Als PDF herunterladen - Der Rechte Rand
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Scheitert das NPD-<br />
Verbot in Straßburg<br />
Teile der deutschen Politik und der Presse<br />
behaupten, ein Verbot der NPD durch das<br />
Bundesverfassungsgericht könnte an der<br />
Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
scheitern. Doch solche Einwände sind rechtlich<br />
nicht überzeugend.<br />
von Björn Elberling<br />
Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist die<br />
Grundlage für die Einschätzung, ein mögliches NPD-Verbot könnte durch<br />
den »Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte« (EGMR) in Straßburg<br />
kassiert werden. KritikerInnen beziehen sich auf das Urteil des Gerichtshofs<br />
zum Verbot der türkischen Partei »Refah Partisi« (»Wohlfahrtspartei«)<br />
2003. Dort hat der EGMR geäußert, ein Parteiverbot könne nur<br />
gerechtfertigt werden, wenn von der Partei eine ernsthafte Gefahr für die<br />
Demokratie ausgehe. Bezogen hat er sich dabei auf Wahlumfragen, wonach<br />
die »Wohlfahrtspartei« eine Mehrheit erzielen könnte. Verbote anderer,<br />
kleinerer Parteien hat er dagegen immer aufgehoben. Angesichts<br />
der weitgehenden Chancenlosigkeit der NPD bei bundesweiten Wahlen<br />
sei daher nicht zu erwarten, dass ein Verbot in Straßburg Bestand habe.<br />
Teilweise beziehen sich KritikerInnen noch auf ein weiteres vom EGMR<br />
bestätigtes Parteiverbot, nämlich das der baskischen »Herri Batasuna«.<br />
Hier hat sich der Gerichtshof zentral darauf bezogen, »Herri Batasuna«<br />
habe die als terroristisch eingestufte ETA unterstützt. Übertragen auf die<br />
deutschen Verhältnisse hieße dies, nur der Nachweis direkter Verbindungen<br />
der NPD zum NSU könne ein Verbot »Straßburg-fest« machen.<br />
Ein Blick auf die Urteile des EGMR zeigt, dass diese Befürchtungen stark<br />
übertrieben sind. <strong>Der</strong> Gerichtshof hat zwar betont, dass Parteiverbote einer<br />
strengen Überprüfung unterliegen, aber auch deutlich gemacht, dass<br />
die Staaten einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunktes<br />
eines Verbotes haben. Sie müssen und dürfen zum Schutz ihrer Bevölkerung<br />
nicht warten, bis eine Partei die Macht ergriffen hat und konkrete<br />
Schritte hin zu Maßnahmen unternimmt, die grundlegende Menschenrechte<br />
verletzen. Sie müssen auch nicht warten, bis die Partei kurz vor<br />
der Machtergreifung ist – gerade im Fall der »Wohlfahrtspartei« stellt<br />
der EGMR auch die Frage, ob der Staat für sein langes Abwarten vor<br />
Einleitung eines Parteiverbotes kritisiert werden könne – was er letztlich<br />
verneinte.<br />
Tatsächlich hat der EGMR noch nie ein Verbot an der geringen Bedeutung<br />
der Partei scheitern lassen. Dies gilt gerade in dem knappen Dutzend Fälle,<br />
in denen er Verbote linker türkischer Parteien aufhob: obwohl einige<br />
der Parteien sich eben erst gegründet hatten und keine von ihnen signifikante<br />
politische Macht besaß, hat der EGMR nicht auf ihre Bedeutungslosigkeit<br />
verwiesen, sondern darauf, dass sie keine konventionswidrigen<br />
Ziele verfolgten. Selbst wo er einzelne Aussagen von ParteivertreterInnen<br />
für problematisch hielt, aber das Verbot dennoch für rechtswidrig, hat er<br />
sich nicht auf die geringe Bedeutung der Partei, sondern auf die geringe<br />
Bedeutung dieser Aussagen für die Politik der Partei bezogen.<br />
Einzelnen Urteilen lassen sich sogar konkrete Hinweise dafür entnehmen,<br />
dass der EGMR das Verbot einer Partei, die nachgewiesene konventionswidrige<br />
Ziele verfolgt, völlig unabhängig von ihrer konkreten Bedeutung<br />
bestätigen würde. So etwa im Fall der tartarisch-separatistischen »Demokratischen<br />
Volkspartei Vatan«, die gegen ihr Verbot durch die russischen<br />
Behörden Klage erhob: <strong>Der</strong> EGMR hielt die Beschwerde zwar schon aus<br />
formalen Gründen für unzulässig, aber zwei der Richter äußerten sich<br />
auch in der Sache. Sie hielten das Verbot, das unter anderem auf Aufrufe<br />
zum bewaffneten Aufstand gegen den russischen Staat gestützt war, für<br />
offensichtlich rechtmäßig. Auf die Frage nach der politischen Bedeutung<br />
der Partei, sei es in Russland, sei es in der Region, gingen die Richter mit<br />
keinem Wort ein.<br />
Hinzu kommt, dass die NPD im Fall eines Parteiverbots auch begründen<br />
müsste, warum nicht Artikel 17 der EMRK auf sie Anwendung finden<br />
sollte. Demnach bietet die Konvention keinen Schutz für Verhalten, das<br />
gerade auf die Abschaffung der Konventionsrechte gerichtet ist. Auf diesen<br />
Artikel hat der EGMR in Urteilen zu Parteiverboten immer wieder<br />
hingewiesen. In einem Fall, der zwar kein Verbot betraf, aber die Bestrafung<br />
wegen Mitgliedschaft in der »Islamischen Befreiungspartei«, hat er<br />
auch tatsächlich die Beschwerden der Parteimitglieder wegen Artikel 17<br />
verworfen.<br />
Schließlich hat der Gerichtshof auch dargelegt, dass bei Parteiverboten<br />
stets die Geschichte des Staates berücksichtigt werden müsse – ein weiterer<br />
Grund, warum er sich hüten wird, das Verbot einer deutschen Nazipartei<br />
nur wegen ihrer geringen Wahlchancen aufzuheben.<br />
Das vielzitierte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes – das übrigens<br />
selbst nicht zu dem Schluss kommt, ein NPD-Verbot würde zwingend<br />
am EGMR scheitern – geht auf diese Fragen nicht ein, sondern<br />
fasst auf einer knappen Seite die abstrakten Obersätze aus dem Urteil<br />
zur »Wohlfahrtspartei« zusammen und vergleicht diese mit den Urteilen<br />
des Bundesverfassungsgerichts aus den 1950ern Jahren zum Verbot<br />
der »Sozialistischen Reichspartei« und der »Kommunistischen Partei<br />
Deutschlands«.<br />
Zu guter Letzt: selbstverständlich gilt auch für den EGMR, dass Recht politisch<br />
ist, dass er seine Urteile nicht völlig unbeeindruckt von politischen<br />
Erwägungen fällt. Sollte das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der<br />
NPD aussprechen, erscheint es kaum vorstellbar, dass der EGMR dieses<br />
Verbot wegen ihrer geringen Wahlchancen aufheben würde.<br />
6 der rechte rand 142/2013