Gifte – gefährlich, nützlich, tödlich (PDF) - WDR.de
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Giftgas, eigentlich eine verbotene<br />
Waffe, bringt Angst und Schrecken in<br />
die Schützengräben<br />
Vorbereitung <strong>de</strong>s Giftgasangriffs<br />
durch eine<br />
„Desinfektionskompanie“<br />
Giftige Schatten <strong>de</strong>r Weltkriege<br />
Ein Tabu wird gebrochen<br />
Am 22. April 1915 beginnt im belgischen Ypern eine neue<br />
Art <strong>de</strong>r Kriegsführung. Die Deutschen setzen erstmals in<br />
großem Stil Giftgas ein. Rund 180 Tonnen ätzen<strong>de</strong>s Chlorgas<br />
wehen über das Schlachtfeld in die feindlichen<br />
Stellungen. Über 10.000 alliierte Soldaten wer<strong>de</strong>n vergiftet,<br />
3.000 sterben. Nach <strong>de</strong>r Haager Landkriegsordnung<br />
von 1907 ist <strong>de</strong>r Einsatz von giftigen Waffen ausdrücklich<br />
verboten. Doch die Deutsche Heeresleitung kümmert sich<br />
nicht mehr um völkerrechtliche Verträge o<strong>de</strong>r um die militärische<br />
Tradition, die Giftwaffen als unehrenhaft und<br />
unsoldatisch einstuft. Sie sehen in <strong>de</strong>r neuen Waffe die<br />
einzige Möglichkeit, <strong>de</strong>n festgefahrenen Stellungskrieg zu<br />
gewinnen.<br />
Chemie für <strong>de</strong>n Krieg<br />
Als die Deutschen Soldaten im Sommer 1914 in <strong>de</strong>n Krieg<br />
zogen, hatte man ihnen noch versprochen, dass sie<br />
Weihnachten zu Hause verbringen könnten. Doch <strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>utsche Angriff gerät nach anfänglichen Erfolgen ins<br />
Stocken. Am 3. November stoppt unter an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>r Vormarsch<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Truppen vor <strong>de</strong>m belgischen Ort<br />
Ypern. Bei<strong>de</strong> Seiten setzen sich fest und bauen ein riesiges<br />
System von Schützengräben. Es kommt immer wie<strong>de</strong>r<br />
zu Scharmützeln, aber mit <strong>de</strong>n herkömmlichen Waffen<br />
scheint man die Schlacht nicht gewinnen zu können. Die<br />
Heeresleitung folgt daher einer Empfehlung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen<br />
Chemikers Fritz Haber. Er schlägt vor, Chlorgas als<br />
Kampfstoff einzusetzen. Es soll die Fein<strong>de</strong> aus ihren<br />
Stellungen treiben. Chlorgas hat <strong>de</strong>n Vorteil, dass es in<br />
großen Mengen in <strong>de</strong>r chemischen Industrie entsteht.<br />
Außer<strong>de</strong>m lässt es sich leicht in Flaschen abfüllen und<br />
transportieren. Die Vorbereitungen wer<strong>de</strong>n zunächst unter<br />
<strong>de</strong>m Deckmantel einer „Desinfektionskompanie“ durchgeführt.<br />
Als <strong>de</strong>r Wind günstig steht, wer<strong>de</strong>n am 22. April die<br />
Ventile geöffnet und das Gas weht in die gegnerischen<br />
Schützengräben.<br />
8<br />
Tödliche Bilanz<br />
Das Gas treibt die alliierten Soldaten aus ihren Stellungen,<br />
doch die Deutschen können <strong>de</strong>n Überraschungseffekt<br />
kaum nutzen. Ihnen fehlt <strong>de</strong>r Nachschub. Der erhoffte<br />
Frontdurchbruch bleibt aus. In <strong>de</strong>r Folge setzen<br />
trotz<strong>de</strong>m alle kriegsführen<strong>de</strong>n Staaten Giftgas ein.<br />
Schnell kommen neue Kampstoffe dazu, z. B. Phosgen<br />
o<strong>de</strong>r Senfgas. Und statt <strong>de</strong>s umständlichen und <strong>gefährlich</strong>en<br />
Gasblasens entwickelt man Gasminen und Gasgranaten,<br />
die verschossen wer<strong>de</strong>n können. Doch oft weht<br />
<strong>de</strong>r Wind das Gas zurück in die eigenen Reihen, so dass<br />
die Gaseinsätze nicht wirklich ein Erfolg sind. Die Bilanz:<br />
Im Ersten Weltkrieges wird rund eine Million Soldaten mit<br />
<strong>de</strong>n chemischen Kampfstoffen vergiftet, bis zu 70.000<br />
sterben.<br />
Chemie-Waffen im Zweiten Weltkrieg<br />
Trotz <strong>de</strong>r Erfahrungen aus <strong>de</strong>m vorigen Krieg wird auch im<br />
Zweiten Weltkrieg weiter an Giftgasen geforscht <strong>–</strong> auf <strong>de</strong>r<br />
Suche nach noch wirksameren Mischungen. Deutsche<br />
Wissenschaftler entwickeln die Nervenkampstoffe Tabun,<br />
Sarin und Soman. Wie<strong>de</strong>r stellen alle Kriegsparteien riesige<br />
Mengen her. Parallel dazu arbeitet man an einem<br />
wirksamen Schutz, etwa durch Gasmasken. Doch die<br />
Deutschen setzen ihr Gas nicht ein, vermutlich, weil sie<br />
massive Vergeltungsschläge fürchten. Bei Kriegsen<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n<br />
die Alliierten fast 300.000 Tonnen Giftmunition. Eine<br />
Vernichtung an Land scheint unmöglich. Daher wer<strong>de</strong>n<br />
ausrangierte Schiffe mit <strong>de</strong>r giftigen Fracht bela<strong>de</strong>n und<br />
anschließend im Meer versenkt. Hauptversenkungsgebiete<br />
sind beson<strong>de</strong>rs tiefe Stellen im Skagerrak zwischen<br />
Dänemark und Norwegen und die Ostsee um die<br />
Insel Bornholm.<br />
9<br />
Rund 1 Million Soldaten wur<strong>de</strong>n<br />
mit Gas vergiftet<br />
Gasmasken sollen auch die<br />
Zivilbevölkerung schützen