichkeiten zur Erweiterung dessen<br />

zu besprechen. Wenn Erfahrungen der Wertschätzung trotz einer Behinderung schon früh gemacht<br />

werden können, kann sich der schwerhörige Mensch auch selber mögen und annehmen. So müssen<br />

die Eltern und Bezugspersonen auch immer mitberaten und unterstützt werden, damit der<br />

Schwerhörige <strong>von</strong> Nahestehenden optimal betreut werden kann. Audiopädagogen haben also die<br />

Aufgabe, das Umfeld immer wieder für die Problematik der Schwerhörigkeit zu sensibilisieren und auf<br />

Beratungsangebote hinzuweisen. Es wird die Aufgabe der Audiopädagogen sein, möglichst vielfältige<br />

Angebote sicher zu stellen und nicht nur die schulische und sprachliche Entwicklung zu fördern,<br />

sondern auch das psychosoziale Wohlbefinden zu beachten. Hintermair schreibt:<br />

„Damit dieser Prozess der Identitätsarbeit bei hörgeschädigten Menschen eine<br />

günstige Basis hat, ist neben den beiden Aspekten der sozialen Anerkennung (durch<br />

andere Menschen) und der personalen Stärkung vor allem auch dafür Sorge zu tragen,<br />

dass eine möglichst hohe Vielfalt an sozialen und kulturellen Optionen verfügbar<br />

gemacht wird, damit das einzelne hörgeschädigte Individuum gute Voraussetzungen<br />

vorfindet, um seine Identitätsarbeit konstruktiv, befriedigend und zukunftsorientiert zu<br />

leisten“ (2007, S. 99).<br />

Die audiopädagogische Förderung soll es sich zur Aufgabe machen, unterschiedliche<br />

Begegnungsangebote anzubieten.<br />

6.4.2 Stärkung der Persönlichkeit und Sozialkompetenzen erweitern<br />

EE, eine befragte Person meinte: „ Es wäre wichtig zu lernen, wie man sich in einer Diskussion<br />

verhalten sollte. Die Kinder sind zu angepasst, sie fragen sich, wie sie sich verhalten sollten. Sie<br />

sollten lernen, dass man <strong>von</strong> andern auch etwas verlangen kann, nicht nur <strong>von</strong> sich selber.“<br />

EM meinte:“ Sich wehren und Rechte für sich in Anspruch nehmen sollte man lernen, aber man muss<br />

es auf eine gewisse Art tun, damit es ankommt.“<br />

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ES sagte: „Mir hat man immer gesagt, ich müsse mich wehren, wenn ich nichts verstehe, das hat<br />

aber überhaupt nichts gebracht; ich konnte das einfach nicht. Mir hat es geholfen, mich selber kennen<br />

zu lernen, die eignen Bedürfnisse anzuerkennen. Ein Bewusstsein mir selber gegenüber zu<br />

entwickeln, das war für mich wichtig und hilfreich.“<br />

Hintermair schreibt: „Es geht also darum, sozusagen nach den verborgenen Fähigkeiten zu graben,<br />

die in den hörgeschädigten Menschen schlummern und diese systematisch zum Zug kommen zu<br />

lassen, indem man sie gemeinsam mit den Betroffenen in kooperativer und nicht bevormundender<br />

Weise gestaltet“ (Hintermair, 2004, S.13).<br />

Für die Hörgeschädigten gilt es, ihre Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen, damit sie auch die<br />

ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Möglichkeiten voll ausschöpfen können und sich<br />

nicht zu früh, auf Grund <strong>von</strong> unbewussten Abwehrmechanismen, selbst Grenzen auferlegen (Stein,<br />

1999, S. 283).<br />

Das heisst für die audiopädagogische Förderung, mit den schwerhörigen Jugendlichen an ihrer<br />

Identität und der Stärkung der Persönlichkeit zu arbeiten, ihnen die eigenen Grenzen und<br />

Möglichkeiten aufzuzeigen und an ihren Ressourcen anzuknüpfen. So könnte man ihnen z.B. in<br />

einem Training situationsadäquates Verhalten aufzeigen und ihnen Kommunikations- und<br />

Sozialkompetenzen vermitteln, die ihnen Sicherheit im Auftreten und in sozialen Kontakten geben<br />

können. Wichtig wäre, dass sie lernen, wie man mit Lob, Kritik und Misserfolg umgeht. Die<br />

Jugendlichen sollten in der Lage sein, ihre Gedankengänge zu erkennen und diese zu verändern. Das<br />

heisst konkret, stresserzeugende Gedanken zu erkennen und diese durch positive zu ersetzen. Weiter<br />

wäre es wichtig, sich im offenen Gefühlsaustausch mit anderen zu üben und zu lernen wie man<br />

angemessen seine Forderungen durchsetzen kann. Das Ziel soll sein, ihre Selbst- und<br />

Fremdwahrnehmung und den Umgang mit den eigenen Gefühlen und Gedanken zu entwickeln.<br />

6.4.3 Hör- und Kommunikationsstrategien vermitteln<br />

„Wichtig wäre für mich gewesen, man hätte mich über meine Behinderung aufgeklärt“ (EL).<br />

Für die audiopädagogische Praxis heisst das, die Kinder und Jugendlichen über ihre Schwerhörigkeit<br />

und die Auswirkungen zu informieren und ihnen praktische Kommunikations- und Hörstrategien zu<br />

vermitteln. Ein Befragter erzählte: „ Es gibt viele Leute, denen tue ich leid. Sie haben aber dann mehr<br />

Respekt vor mir, wenn ich ihnen Informationen über meine Schwerhörigkeit gebe, ihnen sage, was gut<br />

und nicht gut für mich ist. In der Klasse wissen sie auch, was ein Hörgerät kostet. Auf dem<br />

Pausenplatz bekomme ich keine Faust, sie sind vorsichtig mit mir und ich fühle mich ernst<br />

genommen“ (JD). Rien schreibt, dass es auffällig sei, dass schwerhörige Menschen ihre<br />

Hörschädigung nur selten erwähnen und somit Hör- und Kommunikationstaktik nicht in Anwendung<br />

brächten (2007). Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung weisen klaren darauf hin, dass die<br />

Jugendlichen verunsichert sind, wie und wann sie andere über die eigene Hörbeeinträchtigung<br />

informieren sollen. Das würde für die Praxis heissen, den Jugendlichen aufzuzeigen, wie sie ihr<br />

Gegenüber mit Anweisungen anleiten können, damit die gegenseitige Kommunikation besser gelingen<br />

könnte. Hierzu macht Schröder (2001) folgende Vorschläge:<br />

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• Mimik und Gestik beachten und das Vertrauen in die Wahrnehmung schulen.<br />

• Gezieltes Nachfragen üben.<br />

• Verschiedene Gesprächstechniken üben und deren Sinn erklären. z.B. Was ist ein Smalltalk<br />

und was ist der Sinn da<strong>von</strong>?<br />

• Gesprächsumfeld gestalten, z.B. selber auf geeignete Lichtverhältnisse achten.<br />

• Bewusstsein <strong>von</strong> Grenzen und Möglichkeiten schulen.<br />

• Unterschiede <strong>von</strong> Hörenden und <strong>Schwerhörigen</strong> bezüglich der Wahrnehmung <strong>von</strong> Sprache,<br />

erkennen. Verstehen, was zwischen den Worten zu lesen ist. z.B. Bedeutung der Prosodie,<br />

Mimik und Körperhaltung, Bedeutung des Körperabstandes, Blickverhalten usw.<br />

Rien (2007, S. 30) schlägt fünf einfache Sätze vor, die jeder kennen und anwenden sollte.<br />

• Ich bin schwerhörig.<br />

• Bitte schauen sie mich beim Sprechen an.<br />

• Ich muss vom Mund ablesen.<br />

• Bitte sprechen Sie langsam.<br />

• Bitte machen Sie kurze Sätze.<br />

Oliver Rien stellt ein Trainingsprogramm für den Erwerb <strong>von</strong> Gesprächskompetenzen vor (Zeitschrift,<br />

hörgeschädigte Kinder, hk, 1/07).<br />

6.4.4 Aufbau <strong>von</strong> sozialen Netzwerken, Kontakte zu Gleichbetroffenen Jugendlichen<br />

und Erwachsenen<br />

Die Kategorie „Vermeidung und Verdrängung“ enthält 20% der Aussagen der Jugendlichen. Auch die<br />

Erwachsenen konnten sich sehr gut an Phasen des Rückzugs in ihrer Kindheit erinnern. Seiffge-<br />

Krenke schreibt dazu, dass der Jugendliche sich in einer anspruchsvollen Anforderungsstruktur<br />

befindet, die situationsadäquate Strategien zur Bewältigungsverarbeitung abverlangt. Eine<br />

Überlastung <strong>von</strong> Problemen führt eher zum Rückzug und der Vermeidung <strong>von</strong> aktiver<br />

Problembewältigung, daher sollten präventiv bereits in der Kindheit effektive Bewältigungsstrategien<br />

aufgebaut werden (2007). Dazu gehören vor allem tragfähige soziale Netzwerke, eine sinnvolle<br />

Freizeitbeschäftigung und Möglichkeiten für Kontaktaufnahme, um dadurch das Üben <strong>von</strong> sozialen<br />

Kompetenzen zu ermöglichen. Die Befragten hatten ja vor allem in der Kindheit Mühe mit ihrer<br />

Schwerhörigkeit und versteckten sie teilweise. Wichtig für die audiopädagogische Förderung wäre es,<br />

Möglichkeiten zu schaffen für die Kontaktaufnahme mit Gleichbetroffenen und ebenso mit<br />

erwachsenen <strong>Schwerhörigen</strong>, z.B. in Form einer Kommunikationsplattform, wo man sich über die<br />

verschiedensten Themen austauschen könnte. Obwohl die Jugendlichen keine Äusserung über<br />

Gleichbetroffene gemacht haben, wird der Austausch trotzdem sehr empfohlen. Schwerhörige Kinder<br />

und Jugendliche brauchen realistische Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Sie brauchen<br />

eine Zukunftsperspektive und wollen verschiedene Lebensentwürfe <strong>von</strong> anderen <strong>Schwerhörigen</strong><br />

kennen lernen. Das kann Mut vermitteln trotz aller Einschränkungen, das eigene Leben anzupacken<br />

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und zu gestalten (Hintermair, 2007). Das würde auch heissen, interessante Möglichkeiten zu<br />

gestalten, an denen Jugendliche vermehrt Austausch mit Gleichbetroffenen hätten. Eine befragte<br />

Person wünscht sich diesen Austausch im schulischen Kontext: „Ich würde drei bis vier schwerhörige<br />

Schüler zusammen in einer Regelklasse integrieren“(EE). Eine andere Person meinte: „Es wäre<br />

ratsam, schon früh Kindertreffen zu organisieren und wichtig wäre auch, dass sich dort die Eltern<br />

austauschen könnten.“ Gemeinsame Erfahrungen unter gleichen Bedingungen helfen auch zu<br />

relativieren, so wie dies ES sagt:“ Es wäre wichtig Relationen zu schaffen, nachzufragen, wie es<br />

andere machen und zu merken, dass andere ähnliche Probleme haben, dass ich nicht die Einzige<br />

bin.“<br />

6.4.5 Vermitteln <strong>von</strong> Problemlösungsstrategien<br />

Für die Erwachsenen hat die Überkategorie „Reflexion und Planung als Grundlage <strong>von</strong><br />

Handlungsstrategien“ eine wichtige Bedeutung. Die Resultate der vorliegenden Untersuchung zeigen<br />

auch, dass sich die <strong>Copingstrategien</strong> im Erwachsenenalter <strong>von</strong> äusseren hin zu inneren verschoben<br />

haben. Durch die immer stärker zunehmende Fähigkeit zur Reflexion wird es vermehrt möglich, die<br />

eigenen Gedanken, Gefühle und Einstellungen anzuschauen und zu verändern. Die Jugendlichen<br />

sollten mit der Zeit in der Lage sein, ihre eigenen stressbezogenen Gedanken und Stressauslöser<br />

kennen zu lernen und nach geeigneten Stressbewältigungsstrategien zu suchen. Gerade in der<br />

Oberstufe heisst das für die audiopädagogische Förderung, schon frühzeitig<br />

Problemlösungsstrategien zu trainieren.<br />

Problemlösen ist eine übergeordnete Form der Stressbewältigung. Es geht darum, Lösungsvarianten<br />

wahrzunehmen und die beste auszuwählen. In Lösungsschritten könnte so vorgegangen werden:<br />

• Allgemeine Orientierung<br />

• Problemdefinition und –konkretisierung<br />

• Generieren <strong>von</strong> Lösungsalternativen<br />

• Entscheidung für eine Lösung<br />

• Handlungsdurchführung und Evaluation (Seiffge-Krenke, 2007, S. 251 - 252)<br />

6.4.6 Die Körperwahrnehmung schulen und Möglichkeiten für das eigene<br />

Wohlbefinden erkennen<br />

Audedoud und Lienhard schreiben, dass der ständige Mehraufwand, den Hörgeschädigte zur<br />

Informationsbeschaffung zu leisten haben, den Betroffenen bewusst sein sollte. Dadurch können sie<br />

einem Raubbau an Kräften vorbeugen und sich frühzeitig Möglichkeiten zum Auftanken und Erholen<br />

schaffen, um in Balance zu bleiben (2006).<br />

Leistungsansprüche an sich und Vorstellungen <strong>von</strong> sich und anderen sollten mit den Jugendlichen<br />

kritisch überprüft werden. Es ist sorgfältig abzuwägen, ob dieser Mehraufwand eine Form <strong>von</strong><br />

Anerkennung ist, eine Sehnsucht nach Angenommensein und Zuwendung. Gerade für schwerhörige<br />

Menschen, die in der hörenden Welt immer einen Mehraufwand betreiben müssen, kann es wertvoll<br />

sein, Entspannungsmöglichkeiten zu kennen, da die unmittelbare Problemlösung nicht immer möglich<br />

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ist, vor allem bei unkontrollierbaren Situationen. Eine Schülerin erzählte, wie ihr das bewusste Atmen<br />

in schwierigen Situationen helfe, wieder ruhig zu werden.<br />

Seiffge - Krenke schreibt, dass sensorische und kognitive Verfahren kurzfristig zu Entspannung führen<br />

können, dass aber gerade im Jugendalter mulitmodale Trainingsausrichtungen, das heisst die<br />

Kombination verschiedener Verfahren, empfohlen werden (2007).<br />

Das permanente Bemühen um Kontrolle und der Mehraufwand, den Hörbeeinträchtigte leisten, sind<br />

oft verbunden mit einer mangelnden Wahrnehmung <strong>von</strong> eigenen Entspannungsbedürfnissen. Die<br />

erwachsene Interviewpartnerin (ES) erzählte, weshalb die Yogastunden für sie so wertvoll sind:<br />

„Sprechen über ein Thema ist schon gut, besser ist aber noch Erfahrungen über den Körper zu<br />

sammeln und dort anzusetzen. Kommunizieren, da ist auch immer der Verstand eingeschaltet. Der<br />

Zugang zu den anderen Ebenen ist sehr wichtig und da kommt man mit Erklärungen nicht hin. Die<br />

Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in die Yogastunde und der Körper ist<br />

wie neu geboren.“<br />

Für die audiopädagogische Förderung heisst das, die Wahrnehmung des Körpers und der eigenen<br />

Bedürfnisse zu schulen, mögliche Entspannungstechniken zu vermitteln, Tipps zum Zeitmanagement<br />

anzubieten, sowie die Sensibilisierung und die Bedeutung <strong>von</strong> Ruhe zu erklären.<br />

6.5 Reflexion der Arbeit<br />

6.5.1 Vorgehen<br />

Die Fragen nach dem „richtigen“ Umgang mit schwierigen Situationen im Zusammenhang mit der<br />

Schwerhörigkeit und den damit verbundenen pädagogisch-therapeutischen Bemühungen, sind Fragen<br />

aus meinem Berufsalltag. Es interessierte mich, genauere Einsichten zu erhalten, welche Arten <strong>von</strong><br />

Schwierigkeiten <strong>von</strong> den <strong>Schwerhörigen</strong> wahrgenommen werden und wie sie damit umgehen. Diese<br />

Neugier war denn auch einer meiner Motivationsfaktoren für die Themenwahl dieser Arbeit.<br />

Der Fragenkatalog bei den Interviews war sehr komplex, was für die Auswertung eine gewisse<br />

Herausforderung darstellte. Ich fokussierte auf die Hauptfragestellung, und diese konnte ausführlich<br />

und vertieft beantwortet werden. Die untergeordneten Fragen hatten nicht den gleichen Stellenwert<br />

und wurden nicht in derselben Ausführlichkeit bearbeitet. Dies betraf insbesondere die Frage nach der<br />

Verbesserung der <strong>Copingstrategien</strong>. Hier habe ich mich darauf beschränkt, einige exemplarische<br />

Aussagen aufzuführen.<br />

Die Zusammenführung und Integration der qualitativen und quantitativen Auswertungen der<br />

Ergebnisse bildeten die Basis für die Interpretation und Diskussion im Hinblick auf die Beantwortung<br />

der Fragestellung. Bei der Darstellung der quantitativen Daten habe ich mich bemüht die Tabellen<br />

übersichtlich zu gestalten und die Zahlen leserfreundlich in den Text einzuarbeiten.<br />

In einer ersten Literaturrecherche habe ich mir einen Überblick über Stresstheorien und<br />

<strong>Copingstrategien</strong> verschafft. Dies war eine sinnvolle und gute Möglichkeit mich ins Thema<br />

einzuarbeiten. Einiges erwies sich als meine persönliche Wissenserweiterung. Ich hatte mich<br />

entschieden nur diejenige Literatur in die Arbeit einfliessen zu lassen, die sich als unmittelbar relevant<br />

64


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

für den empirischen Teil erwies. Wenn ich nachträglich nochmals Zeit ins Literaturstudium investieren<br />

könnte, dann würde ich die <strong>von</strong> mir induktiv erstellten 13 Kategorien zu <strong>Copingstrategien</strong> mit den<br />

bereits in der Literatur bestehenden vergleichen.<br />

Das Befassen mit dieser Arbeit hat mich auch persönlich bereichert, nicht zuletzt auch wegen des<br />

vertieften Verständnisses für die schwerhörigen Menschen. Wichtig ist mir, wie Simmen (2000) es<br />

ausdrückt, selber lernfähig zu bleiben und mich nicht an allgemeingültigen Phasenverläufen <strong>von</strong><br />

Copingverhalten zu orientieren, sondern offen zu bleiben für die Betroffenen in ihrer einmaligen und<br />

unverwechselbaren Situation.<br />

6.5.2 Weiterführende Forschungsfragen<br />

Einige meiner Befragten haben schwerhörige ältere Geschwister. Ich habe die Feststellung gemacht,<br />

dass die jüngeren Geschwister über bessere <strong>Copingstrategien</strong> verfügen als ihre älteren Geschwister.<br />

Es wäre interessant zu erfahren, wie und was sie <strong>von</strong> den älteren Geschwistern gelernt haben und ob<br />

sie nur funktionierendes Copingverhalten imitieren oder auch <strong>von</strong> nicht funktionierenden lernen.<br />

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, wie sich das Copingverhalten der Eltern (in<br />

Bezug auf die Schwerhörigkeit ihres Kindes) auf das Copingverhalten des Kindes auswirkt. Inwiefern<br />

sie mit ihrem eigenen Verhalten beispielhaft wirken.<br />

Eine weitere Fragestellung ergibt sich im Zusammenhang mit „Beziehungen knüpfen und diese<br />

aufrechterhalten“. Ein Thema, das vor allem in der Adoleszenz an Bedeutung gewinnt und für viele<br />

schwerhörige Jugendliche aber aufgrund der erschwerten Hör- und Kommunikationssituation eine<br />

grosse Herausforderung darstellt. Es wäre aufschlussreich zu erfahren, mit welchen Strategien<br />

schwerhörige Jugendliche erfolgreich Kontakte knüpfen und welche Voraussetzungen die<br />

Jugendlichen selber als wichtig erachten würden. Die Erörterung dieser Fragstellung wäre ein weiterer<br />

Schritt zur angeführten Idee der Schaffung <strong>von</strong> Informationsplattformen.<br />

65


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

7. Literaturverzeichnis<br />

Altrichter, H. / Posch, P. (2007). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. (4. Auflage). Bad<br />

Heilbrunn: Julius Klinkhardt.<br />

Anonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche erweiterte<br />

Ausgabe <strong>von</strong> A. Franke. Tübingen: dgvt.<br />

Bodenmann, G. (1997). Stress und coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. &<br />

Schwarz, G. (Hrsg.). Psychologie der Bewältigung. Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />

Brater, M. (1997). Schule und Ausbildung im Zeichen der Individualisierung. In U. Beck (Hrsg.),Kinder<br />

der Freiheit (S. 149-174). Frankfurt a.M: Shurkamp.<br />

Beck, U. (1997). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.<br />

Cloerkes, G. (2001). Soziologie der Behinderung. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter.<br />

Donath, P. (1995). Soziale Probleme gehörloser, schwerhöriger und ertaubter Jugendlicher.<br />

Hörgeschädigte Kinder, hk, 2 .<br />

Flöther, (2002). Integration – Reizwort oder Vision für die Hörgeschädigtenpädagogik?<br />

Hörgeschädigtenpädagogik, 2.<br />

Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.<br />

Herzka, H.S. (1991, 3.ergänzende Aufl.). Kinderpsychopathalogie. Basel: Schwabe & Co. AG.<br />

Hessmann, J. (1998). Behinderung und sprachliche Diskriminierung am Beispiel <strong>von</strong> Gehörlosen. In:<br />

Eberwein, Hl & Sasse, A. (Hersg.), Behindert sein oder behindert werden? S. 170 – 197.<br />

Berlin: Luchterhand.<br />

Hintermair, M. und Mende-Bauer, I. (1996) Schulische Angebote zur Auseinandersetzung mit der<br />

Hörschädigung in der <strong>Schwerhörigen</strong>schule. Hörgeschädigte Kinder, hk, 3, S.10.<br />

Hintermair, M. (2004). Gedanken zur Identitätsentwicklung cochlea-implantierter Kinder gehörloser<br />

Eltern. Schnecke, 45, 2004, S. 10-13.<br />

66


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Hintermair, M. (2007). Psychosoziales Wohlbefinden Hörgeschädigter Menschen.<br />

Seedorf: Signum.<br />

Kaluza, G. (2005). Stressbewältigung.Heidelberg: Springer Medizin Verlag.<br />

Kavsek, M.J (1992). Alltagsbewältigung i Jugendalter. Hamburg: Verlag Dr. Kovac.<br />

Keupp, H., Ahbe, T., Gmür, W., Höfer, R., Mitzscherlich, B., Kraus, W. & Straus, F. (1999).<br />

Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne (3. Auflage<br />

2006). Hamburg: Rowohlt.<br />

Keupp, H. (2004). In Hintermair, M. (2007). Psychosoziales Wohlbefinden Hörgeschädigter<br />

Menschen. Seedorf: Signum.<br />

Klemenz, B. (2006). Ressourcenorientierte Beziehung. Tübingen: DGVT-Verlag.<br />

Konzept, Anleitung und Richtlinien zur Verfassung <strong>von</strong> wissenschaftlichen Arbeiten an der<br />

Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik. (2007). Wissenschaftliches Arbeiten.<br />

Kruse, M & Kiefer- Pählke, H.(1988). Schwerhörigkeit. Probleme mit der Identität.<br />

Hörgeschädigtenpädagogik Beiheft 23. Heidelberg: Julius Groos Verlag.<br />

Lamnek, S. (2005). Qualitative Sozialforschung. Weinheim, Basel: Verlags Union.<br />

Larish, H. & Lohaus, A. (1992). Coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. & Schwarz,<br />

G. (Hrsg.). Psychologie der Bewältigung. (S.105) Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />

Lazarus, R. S. & Fokman, S. (1984). Stress, appraisal and coping. New York: Springer.<br />

Lazarus, R.S. & Launier, R. (1981). Stressbezogene Transaktionen zwischen Personen und Umwelt.<br />

In J.R. Nitsch (Hersg.), Stress. Theorien, Untersuchungen, Massnahmen (S. 213-260). Bern:<br />

Huber.<br />

Lenz, A. (2008). Empowerment und Ressourcenaktivierung – Perspektiven für die psychosoziale<br />

praxis. In: Lenz, A. & Stark, W.(Hrsg) Empowerment. Neue Perspektiven für die<br />

psychosoziale Praxis und Organisation (S.13 – 53). Tübingen: DGVT-Verlag.<br />

Leonhardt, A. (2001). Gemeinsames Lernen <strong>von</strong> hörenden und hörgeschädigten Schülern. Hamburg:<br />

Verlag hörgeschädigter kinder gGmbH.<br />

Leonhardt, A. (2005).Fachbeitrag. Schulische Integration hörgeschädigter Schüler.<br />

Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogen und ihre Nachbargebiete, VHN 1,Jg. 74, S. 28-36.<br />

67


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Leyendecker, Ch. (2006).“Normalerweise bin ich nicht behindert?!“ Entwicklung des Selbstkonzepts<br />

und Coping-Prozess im Leben mit einer körperlichen Schädigung. In: Ortland, B. (Hrsg.)<br />

Die eigene Behinderung im Fokus. Deutsche Bibliothek: Julius Klinkhardt.<br />

Lohaus, A. (1993). Coping als Prozess. In Tesch-Römer, C., Salewski, Ch. & Schwarz, G. (Hrsg.).<br />

Psychologie der Bewältigung. (S.109) Weinheim: Psychologie Verlags Union.<br />

Mayering, Ph. (2008). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (10. Auflage). Weinheim<br />

und Basel: Beltz.<br />

Moser, H. (2003). Instrumentenkoffer für die Praxisforschung. Zürich: Lambertus-Verlag.<br />

Ortland,B.(Hrsg.) (2006),Die eigene Behinderung im Fokus. Die Deutsche Bibliothek: Julius<br />

Klinkhardt.<br />

Rien, O. (2007). Training sozialer Kompetenzen bei hörgeschädigten Menschen.<br />

Hörgeschädigtenpädagogik 1.<br />

Salisch, M., Wenn Kinder sich ärgern, Göttingen: Hogrefe 2000. In: Seiffge-Krenke, I. & Lohaus, A.<br />

(2007). Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.<br />

Schröder, G. (2001). Zwischen den Worten. Zeitschrift: Das Zeichen, 58.<br />

Seiffge-Krenke, I. & Stemmler, (2002). Stresssymptomatik. In: Seiffge-Krenke, I.& Lohaus, A., Stressund<br />

Stressbewältigung im Jugendalter. Göttingen: Hogrefe.<br />

Seiffge-Krenke, I. & Lohaus, A. (2007). Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter.<br />

Göttingen: Hogrefe.<br />

Simmen, R. (2000). coping-Beratung. Entwicklung und Erprobung eines Coping-Modells für die<br />

Beratung <strong>von</strong> chronisch-kranken und behinderten Menschen – Projektbericht. Zürich:<br />

Schweiz.Multiple Sklerose Gesellschaft<br />

Stein, S. (1999). Integration – Erfahrungen, Möglichkeiten, Grenzen. Hörgeschaädigtenpädagogik 5,<br />

S.283.<br />

Stigler, H. und Reicher, H. (2005) Praxisbuch, Emirische Sozialforschung in den Erziehungs- und<br />

Bildungswissenschaften. Innsbruck, Wein, Bozen: Studien Verlag<br />

68


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Stroebe, W. & Stroebe M.S. (1998). Lehrbuch der Gesundheitspsychologie (1. Aufl.) Eschborn:<br />

Dietmar Klotz. (Original erschienen 1995: Social Psychologie and Health).<br />

Tesch-Römer, C., Salewski, Ch & Schwarz, G. (1997). Psychologie der Bewältigung. Weinheim:<br />

Psychologie Verlags Union.<br />

Weber, B.(1995) Soziale Probleme gehörloser, schwerhöriger und ertaubter Jugendlicher.<br />

Hörgeschädigte Kinder, hk 2.<br />

Wikipedia (2008). Konfrontation. Internet: http//de. wikipedia.org/wiki/Konfrontation.<br />

Wisotzki, K.H. (1993). Kommunikationsbelastung und Kommunikationsstrategien Schwerhöriger.<br />

Hörbericht: Das Fachthema, 50, S.1-5.<br />

69


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

8. Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1: Stresstoleranzgrenze nach Tesch und Römer........................................................... 13<br />

Abbildung 2: Coping-Modell nach Simmen .................................................................................... 16<br />

Abbildung 3: Schwierige Situationen............................................................................................... 26<br />

Abbildung 4: Überkategorien und Kategorien (K1- K13)................................................................. 30<br />

Abbildung 5: Überkategorien im prozentualen Vergleich Jugendliche/ Erwachsene...................... 32<br />

Abbildung 6: Innen- und aussenorientiert <strong>Copingstrategien</strong> im prozentualen Vergleich ................ 32<br />

Abbildung 7: Aussen- und innenorientierte Nennungen <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong> .............................. 33<br />

Abbildung 8: Aussenorientierte <strong>Copingstrategien</strong> (K1- K7)............................................................. 33<br />

Abbildung 9: Innenorientierte Copingstrtegien (K8- K13)................................................................ 34<br />

Abbildung 10: <strong>Copingstrategien</strong> „ Kooperation“, Kategorien 1-3....................................................... 35<br />

Abbildung 11: <strong>Copingstrategien</strong> „Konfrontation“, Kategorien 4-5...................................................... 39<br />

Abbildung 12: <strong>Copingstrategien</strong> „sachlich informieren“, Kategorien 6-7.......................................... 43<br />

Abbildung 13: <strong>Copingstrategien</strong> „Vermeidung und Verdrängung“, Kategorien 8-9.......................... 45<br />

Abbildung 14: <strong>Copingstrategien</strong> „Reflexion und Planung“ ................................................................ 48<br />

70


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

9. Anhang<br />

Anhang 1: Interview ................................................................................................................... 72<br />

Anhang 2: Einverständniserklärung für das Interview ................................................................. 75<br />

Anhang 3: Kategoriensystem....................................................................................................... 77<br />

Anhang 4: Kategorienzuordnungen „aussenorientiert“ .............................................................. 84<br />

Anhang 5: Kategorienzuordnungen „innenorientiert“.................................................................. 92<br />

Anhang 6: Schwierige Situationen............................................................................................... 97<br />

71


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 1: Interview<br />

Datum Zeit:<br />

Fragebogennummer:<br />

Setting: Ort, wer ist anwesend, Aufnahmematerial<br />

Name: Alter: Berufliche Ausbildung:<br />

Hörstatus: Hörgeräteversorgung:<br />

Erklärungen:<br />

• Warum bin ich hier? Meine Aufgabe erklären?<br />

• Ziel der Masterarbeit erklären.<br />

• Wenn etwas nicht klar ist, unangenehm ist, nachfragen.<br />

• Einverständniserklärung lesen und unterschreiben.<br />

Interview-Leitfaden Mögliche Zusatzfragen<br />

Schwierige Situationen<br />

• eine Situation, die sehr schwierig war, wo<br />

Viele Betroffene berichten, dass es durch die<br />

Hörbeeinträchtigung im Beruf oder Alltag<br />

immer wieder schwierige Situationen gibt.<br />

du vielleicht traurig, hilflos und<br />

verzweifelt warst.<br />

• Wie hast du dich gefühlt?<br />

Ist das bei dir auch so? Wenn du darüber<br />

nachdenkst, kommen dir solche Situationen<br />

in den Sinn?<br />

Kannst du mir eine beschreiben?<br />

Umgang mit schwierigen Situationen<br />

a)<br />

Weißt du noch, was du in dieser schwierigen<br />

Situation gemacht hast, wie du dich verhalten<br />

hast?<br />

Weißt du noch, was du unternommen hast?<br />

b)<br />

Beschreibe mir eine schwierige Situation, die<br />

du besonders gut gemeistert hast.<br />

Erzähle mir, was du unternommen hast, um<br />

die Schwierigkeiten zu lösen?<br />

c)<br />

Fällt dir eine schwierige Situation ein, in der<br />

du die Schwierigkeiten nicht lösen konntest?<br />

Weißt du noch, was du unternommen hattest,<br />

um die Schwierigkeiten zu lösen?<br />

d)<br />

Fallen dir schwierige Situationen ein, in<br />

denen du immer gleich reagierst, die du immer<br />

• Wie merkst du, dass sie schwierig war?<br />

• Zeigt sich das körperlich?<br />

• Wie verhältst du dich, wie benimmst du<br />

dich?<br />

Gerne möchte ich noch wissen, wie du dich<br />

selbst einschätzt, im Umgang mit<br />

Schwierigkeiten, was denkst du?<br />

• Bist du ein Mensch, der sich eher<br />

anpasst oder die Situation zu ändern<br />

versucht?<br />

• Grübelst du über die Situation nach und<br />

versuchst sie zu verstehen?<br />

• Suchst du jemanden auf, mit dem du<br />

dich aussprechen kannst?<br />

• Zeigst du deine Gefühle? Wie tust du<br />

das?<br />

• Sagst du deine Meinung? Wann und wie<br />

tust du das?<br />

• Lenkst du dich ab mit Aktivitäten, z.B.<br />

Sport?<br />

• Wartest du einfach ab?<br />

• Gibt es noch andere Verhaltensweisen?<br />

72


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

auf gleiche Weise gelöst hast?<br />

Wenn mehrere Strategien zur Verfügung stehen<br />

Denke an die schwierige Situation.<br />

Hättest du sie auch noch anders anpacken<br />

können?<br />

Hattest du mehrere Strategien zur Auswahl, um<br />

die Situation zu lösen? Hast du eine Auswahl <strong>von</strong><br />

verschiedenen Strategien, <strong>von</strong> denen du wählen<br />

kannst?<br />

Haben sich deine Strategien im Laufe des<br />

Lebens verbessert?<br />

Wenn du an zwei ähnliche schwierige<br />

Situationen denkst, eine, die sich früher<br />

ereignete und eine aus deinem jetzigen Leben,<br />

was denkst du, hast du die Situationen<br />

ähnlich angepackt oder hat sich im Laufe der<br />

Zeit an deinen Strategien etwas geändert?<br />

Einüben und trainieren <strong>von</strong> <strong>Copingstrategien</strong><br />

Denkst du, <strong>Copingstrategien</strong> kann man<br />

einüben?<br />

.<br />

• Welche Strategie wendest du zuerst an?<br />

• Nach welchen Entscheidungskriterien<br />

wählst du eine Strategie aus?<br />

• Hast du bestimmte Strategien, die<br />

besser als andere funktionieren?<br />

• Bevorzugst du eine bestimmte<br />

Strategie? Wie erklärst du dir das?<br />

• Wendest du mehrere gleichzeitig an?<br />

• Wenn du merkst, dass eine Strategie<br />

nicht funktioniert, nimmst du eine<br />

andere?<br />

• Denkst du, dass dir deine Strategien<br />

helfen, verschiedene Schwierigkeiten<br />

im Zusammenhang mit der<br />

Hörbeeinträchtigung zu meistern?<br />

• Glaubst du, je mehr Strategien jemand<br />

zur Verfügung hat, desto besser kann<br />

er mit der Hörbeeinträchtigung<br />

umgehen?<br />

• In welchen Situationen gibst du auf?<br />

• Wenn du die Situationen vergleichst,<br />

nimmst du eine Verbesserung im<br />

Umgang mit der Situation wahr?<br />

• Denkst du, du hast deine Strategien<br />

verbessert?<br />

• Woran merkst du das?<br />

• Wie verbesserst du deine Strategie?<br />

(Schaust du bei anderen, wie sie es<br />

machen?)<br />

• Wie machst du das genau?<br />

• Oder haben sich eine oder mehrere<br />

Strategien im Laufe der Zeit sozusagen<br />

automatisch verbessert? Wie hat sich<br />

das ergeben?<br />

• Findest du das sinnvoll?<br />

Warum?<br />

• Ab welchem Alter wäre das deiner<br />

Meinung nach möglich?<br />

• Wie würdest du Strategien einüben?<br />

• In welchem Zusammenhang würdest du<br />

Strategien einüben. zB. nur wenn<br />

Probleme oder Konflikte auftreten?<br />

Diese aufgreifen und daran üben?<br />

73


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Abschluss<br />

Haben wir etwas vergessen, das du noch<br />

gerne sagen möchtest?<br />

Mich bedanken fürs Interview<br />

74


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 2:<br />

Einverständniserklärungen für das Interview/ Erwachsene<br />

Interview zu <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen im<br />

Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik<br />

Wolfhausen, den 19. August 2008<br />

Einverständniserklärung<br />

Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich einverstanden, dass ich im Rahmen einer Masterarbeit<br />

„<strong>Copingstrategien</strong> bei Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen“ an einem Interview<br />

teilnehme.<br />

Ich bin informiert, dass mit den Daten absolut vertraulich umgegangen wird. Die Daten und<br />

Aufnahmen werden nur für die Masterarbeit verwendet und werden ohne Namen und Angaben<br />

genutzt und anschliessend vernichtet.<br />

Ort, Datum und Unterschrift<br />

75


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Einverständniserklärungen für das Interview/Jugendliche<br />

Interview zu <strong>Copingstrategien</strong> <strong>von</strong> Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen im<br />

Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule für Heilpädagogik<br />

Wolfhausen, den 20. August 2008<br />

Einverständniserklärung für Eltern<br />

Mit meiner Unterschrift erkläre ich mich einverstanden, dass mein Sohn/ meine Tochter im Rahmen<br />

einer Masterarbeit „<strong>Copingstrategien</strong> bei Jugendlichen und jungen schwerhörigen Erwachsenen“ an<br />

einem Interview teilnehmen darf.<br />

Mit den Daten wird absolut vertraulich umgegangen. Die Daten und Aufnahmen werden nur für die<br />

Masterarbeit, ohne Namen und weiteren Angaben genutzt und anschliessend vernichtet.<br />

Ort, Datum und Unterschrift<br />

76


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 3: Kategoriensystem<br />

aussenorientiert<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

Kooperation<br />

1.1<br />

1.1.1<br />

Kooperation mit<br />

unterschiedlichen<br />

Zielgruppen<br />

- Strategien, die die andere Menschen<br />

einbeziehen<br />

- eine nach aussen gewendete Haltung<br />

- aktiv für die eigenen Interessen einstehen.<br />

- Willensäusserung<br />

- Ärger und Gefühle, die andere betreffen<br />

frei äussern<br />

- die eigene Meinung sagen<br />

- andere Menschen um Rat fragen<br />

- anderen <strong>von</strong> Schwierigkeiten erzählen<br />

- andere um soziale Unterstützung bitten<br />

- mit andern zusammen sein<br />

- Kooperation wie auch Konfrontation<br />

Unter Kooperation verstehe ich das Zusammenwirken<br />

<strong>von</strong> Handlungen zweier oder mehrer Personen.<br />

Angestrebt wird die Zusammenarbeit mit einer einzelnen<br />

Person oder mit einer Gruppe <strong>von</strong> Menschen. Die<br />

freundschaftliche und freiwillige Zusammenarbeit steht<br />

im Vordergrund und wird angestrebt<br />

Das Zusammenwirken und Zusammenarbeiten mit<br />

anderen suchen.<br />

Dies können unterschiedliche Menschen sein, die fremd<br />

sind oder einem nahe stehen.<br />

Im Sinne <strong>von</strong> „ würdest, könntest du/ Sie….“<br />

77<br />

„Ich musste immer<br />

jemanden suchen, der mir<br />

liebenswürdigerweise<br />

erzählte, was der<br />

Lehrmeister oder die<br />

Mitarbeiter gesagt hatten.“<br />

Aspekt muss sich<br />

abgrenzen <strong>von</strong> 1.1.2.<br />

und <strong>von</strong> 1.1.3


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

K1 (EE)<br />

1.2 Konfrontation<br />

1.1.2<br />

Kooperation mir<br />

fixer Bezugsperson<br />

K2<br />

1.1.3<br />

Kooperation mit<br />

Gleichbetroffenen<br />

K3<br />

1.2.1<br />

offene und direkte<br />

Konfrontation und<br />

Meinungsäusserung<br />

Aktiv auf eine bestimmte Person fokussiert sein. Diese<br />

ist einverstanden und wirkt als Unterstützung und ist<br />

sozusagen die Rechte Hand. Auf diese Person wird<br />

abgestützt und dieser freiwillige Zusammenschluss bildet<br />

ein abgeschlossenes System.<br />

Gleichbetroffene werden aufgesucht um sich<br />

auszutauschen und <strong>von</strong> Erfahrungen anderer zu<br />

profitieren.<br />

„Konfrontation ist die Gegenüberstellung <strong>von</strong> sich<br />

gegenseitig störenden und vorerst unvereinbaren<br />

Positionen. Sie eröffnet einen Konflikt und richtet sich<br />

gegen einen Kontrahenten mit dem Ziel diesen zur<br />

Aufgabe oder zu Annäherung seiner Position zu<br />

bewegen.“http://de.wikipedia.org/wiki/Konfrontation<br />

(9.10.2008)<br />

Die eigene Meinung offen sagen, die anderen zu einer<br />

Meinungs- und oder Handlungsänderung bewegen.<br />

Sich aktiv für die eigenen Bedürfnisse einsetzen, auch<br />

wenn diese beim Gegenüber nicht auf Akzeptanz<br />

78<br />

„Dann hatte ich eine<br />

Freundin und war nicht<br />

mehr auf die anderen<br />

angewiesen.“ (IC)<br />

„Da haben wir uns viel<br />

ausgetauscht und andere<br />

haben erzählt, wie sie es<br />

gemacht haben bei<br />

ähnlichen Situationen.“<br />

(EE)<br />

„Ich habe die Gruppe<br />

gebeten an einen andern<br />

Tisch zu sitzen, damit ich<br />

besser verstehe.“ (EM)<br />

Alle Aspekte müssen<br />

vorhanden sein.<br />

Alle anderen müssen<br />

hörbehindert sein.<br />

Mindestens zwei<br />

Aspekte müssen<br />

vorkommen.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

1.3 sachlich informieren<br />

K4<br />

1.2.2<br />

abwägendzurückhaltende<br />

Konfrontation<br />

K5<br />

1.3.1<br />

direkt und offen<br />

K6<br />

stossen.<br />

Die Meinung und Gesinnung des Gegenübers<br />

interessiert nicht.<br />

Mit dem Einfordern <strong>von</strong> Bedürfnissen und Wünschen,<br />

sowie der offenen Meinungsäusserung wird eher<br />

vorsichtig und situationsbezogen umgegangen. Ein stark<br />

reflexives Element kommt hier dazu. Es werden mehrere<br />

Faktoren berücksichtigt, der Nutzen und Aufwand<br />

(sowohl handelnder, als auch psychischer) werden<br />

abgewogen.<br />

Sachlich und offen über die Schwerhörigkeit und die<br />

möglichen Konsequenzen informieren. Mit der<br />

Information sind keine Bedingungen verknüpft und es<br />

werden keine bestimmten Reaktionen erwartet. Dadurch<br />

kann beim Gegenüber Kooperation oder Konfrontation<br />

ausgelöst werden.<br />

In jedem Fall offen informieren, unabhängig wie die<br />

äusseren oder inneren Bedingungen sich gestalten.<br />

79<br />

„Ich mag es aber auch<br />

nicht, wenn ich gerade<br />

drauflos fordere. Ich<br />

schaue, was automatisch<br />

kommt und wo und wann<br />

ich mich melden soll. Ich<br />

versuche einen Mittelweg<br />

zu finden.“ (EM)<br />

„Ich habe gerade am<br />

Anfang gesagt, dass ich<br />

schwerhörig bin.“ (EM(<br />

Die Aspekte des<br />

Abwägens und der<br />

Situationsbezogenheit<br />

müssen vorkommen.<br />

Grosse Offenheit und<br />

es darf kein Abwägen<br />

stattfinden.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

innenorientiert<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

1.3.2<br />

abwägend und<br />

Kontext bezogen<br />

K7<br />

Es werden mehrere Faktoren miteinbezogen. Der<br />

Nutzen, der offenen Information, wird sorgfältig<br />

abgewogen und situationsbedingt angewendet.<br />

Die Energie zur Handhabung <strong>von</strong> Stresssituationen wird<br />

nach innen gewendet. Es werden selber bewusst oder<br />

unbewusst Strategien gesucht, um mit schwierigen<br />

Situationen fertig zu werden. Andere Personen werden<br />

nicht involviert oder nur, wenn sie es nicht wissen.<br />

80<br />

„Sonst sage ich nicht<br />

sofort, dass ich<br />

schwerhörig bin, ich wäge<br />

ab.“( JC)<br />

Abwägen oder<br />

Gedanken der<br />

Unsicherheit über den<br />

Inhalt der Information<br />

oder den Zeitpunkt<br />

der Information<br />

müssen vorkommen.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

2.1 Vermeidung, Verdrängung<br />

2.1.1<br />

sich andern nicht<br />

mitteilen, Rückzug<br />

in die Einsamkeit<br />

K8<br />

2.1.2<br />

Schwerhörigkeit<br />

verstecken<br />

Schwierige Situationen werden verdrängt und die<br />

Auseinandersetzung damit vermieden.<br />

Es wird nicht darüber gesprochen.<br />

Es besteht kein Bestreben an einer unangenehmen<br />

Situation etwas zu verbessern.<br />

Sich <strong>von</strong> andern und der Situation zurückziehen, sich<br />

damit abfinden, nicht in die Aktion treten.<br />

Etwas verdecken, so tun als ob, eine Scheinwelt,<br />

Scheinwahrheit aufrecht erhalten.<br />

Sich <strong>von</strong> der Umwelt zurückziehen.<br />

Sich anderen nicht mitteilen.<br />

Mit den Gefühlen alleine sein.<br />

Nicht zur eigenen Schwerhörigkeit stehen, sie auch in<br />

schwierigen Situationen nicht erwähnen.<br />

Die Hörgeräte verstecken oder sie nicht anziehen.<br />

81<br />

“Ich zeige meine Gefühle<br />

und meine Meinung nicht.“<br />

(JP)<br />

„Ich habe meine HG<br />

versteckt, und wollte dass<br />

niemand etwas merkt.“<br />

(EL)<br />

Zwei Aspekte aus der<br />

Definition müssen<br />

vorkommen.<br />

Einer der Aspekte<br />

muss vorkommen.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Überkategorie Kategorien<br />

K9<br />

Definition Ankerbeispiel<br />

„Im I&S Kurs habe ich<br />

nicht gesagt, dass ich<br />

schwerhörig bin. Die Leute<br />

merkten, etwas stimmt<br />

nicht mit mir.“( EL)<br />

Kodierregel<br />

Reflexion und Planung<br />

2.2<br />

2.2.1<br />

Hör- und<br />

Kommunikationsstrategien<br />

K10<br />

2.2.2<br />

Entspannen<br />

- reflektieren<br />

- planvolles Vorgehen<br />

- bestimmte Verhaltens- oder Arbeitstechniken<br />

anwenden<br />

- Neubewertungen vornehmen<br />

- Handlungsstrategien entwerfen<br />

Informationen aus verschiedenen Quellen werden<br />

kombiniert und verknüpft. Daraus werden<br />

Schlussfolgerungen gezogen.<br />

Anwenden <strong>von</strong> Hör- und Kommunikationsstrategien, die<br />

zu einer verbesserten Informationsaufnahme führen<br />

sollen.<br />

Man ist selber darum bemüht.<br />

Durch Entspannung wird körperlicher und emotionaler<br />

Stress reduziert und ein grösseres Wohlbefinden<br />

herbeigeführt.<br />

82<br />

„Ich merkte mir die<br />

Stichworte und schaute,<br />

wie ich die Informationen<br />

vernetzen konnte, ich<br />

nutzte auch visuelle<br />

Hilfen.“ (EM)<br />

„Die<br />

Körperwahrnehmungen<br />

geben wichtige<br />

Informationen. Ich gehe in<br />

die Yogastunde und der<br />

Der Aspekt der<br />

besseren<br />

Informationsaufnahme<br />

muss in der Aussage<br />

erkennbar sein.<br />

Ein Aspekt des<br />

Wohlbefindens muss<br />

in der Aussage<br />

erkennbar sein.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Überkategorie Kategorien Definition Ankerbeispiel Kodierregel<br />

K11 Körper ist wieder neu<br />

geboren.“ (ES)<br />

2.2.3<br />

Mehraufwand<br />

betreiben<br />

K12<br />

2.2.4<br />

Denken- abwägenadäquate<br />

Strategien<br />

entwickeln<br />

K13<br />

Da die Probleme, die mit der Schwerhörigkeit verbunden<br />

sind, hier vor allem das „Nichtguthören“, das nur<br />

bruchstückhafte Informationen liefert, nicht gelöst<br />

werden können, wird eine Kompensation gesucht. Es<br />

wird ein Mehraufwand geleistet, dafür wird ein Teil der<br />

Freizeit verwendet.<br />

Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst,<br />

die aus einer aktiven inneren Beschäftigung mit<br />

Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine<br />

Erkenntnis zu formen suchen, mit dem Ziel, damit<br />

brauchbare Handlungsanweisungen zur Meisterung <strong>von</strong><br />

Lebenssituationen zu gewinnen.<br />

(http://de.wikipedia.org/wiki/Denken 11.10.2008)<br />

83<br />

„Ich hatte immer versucht<br />

auszugleichen, das wett zu<br />

machen, was mir fehlte, so<br />

zusagen für meine Defizite<br />

das Doppelte zu leisten.“<br />

(ES)<br />

„Ich hatte viele Jahre<br />

Psychotherapie. Durch das<br />

Nachdenken über das<br />

eigene Verhalten habe ich<br />

herausgefunden, was ich<br />

tue und nicht tue und wie<br />

ich handeln möchte.“ (ES)<br />

Die Betonung auf<br />

Mehrarbeit oder<br />

vermehrte Leistung<br />

muss vorkommen.<br />

Alle Aspekte der<br />

Definition müssen<br />

vorkommen.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 4: Kategorienzuordnungen „aussenorientiert“<br />

Textausschnitte Name Zusammenfassende<br />

Aussagen<br />

Dann habe ich immer den Kollegen gefragt EE<br />

Ich musste immer jemanden suchen, der mir liebenswürdigerweise erzählte, was<br />

Lehrmeister oder die Mitarbeiter gesagt hatten.<br />

Ich war zum Glück in Oerlikon, BSFH. Da haben wir viel ausgetauscht und andere<br />

haben erzählt, wie sie es gemacht haben bei ähnlichen Situationen.<br />

Wenn es das nicht gegeben hätte, hätte ich mich zurückgezogen. Durch die<br />

Gleichbetroffenen wurde ich gestärkt, ich lernte mich zu wehren und einstehen für<br />

meine Bedürfnisse und Rechte. Die anderen waren mir teilweise gute Beispiele.<br />

Ich habe die Gebärdensprache gelernt, endlich bin ich zu Informationen über die<br />

Kultur der Gehörlosen gekommen. Das gibt mir Sicherheit. Ich hatte früher immer<br />

das Gefühl, ich müsste hörend werden. Das hatte schon mit der Logopädie<br />

angefangen, da musste ich immer Wörter lernen und wiederholen, darin sah ich<br />

keinen Sinn.<br />

EE<br />

EE<br />

EE<br />

Nachfragen, Suche nach<br />

sozialer Unterstützung<br />

Kollegen fragen<br />

Nachfragen, soziale<br />

Unterstützung<br />

Arbeitskollegen fragen<br />

Suche nach sozialer<br />

Unterstützung<br />

Austauschen mit<br />

Gleichgesinnten, über<br />

gleiche Probleme<br />

sprechen, lernen <strong>von</strong><br />

anderen<br />

Gleichbetroffene<br />

84<br />

Kategorie Überkategorie<br />

1.1.2 1.1<br />

früher<br />

1.1.1<br />

1.1.3<br />

1.1.3<br />

1.1<br />

früher<br />

1.1<br />

1.1.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

„Ich habe immer noch den inneren Konflikt, soll ich meine Bedürfnisse oder<br />

besonderen Wünsche bezüglich der Schwerhörigkeit ansprechen oder noch<br />

abwarten. Ich habe immer noch keine befriedigende Lösung. Eigentlich möchte<br />

ich für mich Klarheit haben, dass ich alles anspreche“(ES)<br />

Zum Glück wusste ich schon einige Kommunikationstechniken. So bat ich den<br />

Betriebsleiter bei Schwierigkeiten um ein Gespräch mit dem Chef. Er kam sich<br />

blöd vor und wollte ab jetzt alles richtig machen.<br />

An der neuen Stelle bat ich die anderen Schriftsprache zu sprechen, sie sollen die<br />

Hände benützen und die Mimik.<br />

Wenn jemand Dialekt spricht, sage ich, könntest du das wiederholen. Ich<br />

versuche es freundlich, nach einigen malen vielleicht direkter.<br />

ich kann ganz frei sagen, bitte noch einmal sagen, ich habe nicht verstanden.<br />

ES<br />

EE<br />

EE<br />

abwägen 1.3.2<br />

Kommunikationsstrategien<br />

anwenden, Konfrontation<br />

für mich einstehen , nicht<br />

nachgeben<br />

Konfrontation<br />

für meine Interessen und<br />

Bedürfnisse einstehen<br />

EE Konfrontation<br />

für meine Interessen und<br />

Bedürfnisse einstehen<br />

EE Konfrontation<br />

für meine Interessen und<br />

Bedürfnisse einstehen<br />

ich bitte die anderen mit den Händen und der Mimik zusprechen EE Konfrontation<br />

<strong>von</strong> andern etwas fordern,<br />

mich für meine Bedürfnisse<br />

einsetzen<br />

Bei der Stellenvermittlung habe ich meine Schwerhörigkeit offen gelegt. ES Offenheit, Ehrlichkeit,<br />

Authentizität, informieren<br />

Beim Arbeitsplatz lege ich meine Schwerhörigkeit offen.<br />

ES Informieren<br />

85<br />

1.2.1 1.2<br />

1.2.1 1.2<br />

1.2.1 1.2<br />

1.2.1 1.2<br />

1.2.1 1.2<br />

1.3.1<br />

1.3.1<br />

1.3<br />

1.3


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Ich sage, dass ich einen ruhigen Arbeitsplatz bevorzuge und in keinem<br />

Grossraumbüro arbeiten kann.<br />

Bei der neuen Stelle habe ich mich erkundigt, ob der Arbeitgeber auch wirklich<br />

über meine Schwerhörigkeit informiert ist. Es werden Infos per Sammelmail<br />

verschickt, so bin ich gut informiert.<br />

Bei einer Arbeitsstelle lege ich meine Hörschädigung offen.<br />

Ich entscheide aus dem Bewusstsein heraus, wie ich mich verhalten will, was ich<br />

sagen will und was ich <strong>von</strong> den anderen mir wünsche.<br />

Heute kann ich sagen, was ich brauche.<br />

Ich kommuniziere alles gegen aussen, das habe ich nicht gemacht früher.<br />

Früher hatte ich eine Kollegin, die mit mir Zug gefahren ist, an sie habe ich mich<br />

gehalten.<br />

Ich wäge immer ab, ob es nötig ist zu sagen, dass ich schwerhörig bin; eigentlich<br />

wäre es besser es immer am Anfang offen darüber zu informieren.<br />

ES Ich setze mich für meine<br />

Bedürfnisse ein<br />

ES Klarheit schaffen , alle<br />

Beteiligten informieren<br />

nachfragen, sicher stellen,<br />

ES Authentizität<br />

offen informieren<br />

ES<br />

ES Konfrontation<br />

mich für meine Bedürfnisse<br />

einsetzen<br />

ES Konfrontation<br />

Mich mitteilen<br />

mich für meine Bedürfnisse<br />

einsetzen<br />

86<br />

1.2.1 1.2<br />

1.1.1 1.1<br />

1.3.1<br />

1.3.<br />

1.2.2 1.2<br />

1.2.1<br />

1.2.1<br />

1.2<br />

1.2<br />

Vergleich<br />

früher/heute<br />

ES fixe Bezugsperson 1.1.2 1.2<br />

früher<br />

EM<br />

abwägen mit Informieren 1.3.2 1.3


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Bei der mündlichen Bewerbung sage ich sofort, dass ich schwerhörig bin, damit<br />

ich sie auch informieren kann.<br />

EM<br />

offen informieren 1.3.1 1.3<br />

Ich gehe zu den Lehrern und informiere sie über meine Schwerhörigkeit. EM offen informieren 1.3.1 1.3<br />

Ich wäge ab, ob es sich lohnt, spezielle Rücksicht zu fordern. Bei irgendwelchen<br />

Leuten, die keinen Bezug zur Hörbehinderung haben, ist es schwierig. Es kommt<br />

aber sehr auf die Situation an.<br />

EM zurückhaltend<br />

konfrontieren<br />

Ich kann relativ gut in Gesprächen mitgehen, auf einander hören und eingehen. EM auf andere eingehen,<br />

Versuch zu kooperieren<br />

Ich finde es wichtig, dass man offen mit der Hörbehinderung umgeht, sie aber<br />

nicht ins Zentrum stellt.<br />

Ich fange jetzt vermehrt an auf mich aufmerksam zu machen, wenn ich vergessen<br />

gehe oder übergangen werde.<br />

Es ist mir wichtig, die anderen zu informieren, damit sie wissen, dass man mit mir<br />

nicht nur über die Hörbehinderung sprechen kann.<br />

Heute habe ich definitiv mehr Mut und nehme mir die Freiheit, mich für meine<br />

Rechte einzusetzen.<br />

Es ist besser, gleich zu Anfang offen zu informieren.<br />

Ich mag es aber auch nicht, wenn ich gerade drauflos fordere, ich schaue, was<br />

automatisch kommt und wo und wann ich mich melden soll. Ich versuche einen<br />

Mittelweg zu finden.<br />

Erst mit 24 Kontakt zu anderen <strong>Schwerhörigen</strong> aufzunehmen. Wichtig für mich,<br />

mich mit Gleichgesinnten auszutauschen<br />

EM<br />

offen, aber zurückhaltend<br />

EM beginnt eigene Wünsche<br />

und Bedürfnisse<br />

anzumelden<br />

87<br />

1.2..2. 1.2<br />

1.1.1<br />

1.1<br />

1.3.2 1.3<br />

1.2.2 1.2<br />

EM offen informieren 1.3.1 1.2<br />

EM durchsetzen,<br />

Konfrontationsbereitschaft<br />

1.2.1 1.2<br />

EM offen informieren 1.3.1 1.3<br />

EM abwägen beim Wünsche<br />

durchsetzten<br />

EL<br />

1.2.2 1.2<br />

Gleichbetroffene 1.1.3 1.1


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Auf meine Bedürfnisse muss ich schauen und es wurde auch <strong>von</strong> andern<br />

Rücksicht genommen. Ich fragte dann eine Passantin, was gesagt wurde.<br />

Mit 20 lernte ich dann sagen, dass ich schwerhörig bin.<br />

Als ich die Ausbildung begann, beschloss ich, das <strong>von</strong> Anfang an zu sagen, nicht<br />

dass die anderen einen falschen Eindruck <strong>von</strong> mir bekommen.<br />

Die anderen waren froh, dass es offen gelegt wurde.<br />

Ich bin daran mich immer mehr zu wehren. Das war früher nicht so, denn ich<br />

wollte zu den Hörenden gehören und mich ja nicht outen mit Fragen, die auf<br />

meine Hörbehinderung hingewiesen hätten.<br />

Letzte Woche ging ich zum Lehrer und bat ihn, dass er den Inhalt der Vorlesung<br />

nochmals zusammenfassen würde.<br />

Ich gebe ab und zu die FM Anlage in der Kleingruppe herum oder bitte den Lehrer<br />

eine Zusammenfassung zu machen.<br />

Ich habe reflektiert, wie ich es hätte machen können.. Als Typ habe ich immer<br />

versucht, wie ich es optimal machen könnte. Muss ich freundlicher sein, muss ich<br />

mich anbiedern, mehr nachfragen, höflicher sein?<br />

Ich habe mich auf die Banknachbarin verlassen und mit ihr zusammen gearbeitet<br />

EL für eigene Bedürfnisse<br />

einsetzen<br />

88<br />

1.2.1 1.2<br />

EL offen informieren 1.3.1 1.3<br />

EL offen informieren 1.3.1 1.3.<br />

EL sich für eigene Bedürfnisse<br />

einsetzen<br />

EL<br />

EL<br />

EE<br />

Wünsche äussern<br />

1.2.1 1.2<br />

1.2.1 1.2<br />

Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />

abwägen<br />

1.2.2<br />

EL fixiert auf eine Person 1.1.2 1.1<br />

früher/ heute<br />

1.2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Ich gehe auf die Leute zu<br />

EL Kooperation 1.1.1 1.1<br />

Ich bin mitgelaufen in der Clique und ging mit anderen mit, wollte dazu gehören. EL Kooperation 1.1.1 1.1<br />

Ich bat sie dann, dass sie lockerer mit mir umgehen sollte. Sie war dann lockerer<br />

und schimpfte nicht sofort, wenn ich etwas nicht hatte.<br />

ich bat sie lauter zu sprechen und gab ihr Antworten auf ihre Fragen.<br />

Ich bin ein direkter Mensch, ich sage die meine Meinung sofort.<br />

Ich denke nicht lange über die Dinge nach, ich handle sofort.<br />

Ich frage den Banknachbar, wenn der nicht draus kommt, frage ich den Lehrer.<br />

Ich gehe direkt auf andere zu, wenn mir etwas nicht passt. Ich bleibe anständig.<br />

Wenn jemand über mich redet wegen meinen Hörgeräten, dann spreche<br />

ich ihn an..<br />

Zwei Jungs in R. haben mit den Fingern Zeichen hinter ihren Ohren gemacht und<br />

ich wusste natürlich, dass sie über meine HG sprachen. Ich sagte, was habt ihr,<br />

sie sagten nichts.<br />

JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />

JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />

JD Wünsche äussern 1.2.1 1.2<br />

JD Meinungsäusserung direkt 1.2.1 1.2<br />

JD Kooperation suchen 1.1.1 1.1<br />

JD Meinungsäusserung 1.2.1 1.1<br />

Wenn ihr etwas über meine HG wissen möchtet, informiere ich euch gerne. JD informieren 1.3.1 1.3<br />

89


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Früher war ich eher scheu, fragte nur den Banknachbar und jetzt bin mutiger<br />

geworden und es ist mir egal, was die anderen <strong>von</strong> mir denken.<br />

Wenn im Zug eine Durchsage höre, die ich nicht verstehe, frage ich nach. Ich<br />

frage die Leute.<br />

Ich sage, dass ich schwerhörig bin, denn sonst meinen die Leute, ich würde nicht<br />

aufpassen.<br />

Sonst sage ich nicht sofort, dass ich schwerhörig bin, ich wäge ab.<br />

Wenn ich in der Schule nichts verstehe, dann frage ich die Banknachbarn, oder<br />

ich frage den Lehrer nachher.<br />

Wenn ich in einem Laden bin und es nicht verstehe, bitte ich die Leute es zu<br />

wiederholen, wenn ich nichts verstanden habe.<br />

Ich hatte dann eine Freundin, da war ich nicht mehr auf die anderen angewiesen.<br />

Es kommt auf die Situation an, ob ich sage, dass ich schwerhörig bin.<br />

Ich kann andere fragen, informieren, oder einmal abwarten.<br />

Jetzt frage ich einfach mehr nach, ich gebe mir einen Ruck, und sage mir einfach,<br />

dass ich nichts verliere.<br />

JD Meinungsäusserung 1.2.1 1.1<br />

früher/ heute<br />

JC Nachfragen, Kooperation<br />

suchen<br />

90<br />

1.1.1 1.1<br />

JC informieren 1.3.1 1.3<br />

JC<br />

abwägen mit informieren 1.3.2 1.3<br />

JC Kooperation und Hilfe<br />

suchen<br />

JC Hilfe und Unterstützung<br />

suchen<br />

JC auf eine fixe Person<br />

angewiesen sein<br />

1.1.1 1.1<br />

1.1.1 1.1.<br />

1.1.2 1.1<br />

JC Kontextbedingt informieren 1.3.2 1.3<br />

JC Kontextbedingt fragen 1.3.2 1.3<br />

JP<br />

nachfragen , kooperieren 1.1.1 1.1.


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Manchmal frage ich gleich, manchmal warte ich, bis ich die Antwort <strong>von</strong> anderswo<br />

erfahre. Ich frage die Mitschüler, die Mutter und erst am Schluss die<br />

Lehrpersonen<br />

JP Kooperation mit andern 1.1.1 1.1<br />

Ich sage zuhause auch manchmal meine Meinung. JM Konfrontation 1.2.1 1.2<br />

Bis vor kurzem habe ich nur Brigitte gefragt. JP fixiert auf eine Person 1.1.2 1.1<br />

Heute frage ich verschiedene Mitschüler und auch andere Leute, es hat sich viel<br />

verbessert.<br />

JP zusammenarbeiten 1.1.1. 1.1<br />

Ich bat die Lehrperson mir zu helfen JM Um Unterstützung fragen 1.1.1 1.1<br />

91


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 5: Kategorienzuordnungen „innenorientiert“<br />

Textausschnitt<br />

Ich habe mich dann zurückgezogen<br />

Ich hatte in der zweiten Klasse grosse Schwierigkeiten. Ich war damals<br />

über mich selber sehr ratlos. Ich war in Panik ausgebrochen, wenn ich<br />

in die Schule musste. Es gab nicht wirklich einen Grund. Also ging ich<br />

nicht mehr zur Schule.<br />

Ich war oft sehr traurig, weil ich alleine war. Ich zog mich zurück.<br />

Irgendwann zog ich mich auch zurück und fragte nicht mehr nach. Ich<br />

habe während der Schulzeit etwa ¾ nicht verstanden.<br />

Als ich im Kindergarten ausgelacht wurde, habe ich mich einfach<br />

abgewendet <strong>von</strong> den andern, versuchte sie zu ignorieren.<br />

Name<br />

EE<br />

Generalisierung Kategorie Überkategorie<br />

sich zurückziehen 2.1.1 2.1 früher<br />

ES Schule verweigern<br />

sich zurückziehen<br />

92<br />

2.1.1 2.1<br />

früher<br />

ES sich zurückziehen 2.1.1 2.1<br />

früher<br />

EM sich zurückziehen 2.1.1 früher<br />

2.1<br />

JC innerlich zurückziehen, die<br />

anderen ignorieren<br />

Früher habe ich in der Schule nicht mitgemacht und war abwesend. JP zurückziehen, mich nicht<br />

beteiligen, Tagträumen<br />

2.1.1 früher 2.1<br />

2.1.1 2.1 früher<br />

Ich zeige meine Gefühle und meine Meinung nicht. JP mich nicht zeigen 2.1.1 2.1<br />

Im I&S Kurs habe ich nicht gesagt, dass ich schwerhörig bin. Die Leute<br />

merkten, etwas stimmt nicht mit mir.<br />

Früher habe ich meine Hörgeräte versteckt und wollte, dass niemand<br />

weiss, dass ich schwerhörig bin<br />

„Ich muss mich anstrengen der neuen Lehrerin zu sagen ,dass ich<br />

schwerhörig bin, dass es für mich nicht immer so leicht ist alles zu<br />

verstehen“<br />

EL Schwerhörigkeit verstecken 2.1.2 2.1 früher<br />

EL HG verstecken,<br />

Schwerhörigkeit verstecken<br />

2.1.2 früher<br />

2.1<br />

JD Schwerhörigkeit verleugnen 2.1.2 2.1


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Wenn ich die Hörgeräte trage, höre ich schon weniger, aber ich habe<br />

sie lange nicht getragen<br />

In der ersten Klasse war ich Aussenseiterin wegen meiner Hörgeräte,<br />

da habe ich sie auch schon nicht getragen, da hörte ich nicht gut<br />

Ich versuche meine Position zu ändern, dass mein besseres Ohr der<br />

Person zugewandt ist, damit ich sie besser verstehe. Ich versuche<br />

zuerst einmal selber die Situation zu entschärfen.<br />

Ich versuche Wortfetzen zu verstehen und sie zu einem sinnvollen<br />

Ganzen zusammenzusetzen.<br />

Ich war wirklich ein Meister im Kombinieren geworden. Ich kann mit<br />

sehr wenigen Informationen auskommen und bekomme meistens die<br />

richtigen Zusammenhänge mit.<br />

Ich hatte viele Jahre Psychotherapie. Durch das Nachdenken über das<br />

eigene Verhalten habe ich herausgefunden, was ich tue und nicht tue<br />

und wie ich handeln möchte.<br />

Am Wochenende hatte ich sehr viel gelernt, ich hatte einen grossen<br />

Ehrgeiz, würde ich heute nicht mehr machen.<br />

Ich wollte es allen Recht machen und hatte mich permanent zu<br />

Höchstleistungen angetrieben. heute kann ich meine Schwächen<br />

akzeptieren.<br />

JM Hörgeräte nicht anziehen 2.1.2 2.1<br />

JC<br />

Hörgeräte nicht tragen<br />

ES Anwenden <strong>von</strong><br />

Hörstrategien<br />

ES Kombinieren <strong>von</strong><br />

Informationen<br />

93<br />

2.1.2 2.1<br />

2.2.1 2.2<br />

2.2.1 2.2.<br />

ES Kombinieren 2.2.1 2.2<br />

ES Mein Verhalten kennen<br />

lernen um bewusst zu<br />

handeln<br />

ES Kompensieren durch gute<br />

Leistungen<br />

ES Höchstleistung,<br />

Mehraufwand<br />

2.2.4 2.2<br />

2.2.3 2.2<br />

früher<br />

2.2.3<br />

2.2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Wie soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen? ES mehr leisten 2.2.3<br />

Schon als 17- Jährige hatte ich die Stärke des Kombinierens ES Kombinieren 2.2.1 2.2<br />

Früher habe ich mich immer sehr stark ausgebeutet. Ich bin mir dessen<br />

in den letzten Jahren bewusst geworden. Ich muss mir auch<br />

Schonzeiten gönnen, Pausen einzurichten. Ich gehe einmal pro Woche<br />

ins Yoga, das ist ein fixer Termin. Meine Bedürfnisse sind wichtig.<br />

Ich bemerke die Kommunikationshaltungen der anderen und die Mimik;<br />

Ich habe die visuellen Hilfen gelernt zu nutzen.<br />

ES bewusste<br />

Körperwahrnehmung<br />

mir Zeit gönnen<br />

EE Informationen, die andere<br />

senden und<br />

wahrgenommen werden,<br />

nutzen<br />

Ich kann auch die Fibration wahrnehmen, spüre dadurch besser. EE erworbene Feinfühligkeit<br />

nutzen<br />

Ich hatte früher versucht perfekt zu sein, statt zu sagen, diese<br />

Schwäche ist einfach da. Ich hatte immer versucht auszugleichen, das<br />

wett zu machen, was mir fehlte, so zusagen für meine Defizite das<br />

Doppelte zu leisten<br />

Die Körperwahrnehmungen geben wichtige Informationen. Ich gehe in<br />

die Yogastunde und der Körper ist wieder neu geboren.<br />

Strategie ist, dass ich immer wieder ein Stichwort ins Gespräch hinein<br />

gebe.<br />

Ich bin offener geworden, ich kann auch lachen, wenn ich etwas falsch<br />

verstehe ich kann auch lachen und nicht alles persönlich nehmen, habe<br />

eine gewisse Distanz.<br />

Ich überlege mir immer, wann, wo mit wem. Ich überlege mir das immer<br />

vorher.<br />

ES Kompensieren für meine<br />

Schwächen<br />

ES Yoga<br />

auf den Körper hören<br />

94<br />

2.2.2<br />

2.2<br />

früher<br />

2.2.1 2.2<br />

2.2.1 2.2<br />

2.2.3 2.2<br />

früher<br />

2.2.2 2.2<br />

EM Kommunikationstechniken 2.2.1 2.2<br />

EM bewusst entspannen 2.2.2 2.2<br />

EM planvolles vorgehen 2.2.4 2.2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Ich verliere aber den Faden immer wieder und versuche<br />

zurückzulehnen. Ich habe auch gelernt auszuhalten, dass ich eben<br />

nicht alles verstehe und trotzdem den Abend geniessen kann.<br />

Ich merke stichwortartig um was es im Gespräch geht, bis ich<br />

kombiniert habe, geht es eine Weile.<br />

EM entspannen 2.2.2 2.2<br />

EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />

Früher habe ich sehr viel gearbeitet und mit mir selber ausgemacht. EM Mehraufwand 2.2.3 2.2<br />

Ich habe mich durchgeschlängelt und beschlossen nur auf den Lehrer<br />

zu hören.<br />

In der Schule habe ich mich auf den Lehrer konzentriert und gut<br />

zugehört. Das was die Klasse sagte, hörte ich vielfach nicht. Ich machte<br />

dann 5 Minuten Pause, damit ich mich nicht zusätzlich belastete damit.<br />

Ich setzte Prioritäten<br />

EM Orientierung, Prioritäten<br />

setzen, sichere<br />

Informationsquelle<br />

benutzen, planvolles<br />

vorgehen<br />

EM Prioritäten setzen, sichere<br />

Informationsquelle<br />

benutzen, planvolles<br />

vorgehen<br />

Ich vertraute, dass das Wichtigste vom Lehrer wiederholt wurde EM Prioritäten setzen,<br />

planvolles vorgehen<br />

Ich merkte mir die Stichworte und schaute wie ich das vernetzen<br />

konnte, auch visuelle Hilfen waren hilfreich. Wenn der Lehrer fragen<br />

stellte, überlegte ich sehr genau wie die Antwort wäre, meldete mich<br />

auch, verstand aber nicht, was die anderen Schüler darauf sagten.<br />

Ich gab mir dann selber meine Antworten und korrigierte sie, wenn ich<br />

einen Fetzen aufschnappte. Es blieb natürlich die Unsicherheit, ob ich<br />

richtig lag, mit meinen Gedanken<br />

Heute schaue ich eher, was mir gut tut und ich brauche.<br />

95<br />

2.2.1 2.2<br />

2.2.1 2.2<br />

2.2.1 2.2<br />

EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />

EM Kombinieren 2.2.1 2.2<br />

EM<br />

planvolles vorgehen,<br />

selektionieren<br />

2.2.4 2.2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Ich habe in der Sek sehr viel für die Schule gearbeitet, damit ich den<br />

Stoff bewältigen konnte.<br />

Im Lager gehe ich in die Disco. Ich gehe dann nach draussen um zu<br />

sprechen.<br />

Ich lese <strong>von</strong> den Lippen ab, das hilft mir zu verstehen, was jemand<br />

sagt.<br />

Ich habe beim Schwimmwettbewerb gut durchgeatmet, das<br />

Meridianklopfen gemacht<br />

Ich sage mir, ich weiss, dass ich es schaffe, und klopfe an bestimmten<br />

Körperstellen. Ich beginne eine halbe Stunde vor dem Schwimmen und<br />

mache es auch schon zuhause. Und sage mir immer das Gleiche. Ich<br />

konzentriere mich einfach auf etwas anderes auf meine positiven Sätze.<br />

Ich sehe wie ich gut schwimme, und mit meiner Leistung zufrieden aus<br />

dem Wasser steige.<br />

Ich lenke mich nicht ab, ich denke lange nach und überlege mir<br />

verschiedene Möglichkeiten.<br />

Ich wähle mein Umfeld sorgfältig aus. EM<br />

Heute bin ich beim Thema und versuche dabeizubleiben, soviel wie<br />

möglich aufzunehmen<br />

EL<br />

kompensieren<br />

96<br />

2.2.3 2.2<br />

JC planvolles vorgehen 2.2.1 2.2<br />

JC Arbeitstechnik,<br />

Ablesetechnik, kombinieren<br />

2.2.1 2.2<br />

JM Entspannungstechnik 2.2.2 2.2<br />

JM Arbeitstechnik,<br />

Imaginationstechnik<br />

Entspannung<br />

JP<br />

2.2.2 2.2<br />

Reflexion 2.2.4 2.2<br />

planvolles vorgehen,<br />

reflektieren<br />

2.2.4 2.2<br />

JP aufmerksam bleiben 2.2.1 2.2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Anhang 6: Schwierige Situationen<br />

Name Aussagen Reduktion Kategorie<br />

EM Bin draussen, möchte nicht, dass sie Rücksicht nehmen ausgeschlossen sein<br />

niemand nimmt Rücksicht, möchte<br />

das auch nicht, sie müssten es<br />

freiwillig tun.<br />

JM In der 2./3. Kasse gehörte ich nicht zu den Klassenfreundinnen. Sie gehöre nicht dazu<br />

gingen einfach weg <strong>von</strong> mir und wollten nicht mit mir spielen.<br />

ausgeschlossen sein<br />

EM<br />

Wenn ich nur mit einer Person im Ausgang bin und etwas Plaudere,<br />

geht das gut, weil ich ja der einzige Ansprechpartner bin.<br />

Wenn da jemand dazu kommt, bin ich plötzlich draussen im<br />

Gespräch,<br />

EM weil ich nichts verstehe.<br />

EM Ich finde es dann sehr schwierig ihnen mitzuteilen, dass ich froh<br />

wäre, wenn sie auf mich Rücksicht nehmen würde<br />

wenn in einer Gruppe gesprochen<br />

wird,<br />

verstehe ich kaum etwas<br />

Schwierigkeiten meine Wünsche zu<br />

formulieren<br />

Gruppengespräche verstehen<br />

schwierig<br />

niemand nimmt Rücksicht<br />

kann meine Bedürfnisse nicht<br />

mitteilen.<br />

97<br />

Ausgrenzung, Schule<br />

Ausgrenzung, Schule<br />

Nicht verstehen<br />

Nicht verstehen können<br />

fehlendes Selbstvertrauen und<br />

Durchsetzungsvermögen, nicht<br />

kommunizieren können<br />

keine Rücksichtnahe<br />

fehlende Empathie und diese<br />

nicht fordern können<br />

S1<br />

S1<br />

S3<br />

S3<br />

S4<br />

S1


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

ES<br />

ES<br />

ES<br />

Mein persönliches Unwohlsein, das mit den Fragen zu tun hat, „ wie<br />

soll ich vorgehen, kann ich mich mehr anstrengen?“ Die anderen<br />

merken es gar nicht. Sie sehen wohl meine CI, sie wandern mich mit<br />

den Augen ab. Sie wissen nicht genau wie sie sich verhalten sollen.<br />

Die anderen fahren so weiter und warten ab, ob ich etwas sage dazu<br />

Als ich in der öffentlichen Schule war, war ich die einzige mit<br />

diesem Problem. Ich konnte es nicht auf eine selbstständige und<br />

natürliche Art bewältigen. Ich musste mich wieder anpassen und<br />

mein bestes geben.<br />

Niemand nahm Rücksicht oder wäre für mich eingestanden. Ich<br />

habe immer das Gefühl, weil es keine <strong>Schwerhörigen</strong> Schule ist,<br />

kann ich nichts Spezielles fordern, muss ich mich anpassen.<br />

wie kann ich mich mehr anstrengen,<br />

was soll ich tun?<br />

Ich bin die Einzige<br />

passe mich an<br />

Ich kann nicht fordern<br />

Unklarheit, wie ich mich verhalten soll<br />

Ausgrenzung, alleine fühlen<br />

Kann mich nicht für mich einsetzen<br />

unsicher, was ich fordern darf, was<br />

mir zusteht<br />

98<br />

Unsicherheit wie ich meine<br />

Schwerhörigkeit kommunizieren<br />

soll<br />

Ausgrenzungssituation,<br />

Isolation<br />

Unsicherheit wie ich meine<br />

Scherhörigkeit kommunizieren<br />

soll fehlendes<br />

Durchsetzungsvermögen, nicht<br />

kommunizieren , was ich<br />

möchte<br />

keine Rücksichtnahme.<br />

Fehlende Empathie<br />

S4<br />

S1<br />

S4<br />

S2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

JP Nachfragen ist für mich schwierig. Vor allem in der Schule. Jetzt wird<br />

es immer besser, am Anfang war es schwierig und schlimm für mich.<br />

JD Also, wenn ich jetzt schon an die Berufsschule denke, wird das<br />

schwierig und anstrengend für mich, weil ich dort niemanden kenne.<br />

EL Ich hatte Probleme mit der Identität und kannte keine anderen<br />

Hörbeeinträchtigten. Ich wollte eine Hörende sein. Ich war gut<br />

aufgehoben. aber in den Hörbehindertenlagern hat es mir gar nicht<br />

gefallen. Ich hatte so Mühe mit dieser Behinderung, dass ich mich<br />

noch weniger dazu bekannte<br />

EL Im I&S Kurs habe ich nichts gesagt und die Leute merkten etwas<br />

stimmt nicht mit mir.<br />

JC In der 1.Kl war ich Aussenseiterin wegen meinen Hörgeräten. Sie<br />

haben mir schlimme Wörter nachgesagt<br />

nachfragen ist schwierig<br />

wenn ich niemanden kenne<br />

der Einzige sein<br />

kannte keine anderen<br />

Hörbeeinträchtigeten<br />

Identitätsprobleme<br />

falsch eingeschätzt werden, wenn ich<br />

nicht sage, dass ich hörbeeinträchtigt<br />

bin.<br />

.<br />

99<br />

Unsicherheit wie ich meine<br />

Scherhörigkeit kommunizieren<br />

soll fehlendes<br />

Durchsetzungsvermögen, nicht<br />

kommunizieren , was ich<br />

möchte<br />

S4<br />

Alleine fühlen, Ausgrenzung S1<br />

Schwerhörigkeit ablehnen,<br />

Identitätsproblem<br />

Schwerhörigkeit ablehnen,<br />

Identitätsproblem,<br />

Komunikationsschwierigkeiten<br />

Aussenseiter sein, wegen HG, Ausgrenzungssituation S1<br />

S4<br />

S4


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

EM Es ist eine Einführung ins Tennis. Es hat viele Teilnehmer, alle<br />

sprechen durcheinander und man muss sich vorstellen.<br />

EL Wir haben in einem Provisorium Schule, in einer Fabrikhalle. Es hallt<br />

sehr und wenn die Schüler sprechen, verstehe ich überhaupt nichts.<br />

EL Im Zug, wenn eine Durchsage kommt, verstehe ich sie nicht.<br />

ES Im Verkehr bin ich auch unsicher, ob ich wirklich auch alles höre.<br />

JC In der Disco, wenn man wegen der lauten Musik nichts versteht.<br />

JC<br />

Wenn im Zug eine Durchsage ist, die ich es nicht verstehe,<br />

EL Beim Standortgespräch fanden die Fachleute, ich müsse die Prüfung<br />

nochmals machen, weil ich mündlich nicht gut rüber gekommen bin.<br />

Ich kam wieder nicht durch, ich war schockiert und sehr enttäuscht.<br />

Ich hatte den Mut und die Klarheit aber nicht, dass ich hätte<br />

nachfragen können.<br />

EE Im Kindergarten hatte ich bereits nichts gehört und galt als<br />

verhaltensauffällig.<br />

EE . Ich hatte in der Schule keine Vorbereitung auf die Lehre, auf die<br />

Kommunikation mit den Mitarbeitern, was da für Schwierigkeiten auf<br />

mich zukommen könnten.<br />

durcheinander sprechen<br />

Akustik ist schlecht, ich verstehe<br />

schlecht<br />

Durchsagen verstehe ich nicht<br />

akustisch nicht verstehen<br />

Verkehr macht unsicher<br />

akustisch nicht versehen<br />

Verunsicherung<br />

akustisch nicht verstehen<br />

unsicher, wie ich mündlich wirke,<br />

bekam keine Rückmeldung<br />

Unwissenheit der Lehrpersonen über<br />

falsch eingeschätzt werden<br />

Lehre und Kommunikation war hart,<br />

hatte keine Vorbereitung auf<br />

Realsituation<br />

100<br />

Nichtversehen<br />

Nichtversehen<br />

S3<br />

S3<br />

Nichtverstehen S3<br />

Nichtverstehen S3<br />

Nichtversehen<br />

Nichtverstehen<br />

keine Rücksichtnahme, keine<br />

Empathie<br />

Kommunikationsschwierigkeiten<br />

Unsicherheit, eigene Akzeptanz<br />

S3<br />

S3<br />

S2<br />

S4<br />

keine Empathie S2<br />

Kommunikations- und<br />

Verstehensschwierigkeiten<br />

<strong>von</strong> Lehrmeister<br />

S4


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

EE In der Lehre war es sehr schwierig. Der Lehrmeister war total nervös<br />

und hatte überhaupt keine Geduld gehabt.<br />

Lehrmeister war nicht vorbereitet auf<br />

mich, hatte keine Geduld<br />

falsch eingeschätzt werden<br />

101<br />

Reaktion der Umwelt, fehlende<br />

Empathie<br />

S2


Hochschule für Heilpädagogik Masterarbeit 2009<br />

Pädagogik für Schwerhörige und Gehörlose Rita Fontana<br />

Lebenslauf<br />

Rita Fontana, geb. 08. 05. 1960<br />

Mutter <strong>von</strong> zwei Söhnen<br />

Ausbildungen<br />

1977 – 1982 Lehrerseminar Pfäffikon/ Rickenbach<br />

1984 - 1987 Gestalt- und Kunsttherapieausbildung IAC, Zürich<br />

1987 - 1988 Designausbildung, Harrow College, London<br />

1988 - 2005 Diverse Ausbildungen im Bereich Beratung und Kommunikation<br />

2006 - 2009 Hochschule für Heilpädagogik Zürich, Schwerpunkt Pädagogik<br />

für Schwerhörige und Gehörlose<br />

Berufliche Tätigkeit<br />

1982 – 1987 Primarlehrerin an der Regelschule, Brunnen<br />

1988 - 1990 Englisch- und Deutschlehrerin an der Oberstufe, Brunnen<br />

1990 – 1993 Deutschlehrerin DfF, Rüti<br />

1993 - 2005 Dozentin für Farbpsychologie und Farbgestaltung, Zürich<br />

2000 - 2006 Hörgeschädigtenpädagogin an einer Teilintegrationsklasse,<br />

Uster und Mönchaltdorf<br />

2006- Schulische Audiopädagogin am Zentrum für Gehör und<br />

Sprache, Zürich<br />

102

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