Zwei Mütter und ein Baby - Regenbogenfamilie
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Familie - <strong>Zwei</strong> Mütter <strong>und</strong> <strong>ein</strong> <strong>Baby</strong> - Hamburg - Hamburger Abendblatt<br />
http://www.abendblatt.de/hamburg/article1226504/<strong>Zwei</strong>-Muetter-<strong>und</strong>-e...<br />
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(http://www.abendblatt.de/)<br />
HAMBURG<br />
FAMILIE<br />
<strong>Zwei</strong> Mütter <strong>und</strong> <strong>ein</strong> <strong>Baby</strong><br />
VON SINA SCHIERENBERG<br />
13. Oktober 2009, 06:00 Uhr<br />
Nicole <strong>und</strong> Esther sind <strong>ein</strong>getragene Lebenspartner. Esther brachte in Hamburg ihre Tochter zur Welt, Nicole kämpft<br />
um <strong>ein</strong>e Adoption.<br />
Esther (l.) <strong>und</strong> Nicole mit ihrer Tochter Julie. Die beiden Frauen sind seit sechs Jahren <strong>ein</strong> Paar <strong>und</strong> im Sommer Eltern geworden. Der Weg<br />
dorthin führte sie unter anderem nach Dänemark in <strong>ein</strong>e "Kinderwunschklinik", wo Esther <strong>ein</strong>e Samenspende erhielt.<br />
Foto: Johannes_Arlt<br />
HAMBURG. Jede zweite lesbische Frau <strong>und</strong> jeder dritte schwule Mann wünschen sich <strong>ein</strong> Kind. Nicole <strong>und</strong> Esther sind<br />
<strong>ein</strong>getragene Lebenspartner. Esther brachte in Hamburg ihre Tochter zur Welt, Nicole kämpft um <strong>ein</strong>e Adoption. Die Hände von<br />
Nicole* zitterten, als sie die Nabelschnur ihrer Tochter vorsichtig durchtrennte. Fast unmerklich, nur für sie selbst spürbar. Esther*<br />
hatte schmerzhafte Wehen, zwei Tage lang. Dann der Kaiserschnitt.<br />
Am 5. Juli, um 21.48 Uhr, hielt die Ärztin des Altonaer Krankenhauses <strong>ein</strong> ges<strong>und</strong>es Mädchen in die Luft. Nicole trug <strong>ein</strong>en grünen<br />
OP-Anzug, sie brachte das Neugeborene zu s<strong>ein</strong>er erschöpften Mama Esther ans Bett. Dann verließen die Krankenschwestern<br />
den Raum. Dieser Moment sollte nur den Müttern gehören.<br />
"Die ersten Minuten mit Julie waren so intensiv", erinnert sich Esther, <strong>und</strong> ihre braunen Augen hinter der schlichten Nickelbrille<br />
sind <strong>ein</strong> bisschen glasig. Sie sitzt auf dem ausladenden Sofa in ihrem Haus in Elmshorn. Neben ihr Nicole, ganz nah. Sie sind <strong>ein</strong><br />
Paar. Und seit mehr als drei Monaten Eltern. Esther blinzelt <strong>und</strong> schenkt sich <strong>ein</strong> Glas Wasser nach, Nicole richtet sich ruckartig<br />
auf. Sie ist 36 Jahre alt, <strong>ein</strong>e Frau, die mit beiden B<strong>ein</strong>en im Leben steht, aber unlängst auf die Hilfe anderer angewiesen war. "Ich<br />
bin nichts anderes als <strong>ein</strong> Vater. Ich habe mir nur <strong>ein</strong> kl<strong>ein</strong> wenig ausleihen müssen", sagt sie entschlossen, fast schon <strong>ein</strong><br />
bisschen ärgerlich. Die "kl<strong>ein</strong>e Leihgabe", von der sie spricht, kommt aus Dänemark.<br />
Dort, in Arhus, liegt die Diers-Klinik. Ein denkmalgeschütztes Fachwerkhaus, in dem Ärzte mit modernen Methoden arbeiten. Unter<br />
homosexuellen Paaren ist die Klinik schon längst k<strong>ein</strong> Geheimtipp mehr. Eine Hamburger Kinderärztin gab Esther <strong>und</strong> Nicole die<br />
Adresse dieser "Kinderwunschklinik".<br />
In Deutschland ist den beiden Frauen der Weg zur Samenbank verwehrt. Und in <strong>ein</strong>em Beschluss der deutschen Ärztekammer ist<br />
im Zusammenhang mit lesbischer Insemination von "Sittenwidrigkeit" die Rede. Zudem fürchten Ärzte, durch diese<br />
Samenübertragung auf Unterhaltszahlungen verklagt zu werden, da sie nach deutschem Recht als Erzeuger gelten könnten. Auf<br />
den meisten deutschen Internetseiten von Samenbanken wird ausdrücklich erwähnt, dass lesbische Paare nicht behandelt<br />
werden. Esther <strong>und</strong> Nicole haben sich nicht abschrecken lassen. Sie haben schon ganz andere Hürden gem<strong>ein</strong>sam gemeistert.<br />
Jede neue Chance, die sich für homosexuelle Paare auftat - die beiden Frauen haben sie ergriffen. Seit 2003 sind sie fest<br />
zusammen. Spontan die Heirat 2004 in Provincetown, US-B<strong>und</strong>esstaat Massachusetts. Kurz zuvor hatte Gouverneur John Kerry
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die Homo-Ehe für rechtens erklärt. Zurück in Deutschland, hatte der symbolische Akt jedoch k<strong>ein</strong>erlei Wert. 2005 ließen sie sich<br />
von <strong>ein</strong>er befre<strong>und</strong>eten Pastorin in Tornesch erneut trauen <strong>und</strong> leben jetzt in <strong>ein</strong>er sogenannten "<strong>ein</strong>getragenen<br />
Lebenspartnerschaft". Ohne dieses sperrige Wort gäbe es Julie heute nicht. Denn erst als <strong>ein</strong>getragene Lebenspartner dürfen<br />
Homosexuelle offiziell fremden Samen kaufen. Nicht in Deutschland, aber in Dänemark.<br />
"Der Moment, als wir die Liste mit möglichen Spendern in den Händen hielten, war erst <strong>ein</strong>mal unangenehm", gibt Esther zu,<br />
b<strong>ein</strong>ahe schüttelt sie sich. "Das war wie zwischen Zucker <strong>und</strong> Mehl wählen." Ein komisches Gefühl, so über den zukünftigen Papa<br />
ihres Kindes zu entscheiden, klar - aber notwendig. Und außerdem nur <strong>ein</strong> Merkmal <strong>ein</strong>er Phase, in der sich Esther <strong>und</strong> Nicole so<br />
nah waren, wie selten zuvor. Beide lächeln jetzt, Nicole zeigt <strong>ein</strong> Foto aus dem Kreißsaal. Sie hält es so nah vor ihrer beider<br />
Gesichter, dass ihre Haare auf das Bild fallen.<br />
Die Berufsangabe der dänischen Kandidaten war den Frauen besonders wichtig. "Wir wollten <strong>ein</strong>en soliden Charakter haben",<br />
sagt Nicole. "Einiges ist genetisch bestimmt. Auch wenn ich der M<strong>ein</strong>ung bin, dass die Umwelt <strong>und</strong> die Menschen, die das Kind<br />
großziehen, Fre<strong>und</strong>e, Verwandte <strong>ein</strong>en Menschen hauptsächlich formen <strong>und</strong> be<strong>ein</strong>flussen." Die Angaben zu Julies Erzeuger<br />
klingen so, wie das Klischee <strong>ein</strong>es gestandenen Mannes aussieht: 1,89 Meter groß, grüne Augen, braune Haare, Student an der<br />
Polizeiakademie. Lesbische Frauen wählen nach denselben biologischen Kriterien aus wie heterosexuelle.<br />
Die Suche nach <strong>ein</strong>em Spender im Bekanntenkreis blieb erfolglos. Ein Fre<strong>und</strong> des Paares musste s<strong>ein</strong> Angebot zurückziehen, da<br />
er selbst Vater wurde.<br />
Auch <strong>ein</strong>e Adoption durch Homosexuelle ist sehr schwierig <strong>und</strong> selten. Michael Reimers aus St. Georg lebt seit acht Jahren in<br />
<strong>ein</strong>er festen Beziehung. Für ihn ist die Benachteiligung unverständlich: "Es ist paradox. Ich kenne viele homosexuelle Paare, die<br />
<strong>ein</strong>e Familie gründen möchten. Nur wird ihnen das in Deutschland schwer gemacht. Man spricht von <strong>ein</strong>er Vergreisung der<br />
Gesellschaft <strong>und</strong> hört in den Medien von Fällen überforderter Eltern. Wieso wird nur uns der Kinderwunsch erschwert Gerade<br />
weil sich schwule Männer selten für Kinder entscheiden, sind diese absolute Wunschkinder." Umfragen des Schwulen Netzwerks<br />
NRW zufolge wollen jede zweite lesbische Frau <strong>und</strong> jeder dritte schwule Mann gerne Kinder großziehen. Für Esther <strong>und</strong> Nicole<br />
öffnete sich 2005 <strong>ein</strong>e andere Tür: Für offiziell <strong>ein</strong>getragene Lebenspartnerschaften gibt es seitdem die Möglichkeit der<br />
"Stiefkindadoption". Damit können gleichgeschlechtliche Partner die leiblichen Kinder ihrer Lebensgefährten adoptieren.<br />
Theoretisch. Nicole hat den Antrag längst gestellt. Bisher ohne Erfolg.<br />
Die heile Welt der jungen Familie wurde früh auf die Probe gestellt. Kürzlich erklärte die Notarin den Lebenspartnern, dass das<br />
Sorgerecht erst in <strong>ein</strong>em Jahr beantragt werden kann. Ausgang offen. Ein sensibles Thema für Nicole, ihre Stimme ist brüchig:<br />
"Man hat mir damit gesagt, m<strong>ein</strong>e Tochter sei nicht m<strong>ein</strong>e Tochter."<br />
Das bedeutet für die junge Familie: Wenn Esther vor der Adoption etwas zustoßen sollte, käme ihre Tochter in <strong>ein</strong>e Pflegefamilie.<br />
Und eigentlich müsste Esther Nicole <strong>ein</strong>e Vollmacht ausstellen, wenn die ihre Tochter vom Kindergarten abholen will. Nicole hat<br />
k<strong>ein</strong>e Rechte. <strong>Regenbogenfamilie</strong>n sind in Deutschland rechtlich immer noch Familien zweiter Klasse, sagt Elke Jansen, Leiterin<br />
des Projekts <strong>Regenbogenfamilie</strong>n im Lesben- <strong>und</strong> Schwulenverband Deutschland. "Besonders im Finanz- <strong>und</strong> Steuerrecht<br />
werden homo- <strong>und</strong> heterosexuelle Familien ungleich behandelt. Eine <strong>Regenbogenfamilie</strong> mit <strong>ein</strong>em monatlichen Brutto-<br />
Einkommen von 3000 Euro hat 300 Euro weniger pro Monat zur Verfügung."<br />
Über die Mutmaßung konservativer Politiker, Kinder schwuler <strong>und</strong> lesbischer Eltern durchlebten k<strong>ein</strong>e wünschenswerte Phase der<br />
Adoleszenz, kann Esther nur lachen. "Wenn Kinder von Schwulen <strong>und</strong> Lesben es tatsächlich schwerer haben sollten als andere<br />
Kinder, dann nur aufgr<strong>und</strong> der Diskriminierung, der sie <strong>und</strong> ihre Eltern ausgesetzt sind."<br />
Noch ist Julie winzig kl<strong>ein</strong>, sie weiß noch nichts von den persönlichen <strong>und</strong> ideologischen Kämpfen, die ihretwegen ausgefochten<br />
werden. Esther, Nicole <strong>und</strong> Julie: <strong>Zwei</strong> Frauen - zwei Mütter - <strong>und</strong> ihr Kind. "Vielleicht werden Julies erste Worte 'Mama' oder<br />
'Mami' s<strong>ein</strong>", sagt Esther.<br />
Nicole ist die Mami <strong>und</strong> Esther die Mama.<br />
*) Die beiden Frauen möchten ihren Nachnamen nicht nennen.