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Im Buch blättern (PDF) - WIENAND KUNSTBUCH VERLAG

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54 Die Darstellung und Thematisierung des Druckrasters ist in der 55<br />

Kunst der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein fester Topos und<br />

Sigmar Polke Freundinnen I 1967 (Kat. 40)<br />

Gerhard Richter Elisabeth II 1966<br />

wurde etwa von Sigmar Polke – der sich damit besonders intensiv<br />

auseinandersetzte – keineswegs erfunden, sondern gleichzeitig auch<br />

von vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen praktiziert. Bereits<br />

1932 stellte Kurt Kranz am Dessauer Bauhaus mit einer Repro-<br />

Kamera ein Selbstportrait mit einem sehr groben Punktraster her<br />

(Abb. unten). Hier verselbstständigen sich die Punkte fast gänzlich<br />

zu autonomen Bildelementen und lassen nur noch aus einem gewissen<br />

Abstand das Gesicht des Künstlers erkennen. 1945 und 1946<br />

griff Marcel Duchamp dieses Prinzip auf, als er die Umschläge für<br />

einen Ausstellungskatalog von Man Ray (Abb. S. 58) und für einen<br />

Gedichtband von André Breton entwarf. 18 Als Zeitgenossen Polkes,<br />

die in den 1960er-Jahren in ihren Druckgrafiken den Rasterpunkt<br />

ebenfalls deutlich visualisiert haben, sind in England etwa Harold<br />

Cohen, Gerald Laing, Eduardo Paolozzi, Colin Self und Joe Tilson<br />

zu nennen, in Frankreich Alain Jacquet, in den USA Jim Dine und<br />

Roy Lichtenstein sowie in Deutschland Gerhard Richter, KP Brehmer<br />

und Wolf Vostell.<br />

IV. Die Raffinesse optischer Täuschungen<br />

Seit Mitte der 1960er-Jahre setzt Gerhard Richter für seine Druckgrafiken<br />

ausschließlich fotomechanische Reproduktionstechniken<br />

Je feiner ein Raster ist, umso größer wird der Umfang der Tonwerte ein: Offsetdruck, Siebdruck, Heliogravüre und Lichtdruck. Damit<br />

und umso besser wird die Wiedergabe der Details. Eigentlich soll hat er – wie auch die genannten Künstlerkollegen – den Gegensatz<br />

dieses technische Mittel als bildnerischer Darstellungsmodus nicht von industrieller Technik und künstlerischer Handarbeit untergraben.<br />

Außerdem wurden auf diese Weise die traditionellen Vorstel-<br />

sichtbar sein. Doch durch Polkes starke Vergrößerung des Motivs<br />

im Offsetdruck sind die Rasterpunkte der ursprünglichen Vorlage lungen von Autonomie, Authentizität und Originalität hinterfragt<br />

nun unübersehbar geworden.<br />

und der Produktionsprozess entmystifiziert. Denn eine betont subjektzentrierte<br />

Handschrift mit ihrem individuellen Ausdruckswert,<br />

Die eigene Visualität des Druckrasters wird bei Gerhard Richters wie man sie von der Kaltnadelradierung oder vom Holzschnitt kennt,<br />

Offsetdruck Elisabeth II von 1966 auf andere Weise vermittelt wird hier verweigert, zumal Richters Druckgrafiken meist auf fotografischen<br />

Vorlagen basieren, die die genannten Reproduktions-<br />

(Abb. oben). Der Künstler nahm das Motiv der amtierenden englischen<br />

Königin aus einer Zeitung mit einem unscharf eingestellten<br />

Kameraobjektiv auf und reproduzierte das Foto anschließend mit<br />

zwei versetzten Druckplatten im Offsetdruck. Somit erscheint die<br />

Dargestellte leicht verdoppelt und die weichzeichnende Unschärfe<br />

wird noch verstärkt. Vor der Belichtung der Druckplatten hatte<br />

Richter die Lithofilme so überlagert beziehungsweise verschoben,<br />

dass das feine Raster des Offsetdrucks in sich ein gitterartiges Muster<br />

aufweist. Bei einer normalen Reproduktion gilt ein solches als Moiré<br />

bezeichnetes Raster als Fehler, als drucktechnisch unerwünschtes<br />

Malheur. Richter hingegen setzt das Moiré als bewusstes künstlerisches<br />

Mittel ein, um die optische Auflösung der Figur zu verstärken<br />

und gleichzeitig das normalerweise nicht sichtbare Raster als die<br />

drucktechnische Grundvoraussetzung des Bildes zu betonen.<br />

In ihrer Offenheit der Form changieren die Freundinnen I- und<br />

Elisabeth II- Grafiken zwischen gegenständlichem Abbild und fast<br />

abstraktem Bild. Diese visuelle Ambivalenz von illusionistischer<br />

Darstellung auf der einen Seite und Eigenwertigkeit der bildnerischen<br />

Mittel auf der anderen Seite lässt die Konstruiertheit und<br />

Scheinhaftigkeit von Bildern der Massenmedien deutlich werden.<br />

Somit können Polkes und Richters Blätter als sinnliche Reflexionen<br />

der Wahrnehmungsbedingungen von gedruckten Fotografien aufgefasst<br />

werden. Dabei ist die künstlerisch eingesetzte Technik des<br />

Offsetverfahrens die Bedingung für das demonstrative Sichtbarwerden<br />

der jeweils spezifischen Rasterästhetik mit ihren großen Punkten<br />

oder mit dem Effekt des Moiré.<br />

Kurt Kranz Selbstportrait 1932 Hubertus Butin

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