Kabarett in Theresienstadt - Synagoge in Vöhl
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psychischen Zustände im Ghetto sich zu e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>en Chaos auszuweiten drohten, brachte<br />
der Rabb<strong>in</strong>er Erich We<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>e Mitgefangenen darauf, wieder <strong>in</strong> ihren früheren Berufen tätig zu<br />
se<strong>in</strong>, um e<strong>in</strong>er drohenden Verelendung zu entgehen. Man nannte die Initiative „Freizeitgestaltung“.<br />
Nun begann <strong>in</strong> den meisten Lagern e<strong>in</strong>e große Betriebsamkeit: Vorträge wurden gehalten,<br />
Stimmbildung und Gesangsunterricht gegeben, Theater- und Chorproben angesetzt, Schach- und<br />
Sportgruppen bildeten sich. In sogenannten „bunten Abenden“ gab es Rezitationen und Lieder.<br />
Später gründeten sich Streichquartette und Kammermusikvere<strong>in</strong>igungen. Man führte Opern auf (mit<br />
Klavierbegleitung und zunächst noch konzertant), und: Es bildeten sich mehrere <strong>Kabarett</strong>-<br />
Formationen.<br />
Zuerst geschah alles geheim, die Veranstaltungen nannten sich „Kameradschaftsabende“. Bei<br />
Konzerten war jeder Applaus verboten, am E<strong>in</strong>gang hielten Wachen Ausschau, um gegebenenfalls<br />
die Veranstaltungen sofort abzubrechen. Denn zunächst waren Musik<strong>in</strong>strumente im Ghetto<br />
strengstens verboten. Doch aufhalten ließ sich die allgeme<strong>in</strong>e künstlerische Betriebsamkeit<br />
dadurch nicht.- es war, als hätte die Kunst den Gefangenen ihre Identität zurückgegeben, auch<br />
wenn diese „Normalität“ Fassade war, e<strong>in</strong>e brüchige zudem; denn immer musste man mit<br />
Transporten rechnen, die Todeslisten waren schon geschrieben.<br />
Später wurden die Kunstausübungen geduldet und dann sogar gefördert. Seit der<br />
Wannseekonferenz zur „Endlösung“ mussten die braunen Machthaber aus dem Ausland<br />
Interventionen befürchten. So konnte man die mannigfaltigen künstlerischen Betätigungen der<br />
Häftl<strong>in</strong>ge als Propaganda-Trick umfunktionieren. <strong>Theresienstadt</strong> wurde zum „Vorzugslager“<br />
deklariert, und alle Welt sollte sehen, wie gut es der jüdischen Prom<strong>in</strong>enz hier g<strong>in</strong>g. Gerüchte um<br />
die immer perfekter funktionierende Vernichtungs<strong>in</strong>dustrie sollten im Keim erstickt werden.<br />
Mit immer neuen Transporten vergrößerte sich auch der Bestand der Bibliothek von Büchern und<br />
Noten. Der Bestand der „Ghettobücherei“ belief sich am Ende auf be<strong>in</strong>ahe 200 000 Bände. Dies ist<br />
ke<strong>in</strong> Wunder, denn der größte Teil stammte aus geraubtem Besitz jüdischer Institutionen und<br />
Privatleute. Ältere Neuankömml<strong>in</strong>ge, denen mit dem makaber-euphämistischen Namen<br />
„Theresienbad“ die Existenz e<strong>in</strong>er Altersresidenz vorgegaukelt wurde, brachten häufig ihre<br />
Bibliotheken mit, die ihnen sofort abgenommen wurden. Schriften überPhilosophie und Geschichte<br />
waren vertreten, e<strong>in</strong>e große Menge Hebraica, aber auch landwirtschaftliche, mediz<strong>in</strong>ische und<br />
sonstige Fachliteratur, Kochbücher und besonders stark vertreten late<strong>in</strong>ische und altgriechische<br />
Schriftsteller.<br />
Hatten die Musiker im Ghetto sich anfangs noch mühsam Bruchstücke ihrer Standardwerke<br />
zusammenklauben, hatten Sänger<strong>in</strong>nen und Sänger sich zunächst noch auswendig ihres<br />
Repertoires er<strong>in</strong>nern müssen, so waren <strong>in</strong> den späteren Jahren fast alles da, was das Herz<br />
begehrte: Klavierauszüge zu Opern und Operetten, zudem Werke, die im Reich auf dem Index<br />
stammten, wie z.B. „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy.<br />
Der Dirigent Raffael Schächter konnte mit se<strong>in</strong>em Chor mehrmals das Requiem von G. Verdi<br />
aufführen. Er musste den Chor mehrmals neu aufbauen, da die Mitglieder nach der Aufführung<br />
nach Auschwitz <strong>in</strong> die Gaskammern geschickt wurden.<br />
Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass jene Menschen, die am Tage harte<br />
Zwangsarbeit zu verrichten hatten, unterernährt und krank, dabei immer die Angst im Nacken, am<br />
nächsten Morgen auf „Transport <strong>in</strong> den Osten“ (wie man die grausige Wirklichkeit verschleiernd<br />
sagte) geschickt zu werden, die Kraft und Energie aufbrachten, am Abend Proben abzuhalten,<br />
Rollen und Texte zu lernen, um für e<strong>in</strong> paar Stunden ihre Wirklichkeit zu vergessen.<br />
Viktor Ullmann, der von jeglicher Zwangsarbeit befreit war, erlebte die produktivste Zeit se<strong>in</strong>es<br />
kurzen Lebens. Welch bittere Ironie des Schicksals. Hören wir heute se<strong>in</strong>e Werke und die der<br />
anderen wie Pavel Haas, Hans Krasa oder Gideon Kle<strong>in</strong> (der auch e<strong>in</strong> grandioser Pianist war), so<br />
kann man sich schwer vorstellen, unter welch unmenschlichen Bed<strong>in</strong>gungen sie entstanden.<br />
Wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong>wesen von Künstlern aller Sparten zugeht, kennt man aus der Normalität<br />
freier Lebensformen. Da gibt es Neid, Eifersucht, Intrigen. Man gönnt dem Kollegen den Erfolg nur<br />
sehr schwer. Makabererweise war dies <strong>in</strong> <strong>Theresienstadt</strong> nicht viel anders. Auch Spannungen unter<br />
den verschiedenen Nationalitäten blieben nicht aus. Diese leider unvermeidlichen menschlichen<br />
Schwächen wurden immer wieder <strong>in</strong> den <strong>Kabarett</strong>-Programmen aufs Korn genommen. Wir hören<br />
dies am besten im Lied „von den Ochsen“ von Manfred Greiffenhagen und Mart<strong>in</strong> Roman.<br />
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