Gesunde Babys müssen viel spielen
Es ist ein schöner Sonntag. Die Familie Sch. sitzt beim Kaffee. Frau Sch. hat vor sieben Monaten ein zweites Kind bekommen und eine Arbeitskollegin kam zu Besuch, um sich das „neue Kind“ anzusehen. Es ist ein Mädchen und heißt Anna. Es ist ein richtiges Wunschkind und die Eltern sind glücklich – ganz im Gegensatz zu ihrem Sohn Lukas, der inzwischen schon in den Kindergarten geht. Anna war von Anfang an ein ausgesprochen zufriedenes und fröhliches Kind, kräftig, lebhaft und an allem interessiert. Sie beobachtet alles ganz genau und lacht oft vor Vergnügen, wenn zum Beispiel irgendeiner aus der Familie eine Tasse zum Mund führt. Frau Sch. kann sich diese Freude nur damit erklären, dass Anna offensichtlich wiedererkennt, Säuglinge brauchen Anregungen Lukas war damals knapp zwei Monate alt. Mit ihm spielen? Aber was? Frau Sch. erfuhr schließlich von ihrem Kinderarzt, dass auch kleine Babys sehr neugierig sind und dass sich viele Kinder schon im Alter von sechs Wochen langweilen können, besonders wenn man sie längere Zeit allein in ihrem Bettchen liegen lässt. Sie fangen an zu quengeln, zu weinen und beruhigen sich erst wieder, wenn sie hochgenommen werden. Häufig ist der erste Gedanke vieler Eltern: „das Kind hat Hunger“. Dass es aber oft nur beschäftigt werden will, erkennen sie nicht. Obwohl sie es gut meinen, kreieren Eltern sich damit häufig ein neues Problem: Das Kind wird überfüttert, oder es protestiert dagegen, indem es erbricht oder Krämpfe bekommt. Genau das hat Frau Sch. auch bei Lukas erlebt. Der Kinderarzt gab daraufhin Frau Sch. den Rat: „Wenn Ihr Kind außerhalb seiner Essenszeiten schreit oder unruhig ist, sollten Sie erst einmal mit ihm versuchen zu spielen. Necken Sie das Kind, streicheln oder kitzeln Sie es. Alles ist erlaubt, bevor Sie ihm wieder ein Fläschchen servieren.“ Zu viel Ruhe tut nicht gut Frau Sch. hat viel von ihrem Kinderarzt gelernt. „Ich glaube,“ meinte sie, „viele junge Eltern sind am Anfang sehr unsicher, das ist ganz normal.“ Sehr typisch war, dass Frau Sch. die tägliche Pflege so ernst nahm, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Für Spielen und Spaßmachen fehlte ihr dadurch die nötige Gelassenheit. Auch war Frau Sch. immer darauf bedacht, dass Lukas viel Ruhe und Schlaf bekam. Sie stellte ihn darum in das abgedunkelte Schlafzimmer in der Annahme, dass es dort am stillsten ist. Natürlich lassen sich nicht alle Wesensunterschiede zwischen Lukas und Anna auf das Verhalten der Eltern zurückführen, aber einen gewissen Einfluss nimmt das schon, denn: Je ausgeglichener die Eltern sind, je mehr sie über die Bedürfnisse ihres Kindes wissen, desto ausgeglichener sind auch die Kinder. Mit Anna hat Frau Sch. vieles gleich ganz anders gemacht. Anna profitiert nun von den Erfahrungen, die Frau Sch. mit Lukas sammelte und der Gelassenheit, die sie dadurch bekam. Mit sechs Wochen kam sie aus der Kinderwiege in ein 15 | Gesunde Babys müssen viel spielen dass die Großen etwas machen, was sie selbst schon kann. „Wahrscheinlich ist sie ganz stolz darauf, dass sie schon alleine ihre Tasse halten und selbst daraus trinken kann,“ erklärt Frau Sch. ihrem Besuch. Anna lacht viel und weint wenig. Frau Sch. weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Oft hört sie Mütter gleichaltriger Kinder klagen, wie schlecht ihre Kinder schlafen und dass sie ewig quengeln. Auch Wickeln und Baden wird in vielen Familien jedes Mal zum Drama. Frau Sch. kann selbst ein Lied davon singen, denn sie erinnert sich gut daran, dass das mit Lukas genau so war: Nach jedem Bad war sie vollkommen geschafft, weil Lukas oft dabei schrie. Hinzu kam, dass er immer wieder einen Hautausschlag bekam und in den ersten Monaten unter krampfartigen Bauchschmerzen litt. Tagelang krümmte er sich vor Schmerzen. „Nichts Ernstes“, stellte damals der Kinderarzt fest, „eine typische Dreimonatskolik, die meist von selbst vergeht.“ Doch dann sagte er etwas, was sie aufhorchen ließ und sehr nachdenklich machte: „Kann es sein“, fragte der Arzt sie, „dass sie mit dem Kind zu wenig spielen?“ fahrbares Gitterbettchen. Durch die Stäbe konnte Anna alles sehen, was um sie herum passierte, und über ihrem Bettchen hing ein buntes Mobile. Als Anna mit etwa drei Monaten entdeckte, dass sie sich an den Fingern von Vater und Mutter festhalten und hochziehen konnte, reagierten die Eltern sofort darauf und befestigten ein Kinderreck mit bunten Greifringen und Glöckchen am Bett. Nun konnte Anna sich auch ohne fremde Hilfe hochziehen. Aber am schönsten blieb es, wenn sie mit den Fingern ihrer Eltern „Reck“ spielen durfte.