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SEBASTIAN MEISE & THOMAS REIDER - OUTING

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Im Gespräch mit In conversation with Patrick Frottier<br />

haben, die ihre Neigung auch wirklich ausgelebt haben. Wir<br />

kennen nur die Täter. Unsere bisherigen wissenschaftlichen<br />

Studien basieren also auf Menschen, die ihre Pädosexualität<br />

ausgelebt haben, und wir werden sicher erstaunt sein, wenn<br />

wir plötzlich eine andere Gruppe interviewen.<br />

Hat diese Auseinandersetzung bis heute kaum stattgefunden,<br />

weil wir eine Barriere haben diese Menschen zu verstehen?<br />

Patrick Frottier: Heißt es wirklich, dass wir diese Menschen<br />

nicht verstehen können, oder heißt es, dass ein Tabu und<br />

daher innere Abwehrmechanismen bestehen, die es uns<br />

kaum oder nur schwer ermöglichen, in solche Fantasien<br />

einzutauchen?<br />

Die Tabuisierung hat zur Folge, dass auch heute noch die<br />

große Mehrheit der Fachleute für dieses Thema nur wenig Interesse<br />

hat. Auch in psychiatrischen und psychotherapeutischen<br />

Fachkreisen bleibt es, wenn möglich, ein Randthema,<br />

tiefergreifend wird es nur in speziellen forensischen Abteilungen<br />

und forensischen Fachkreisen diskutiert. So gibt es<br />

beispielsweise im Vergleich weitaus mehr wissenschaftliche<br />

Literatur über den Zusammenhang von psychischer Störung<br />

und Gewalt, Mord und Totschlag - das sind Grenzüberschreitungen,<br />

mit denen man sich leichter identifizieren kann.<br />

Das Tabu ist also tief verwurzelt, Wissenschaft sollte jedoch<br />

solche Grenzen ausloten, sich wertneutral dem Thema<br />

nähern, um die pädosexuelle Neigung besser zu verstehen,<br />

erklärbar zu machen - verstehen heißt ja nicht, dass es deshalb<br />

toleriert oder entschuldigt wird. Und nur, wenn wir die<br />

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inclinations without moralizing or judging them. Thus, one communicates<br />

to those people, “Let’s talk about it, and we will help<br />

you find a way to deal with your inclination without acting on<br />

it.” I believe the number of people in need of such help is much<br />

higher than we have suspected.* Possibly because in the past we<br />

focused only on those who had already lived out their inclination,<br />

we know only the perpetrators. Therefore, our previous scientific<br />

research was based on people who had acted out their pedosexuality<br />

– we will be astonished when we interview a different group.<br />

Has this discourse been suppressed because we have an<br />

inner barrier against understanding such people?<br />

Patrick Frottier: Does it mean we cannot understand these<br />

people, or that we have established a taboo, an inner resistance<br />

against pedophilia? That makes it very hard if not impossible<br />

for us to immerse ourselves in their fantasies.<br />

That taboo is also the reason why even today, the vast majority<br />

of experts are hardly interested in this subject. It remains<br />

marginalized even in psychiatric and psychotherapeutic expert<br />

circles. In-depth discussions take place only in special forensic<br />

departments and forensic expert circles. In comparison, there<br />

is far more scientific literature about the connection between<br />

mental disorders and violence, murder, or manslaughter. Those<br />

*Comment: According to estimates by the Charité Berlin,<br />

there are around 250.000 people with a pedophilic inclination<br />

in Germany alone.<br />

Ursachen der pädosexuellen Neigung verstehen, können wir<br />

Möglichkeiten entwickeln zu intervenieren und schädliche<br />

Konsequenzen verhindern. Letztendlich müssen wir uns mit<br />

dem Thema offen, im Sinne einer Hilfestellung, auseinandersetzen:<br />

wie können wir verhindern, dass jemand, der ein<br />

pädosexuelles Bedürfnis hat, dieses Bedürfnis auch auslebt.<br />

Das ist vorrangiges Ziel.<br />

In welcher Form könnte diese Hilfestellung erfolgen?<br />

Patrick Frottier: Das Wesentliche scheint mir, potentiellen<br />

Tätern mitzuteilen, dass wir ihre Neigung als Risiko sehen,<br />

dass wir bereit sind, uns mit ihnen auseinanderzusetzen<br />

und zu erklären, warum wir glauben, dass sie ein Risiko<br />

darstellen, um auf diese Weise eine gemeinsame Sprache<br />

zu finden.<br />

In meiner Arbeit mit pädosexuellen Straftätern wähle<br />

ich gerne folgenden Vergleich, anhand des Beispiels eines<br />

regelmäßig Zuspätkommenden. Stellen wir uns eine Gruppe<br />

gemeinsam arbeitender Menschen vor und einer davon<br />

kommt jeden Tag 20 Minuten zu spät zur Arbeit. Eines Tages<br />

entscheidet sich die Gruppe zu einer Wette, ob dieser am<br />

nächsten Tag wieder zu spät kommen wird. Die Wettverteilung<br />

ist einseitig für die Unpünktlichkeit. Wenn allerdings<br />

einer der Gruppe dem Zuspätkommenden mitteilt, dass auf<br />

sein Zuspätkommen gewettet wird, wird sich dessen Verhalten<br />

wahrscheinlich verändern.<br />

Das heißt, das Verhalten verändert sich bereits, wenn<br />

alle Beteiligten über die Einschätzung informiert sind.<br />

transgressions seem much easier to identify with. The taboo<br />

is deeply rooted; but science should investigate such limits,<br />

approach the subject unbiased, in order to better understand<br />

pedosexual inclinations and explain their cause. After all, understanding<br />

something doesn’t mean we have to tolerate it<br />

or excuse it. Only if we understand the causes of a pedosexual<br />

inclination, we can find ways to intervene and prevent harmful<br />

consequences. Ultimately, we have to address the subject<br />

openly, and confront it by offering our help and support. How<br />

can we prevent someone with a pedosexual need from acting<br />

it out? This is our main aim.<br />

How could one offer such support?<br />

Patrick Frottier: The important thing, I believe, is to let potential<br />

perpetrators know that we regard their inclination as a risk;<br />

that we are prepared to work with them and explain why we<br />

believe they pose a risk – to establish a dialogue.<br />

In my work with pedosexual offenders, I like to use the following<br />

analogy, the example of a habitual latecomer. Let’s<br />

picture a group of people who work together, and one of them<br />

arrives 20 minutes late for work every day. One day, the group<br />

decide to take bets whether that person will be late again the<br />

next day. Everybody bets on his being unpunctual. However,<br />

if any group member tells the latecomer about the bet, his<br />

behavior will probably change.<br />

That means, once all parties have been informed about<br />

an assumption, the behavior will change already. We should<br />

point out to people like Sven, “If you keep behaving like this,<br />

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