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Skript zur Vorlesung Analysis 1 im SS2011 - Johannes Gutenberg ...

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<strong>Skript</strong> <strong>zur</strong> <strong>Vorlesung</strong><br />

<strong>Analysis</strong> 1 <strong>im</strong> <strong>SS2011</strong><br />

Univ.–Prof. Dr. Stefan Müller-Stach<br />

Version 13. Juli 2011<br />

Zusammenfassung<br />

Diese <strong>Vorlesung</strong> ist grundlegend für das Mathematikstudium an der <strong>Johannes</strong><br />

<strong>Gutenberg</strong>–Universität Mainz. Ein <strong>Skript</strong> wie dieses ersetzt aber<br />

nicht die Erklärungen durch den Dozenten, die während der <strong>Vorlesung</strong> gegeben<br />

werden. Auch kann ein <strong>Skript</strong> niemals so gut sein wie ein ausgearbeitetes<br />

Buch, das darüber hinaus <strong>im</strong>mer andere Sichtweisen bietet. Insbesondere<br />

enthält es leider <strong>im</strong>mer Fehler, die man dem Autor melden sollte.<br />

1


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Die Sprache der Mathematik 3<br />

2 Mathematische Beweise 14<br />

3 Die rationalen und die reellen Zahlen 22<br />

4 Folgen und Grenzwerte 33<br />

5 Reihen und komplexe Zahlen 44<br />

6 Funktionen und Stetigkeit 58<br />

7 Differenzialrechnung 69<br />

8 Integralrechnung 83<br />

9 Taylor- und Fourierreihen 93<br />

2


1 Die Sprache der Mathematik<br />

Inhalt: §1 enthält eine Wiederholung von Grundbegriffen wie natürliche Zahlen,<br />

Mengen und logische Aussagen, Abbildungen und Relationen, sowie einige Konventionen<br />

<strong>zur</strong> Sprache der Mathematik. Ansonsten dient dieser Paragraph nur <strong>zur</strong><br />

Einführung.<br />

Um dieser <strong>Vorlesung</strong> folgen zu können braucht man eigentlich nur wenige Vorkenntnisse<br />

aus der Schule. Das Meiste wird neu aufgebaut. Wichtig ist aber die<br />

Bruchrechnung:<br />

2<br />

3 · 4<br />

5 = 2 · 4<br />

3 · 5 = 8 15 , a<br />

b · c<br />

d = ac<br />

bd ,<br />

1<br />

2 + 2 3 = 3 6 + 4 6 = 3 + 4<br />

6<br />

= 7 6 , a<br />

b + c d<br />

Mengen, Zeichen und logische Aussagen<br />

Mathematiker brauchen viele Buchstaben. Oft benutzt wird:<br />

ad + cb<br />

= .<br />

bd<br />

Das griechische Alphabet: (teilweise verschiedene kleine/große Versionen):<br />

α Alpha µ My<br />

β Beta ν Ny<br />

γ Γ Gamma ξ Ξ Xi<br />

δ ∆ Delta π Π Pi<br />

ε Epsilon ρ Rho<br />

ζ Zeta σ Σ Sigma<br />

η Eta ϕ Φ Phi<br />

ϑ Θ Theta τ Tau<br />

ι Iota χ Chi<br />

κ Kappa ψ Ψ Psi<br />

λ Λ Lambda ω Ω Omega<br />

Definition 1.1 (Mengen).<br />

Eine Menge M ist eine wohldefinierte Sammlung von Objekten, den Elementen<br />

der Menge M. Wir schreiben<br />

x ∈ M : x ist Element von M,<br />

x /∈ M : x ist nicht Element von M.<br />

Beispiele 1.2.<br />

• N = {1, 2, 3, 4, 5, 6, . . . } Menge der natürlichen Zahlen.<br />

• N 0 = {0, 1, 2, 3, . . . } Menge der natürlichen Zahlen mit der Null.<br />

3


• Z = {0, 1, −1, 2, −2, . . . } Menge der ganzen Zahlen.<br />

• Q ist die Menge der Brüche {0, ± 1, ±1, ± 2 , ...}, auch rationale Zahlen genannt.<br />

2 3<br />

• Menge aller Studenten in Mainz (∼ 35.100).<br />

• Menge aller Atome auf der Erde (∼ 10 50 ).<br />

• Menge der Atome <strong>im</strong> Weltall (∼ 10 80 ).<br />

• Q + = Q ≥0 = {x ∈ Q | x ≥ 0}, Q >0 = {x ∈ Q | x > 0}. Ebenso<br />

R + = R ≥0 und R >0 .<br />

• Intervalle [a, b] = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} (abgeschlossen), ]a, b[= (a, b) =<br />

{x ∈ R | a < x < b} (offen), [a, b[= [a, b) und ]a, b] = (a, b] (halboffen).<br />

• Die leere Menge ∅ = {}, die kein Element enthält.<br />

Bemerkung 1.3. Vorsicht: Nicht jede abstrakte Sammlung von Objekten ist eine<br />

Menge, z.B. gibt es nicht eine Menge M aller Mengen, die sich selbst nicht als<br />

Element enthalten (oder den Barbier, der genau die Männer rasiert, die sich nicht<br />

selbst rasieren). Dies ist die sogenannte Russellsche Antinomie. Die Zermelo–<br />

Fraenkel Axiome der Mengenlehre sorgen dafür, dass man solche Mengen nicht<br />

bilden darf. Für jede Menge M ist aber nach den Axiomen {x ∈ M | A(x) wahr}<br />

wieder eine Menge, falls A(x) eine logische Aussage ist (siehe unten). Insbesondere<br />

gibt es keine Menge aller Mengen U, denn sonst könnte man die Russelsche<br />

Antinomie mit der Menge M = {x ∈ U | x /∈ x} realisieren. Es gibt aber die<br />

sog. Kategorie der Mengen.<br />

Definition 1.4 (Summen- und Produktzeichen).<br />

Später werden wir viele Mengen kennenlernen, auf denen man (assoziativ) addieren<br />

(oder multiplizieren) kann, z.B. 1 + 2 = 3 in N usw. Das Summenzeichen wird<br />

als Abkürzung für mehrfaches Addieren eingeführt: Sind a 1 , a 2 , . . . , a n Elemente,<br />

so ist<br />

a 1 + a 2 + · · · + a n =:<br />

n∑<br />

a i (Definition von ∑ )<br />

i=1<br />

= ∑ i∈I<br />

a i ,<br />

I = {1, . . . , n}.<br />

Hier kann man auch eine beliebige Indexmenge I zulassen, sofern die Summe<br />

dann definiert ist. Das endliche bzw. unendliche Produkt wird mit a 1 · a 2 · · · a n =<br />

4


∏ n<br />

i=1 bzw. ∏ i∈I a i bezeichnet. Nach Konvention ist<br />

∑<br />

= 0,<br />

∅<br />

∏<br />

= 1.<br />

∅<br />

Definition 1.5 (Sinnvolle Abkürzungen).<br />

• ∀: für alle<br />

• ∃: es existiert<br />

• ∃!: es existiert genau ein<br />

• ∄: es existiert kein<br />

Definition 1.6. (Logische Aussagen) Eine logische Aussage ist eine Äußerung,<br />

die ohne Zweifel entweder wahr oder falsch ist:<br />

• ,,Heute ist Mittwoch”.<br />

• ,,2 > 1”.<br />

• ,, √ 2 ∈ Q”.<br />

• ab = 0 ⇐⇒ a = 0 ∨ b = 0.<br />

• ∃x ∈ A mit x > 0.<br />

• ∀ y ∈ M gilt y 2 ≥ 0.<br />

Die erste Aussage ,,Heute ist Mittwoch” hängt allerdings vom jeweiligen Wochentag<br />

ab. ,,Mathematik ist schwer” ist z.B. keine wohldefinierte Aussage. In der<br />

Regel betrachten wir nur Aussagen, die in der genauen Sprache der Mathematik<br />

formuliert sind.<br />

Definition 1.7 (Logische Verknüpfungen). A, B seien Aussagen.<br />

• A =⇒ B: aus A folgt B<br />

• A ⇐⇒ B: A genau dann, wenn B<br />

• A ∨ B: A oder B<br />

• A ∧ B: A und B<br />

• ¬ A: Nicht A (NEGATION)<br />

5


Die Wahrheit einer Aussage A(p, q, . . .), die von mehreren Variablen abhängt,<br />

auch Prädikat genannt, kann man durch eine Wahrheitstafel überprüfen:<br />

p q ¬p p ∨ q p ∧ q p ⇒ q p ⇐⇒ q<br />

w w f w w w w<br />

w f f w f f f<br />

f w w w f w f<br />

f f w f f w w<br />

Mit Wahrheitstafeln kann man folgende Behauptungen verifizieren:<br />

Satz 1.8 (Logische Aussagen).<br />

1. A ∨ ¬A (Tautologie).<br />

2. ¬¬A ⇐⇒ A.<br />

3. A ∧ B ⇐⇒ B ∧ A, A ∨ B ⇐⇒ B ∨ A.<br />

4. (A ∧ B) ∧ C ⇐⇒ A ∧ (B ∧ C), (A ∨ B) ∨ C ⇐⇒ A ∨ (B ∨ C).<br />

5. A ∧ (B ∨ C) ⇐⇒ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C).<br />

6. ¬(A ∧ B) ⇐⇒ (¬A ∨ ¬B).<br />

7. ¬(A ∨ B) ⇐⇒ (¬A ∧ ¬B).<br />

8. A ∧ (A ⇒ B) ⇒ B (Modus Ponens).<br />

9. (A ⇒ B) ∧ ¬B ⇒ ¬A (Modus Tollens).<br />

10. (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ C) ⇒ (A ⇒ C) (Modus Barbara oder Kettenschluss).<br />

Beweis. Wird mit Wahrheitstafeln geführt. Z.B. be<strong>im</strong> Modus Ponens:<br />

A B A ⇒ B A ∧ (A ⇒ B) A ∧ (A ⇒ B) ⇒ B<br />

w w w w w<br />

w f f f w<br />

f w w f w<br />

f f w f w<br />

6


Definition 1.9 (Teilmengen).<br />

Seien A, B Mengen.<br />

A ⊆ B ⇐⇒ jedes Element von A ist auch Element von B.<br />

⇐⇒ ∀ x ∈ A gilt x ∈ B.<br />

Bemerkung 1.10. Gleichheit ist dabei eingeschlossen. Man kann auch ⊂ statt ⊆<br />

schreiben. Für eine echte Inklusion schreibt man<br />

A B ⇐⇒ (A ⊆ B) ∧ (∃ b ∈ B mit b /∈ A).<br />

Es gilt A = B ⇐⇒ A ⊆ B ∧ B ⊆ A.<br />

Beispiele 1.11. ∅ N Z R C usw. Die Zahlmengen R (reelle Zahlen), C<br />

(komplexe Zahlen) werden in der <strong>Vorlesung</strong> später eingeführt.<br />

Logische Aussagen braucht man, um Teilmengen auszuzeichnen: Ist A eine Aussage<br />

und M eine Menge, so ist<br />

{x ∈ M | A(x) wahr } ⊆ M<br />

eine Teilmenge. Zum Beispiel: N = {m ∈ Z | m ≥ 1} ⊆ Z.<br />

Definition 1.12 (Kardinalität oder Mächtigkeit).<br />

#M = |M| = card(M) ist die Anzahl der Elemente von M, falls diese Anzahl<br />

endlich ist.<br />

Beispiele 1.13. Die Menge der Wochentage {Mo, Di, Mi, . . . , So} hat die Kardinalität<br />

7. Die leere Menge hat die Kardinalität 0.<br />

Definition 1.14 (Mengenoperationen). Seien A, B Mengen.<br />

• A und B sind disjunkt, falls A und B keine gemeinsamen Elemente besitzen.<br />

• Potenzmenge P (A) = {B | B ⊆ A Teilmenge}, #P (A) = 2 #A , falls<br />

endlich.<br />

• Vereinigungsmenge A ∪ B = {x | x ∈ A ∨ x ∈ B}.<br />

• Durchschnitt A ∩ B = {x | x ∈ A ∧ x ∈ B}.<br />

• Differenz A \ B = {x ∈ A | x /∈ B}.<br />

• Symmetrische Differenz A∆B = (A \ B) ∪ (B \ A).<br />

7


• Komplement ∁A = X \ A, für eine Teilmenge A ⊆ X. Es gilt A = ∁∁A.<br />

Von all diesen Situationen kann man sich typische grafische Bilder (Venndiagramme)<br />

machen.<br />

Bemerkung 1.15. A, B disjunkt ⇐⇒ A ∩ B = ∅.<br />

Satz 1.16 (Rechenregeln). Seien A, B und C Mengen.<br />

• Kommutativgesetz A ∪ B = B ∪ A, A ∩ B = B ∩ A.<br />

• Assoziativgesetz (A∪B)∪C = A∪(B∪C) oder (A∩B)∩C = A∩(B∩C).<br />

• Distributivgesetz A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C).<br />

Beweis. Dies folgt aus den entsprechenden Aussagen 3., 4. und 5. in Satz 1.8.<br />

Bemerkung 1.17. Man kann Durchschnitte und Vereinigungen auch mehrfach,<br />

sogar unendlich oft bilden: ⋃<br />

B j .<br />

Es gelten die gleichen Rechenregeln.<br />

Abbildungen, Funktionen<br />

i∈I<br />

A i , ⋂ j∈J<br />

Definition 1.18 (Abbildungen).<br />

A, B seien Mengen. Ein Abbildung f (oder Funktion) ist eine Zuordnung<br />

f : A → B,<br />

x ↦→ f(x),<br />

die jedem x ∈ A genau ein Element f(x) ∈ B zuordnet.<br />

Notation 1.19.<br />

f(x) ist der Funktionswert von f an der Stelle x.<br />

A heißt Definitionsbereich, B Wertemenge oder Zielmenge von f.<br />

f(A) = {b ∈ B | ∃ x ∈ A f(x) = b} heißt Bild von f.<br />

Definition 1.20 (Urbild).<br />

Sei Z ⊆ B eine Teilmenge. Dann ist f −1 (Z) = {a ∈ A | f(a) ∈ Z} das Urbild<br />

von Z.<br />

Definition 1.21. Eine Abbildung f : A → B ist<br />

(a) injektiv genau dann, wenn<br />

x ≠ y ⇒ f(x) ≠ f(y).<br />

Mit anderen Worten: f trennt Punkte von A!<br />

8


(b) surjektiv genau dann, wenn<br />

Mit anderen Worten: f deckt B ab.<br />

∀ b ∈ B ∃ a ∈ A mit f(a) = b.<br />

(c) bijektiv ⇐⇒ f injektiv ∧f surjektiv.<br />

Mit anderen Worten: A und B sind nicht unterscheidbar.<br />

Beispiele 1.22. Die identische Abbildung: id M : M → M, x ↦→ x, ist bijektiv.<br />

f : R → R, x ↦→ f(x) = x 3 , ist bijektiv.<br />

exp: R → R, x ↦→ e x , ist injektiv, aber nicht surjektiv.<br />

f : R → R + , x ↦→ x 2 , ist surjektiv, aber nicht injektiv.<br />

Definition 1.23 (Komposition von Abbildungen).<br />

Seien Abbildungen f : A → B und g : B → C gegeben. Man definiert dann:<br />

g ◦ f : A → C, (g ◦ f)(a) := g ( f(a) ) ∈ C.<br />

Man sieht dann leicht (siehe Aufgaben): Sind f, g injektiv (surjektiv, bijektiv), so<br />

ist auch g ◦ f injektiv (surjektiv, bijektiv). Ist g ◦ f surjektiv, so ist g surjektiv. Ist<br />

g ◦ f injektiv, so ist f injektiv.<br />

Definition 1.24 (Umkehrabbildung).<br />

Sei f : A → B eine bijektive Abbildung. Eine bijektive Abbildung g : B → A<br />

heißt Umkehrabbildung, falls f ◦ g = id B , g ◦ f = id A . Man schreibt auch<br />

g = f −1 .<br />

Man konstruiert f −1 , indem man wegen der Bijektivität von f für jedes b ∈ B<br />

genau ein a ∈ A mit f(a) = b findet.<br />

Relationen und kartesisches Produkt<br />

Definition 1.25 (Kartesisches Produkt). Seien A, B Mengen. Das Kartesische<br />

Produkt ist die Menge<br />

A × B := {(a, b) | a ∈ A, b ∈ B}<br />

aller Paare (a, b) für a ∈ A und b ∈ B. Zwei Paare (a, b) und (c, d) sind dabei<br />

genau dann gleich, falls a = c und b = d gilt. Paare heißen auch 2er-Tupel oder<br />

2–Tupel.<br />

Beispiel 1.26 (Graph einer Abbildung).<br />

Der Graph einer Abbildung f : A → B ist die Teilmenge<br />

Γ f := {(a, b) | b = f(a), a ∈ A} ⊆ A × B.<br />

9


Definition 1.27 (Tupel, i.e., Verallgemeinerungen von Paaren). Seien A 1 , ..., A n<br />

Mengen. Ein n–Tupel (a 1 , . . . , a n ) ist eine Abbildung<br />

f : {1, . . . , n} → ∪A i<br />

mit f(i) = a i ∈ A i . Die Menge der n–Tupel wird mit A 1 × · · · × A n bezeichnet<br />

(kartesisches n–faches Produkt). Sei allgemeiner I eine Menge und für jedes i ∈ I<br />

eine Menge A i gegeben. Ein I–Tupel<br />

(a i ) i∈I ∈ ∏ i∈I<br />

A i<br />

ist eine Abbildung f : I → ⋃ i∈I A i mit f(i) = a i ∈ A i . Es gibt Projektionsabbildungen<br />

pr j : ∏ i∈I A i → A j , (a i ) ↦→ a j . Ist A i = A für alle i, so schreibt man<br />

auch A I für das Produkt.<br />

Axiom 1.28 (Auswahlaxiom, Axiom of Choice).<br />

Sind alle A i ≠ ∅, so auch ∏ i∈I A i ≠ ∅.<br />

Dieses Axiom ist unabhängig von den restlichen Zermelo–Fraenkel–Axiomen. Es<br />

kann benutzt werden, um gleichzeitig aus unendlich vielen Mengen jeweils ein<br />

Element zu wählen.<br />

Definition 1.29 (Relation). Eine Relation R zwischen zwei Mengen A und B ist<br />

eine Teilmenge R ⊆ A × B.<br />

Man denkt sich: (a, b) ∈ R ⇐⇒ a und b sind in Relation. Jede Abbildung<br />

f : A → B definiert eine Relation Γ f .<br />

Definition 1.30 (Äquivalenzrelation). Im Fall A = B definieren wir:<br />

R ist symmetrisch, falls (a, b) ∈ R ⇐⇒ (b, a) ∈ R.<br />

R ist transitiv, falls (a, b) ∈ R ∧ (b, c) ∈ R ⇒ (a, c) ∈ R.<br />

R ist reflexiv, falls (a, a) ∈ R ∀ a.<br />

Sind alle drei Eigenschaften erfüllt, so spricht man von einer Äquivalenzrelation.<br />

Notation 1.31. Wir schreiben a ∼ R b oder einfach a ∼ b, wenn (a, b) ∈ R, sofern<br />

R eine Äquivalenzrelation ist.<br />

Beispiel 1.32. A = Menge aller Studenten in diesem Hörsaal, (a, b) ∈ R ⊆ A ×<br />

A ⇐⇒ a, b haben am selben Tag Geburtstag.<br />

Definition 1.33 (Äquivalenzklassen).<br />

Ist a in A, so setze [a] := {b ∈ A | (a, b) ∈ R}.<br />

10


Aufgaben<br />

Aufgabe 1. Schreiben Sie die folgenden Ausdrücke mit den Boolschen Rechenzeichen,<br />

die in der <strong>Vorlesung</strong> eingeführt wurden, und vereinfachen Sie !<br />

a) (A oder B) oder (C oder nicht A)<br />

b) (A oder B) und (nicht C und B).<br />

Aufgabe 2. Ist die folgende Aussage wahr, falls Silke, Sandra und Stefanie unterschiedlich<br />

groß sind<br />

Wenn Stefanie nicht größer als Sandra und Silke ist, dann ist entweder Silke kleiner<br />

als Sandra und Sandra größer als Stefanie und Stefanie kleiner als Silke, oder<br />

Silke größer als Stefanie und Stefanie kleiner als Sandra und Sandra kleiner als<br />

Silke.<br />

Aufgabe 3. Sei M := {1, 2} und N := {2, 3, 4}.<br />

Welche der folgenden Aussagen sind richtig<br />

a) M ⊆ N b) N ⊆ M c) M = N d) M ≠ N e) {2, 4} ⊆ N<br />

f) 3 ∈ M ∩ N g) 4 ∈ N ∪ M h) {2, {3, 4}} ⊆ N.<br />

Aufgabe 4. Beweisen Sie mit einer Wahrheitstafel ¬ A ∧ ¬ B ⇐⇒ ¬ (A ∨ B)<br />

sowie ¬ A ∨ ¬ B ⇐⇒ ¬ (A ∧ B).<br />

Aufgabe 5. Sei A NOR B:=¬A ∧ ¬B.<br />

(a) Beweisen Sie mit Wahrheitstafeln ¬A ⇐⇒ A NOR A.<br />

(b) Beweisen Sie mit Wahrheitstafeln A ∧ B ⇐⇒ (A NOR A) NOR (B NOR<br />

B).<br />

(c) Drücken Sie auch A ∨ B nur mit Hilfe von NOR aus (mit Beweis).<br />

(d) Zeigen Sie damit, dass die Verknüpfungen ¬, ∨ und ∧ alleine durch NOR<br />

ausgedrückt werden können.<br />

Aufgabe 6. Seien A, B, C ⊆ X. Beweisen Sie:<br />

(a) (X \ A) ∩ (X \ B) = X \ (A ∪ B).<br />

(b) A × (B \ C) = (A × B) \ (A × C).<br />

(c) A ∩ B ⊆ A ∩ (B ∪ C).<br />

(d) C \ (A ∩ B) = (C \ A) ∪ (C \ B).<br />

Aufgabe 7. Berechnen Sie P (P (P (∅))) (iterierte Potenzmenge).<br />

Aufgabe 8. Seien f : A → B und g : B → C bijektiv. Zeigen Sie, dass g ◦ f<br />

bijektiv ist und (g ◦ f) −1 = f −1 ◦ g −1 gilt.<br />

Aufgabe 9. Ist M eine Menge, dann ist {0, 1} M die Menge aller Abbildungen f :<br />

M → {0, 1}. Konstruieren Sie eine bijektive Abbildung h : {0, 1} M → P (M).<br />

11


Aufgabe 10. Welche der folgenden Abbildungen in (a), (b), (c) sind injektiv, surjektiv<br />

oder bijektiv <br />

(a) f : N → N, n ↦→ n 2 .<br />

(b) f : R → R, x ↦→ |x| + x.<br />

(c) f : R + → R + , x ↦→ 1 .<br />

1+x 2<br />

(d) Gibt es eine bijektive Abbildung f : N 0 → N <br />

Aufgabe 11. Es seien A, B endliche Mengen, f : A → B eine Abbildung. Welche<br />

der folgenden Aussagen sind richtig Begründen Sie, warum die wahren Aussagen<br />

richtig sind.<br />

1. Falls f nicht surjektiv, dann ist f injektiv.<br />

2. Falls f surjektiv, dann ist f injektiv.<br />

3. Falls f nicht injektiv, dann ist f surjektiv.<br />

4. Falls f surjektiv, dann gibt es A ′ ⊆ A mit f| A ′ : A ′ → B bijektiv.<br />

Aufgabe 12. Best<strong>im</strong>men Sie alle Äquivalenzrelationen auf der Menge M = {a, b, c}.<br />

Hinweis: Best<strong>im</strong>men Sie zuerst die Produktmenge M × M.<br />

Aufgabe 13. Schreiben Sie folgende Ausdrücke mit Summen - oder Produktzeichen<br />

(nicht ausrechnen!):<br />

a) 1 + 2 + 3 + . . . + n b) 1 + 4 + 9 + 16 + 25 + . . . + 256<br />

c) 1 + 3 + 5 + 7 + 9 + . . . + 199 d) 3 · 6 · 9 · 12 · 15 · . . . · 300.<br />

Aufgabe 14. Seien M und N zwei Mengen.<br />

1. Zeigen Sie: Falls M und N endlich und M und N von gleicher Kardinalität<br />

sind, dann ist jede injektive Abbildung f bijektiv. Zeige, daß auch jede<br />

surjektive Abbildung f bereits bijektiv ist.<br />

2. Zeigen Sie: Es existiert eine Umkehrabbildung g : N → M mit g◦f = id M<br />

und f ◦ g = id N genau dann, wenn f bijektiv ist.<br />

Aufgabe 15. Es sei f : M → N eine Abbildung und U 1 , U 2 , U ⊆ M und<br />

V 1 , V 2 , V ⊆ N. Es bezeichne f −1 (V ) das Urbild von V unter f, d.h. f −1 (V ) =<br />

{m ∈ M : f(m) ∈ V }.<br />

1. Zeigen Sie, falls U 1 ⊆ U 2 , dann gilt f(U 1 ) ⊆ f(U 2 ).<br />

2. Zeigen Sie, falls V 1 ⊆ V 2 , dann gilt f −1 (V 1 ) ⊆ f −1 (V 2 ).<br />

12


3. Zeigen Sie, f(f −1 (V )) ⊆ V und geben Sie ein Beispiel für f(f −1 (V )) ≠ V<br />

an.<br />

4. Zeigen Sie, U ⊆ f −1 (f(U)) und geben Sie ein Beispiel an, für das U ≠<br />

f −1 (f(U)) (also U echte Teilmenge von f −1 (f(U))) gilt.<br />

Aufgabe 16. Entscheiden Sie, ob folgende Relationen Äquivalenzrelationen sind<br />

(mit Begründung!). Falls ja, was sind die Äquivalenzklassen Ist die Anzahl der<br />

Äquivalenzklassen endlich Falls ja, wieviele Äquivalenzklassen gibt es<br />

1. Auf den natürlichen Zahlen sei die Relation x ∼ y ⇔ 7 teilt x − y erklärt.<br />

2. Auf den reellen Zahlen sei die Relation x ∼ y ⇔ x − y = m ∈ Z, 7 teilt m<br />

erklärt.<br />

3. Zwei Studenten in Mainz heißen äquivalent, wenn sie <strong>im</strong> gleichen Fachbereich<br />

eingeschrieben sind. Untersuchen Sie die zwei Möglichkeiten, wenn<br />

es a) möglich ist, dass ein Student in zwei verschiedenen Fachbereichen<br />

eingeschrieben ist oder b) jeder Student in genau einem Fachbereich eingeschrieben<br />

ist.<br />

Aufgabe 17. Konstruieren Sie eine bijektive Abbildung f : [0, 2] →]0, 1[ mit dem<br />

Satz von Schröder-Bernstein.<br />

13


2 Mathematische Beweise<br />

Inhalt: Mathematische Beweise, Peanoaxiome, Vollständige Induktion, Binomialkoeffizienten,<br />

symmetrische Gruppe der Permutationen.<br />

Der klassische Beweis<br />

Bei diesem Beweis werden logische Argumente nacheinander benutzt bis die gesuchte<br />

Aussage bewiesen ist. Ein Beispiel:<br />

Satz 2.1. Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf A. Dann teilen die Äquivalenzklassen<br />

[a] die Menge A in disjunkte Teile auf, d.h. bildet eine Partition von A. Es gibt eine<br />

Menge A/ ∼, die jede Äquivalenzklasse genau einmal als Element enthält.<br />

Beweis. Es gilt [a] = {c | a ∼ c} = {c | c ∼ a} wegen der Symmetrie von ∼.<br />

Seien nun a, b ∈ A. Dann gilt entweder [a] ∩ [b] = ∅ oder es gibt ein d ∈ A mit<br />

d ∈ [a] und d ∈ [b]. In diesem Fall zeigen wir, dass [a] = [b] gilt. Dazu muss man<br />

beide Inklusionen zeigen:<br />

[a] ⊆ [b]: Ist c ∈ [a], so gilt c ∼ a. Wegen a ∼ d, d ∼ b folgt also c ∼ a ∼ d ∼ b<br />

und damit wegen Transitivität c ∼ b, also c ∈ [b].<br />

[b] ⊆ [a]: Ist c ∈ [b], so gilt c ∼ b. Wegen b ∼ d, d ∼ a folgt also c ∼ b ∼ d ∼ a<br />

und damit wegen Transitivität c ∼ a, also c ∈ [a].<br />

Wegen a ∈ [a] (Reflexivität) für jedes a folgt auch A = ⋃ a∈A<br />

[a]. Konstruiere<br />

A/ ∼ als Teilmenge der Potenzmenge wie folgt:<br />

A/ ∼:= {V ∈ P (A) | ∃a ∈ A : V = [a]}.<br />

Satz 2.2 (Euklid). Alle natürlichen Zahlen n ≥ 2 lassen sich als Produkt von<br />

Pr<strong>im</strong>zahlen schreiben, oder sind selbst pr<strong>im</strong>:<br />

n = p 1 · · · p l .<br />

Beweis. Sei n nicht pr<strong>im</strong>. Dann hat n einen echten Pr<strong>im</strong>teiler p 1 mit n/p 1 ≥ 2.<br />

Dann ist n/p 1 pr<strong>im</strong> oder besitzt einen echten Pr<strong>im</strong>teiler p 2 . Fährt man so fort, so<br />

bekommt man eine aufsteigende Kette von Teilern von n<br />

2 ≤ p 1 < p 1 p 2 < ...,<br />

die nach l < n Schritten mit p 1 · · · p l aufhören muss, da die Teiler strikt aufsteigend<br />

sind. Dann muss aber auch n = p 1 · · · p l gelten, da sonst n/p 1 · · · p l ≥ 2<br />

noch einen Pr<strong>im</strong>teiler hätte.<br />

Diesen Satz kann man auch mit Induktion beweisen (siehe unten).<br />

14


Der Widerspruchsbeweis<br />

Bei dieser beliebten, aber sehr inkonstruktiven Variante wird vom Gegenteil der<br />

Aussage ausgegangen, und so lange argumentiert, bis sich ein Widerspruch ergibt:<br />

Satz 2.3. √ 2 /∈ Q.<br />

Beweis. Angenommen, √ 2 ∈ Q. Dann schreibe<br />

√ p 2 = , p, q ∈ N,<br />

q<br />

wobei p und q teilerfremd sind. Somit gilt<br />

2q 2 = p 2 .<br />

Also ist p gerade, da p 2 gerade ist. Es gilt also p = 2m. Aus 2q 2 = p 2 = 4m 2<br />

folgt dann q 2 = 2m 2 , und damit, dass auch q gerade ist. Also haben p und q den<br />

gemeinsamen Teiler 2. Widerspruch!<br />

Satz 2.4 (Euklid). Es gibt unendlich viele Pr<strong>im</strong>zahlen.<br />

Beweis. Angenommen p 1 < p 2 < ... < p l seien alle Pr<strong>im</strong>zahlen. Bilde die Zahl<br />

N =<br />

l∏<br />

p i + 1.<br />

i=1<br />

Entweder ist N pr<strong>im</strong> oder es gibt einen Pr<strong>im</strong>faktor p, der N teilt. Dieses p ist<br />

aber verschieden von allen p i . Daher hat man einen neuen Pr<strong>im</strong>faktor gefunden.<br />

Widerspruch!<br />

Vollständige Induktion<br />

Ein Modell der natürlichen Zahlen N 0 = {0, 1, 2, 3, . . . } setzen wir als gegeben<br />

voraus, ebenso einfache Arithmetik. Man kann diese z.B. realisieren durch<br />

0 = ∅, 1 = {0} = {∅}, 2 = {0, 1} = {∅, {∅}}, . . . , n = {0, 1, . . . , n − 1}, . . .<br />

Axiom 2.5. (Peano) Die natürlichen Zahlen enthalten ein Anfangselement 0 und<br />

für jedes n ∈ N 0 einen Nachfolger S(n) := n + 1. Damit gilt: Ist A ⊆ N 0 eine<br />

Teilmenge mit folgenden Eigenschaften:<br />

• 0 ∈ A,<br />

• n ∈ A ⇒ S(n) ∈ A.<br />

15


Dann gilt A = N 0 .<br />

Es sollen nun (logische) Aussagen A(n) bewiesen werden für alle n ∈ N 0 oder<br />

allgemeiner für alle n ≥ n 0 , wobei n 0 eine fest vorgegebene Zahl ∈ N 0 ist. Dazu<br />

betrachtet man die Menge<br />

A := {n ∈ N 0 | A(n) wahr }.<br />

Hieraus folgt mit dem Peanoaxiom das Prinzip der vollständigen Induktion:<br />

Induktionsanfang: A(0) ist wahr, d.h. 0 ∈ A.<br />

Induktionsschritt: Für jedes beliebige n ≥ 0 gilt: Falls A(n) wahr ist (Induktionsvoraussetzung),<br />

so ist auch A(n + 1) wahr.<br />

Dann ist A(n) wahr für alle n ∈ N 0 , d.h. A = N 0 .<br />

Statt 0 kann man auch ein beliebiges n 0 ∈ N 0 als Anfangselement betrachten.<br />

Satz 2.6. Sei 0 ≤ k ≤ n. Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-<br />

elementigen Menge M = {a 1 , . . . , a n } ist<br />

( n<br />

k)<br />

=<br />

n(n − 1) · · · (n − k + 1)<br />

1 · 2 · · · k<br />

wobei m! = 1 · 2 · · · m für m ∈ N und 0! = 1.<br />

Beachte 2.7. ( n<br />

k)<br />

:= 0 für k < 0 oder k > n.<br />

Im Beweis benutzt man:<br />

Lemma 2.8. ( n<br />

=<br />

k)<br />

Beweis.<br />

( ) n − 1<br />

+<br />

k − 1<br />

=<br />

( ) n − 1<br />

=<br />

k<br />

( ) n − 1<br />

+<br />

k − 1<br />

k(n − 1)! + (n − k)(n − 1)!<br />

k!(n − k)!<br />

=<br />

( ) n − 1<br />

k<br />

n!<br />

k!(n − k)! ,<br />

(n − 1)!<br />

(k − 1)!(n − k)! + (n − 1)!<br />

k!(n − k − 1)!<br />

=<br />

( )<br />

n! n<br />

k!(n − k)! = .<br />

k<br />

Diese Zahlen treten <strong>im</strong> Pascalschen Dreieck auf.<br />

16


Beweis (Satz). Induktion über n mit n 0 = 0.<br />

Induktionsanfang: n = 0, d.h. A = ∅. Dann ist n = k = 0, uns ∅ hat nur die<br />

Teilmenge ∅ und es gilt ( 0<br />

0)<br />

= 1.<br />

Induktionsvoraussetzung: Die Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen<br />

Menge M = {a 1 , . . . , a n } ist ( n<br />

k)<br />

für alle 0 ≤ k ≤ n.<br />

Induktionschritt: Sei M = {a 1 , . . . , a n+1 } eine (n + 1)-elementige Menge. Nach<br />

Voraussetzung st<strong>im</strong>mt die Behauptung für M ′ = {a 1 , . . . , a n }. Sei Z ⊆ M eine<br />

k-elementige Teilmenge.<br />

1. Fall Z ⊆ M ′ , d.h. a n+1 /∈ Z. Dann hat man nach Induktionsvoraussetzung ( )<br />

n<br />

k<br />

solcher Mengen.<br />

2. Fall a n+1 ∈ Z. Sei Z ′ = Z \{a n+1 }. Dann ist Z ′ ⊆ M ′ eine (k −1)-elementige<br />

Menge. Also gibt es ( n<br />

k−1)<br />

solche Mengen nach Induktionsvoraussetzung.<br />

Nach dem Lemma hat man daher insgesamt ( ) (<br />

n<br />

k + n<br />

) (<br />

k−1 = n+1<br />

)<br />

k solcher Mengen.<br />

Weitere Beispiele:<br />

Satz 2.9. Für n ∈ N gilt:<br />

1 + 2 + 3 + · · · + n =<br />

n∑<br />

k =<br />

k=1<br />

n(n + 1)<br />

.<br />

2<br />

Beweis. Induktion über n mit n 0 = 1.<br />

Induktionsanfang n 0 = 1: 1 = 1(1+1) .<br />

2<br />

Induktionsvoraussetzung: 1 + 2 + 3 + · · · + n = n(n+1) .<br />

2<br />

Induktionsschritt:<br />

1 + 2 + · · · + n + (n + 1) =<br />

=<br />

=<br />

n(n + 1)<br />

+ n + 1<br />

2<br />

n(n + 1) + 2(n + 1)<br />

2<br />

(n + 1)(n + 2)<br />

.<br />

2<br />

Beweis. [Alternativer Beweis (Gauß)]<br />

2(1 + 2 + · · · + n) = (1 + · · · + n) +<br />

= n(n + 1).<br />

(<br />

)<br />

n + (n − 1) + · · · + 1<br />

17


Satz 2.10. Für n ∈ N gilt:<br />

Beweis. Induktionsanfang:<br />

1 + 3 + 5 + · · · + (2n − 1) =<br />

n∑<br />

(2k − 1) = n 2<br />

k=1<br />

n 0 = 1 : 2 · 1 − 1 = 1 = 1 2 .<br />

Induktionsvoraussetzung: ∑ n<br />

k=1 (2k − 1) = n2 .<br />

Induktionsschritt:<br />

∑n+1<br />

(2k − 1) = n 2 + 2(n + 1) − 1<br />

k=1<br />

= n 2 + 2n + 1<br />

= (n + 1) 2 .<br />

Auch in diesem Fall gibt es einen direkten Beweis, indem man das Quadrat mit<br />

Seitenlänge n mit ,,Haken” ausfüllt.<br />

Weitere solcher Formeln:<br />

n∑<br />

k 2 =<br />

k=1<br />

n∑<br />

k=1<br />

n(n + 1)(2n + 1)<br />

6<br />

k 3 = n2 (n + 1) 2<br />

.<br />

4<br />

Mit vollständiger Induktion werden auch die Binomischen Formeln bewiesen:<br />

n∑<br />

( n<br />

x<br />

k)<br />

n−k y k = (x + y) n<br />

für alle x, y ∈ R, n ∈ N.<br />

k=0<br />

Definition 2.11. Eine Permutation von n Elementen ist eine bijektive Abbildung<br />

σ : {1, 2, . . . , n} → {1, 2, . . . , n}.<br />

Hier kann {1, . . . , n} durch zwei Mengen M, N mit |M| = |N| = n ersetzt<br />

werden.<br />

18


Satz 2.12. Die Anzahl der Permutationen einer n-elementigen Menge {1, . . . , n}<br />

ist n!. Allgemeiner ist die Kardinalität der bijektiven Abbildungen σ : M → N<br />

mit |M| = |N| = n auch n!.<br />

Beweis. Induktion über n.<br />

Induktionsanfang n 0 = 1: M = {1} hat nur eine Permutation 1 ↦→ 1.<br />

Induktionsvoraussetzung: (etwas allgemeiner) Die Anzahl der bijektiven Abbildungen<br />

σ : M → N ist n!, falls |M| = |N| = n.<br />

Induktionsschritt: Teile alle Bijektionen so auf:<br />

P 1 = {σ | σ(n + 1) = 1}<br />

P 2 = {σ | σ(n + 1) = 2}<br />

.<br />

P n+1 = {σ | σ(n + 1) = n + 1}<br />

In P 1 bildet σ die Zahlen 1, . . . , n bijektiv auf {2, . . . , n + 1} ab. Davon gibt es<br />

n! Stück nach Induktionsvoraussetzung. Ebenso für P 2 , . . . , P n+1 . Also gibt es<br />

insgesamt (n + 1) · n! = (n + 1)! Permutationen.<br />

Definition 2.13. Σ n (oder auch S n ) ist die Menge alle Permutationen von n Elementen,<br />

die sogenannte symmetrische Gruppe. Sie hat n! viele Elemente.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 18. Beweisen Sie: Das Produkt n(n + 1)(n + 2) dreier aufeinanderfolgender<br />

Zahlen ist durch 6 teilbar.<br />

Aufgabe 19. Beweisen Sie die binomische Formel ∑ n<br />

( n<br />

)<br />

k=0 k x n−k y k = (x + y) n<br />

mit vollständiger Induktion für alle n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 20. Beweisen Sie die Formel ∑ n<br />

k=1 k3 = n2 (n+1) 2<br />

4<br />

mit vollständiger Induktion<br />

für alle n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 21. Die Fibonaccizahlenfolge 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ... ist definiert durch<br />

a 0 = 0, a 1 = 1 sowie die Vorschrift a n+2 = a n + a n+1 . Beweisen Sie die Formel<br />

a n = gn −(1−g)<br />

√ n<br />

5<br />

für alle n ∈ N 0 . Dabei ist g = 1+√ 5<br />

∈ R.<br />

2<br />

Hinweis: g erfüllt die Gleichung g 2 = g + 1.<br />

Aufgabe 22. Zeigen Sie mit vollständiger Induktion:<br />

1.<br />

n∑<br />

(−1) v+1 v 2 n+1 n(n + 1)<br />

= (−1)<br />

2<br />

v=1<br />

für alle n ∈ N, n ≥ 1;<br />

19


2.<br />

für alle n ∈ N, n ≥ 1.<br />

2n∑<br />

r=1<br />

(−1) r+1<br />

r<br />

=<br />

2n∑<br />

r=n+1<br />

1<br />

r<br />

Aufgabe 23. Zeigen Sie durch vollständige Induktion für alle m ∈ N, m > 1<br />

m−1<br />

∏<br />

k=1<br />

Aufgabe 24. Zeigen Sie für k ∈ N:<br />

(<br />

1 + 1 ) k<br />

= mm<br />

k m! .<br />

1. 3 2k−1 + 5 2k−1 ist stets durch 8 teilbar und<br />

2. 2 7k−5 + 3 2k−1 ist stets durch 7 teilbar.<br />

Aufgabe 25. Zeigen Sie für alle geraden ganzen Zahlen n ≥ 2<br />

1<br />

1!(n − 1)! + 1<br />

3!(n − 3)! + 1<br />

5!(n − 5)! + . . . + 1<br />

(n − 1)!1! = 2n−1<br />

.<br />

n!<br />

Aufgabe 26. Seien α, β ∈ R gegeben mit der Eigenschaft, dass das Polynom<br />

P (x) := x 2 −αx−β zwei verschiedene reelle Nullstellen λ, µ besitzt, d.h. P (λ) =<br />

P (µ) = 0. Weiter seien a, b ∈ R gegeben. Durch<br />

a 0 := a; a 1 := b; a n := α · a n−1 + β · a n−2 (für n ≥ 2)<br />

ist eine Folge (a 0 , a 1 , . . . , ) reeller Zahlen definiert. Beweisen Sie (mit Vollständiger<br />

Induktion) für alle ganzen Zahlen n ≥ 0:<br />

a n = c · λ n + d · µ n<br />

wobei c := a·µ−b<br />

µ−λ<br />

a = 0, b = 1<br />

b−a·λ<br />

und d := . Was ergibt sich <strong>im</strong> Spezialfall α = β = 1,<br />

µ−λ<br />

Aufgabe 27. Zeigen Sie: Sei Ω ein Alphabet mit m ≥ 2 Zeichen. Dann lassen<br />

sich daraus genau m n Wörter mit n Buchstaben formen und<br />

m n+1 − m<br />

m − 1<br />

verschiedene Worte mit mindestens einem Buchstaben und höchstens n Buchstaben.<br />

20


Aufgabe 28. Best<strong>im</strong>men Sie ein n 0 , so dass<br />

( ) 2n − 1<br />

≥ 2 n<br />

n<br />

für alle n ≥ n 0 und beweisen Sie dies durch Vollständige Induktion.<br />

Aufgabe 29. Zeigen Sie,<br />

( ) ( )<br />

m + l n + l<br />

≥<br />

m n<br />

für m ≥ n und l ≥ 0.<br />

Aufgabe 30. Zeigen Sie, 14 | 3 3i−1 + 5 3i für alle i ≥ 1.<br />

Aufgabe 31. Zeigen Sie,<br />

17 teilt 5 10k−8 − 2 3+7(k−1)<br />

für alle k ≥ 1. (Ein Zahl z ∈ Z, z < 0 ist genau dann durch l teilbar, wenn −z<br />

durch l teilbar ist.)<br />

Aufgabe 32. Beweisen Sie mit Vollständiger Induktion, dass für k ≥ 1 die Summe<br />

4 2k−1 + 3 k+1 stets durch 13 teilbar ist.<br />

Aufgabe 33. Beweisen Sie mit vollständiger Induktion:<br />

Aufgabe 34. Zeigen Sie für x ≠ 1,<br />

14 teilt 5 3k−2 + 3 3k−1 ∀ k ≥ 1.<br />

n∏<br />

j=0<br />

Was ist der Wert des Produktes für x = 1<br />

(1 + x 2j) = 1 − x2n+1<br />

1 − x .<br />

Aufgabe 35. Beweisen Sie mit vollständiger Induktion:<br />

1 · 2 · 3 + 2 · 3 · 4 + · · · + n(n + 1)(n + 2) = 1 n(n + 1)(n + 2)(n + 3); ∀n ≥ 1.<br />

4<br />

21


3 Die rationalen und die reellen Zahlen<br />

Inhalt: Q, R, Körperaxiome, Anordnungsaxiome, Arch<strong>im</strong>edisches Axiom, Existenz<br />

von R.<br />

Die rationalen Zahlen als Körper<br />

Bemerkung 3.1. Wir setzen N 0 = {0, 1, 2, . . . } und Z = {0, ±1, ±2, ±3, . . . } als<br />

gegeben voraus. Die rationalen Zahlen sind die Menge Q der Brüche p , p, q ∈ Z,<br />

q<br />

mit q ≠ 0. Das ist eine Äquivalenzrelation, da<br />

a<br />

b ∼ c d<br />

⇔ ad = bc<br />

z.B. 1 = 3 , da 2 · 3 = 1 · 6. Die zugrundeliegende Menge ist M = Z × (Z \ {0})<br />

2 6<br />

und M/ ∼= Q.<br />

Addition von Brüchen:<br />

a<br />

b + c d<br />

:=<br />

ad + bc<br />

bd<br />

(Hauptnenner)<br />

Negativer Bruch:<br />

Es folgt dann:<br />

Multiplikation von Brüchen:<br />

− a b = −a<br />

b<br />

a<br />

(−<br />

b + a )<br />

= a b b + −a<br />

b<br />

a<br />

b · c<br />

d<br />

= a −b<br />

:=<br />

ac<br />

bd<br />

= a − a<br />

b<br />

= 0.<br />

Ist a, b ≠ 0, so ist b der Kehrwert von a, denn a · b = 1 = b · a.<br />

a b b a a b<br />

Multiplikation und Addition sind kommutativ<br />

(<br />

d.h. a b + c d = c d + a b , a c<br />

b d = c d · a )<br />

b<br />

und assoziativ:<br />

( a<br />

b d)<br />

+ c + e f<br />

( a c e<br />

b d)<br />

f<br />

= a ( c<br />

b + d + e f<br />

= a ( ) c e<br />

.<br />

b d f<br />

)<br />

22


Bemerkung 3.2. All diese Regeln hängen nicht von der Wahl von Repräsentanten<br />

ab (Unbedingt selbst nachrechnen!)<br />

Man sagt auch: die Menge Q bildet einen Körper:<br />

Definition 3.3 (Körperaxiome).<br />

Eine Menge K heißt Körper, falls es zwei Abbildungen<br />

gibt mit folgenden Eigenschaften:<br />

+ : K × K −→ K, (a, b) ↦→ a + b<br />

· : K × K −→ K, (a, b) ↦→ a · b<br />

(A1) ∀x, y, z ∈ K gilt (x + y) + z = x + (y + z) (Assoziativgesetz).<br />

(A2) ∀x, y ∈ K gilt : x + y = y + x (Kommutativgesetz).<br />

(A3) Es gibt eine Zahl 0 ∈ K mit x + 0 = 0 + x = x (Neutrales Element).<br />

(A4) ∀x ∈ K ∃ − x ∈ K mit x + (−x) = (−x) + x = 0 (Negatives Element).<br />

Man sagt auch: (K, +) bildet eine kommutative Gruppe.<br />

(M1) ∀x, y, z ∈ K gilt: (xy)z = x(yz) (Assoziativgesetz).<br />

(M2) ∀x, y ∈ K gilt: xy = yx (Kommutativgesetz).<br />

(M3) ∃ Element 1 ∈ K, 1 ≠ 0 mit x · 1 = 1 · x = x für alle x ∈ K (Existenz der<br />

Eins).<br />

(M4) ∀x ∈ K \{0} ∃ x −1 ∈ K \{0} mit x·x −1 = x −1·x = 1 (Inverses Element).<br />

(D) ∀x, y, z ∈ K gilt: x(y + z) = xy + xz (Distributivgesetz).<br />

Korollar 3.4 (Folgerung aus dem Axiomen).<br />

1. (K \ {0}, ·) bildet eine kommutative Gruppe.<br />

2. 0 und 1 sind eindeutig best<strong>im</strong>mt.<br />

3. Das Negative oder Inverse einer Zahl x sind eindeutig best<strong>im</strong>mt.<br />

4. −0 = 0 und 1 −1 = 1.<br />

5. −(−x) = x und (x −1 ) −1 = x.<br />

23


6. x · 0 = 0.<br />

7. x · y = 0 ⇔ x = 0 oder y = 0.<br />

8. (xy) −1 = y −1 x −1 = x −1 y −1 ∀ x, y ≠ 0 in K.<br />

Beweis. (1) ist nach Definition richtig.<br />

(2) Ist 0 ′ ein weiteres solches Element, so gilt 0 + 0 ′ = 0 ′ + 0 = 0 und auch<br />

0 ′ + 0 = 0 + 0 ′ = 0 ′ nach (A3), d.h. 0 = 0 ′ . Genauso geht der Beweis für das<br />

Element 1.<br />

(3) (Beweis nur für Multiplikation) Ist x · y = 1 ein weiteres inverses Element, so<br />

folgt mit (M1), (M3) und (M4) y = 1·y = (x −1·x)·y = x −1·(x·y) = x −1·1 = x −1 .<br />

(4) Es gilt 0 = 0 + 0 nach (A3), d.h. (−0) = 0 wegen (3). Ebenso gilt 1 · 1 = 1,<br />

d.h. 1 −1 = 1 wegen (3).<br />

(5) Aus x + (−x) = 0 folgt, dass −(−x) = x das Axiom (A4) erfüllt. Daher ist<br />

man fertig mit (3).<br />

(6) x · 0 = x · (0 + 0) (D)<br />

= x · 0 + x · 0. Daraus folgt x · 0 = 0, indem man auf<br />

beiden Seiten −(x · 0) addiert.<br />

(7) x = 0 oder y = 0, so gilt x · y = 0 wegen (6). Ist umgekehrt xy = 0 und x ≠ 0<br />

(sonst fertig), so gilt x −1 xy = y = 0.<br />

(8) Es gilt xyy −1 x −1 = xx −1 = 1. Nach (3) folgt dann die Behauptung.<br />

Die Assoziativ-, Kommutativ- und Distributivgesetze lassen sich auch verallgemeinern:<br />

1. (Allgemeines Assoziativgesetz)<br />

( )<br />

( )<br />

x 1 + x 2 + · · · + x n = · · · (x1 + x 2 ) + x 3 + · · · + xn−1 + x n<br />

(<br />

= x 1 + x 2 + · · · + ( x n−2 + (x n−1 + x n ) ) )<br />

· · · .<br />

2. (Allgemeines Kommutativgesetz) Für eine beliebige Permutation σ ∈ Σ n<br />

gilt x 1 + x 2 + · · · + x n = x σ(1) + · · · + x σ(n) .<br />

3. (Allgemeines Distributivgesetz)<br />

( n∑<br />

) (<br />

∑ m<br />

x i<br />

i=1 j=1<br />

y j<br />

)<br />

=<br />

n∑ m∑<br />

x i y j .<br />

i=1 j=1<br />

24


Definition 3.5 (Absolutbetrag).<br />

Ist x ∈ Q (jetzt wieder K = Q), so sei<br />

{<br />

−x,<br />

|x| =<br />

+x,<br />

Definition 3.6 (Potenzrechnung).<br />

Sei x ∈ Q und n ∈ N. Definiere:<br />

Satz 3.7.<br />

Es gelten folgende Regeln<br />

x = a , a, b falls a,b verschiedenes Vorzeichen haben,<br />

b<br />

x = a , a, b falls a,b gleiches Vorzeichen haben.<br />

b<br />

x 0 := 1,<br />

x n := x } ·{{ · · x}<br />

n − Mal<br />

x −n := (x n ) −1 = (x −1 ) n .<br />

(a) x n x m = x n+m<br />

(b) (x n ) m = x nm<br />

∀m, n ∈ Z, x ∈ Q<br />

∀m, n ∈ Z, x ∈ Q<br />

(c) x n y n = (xy) n ∀n ∈ Z, x, y ∈ Q.<br />

Beweis. (a) Nach Umstellung der Gleichung kann man m, n ∈ N annehmen, indem<br />

man negative Potenzen auf die andere Seite der Gleichung bringt.<br />

x n · x m =<br />

(x} ·{{ · · x} · (x } · {{ · · x } ).<br />

n − Mal m − Mal<br />

Nach dem Assoziativgesetz ist dies<br />

(b)<br />

(c)<br />

x n+m = } x ·{{ · · x}<br />

(m + n) − Mal.<br />

(x n ) m = (x} ·{{ · · x} . . . . . . (x } · {{ · · x } )<br />

n − Mal<br />

n − Mal<br />

m − Mal<br />

= x nm nach dem Assoziativgesetz.<br />

x n y n = (x · · · x)(y · · · y) = (xy) · (xy) · · · (xy) = (xy) n<br />

mit Kommutativ– und Assoziativgesetz.<br />

25


Die Abzählbarkeit von Q<br />

Definition 3.8. Eine Menge M heißt abzählbar, wenn es eine Teilmenge U ⊆ N<br />

gibt und eine Surjektion f : U → M.<br />

Bemerkung 3.9. Das Wort Surjektion kann man durch Bijektion ersetzen, aber<br />

die Definition ist auf diese Weise etwas flexibler. Denn sei f : U → M surjektiv.<br />

Indem man für jedes m ∈ M ein Element u(m) ∈ f −1 ({m}) auswählt, erhält<br />

man eine Teilmenge U ′ ⊆ U mit f|U ′ : U ′ → M bijektiv. Man kann sogar<br />

annehmen, dass U = {1, . . . , n} oder U = N ist. Im ersten Fall ist M endlich.<br />

Beachte aber, dass N viele Teilmengen besitzt die ≠ N und unendlich sind, z.B.<br />

2N = {2, 4, 6, . . . }, 3N = {3, 6, 9, . . . }.<br />

Satz 3.10. Q ist abzählbar.<br />

Beweis. Q = Z×(Z\{0})/ ∼. Daher gibt es eine Surjektion Z×(Z\{0}) → Q.<br />

Es reicht also zu zeigen, dass Z × (Z \ {0}) bijektiv zu N und somit abzählbar<br />

ist.<br />

Lemma 3.11. Z und Z \ {0} sind abzählbar und bijektiv zu N.<br />

Beweis.<br />

f : Z → N<br />

0 ↦→ { 1<br />

0 ≠ a ↦→<br />

2a, a positiv<br />

2|a| + 1, a negativ.<br />

Dies ist klarerweise bijektiv, denn die negativen Zahlen gehen unter f bijektiv<br />

auf die ungeraden Zahlen ≥ 3, und die positiven Zahlen bijektiv auf die geraden<br />

Zahlen ≥ 2. Für Z\{0} wird stattdessen f(a) = 2|a|−1 für a negativ gesetzt.<br />

Lemma 3.12. N × N ist abzählbar und es gibt eine Bijektion N × N → N.<br />

Beweis. f : N × N → N sei wie folgt definiert:<br />

f(1, 1) = 1, f(1, 2) = 2, f(2, 1) = 3, usw.<br />

Dies folgt der allgemeinen Formel:<br />

(a + b − 1)(a + b − 2)<br />

f(a, b) = + a.<br />

2<br />

Man sofort an einem Bild, dass diese Abbildung bijektiv ist.<br />

Bemerkung 3.13. Mit dem gleichen Trick sind auch abzählbare Vereinigungen<br />

⋃<br />

a∈N<br />

abzählbarer Mengen A n wieder abzählbar.<br />

26<br />

A n


Die rationalen Zahlen als angeordneter Körper<br />

Definition 3.14 (Anordnung der rationalen Zahlen).<br />

Erinnerung: x = a ∈ Q heißt<br />

b<br />

positiv: x > 0, falls a > 0 ∧ b > 0 oder a < 0 ∧ b < 0<br />

negativ: x < 0, falls a < 0 ∧ b > 0 oder a > 0 und b < 0<br />

oder Null: x = 0.<br />

Definition 3.15 (Axiome für einen angeordneten Körper). Sei K ein Körper.<br />

(O1) Für jedes x ∈ K ist entweder x > 0, x = 0 oder x < 0 (Trichotomie).<br />

(O2) x > 0 und y > 0 =⇒ x + y > 0.<br />

(O3) x > 0 und y > 0 =⇒ x · y > 0.<br />

Ein Körper heißt angeordnet, falls die Axiome (O1)–(O3) gelten. Man setzt x ≥ 0,<br />

falls x > 0 oder x = 0 gilt.<br />

Beispiel 3.16. Q, R sind angeordnet. Der Körper F 2 = {0, 1} mit 2 Elementen<br />

und 1 + 1 = 0 ist nicht angeordnet: Würde 1 > 0 (oder 1 < 0) gelten, so widerspricht<br />

dies 1 + 1 = 0. Der Körper der komplexen Zahlen C ist ebenso nicht<br />

angeordnet (wird später eingeführt).<br />

Definition 3.17. Sei K angeordnet.<br />

x > y, falls x − y > 0.<br />

x ≥ y, falls x − y ≥ 0.<br />

x < y, falls x − y < 0.<br />

x ≤ y, falls x − y ≤ 0.<br />

Korollar 3.18 (Folgerungen aus den Axiomen).<br />

(1) Für je 2 Elemente x, y gilt entweder x > y oder x = y oder x < y.<br />

(2) Transitivität: Ist x < y und y < z, so gilt auch x < z (genauso für ≤).<br />

(3) x < y =⇒ c + x < c + y für alle c ∈ K.<br />

(4) Negative Elemente: x < y =⇒ −x > −y.<br />

(5) x < y und u < v =⇒ x + u < y + v.<br />

(6) x < y und a > 0 =⇒ ax < ay.<br />

(7) 0 < x < y und 0 < a < b =⇒ ax < by.<br />

(8) x < y und a < 0 =⇒ ay < ax.<br />

(9) a ≠ 0 =⇒ a 2 > 0.<br />

(10) a > 0 ⇔ a −1 > 0.<br />

(11) 0 < x < y =⇒ x −1 > y −1 .<br />

(12) a 2 = 0 ⇔ a = 0.<br />

Beweis. (1) Dies folgt direkt aus (O1).<br />

(2) Dies folgt aus (O2), da (y − x) + (z − y) = z − x.<br />

27


(3) (c + y) − (c + x) = y − x.<br />

(4) −x − (−y) = y − x.<br />

(5) y − x > 0 und v − u > 0. Also folgt mit (O2), dass y − x + v − u =<br />

(y + v) − (x + u) > 0.<br />

(6) Aus (O3) folgt a(y − x) = ay − ax > 0.<br />

(7) Nach (6) folgt ax < ay sowie ay < by. Also auch ax < by wegen (2).<br />

(8) −a > 0 nach (4), also −ax < −ay, daher ay < ax wieder nach (4).<br />

(9) a > 0 =⇒ a 2 > 0 nach (O3). Ist a < 0, so ist −a > 0 und damit a 2 =<br />

(−a) 2 > 0 nach (O3).<br />

(10) =⇒: Sei a > 0. a −1 ≠ 0 , da a ≠ 0. Also ist nach (9) auch a −2 > 0. Nach<br />

(O3) folgt dann a −1 = a · a −2 > 0.<br />

⇐=: Ist a −1 > 0, so folgt unter Benutzung der eben bewiesenen Aussage a =<br />

(a −1 ) −1 > 0.<br />

(11) xy > 0 =⇒ (xy) −1 = x −1 y −1 > 0 nach (10). Also y −1 = xx −1 y −1 <<br />

yx −1 y −1 = yy −1 x −1 = x −1 .<br />

(12) Ist a > 0 oder a < 0 so gilt a 2 > 0 nach (9) und somit a 2 ≠ 0. Wegen der<br />

Trichotomie folgt also a = 0.<br />

Definition 3.19.<br />

Das Min<strong>im</strong>um min(x, y) zweier Zahlen ist die kleinere der beiden Zahlen x, y,<br />

das Max<strong>im</strong>um max(x, y) die größere. Gilt x = y, so ist min(x, y) = x = y =<br />

max(x, y). Genauso definiert man min(A) und max(A) für endliche Mengen A.<br />

Gaußklammer: Ist x ∈ Q oder x ∈ R, so setzt man [x] oder ⌊x⌋ als diejenige<br />

eindeutig best<strong>im</strong>mte natürliche Zahl n mit n ≤ [x] < n + 1.<br />

Definition 3.20 (Das Arch<strong>im</strong>edische Axiom).<br />

(Ar) Zu je zwei rationalen oder reellen Zahlen x, y > 0 gibt es ein n ∈ N mit<br />

n · x = x + . . . + x > y.<br />

Beweis. In Q sei x = a und y = c . Setze n = cb + 1. Dann gilt<br />

b d<br />

da ad ≥ 1.<br />

nx = x + cbad<br />

bd<br />

≥ x + cb<br />

bd = x + y > y,<br />

Das Axiom gilt auch in R, aber nicht in beliebigen sogenannten nicht–arch<strong>im</strong>edisch<br />

angeordneten Körpern wie den Nicht–Standard reellen Zahlen ∗ R.<br />

Satz 3.21 (Bernoullische Ungleichung).<br />

Sei x ≥ −1. Dann gilt für alle n ∈ N:<br />

(1 + x) n ≥ 1 + nx.<br />

28


Beweis. Vollständige Induktion. Induktionsanfang n = 1: (1 + x) 1 = 1 + x.<br />

Induktionsschritt: (1 + x) n+1 = (1 + x) n (1 + x), also ist nach Induktionsvoraussetzung<br />

(1 + x) n+1 ≥ (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx 2 ≥ 1 + (n + 1)x, da<br />

nx 2 ≥ 0.<br />

Satz 3.22. Sei a > 0.<br />

(a) Ist a > 1 und M ∈ R, so gibt es ein n ∈ N mit a n > M.<br />

(b) Ist 0 < a < 1 und ɛ ∈ R >0 , so gibt es ein n ∈ N mit a n < ɛ.<br />

Beweis. (a) Nach Satz 3.21 gilt a n = (1 + (a − 1)) n ≥ 1 + n(a − 1). Nach dem<br />

Arch<strong>im</strong>edischem Axiom (Ar) folgt aber n(a − 1) > M − 1 für ein n ∈ N. Also<br />

gilt a n > 1 + (M − 1) = M.<br />

(b) Betrachte 1 und M = 1 und benutze Fall (a).<br />

a ɛ<br />

Beispiel 3.23. ( 1 2 )n < 1<br />

1000 für n ≥ 10, da 210 = 1024 > 1000.<br />

Die reellen Zahlen<br />

Die Menge R füllt die ,,Löcher” in den rationalen Zahlen Q auf. Dies wird in der<br />

folgenden Konstruktion der reellen Zahlen durch die Dedekindschen Schnitte zum<br />

Prinzip gemacht:<br />

Idee: Angenommen wir wüssten schon was reelle Zahlen sind, so würden wir<br />

einen Schnitt als die Menge der rationalen Zahlen<br />

S(α 0 ) := {α ∈ Q | α > α 0 }<br />

definieren, die rechts von α 0<br />

gerade α 0 .<br />

∈ R liegen. Solch ein Schnitt repräsentiert dann<br />

Definition 3.24. Eine Teilmenge A ⊆ Q heißt Schnitt, falls gilt:<br />

(i) A ≠ ∅, A ≠ Q.<br />

(ii) α ∈ A und β ≥ α =⇒ β ∈ A.<br />

(iii) A hat kein kleinstes Element, d.h. es gibt kein α 0 ∈ Q mit A = {α ∈ Q |<br />

α ≥ α 0 }.<br />

Beispiel 3.25. Ist α 0 ∈ Q, so setzen wir S(α 0 ) := {α ∈ Q | α > α 0 }. Dies ist<br />

ein Schnitt, der eine rationale Zahl repräsentiert. Jedoch gibt es viele Schnitte in<br />

Q, die nicht auf diese Weise entstehen, wie z.B. {α ∈ Q ≥0 | α 2 > 2}.<br />

Definition 3.26. Die Menge der reellen Zahlen R wird definiert als die Menge<br />

aller Dedekindschen Schnitte.<br />

29


Satz 3.27. R ist ein angeordneter Körper, der Q wie oben beschrieben enthält und<br />

das Arch<strong>im</strong>edische Axiom erfüllt. Alle bisher Rechenregeln für + und · in Q setzen<br />

sich auf R fort. In R gilt zusätzlich das Axiom der Ordnungsvollständigkeit, auch<br />

Inf<strong>im</strong>umsaxiom genannt:<br />

(OV) Jede nicht–leere, nach unten beschränkte Teilmenge A von R besitzt eine<br />

größte untere Schranke inf A. Dazu äquivalent ist das Supremumsaxiom: Jede<br />

nicht–leere, nach oben beschränkte Teilmenge A von R besitzt eine kleinste obere<br />

Schranke sup(A).<br />

Definition 3.28. (i) A ⊆ R heißt nach unten beschränkt, falls es ein C ∈ R gibt<br />

mit x ≥ C für alle x ∈ A.<br />

(ii) C ∈ R heißt untere Schranke von A, falls x ≥ C für alle x ∈ A.<br />

(iii) C ∈ R heißt größte untere Schranke oder Inf<strong>im</strong>um, falls C untere Schranke<br />

ist und jede andere untere Schranke ≤ C ist.<br />

Analog definiert man obere Schranke und kleinste obere Schranke sowie Supremum<br />

für Teilmengen, die nach oben beschränkt sind.<br />

Beweis. Für den ersten Teil siehe Ch. Blatter ,,<strong>Analysis</strong> 1”, Springer Verlag.<br />

Wir verwenden Dedekindsche Schnitte: Sei A eine Teilmenge von R und für jedes<br />

a ∈ A der zugehörige Schnitt durch S a gegeben. Dann ist<br />

inf A := ⋃ a∈A<br />

S a .<br />

Man rechnet die Schnittaxiome nach:<br />

(i) Ist B (ein Schnitt) eine untere Schranke von A, so gilt S a ⊆ B für alle a ∈ A.<br />

Also ist inf A ⊆ B und damit weder leer noch ganz R.<br />

(ii) Ist α ∈ inf A und β ≥ α. Dann ist α ∈ S a für ein a ∈ A. Also gilt auch<br />

β ∈ S a , da S a ein Schnitt ist. Damit folgt β ∈ inf A.<br />

(iii) Hat inf A in kleinstes Element a 0 , so liegt a 0 in einer Menge S a . Dann hätte<br />

S a ein kleinstes Element, Widerspruch!<br />

Also ist inf A ein Schnitt. Ist nun B eine beliebige untere Schranke, so gilt inf A ⊆<br />

B, siehe (i). Also ist inf A die größte untere Schranke.<br />

Bemerkung 3.29. Wie unterscheiden sich Q und R<br />

(1) Es gibt Zahlen wie √ 2, die nicht in Q sind, siehe §2.<br />

(2) R ist nicht abzählbar:<br />

Der Beweis dafür führen wir mit der Dez<strong>im</strong>aldarstellung der reellen Zahlen, die<br />

aus der Schule bekannt sein sollte. Betrachte alle reellen Zahlen x mit 0 < x < 1.<br />

Jedes solche x kann man als Dez<strong>im</strong>albruch schreiben:<br />

x = 0.a 1 a 2 a 3 . . .<br />

30


mit a i ∈ N. Solche Darstellungen sind fast eindeutig, bis auf folgende Ausnahme:<br />

Es gibt ein n 0 ∈ N, so dass a i = 9 für alle n ≥ n 0 . Zum Beispiel ist die Zahl<br />

0.199999 . . . = 0.2. Nehmen wir an, dass ]0, 1[:= {x ∈ R | 0 < x < 1} abzählbar<br />

wäre und als Liste<br />

x 1 = 0.a 11 a 12 . . .<br />

x 2 = 0.a 21 a 22 . . .<br />

geschrieben werden kann. Definiere dann eine neue Zahl z = 0.c 1 c 2 . . . ∈]0, 1[<br />

durch die Vorschrift c i = a nn + 2, falls a nn < 5 und c i = a nn − 2, falls a nn ≥ 5.<br />

Dann gilt offenbar |c n −a nn | ≥ 2 und damit |z −x n | ≥ 10 −n . Insbesondere taucht<br />

z nicht in dieser Liste auf. Widerspruch! Diese Methode wird Cantorsches Diagonalverfahren<br />

genannt.<br />

(3) In R gilt das Axiom der Ordnungsvollständigkeit. Q erfüllt dieses Axiom<br />

nicht, da die Menge {x ∈ Q >0 | x 2 > 2} kein Inf<strong>im</strong>um in Q hat.<br />

Lemma 3.30. Ist r eine reelle Zahl und ɛ > 0. Dann gibt es eine rationale Zahl q<br />

mit |q − r| < ɛ. Man sagt auch: die rationalen Zahlen liegen dicht in R.<br />

Beweis. Mit der Dez<strong>im</strong>aldarstellung: r = ± ∗ ∗ . . . a 0 .a 1 a 2 . . .. Es gibt ein n ∈ N<br />

mit 10 −n < ɛ nach Satz 3.22. Setze q = ± ∗ ∗ . . . a 0 .a 1 a 2 . . . a n .<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 36. Beweisen Sie, dass die Brüche eine Äquivalenzrelation darstellen<br />

und zeigen Sie, dass die Addition und Multiplikation von Brüchen nicht von der<br />

Wahl eines Repräsentanten abhängt.<br />

Aufgabe 37. Berechnen Sie die rationalen Zahlen ∑ 100<br />

k=0<br />

als gekürzte Brüche.<br />

( 1<br />

2 k − 1<br />

2 k+1 )<br />

und<br />

∏ 100<br />

k=0<br />

Aufgabe 38. Erklären Sie auf einer vierelementigen Menge F = {0, 1, 2, 3} eine<br />

Addition + und eine Multiplikation ∗, so dass (F, +, ∗) ein Körper mit Nullelement<br />

0 und Einselement 1 ist. Gibt es mehrere Möglichkeiten der Definition von<br />

Addition bzw. Multiplikation<br />

Aufgabe 39. Eine Menge Ω von (möglicherweise auch unendlich vielen) Symbolen<br />

a 1 , a 2 , a 3 . . . wird Alphabet genannt. Ein Wort w über dem Alphabet Ω ist<br />

eine endliche Folge a w1 a w2 . . . a wn mit a wi ∈ Ω. Man zeige, dass die Menge aller<br />

Worte über einem abzählbaren Alphabet abzählbar ist.<br />

Aufgabe 40. Auf M := {(a, b)|<br />

Multiplikation ⊗ erklärt durch<br />

a, b ∈ Q} seien eine Addition ⊕ und eine<br />

(a, b) ⊕ (c, d) := (a + c, b + d),<br />

(a, b) ⊗ (c, d) := (ac + 5bd, ad + bc).<br />

( k+1<br />

) 3<br />

k+2<br />

31


Untersuchen Sie, ob M mit diesen Verknüpfungen ein Körper ist.<br />

Aufgabe 41. Geben Sie eine explizite Formel für eine bijektive Abbildung f :<br />

N 0 × N 0 → Z an.<br />

Hinweis: Benutzen Sie das Symbol ⌈a⌉ für die Aufrundung eines Bruchs zu der<br />

nächsten ganzen Zahl, sowie eine weitere Formel aus der <strong>Vorlesung</strong>.<br />

Aufgabe 42. Zeigen Sie, dass abzählbare Vereinigungen abzählbarer Mengen<br />

abzählbar sind.<br />

Hinweis: Realisieren Sie solche Mengen als Teilmengen von N × N.<br />

Aufgabe 43. Beweisen Sie: Jede abzählbare, unendliche Menge ist bijektiv zu N.<br />

Aufgabe 44. Beweisen Sie das Arch<strong>im</strong>edische Axiom für R, indem Sie ausnutzen,<br />

dass es in Q gilt und Q dicht in R liegt. Zeigen Sie auch, dass es aus dem<br />

Supremumsaxiom folgt.<br />

Aufgabe 45.<br />

(a) Sei 0 ≠ r ∈ Q und s ∈ R \ Q. Zeigen Sie, dass r + s und rs in R \ Q liegen.<br />

(b) Beweisen Sie, dass √ 15 irrational ist.<br />

Aufgabe 46.<br />

(a) Berechnen Sie inf M und sup M für M = { p ∈ Q | 0 < 1 q < p < 5q} (mit<br />

q 3<br />

Begründung).<br />

(b) Sei A eine nichtleere, nach unten beschränkte Menge. Setze −A := {−x |<br />

x ∈ A}. Zeigen Sie, dass −A nach oben beschränkt ist und inf A = − sup(−A)<br />

gilt. Beweisen Sie damit die Äquivalenz des Supremums– und Inf<strong>im</strong>umsaxioms.<br />

Aufgabe 47. Sei K ein angeordneter Körper. Beweisen Sie:<br />

1. Für alle x, y ∈ K gilt 2xy ≤ x 2 + y 2 und 4xy ≤ (x + y) 2<br />

2. Für alle a, b ∈ K mit a > 0, b > 0 und a + b = 1 gilt<br />

(<br />

a + 1 ) (<br />

b + 1 )<br />

≥ 25 (a<br />

a b 4 und + 1 ) 2 (<br />

+ b + 1 ) 2<br />

≥ 25 a b 2 .<br />

3. Wann steht bei (a) bzw. (b) das Gleichheitszeichen<br />

Aufgabe 48. Sei K ein angeordneter Körper. Zeigen Sie:<br />

1. max(u, v) = 1 (u + v + |u − v|),<br />

2<br />

2. min(u, v) = 1 (u + v − |u − v|),<br />

2<br />

Gilt stets max(x, min(y, z)) = min(max(x, y), max(x, z))<br />

32


4 Folgen und Grenzwerte<br />

Inhalt: Folgen, Cauchyfolgen, Konvergenz, Vollständigkeitsaxiom, Intervallschachtelungen,<br />

Quadratwurzeln.<br />

Folgen und Konvergenz<br />

Definition 4.1. Sei M eine Menge. Eine Folge (a n ) n∈N , oder kurz (a n ), in M ist<br />

eine Abbildung a : N → M mit a(n) = a n ∈ M.<br />

Beispiele 4.2.<br />

• a n = n (M = N).<br />

• a n = a ∈ M (konstante Folge).<br />

• a n = 1 n ∈ Q.<br />

• a n = (−1) n · 1<br />

n<br />

• a n = 3 −n ∈ Q.<br />

∈ Q (alternierendes Vorzeichen).<br />

Sei ab nun M = R die Menge der reellen Zahlen.<br />

Definition 4.3. Eine Folge (a n ) heißt konvergent, falls ein a ∈ R existiert, so dass<br />

gilt:<br />

∀ɛ > 0 ∃n 0 ∈ N ∀n ≥ n 0 |a n − a| < ɛ.<br />

a heißt der Grenzwert oder L<strong>im</strong>es der Folge. Eine Folge, die gegen kein a konvergiert<br />

heißt divergent.<br />

Notation 4.4.<br />

Bemerkung 4.5.<br />

l<strong>im</strong> a n = l<strong>im</strong> a n = a.<br />

n→∞<br />

• Die Reihenfolge der logischen Zeichen ist sehr wichtig!<br />

• Diese Definition ist eine der wichtigsten in der ganzen <strong>Analysis</strong>.<br />

• n 0 hängt von ɛ ab. In der Regel muss man n 0 umso größer machen, je kleiner<br />

ɛ ist.<br />

Beispiele 4.6. • Die Folge a n = n ist divergent, denn nach dem Axiom (Ar)<br />

von Arch<strong>im</strong>edes gibt es zu jedem a ∈ R ein n 0 mit a n = n ≥ a + 1 für alle<br />

n ≥ n 0 := ⌈a⌉ + 1. Damit gilt aber |a n − a| > 1 und die Definition der<br />

Konvergenz ist nicht erfüllt.<br />

33


• Die Folge a n = 1 ist konvergent gegen a = 0. Man sagt auch Nullfolge<br />

n<br />

dazu. Die folgt auch aus dem Arch<strong>im</strong>edischen Axiom (Ar) bzw. Satz 3.22,<br />

denn für alle ɛ > 0 gibt es ein n 0 mit |a n | = 1 n 0<br />

< ɛ.<br />

• Ebenso ist die Folge a n = (−1) n 1 eine Nullfolge mit dem gleichen Beweis.<br />

n<br />

• Die Folge a n = (−1) n ist divergent, denn alle gerade Folgenglieder sind 1<br />

und alle ungeraden −1. Wenn man ɛ = 1 wählt, gibt es daher kein a ∈ R,<br />

so dass |a n − a| < 1 für alle n ≥ n 0 , denn sonst wäre 2 = 1 − (−1) =<br />

|a 2n − a 2n+1 | ≤ |a 2n − a| + |a − a 2n+1 | < 2ɛ = 2, Widerspruch!<br />

Bemerkung 4.7. Die verwendete Ungleichung<br />

|a + b| ≤ |a| + |b|<br />

in R heißt Dreiecksungleichung. Man beweist sie durch eine Fallunterscheidung:<br />

Haben a und b das gleiche Vorzeichen, so gilt sogar |a + b| = |a| + |b|. Haben sie<br />

unterschiedliches Vorzeichen, so gilt |a + b| ≤ max{|a|, |b|} ≤ |a| + |b|.<br />

Definition 4.8. Eine Folge (a n ) heißt beschränkt, falls es reelle Zahlen a, b gibt,<br />

so dass a ≤ a n ≤ b ist für alle n. Existiert nur b mit a n ≤ b für alle n, so heißt<br />

a n nach oben beschränkt. Existiert nur a mit a ≤ a n für alle n, so heißt a n nach<br />

unten beschränkt.<br />

Satz 4.9.<br />

Jede konvergente Folge c n mit L<strong>im</strong>es c ist beschränkt.<br />

Beweis. Wähle ɛ = 1 und N mit |c n − c| < 1 für alle n ≥ N. Dann setze<br />

a = min{c 1 , . . . , c N , c − 1} und b = max{c 1 , . . . , c N , c + 1}.<br />

Bemerkung 4.10. Nicht jede beschränkte Folge ist konvergent, siehe Beispiel<br />

c n = (−1) n .<br />

Satz 4.11.<br />

Der L<strong>im</strong>es einer Folge (a n ) ist eindeutig, falls er existiert.<br />

Beweis. Sei l<strong>im</strong> a n = a und l<strong>im</strong> a n = b mit a ≠ b. Wähle ɛ = |a−b|<br />

2<br />

. Dann gibt es<br />

eine N 1 mit |a n − a| < ɛ für alle n ≥ N 1 und eine N 2 mit |a n − b| < ɛ für alle<br />

n ≥ N 2 . Setze N = max(N 1 , N 2 ). Dann gilt nach der Dreiecksungleichung<br />

|a − b| ≤ |a − a n | + |a n − b| < 2ɛ = |a − b|<br />

für n ≥ N, ein Widerspruch zu a ≠ b!<br />

34


Beispiel 4.12. Sei q > 0. Die Folge a n = q n ist nach Satz 3.22(b) eine Nullfolge<br />

für |q| < 1. Für q = 1 ist l<strong>im</strong> a n = 1 (konstante Folge). Für q = −1 oder |q| > 1<br />

ist a n divergent nach Satz 3.22(a).<br />

Satz 4.13 (Rechenregeln für Folgen).<br />

Seien (a n ) und (b n ) zwei konvergente Folgen. Dann konvergieren auch die Folgen<br />

(a n ±b n ) und (a n·b n ) und es gilt l<strong>im</strong>(a n ±b n ) = l<strong>im</strong> a n ±l<strong>im</strong> b n sowie l<strong>im</strong>(a n·b n ) =<br />

l<strong>im</strong> a n · l<strong>im</strong> b n .<br />

Beweis. (i) (Summe/Differenz) Sei l<strong>im</strong> a n = a und l<strong>im</strong> b n = b. Sei ɛ > 0 gegeben.<br />

Es gibt ein N 1 ∈ N mit |a n − a| < ɛ/2 für alle n ≥ N 1 und ein N 2 mit |b n − b| <<br />

ɛ/2 für alle n ≥ N 2 . Setze N = max(N 1 , N 2 ). Dann gilt |(a n ± b n ) − (a ± b)| ≤<br />

|a n − a| + |b n − b| < ɛ/2 + ɛ/2 = ɛ für alle n ≥ N.<br />

(ii) (Produkt) Die Folge a n ist beschränkt nach Satz 4.9. Also gilt |a n | ≤ C für<br />

alle n. Nach Vergrößerung von C kann man annehmen, dass auch |b| ≤ C gilt.<br />

Sei ɛ > 0 gegeben. Es gibt ein N 1 ∈ N mit |a n − a| < ɛ/2C für alle n ≥ N 1 und<br />

ein N 2 mit |b n − b| < ɛ/2C für alle n ≥ N 2 . Setze N = max(N 1 , N 2 ). Dann gilt<br />

für alle n ≥ N:<br />

|a n b n −ab| = |a n b n −a n b+a n b−ab| ≤ |a n (b n −b)|+|(a n −a)b| ≤ C ɛ + ɛ C =<br />

2C 2C<br />

ɛ.<br />

Mit der selben Methode beweist man: l<strong>im</strong>(u · a n + v · b n ) = u · l<strong>im</strong> a n + v · l<strong>im</strong> b n ,<br />

falls beide Folgen konvergieren. Bei Quotienten von Folgen muss man etwas mehr<br />

aufpassen:<br />

Satz 4.14.<br />

Seien (a n ) und (b n ) zwei konvergente Folgen mit b := l<strong>im</strong> b n ≠ 0. Dann konvergiert<br />

auch die Folge (a n /b n ) und es gilt l<strong>im</strong>(a n /b n ) = l<strong>im</strong> a n / l<strong>im</strong> b n . Beachte,<br />

dass die Folge (a n /b n ) nicht definiert ist für die endlich vielen n mit b n = 0.<br />

Beweis. Es gibt nur endlich viele n mit b n = 0, da l<strong>im</strong> b n ≠ 0. Wähle dazu ɛ = |b|,<br />

um dies zu zeigen. Wir ignorieren daher dieses triviale Problem. Wegen Satz 4.13<br />

genügt es, den Fall a n = 1 (konstante Folge) zu betrachten. Sei ɛ > 0 gegeben. Es<br />

gibt ein N mit |b n − b| < ɛ|b| 2 /2 für alle n ≥ N wegen der Konvergenz von b n .<br />

Sei N auch so groß, dass |b n | ≥ |b|/2 für alle n ≥ N. Damit gilt dann:<br />

| 1<br />

b n<br />

− 1| = 1 1<br />

|b b |b n | |b| n − b| < 2 · ɛ|b| 2 /2 = ɛ für alle n ≥ N.<br />

|b| 2<br />

Beispiele 4.15. • a n = 5n2 −7n+13<br />

. Dann ist l<strong>im</strong> a 2n 2 +n+2 n<br />

nach Satz 4.13 und Satz 4.14.<br />

= l<strong>im</strong> 5−7/n+13/n2<br />

2+1/n+2/n 2 = 5 2<br />

• a n = n+2<br />

n 2 −1 mit n ≥ 2. Dann ist l<strong>im</strong> a n = l<strong>im</strong> 1/n+2/n2<br />

1−1/n 2 = 0 nach Satz 4.14<br />

• Die Folge a n<br />

divergent.<br />

= n2 +2n−1<br />

(n ≥ 4) ist divergent, denn a<br />

n−3 n ≥ n2<br />

n<br />

35<br />

= n ist


Satz 4.16.<br />

Seien (a n ) und (b n ) konvergent mit a n<br />

a := l<strong>im</strong> a n ≤ b := l<strong>im</strong> b n .<br />

≤ b n für alle n ≥ n 0 . Dann gilt auch<br />

Beweis. Betrachte c n = b n − a n . Nach Satz 4.13 ist c n konvergent mit c :=<br />

l<strong>im</strong> c n = b − a. Wir müssen c ≥ 0 zeigen. Angenommen c < 0. Wähle ɛ = −c ><br />

0. Da all c n ≥ 0 sind kann niemals |c n − c| < ɛ gelten, ein Widerspruch!<br />

Korollar 4.17 (Sandwich-Prinzip).<br />

Sind a n ≤ b n ≤ c n Folgen, so dass (a n ) und (c n ) konvergent sind mit gleichem<br />

L<strong>im</strong>es a = l<strong>im</strong> a n = l<strong>im</strong> c n . Dann ist auch die Folge (b n ) konvergent mit dem<br />

selben L<strong>im</strong>es.<br />

Beweis. Die Folge (c n − a n ) ist eine Nullfolge nach Satz 4.13. Sei ɛ > 0 gegeben.<br />

Dann gibt es ein N mit |a n − a| < ɛ/2 sowie |c n − a n | < ɛ/2 für alle n ≥ N. Also<br />

ist auch |b n −a| ≤ |b n −a n |+|a n −a| ≤ |c n −a n |+|a n −a| < ɛ/2+ɛ/2 = ɛ.<br />

Definition 4.18 (Cauchyfolgen und Intervallschachtelungen).<br />

Eine reelle Folge heißt Cauchyfolge, falls gilt:<br />

∀ɛ > 0 ∃n 0 ∈ N ∀m, n ≥ n 0 |a n − a m | < ɛ.<br />

Eine Intervallschachtelung ist eine Folge von Intervallen<br />

I 0 ⊇ I 1 ⊇ I 2 ⊇ . . . ⊇ I n ⊇ . . .<br />

mit I n = [a n , b n ] := {x ∈ R | a n ≤ x ≤ b n }, wobei a n ≤ b n ist. Es gilt also<br />

a 0 ≤ a 1 ≤ . . . ≤ a n ≤ . . . ≤ b n ≤ b n−1 ≤ . . . ≤ b 1 ≤ b 0 .<br />

Proposition 4.19. Jede Cauchyfolge ist beschränkt und jede konvergente Folge<br />

(a n ) ist eine Cauchyfolge.<br />

Beweis. Der erste Teil wird genauso wie Satz 4.9 bewiesen, wobei der L<strong>im</strong>es<br />

durch ein festes Folgenglied ersetzt wird. Sei ɛ > 0 gegeben. Dann gibt es ein n 0<br />

mit |a n −a| < ɛ/2 für alle n ≥ n 0 . Dann gilt auch |a n −a m | ≤ |a n −a|+|a−a m | <<br />

2 · ɛ/2 = ɛ für m, n ≥ n 0 .<br />

Die Umkehrung kann man nicht innerhalb der rationalen Zahlen beweisen. Betrachte<br />

dazu eine Folge, die gegen √ 2 konvergiert (Konstruktion mit Dez<strong>im</strong>albruchabschneiden).<br />

In R gilt die Umkehrung aber:<br />

Axiom 4.20 (Vollständigkeitsaxiom). Jede Cauchyfolge in R ist konvergent.<br />

36


Axiom 4.21 (Intervallschachtelungsprinzip).<br />

Sei (I n ) eine Intervallschachtelung, für die l<strong>im</strong>(b n − a n ) = 0 gilt. Dann gibt es<br />

genau ein x ∈ R mit<br />

x ∈ ⋂ n≥0<br />

I n ,<br />

d.h. x ∈ I n für alle n. Auch das Intervallschachtelungsprinzip gilt nicht in Q<br />

(gleiches Beispiel, wobei a n , b n durch Ab-/Aufrunden entstehen).<br />

Satz 4.22.<br />

Folgende Axiome der reellen Zahlen sind äquivalent:<br />

(i) Das Vollständigkeitsaxiom.<br />

(ii) Das Intervallschachtelungsprinzip.<br />

(iii) Das Inf<strong>im</strong>umsaxiom (OV): Jede nicht–leere, nach unten beschränkte Teilmenge<br />

von R besitzt ein Inf<strong>im</strong>um.<br />

(iv) Das Supremumsaxiom: Jede nicht–leere, nach oben beschränkte Teilmenge<br />

von R besitzt ein Supremum, d.h. eine kleinste obere Schranke.<br />

Beweis. (i) =⇒ (ii): Sei I n = [a n , b n ] und l<strong>im</strong>(b n − a n ) = 0. Betrachte die Folge<br />

(a n ). Wenn b k − a k < ɛ, so gilt auch |a n − a m | < ɛ, falls m, n ≥ k, denn a n und<br />

a m sind in I k . Also ist (a n ) eine Cauchyfolge. Nach (i) konvergiert (a n ) gegen ein<br />

x. Es gilt aber a n ≤ x ≤ b n für alle n nach Satz 4.16, da a n ≤ a k ≤ b n für k ≥ n.<br />

Damit gilt x ∈ ⋂ n I n. Wegen l<strong>im</strong>(b n − a n ) = 0 ist x das einzige Element in dieser<br />

Menge.<br />

(ii) =⇒ (iii): Sei A ⊆ R nicht-leer und nach unten beschränkt. Dann gibt es ein<br />

a 0 ∈ A und eine untere Schranke C 0 von A. Wir konstruieren induktiv eine Folge<br />

von Paaren (a k , C k ), so dass gilt:<br />

• a n ∈ A und C n ist untere Schranke von A.<br />

• a n − C n ≤ 2 −n (a 0 − C 0 ).<br />

Dies definiert dann eine Intervallschachtelung I n = [C n , a n ] mit l<strong>im</strong>(b n −a n ) = 0.<br />

Seien I 0 , . . . , I n bereits konstruiert. Setze M := Cn+an .<br />

2<br />

1. Fall: [C n , M] ∩ A = ∅. Dann ist M auch eine untere Schranke und wir setzen<br />

C n+1 := M und a n+1 = a n .<br />

2. Fall: [C n , M] ∩ A ≠ ∅. Dann existiert ein a n+1 ∈ A mit a n+1 ≤ M. Setze dann<br />

C n+1 = C n und a n+1 wie eben gewählt.<br />

In beiden Fällen gilt die Behauptung. Nach Voraussetzung gilt das Intervallschachtelungsprinzip<br />

(ii) und es gibt ein x ∈ ⋂ n I n. Dieses x ist das Inf<strong>im</strong>um von A: Ist<br />

a ∈ A, so gilt C n ≤ a für jedes n und somit auch x ≤ a, also ist x eine untere<br />

Schranke. Da alle a n ∈ A sind und für jedes ɛ > 0 ein n 0 existiert mit |x−a n | < ɛ<br />

für n ≥ n 0 , so ist x auch die größte untere Schranke.<br />

37


(iii) ⇔ (iv): Betrachte −A := {−a | a ∈ A}.<br />

(iv) =⇒ (i): Sei (a n ) ein Cauchyfolge. Setze A n := {a m | m ≥ n}. A n ist nichtleer<br />

und nach oben beschränkt nach Proposition 4.19. Also existiert b n := sup A n .<br />

Es gilt . . . ≥ b n ≥ b n+1 ≥ . . ., da A n ⊇ A n+1 . Die Menge {b n | n ∈ N} ist<br />

nicht-leer und nach unten beschränkt durch die untere Schranke von (a n ) aus Satz<br />

4.9. Setze b := inf{b n | n ∈ N}. Beachte, dass hier auch (iii) gilt (siehe oben).<br />

Wir zeigen nun, dass b = l<strong>im</strong> a n gilt und damit (i): Sei ɛ > 0 vorgegeben. Da<br />

b = inf{b n | n ∈ N} ist, existiert ein n 0 mit |b n − b| < ɛ/2 für alle n ≥ n 0 .<br />

Ansonsten wäre b + ɛ/2 noch eine bessere untere Schranke von {b n }. Ebenso gibt<br />

es ein n 1 ≥ n 0 mit |a n − b n | ≤ ɛ/2 für alle n ≥ n 1 , wegen der Cauchyeigenschaft<br />

von (a n ). Insgesamt gilt also für n ≥ n 1 :<br />

|a n − b| ≤ |a n − b n | + |b n − b| < 2 · ɛ/2 = ɛ. Damit der Satz bewiesen.<br />

Korollar 4.23. Da die Dedekindschen Schnitte und damit die reellen Zahlen (iii)<br />

erfüllen, gilt auch (i),(ii) und (iv) in R. Das Axiom (Ar) folgt daraus (siehe §3).<br />

Häufungspunkte<br />

Definition 4.24. Eine Folge (a n ) heißt monoton wachsend bzw. monoton fallend,<br />

falls gilt: a n ≤ a n+1 bzw. a n ≥ a n+1 . Falls überall < bzw. > steht, spricht man<br />

von streng monotonen Folgen. Eine Zahl a ∈ R heißt Häufungspunkt von (a n ),<br />

falls eine Teilfolge (a nk ) existiert, die gegen a konvergiert.<br />

Satz 4.25 (Satz von Bolzano–Weierstraß).<br />

(a) Jede beschränkte, monotone reelle Folge ist konvergent.<br />

(b) Jede reelle Folge besitzt eine monotone Teilfolge.<br />

(c) Jede beschränkte, reelle Zahlenfolge besitzt einen Häufungspunkt.<br />

Beweis. (a) Sei (a n ) monoton wachsend. Der Beweis für monoton fallende Folgen<br />

geht fast genauso. Sei A := {a n | n ∈ N} und ɛ > 0 gegeben. Da A beschänkt<br />

ist, existiert a := sup A. Es gibt dann ein N mit |a N − a| < ɛ. Ansonsten wäre<br />

a − ɛ noch eine bessere obere Schranke. Also ist auch |a n − a| < ɛ für alle n ≥ N<br />

wegen der Monotonie und daher (a n ) konvergent gegen a.<br />

(b) Setze A := {n ∈ N | a n ≥ a l ∀ l > n}.<br />

1. Fall: A ist unendlich. Dann kann man leicht eine Teilfolge bilden, die monoton<br />

fallend ist.<br />

2. Fall: A endlich. Dann gibt es ein N, so dass n /∈ A für alle n ≥ N. D.h. für alle<br />

n ≥ N gibt es ein l > n mit a l > a n . Dadurch lässt sich eine monoton wachsende<br />

Teilfolge bilden.<br />

(c) folgt aus (a) und (b).<br />

38


Definition 4.26 (Uneigentliche Konvergenz, Best<strong>im</strong>mte Divergenz).<br />

Sei (a n ) eine reelle Folge. (a n ) heißt best<strong>im</strong>mt divergent oder uneigentlich konvergent<br />

gegen +∞, falls zu jedem C ∈ R ein N ∈ N existiert, so dass a n > C<br />

für alle n ≥ N.<br />

(a n ) heißt best<strong>im</strong>mt divergent gegen −∞, falls (−a n ) best<strong>im</strong>mt divergent gegen<br />

+∞ ist. Falls eine Folge best<strong>im</strong>mt divergiert, schreiben wir auch<br />

l<strong>im</strong> a n = ±∞<br />

n→∞<br />

und bezeichnen ±∞ als den Grenzwert oder L<strong>im</strong>es.<br />

Beispiele 4.27.<br />

• a n = n ist best<strong>im</strong>mt divergent gegen +∞.<br />

• a n = −n ist best<strong>im</strong>mt divergent gegen −∞.<br />

• Allgemeiner ist jede monotone Folge eigentlich oder uneigentlich konvergent.<br />

• a n = (−1) n n ist nicht best<strong>im</strong>mt divergent, sondern einfach nur divergent.<br />

Definition 4.28.<br />

(a) Der größte Häufungspunkt oder L<strong>im</strong>es Superior einer Folge (a n ) reeller Zahlen<br />

ist<br />

l<strong>im</strong> sup a n := l<strong>im</strong> sup{a k | k ≥ n} ∈ R ∪ {±∞}.<br />

n→∞ n→∞<br />

(b) Der kleinste Häufungspunkt oder L<strong>im</strong>es Inferior einer Folge (a n ) reeller Zahlen<br />

ist<br />

l<strong>im</strong> inf a n := l<strong>im</strong> inf{a k | k ≥ n} ∈ R ∪ {±∞}.<br />

n→∞ n→∞<br />

Beachte 4.29. In beiden Fällen ist sup{a k | k ≥ n} bzw. inf{a k | k ≥ n} eine<br />

monoton fallende bzw. wachsende Folge. Also existieren die Grenzwerte, sind<br />

aber eventuell uneigentlich, d.h. ±∞, wenn diese Folgen unbeschränkt sind.<br />

Satz 4.30.<br />

l<strong>im</strong> sup a n und l<strong>im</strong> inf a n sind tatsächlich Häufungspunkte von (a n ). Für jeden<br />

anderen Häufungspunkt x gilt<br />

l<strong>im</strong> inf<br />

n→∞<br />

a n ≤ x ≤ l<strong>im</strong> sup a n .<br />

n→∞<br />

Die Folge (a n ) ist konvergent (eigentlich oder uneigentlich) genau dann, wenn<br />

l<strong>im</strong> inf a n = l<strong>im</strong> sup a n .<br />

39


Beweis. Sei a := l<strong>im</strong> sup a n ∈ R. Der Beweis für l<strong>im</strong> inf a n und <strong>im</strong> Fall, dass<br />

±∞ angenommen wird verläuft ähnlich. Für jedes k ≥ 1 wähle ein n ′ k mit |a −<br />

sup{a n | n ≥ n ′ k }| ≤ 1/2k. Dies existiert, da die Folge sup{a k | k ≥ n}<br />

nach Voraussetzung gegen a konvergiert. Dann wähle ein n k ≥ n ′ k , so dass auch<br />

|a nk − sup{a n | n ≥ n ′ k }| ≤ 1/2k. Insgesamt folgt |a n k<br />

− a| ≤ 1/k. Daraus kann<br />

man mit Induktion eine Teilfolge (a nk ) konstruieren, wenn man auch n k > n k−1<br />

fordert. Diese Teilfolge konvergiert gegen a = l<strong>im</strong> sup a n . Sei nun x ein beliebiger<br />

weiterer Häufungspunkt. Dann gibt es einen Teilfolge, die gegen x konvergiert.<br />

Für jedes ɛ > 0 und jedes n 0 ∈ N gilt also x ≤ sup{a n | n ≥ n 0 } + ɛ. Da ɛ und<br />

n 0 beliebig waren, gilt sogar x ≤ a. Der Nachsatz folgt daraus sofort.<br />

Bemerkung 4.31. Eine reelle Folge kann beliebig viele, sogar überabzählbar viele<br />

Häufungspunkte haben, zum Beispiel liefert die Abzählung von Q, die wir früher<br />

konstruiert haben eine Folge, die jede reelle Zahl als Häufungspunkt hat. Dies liegt<br />

daran, dass man jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlen mit sehr<br />

großem Nenner approx<strong>im</strong>ieren kann. Große Nenner treten aber sehr weit hinten<br />

in der Abzählung auf.<br />

Ein Algorithmus <strong>zur</strong> Berechnung von Quadratwurzeln<br />

Das folgende Verfahren liefert eine sehr schnelle Methode, um die Quadratwurzel<br />

aus einer positiven reellen Zahl c > 0 zu best<strong>im</strong>men. Wähle eine Anfangszahl<br />

x 0 > 0 beliebig. Dann definiert man rekursiv eine Folge x n durch<br />

x n+1 := 1 (<br />

x n + c )<br />

.<br />

2 x n<br />

Dann gilt:<br />

• x n > 0 für alle n ≥ 0.<br />

• x n+1 ≤ x n für alle n ≥ 1.<br />

• x 2 n ≥ c für alle n ≥ 1.<br />

• x n ist konvergent mit l<strong>im</strong> x n = √ c.<br />

Beweis. ( x n > 0)<br />

folgt aus der Rekursionsformel. Außerdem gilt x n − x n+1 =<br />

x n − 1 x<br />

2 n + c<br />

x n<br />

= 1<br />

2x n<br />

(x 2 n − c). Wir wollen zeigen, dass x 2 n ≥ c für alle n ≥ 1.<br />

Es gilt aber<br />

x 2 n − c = 1 4<br />

(<br />

x n−1 +<br />

c ) 2<br />

− c = 1 (<br />

x n−1 −<br />

x n−1 4<br />

40<br />

c<br />

x n−1<br />

) 2<br />

≥ 0.


Daher ist x n monoton fallend und beschänkt, konvergiert also gegen inf{x n | n ≥<br />

1}. Nach den Rechenregeln für Folgen (Satz 4.13/4.14) gilt demnach:<br />

l<strong>im</strong> x n = l<strong>im</strong> x n+1 = 1 (<br />

l<strong>im</strong> x n +<br />

c )<br />

.<br />

2 l<strong>im</strong> x n<br />

(<br />

Bezeichnet man diesen L<strong>im</strong>es mit a, so gilt also a = 1 2 a +<br />

c<br />

a)<br />

und damit a 2 = c,<br />

also a = √ c.<br />

Beispiel 4.32. Diese Methode ist sehr schnell und fehlerkorrigierend (ohne Beweis).<br />

Betrachtet man c = 2, so kann man die folgenden Werte berechnen: x 0 = 1,<br />

x 1 = 1.5, x 2 = 1.416666..., x 3 = 1.414215686.... Der genaue Wert bis auf<br />

28 Stellen ist übrigens √ 2 = 1.414213562373095048801688724. Dies kann man<br />

ziemlich schnell z.B. mit der freien Software SAGE berechnen.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 49. Untersuchen Sie die Folgen auf Konvergenz und best<strong>im</strong>men Sie<br />

ggfs. den Grenzwert:<br />

(a) u n = (−2) n (n 3 +1) 2<br />

.<br />

(n+1) n<br />

(b) v n = (−1) n n3<br />

(n−1) 3 .<br />

(c) w n = 1+3+5+...+(2n−1) − n+1.<br />

6n+5 6<br />

(d) x n = n4 +2<br />

− n5 −3n 3<br />

.<br />

n 2 −4 n 3 +1<br />

Aufgabe 50. Untersuchen Sie die Folgen auf Konvergenz und best<strong>im</strong>men Sie<br />

ggfs. den Grenzwert:<br />

(a) u n = 1+2+3+...+n .<br />

n 2<br />

(b) v n = 12 +2 2 +3 2 +...+n 2<br />

.<br />

n 3 . n<br />

(c) x n = (−1) n n+1<br />

(d) x 1 = 0, x 2m = x 2m−1<br />

, x<br />

2 2m+1 = x 2m + 1 2<br />

(für m ≥ 1).<br />

Aufgabe 51.<br />

(a) Sei 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, ... die Fibonaccifolge, definiert durch a 0 = 0, a 1 =<br />

1 sowie die Vorschrift a n+2 = a n + a n+1 . Berechnen Sie l<strong>im</strong> a n+1<br />

a n<br />

.<br />

(b) Sei x n eine konvergente, reelle Folge mit x 1 = 1 und der Eigenschaft x n+1 =<br />

1 + 1<br />

1+x n<br />

. Berechnen Sie l<strong>im</strong> x n .<br />

Aufgabe 52. Betrachten Sie die Abzählung von Q mit dem Diagonalverfahren<br />

aus §3. Dies definiert eine Folge (a n ) in Q. Zeigen Sie, dass diese Folge jedes<br />

x ∈ Q als Häufungspunkt besitzt. Hinweis: Approx<strong>im</strong>ieren Sie x durch Brüche<br />

mit größer werdenden Nennern.<br />

41


Aufgabe 53. Berechnen Sie √ 3 und √ 5 mit der in der <strong>Vorlesung</strong> angegebenen<br />

Iteration auf mehrere Dez<strong>im</strong>alstellen genau.<br />

Aufgabe 54. Man untersuche die nachstehenden Folgen auf Konvergenz und best<strong>im</strong>me<br />

gegebenenfalls den jeweiligen Grenzwert:<br />

1. (a n ) n=1,2,... mit a n = a 1 n für ein a ≥ 0,<br />

2. (b n ) n=1,2,... mit b n = 1 + 1 + 1 + . . . + 1<br />

1·2 2·3 3·4 n(n+1)<br />

1<br />

Hinweis: = 1 − 1 .<br />

k(k+1) k k+1<br />

Aufgabe 55. Sei (x v ) v∈N eine Folge mit l<strong>im</strong> v→∞ (x v − x v−2 ) = 0. Zeigen Sie<br />

x v − x v−1<br />

l<strong>im</strong><br />

v→∞ v<br />

= 0.<br />

für geeig-<br />

Hinweis: Zerlegen Sie den Bruch xv−x v−1<br />

in Brüche der Form xw−x w−2<br />

v<br />

v<br />

nete w und verwenden Sie die Konvergenz von (x v − x v−2 ) gegen 0.<br />

Aufgabe 56. Die Folge (a m ) m≥1 konvergiere gegen a. Für m ≥ 1 sei<br />

b m := a 1 + . . . + a m<br />

m<br />

gegeben. Zeigen Sie, dass (b m ) m≥1 auch gegen a konvergiert.<br />

Aufgabe 57. Man best<strong>im</strong>me für die nachstehenden Folgen (x n ) jeweils inf{x n |n ≥<br />

1), sup{x n |n ≥ 1}, l<strong>im</strong> inf n→∞ x n und l<strong>im</strong> sup n→∞ x n :<br />

1. x n = (−1) n n+1<br />

n ,<br />

2. x 1 = 0, x 2m = x 2m−1<br />

, x<br />

2 2m+1 = x 2m + 1 (für m ≥ 1),<br />

2<br />

3. x n = 777n<br />

n!<br />

.<br />

Aufgabe 58. Die Folge (b m ) m∈N erfülle 0 < b m < 1 und (1 − b m ) · b m+1 > 1 4 für<br />

alle m ≥ 1.<br />

1. Zeigen Sie, dass (b m ) m∈N konvergiert mit l<strong>im</strong> m→∞ b m = 1.<br />

2<br />

Hinweis: Beweisen Sie die Ungleichung x(1 − x) ≤ 1 für alle x ∈ R und<br />

4<br />

untersuchen Sie (b m ) auf Monotonie.<br />

42


2. Geben Sie ein Beispiel für eine Folge mit diesen Eigenschaften an!<br />

Aufgabe 59. Beweisen Sie: Es seien (a n ) n≥1 und (b n ) n≥1 konvergente Folgen mit<br />

l<strong>im</strong> n→∞ a n = a und l<strong>im</strong> n→∞ b n = b. Setze c n = max(a n , b n ). Dann existiert der<br />

Grenzwert von (c n ) n≥1 , und es gilt l<strong>im</strong> n→∞ c n = max(a, b).<br />

Aufgabe 60. Untersuchen Sie die folgenden Folgen auf Konvergenz und berechnen<br />

Sie gegebenenfalls den Grenzwert:<br />

1. (a n ) n≥1 mit a n = (n+1)3 −n 3<br />

n 2 ,<br />

2. (b n ) n≥1 mit b n =<br />

n 3<br />

1+2+...+n − 2n,<br />

3. (c n ) n≥1 mit c n = (−1)n n 2<br />

(n+1) 2 ,<br />

4. (d n ) n≥2 mit d n = ( ( ) (<br />

1 − 2) 1 1 −<br />

1<br />

3 . . . 1 −<br />

1<br />

n)<br />

,<br />

Aufgabe 61. Untersuchen Sie folgende Folgen auf Konvergenz und best<strong>im</strong>men<br />

Sie gegebenenfalls den Grenzwert (es ist jeweils das nte Folgeglied angegeben):<br />

a) 1−n<br />

1− √ n , b) 1 n 2 ∑ n<br />

j=1 j, c) ∏ (1 − 1 n 2 ) n ,<br />

d) (−1) n n<br />

3n+1 , e)√ 9n 2 + 2n + 1 − 3n, f) n2 +5n<br />

3n 2 +1 ,<br />

g) 1+22 +...+n 2<br />

n 3 , h) 1 + q + q 2 + . . . + q n , i) q n für q < 1,<br />

j) (1 + 1 n )n für n ≥ 1 (Satz von de L’Hospital).<br />

Aufgabe 62. Berechnen Sie l<strong>im</strong>es inferior und l<strong>im</strong>es superior der Folgen (b n ) n≥1<br />

und (c n ) n≥1 . Können Sie konvergente Teilfolgen entdecken<br />

b n = n + (−1)n (2n + 1)<br />

und c n = (−1) n (3 + 2 n<br />

n ).<br />

Aufgabe 63. Sind die folgenden Folgen konvergent oder divergent Begründen<br />

Sie die Antwort und berechnen Sie <strong>im</strong> Fall der Konvergenz den Grenzwert.<br />

(<br />

1 + 2n + 3n2<br />

a n = , b<br />

5n 2 n = n2 − n<br />

− 4<br />

n + 1 − n3 + 1<br />

n 2 − 1 , c n = 1 + 1 ) n<br />

2<br />

,<br />

2n<br />

d n = 2n<br />

n! , e n =<br />

5n 2<br />

1 + 3 + 5 + · · · + (2n − 1) .<br />

Aufgabe 64. Zeigen Sie: Eine reelle Folge (a n ) ist genau dann konvergent, wenn<br />

min(a n , 0) sowie max(a n , 0) konvergent sind.<br />

43


5 Reihen und komplexe Zahlen<br />

Inhalt: Unendliche Reihen, Konvergenzkriterien, Metrische Räume, Komplexe<br />

Zahlen.<br />

Reihen und Konvergenz<br />

Sei (a n ) eine Folge reeller Zahlen. Die definiert eine unendliche Reihe<br />

a 1 + a 2 + a 3 + · · · + a n + a n+1 + · · ·<br />

Definition 5.1. Man definiert eine Reihe als Folge der Partialsummen<br />

s n := a 1 + a 2 + a 3 + · · · + a n .<br />

Die Reihe wird auch mit ∑ ∞<br />

n=1 a n bezeichnet. Falls die Folge (s n ) konvergiert,<br />

wird die Reihe konvergent genannt und mit ∑ ∞<br />

n=1 a n ebenfalls der Grenzwert bezeichnet.<br />

∑<br />

Eine Reihe kann auch bei einem beliebig anderen Index k ≥ 0 beginnen:<br />

∞<br />

n=k a n.<br />

Definition 5.2 (Geometrische Reihe).<br />

Sei q ∈ R. Dann betrachte die Reihe<br />

∞∑<br />

q k = 1 + q + q 2 + · · ·<br />

k=0<br />

Satz 5.3.<br />

Für |q| < 1 konvergiert die geometrische Reihe mit dem Grenzwert<br />

Die Partialsummen erfüllen<br />

∞∑<br />

k=0<br />

n∑<br />

k=0<br />

q k = 1<br />

1 − q .<br />

q k = 1 − qn+1<br />

1 − q .<br />

Beweis. (1 − q) ∑ n<br />

k=0 qk = 1 − q + q − q 2 + q 2 − q 3 + · · · − q n+1 = 1 − q n+1 .<br />

Da q ≠ 1 ist, gilt daher für die Partialsummen<br />

n∑<br />

k=0<br />

q k = 1 − qn+1<br />

1 − q .<br />

Aus Satz 3.22(b) folgt die Behauptung <strong>im</strong> Grenzübergang n ↦→ ∞.<br />

44


Beispiel 5.4. q = 1 2 , dann ∑ n<br />

k=0 qk = 2.<br />

Satz 5.5 (Rechenregeln).<br />

Sind ∑ a n und ∑ b n konvergente Reihen und u, v ∈ R, so konvergiert auch die<br />

Reihe ∑ (u · a n + v · b n ) mit dem Grenzwert (u · ∑ a n + v · ∑ b n ). Man sagt auch:<br />

Das Reihensymbol ∑ ist linear.<br />

Beweis. Wende Satz 4.13 bzw. sein Korollar auf die Partialsummenfolge an.<br />

Beispiel 5.6. Teleskopsummen treten häufig auf, wie eben in der geometrischen<br />

Reihe. Ein beliebtes Beispiel ist die Reihe<br />

∞∑<br />

n=1<br />

∞<br />

1<br />

n(n + 1) = ∑<br />

( 1<br />

n − 1 )<br />

.<br />

n + 1<br />

n=1<br />

Aufeinanderfolgende Terme heben sich auf, so dass gilt<br />

also ∑ ∞<br />

n=1<br />

1<br />

n(n+1)<br />

s n = 1 − 1<br />

n + 1 ,<br />

= 1. Weitere Beispiele in den Übungen.<br />

Ebenso wie reelle Folgen, können auch Reihen uneigentlich divergieren. Nun betrachten<br />

wir<br />

Satz 5.7 (Konvergenzkriterien für Reihen).<br />

In jeder konvergenten Reihe ∑ a n ist die Folge (a n ) eine Nullfolge.<br />

Beweis. Die Folge der Partialsummen s n konvergiert. Insbesondere ist sie eine<br />

Cauchyfolge. Wählt man m = n + 1, so gilt daher:<br />

∀ɛ > 0 ∃N mit |s n+1 − s n | < ɛ ∀n ≥ N.<br />

Da s n+1 − s n = a n+1 ist, folgt insbesondere, dass (a n ) eine Nullfolge ist.<br />

Beispiele 5.8. Die Harmonische Reihe ∑ 1<br />

ist divergent, denn es gilt:<br />

n<br />

s 2 m = 1 + 1 ( 1<br />

2 + 3 + 1 ) ( 1<br />

+<br />

4 5 + · · · + 1 + · · · ≥ 1 +<br />

8)<br />

m 2 ,<br />

da jede Klammer ≥ 2 m−1 · 2 −m = 1 ist. Die Reihen ∑ 1<br />

2<br />

falls k > 1 ist.<br />

n k<br />

konvergieren dagegen,<br />

45


Beweis. Für k = 2 (der allgemeine Fall geht genauso)<br />

2 m+1 ∑−1<br />

n=1<br />

(<br />

1 1<br />

n = 1+ 2 2 + 1 ) ( ) 1<br />

+· · ·+<br />

2 3 2 (2 m ) + · · · ≤<br />

2<br />

wegen der geometrischen Reihe, da jede Klammer ≤ 2 −l ist.<br />

Grenzwertformeln:<br />

ζ(2) :=<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

n 2 = π2<br />

6 , ζ(4) := ∞<br />

∑<br />

n=1<br />

m∑<br />

2 l· 1<br />

(2 l ) = ∑ m<br />

1<br />

2 2 ≤ 2, l<br />

l=0<br />

1<br />

n 4 = π4<br />

90 , ζ(6) := ∞<br />

∑<br />

n=1<br />

l=0<br />

1<br />

n 6 = π6<br />

945 .<br />

Alternierende Reihen: Betrachtet man statt der harmonischen Reihe ∑ 1<br />

die n<br />

Reihe ∑ (−1) n−1 1 = 1 − 1 + 1 − · · · , so sieht man folgendes Verhalten: Die<br />

n<br />

2 3<br />

Partialsummen erfüllen s 2m+1 > s 2m und es gilt 0 ≤ s 2m+1 − s 2m ≤ 1 . Die<br />

2m+1<br />

Folge der Partialsummen s 2m bzw. s 2m+1 sind monoton wachsend bzw. fallend<br />

und beschränkt. Also konvergieren sie nach Satz 4.25 mit dem gleichen L<strong>im</strong>es.<br />

Mit dem gleichen Beweis erhält man:<br />

Satz 5.9 (Leibnizkriterium).<br />

Sei (a n ) eine monoton fallende Nullfolge positiver reeller Zahlen. Dann konvergiert<br />

die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 (−1)n−1 a n .<br />

Beispiele 5.10. 1 − 1 2 + 1 3 − · · · = log(2) und 1 − 1 3 + 1 5 − · · · = π 4<br />

(ohne Beweis).<br />

Absolute Konvergenz<br />

Definition 5.11. Eine Reihe ∑ a n heißt absolut konvergent, falls die Reihe ∑ |a n |<br />

konvergent ist.<br />

Beachte 5.12. Dieser Begriff ist stärker als Konvergenz (siehe alternierende harmonische<br />

Reihe), dafür aber flexibler in den Anwendungen.<br />

Beweis. Ist ∑ |a n | konvergent und ɛ > 0 gegeben, so ist nach der Dreiecksungleichung<br />

n∑<br />

n∑<br />

|s n − s m | = | a k | ≤ |a k | < ɛ<br />

k=m<br />

für n ≥ m ≥ n 0 (ɛ) wegen der absoluten Konvergenz. Also ist ∑ a k eine Cauchyfolge<br />

und damit konvergent.<br />

Die folgenden Kriterien sind sehr nützlich:<br />

46<br />

k=m


Satz 5.13 (Majorantenkriterium).<br />

Sei ∑ b n eine konvergente Reihe mit b n ≥ 0 und a n eine Folge mit |a n | ≤ b n für<br />

alle n ≥ 1 (oder nur für fast alle, d.h. bis auf endlich viele). Dann ist die Reihe<br />

∑<br />

an absolut konvergent. ∑ b n heißt Majorante.<br />

Beweis. Sei ɛ > 0 gegeben. Da ∑ b n konvergent ist, gibt es ein n 0 mit ∑ n<br />

k=m b k <<br />

ɛ für alle n ≥ m ≥ n 0 . Also ist auch<br />

n∑<br />

|a k | ≤<br />

k=m<br />

n∑<br />

b k < ɛ<br />

k=m<br />

für alle n ≥ m ≥ n 0 . Damit ist ∑ a k absolut konvergent.<br />

Beispiel 5.14. ∑ 1<br />

hat für k ≥ 2 die Majorante ∑ 1<br />

, da 1 ≤ 1 ≤ 1<br />

n k n(n−1) n k n 2 n(n−1)<br />

für n ≥ 2. Also ergibt sich ein neuer Beweis dafür, dass ∑ 1<br />

konvergiert für<br />

n k<br />

k ≥ 2.<br />

Korollar 5.15 (Divergenzkriterium). Ist 0 ≤ a n ≤ b n und ∑ a n divergent. Dann<br />

ist auch ∑ b n divergent.<br />

Beweis. Satz 5.13.<br />

Satz 5.16 (Quotientenkriterium).<br />

Sei ∑ a n eine Reihe mit | a n+1<br />

a n<br />

| ≤ q für eine feste positive Zahl q < 1 und alle n<br />

bis auf endlich viele Ausnahmen. Dann konvergiert ∑ a n absolut.<br />

Beweis. Es gilt:<br />

|a n | ≤ q · |a n−1 | ≤ q 2 · |a n−2 | ≤ · · · ≤ q n |a 0 |<br />

(eventuell ersetze 0 durch einen anderen Anfangsindex n 0 ) und damit<br />

∑<br />

|an | ≤ |a 0 | · ∑ q n = |a 0 | ·<br />

1<br />

1 − q .<br />

Da die geometrische Reihe konvergent ist, folgt die Behauptung aus dem Majorantenkriterium.<br />

Beispiele 5.17. • Be<strong>im</strong> Anwenden von Satz 5.16 muss man unbedingt die<br />

Zahl q < 1 angeben können. Zum Beispiel gilt auch bei der harmonischen<br />

Reihe a n+1<br />

a n<br />

= n < 1, aber es gibt kein q < 1, so dass n<br />

< q für alle<br />

n+1 n+1<br />

n ≥ 1 ist.<br />

47


• Typische Reihen, bei denen man dieses Kriterium anwendet sind z.B. Reihen<br />

wie ∑ n 3<br />

5 n , denn man hat dann<br />

| a n+1<br />

| = (n + 1)3 · 5 n<br />

= 1 a n n 3 · 5 n+1 5<br />

(<br />

1 + 1 n) 3<br />

,<br />

eine Folge, die gegen 1 konvergiert. Wähle nun z.B. q = 1 . Dann gilt<br />

5<br />

2<br />

| ≤ q für alle n, die hinreichend groß sind.<br />

| a n+1<br />

a n<br />

Satz 5.18 (Variante: Wurzelkriterium).<br />

Sei (a n ) eine reelle Folge mit der Eigenschaft, dass eine positive Zahl q < 1<br />

existiert mit l<strong>im</strong> sup n√ |a n | ≤ q. Dann ist ∑ a n absolut konvergent.<br />

Beweis. Aus der Voraussetzung folgt für jedes ɛ > 0, dass |a n | ≤ q n + ɛ für fast<br />

alle n. Also kann man nach Vergrößerung von q (<strong>im</strong>mer noch < 1) annehmen,<br />

dass |a n | ≤ q n gilt. Aus dem Majorantenkriterium und mit der geometrischen<br />

Reihe folgt dann die Behauptung.<br />

Beispiel 5.19. ∑ x n<br />

ist konvergent für x ∈ R, da n√ |a<br />

n 2n n | = |x| eine Nullfolge ist.<br />

n 2<br />

Satz 5.20 (Umordnungssatz von Riemann).<br />

Ist ∑ a n eine absolut konvergente Reihe und σ : N → N eine Bijektion. Dann<br />

konvergiert auch die Umordnung<br />

∑<br />

aσ(n)<br />

absolut gegen den selben Grenzwert. Bei Reihen, die nicht absolut konvergieren,<br />

gilt genau das Gegenteil: Ist ∑ a n konvergent, aber nicht absolut konvergent, so<br />

gibt es für jedes c ∈ R eine Umordnung σ : N → N, so dass die Reihe ∑ a σ(n)<br />

konvergent ist mit Grenzwert c.<br />

Beweisidee. Die Folgenglieder a n ≥ 0 bilden eine divergente Reihe ebenso wie<br />

die a n ≤ 0. Man summiert so lange positive Glieder, bis die Summe ≥ c ist. Dann<br />

addiert man negative Glieder bis die Summe wieder ≤ c liegt. Ähnlich wie bei<br />

alternierenden Reihen folgt damit die Konvergenz der neuen Reihe gegen c.<br />

Satz 5.21 (Exponentialreihe).<br />

Für jedes x ∈ R ist die Reihe<br />

absolut konvergent.<br />

e x = exp(x) :=<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n<br />

n!<br />

48


Beweis. Quotientenkriterium: | a n+1<br />

a n<br />

| = |x| . Diese Folge ist eine Nullfolge für<br />

n+1<br />

alle x, daher folgt die Behauptung aus Satz 5.16.<br />

Definition 5.22. Die Eulersche Zahl e ist e 1 = exp(1) = 2.718281 . . ..<br />

Satz 5.23 (Funktionalgleichung für exp).<br />

Für alle x, y ∈ R gilt:<br />

sowie exp(0) = 1.<br />

exp(x + y) = exp(x) · exp(y)<br />

Beweis. Sind ∑ a n und ∑ b n zwei absolut konvergente Reihen, so kann man das<br />

Cauchyprodukt bilden. Dies ist eine neue Reihe ∑ c n mit<br />

n∑<br />

c n = a i · b n−i .<br />

i=0<br />

Dann ist auch ∑ c n absolut konvergent und es gilt<br />

∑<br />

an · ∑ b n = ∑ c n<br />

(Beweis in den Übungen). Hier gilt a n = xn und b<br />

n! n = yn<br />

und daher<br />

n!<br />

n∑<br />

n∑<br />

( n<br />

c n =<br />

)x i y n−i =<br />

i<br />

i=0<br />

x i<br />

i!<br />

Hieraus folgt sofort der Satz.<br />

y n−i<br />

(n − i)! = 1 n!<br />

i=0<br />

Reelle Zahlen als unendliche Reihen<br />

(x + y)n<br />

.<br />

n!<br />

Die Dez<strong>im</strong>aldarstellung reeller Zahlen ist eine Reihenentwicklung: Jedes x ∈ R<br />

lässt sich darstellen als<br />

∞∑<br />

x = ±a −l · · · a −1 a 0 .a 1 a 2 . . . = ± a k · 10 −k ,<br />

k=−l<br />

mit Ziffern 0 ≤ a k ≤ 9. Allgemeiner ist ein b-adischer Bruch eine unendliche<br />

Reihe ∑ a k · b k mit 0 ≤ a k ≤ b − 1.<br />

Satz 5.24.<br />

Jeder b-adische Bruch mit b ≥ 2 konvergiert gegen eine reelle Zahl.<br />

Beweis. Auch hier ist die geometrische Reihe eine Majorante, denn es gilt (oBdA<br />

l = 0):<br />

∞∑<br />

∞∑<br />

a k b −k ≤ (b − 1)b −k = b − 1 = b < ∞.<br />

1 − b−1 k=0<br />

k=0<br />

49


Komplexe Zahlen, Folgen und Reihen<br />

Wir erklären mehrere Darstellungen komplexer Zahlen.<br />

Definition 5.25. Wir definieren die komplexen Zahlen durch C := R 2 mit der<br />

komponentenweisen Addition. Eine Zahl z = (a, b) ∈ C wird auch mit a + ib<br />

bezeichnet. Hierbei ist a = Re(z) der Realteil und b = Im(z) der Imaginärteil<br />

von z. Die Multiplikation von zwei komplexen Zahlen ist durch<br />

(a + ib) · (c + id) = (ac − bd) + i(ad + bc)<br />

definiert. Insbesondere gilt i 2 = −1.<br />

Man definiert auch den Absolutbetrag |z| = √ a 2 + b 2 und die komplexe Konjugation<br />

¯z = a − ib für z = a + ib. Damit gilt z¯z = a 2 + b 2 = |z| 2 . Die multiplikative<br />

Inverse einer komplexen Zahl z = a + ib ≠ 0 ist gegeben durch<br />

z −1 = ¯z<br />

z¯z =<br />

a<br />

a 2 + b + i −b<br />

2 a 2 + b . 2<br />

Bemerkung 5.26. Betrag und Konjugation sind multiplikativ, d.h. es gilt |zw| =<br />

|z||w| und zw = ¯z ¯w.<br />

Definition 5.27 (Folgen und Reihen in C).<br />

Eine Folge (a n ) in C ist eine Folge mit Werten in C: a n ∈ C. Der Begriff der<br />

Konvergenz bleibt der gleiche (aber anderes 2-d<strong>im</strong>ensionales Bild):<br />

∀ɛ > 0 ∃n 0 ∀n ≥ n 0 |a n − a| < ɛ.<br />

(a n ) ist divergent, falls sie nicht konvergent ist.<br />

(a n ) ist eine Cauchyfolge, falls gilt:<br />

∀ɛ > 0 ∃n 0 ∀m, n ≥ n 0 |a m − a n | < ɛ.<br />

Hier ist jeweils der Absolutbetrag in C zu betrachten. Da Reihen auch Folgen<br />

von Partialsummen sind, ist die Konvergenz von Reihen in C ebenfalls wieder<br />

definiert.<br />

Satz 5.28.<br />

Eine Folge (a n ) in C ist konvergent genau dann, wenn die beiden Folgen Re(a n )<br />

sowie Im(a n ) konvergent sind. (a n ) ist eine Cauchyfolge genau dann, wenn Re(a n )<br />

sowie Im(a n ) Cauchyfolgen sind. Insbesondere gilt das Vollständigkeitsaxiom<br />

auch in C. C ist also ein vollständiger metrischer Raum.<br />

50


Beweis. Die erste Behauptung folgt sofort aus den Ungleichungen<br />

und aus der Gleichung<br />

|Re(a n − a)| ≤ |a n − a|, |Im(a n − a)| ≤ |a n − a|<br />

|a n − a| = √ Re(a n − a) 2 + Im(a n − a) 2 .<br />

Der Beweis für Cauchyfolgen geht genauso mit a m statt a. Vollständigkeitsaxiom:<br />

Ist (a n ) eine Cauchyfolge, so sind Real- und Imaginärteil Cauchyfolgen und damit<br />

konvergent. Also ist auch (a n ) konvergent.<br />

Beispiel 5.29. Ist die komplexe Folge (a n ) konvergent, so ist auch die komplex<br />

konjugierte Folge ā n konvergent, da Re(ā n ) = Re(a n ) und Im(ā n ) = −Im(a n ).<br />

Satz 5.30.<br />

Folgende Sätze gelten auch für komplexe Folgen: Summen, Differenzen, Produkte<br />

und Quotientenfolgen konvergenter Folgen sind konvergent mit Summe, Differenz,<br />

Produkt und Quotient als L<strong>im</strong>es. Weiterhin gilt das Quotienten-, Wurzel- und Majorantenkriterium<br />

auch für Reihen in C.<br />

Beweis. Wie in R.<br />

Die wichtigste Eigenschaften von C sind:<br />

Satz 5.31. C ist ein (nicht mehr angeordneter) Erweiterungskörper von R, der<br />

das Vollständigkeitsaxiom erfüllt.<br />

Es gilt auch:<br />

Satz 5.32 (Fundamentalsatz der Algebra).<br />

Jedes Polynom vom Grad m ≥ 1<br />

F (T ) = a m T m + a m−1 T m−1 + · · · + a 1 T + a 0<br />

mit a i ∈ C und a m ≠ 0 hat eine Nullstelle in C, d.h. ein a ∈ C mit F (a) = 0.<br />

Komplexe Exponentialfunktion, Sinus und Kosinus<br />

Definition 5.33. Ist z ∈ C so setzt man wieder exp(z) = ∑ ∞ z n<br />

n=0<br />

und diese<br />

n!<br />

Reihe ist absolut konvergent nach dem Quotientenkriterium für alle z ∈ C. Man<br />

definiert den Sinus und Kosinus als<br />

für x ∈ R. Es gilt also die Formel<br />

sin(x) := Im exp(ix), cos(x) := Re exp(ix)<br />

exp(ix) = cos(x) + i sin(x).<br />

51


Korollar 5.34. Da exp(ix) die Reihenentwicklung ∑ (ix) n<br />

hat und i n entweder<br />

n!<br />

reell oder <strong>im</strong>aginär ist, gelten die Reihenentwicklungen:<br />

cos(x) =<br />

∞∑<br />

(−1) k x2k<br />

(2k)! ,<br />

k=0<br />

sin(x) =<br />

∞∑<br />

k=0<br />

(−1) k x 2k+1<br />

(2k + 1)! .<br />

Es folgt cos(−x) = cos(x) (gerade Funktion) und sin(−x) = − sin(x) (ungerade<br />

Funktion).<br />

Weitere trigonometrische Formeln:<br />

( x + y<br />

sin(x) − sin(y) = 2 cos<br />

2<br />

( x + y<br />

cos(x) − cos(y) = −2 sin<br />

2<br />

Insbesondere ist auch<br />

)<br />

sin<br />

)<br />

sin<br />

( x − y<br />

2<br />

( x − y<br />

cos(2x) = cos 2 (x) − sin 2 (x) = 2 cos 2 (x) − (sin 2 (x) + cos 2 (x)) = 2 cos 2 (x) − 1.<br />

Satz 5.35 (Additionstheoreme).<br />

Für alle x, y ∈ R gilt:<br />

cos(x + y) = cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y),<br />

sin(x + y) = sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y).<br />

Beweis. Nach Satz 5.23 erweitert auf C gilt exp(i(x + y)) = exp(ix) · exp(iy).<br />

Aufteilung in Real-/Imaginärteil liefert die Behauptung.<br />

Polarkoordinaten<br />

Definition 5.36. Es gibt eine zweite Darstellung der komplexen Zahlen mit Polarkoordinaten:<br />

z = a + ib = |z| · e i arg(z) ,<br />

wobei arg(z) ∈ [0, 2π[ der Winkel ist, denn der Vektor z mit der reellen Achse<br />

bildet (gegen den Uhrzeigersinn).<br />

2<br />

)<br />

,<br />

)<br />

.<br />

52


Die Formel exp(iϕ) = cos(ϕ) + i sin(ϕ) definiert Sinus und Cosinus wie oben.<br />

Die Multiplikation von komplexen Zahlen in dieser Darstellung ist gegeben durch<br />

zw = |z|e i arg(z) |w|e i arg(w) = |z||w|e i(arg(z)+arg(w)) ,<br />

d.h. Winkel werden addiert und Beträge multipliziert. Alle komplexen Zahlen mit<br />

Betrag 1 liegen auf den Einheitskreis<br />

S 1 := {z ∈ C | |z| = 1}<br />

und sind von der Form z = e iϕ . Hiermit ergeben sich die nützlichen Moivreschen<br />

Formeln:<br />

exp(iϕ) n = exp(inϕ) = cos(nϕ) + i sin(nϕ)<br />

für alle n ∈ N. Die Einheitswurzeln sind komplexe Lösungen der Gleichung<br />

z n = 1.<br />

Mit Polarkoordinaten kann man sofort alle Lösungen hinschreiben:<br />

Metrische Räume<br />

ζ := exp(2πik/n), k = 0, ..., n − 1.<br />

Die Konvergenz von Folgen und Reihen, sowie Cauchyfolgen lassen sich allgemeiner<br />

auch in metrischen Räumen definieren:<br />

Definition 5.37. Ein metrischer Raum ist eine Menge M mit einer Abstandsfunktion<br />

d : M × M −→ R + ,<br />

so dass gilt:<br />

(MR1) d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 ⇔ x = y.<br />

(MR2) d(x, y) = d(y, x).<br />

(MR3) (Dreiecksungleichung) d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) ∀x, y, z ∈ M.<br />

Beispiele 5.38.<br />

• M = R mit der Abstandsfunktion d(x, y) = |x − y|.<br />

• M = R n (Euklidischer Raum) mit der Abstandsfunktion<br />

d((x 1 , . . . , x n ), (y 1 , . . . , x n )) = √ (x 1 − y 1 ) 2 + · · · + (x n − y n ) 2 .<br />

Dies ist der gewöhnliche Längenbegriff <strong>im</strong> Raum (n = 3).<br />

• Die komplexen Zahlen C mit d(z, w) = |z − w|.<br />

53


Aufgaben<br />

Aufgabe 65. Summieren Sie ∑ 100 1<br />

k=1<br />

und ∑ 100<br />

k k=1<br />

1<br />

konvergent ist und be-<br />

n(n+7)<br />

in zwei Brüche.<br />

n(n+7)<br />

konvergent ist und best<strong>im</strong>men Sie den<br />

Aufgabe 66. (a) Zeigen Sie, dass die Reihe ∑ ∞<br />

n=1<br />

1<br />

st<strong>im</strong>men Sie den Grenzwert. Hinweis: Zerlegen Sie<br />

(b) Zeigen Sie, dass die Reihe ∑ ∞<br />

n=1<br />

Grenzwert.<br />

1<br />

4n 2 −1<br />

1<br />

k 2<br />

mit einem Rechner.<br />

Aufgabe 67. Untersuchen Sie folgende Reihen auf Konvergenz:<br />

∞∑<br />

n=1<br />

2n 3<br />

2 , ∑ ∞<br />

(n!) 3<br />

n (3n)! ,<br />

n=1<br />

∞<br />

∑<br />

n=0<br />

3<br />

n + 2 ,<br />

∞<br />

∑<br />

n=1<br />

1<br />

n 3 + 10 −3 n .<br />

Aufgabe 68. Untersuchen Sie folgende Reihen auf Konvergenz und best<strong>im</strong>men<br />

Sie den Grenzwert:<br />

∞∑<br />

∞∑<br />

(−1) n+1 2 −n (−3) n+1 ∞∑<br />

,<br />

, (−1) n+1 2n<br />

n!<br />

7 , ∑ ∞<br />

1<br />

n+2 n 2 − 2n + 1 .<br />

n=1<br />

n=1<br />

n=1<br />

Aufgabe 69. Untersuchen Sie folgende Reihe auf Konvergenz<br />

∞∑<br />

2n<br />

1.<br />

3<br />

und<br />

2 n<br />

2.<br />

n=1<br />

∞∑<br />

n=1<br />

(n!) 3<br />

(3n)! .<br />

Aufgabe 70. Untersuchen Sie folgende Reihe auf Konvergenz und best<strong>im</strong>men Sie<br />

gegebenenfalls den Grenzwert:<br />

1. 1 − 1 2 + 1 4 − 1 8 + . . . ± 1<br />

2 n und<br />

n=2<br />

2.<br />

∞∑<br />

k=1<br />

1<br />

(Verwenden Sie Partialbruchzerlegung!).<br />

4k 2 −1<br />

Aufgabe 71. (a) Welche rationale Zahl hat die 5–adische Entwicklung 0.234 <br />

(b) Best<strong>im</strong>men Sie den 7–adischen Bruch, der den Zahlen 1 2 , 1 3 und 1 6 entspricht.<br />

Aufgabe 72. Zeigen Sie, dass das Cauchyprodukt ∑ c n zweier absolut konvergenter<br />

Reihen ∑ a n und ∑ b n wieder absolut konvergent ist. Hinweis: Zeigen Sie<br />

für die Partialsummen A N = ∑ N<br />

n=0 a n, B N = ∑ N<br />

n=0 b n und C N = ∑ N<br />

n=0 c n sowie<br />

A ∗ N = ∑ N<br />

n=0 |a n| und BN ∗ = ∑ N<br />

n=0 |b n| die Ungleichung |A N B N − C N | ≤<br />

A ∗ N B∗ N − A∗ ⌊N/2⌋ B∗ ⌊N/2⌋ . 54


Aufgabe 73. Zeigen Sie, dass das Hadamardprodukt ∑ c n = ∑ (a n · b n ) zweier<br />

absolut konvergenter Reihen ∑ a n und ∑ b n wieder absolut konvergent ist.<br />

Aufgabe 74. Beweisen Sie<br />

sin((2n + 1)x) = 2 sin(x)<br />

(<br />

1<br />

n∑<br />

2 +<br />

k=1<br />

Aufgabe 75. Berechnen Sie das unendliche Produkt<br />

∞∏<br />

j=2<br />

(1 − 1 j 2 )<br />

.<br />

cos(2kx)<br />

Aufgabe 76. Sei m ≥ 1 eine natürliche Zahl. Zeigen Sie, dass die Reihe<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

n(n + m)<br />

konvergiert und berechnen Sie den Wert (in Abhängigkeit von m).<br />

Aufgabe 77. Beweisen Sie, dass<br />

∞∑<br />

n=1<br />

konvergiert und berechnen Sie den Wert.<br />

1<br />

n(n + 1)(n + 3)<br />

Aufgabe 78. Beweisen Sie: Die Reihe ∑ n a n ist genau dann absolut konvergent,<br />

wenn es nichtnegative reelle Zahlen b n , c n gibt, so dass a n = b n − c n und die<br />

Reihen ∑ n b n und ∑ n c n konvergieren.<br />

Aufgabe 79. Sei 1 ≤ k ∈ N. Entscheiden Sie, ob folgende Reihen konvergieren<br />

und geben Sie an, welches Konvergenzkriterium Sie verwenden.<br />

a)<br />

d)<br />

g)<br />

∞∑<br />

n=1<br />

∞∑<br />

n=1<br />

∞∑<br />

n=0<br />

1<br />

kn + 1 ,<br />

2 + (−1) n<br />

, e)<br />

2 n+2<br />

( )<br />

3 −n<br />

2 + 5 −n<br />

2<br />

∞ b) ∑ 1<br />

1 + 2 + . . . + n , c) ∑ ∞<br />

3<br />

2n 2 + 5<br />

n=1<br />

n=1<br />

∞∑<br />

(<br />

(−1) n√ n + 1 ) ∞∑<br />

, f)<br />

n<br />

n=1<br />

)<br />

.<br />

n=2<br />

1<br />

log n<br />

55


Aufgabe 80. Sind die folgenden Reihen konvergent oder divergent Begründen<br />

Sie die Antwort und berechnen Sie <strong>im</strong> Fall der Konvergenz den Grenzwert.<br />

∞∑<br />

n=0<br />

1<br />

n + 1 ,<br />

∞<br />

∑<br />

n=2<br />

1<br />

5 , ∑ ∞ k−1<br />

n=0<br />

(−5) n+1<br />

,<br />

n!<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(<br />

1 + 1 n) −n<br />

,<br />

∞∑<br />

n=2<br />

1<br />

n 2 − 2n + 1 .<br />

Aufgabe 81. Sind die folgenden endlichen und unendlichen Reihen konvergent<br />

oder divergent Begründen Sie die Antwort und berechnen Sie <strong>im</strong> Fall der Konvergenz<br />

den Grenzwert.<br />

∑999<br />

n=1<br />

∞∑<br />

n=0<br />

1<br />

n(n + 1) ,<br />

[ ] 11<br />

,<br />

2n + 1<br />

∞<br />

∑<br />

n=0<br />

(−1) n+1 2n<br />

7 , ∑ ∞<br />

(−1/2) 2n<br />

,<br />

n−1 n!<br />

∞∑<br />

n=0<br />

n=0<br />

∞<br />

(−1) n π2n<br />

(2n)! , ∑ (−1) n<br />

2 n+1 (n − 1) .<br />

n=2<br />

Aufgabe 82. Rechnen Sie alle Körperaxiome für C nach.<br />

Aufgabe 83. Zeigen Sie, dass man komplexe Zahlen a + ib auch durch Matrizen<br />

( ) a −b<br />

b<br />

a<br />

darstellen kann und die Multiplikation dann dem Matrixprodukt entspricht.<br />

Aufgabe 84. Zeigen Sie: Für zwei Vektoren x = (x 1 , . . . , x n ) und y = (y 1 , . . . , y n )<br />

in C n gilt<br />

√ √√√ n∑<br />

∑<br />

| x i ȳ i |≤ √ n n∑<br />

|x i | 2 |y i | 2 .<br />

i=1<br />

i=1<br />

Aufgabe 85. Zeichnen Sie in C für n = 3, 4, 5, 6, 7, 8 alle Zahlen z, die die Gleichung<br />

z n = 1 erfüllen. Hinweis: Benutzen Sie die Multiplikation in Polarkoordinaten.<br />

Aufgabe 86. Schreiben Sie folgende komplexe Zahlen in der Form x + iy mit<br />

x, y ∈ R:<br />

( ) 2<br />

1 4 − i<br />

1 + i , 1 + 2i<br />

,<br />

2 + i (2 + 3i) . 2<br />

Berechnen Sie das multiplikative Inverse von 1 − i und den Betrag von 3 + 5i.<br />

i=1<br />

56


Aufgabe 87. Best<strong>im</strong>men Sie<br />

{z ∈ C :<br />

z − 3<br />

∣z + 3∣ ≤ 2}<br />

und skizzieren Sie diese Menge in der Gaußschen Zahlenebene.<br />

Aufgabe 88. Beweisen Sie, daß für alle komplexen Zahlen a, b gilt:<br />

|a + b| 2 + |a − b| 2 = 2|a| 2 + 2|b| 2 .<br />

Aufgabe 89. Zeigen Sie: Für a, b ∈ C mit Re(ab) = 0 gilt<br />

Aufgabe 90. Zeigen Sie, dass durch<br />

|a + b| 2 = |a| 2 + |b| 2 .<br />

d(a, b) :=<br />

eine Metrik auf R definiert wird.<br />

{ 1 falls a ≠ b<br />

0 falls a = b<br />

Aufgabe 91. Zeigen Sie, falls d(a, b) eine Metrik auf R, dann ist auch<br />

eine Metrik auf R.<br />

d 1 (a, b) :=<br />

d(a, b)<br />

1 + d(a, b)<br />

Aufgabe 92. Lösen Sie folgende Gleichungen in C:<br />

3z 4 + 7z 2 + 2 = 0, (3 − 4i)z = 5, iz − 1<br />

iz = 4.<br />

Aufgabe 93. Es sei n ∈ N und a eine positive reelle Zahl. Geben Sie alle Lösungen<br />

der Gleichung<br />

z n − a = 0<br />

an und skizzieren Sie deren Lage in der Gaußschen Zahlenebene <strong>im</strong> Falls n = 5<br />

für verschiedene a ∈ R.<br />

57


6 Funktionen und Stetigkeit<br />

Inhalt: Funktionen, Stetigkeit, Zwischenwertsatz, Satz vom Max<strong>im</strong>um/Min<strong>im</strong>um,<br />

Umkehrfunktion, spezielle Funktionen.<br />

Definition 6.1. Sei D ⊆ R oder D ⊆ C eine Teilmenge und f : D → R oder<br />

f : D → C eine Abbildung. f ist stetig in a ∈ D, wenn gilt:<br />

∀ɛ > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ D : |x − a| < δ =⇒ |f(x) − f(a)| < ɛ.<br />

f heißt stetig in D, falls f stetig ist in allen a ∈ D.<br />

Ist – etwas allgemeiner – f : M → N eine Abbildung zwischen metrischen<br />

Räumen mit Abstandsfunktionen d M : M × M → R und d N : N × N → R, so<br />

definiert man: f ist stetig in a ∈ M, falls gilt:<br />

∀ɛ > 0 ∃ δ > 0 ∀x ∈ M : d M (x, a) < δ ⇒ d N (f(x), f(a)) < ɛ.<br />

Die Mengen {x ∈ M | d M (x, a) < δ} heißen auch δ–Umgebungen von a ∈ M.<br />

Beispiele 6.2. • Konstante Funktion: f(x) = c für alle x ∈ D. Konstante<br />

Funktionen sind stetig, denn |f(x) − f(a)| = 0 für alle x.<br />

• Treppenfunktion: f(x) = 0 für x < 0 und f(x) = 1 für x ≥ 0. f ist stetig<br />

für x ≠ 0, denn dort ist f konstant. In x = 0 ist f unstetig, wähle dort ɛ = 1,<br />

um einen Widerspruch zu erhalten.<br />

• Geraden oder lineare Funktionen: f(x) = ax + b. Lineare Funktionen sind<br />

ebenfalls stetig (wähle δ = ɛ/|a|).<br />

• Spezialfall Identische Funktion: f(x) = x.<br />

• Gaußklammer: f(x) = [x]. Diese Funktion ist stetig, außer in allen x ∈ Z<br />

(Beweis wie bei der Treppenfunktion).<br />

• Absolutbetrag: f(x) = |x|. f ist stetig in D = R, was für x = 0 direkt aus<br />

der Definition folgt. Nahe x ≠ 0 ist f konstant und damit auch stetig.<br />

• Polynome: f(x) = a m x m + · · · + a 1 x + a 0 (z.B. f(x) = x 3 − 1). Polynome<br />

sind Summen von Produkten stetiger Funktionen, also wieder stetig (Beweis<br />

mit folgendem Satz).<br />

• Rationale Funktionen: f(x) = p(x)/q(x), wobei p, q Polynome sind (z.B.<br />

f(x) = 1/x). Rationale Funktionen stetig, wo sie definiert sind, also wo<br />

q(x) ≠ 0 ist, siehe den folgenden Satz.<br />

58


• Ist M = R n mit Abstandsfunktion<br />

d(x, y) = ||x − y|| := √ (x 1 − y 1 ) 2 + . . . + (x n − y n ) 2 .<br />

Dann ist f : R n → R mit f(x) := d(x, 0) stetig nach Definition. Andere<br />

Beispiele sind Drehungen<br />

( ( )<br />

cos(t) sin(t) x<br />

ϕ : R 2 → R 2 , (x, y) ↦→<br />

.<br />

− sin(t) cos(t))<br />

y<br />

Hier berechnet man schnell, dass ||ϕ(x, y)|| 2 = ||(x, y)|| 2 (Längenerhaltung).<br />

Satz 6.3.<br />

Sind f, g : D → R stetige Funktionen, so ist auch f ± g, uf ± vg, fg und f/g<br />

stetig (u, v ∈ R) auf D bis auf eventuell die Punkte a ∈ D in denen g(a) = 0<br />

wird. Ist f : D → C gegeben, so ist f stetig, falls Real- und Imaginärteil von f<br />

stetig sind.<br />

Beweis. Dieser Satz folgt aus dem entsprechenden Satz 4.13/4.14 für Folgen und<br />

dem folgenden Satz.<br />

Satz 6.4.<br />

Eine Funktion f : D → R (oder f : D → C) ist stetig in a ∈ D genau dann,<br />

wenn für jede Folge (a n ) in D mit l<strong>im</strong> a n = a gilt, dass l<strong>im</strong> f(a n ) = f(a).<br />

Notation 6.5. l<strong>im</strong> x→a f(x) = f(a). Ist a ein Randpunkt von D und man betrachtet<br />

nur Folgen (a n ) mit a n ≥ a bzw. a n ≤ a, so schreibt man auch:<br />

l<strong>im</strong><br />

x↘a<br />

f(x) = l<strong>im</strong> f(x) = f(a), bzw. l<strong>im</strong><br />

x↓a x↗a<br />

f(x) = l<strong>im</strong> f(x) = f(a).<br />

x↑a<br />

Beweis. (1) Sei (a n ) eine Folge mit l<strong>im</strong> a n = a und ein ɛ > 0 gegeben. Wähle<br />

δ > 0, so dass |f(a n ) − f(a)| < ɛ für alle |a n − a| < δ. Wähle auch ein n 0 mit<br />

|a n − a| < δ für alle n ≥ n 0 . Es folgt dann |f(a n ) − f(a)| < ɛ für alle n ≥ n 0 ,<br />

also l<strong>im</strong> f(a n ) = f(a).<br />

(2) Umgekehrt sei l<strong>im</strong> f(a n ) = f(a) für alle konvergenten Folgen (a n ) mit l<strong>im</strong> a n =<br />

a. Angenommen f ist nicht stetig in a. Dann gibt es ein ɛ > 0, so dass kein δ > 0<br />

existiert mit |f(x) − f(a)| < ɛ, falls |x − a| < δ. Wähle zu δ = 1 n ein x n ∈ D mit<br />

|x n −a| < 1 n und |f(x)−f(a)| ≥ ɛ. Dann gilt l<strong>im</strong> x n = a, aber l<strong>im</strong> f(x n ) ≠ f(a).<br />

Widerspruch!<br />

Beispiel 6.6. (Exponentialfunktion) Sei a ∈ R und (x n ) eine Folge mit l<strong>im</strong> x n =<br />

a. Dann ist<br />

l<strong>im</strong><br />

x→a<br />

exp(x) = l<strong>im</strong>(exp(a) exp(x − a)) = exp(a) l<strong>im</strong> exp(x − a),<br />

x→a x→a<br />

59


wegen der Funktionalgleichung. Es reicht also zu zeigen:<br />

l<strong>im</strong> exp(x) = 1.<br />

x→0<br />

Wenn dies gezeigt ist, dann ist exp stetig auf R. Die Behauptung folgt aus:<br />

Lemma 6.7 (Restglied für exp).<br />

mit<br />

für alle x mit |x| ≤ N+2<br />

2 .<br />

Beweis.<br />

|R N+1 (x)| ≤<br />

≤<br />

|x|N+1<br />

(N + 1)!<br />

∞∑<br />

n=N+1<br />

∞∑<br />

i=0<br />

|x| n<br />

n!<br />

exp(x) =<br />

N∑<br />

n=0<br />

|R N+1 (x)| ≤ 2 ·<br />

x n<br />

n! + R N+1(x),<br />

|x| N+1<br />

(N + 1)!<br />

(<br />

= |x|N+1<br />

1 + |x|<br />

)<br />

(N + 1)! N + 2 + |x| 2<br />

(N + 2)(N + 3) + · · ·<br />

( ) i |x|<br />

≤<br />

(1 |x|N+1<br />

+ 1 N + 2 (N + 1)! 2 + 1 )<br />

4 + · · · |x| N+1<br />

= 2 ·<br />

(N + 1)! .<br />

Korollar 6.8. e := exp(1) ist irrational, d.h. /∈ Q.<br />

Beweis. Angenommen e = m n<br />

mit n ≥ 2. Dann ist<br />

p := n!(e − 1 − 1 1! − 1 2! − · · · − 1 n! )<br />

ebenfalls in N und ungleich Null, da die Reihe, die e definiert noch andere positive,<br />

von Null verschiedene Terme hat. Aus dem Lemma folgt aber<br />

ein Widerspruch zu p ∈ N.<br />

Beispiel 6.9. Es gilt<br />

p = n!R n+1 (1) ≤ 2n! ·<br />

l<strong>im</strong><br />

x↘0<br />

1<br />

(n + 1)! = 2<br />

n + 1 < 1,<br />

[x] = 0, l<strong>im</strong>[x] = −1,<br />

x↗0<br />

was nochmal die Unstetigkeit der Gaußklammer [x] bestätigt.<br />

60


Satz 6.10 (Zwischenwertsatz).<br />

Sei f : I = [a, b] → R stetig. Dann ist auch f(I) ein Intervall. Insbesondere wird<br />

jeder Zwischenwert von f angenommen.<br />

Bemerkung 6.11. Dieser Satz gilt auch etwas allgemeiner, falls a, b auch −∞<br />

oder ∞ sind. Ein Intervall I ist dann nur durch die Forderung definiert: Sind<br />

x < y < z und x, z ∈ I, dann muss auch y ∈ I sein.<br />

Beweis. Betrachte statt f die Funktion<br />

g(x) := ±(f(x) − c).<br />

Sie ist ebenfalls stetig für alle c ∈ R und hat den gleichen Definitionsbereich. Wir<br />

müssen also nur zeigen: Ist f : I = [a, b] → R stetig mit f(a) ≤ 0 und f(b) ≥ 0,<br />

so gibt es ein x ∈ I mit f(x) = 0. Jetzt benutzt man Intervallschachtelungen: Sei<br />

[a 0 , b 0 ] := [a, b]. Halbiere das Intervall mit Mittelpunkt x 0 . Ist f(x 0 ) ≤ 0, so setze<br />

a 1 := x 0 und b 1 := b 0 . Ist dagegen f(x 0 ) > 0, so setze a 1 := a 0 und b 1 := x 0 .<br />

Mit vollständiger Induktion erhält man somit eine Intervallschachtelung [a n , b n ]<br />

mit |a n − b n | ≤ 2 −n |a − b|. Also gibt es genau ein<br />

x ∈ ⋂ [a n , b n ]<br />

mit x = l<strong>im</strong> a n = l<strong>im</strong> b n . Nach Satz 4.16 folgt auch f(x) = 0, da f(a n ) ≤ 0 und<br />

f(b n ) ≥ 0 ist.<br />

Beispiel 6.12. Jedes Polynom der Form<br />

f(x) = x 3 + ax 2 + bx + c<br />

hat mindestens eine reelle Nullstelle, denn es gilt<br />

f(x) = x 3 (1 + a/x + b/x 2 + c/x 3 ),<br />

also ist f(x) < 0 für x 0 für x >> 0, denn dies gilt für x 3 . Aus<br />

dem Zwischenwertsatz folgt dann die Behauptung.<br />

Lemma 6.13. Die komplexe Exponentialfunktion<br />

exp : C → C<br />

ist stetig und surjektiv auf die Menge C ∗ := C \ {0}.<br />

61


Beweis. exp ist <strong>im</strong>mer ≠ 0, da sie wegen der Funktionalgleichung<br />

exp(a) = exp(a − b) exp(b)<br />

ansonsten identisch Null wäre, was exp(0) = 1 widerspricht.<br />

Mit der gleichen Restgliedabschätzung wie eben folgt die Stetigkeit von exp :<br />

C → C ∗ . Nach dem Zwischenwertsatz ist exp auch surjektiv:<br />

exp(z) = exp(Rez) · exp(iImz)<br />

und exp, sin und cos sind reelle stetige Funktionen mit Bildbereich exp(R) =<br />

R >0 (dies folgt aus exp(n) ≥ 1 + n mit der Exponentialreihe und exp(−n) =<br />

1/ exp(n)), sin(R) = cos(R) = [−1, +1] (dies folgt aus sin(π/2) = 1 = − sin(−π/2)<br />

(nach Definition von π) und cos(0) = 1 = − cos(π)).<br />

Der folgende Satz ist wichtig für die Existenz von Extremwerten:<br />

Satz 6.14 (Satz vom Max<strong>im</strong>um/Minumum).<br />

Sei f : [a, b] −→ R stetig. Dann n<strong>im</strong>mt f das Max<strong>im</strong>um und Min<strong>im</strong>um auf<br />

[a, b] an, d.h. es gibt x max und x min in [a, b], so dass f(x max ) = sup f(x) und<br />

f(x min ) = inf f(x).<br />

Beweis. Für das Max<strong>im</strong>um (bei Min<strong>im</strong>um betrachte −f). Sei M = sup f(x) ∈<br />

R ∪ {∞}. Wähle eine Folge x n ∈ [a, b] mit l<strong>im</strong> f(x n ) = M. Nach Satz 4.25<br />

(Bolzano-Weierstraß) gibt es einen Häufungspunkt x max ∈ [a, b]. Aus der Stetigkeit<br />

von f folgt f(x max ) = M. Also folgt die Behauptung, insbesondere M ≠<br />

∞.<br />

Das Max<strong>im</strong>um/Min<strong>im</strong>um kann durchaus am Rand von [a, b] angenommen werden<br />

(Beispiel: lineare Funktion).<br />

Gleichmäßige Stetigkeit<br />

Für viele Funktionen ist die Konstante δ unabhängig von a ∈ D.<br />

Definition 6.15. f : D → R (oder C) heißt gleichmäßig stetig, falls gilt:<br />

∀ ɛ > 0 ∃δ > 0 ∀x, x ′ ∈ D mit |x − x ′ | < δ gilt |f(x) − f(x ′ )| < ɛ.<br />

Eine gleichmäßig stetige Funktion ist in jedem Punkt von D stetig, aber die Umkehrung<br />

gilt nicht <strong>im</strong>mer.<br />

Beispiel 6.16. f(x) = 1/x :]0, 1] → R. Setzt man x = 1/n und x ′ = 1/2n, so<br />

gilt |x − x ′ | = 1/2n. Dies wird kleiner als jedes δ > 0. Auch ist dann |f(x) −<br />

f(x ′ )| = n und dies wird größer als jedes ɛ. Es gibt auch Beispiele beschränkter<br />

Funktionen, die stetig, aber nicht gleichmäßig stetig sind.<br />

62


Jedoch gilt dies auf Intervallen der Form [a, b]:<br />

Satz 6.17.<br />

Ist f : [a, b] → R stetig, so ist f gleichmäßig stetig.<br />

Beweis. Angenommen f ist nicht gleichmäßig stetig. Dann gibt es ein ɛ > 0 und<br />

für alle n ∈ N Punkte x n , x ′ n ∈ D mit |x n − x ′ n| < 1 n und |f(x n) − f(x ′ n)| ≥ ɛ.<br />

Nach Satz 4.25 (Bolzano-Weierstraß) gibt es einen Häufungspunkt c ∈ [a, b]. Aus<br />

der Stetigkeit von f folgt l<strong>im</strong> f(x nk ) = c = l<strong>im</strong> f(x ′ n k<br />

) für die entsprechenden<br />

Teilfolgen. Widerspruch zu |f(x n ) − f(x ′ n)| ≥ ɛ!<br />

Bemerkung 6.18. Es gibt noch eine wichtige Variante, die Lipschitz-Stetigkeit:<br />

f : D → R heißt Lipschitz stetig, falls ein L ≥ 0 existiert, mit<br />

|f(x) − f(x ′ )| ≤ L · |x − x ′ |<br />

für alle x, x ′ ∈ D. Jede Lipschitz stetige Funktion mit L > 0 ist gleichmäßig<br />

stetig, wähle dazu δ = ɛ/L.<br />

Weitere spezielle stetige Funktionen<br />

Eine Möglichkeit, weitere Funktionen zu konstruieren, besteht in dem Bilden von<br />

Umkehrfunktionen. Zum Beispiel ist exp : R −→ R >0 bijektiv und die Umkehrfunktion<br />

heißt natürlicher Logarithmus<br />

exp −1 = log : R >0 −→ R<br />

und wird manchmal auch mit ln(x) (Logarithmus Naturalis) bezeichnet. Die Umkehrfunktion<br />

der Potenzfunktion x k : R + −→ R + heißt Wurzelfunktion<br />

k√ x : R+ −→ R + .<br />

Satz 6.19.<br />

Sei I ⊆ R ein Intervall und f : I −→ R stetig und streng monoton wachsend<br />

(oder fallend), d.h.<br />

f(x) > f(y) ∀ x > y<br />

oder<br />

f(x) < f(y) ∀ x > y.<br />

Dann ist f : I −→ f(I) bijektiv und die Umkehrabildung f −1 : f(I) −→ I ist<br />

ebenfalls stetig und streng monoton wachsend (oder fallend).<br />

63


Beweis. Aus dem Zwischenwertsatz folgt, dass f(I) ebenfalls ein Intervall ist.<br />

Daher ist f : I −→ f(I) surjektiv und injektiv (wegen strenger Monotonie). Also<br />

existiert die Umkehrabbildung f −1 : f(I) −→ I. Es ist nur die Stetigkeit zu<br />

zeigen, die strenge Monotonie folgt sofort. Ist y = f(x) und ɛ > 0 gegeben und<br />

so klein, dass [x − ɛ, x + ɛ] ⊆ I ist. Dies geht <strong>im</strong>mer, falls x kein Randpunkt von<br />

I ist. Ist x ein Randpunkt, so betrachte stattdessen nur [x, x + ɛ] oder [x − ɛ, x].<br />

Sei y 1 = f(x − ɛ) und y 2 = f(x + ɛ). Dann ist y 1 < y < y 2 und f bildet<br />

[x − ɛ, x + ɛ] bijektiv auf [y 1 , y 2 ] ab (ebenfalls Zwischenwertsatz und Monotonie).<br />

Setze δ := min(y − y 1 , y 2 − y). Es gilt dann f −1 (]y − δ, y + δ[) ⊆]x − ɛ, x + ɛ[.<br />

Also ist f −1 stetig in y.<br />

Korollar 6.20.<br />

k√ x : R+ −→ R + und log : R >0 −→ R sind stetig und streng monoton wachsend.<br />

Beweis. Es ist nur die strenge Monotonie zu zeigen, denn Stetigkeit der Potenz<br />

und von exp wurde bereits vorher gezeigt. Die strenge Monotonie von x k folgt aus<br />

dem Anordnungsaxiomen, die für exp folgt aus der Funktionalgleichung, denn ist<br />

x < y, so ist exp(y −x) > 1 (folgt aus Reihenentwicklung exp(α) = 1+α+. . .),<br />

und daher<br />

exp(y) = exp(y − x) exp(x) > exp(x).<br />

Definition 6.21.<br />

Die allgemeine Potenzfunktion wird definiert als<br />

a x := exp(x log(a)) : R −→ R<br />

für a > 0 und x ∈ R. Der Logarithmus <strong>zur</strong> Basis a<br />

log a (x) := log(x)<br />

log(a)<br />

ist die zugehörige Umkehrfunktion zu a x , falls a > 1 (dann ist a x streng monoton<br />

wachsend für x ∈ R >0 ).<br />

Die Stetigkeit von a x folgt aus:<br />

Lemma 6.22. Die Komposition stetiger Abbildungen in beliebigen metrischen<br />

Räumen ist wieder stetig.<br />

Beweis. Folgt direkt aus der Definition oder einem L<strong>im</strong>esargument nach Satz 6.4.<br />

64


Rechenregeln:<br />

• a x · a y = a x+y .<br />

• (a x ) y = a xy .<br />

• (a −1 ) x = a −x .<br />

• log a (xy) = log a (x) + log a (y).<br />

• log a (a) = 1.<br />

Bemerkung 6.23. Es ist leicht nach<strong>zur</strong>echnen, dass log a (x) die Umkehrfunktion<br />

von a x ist. Definiert man e := exp(1), d.h. log(e) = 1, so gilt tatsächlich e x =<br />

exp(x), wie früher als Notation benutzt, denn e x = exp(x log(e)) = exp(x). Ist<br />

x ∈ N, so bekommen wir auch wieder die alte Definition der Potenz <strong>zur</strong>ück:<br />

a n = exp(n log(a)) = exp(log(a)) n = a n .<br />

Satz 6.24 (Umkehrung der trigonometrischen Funktionen).<br />

(a) Die stetige Abildung cos : [0, π] −→ [−1, 1] ist streng monoton fallend und<br />

bijektiv. Die Umkehrfunktion ist<br />

arccos : [−1, 1] −→ [0, π].<br />

(b) Die stetige Abildung sin : [−π/2, π/2] −→ [−1, 1] ist streng monoton fallend<br />

und bijektiv. Die Umkehrfunktion ist<br />

arcsin : [−1, 1] −→ [−π/2, π/2].<br />

(c) Die stetige Abbildung tan :] − π/2, π/2[−→ R ist streng monoton fallend und<br />

bijektiv. Die Umkehrfunktion ist<br />

arctan : R −→] − π/2, π/2[.<br />

Beweis. Einen exakten Beweis für die Monotonie von cos(x) in diesem Intervall,<br />

der auf einer Potenzreihenentwicklung basiert, findet man in [Forster, Seite 136].<br />

Einen geometrischen Beweis führt man am einfachsten mit Polarkoordinaten der<br />

komplexen Zahlen. Daraus folgt sofort (a) und analog (b). (c) schließlich folgt aus<br />

(a) und (b), da tan(x) = sin(x)/ cos(x).<br />

65


Landau Symbole<br />

Sind f, g : D −→ R stetige Funktionen und a ∈ D ⊂ R oder a = ±∞, so<br />

schreibt man<br />

f(x) = o(g(x)),<br />

für x → a, falls<br />

sowie<br />

für x → a, falls<br />

f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

x→a g(x) = 0.<br />

f(x) = O(g(x)),<br />

l<strong>im</strong> sup<br />

x→a<br />

f(x)<br />

g(x) < ∞.<br />

Alle diese L<strong>im</strong>iten sollen existieren, wenn wir diese Notation benutzen.<br />

Beispiele 6.25. exp(−x) = O(x −n ) für x → ∞ und alle n ∈ N, denn exp(x) ≥<br />

x n+1<br />

, also (n+1)! exp(−x)·xn ≤ x n ·x −n−1 (n+1)! = (n+1)! und dies konvergiert gegen<br />

x<br />

Null, falls x → ∞. Ebenso gilt x 2 − x + 2 = O(x 2 ), da l<strong>im</strong> x2 −x+2<br />

= 1.<br />

x 2<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 94. Für welche Zahlen α, β, γ ∈ R ist die Funktion<br />

⎧<br />

⎨ 1 + x 2 falls −1 ≤ x ≤ 1<br />

g : R → R, x → g(x) = αx − x 3 falls 1 < x ≤ 2<br />

⎩<br />

βx 2 + γ sonst,<br />

stetig<br />

Aufgabe 95. Zeigen Sie: Ein Polynom ungeraden Grades besitzt mindestens eine<br />

Nullstelle.<br />

Aufgabe 96. (a) Es seien F , G : [a, b] → R stetige Funktionen mit F (a) < G(a)<br />

und F (b) > G(b). Man zeige, dass ein t ∈ [a, b] existiert mit F (t) = G(t).<br />

(b) Es sei H : [a, b] → R eine stetige Funktion mit der Eigenschaft H([a, b]) ⊆<br />

[a, b]. Beweisen Sie, dass es ein y ∈ [a, b] gibt mit H(y) = y.<br />

Aufgabe 97. (a) Sei c > 0 gegeben und sei f : [0, 2c] → R stetig, und es gelte<br />

f(0) = f(2c). Zeigen Sie, dass es ein u ∈ [0, c] gibt mit f(u) = f(u + c).<br />

(b) Zeigen Sie, dass die Funktion f(x) = x 4 − 5x 3 + 2x 2 + 1 auf dem Intervall<br />

[0, 1] mindestens eine Nullstelle besitzt.<br />

66


Aufgabe 98. Beweisen Sie, dass f(x) = x 2 stetig ist, indem Sie die ε − δ–<br />

Definition direkt verwenden.<br />

Aufgabe 99. (a) Zeigen Sie: sin(x) = ∑ n<br />

|x| 2n+3<br />

für |x| ≤ 2n + 4.<br />

(2n+3)!<br />

sin(x)<br />

(b) Beweisen Sie mit (a) l<strong>im</strong> x→0 = 1.<br />

x<br />

x2k+1<br />

k=0<br />

(−1)k<br />

(2k+1)! +R 2n+3(x) mit |R 2n+3 (x)| ≤<br />

Aufgabe 100. Sei 〈−, −〉 : V × V → R ein positiv definites Skalarprodukt.<br />

Zeigen Sie dass die Funktion || − || : V → R + mit ||v|| = √ 〈v, v〉 die folgenden<br />

Eigenschaften erfüllt: (i) ||v|| ≥ 0 und ||v|| = 0 genau dann, wenn v = 0 ist. (ii)<br />

||λ · v|| = |λ| · ||v|| sowie (iii) ||v + w|| ≤ ||v|| + ||w||.<br />

Aufgabe 101. Auf einer Menge M definiert man d(x, y) = 1, falls x ≠ y zwei<br />

verschiedene Punkte in M sind und d(x, x) = 0. Zeigen Sie, dass (M, d) ein<br />

metrischer Raum ist. Wie sehen die Kugeln B ε (a) für a ∈ M und ε > 0 aus<br />

Aufgabe 102. In einem metrischen Raum (M, d) nennt man eine Menge U offen,<br />

falls für jedes a ∈ U ein ε > 0 existiert, so dass B ε (a) ⊂ U. Zeigen Sie: Der<br />

Durchschnitt zweier offener Mengen U, V und die Vereinigung beliebig vieler<br />

offener Mengen ist wieder offen.<br />

Aufgabe 103. Konstruieren Sie ein Beispiel einer Funktion, die stetig, aber nicht<br />

Lipschitz stetig ist.<br />

Aufgabe 104. (a) Zeigen Sie, dass die Funktionen cosh : R → R und sinh : R →<br />

R definiert durch<br />

cosh(x) := 1 (exp(x) + exp(−x))<br />

2<br />

sinh(x) := 1 (exp(x) − exp(−x))<br />

2<br />

stetige Funktionen sind.<br />

(b) Auf welchem Definitionsbereich sind die Umkehrfunktionen cosh −1 (x) und<br />

sinh −1 (x) von cosh(x) und sinh(x) definiert <br />

Aufgabe 105. In welchen Punkten x ∈ R ist die Funktion<br />

{ x<br />

f : R → R, x → f(x) =<br />

2 + 2x + 1 falls −1 ≤ x ≤ 0<br />

1 − x sonst,<br />

stetig<br />

67


Aufgabe 106. Zeigen Sie, dass es zu jedem a ∈ R genau ein x > 0 gibt mit<br />

x + ln x = a. Beweisen Sie weiterhin, dass die dadurch definierte Funktion<br />

g : R → R, a → x<br />

stetig und streng monoton wachsend auf R ist.<br />

Aufgabe 107. Man konstruiere eine beschränkte, stetige Funktion f : R → R,<br />

die aber nicht gleichmäßig stetig ist.<br />

Aufgabe 108. Drücken Sie cos( π ) durch Quadratwurzeln aus.<br />

5<br />

Anleitung: Es sei θ := π und 4θ = π − θ. Man verwende die für alle reellen<br />

Zahlen x gültigen Beziehungen (i) cos(x) = sin ( π<br />

− x) , (ii) sin(x) =<br />

10 2<br />

2<br />

cos ( π<br />

− x) , (iii) sin(2x) = 2 sin x cos x, (iv) cos(2x) = 2(cos(x)) 2 − 1 auf<br />

2<br />

folgende Weise: Mit (i) und (iii) beweise man cos(θ) = 4 sin(θ cos(θ) cos(2θ),<br />

mit (ii) und (iv) dann 1 = 8 cos(2θ) 3 − 4 cos(2θ). Schließlich untersuche man<br />

f(x) := (2x + 1)(4x 2 − 2x − 1).<br />

Drücken Sie auch cos( π ), sin( π) sowie sin( π ) durch Quadratwurzeln aus.<br />

10 5 10<br />

Aufgabe 109. Gilt die folgende Aussage: Falls eine Funktion f : [a, b] → R jeden<br />

Wert zwischen f(a) und f(b) ann<strong>im</strong>mt, dann ist f stetig <br />

Hinweis: Betrachte die Funktion:<br />

{ x für rationales x<br />

f(x) =<br />

1 − x für irrationales x.<br />

68


7 Differenzialrechnung<br />

Inhalt: Differenzierbarkeit, Rechenregeln, Satz von Rolle, Mittelwertsatz, lokale<br />

Extrema, Konvexität.<br />

Definition 7.1.<br />

Sei f : D −→ R eine reelle Funktion. f heißt differenzierbar in a ∈ D, falls der<br />

Grenzwert<br />

f ′ f(x) − f(a)<br />

(a) := l<strong>im</strong><br />

x→a<br />

x − a<br />

x≠a<br />

existiert. Dabei werden alle Folgen (x n ) durchlaufen mit x n ∈ D \ {a}, wobei<br />

mindestens eine solche Folge existieren soll, die gegen a konvergiert. In der<br />

Regel werden wir diese Definition nur anwenden, wenn D ein offenes Intervall<br />

]a − ɛ, a + ɛ[ enthält, auch wenn die Definition allgemeiner Sinn macht. f heißt<br />

differenzierbar in D, wenn dies für alle a ∈ D gilt.<br />

Alternative Definition und Notation:<br />

f ′ (a) = df (a) = l<strong>im</strong><br />

dx h→0<br />

f(a + h) − f(a)<br />

.<br />

h<br />

Dies war historisch die erste Definition mit infinites<strong>im</strong>al klein gedachten Zahlen<br />

h = dx.<br />

Geometrische Anschauung: f(x)−f(a) ist die Steigung der Sekante an den Graphen<br />

von f, die durch (a, f(a)) und (x, f(x)) geht. Im L<strong>im</strong>es x → a geht die<br />

x−a<br />

Sekante in die Tangente an (a, f(a)) über.<br />

Beispiele 7.2. Differenzierbare Funktionen:<br />

(1) f(x) = k konstante Funktion: Dann gilt f(x)−f(a) = 0, also f ′ (a) = 0 existiert<br />

x−a<br />

überall (Tangente waagerecht).<br />

(2) f(x) = x identische Funktion: Dann gilt<br />

f(x) − f(a)<br />

x − a<br />

= x − a<br />

x − a = 1,<br />

d.h. f ′ (a) = 1 existiert überall (Tangentensteigung 1).<br />

(3) f(x) = αx + β Lineare Funktion: Dann gilt<br />

f(x) − f(a)<br />

x − a<br />

=<br />

α(x − a)<br />

x − a<br />

= α,<br />

d.h. f ′ (a) = α existiert überall (Tangentensteigung α).<br />

(4) f(x) = x n Potenz oder allgemeiner Polynome: Dann gilt<br />

f(x + h) − f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

= l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

(x + h) n − x n<br />

h<br />

69<br />

= l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

h n + · · · + nx n−1 h<br />

h<br />

= nx n−1 .


Allgemeiner sind Polynome leicht zu differenzieren, indem man jeden Term so<br />

behandelt.<br />

(5) f(x) = 1 : Inverse von x: Dann gilt<br />

x<br />

f ′ (x) = l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

f(x + h) − f(x)<br />

h<br />

(<br />

1 1<br />

= l<strong>im</strong><br />

h→0 h x + h − 1 )<br />

= l<strong>im</strong><br />

x h→0<br />

(6) f(x) = exp(x) Exponentialfunktion: Dann gilt<br />

exp ′ (x) = l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

exp(x + h) − exp(x)<br />

h<br />

= exp(x) l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

exp(h) − 1<br />

h<br />

−1<br />

x(x + h) = −−1 x 2 .<br />

= exp(x)<br />

wegen des folgenden Lemmas. Also reproduziert sich die Exponentialfunktion<br />

be<strong>im</strong> Differenzieren.<br />

Lemma 7.3.<br />

exp(h) − 1<br />

l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

= 1.<br />

Beweis. Aus der Restgliedformel für exp folgt | exp(h) − (1 + h)| ≤ 2|h| 2 , falls<br />

|h| klein ist. Also folgt<br />

exp(h) − (1 + h)<br />

∣ h ∣ ≤ 2|h|<br />

und damit die Behauptung.<br />

Beispiel 7.4.<br />

(7) f(x) = sin(x) Sinus: Es gilt sin(x + h) − sin(x) = 2 cos(x + h) sin( h) nach<br />

2 2<br />

§5, also folgt<br />

f ′ sin( h<br />

(x) = cos(x) l<strong>im</strong><br />

) 2<br />

.<br />

h→0<br />

h<br />

Damit folgt f ′ (x) = cos(x) aus dem folgenden Lemma.<br />

Lemma 7.5.<br />

sin(h)<br />

l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

= 1.<br />

Beweis. Wir beweisen eine Restgliedformel. Aus der Potenzreihenentwicklung<br />

2<br />

sin(x) =<br />

∞∑<br />

k=0<br />

(−1) k x 2k+1<br />

(2k + 1)!<br />

70


folgt, dass<br />

sin(x) = x + r 3 (x) := x + x3<br />

3!<br />

(1 − x2<br />

4 · 5 + x 4<br />

4 · 5 · 6 · 7 − · · · )<br />

.<br />

Nach dem Trick aus dem Beweis des Leibnizkriteriums bekommt man daraus<br />

sofort, dass |r 3 (x)| ≤ |x| 3 /3! für kleines |x| und damit sofort die Behauptung.<br />

Beispiele 7.6.<br />

(8) Analog erhält man cos ′ (x) = − sin(x), denn cos(x+h)−cos(x) = −2 sin(x+<br />

h<br />

2 ) sin( h 2 ). Also folgt cos′ (x) = − sin(x).<br />

(9) Die Funktion f(x) = |x| ist nicht differenzierbar bei x = 0, denn mit der<br />

Folge x n = (−1) n 1 n existiert der L<strong>im</strong>es f ′ (x) nicht.<br />

Satz 7.7.<br />

(a) f : D −→ R ist differenzierbar in a ∈ D ⇔ es gibt ein c ∈ R mit<br />

f(x) = f(a) + c(x − a) + o(x − a)<br />

für x → a (Approx<strong>im</strong>ation durch Tangente).<br />

(b) Jede differenzierbare Funktion ist stetig.<br />

(c) Sind f, g : D −→ R differenzierbar in a, so sind auch f ± g, fg, λf + µg und<br />

f/g differenzierbar und es gilt<br />

(f ± g) ′ (a) = f ′ (a) ± g ′ (a),<br />

(λf + µg) ′ (a) = λf ′ (a) + µg ′ (a),<br />

(fg) ′ (a) = f ′ (a)g(a) + f(a)g ′ (a)<br />

( ) ′ f<br />

(a) = f ′ (a)g(a) − f(a)g ′ (a)<br />

g<br />

g 2 (a)<br />

Dies ist nur definiert in D \ {a | g(a) = 0}.<br />

Produktregel,<br />

Quotientenregel.<br />

Beweis. (a) =⇒: Setze c = f ′ (a) und definiere ϕ(x) = f(x) − f(a) − c(x − a).<br />

Dann gilt<br />

ϕ(x)<br />

x − a<br />

=<br />

f(x) − f(a)<br />

x − a<br />

− f ′ (a),<br />

also l<strong>im</strong> ϕ(x) = 0 und damit ϕ(x) = o(x−a) nach Definition des Landausymbols.<br />

x−a<br />

⇐=: Sei f(x) = f(a) + c(x − a) + ϕ(x) mit ϕ(x) = o(x − a). Dann existiert<br />

auch<br />

f ′ f(x) − f(a)<br />

(a) = l<strong>im</strong> = c + l<strong>im</strong> ϕ(x)<br />

x − a<br />

x − a = c<br />

71


und damit ist f differenzierbar.<br />

(b) Folgt aus (a) sofort, denn lineare Funktionen sind stetig, also<br />

l<strong>im</strong> f(x) = f(a) + l<strong>im</strong> ϕ(x) = f(a).<br />

x→a x→a<br />

(c) Linearität folgt sofort aus den entprechenden Sätzen für Folgen. Produktregel:<br />

(fg) ′ (x) = l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

f(x + h)g(x + h) − f(x + h)g(x) + f(x + h)g(x) − f(x)g(x)<br />

h<br />

g(x + h) − g(x) f(x + h) − f(x)<br />

= l<strong>im</strong> f(x+h) +g(x) l<strong>im</strong><br />

= f(x)g ′ (x)+f ′ (x)g(x).<br />

h→0 h<br />

h→0 h<br />

Quotientenregel, Spezialfall f = 1:<br />

( ) ′ (<br />

1 1 1<br />

(x) = l<strong>im</strong><br />

g<br />

h→0 h g(x + h) − 1 )<br />

g(x) − g(x + h)<br />

= l<strong>im</strong><br />

g(x) h→0 g(x)g(x + h)h = − g′ (x)<br />

g 2 (x) .<br />

Mit der Produktregel folgt dann<br />

( ) ′ ( ) ′ f 1<br />

(x) = f(x) + f ′ 1<br />

(x)<br />

g<br />

g(x) g(x) = f ′ (x)g(x) − f(x)g ′ (x)<br />

.<br />

g 2 (x)<br />

Beispiele 7.8.<br />

Aus der Quotientenregel folgt (1/x n ) ′ = −nx n−1 /x 2n = −nx −n−1 . Es gilt also<br />

die Regel:<br />

dx m<br />

dx = mxm−1 ∀ m ∈ Z.<br />

Aus der Quotientenregel folgt auch tan ′ (x) = 1 . Um neue Beispiele zu finden<br />

betrachten wir wieder die<br />

cos 2 (x)<br />

Umkehrfunktionen.<br />

Satz 7.9 (Ableitung der Umkehrfunktion).<br />

Sei I ein Intervall und f : I −→ f(I) ⊆ R bijektiv, stetig und differenzierbar in<br />

x 0 mit f ′ (x 0 ) ≠ 0, so dass die Umkehrfunktion g = f −1 ebenfalls stetig ist. Dann<br />

ist g : f(I) −→ I differenzierbar in y 0 = f(x 0 ) und es gilt:<br />

g ′ (y 0 ) = 1<br />

f ′ (x 0 ) = 1<br />

f ′ (g(y 0 )) .<br />

Beweis. Da f und g bijektiv und stetig sind, entsprechen Folgen x n → x 0 in I<br />

eindeutig den Folgen y n → y 0 = f(x 0 ) in f(I). Also gilt:<br />

g ′ (y 0 ) = l<strong>im</strong><br />

y→y0<br />

g(y) − g(y 0 )<br />

y − y 0<br />

x − x 0<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→x0 f(x) − f(x 0 ) = 1<br />

f(x)−f(x<br />

l<strong>im</strong> 0<br />

= 1<br />

)<br />

x→x0<br />

f ′ (x 0 ) .<br />

x−x 0<br />

72


Beispiele 7.10. Damit können wir auch die speziellen Funktionen log, arcsin usw.<br />

ableiten:<br />

log ′ 1<br />

(x) =<br />

exp ′ (log x) = 1<br />

exp(log x) = 1 x .<br />

( ) ′ log(x)<br />

log ′ 1<br />

a(x) =<br />

=<br />

log(a) x log(a) .<br />

Diese Formel kann man auch zu einer neuen Definition von e benutzen:<br />

(<br />

e = exp(log ′ log(1 + 1<br />

(1)) = exp l<strong>im</strong><br />

) ) ( (<br />

n<br />

= l<strong>im</strong> exp n log 1 + 1 ))<br />

n→∞<br />

n→∞ n<br />

Weitere Beispiele:<br />

arctan ′ (x) =<br />

arcsin ′ (x) =<br />

1<br />

n<br />

1<br />

cos(arcsin(x)) = 1<br />

√ , x ∈] − 1, 1[.<br />

1 − x<br />

2<br />

1<br />

tan ′ (arctan(x)) = cos2 (arctan(x)) = 1<br />

1 + x , x ∈ R,<br />

2<br />

da 1 + tan 2 (x) = 1/ cos 2 (x). Im Kapitel Integralrechnung werden uns diese Formeln<br />

wieder begegnen.<br />

Satz 7.11 (Kettenregel).<br />

Seien f : I −→ R und g : D −→ R Funktionen mit f(I) ⊆ D. Ist f differenzierbar<br />

in x 0 ∈ I und g differenzierbar in f(x 0 ) ∈ D, so ist auch g ◦ f : I −→ R<br />

differenzierbar in x 0 und es gilt:<br />

(g ◦ f) ′ (x 0 ) = g ′ (f(x 0 )) · f ′ (x 0 ).<br />

Beweis. Betrachte die Hilfsfunktion h(y) := g(y)−g(y 0)<br />

y−y 0<br />

für y ≠ y 0 und h(y 0 ) =<br />

g ′ (y 0 ). Dann gilt aber:<br />

(g ◦ f) ′ (x 0 ) = l<strong>im</strong><br />

x→x0<br />

g(f(x)) − g(f(x 0 ))<br />

x − x 0<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→x0<br />

h(f(x)) · (f(x) − f(x 0 ))<br />

x − x 0<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→x0<br />

h(f(x)) · l<strong>im</strong><br />

x→x0<br />

f(x) − f(x 0 )<br />

x − x 0<br />

= g ′ (f(x 0 )) · f ′ (x 0 ).<br />

= l<strong>im</strong><br />

(1 + 1 ) n<br />

.<br />

n→∞ n<br />

Beispiele 7.12. Die allgemeine Potenzfunktion x r := exp(r log(x)) mit x ∈ R >0<br />

und r ∈ R:<br />

(x r ) ′ = (exp(r log(x)) ′ = exp(r log(x)) · r<br />

x = r · xr−1 .<br />

Dies ist die gleiche Regel wie bisher! Insbesondere für die Wurzelfunktion gilt<br />

( √ x) ′ = (x 1 2 ) ′ = 1<br />

2 √ x .<br />

73


Höhere Ableitungen<br />

Ist f differenzierbar und f ′ ebenfalls, so kann man die zweite Ableitung f ′′ bilden<br />

usw. Die höheren Ableitungen werden mit<br />

f ′′ , f ′′′ = f (3) , f (4) , . . . , f (n) , . . .<br />

bezeichnet, falls sie existieren, oder auch mit<br />

d 2 f<br />

dx , d3 f<br />

2 dx , . . . , dn f<br />

3 dx , . . . n<br />

Beispiele 7.13.<br />

sin (2n) (x) = (−1) n sin(x). Sind zwei Funktionen f, g n–Mal differenzierbar, so<br />

gilt<br />

n∑<br />

( n<br />

(f · g) (n) = f<br />

k)<br />

(n−k) g (k) .<br />

k=0<br />

Beweis mit Induktion über n und der Produktregel.<br />

Lokale Extrema<br />

Definition 7.14.<br />

Sei f :]a, b[−→ R eine Funktion. x ∈]a, b[ heißt lokales Max<strong>im</strong>um bzw. Min<strong>im</strong>um<br />

(Sammelbegriff lokales Extremum), falls ein ɛ > 0 existiert, so dass<br />

f(t) ≤ f(x), ∀t ∈]x − ɛ, x + ɛ[,<br />

bzw. f(t) ≥ f(x), ∀t ∈]x − ɛ, x + ɛ[.<br />

Satz 7.15.<br />

Sei f :]a, b[−→ R differenzierbar in x ∈]a, b[ und habe ein lokales Extremum in<br />

x. Dann gilt f ′ (x) = 0.<br />

Beweis. Angenommen f hat lokales Max<strong>im</strong>um (Beweis für Min<strong>im</strong>um genauso).<br />

Sei ]x − ɛ, x + ɛ[⊆]a, b[. Da x lokales Max<strong>im</strong>um ist, gilt<br />

f(x + h) − f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

h↘0 h<br />

f(x + h) − f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

h↗0 h<br />

≤ 0,<br />

≥ 0,<br />

insgesamt also, da f ′ (x) existiert, muss f ′ (x) = 0 gelten.<br />

74


Bemerkung 7.16. Die Bedingung f ′ (x) = 0 ist notwendig, aber nicht hinreichend,<br />

Beispiel: f(x) = x 3 . Die ɛ-Bedingung in der Voraussetzung ist wichtig,<br />

denn am Rand muss die Ableitung auch bei einem lokalen Extremum nicht Null<br />

sein (Beispiel f(x) = x auf Intervall [0, 1]).<br />

Satz 7.17 (Satz von Rolle).<br />

Ist f : [a, b] −→ R stetig mit f(a) = f(b) und differenzierbar in ]a, b[. Dann<br />

existiert ein ξ ∈]a, b[ mit f ′ (ξ) = 0.<br />

Beweis. 1. Fall: f ist konstant. Dann folgt die Behauptung sofort.<br />

2. Fall: Ist f nicht konstant, so wird entweder das globale Max<strong>im</strong>um oder das<br />

globale Min<strong>im</strong>um nicht am Rand angenommen. In jedem Fall gibt es also ein<br />

globales Extremum in ξ ∈]a, b[. Nach Satz 7.15 gilt dann aber f ′ (ξ) = 0.<br />

Eine Folgerung ist:<br />

Satz 7.18 (Mittelwertsatz).<br />

Sei f : [a, b] −→ R stetig und differenzierbar auf ]a, b[. Dann gibt es ein ξ ∈]a, b[<br />

mit<br />

f ′ f(b) − f(a)<br />

(ξ) = .<br />

b − a<br />

Beweis. Wende auf die Hilfsfunktion<br />

h(x) = f(x) −<br />

f(b) − f(a)<br />

(x − a)<br />

b − a<br />

den Satz 7.17 von Rolle an (Voraussetzungen sind erfüllt). Es gilt dann h ′ (ξ) = 0,<br />

d.h. f ′ (ξ) = f(b)−f(a) für ein ξ ∈]a, b[.<br />

b−a<br />

Satz 7.19 (Folgerungen aus dem Mittelwertsatz).<br />

(a) Ist f : [a, b] −→ R stetig und differenzierbar auf ]a, b[ mit<br />

so gilt auch<br />

c ≤ f ′ (ξ) ≤ C, ∀ξ ∈]a, b[,<br />

c(y − x) ≤ f(y) − f(x) ≤ C(y − x)<br />

für alle x, y ∈ [a, b] mit x ≤ y.<br />

(b) Ist f : [a, b] −→ R stetig und differenzierbar auf ]a, b[ mit f ′ (x) = 0 für alle<br />

x ∈]a, b[. Dann ist f konstant.<br />

(c) Ist f stetig auf [a, b] und differenzierbar in ]a, b[ und f ′ (x) ≥ 0 (bzw. > 0, ≤ 0,<br />

< 0) überall in ]a, b[, so ist f in [a, b] monoton wachsend (bzw. streng monoton<br />

wachsend, monoton fallend, streng monoton fallend).<br />

(d) Ist f stetig auf [a, b] und differenzierbar in ]a, b[ sowie monoton wachsend<br />

75


(bzw. fallend), so gilt f ′ (x) ≥ 0 (bzw. f ′ (x) ≤ 0) für alle x ∈ [a, b].<br />

(e) Sei f :]a, b[−→ R 2–Mal differenzierbar und in x ∈]a, b[ sei f ′ (x) = 0 und<br />

f ′′ (x) > 0 (bzw. f ′′ (x) < 0). Dann hat f in x ein lokales Min<strong>im</strong>um (bzw. Max<strong>im</strong>um).<br />

Beweis. (a) Angenommen es gibt x < y mit f(y) − f(x) > C(y − x) (oder <<br />

c(y − x)). Nach dem Mittelwertsatz gibt es dann ein x 0 ∈]x, y[ mit f(y) − f(x) =<br />

f ′ (x 0 )(y − x) und f ′ (x 0 ) > C (oder f ′ (x 0 ) < c). Dies ist ein Widerspruch zu<br />

c ≤ f ′ (x 0 ) ≤ C.<br />

(b) Folgt aus (a) mit C = c = 0.<br />

(c) Angenommen f ′ ≥ 0 und f ist nicht monoton wachsend (Beweis für andere<br />

genauso), d.h. es gibt x < y in [a, b] mit f(x) > f(y). Nach dem Mittelwertsatz<br />

gibt es dann ein x 0 ∈]x, y[ mit<br />

f ′ (x 0 ) =<br />

f(y) − f(x)<br />

y − x<br />

< 0.<br />

Widerspruch!<br />

(d) Folgt aus der Definition von f ′ (x).<br />

(e) Sei f ′ (x) = 0 und f ′′ (x) > 0 (Beweis für < 0 genauso). Dann existiert ein<br />

δ > 0, so dass<br />

f ′ (x ′ ) − f ′ (x)<br />

> 0<br />

x ′ − x<br />

für alle x ′ mit |x − x ′ | < δ, da f ′′ (x) > 0. Da f ′ (x) = 0 ist, gilt also f ′ (x ′ ) ><br />

x ′ − x ≥ 0 für x ≤ x ′ < x + δ und f ′ (x ′ ) < x ′ − x ≤ 0 für x − δ < x ′ ≤ x. Nach<br />

(c) ist f streng monoton wachsend bzw. fallend rechts bzw. links von x. Also ist<br />

x ein lokales Min<strong>im</strong>um.<br />

Definition 7.20.<br />

Eine Funktion f :]a, b[−→ R heißt konvex (bzw. konkav), falls f die Ungleichung<br />

f(λx 1 + (1 − λ)x 2 ) ≤ λf(x 1 ) + (1 − λ)f(x 2 )<br />

(bzw. ≥) für alle x 1 , x 2 ∈]a, b[ und 0 ≤ λ ≤ 1 erfüllt ist.<br />

Proposition 7.21. Ist f auf ]a, b[ 2–Mal differenzierbar, so ist f konvex, falls<br />

f ′′ (x) ≥ 0. Die Umkehrung gilt auch (ohne Beweis).<br />

Beweis. f ′ ist monoton wachsend auf ]a, b[, da f ′′ ≥ 0. Sei x 1 < x 2 , x := λx 1 +<br />

(1 − λ)x 2 und 0 < λ < 1. Dann gilt x 1 < x < x 2 . Nach dem Mittelwertsatz gibt<br />

es ξ 1 ∈]x 1 , x[ und ξ 2 ∈]x, x 2 [ mit<br />

f(x) − f(x 1 )<br />

x − x 1<br />

= f ′ (ξ 1 ) ≤ f ′ (ξ 2 ) = f(x 2) − f(x)<br />

.<br />

x 2 − x<br />

76


Es ist aber x − x 1 = (1 − λ)(x 2 − x 1 ) und x 2 − x = λ(x 2 − x 1 ). Also gilt<br />

und daher<br />

f(x) − f(x 1 )<br />

1 − λ<br />

≤ f(x 2) − f(x)<br />

λ<br />

f(x) = f(λx 1 + (1 − λ)x 2 ) ≤ λf(x 1 ) + (1 − λ)f(x 2 ).<br />

Die Regeln von De L’Hospital<br />

Diese dienen <strong>zur</strong> einfacheren Berechnung von Grenzwerten.<br />

Beispiele 7.22.<br />

l<strong>im</strong><br />

x→0<br />

log(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

x→∞ x<br />

sin(x)<br />

x<br />

exp(x) − 1<br />

x<br />

l<strong>im</strong><br />

x→0<br />

1/x<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→∞ 1 = 0,<br />

cos(x)<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→0 1<br />

= l<strong>im</strong><br />

x→0<br />

exp(x)<br />

1<br />

= 1,<br />

= 1.<br />

Satz 7.23 (De L’Hospital).<br />

I =]a, b[ sei ein Intervall mit −∞ ≤ a < b ≤ ∞ und f, g : I −→ R differenzierbar<br />

mit g ′ (x) ≠ 0 für alle x ∈ I. Falls die L<strong>im</strong>iten<br />

uneigentlich sind und der L<strong>im</strong>es<br />

l<strong>im</strong> f(x) = l<strong>im</strong> g(x) = ∞<br />

x↗b x↗b<br />

f ′ (x)<br />

l<strong>im</strong><br />

x↗b g ′ (x) = c ∈ R<br />

existiert, dann ist auch<br />

Analog gilt ein Satz, wenn<br />

f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

x↗b g(x) = c.<br />

l<strong>im</strong> f(x) = l<strong>im</strong> g(x) = 0<br />

x↗b x↗b<br />

oder für den Fall x ↘ a.<br />

77


Beweis. Nur für den Fall ∞ und x ↗ b, sonst ähnlich.<br />

Zuerst Spezialfall: Sei f :]a, ∞[−→ R differenzierbar mit l<strong>im</strong> x→∞ f ′ (x) = c ∈ R.<br />

f(x)<br />

Dann ist auch l<strong>im</strong> x→∞ = c.<br />

x<br />

Beweis dafür: Durch Betrachtung der Funktion g(x) = f(x) − cx kann man<br />

annehmen, dass c = 0 ist. Sei ɛ > 0 gegeben. Es gibt ein x 0 ∈]a, ∞[ mit<br />

|f(x) − f(x 0 )| ≤ ɛ/2(x − x 0 ) für alle x ≥ x 0 . Ist x ≥ max(x 0 , 2|f(x 0 )|/ɛ),<br />

so folgt<br />

∣ ∣ f(x)<br />

∣∣∣ ∣ x ∣ ≤ f(x) − f(x 0 )<br />

∣∣∣ x ∣ + f(x 0 )<br />

x ∣ ≤ ɛ/2x − x 0<br />

+ ɛ/2 = ɛ.<br />

x<br />

Hieraus folgt der Spezialfall.<br />

Allgemeiner Fall: Da g ′ ≠ 0 ist, ist g : I → R streng monoton wachsend auf I.<br />

Es gilt also g(I) =]ρ, ∞[ mit ρ = l<strong>im</strong> x↘a g(x). Sei ϕ = g −1 : g(I) −→ I die<br />

Umkehrfunktion. Betrachte h = f ◦ ϕ : g(I) −→ R. Es gilt nach der Kettenregel<br />

und dem Satz über die Umkehrfunktion<br />

Also gilt auch<br />

Aus dem Spezialfall folgt dann auch<br />

h ′ (y) = f ′ (ϕ(y))ϕ ′ (y) = f ′ (ϕ(y))<br />

g ′ (ϕ(y)) .<br />

f ′ (x)<br />

l<strong>im</strong><br />

y→∞ h′ (y) = l<strong>im</strong><br />

x↗b g ′ (x) = c.<br />

h(y)<br />

l<strong>im</strong><br />

y→∞ y<br />

= c.<br />

Also ist mit y = g(x)<br />

f(x)<br />

l<strong>im</strong><br />

x↗b g(x) = l<strong>im</strong> h(y)<br />

y→∞ y<br />

= c.<br />

Das Newton–Verfahren<br />

Numerisches Verfahren <strong>zur</strong> Best<strong>im</strong>mung von Nullstellen von Funktionen. Die iterative<br />

Formel<br />

x n+1 := x n − f(x n)<br />

f ′ (x n )<br />

kann geometrisch so interpretiert werden, dass man an jeden Näherungswert x n<br />

die Tangente zieht und als bessere Näherung den Schnittpunkt davon mit der x–<br />

Achse n<strong>im</strong>mt. Mathematisch präziser formuliert:<br />

78


Satz 7.24.<br />

Sei f : [a, b] −→ R 2–Mal differenzierbar und konvex mit f(a) < 0 und f(b) > 0.<br />

Dann gilt:<br />

(a) Es gibt genau ein ξ ∈]a, b[ mit f(ξ) = 0.<br />

(b) Ist x 0 ∈ [a, b] beliebiger Anfangswert und f(x 0 ) ≥ 0, dann ist die Folge (x n )<br />

(siehe oben) monoton fallend und konvergent gegen ξ. Insbesondere ist f ′ (x n ) ≠<br />

0.<br />

(c) Fehlerabschätzung: Ist f ′ (ξ) = C > 0 und f ′′ (x) ≤ K auf [a, b], so gilt<br />

quadratische Konvergenz:<br />

|x n+1 − x n | ≤ |ξ − x n | ≤ K/2C|x n − x n−1 | 2 .<br />

Ist K/2C = 1 etwa, so verdoppelt sich die Genauigkeit der Dez<strong>im</strong>alstellen bei<br />

jedem Schritt.<br />

Beweis. Nur für den Spezialfall f(x) = x k − a : R + −→ R, a > 0. Dann gilt<br />

f ′ (x) = kx k−1 und f ′′ (x) = k(k − 1)x k−2 ≥ 0 für x ∈ R + . Also ist<br />

x n+1 = x n − f(x n)<br />

f ′ (x n ) = 1 (<br />

(k − 1)x n + a )<br />

.<br />

k<br />

x k−1<br />

n<br />

Diese Folge ist uns aus §4 bekannt und wurde dort für k = 2 bereits auf Konvergenz<br />

untersucht. Sie konvergiert gegen ξ = k√ a.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 110. (a) Geben Sie eine Formel für die beiden Umkehrfunktionen cosh −1 (x)<br />

und sinh −1 (x) an.<br />

(b) Berechnen Sie die Ableitungen dieser Umkehrfunktionen.<br />

Aufgabe 111. Leiten Sie die folgenden Funktionen ab:<br />

x sin(x2) , arctan(arcsin(log(x))), x exp(x) , sin(arccos(x)).<br />

Aufgabe 112. Stellen Sie eine Formel für die n–te Ableitung von log(x) auf und<br />

beweisen Sie diese Formel.<br />

Aufgabe 113. Beweisen Sie: Die Ableitung einer geraden (ungeraden) Funktion<br />

ist ungerade (gerade).<br />

Aufgabe 114. Beweisen Sie durch vollständige Induktion die folgenden Beziehungen<br />

für n–fache Ableitungen:<br />

d n<br />

n∑<br />

( n<br />

n∑<br />

( )<br />

dx n (f(x)g(x)) = k)f (n−k) (x)g (k) (x), f(x) dn<br />

n d<br />

dx n g(x) = (−1) k n−k ( )<br />

k dx n−k f (k) (x)g(x) .<br />

k=0<br />

79<br />

k=0


Aufgabe 115. Die Funktion g : R → R sei definiert durch g(0) = 0 und g(x) =<br />

x 2 · cos ( 1<br />

x)<br />

für x ≠ 0. Berechnen Sie g ′ (x) für alle x ∈ R.<br />

Aufgabe 116. Zeichnen Sie die Graphen der folgenden Funktionen in einem<br />

max<strong>im</strong>alen Definitionsbereich:<br />

3√<br />

2x, x 3/2 , exp(2x − 1), exp(x/2), log(1 − x),<br />

log(1 + 2x), sin(3x), arcsin(3x), cos(x/3), arccos(x/3), tan(x/2), arctan(x/2).<br />

Aufgabe 117. Sei f : [a, b] → R eine Funktion mit der Eigenschaft, dass<br />

|f(x) − f(x ′ )| ≤ C · |x − x ′ | 2<br />

für alle x, x ′ ∈ [a, b] und eine Konstante C > 0. Zeigen Sie, dass f konstant ist.<br />

Aufgabe 118. Betrachten Sie die Funktion<br />

{<br />

f(x) = (1 + x) log(1 + x), x > −1<br />

f : [−1, ∞[−→ R, x ↦→<br />

0, x = −1.<br />

Zeigen Sie zuerst, dass f stetig auf [−1, ∞[ ist. Best<strong>im</strong>men Sie alle Nullstellen<br />

und Achsenschnittpunkte sowie alle lokalen und globalen Extrema von f(x).<br />

Überprüfen Sie dabei jeweils, ob es sich um ein Min<strong>im</strong>um oder Max<strong>im</strong>um handelt.<br />

In welchen Intervallen ist f konvex und konkav Zeichnen Sie den Graphen<br />

der Funktion.<br />

Aufgabe 119. Sei f(x) die Funktion, die definiert ist durch f(x) = e −1/x für<br />

x > 0 und f(x) = 0 für x ≤ 0. Zeigen Sie: Für alle n ≥ 0 gibt es ein Polynom<br />

P n (x) mit f (n) (x) = P n (1/x)e −1/x für x > 0. Folgern Sie f (n) (0) = 0 für alle<br />

n ≥ 0.<br />

Aufgabe 120. Berechnen Sie mit dem Newtonverfahren 5√ 3 bis auf 10 Dez<strong>im</strong>alstellen<br />

genau. Verwenden Sie dabei die Fehlerabschätzung aus der <strong>Vorlesung</strong>.<br />

Aufgabe 121. (a) Untersuchen Sie die Funktion f(x) = x n e −x (n > 0) auf lokale<br />

und globale Extrema.<br />

(b) Untersuchen Sie die Funktion f(x) = x 3 + ax 2 + bx auf lokale Extrema in<br />

Abhängigkeit von a, b ∈ R.<br />

Aufgabe 122. Berechnen Sie die L<strong>im</strong>iten<br />

l<strong>im</strong><br />

x→ π 2<br />

x − π 2<br />

cot(x) , l<strong>im</strong><br />

x→∞<br />

log(x)<br />

, l<strong>im</strong><br />

x 5<br />

x→0<br />

x log(x), l<strong>im</strong><br />

x→<br />

π<br />

2<br />

(<br />

tan(x) + 1 )<br />

x − π .<br />

2<br />

Aufgabe 123. Können a, b ∈ R so gewählt werden, dass die Funktion<br />

{<br />

ax + b falls x < 0<br />

f(x) :=<br />

(x + 1) cos x falls x ≥ 0<br />

auf R differenzierbar ist Wenn ja, ist die Wahl eindeutig<br />

80


Aufgabe 124. Die Funktion h : (a, b) → R sei n-mal differenzierbar und habe<br />

n + 1 verschiedene Nullstellen in (a, b). Beweisen Sie, dass es ein ξ ∈ (a, b) gibt<br />

mit h (n) (ξ) = 0.<br />

Aufgabe 125. Schreiben Sie einem Kreis ein gleichschenkliges Dreieck mit größtem<br />

Flächeninhalt ein!<br />

Aufgabe 126. Gegeben ein Quader mit Seitenlänge der Länge a, b und c. Welche<br />

Beziehung muss zwischen a, b und c bestehen, damit das Volumen des Quaders<br />

bei vorgegeber Oberfläche max<strong>im</strong>al ist.<br />

Aufgabe 127. Beweisen Sie: Zu jedem x > 1 mit x ≠ e = exp(1) gibt es genau<br />

ein f(x) > 0 mit f(x) ≠ x und x f(x) = (f(x)) x .<br />

Aufgabe 128. Man zeige: Sind m, n natürliche Zahlen mit 1 ≤ m < n und<br />

m n = n m , so ist m = 2 und n = 4.<br />

Aufgabe 129. Für x ∈ R seien f(x) := x+cos x sin x und g(x) := e sin x (x + cos x sin x).<br />

1. Beweisen Sie, l<strong>im</strong> x→∞ f(x) = l<strong>im</strong> x→∞ g(x) = ∞.<br />

2. Man zeige,<br />

f ′ (x)<br />

g ′ (x) = 2e− sin x cos x<br />

2 cos x + f(x)<br />

für alle x > 3 mit cos x ≠ 0 und untersuche, ob die rechte Seite der Gleichung<br />

einen Grenzwert für x → ∞ besitzt.<br />

3. Prüfen Sie, ob l<strong>im</strong> x→∞<br />

f(x)<br />

g(x) existiert.<br />

Aufgabe 130. Es sei f : R → R eine Funktion derart, dass für jedes Polynom g<br />

mit reellen Koeffizienten gilt f(g(x)) = g(f(x)) für alle x ∈ R. Man beweise:<br />

f(x) = x für x ∈ R.<br />

Aufgabe 131. Es sei f : R → R >0 eine differenzierbare Funktion. Zeige f ′ (x) =<br />

f(x) für alle x ∈ R genau dann wenn f(x) = c · e x für eine Konstante c ∈ R.<br />

Aufgabe 132. Seien a > b > 0 und n ∈ N mit n ≥ 2. Beweisen Sie<br />

α 1 n − β<br />

1<br />

n < (α − β)<br />

1<br />

n .<br />

Hinweis: Für x ≥ 1 sei f(x) = x 1 n<br />

auf Monotonie.<br />

− (x − 1) 1 n . Untersuchen Sie diese Funktion<br />

Aufgabe 133. Sei f : R >0 → R, f(x) = log(x) gegeben. Geben Sie ein Formel<br />

für die n-te Ableitung f (n) (x) an und beweisen Sie diese!<br />

81


Aufgabe 134. Best<strong>im</strong>men Sie die Extrema der folgenden Funktionen, sowie deren<br />

Verhalten für x → ±∞. Skizzieren Sie den Graphen!<br />

f : R → R, x → 1 − x2<br />

1 + x 2<br />

g : R → R, x → x 2 exp(−x)<br />

Aufgabe 135. Es seien Funktionen f 1 , f 2 : R → R gegeben durch<br />

{ x sin(<br />

1<br />

f 1 (x) =<br />

) für x ≠ 0 {<br />

x x<br />

0 für x = 0 , f 2(x) =<br />

2 sin( 1) für x ≠ 0<br />

x<br />

0 für x = 0<br />

Berechnen Sie die Ableitungen f ′ 1(x) und f ′ 2(x) für x ≠ 0. Sind die Funktionen<br />

f 1 (x) bzw. f 2 (x) differenzierbar in 0<br />

Aufgabe 136. Beweisen Sie: Unter allen Rechtecken mit vorgegebenem Umfang<br />

hat das Quadrat die größte Fläche.<br />

Aufgabe 137. Es sei g eine beschränkte Funktion auf [−1, 1] und f(x) := x 2 g(x).<br />

Zeige, dass f ′ (0) existiert und gleich 0 ist.<br />

Aufgabe 138. Die Funktionen f und g seien auf I := (−r, r) (r > 0) differenzierbar,<br />

es sei f(x)g(x) = x auf I und f(0) = 0. Zeigen Sie, dass g(0) ≠ 0 gelten<br />

muss.<br />

Aufgabe 139. Ein Quader habe die Seitenlängen a, 2a und b und die fest vorgegebene<br />

Oberfläche O. Berechne die Werte von a und b, für die das Volumen V<br />

max<strong>im</strong>iert wird in Abhängigkeit von O. Welche konkreten Werte ergeben sich für<br />

O = 48<br />

Aufgabe 140. Betrachte die Funktion<br />

{<br />

f(x) = (1 + x) log(1 + x), x > −1<br />

f : [−1, ∞[−→ R, x ↦→<br />

0, x = −1.<br />

Zeigen Sie zuerst, dass f stetig auf [−1, ∞[ ist. Best<strong>im</strong>men Sie alle Nullstellen<br />

und Achsenschnittpunkte sowie alle lokalen und globalen Extrema von f(x).<br />

Überprüfen Sie dabei jeweils, ob es sich um ein Min<strong>im</strong>um oder Max<strong>im</strong>um handelt.<br />

In welchen Intervallen ist f konvex und konkav Zeichnen Sie den Graphen<br />

der Funktion.<br />

Aufgabe 141. Sei f : [a, b] → R eine Funktion mit der Eigenschaft, dass<br />

|f(x) − f(x ′ )| ≤ C · |x − x ′ | 2<br />

für alle x, x ′ ∈ [a, b] und eine Konstante C > 0. Zeigen Sie, dass f konstant ist.<br />

82


8 Integralrechnung<br />

Inhalt: Treppenfunktionen, Riemann Integral, Rechenregeln, Stammfunktionen,<br />

Hauptsatz der Differential–/Integralrechnung, Uneigentliche Integrale.<br />

Wir betrachten beschränkte Funktionen f : [a, b] −→ R mit a, b ∈ R.<br />

Definition 8.1 (Unterteilung, Treppenfunktion).<br />

Eine Unterteilung von [a, b] ist eine endliche Menge von Teilpunkten:<br />

Z : a = x 0 < x 1 < . . . < x n = b.<br />

Z ′ : a = y 0 < y 1 < . . . < y m = b mit m ≥ n ist eine Verfeinerung von Z,<br />

falls gilt x i−1 = y ki−1 < . . . < y ki = x i . Je zwei Unterteilungen besitzen eine<br />

gemeinsame Verfeinerung durch Vereinigung der Teilpunkte.<br />

f : [a, b] −→ R ist eine Treppenfunktion, falls eine Unterteilung Z von [a, b] existiert,<br />

so dass f konstant auf den Teilstücken ]x i−1 , x i [ ist. Welches Verhalten f in<br />

x i hat ist dabei egal.<br />

Man sieht leicht, dass Summen und Linearkombinationen von Treppenfunktionen<br />

wieder solche sind, wenn man die Unterteilung anpasst (durch eine gemeinsame<br />

Verfeinerung der Unterteilung <strong>im</strong> Fall der Summe).<br />

Definition 8.2 (Integral für Treppenfunktionen).<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx :=<br />

n∑<br />

c i (x i − x i−1 ),<br />

i=1<br />

wobei c i der konstante Wert von f auf ]x i−1 , x i [ ist. Dies entspricht dem Flächeninhalt<br />

von f unter seinem Graphen.<br />

Lemma 8.3. Diese Definition hängt nicht von der Wahl der Unterteilung ab.<br />

Beweis. Spezialfall: Sei Z ′ : a = y 0 < y 1 < . . . < y m = b eine Verfeinerung von<br />

Z, d.h. x i−1 = y ki−1 < . . . < y ki = x i . Dann gilt<br />

n∑<br />

c i (x i − x i−1 ) =<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

c i<br />

∑k i<br />

j=k i−1 +1<br />

(y j − y j−1 ) =<br />

m∑<br />

c j (y j − y j−1 ),<br />

j=1<br />

da c j = c i für k i−1 ≤ j ≤ k i . Sind Z, Z ′ nicht vergleichbar, so betrachte eine<br />

gemeinsame Verfeinerung und wende den Spezialfall an.<br />

83


Satz 8.4 (Rechenregeln für Integrale von Treppenfunktionen).<br />

Seien ϕ, ϕ ′ zwei Treppenfunktionen [a, b] −→ R.<br />

(a)<br />

(b)<br />

(c)<br />

∫ b<br />

a<br />

ϕ(x)dx +<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

ϕ(x) ≤ ϕ ′ (x) =⇒<br />

a<br />

ϕ ′ (x)dx =<br />

λϕ(x)dx = λ<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

ϕ(x)dx ≤<br />

(ϕ(x) + ϕ ′ (x))dx.<br />

ϕ(x)dx.<br />

∫ b<br />

a<br />

ϕ ′ (x)dx.<br />

Beweis. Folgt aus der Definition, betrachte <strong>im</strong>mer gemeinsame Unterteilung.<br />

Beispiel 8.5 (Äquidistante Unterteilung).<br />

Sei ϕ(x) = k k−1<br />

auf [ , k [ und ϕ(1) = 1. Dann gilt<br />

n n n<br />

∫ 1<br />

n∑ k n(n + 1)<br />

ϕ(x)dx = = ,<br />

n2 2n 2<br />

0<br />

k=1<br />

da ∑ n<br />

k=1 k = n(n+1)<br />

2<br />

, siehe §2. Dies konvergiert erwartungsgemäß nach 1/2.<br />

Definition 8.6 (Riemann Integral).<br />

Sei f : [a, b] −→ R eine beschränkte Funktion. Setze<br />

∫ b ∗<br />

a<br />

∫ b<br />

a ∗<br />

f(x)dx := inf{<br />

f(x)dx := sup{<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

ϕ(x)dx | ϕ ≥ f Treppenfunktion },<br />

ϕ(x)dx | ϕ ≤ f Treppenfunktion }.<br />

Diese L<strong>im</strong>iten existieren <strong>im</strong>mer und werden Ober– und Unterintegrale genannt.<br />

f heißt Riemann integrierbar oder kurz integrierbar, falls beide übereinst<strong>im</strong>men:<br />

∫ b ∗<br />

a<br />

f(x)dx =<br />

∫ b<br />

a ∗<br />

f(x)dx.<br />

Beispiel 8.7. Viele Funktionen sind nicht Riemann integrierbar in diesem Sinn:<br />

Betrachte<br />

{<br />

1 x /∈ Q<br />

f(x) =<br />

0 x ∈ Q.<br />

Hier gilt ∫ 1 ∗<br />

f(x)dx = 1 und ∫ 1<br />

f(x)dx = 0. Solche Funktionen sind aber in<br />

0 0 ∗<br />

einem verallgemeinerten Sinn sehr wohl integrierbar und es gilt ∫ 1<br />

f(x)dx = 1,<br />

0<br />

da Q ∩ [0, 1] eine sogenannte Lebesgue Nullmenge in [0, 1] ist.<br />

84


Satz 8.8. Im Folgenden seien f, g : [a, b] −→ R beschränkt.<br />

(a) Jede Treppenfunktion ist Riemann integrierbar.<br />

(b) f ist Riemann integrierbar genau dann, wenn für alle ɛ > 0 Treppenfunktionen<br />

ϕ ≤ f ≤ ϕ ′ existieren mit<br />

∫ b<br />

a<br />

(ϕ ′ (x) − ϕ(x))dx ≤ ɛ.<br />

(c) ∫ b<br />

f(x)dx ist linear und monoton <strong>im</strong> Argument f.<br />

a<br />

(d) Jede stetige Funktion ist Riemann integrierbar.<br />

(e) Jede monotone Funktion ist Riemann integrierbar.<br />

(f) Ist f Riemann integrierbar, so auch |f| und es gilt:<br />

∣<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ b<br />

f(x)dx<br />

∣ ≤ |f(x)|dx.<br />

(g) Sind f, g Riemann integrierbar, so sind auch fg und |f| p Riemann integrierbar<br />

für p ≥ 1.<br />

Bemerkung 8.9. Statt stetig kann man in (d) auch fordern, das f höchstens endlich<br />

viele Unstetigkeitsstellen besitzt.<br />

Beweis. (a) Inf und sup werden für Treppenfunktionen f bei f selbst angenommen<br />

und sind damit gleich.<br />

(b) ɛ/2–Argument und Definition von ∫ ∗ , ∫ . ∗<br />

(c) Folgt aus Satz 8.4 und L<strong>im</strong>esargument.<br />

(d) Sei f : [a, b] −→ R stetig und ɛ > 0. f ist gleichmäßig stetig nach Satz 6.17.<br />

Also existiert ein δ > 0, so dass |f(x)−f(x ′ )| < ɛ/b−a, falls |x−x ′ | < δ. Wähle<br />

n mit (b − a)/n ≤ δ und betrachte die Unterteilung x k := a + k (b − a). Definiere<br />

n<br />

ϕ(x) als inf{f(x) | x k−1 ≤ x ≤ x k } auf [x k−1 , x k [ und ϕ(b) = f(b). Ebenso<br />

definiere ϕ ′ (x) als sup{f(x) | x k−1 ≤ x ≤ x k } auf [x k−1 , x k [ und ϕ ′ (b) = f(b).<br />

Dann gilt 0 ≤ ϕ ′ (x) − ϕ(x) ≤ ɛ/b − a, also ∫ b<br />

a (ϕ′ (x) − ϕ(x))dx ≤ ɛ.<br />

(e) Sei f : [a, b] −→ R monoton wachsend (Beweis für fallend genauso). Setze<br />

wieder x k := a + k n (b − a). Diesmal definiere ϕ(x) = f(x k−1) und ϕ ′ (x) = f(x k )<br />

auf [x k−1 , x k [ sowie ϕ(b) = ϕ ′ (b) = f(b). Dann gilt ϕ(x) ≤ f ≤ ϕ ′ (x) und<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

(ϕ ′ (x) − ϕ(x))dx = b − a<br />

n<br />

n∑<br />

k=1<br />

(f(x k ) − f(x k−1 ) = (f(b) − f(a)) b − a<br />

n .<br />

Für n groß wird dies beliebig klein. Also folgt (e) aus (b).<br />

(f) Für eine beliebige Funktion f ist f + = max(f, 0) und f − = max(−f, 0). Dann<br />

85


gilt f = f + − f − und |f| = f + + f − . Ist f integrierbar, so auch f + und f − , denn<br />

für die entsprechenden Treppenfunktionen z.B. für f + gilt:<br />

∫ b<br />

a<br />

(ϕ ′ +(x) − ϕ + (x))dx ≤<br />

∫ b<br />

a<br />

(ϕ ′ (x) − ϕ(x))dx.<br />

Also ist |f| integrierbar und es gilt wegen der Dreiecksungleichung und (c):<br />

∫ b<br />

∣∫ ∣∣∣ b ∫ b<br />

∫ ∣ f(x)dx<br />

∣ = b ∫ b<br />

f + (x)dx − f − (x)dx<br />

∣ ≤ f + (x)dx+ f − (x)dx =<br />

a<br />

a<br />

a<br />

(g) Es ist fg = 1 2 ((f+g)2 −(f−g) 2 ), also reicht es zu zeigen, dass |f| p integrierbar<br />

ist für p ≥ 1. Der Fall p = 1 wurde schon gezeigt und wir können annehmen,<br />

dass 0 ≤ |f| ≤ 1 gilt nach Multiplikation mit λ. Sei ɛ > 0 gegeben und seien<br />

0 ≤ ϕ ≤ |f| ≤ ϕ ′ ≤ 1 Treppenfunktionen mit<br />

∫ b<br />

a<br />

(ϕ ′ (x) − ϕ(x))dx ≤ ɛ/p.<br />

Dann sind ϕ p , (ϕ ′ ) p auch Treppenfunktionen mit ϕ p ≤ |f| p ≤ (ϕ ′ ) p . Aus dem<br />

Mittelwertsatz und (x p ) ′ = px p−1 folgt, dass (ϕ ′ ) p − ϕ p ≤ p(ϕ ′ − ϕ). Also ist |f| p<br />

integrierbar nach (b).<br />

Definition 8.10 (Feinheit von Unterteilungen).<br />

Sei Z : x 0 = a < . . . < x n = b eine Unterteilung. Dann hat Z die Feinheit<br />

µ(Z) := max(x i − x i−1 ).<br />

Satz 8.11 (Riemannsche Summen).<br />

Ist f Riemann integrierbar auf [a, b] und ɛ > 0 gegeben. Dann existiert ein δ > 0,<br />

so dass für jede Unterteilung Z mit µ(Z) ≤ δ und jede von Stützstellen ξ i ∈<br />

[x i−1 , x i ] gilt: ∣ ∣∣∣∣ ∫ b<br />

n∑<br />

f(x)dx − f(ξ i )(x i − x i−1 )<br />

∣ ≤ ɛ.<br />

a<br />

i=1<br />

Beweis. Sei ɛ > 0 gegeben. OBdA ist f schon selbst eine Treppenfunktion wegen<br />

Satz 8.8(b). Sei a = t 0 < . . . < t m = b die Unterteilung, die f definiert. f(x)<br />

und die Treppenfunktion h(x), die durch die Wahl der ξ i definiert wird st<strong>im</strong>men<br />

auf den Intervallen ]x k−1 , x k [ überein, die kein t j enthalten. Die Gesamtlänge der<br />

Intervalle, wo beide nicht übereinst<strong>im</strong>men ist also ≤ 2mµ(Z). Ist C = sup |f(I)|,<br />

so folgt |f(x) − h(x)| ≤ 2C und damit ∫ |f(x) − h(x)|dx ≤ 4Cmµ(Z). Hieraus<br />

folgt die Behauptung mit δ = ɛ/4Cm.<br />

Beispiele 8.12.<br />

a<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

|f(x)|dx.<br />

86


• f(x) = x und x k = k (siehe oben).<br />

n<br />

• f(x) = 1/x und x k = a k/n . Dann ist eine Riemannsche Summe<br />

S n := O n = ∑ f(x k )(x k −x k−1 ) = ∑ a k n − a k−1<br />

n<br />

a k n<br />

= n(1−a − 1 n ) = n(1−exp(−<br />

1<br />

n log(a))).<br />

Aus der Restgliedformel folgt also, dass S n = log(a) + O(1/n) und damit<br />

∫ a<br />

1<br />

dx<br />

x = log(a).<br />

Satz 8.13 (Mittelwertsatz der Integralrechnung).<br />

Sind f, g stetige Funktionen auf I = [a, b] mit g ≥ 0. Dann gibt es ein x 0 ∈ [a, b]<br />

mit (siehe auch Spezialfall g ≡ 1!)<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)g(x)dx = f(x 0 )<br />

∫ b<br />

a<br />

g(x)dx.<br />

Beweis. Beachte zuerst, dass g ≥ 0 stetig ist, also ist entweder g = 0 überall<br />

(dann ist die Aussage trivial) oder g ≠ 0. In diesem Fall ist aber das Integral<br />

∫<br />

g(x)dx ≠ 0, da g mindestens auf einem kleinen Intervall der Länge δ > 0<br />

wirklich ≥ ɛ ist und damit kann man das Unterintegral durch δ · ɛ beschränken.<br />

Sei c = inf f(I) und C = sup f(I). Dann ist<br />

c ≤ c 0 :=<br />

∫ b<br />

a f(x)g(x)dx<br />

∫ b<br />

a g(x)dx ≤ C.<br />

Nach dem Zwischenwertsatz für f gibt es ein x 0 mit f(x 0 ) = c 0 .<br />

Satz 8.14.<br />

Sei f : [a, b] −→ R stetig. Dann ist F (x) = ∫ x<br />

f(t)dt differenzierbar auf [a, b]<br />

a<br />

und es gilt F ′ (x) = f(x).<br />

Beweis. Indem man Integrationsgebiete aufteilt, beweist man leicht den Hilfssatz:<br />

∫ d<br />

a<br />

f(x)dx =<br />

für a ≤ c ≤ d ≤ b. Damit folgt<br />

F ′ (x) = l<strong>im</strong><br />

h→0<br />

F (x + h) − F (x)<br />

h<br />

∫ c<br />

a<br />

1<br />

= l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

f(x)dx +<br />

87<br />

∫ x+h<br />

a<br />

∫ d<br />

c<br />

f(x)dx<br />

1<br />

f(t)dt−l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

∫ x<br />

a<br />

1<br />

f(t)dt = l<strong>im</strong><br />

h→0 h<br />

∫ x+h<br />

x<br />

f(t)dt.


Sei h > 0 (der andere Fall geht analog). Nach Satz 8.13 mit g = 1 existiert ein<br />

x h ∈ [x, x + h] mit<br />

1<br />

h<br />

∫ x+h<br />

x<br />

f(t)dt = f(x h ) 1 h<br />

∫ x+h<br />

x<br />

1 · dt = f(x h ).<br />

Es konvergiert x h gegen x für h → 0, also ist F ′ (x) = f(x), da f stetig ist.<br />

Definition 8.15. Eine solche Funktion F mit F ′ = f heißt Stammfunktion von f.<br />

Korollar 8.16 (Hauptsatz der Differential-/Integralrechnung).<br />

Ist f stetig und F eine Stammfunktion, so gilt<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx = F (b) − F (a).<br />

Je zwei Stammfunktionen unterscheiden sich um eine Konstante.<br />

Beweis. Je zwei Stammfunktionen F, G unterscheiden sich um eine Konstante,<br />

denn F ′ − G ′ = f − f = 0. Setze h(x) := ∫ x<br />

f(u)du. Dann gilt a h′ (x) = f(x)<br />

nach Satz 8.14. Also ist<br />

F (b) − F (a) = h(b) − h(a) =<br />

∫ b<br />

a<br />

f(u)du −<br />

∫ a<br />

a<br />

f(u)du =<br />

∫ b<br />

a<br />

f(u)du.<br />

Notation 8.17.<br />

∫ b<br />

Unbest<strong>im</strong>mtes Integral:<br />

a<br />

f(x)dx = F (x)| b a := F (b) − F (a).<br />

∫<br />

f(x)dx = F (x) + C.<br />

Das C kann man auch einfach weglassen.<br />

∫ ∫ ∫<br />

Beispiele 8.18. sin(x)dx = − cos(x), cos(x) = sin(x), dx<br />

∫<br />

= log(x),<br />

x<br />

√ dx<br />

1−x 2<br />

= arcsin(x), ∫ dx<br />

= arctan(x) und ∫ exp(x)dx = exp(x).<br />

1+x 2<br />

Es gibt einen Algorithmus von Risch, der elementare Integrale wie diese und viele<br />

andere lösen kann. Er wird in Computeralgebrasystemen verwendet.<br />

Weitere nützliche Regeln:<br />

88


Satz 8.19.<br />

(a) Sei f : [c, d] −→ R stetig und ϕ : [a, b] −→ R stetig differenzierbar (d.h. ϕ ′<br />

stetig) mit ϕ([a, b]) ⊆ [c, d]. Dann gilt die Substitutionsregel:<br />

∫ d<br />

c<br />

f(ϕ(t))ϕ ′ (t)dt =<br />

∫ ϕ(b)<br />

ϕ(a)<br />

f(x)dx.<br />

(b) Sind f, g : [a, b] −→ R stetig differenzierbar, dann gilt die Partielle Integrationsregel:<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)g ′ (x)dx = f(x)g(x)| b a −<br />

∫ b<br />

a<br />

f ′ (x)g(x)dx.<br />

Beweis. (a) folgt aus der Kettenregel, angewandt auf die Funktion F ◦ ϕ, wobei<br />

F eine Stammfunktion von f ist.<br />

(b) folgt aus der Produktregel für F = fg.<br />

Beispiele 8.20. • f(x) = 1/x. Dann gilt für 1 ≤ a ≤ b:<br />

∫ b<br />

a<br />

ϕ ′ ∫<br />

(t) ϕ(b)<br />

ϕ(t) dt =<br />

ϕ(a)<br />

dx<br />

x = log ϕ(x)|b a.<br />

• ∫ b<br />

•<br />

∫ b<br />

log(x)dx =<br />

a<br />

a<br />

dx<br />

1 − x = 1 ∫ b<br />

2 2 a<br />

∫ b<br />

a<br />

dx<br />

1 − x + 1 ∫ b<br />

2 a<br />

1·log(x)dx = x log(x)| b a−<br />

dx<br />

1 + x = 1 2 log x + 1<br />

x − 1 |b a.<br />

Uneigentliche Integrale und Anwendung auf Reihen<br />

∫ b<br />

a<br />

x· dx x = x(log(x)−1)|b a.<br />

∫ b<br />

Sei f : [a, b] −→ R integrierbar für alle b ≥ a. Außerdem existiere l<strong>im</strong> b→∞ f(x)dx =<br />

a<br />

c ∈ R. Dann setzt man<br />

∫ ∞<br />

a<br />

f(x)dx := c<br />

und nennt es uneigentliches Integral. Analog definiert man ∫ b<br />

f(x)dx und ∫ ∞<br />

f(x)dx<br />

−∞ −∞<br />

und den Fall wenn man (statt ±∞) eine Grenze des Definitionsbereichs hat.<br />

Beispiele 8.21.<br />

1 1<br />

ist<br />

x α<br />

• ∫ ∞<br />

1<br />

1−α x1−α und<br />

dx<br />

x α<br />

existiert für α > 1, denn eine Stammfunktion von<br />

l<strong>im</strong><br />

x→∞ x1−α = l<strong>im</strong> exp((1 − α) log(x)) = 0.<br />

x→∞<br />

89


• ∫ 1 dx<br />

0 x α<br />

existiert für α < 1, denn<br />

l<strong>im</strong><br />

h→0 h1−α = l<strong>im</strong> exp((1 − α) log(h)) = 0.<br />

h→0<br />

•<br />

∫ ∞<br />

−∞<br />

dx<br />

1 + x = − l<strong>im</strong> arctan(R) + l<strong>im</strong> arctan(S) = π/2 + π/2 = π.<br />

2 R→−∞ S→∞<br />

Dies kann manchmal <strong>zur</strong> Konvergenzuntersuchung von Reihen benutzt werden.<br />

Ist f eine monoton fallende Funktion [1, ∞[−→ R + , so gilt nämlich <strong>im</strong>mer:<br />

N∑<br />

f(n) ≤<br />

n=2<br />

∫ N<br />

1<br />

f(x)dx ≤<br />

N−1<br />

∑<br />

n=1<br />

f(n).<br />

Also ist das Integral konvergent genau dann, wenn die Reihe konvergiert. Beispiel:<br />

f(x) = x −α , mit α > 1, dann konvergiert ∑ n −α .<br />

Definition 8.22 (Die Γ–Funktion).<br />

Wir definieren eine Funktion<br />

Γ : R >0 −→ R, Γ(s) :=<br />

∫ ∞<br />

0<br />

t s−1 e −t dt.<br />

Dieses Integral konvergiert für alle s > 0, denn man hat die Abschätzungen<br />

t s−1 e −t ≤ 1 für t > 0 nahe bei Null sowie t s−1 e −t ≤ 1 für t >> 0 nahe<br />

bei ∞. Beide Integrale ∫ 1 dt<br />

t 1−s t 2<br />

und ∫ ∞ dt<br />

konvergieren aber (siehe Beispiele<br />

0 t 1−s 1 t 2<br />

oben), da s > 0, also 1 − s < 1. Außerdem gilt<br />

Γ(1) =<br />

und nach partieller Integration<br />

Γ(s + 1) =<br />

∫ ∞<br />

0<br />

∫ ∞<br />

0<br />

e −t dt = −e −t | ∞ 0 = 1<br />

t s e −t dt = −t s e −t | ∞ 0 + s ·<br />

∫ ∞<br />

0<br />

t s−1 e −t dt = sΓ(s).<br />

Die Funktion Γ(s) interpoliert also die Funktion n!, denn Γ(n + 1) = n!.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 142. Berechnen Sie die Ober– und Untersummen<br />

O n :=<br />

n∑<br />

f(x k )(x k − x k−1 )<br />

k=1<br />

90


U n :=<br />

n∑<br />

f(x k−1 )(x k − x k−1 )<br />

k=1<br />

der Funktion f(x) = x 2 : [0, 1] → R für die Wahl der Stützstellen x k = k n .<br />

Schliessen Sie daraus, dass f auf [0, 1] Riemann integrierbar ist und berechnen<br />

Sie den Wert des Riemann Integrals ohne Verwendung von Stammfunktionen.<br />

Aufgabe 143. Prüfen Sie, ob die folgenden Integrale existieren und berechnen Sie<br />

jeweils den Wert:<br />

∫ 2π/3<br />

0<br />

x 2 sin(3x)dx,<br />

∫ 2<br />

1<br />

log(x)<br />

dx,<br />

x<br />

∫ π<br />

0<br />

cos(2x) sin(x)dx,<br />

∫ 1<br />

0<br />

log(x + 1)dx.<br />

Aufgabe 144. Seit f(t) ∈ R[t] ein Polynom vom Grad m und I(t) = ∫ t<br />

0 exp(t −<br />

u)f(u)du. Zeigen Sie:<br />

I(t) = exp(t)<br />

m∑<br />

f (j) (0) −<br />

j=0<br />

m∑<br />

f (j) (t).<br />

Aufgabe 145. Berechnen Sie ∫ a<br />

cos(x)dx für a > 0 mittels Riemannscher Summen.<br />

0<br />

j=0<br />

Aufgabe 146. Beweisen Sie log(2) = ∑ ∞<br />

n=1 (−1)n+1 1 n<br />

Summen zu den Stützstellen 2 k n .<br />

Aufgabe 147. Berechnen Sie das unbest<strong>im</strong>mte Integral<br />

∫<br />

dx<br />

ax 2 + bx + c<br />

für a, b, c ∈ R.<br />

Aufgabe 148. Berechnen Sie das unbest<strong>im</strong>mte Integral<br />

∫<br />

dx<br />

1 + x 4<br />

durch Partialbruchzerlegung<br />

Aufgabe 149. Berechnen Sie<br />

1<br />

1 + x = ax + b<br />

4 1 + √ 2x + x + cx + d<br />

2 1 − √ 2x + x . 2<br />

∞∑<br />

n=1<br />

sin(nx)<br />

n 3 ,<br />

91<br />

∞∑<br />

n=1<br />

cos(nx)<br />

n 4 .<br />

mittels Riemannscher


Aufgabe 150. Zeigen Sie, dass die folgenden Funktionen Riemann-integrierbar<br />

sind. Verwenden Sie dabei, dass eine Funktion Riemann integrierbar ist, falls sie<br />

nur abzählbar viele Unstetigkeitsstellen besitzt.<br />

1.<br />

{ 1, falls x =<br />

1<br />

mit n ∈ N, n ≥ 1<br />

f : [0, 1] → R, f(x) :=<br />

n<br />

0, sonst,<br />

2.<br />

{ 1<br />

f : [0, 1] → R, f(x) :=<br />

, falls x = p mit p, q ∈ N, p ≥ 0, q ≥ 1<br />

q q<br />

0, falls x irrational.<br />

Aufgabe 151. Man berechne die Integrale<br />

und<br />

b)<br />

a)<br />

∫ x<br />

1<br />

∫ x<br />

1<br />

1<br />

t dt<br />

log tdt<br />

für (x > 1) mit Hilfe von Ober- und Untersummen.<br />

Hinweis: Verwenden Sie die Zerlegung 1 < t 0 < . . . < t N = x mit t k = x k N<br />

k = 0, 1, . . . , N.<br />

für<br />

Aufgabe 152. Berechnen Sie die Ober– und Untersummen<br />

O n :=<br />

n∑<br />

f(x k )(x k − x k−1 )<br />

k=1<br />

U n :=<br />

n∑<br />

f(x k−1 )(x k − x k−1 )<br />

k=1<br />

der Funktion f(x) = x 2 : [0, 1] → R für die Wahl der Stützstellen x k = k n .<br />

Schliessen Sie daraus, dass f auf [0, 1] Riemann integrierbar ist und berechnen<br />

Sie den Wert des Riemann Integrals ohne Verwendung von Stammfunktionen.<br />

Aufgabe 153. Prüfen Sie, ob die folgenden Integrale existieren und berechnen Sie<br />

jeweils den Wert:<br />

∫ 2π/3<br />

0<br />

x 2 sin(3x)dx,<br />

∫ 2<br />

1<br />

log(x)<br />

dx,<br />

x<br />

∫ π<br />

0<br />

cos(2x) sin(x)dx,<br />

∫ ∞<br />

1<br />

∫<br />

dx 1<br />

x , log(x+1)dx.<br />

5/3<br />

0<br />

92


9 Taylor- und Fourierreihen<br />

Inhalt: Funktionenfolgen, Taylorreihen, Fourierreihen.<br />

Hier sollen insbesondere Potenzreihendarstellungen wie für die Exponentialfunktion<br />

untersucht werden:<br />

∞∑ x n<br />

exp(x) =<br />

n! .<br />

Man kann exp(x) als Folge der Polynome<br />

f m (x) :=<br />

auffassen. Für jedes x konvergiert dann f m (x) gegen f(x) für m → ∞ in C.<br />

Definition 9.1.<br />

Eine Folge (f m ) : D −→ C von Funktionen, definiert auf D ⊆ R oder C konvergiert<br />

punktweise gegen eine Funktion f, falls für alle x ∈ D gilt:<br />

n=0<br />

m∑<br />

n=0<br />

x n<br />

n!<br />

l<strong>im</strong> f m(x) = f(x).<br />

m→∞<br />

Die Folge (f m ) konvergiert gleichmäßig, falls zu jedem ɛ > 0 ein m 0 ∈ N existiert,<br />

so dass für alle m ≥ m 0 gilt:<br />

|f(x) − f m (x)| < ɛ, ∀ x ∈ D.<br />

Jede gleichmäßig konvergente Funktionenfolge konvergiert natürlich punktweise,<br />

aber nicht umgekehrt.<br />

Beispiel 9.2. f m (x) := x m auf D = [0, 1]. Ist x < 1, so konvergiert x m gegen 0,<br />

für m → ∞. Diese Folge konvergiert also punktweise gegen die Funktion f, die<br />

Null auf [0, 1[ ist und f(1) = 1 erfüllt. Diese Konvergenz ist nicht gleichmäßig,<br />

denn mit ɛ = 1/2 existiert kein m 0 , so dass |f(x) − f m (x)| < 1/2 für alle x ∈<br />

[0, 1], da nahe bei 1 <strong>im</strong>mer noch x < 1 existieren, deren Funktionswerte beliebig<br />

nahe bei 1 sind.<br />

Definition 9.3.<br />

Zweckmäßigerweise definiert man für eine Funktion g die Supremumsnorm:<br />

||g|| D := sup{|g(x)| : x ∈ D} ∈ R ∪ {∞}.<br />

Dann kann man sagen: f m konvergiert gleichmäßig gegen f, falls die Normen<br />

||f m − f|| D gegen 0 konvergieren.<br />

93


Satz 9.4. Sei D ⊆ C und f m eine gleichmäßig konvergente Folge von stetigen<br />

Funktionen, die gegen f konvergiert. Dann ist f stetig.<br />

Beweis. Sei ɛ > 0 und a ∈ D. Sei x n eine Folge, die gegen a konvergiert. Zu<br />

zeigen ist: l<strong>im</strong> n→∞ f(x n ) = f(a) Wähle dazu ein m mit ||f m − f|| < ɛ/3. Da f m<br />

stetig ist, gibt es ein n 0 mit |f m (x n ) − f m (a)| < ɛ/3 für alle n ≥ n 0 . Dann gilt für<br />

alle n ≥ n 0 :<br />

|f(a)−f(x n )| ≤ |f(a)−f m (a)|+|f m (a)−f m (x n )|+|f m (x n )−f(x n )| ≤ 3ɛ<br />

3 = ɛ.<br />

Bemerkung 9.5. Für die Eigenschaft differenzierbar gilt dieser Satz nicht mehr.<br />

Als Beispiel kann man eine Folge von differenzierbaren Funktionen betrachten,<br />

die von oben gegen die Funktion |x| konvergieren und symmetrisch unter x ↦→ −x<br />

sind. Dann ist die Ableitung <strong>im</strong> Punkt Null <strong>im</strong>mer 0, aber <strong>im</strong> L<strong>im</strong>es ist |x| nicht<br />

differenzierbar. Man sieht in diesem Beispiel auch, dass die Ableitungen nicht<br />

gleichmäßig konvergieren.<br />

Man kann den Satz aber unter dieser Voraussetzung und etwas mehr retten:<br />

Satz 9.6. Sei f m eine Folge stetig differenzierbarer Funktionen, die punktweise<br />

gegen f konvergiert. Außerdem sollen die Ableitungen f ′ m gleichmäßig gegen eine<br />

Funktion g konvergieren. Dann ist auch f differenzierbar und es gilt f ′ = g.<br />

Man braucht folgendes<br />

Lemma 9.7. Ist h m → h gleichmäßig konvergente Funktionenfolge von stetigen<br />

Funktionen. Dann konvergiert auch ∫ b<br />

h a m(x)dx gegen ∫ b<br />

h(x)dx.<br />

a<br />

Beweis (Lemma). | ∫ b<br />

a (h m(x) − h(x))dx| ≤ ||h m − h|| · (b − a).<br />

Beweis von Satz 9.6. Nach Satz 9.4 gilt hier aber<br />

Also ergibt das Lemma:<br />

f m (x) = f m (a) +<br />

∫ x<br />

a<br />

f ′ m(t)dt.<br />

f(x) = f(a) +<br />

∫ x<br />

a<br />

g(t)dt.<br />

N<strong>im</strong>mt man die Ableitung, so erhält man sofort f ′ = g.<br />

94


Funktionen- und Potenzreihen<br />

Sei K ⊆ C eine Teilmenge. Meistens ist hier K = K(a, r) ein Kreis der Form<br />

K(a, r) = {z ∈ C : |z − a| ≤ r}.<br />

Satz 9.8.<br />

Seien f m : K → C Funktionen mit ∑ k ||f k|| K < ∞. Dann konvergiert die Reihe<br />

∑<br />

fn (x) absolut für alle x ∈ K und gleichmäßig auf K gegen eine Funktion<br />

F : K → C.<br />

Beweis. |f m (x)| ≤ ||f m ||. Also folgt die absolute Konvergenz aus dem Majorantenkriterium.<br />

Definiere F (x) := ∑ m f m(x) und F n (x) := ∑ n<br />

m f m(x). Sei ɛ > 0<br />

gegeben. Dann gibt es ein n 0 ∈ N mit ∑ ∞<br />

m=n+1 ||f m|| K ≤ ɛ für alle n ≥ n 0 . Also<br />

gilt:<br />

∞∑<br />

∞∑<br />

|f n (x) − f(x)| ≤ |f m (x)| ≤ ||f m || ≤ ɛ.<br />

m=n+1<br />

Also konvergiert die Folge F n gleichmäßig gegen F .<br />

Beispiel 9.9. Solche Reihen wie<br />

∞∑<br />

n=1<br />

arctan(nx)<br />

n 2<br />

konvergieren in diesem Sinn, da ∑ 1<br />

n 2 < ∞.<br />

m=n+1<br />

Definition 9.10. Eine Potenzreihe ist eine Reihe der Form<br />

wobei c n ∈ C eine Folge ist.<br />

f(z) =<br />

∞∑<br />

c n (z − a) n ,<br />

n=0<br />

Satz 9.11.<br />

Angenommen die Potenzreihe f(z) = ∑ ∞<br />

n=0 c n(z −a) n konvergiert für ein z 1 ≠ a.<br />

Dann existiert ein R ∈ R >0 ∪ {∞} mit R ≥ |z 1 − a|, so dass für alle r <<br />

R die Potenzreihe f(z) absolut und gleichmäßig auf dem Kreis K = K(a, r)<br />

konvergiert.<br />

Notation 9.12. Dieses R heißt der Konvergenzradius von f(z). Beachte, dass die<br />

Reihe für |z − a| = R nicht konvergieren muss: Ein Beispiel ist ∑ z n mir R = 1.<br />

n<br />

Dagegen hat die Reihe exp(z) den Konvergenzradius R = ∞. Ist etwa z 1 reell, so<br />

folgt trotzdem die Konvergenz der Reihe in einem Kreis in C!<br />

95


Beweis. Sei f n = c n (z − a) n . Dann gilt |f n (z)| = |c n (z 1 − a) n | · |z−a|n<br />

|z 1<br />

. Setze<br />

−a| n<br />

zuerst R := |z 1 − a|. Ist r < R, so gilt |z−a| = r |z 1<br />

< 1 für z ∈ K(a, r). Also konvergiert<br />

f(z) absolut und gleichmäßig auf K nach dem Quotientenkriterium, da<br />

−a| R<br />

c n (z 1 − a) n beschränkt ist für alle n gleichzeitig (da Nullfolge). Setze schließlich<br />

R := sup{|z − a| : ∑ c n (z − a) n < ∞}. Dann folgt die Behauptung sofort.<br />

Satz 9.13.<br />

Ist f(z) = ∑ ∞<br />

n=0 c n(z − a) n eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann<br />

ist auch die Potenzreihe<br />

f ′ (z) =<br />

∞∑<br />

nc n (z − a) n−1<br />

n=0<br />

absolut und gleichmäßig konvergent mit dem selben Konvergenzradius und st<strong>im</strong>mt<br />

für z ∈ R mit der Ableitung überein. Definiert man allgemeiner komplexe Differenzierbarkeit<br />

oder Holomorphie durch<br />

f(z) = f(a) + c(z − a) + o(z − a)<br />

so gilt die Aussage über die Differenzierbarkeit auch für z ∈ C.<br />

Beweis. Wie <strong>im</strong> Beweis von Satz 9.11 wird die Konvergenz von f ′ bewiesen.<br />

Nach Satz 9.6 mit den Funktionen f m = ∑ m<br />

n=0 c n(z − a) n folgt auch, dass f ′<br />

tatsächlich die Ableitung ist.<br />

Taylorreihen<br />

Ziel ist nun die Approx<strong>im</strong>ation von Funktionen durch Potenzreihen, insbesondere,<br />

falls f unendlich oft differenzierbar ist durch die Taylorreihe:<br />

Definition 9.14 (Taylorreihe).<br />

T f,a (x) = f(a) + f ′ (a)<br />

1!<br />

(x − a) + f ′′ (a)<br />

(x − a) 2 + . . . =<br />

2!<br />

∞∑<br />

n=0<br />

f (n) (a)<br />

(x − a) n .<br />

n!<br />

Dies ist natürlich nur möglich, wenn f unendlich oft differenzierbar ist, man sagt<br />

auch C ∞ –Funktion dazu. Die Frage ist nun, wann die Taylorreihe konvergiert<br />

(Konvergenzradius) und, falls sie konvergiert, ob und auf welchem Gebiet sie gegen<br />

die Funktion konvergiert. Funktionen, die auf dem ganzen Definitionsbereich<br />

mit Ihrer Taylorreihe übereinst<strong>im</strong>men heißen analytisch. Nicht jede C ∞ –Funktion<br />

ist analytisch:<br />

96


Beispiel 9.15. f(x) = exp(−1/x 2 ) für x ≠ 0 und f(0) = 0. In a = 0 sind alle<br />

Ableitungen von f gleich Null, da man durch Induktion leicht zeigen kann, dass<br />

f (n) (0) = P n(x)<br />

f(x) für ein Polynom P<br />

x 3n<br />

n (x) ist. Da die Exponentialfunktion aber<br />

jedes Polynom dominiert, gilt f (n) (0) = 0 für alle n. Damit ist die Taylorreihe<br />

identisch Null und st<strong>im</strong>mt nur <strong>im</strong> Nullpunkt mit f überein.<br />

Satz 9.16 (Taylorformel).<br />

Sei I ein reelles Intervall und f : I → R (n + 1)–Mal stetig differenzierbar. Dann<br />

gilt für alle x, a ∈ I:<br />

f(x) = f(a) + f ′ (a)<br />

1!<br />

mit R n+1 (x) := 1 n!<br />

(x − a) + f ′′ (a)<br />

2!<br />

∫ x<br />

a (x − t)n f (n+1) (t)dt.<br />

(x − a) 2 + . . . + f (n) (a)<br />

(x − a) n + R n+1 (x),<br />

n!<br />

Beweis. Induktion nach n ∈ N 0 . Für n = 0 ist dies genau der Hauptsatz der<br />

Differential-/Integralrechnung. Induktionsschritt:<br />

R n (x) =<br />

= −f (n) (t)<br />

1<br />

(n − 1)!<br />

(x − t)n<br />

| x a +<br />

n!<br />

∫ x<br />

a<br />

∫ x<br />

a<br />

(x − t) n−1 f (n) (t)dt = −<br />

f (n+1) (t)<br />

(x − t)n<br />

n!<br />

∫ x<br />

a<br />

f (n) (t) d (x − t) n<br />

dt<br />

dt n!<br />

dt = f (n) (a)<br />

(x − a) n + R n+1 (x).<br />

n!<br />

Satz 9.17 (Lagrangesches Restglied).<br />

Sei f wie in Satz 9.16. Es existiert dann ein ξ ∈ [a, x] mit<br />

f(x) =<br />

n∑<br />

k=0<br />

f (k) (a)<br />

(x − a) k + f (n+1) (ξ)<br />

k!<br />

(n + 1)! (x − a)n+1 .<br />

Beweis. Aus Satz 9.16 und dem Mittelwertsatz der Integralrechnung folgt: es gibt<br />

ξ mit<br />

R n+1 (x) = 1 n!<br />

∫ x<br />

a<br />

(x−t) n f (n+1) (t)dt = f (n+1) (ξ)·<br />

∫ x<br />

a<br />

(x − t) n<br />

n!<br />

dt = f (n+1) (ξ)<br />

(n + 1)! (x−a)n+1 .<br />

Korollar 9.18.<br />

Jede (n + 1)–Mal stetig differenzierbare Funktion lässt sich als f(x) = P (x) +<br />

o((x − a) n ) schreiben mit einem Polynom P (x) (ein Approx<strong>im</strong>ationssatz).<br />

97


Bemerkung 9.19. Ist 1 ≤ p ≤ n + 1, so gibt es auch das Schlöhmilchsche Restglied:<br />

R n+1 (x) = f (n+1) (ξ)<br />

(x − ξ) n+1−p (x − a) p .<br />

p · n!<br />

Das Lagrangesche Restglied ist der Fall p = n + 1.<br />

Beispiele 9.20. • f(x) = exp(x). Dann st<strong>im</strong>mt T f,0 mit f(x) auf ganz R<br />

überein, denn das Restglied ist von der Form exp(ξ)<br />

(n+1)! xn+1 .<br />

• Genauso für f(x) = sin(x). Hier berechnet man schnell<br />

T f,0 =<br />

∞∑<br />

k=0<br />

(−1) k<br />

(2k + 1)! x2k+1 ,<br />

und das Restglied ist beschränkt, denn |f (n) (ξ)| ≤ 1. Für f(x) = cos(x)<br />

bekommt man analog:<br />

T f,0 =<br />

∞∑<br />

k=0<br />

(−1) k<br />

(2k)! x2k .<br />

• f(x) = log(1 + x). Dann gilt f (n) (x) = (−1) n−1 (n−1)!<br />

(1+x) n . Also folgt<br />

T f,0 =<br />

∞∑<br />

(−1)<br />

n=1<br />

n−1 xn<br />

Dies konvergiert offenbar nach dem Quotientenkriterium, wenn |x| < 1. Es<br />

gilt sogar T f,0 = log(1 + x), wenn −1 < x ≤ 1. Für |x| < 1 folgt dies aus<br />

dem Beweis von Satz 9.6, Satz 9.11 und der folgenden Rechnung:<br />

log(1 + x) =<br />

∫ x<br />

0<br />

=<br />

∫<br />

dt x<br />

1 + t =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

0<br />

(−1) n xn+1<br />

n .<br />

(<br />

∑ ∞<br />

)<br />

(−1) n t n dt =<br />

n=0<br />

n + 1 = ∞<br />

∑<br />

n=1<br />

n−1 xn<br />

(−1)<br />

∞∑<br />

∫ x<br />

(−1) n t n dt<br />

• f(x) = arctan(x). Dann folgt in gleicher Weise mit der geometrischen<br />

Reihe:<br />

∫ x<br />

dt<br />

arctan(x) =<br />

1 + t = ∑ ∞<br />

(−1) n x2n+1<br />

2 2n + 1<br />

für |x| < 1.<br />

0<br />

98<br />

n=0<br />

n=0<br />

n .<br />

0


Der Fall x = 1 ist etwas schwieriger:<br />

Lemma 9.21. Sei f eine stetige Funktion auf [0, 1], die für x < 1 mit ihrer Taylorreihe<br />

T f,0 (x) = ∑ ∞<br />

n=0 (−1)n a n x n übereinst<strong>im</strong>mt, wobei a n ≥ 0 eine monoton<br />

fallende Nullfolge ist. Dann gilt f(1) = ∑ ∞<br />

n=0 (−1)n a n .<br />

Beweis.<br />

∑<br />

Nach dem Beweis des Leibnizkriteriums gilt in beiden Fällen mit T f,0 (x) =<br />

n (−1)n a n x n<br />

∣ ∣ ∣∣∣∣ N∑ ∣∣∣∣<br />

f(x) − (−1) n a n x n ≤ a N x N<br />

n<br />

für |x| < 1 und die rechte Seite ist eine Nullfolge auch für x = 1. Hieraus folgt<br />

aus der Stetigkeit von f bei x = 1 sofort, dass auch f(1) = ∑ n (−1)n a n gilt.<br />

Korollar 9.22.<br />

Für x = 1 gilt<br />

log(2) = 1 − 1 2 + 1 3 − 1 4 + 1 5 − . . .<br />

sowie<br />

π<br />

4 = arctan(1) = 1 − 1 3 + 1 5 − 1 7 + 1 9 − . . .<br />

Alternativ kann man auch folgenden Satz benutzen:<br />

Satz 9.23 (Abelscher Grenzwertsatz).<br />

Ist die Reihe ∑ a n konvergent (nicht notwendig absolut), so konvergiert auch die<br />

Potenzreihe<br />

∑<br />

an x n<br />

gleichmäßig auf [0, 1] und ist dort eine stetige Funktion.<br />

Beweis. [Forster, Seite 238].<br />

Die Binomische Reihe<br />

Für α ∈ R definiere<br />

(α )<br />

:=<br />

n<br />

α · (α − 1) · . . . (α − n + 1)<br />

.<br />

1 · 2 · . . . · n<br />

Satz 9.24.<br />

Die Taylorreihe der Funktion f(x) = (1+x) α hat Konvergenzradius 1 und st<strong>im</strong>mt<br />

für |x| < 1 mit<br />

∞∑<br />

( α<br />

x<br />

n)<br />

n<br />

überein.<br />

n=0<br />

99


Beweis. Für die Ableitung von f(x) gilt f (k) (x) = k! ( α<br />

n)<br />

(1 + x) α−k . Nach dem<br />

Quotientenkriterium folgt die Konvergenz der Taylorreihe, falls |x| < 1. Ausserdem<br />

gilt f ′ (x) =<br />

α<br />

n+1<br />

f(x). Diese Formel gilt auch für<br />

g(x) :=<br />

∞∑<br />

n=0<br />

( α<br />

n)<br />

x n .<br />

Es folgt, dass f − g Ableitung Null hat. Aus g(0) = f(0) = 1 folgt dann g =<br />

f.<br />

Fourierreihen: Ein Ausblick<br />

Hier entwickelt man periodische Funktionen, d.h. Funktionen f : R → C mit<br />

f(x+2π) = f(x) in unendliche Reihen nach dem Funktionensystem cos(kx) und<br />

sin(kx) bzw. exp(ikx). Die Motivation kommt aus der Musik/Akustik: Zerlegung<br />

von Schwingungen in elementare Sinustöne.<br />

Definition 9.25 (Fourierkoeffizienten).<br />

c k := 1 ∫ 2π<br />

f(x) exp(−ikx)dx ∈ C.<br />

2π 0<br />

Integration komplexwertiger Funktionen wird separat <strong>im</strong> Real- und Imaginärteil<br />

durchgeführt. Die Fourierreihe ist dann:<br />

Die reelle Darstellung ist:<br />

mit<br />

S f (x) =<br />

∞∑<br />

k=−∞<br />

c k exp(ikx)<br />

S f (x) = a ∞<br />

0<br />

2 + ∑<br />

(a k cos(kx) + b k sin(kx))<br />

a k := 1 π<br />

b k := 1 π<br />

k=0<br />

∫ 2π<br />

0<br />

∫ 2π<br />

0<br />

f(x) cos(kx)dx ∈ R,<br />

f(x) sin(kx)dx ∈ R.<br />

Es stellen sich die gleichen Fragen wie bei Taylorreihen: Wann und wo konvergiert<br />

S f und konvergiert es gegen f(x) Ist f ein trigonometrisches Polynom (Reihe<br />

hat nur endlich viele Summanden), so ist f gleich seiner eigenen Fourierreihe,<br />

100


allgemeiner, falls die Reihe gleichmäßig konvergiert, so sind jedenfalls die Koeffizienten<br />

eindeutig, wegen des folgenden Skalarproduktes:<br />

Hier gilt nämlich<br />

〈f, g〉 := 1 ∫ 2π<br />

f(x)g(x)dx.<br />

2π 0<br />

〈exp(−<strong>im</strong>x), exp(−inx)〉 = δ m,n und c k = 〈exp(ikx), f〉.<br />

Die Menge e n = exp(inx) (n ∈ Z) bildet also ein Orthonormalsystem <strong>im</strong> Raum<br />

aller Funktionen, die auf [0, 2π] integrierbar sind und 〈f, f〉 < ∞ erfüllen. Fourierreihen<br />

konvergieren in diesem Funktionenraum aber nicht mehr punktweise<br />

gegen f, sondern nur <strong>im</strong> quadratischen Mittel: ||f n −f|| 2 := 〈f n −f, f n −f〉 → 0<br />

für n → ∞. Betrachtet man z.B. eine unstetige ungerade Treppenfunktionen, so<br />

konvergiert die Fourierreihe S f gegen einen Mittelwert S f (0) = 0, auch wenn<br />

f(0) = 1 war. Es liegt somit fast nie punktweise Konvergenz vor.<br />

Satz 9.26.<br />

Ist f : R → C periodisch und auf [0, 2π] integrierbar, so gilt: S f konvergiert<br />

gegen f <strong>im</strong> quadratischen Mittel und es gilt<br />

∑<br />

|c k | 2 = ||f|| 2 .<br />

k∈Z<br />

Ist f sogar stetig und stückweise stetig differenzierbar, so konvergiert S f sogar<br />

gleichmäßig gegen f.<br />

Beispiele 9.27.<br />

• f(x) sei die periodische Funktion mit f(x) = |x| auf [−π, π] (Sägezahn).<br />

Dann gilt<br />

S f (x) = π 2 − 4 (<br />

cos(x) + cos(3x) + cos(5x) )<br />

+ . . .<br />

π<br />

3 2 5 2<br />

Aus S f (0) = f(0) = 0 folgt π2 = 1 + 1 + 1 + . . ..<br />

8 3 2 5 2<br />

• Sei f(x) die periodische Funktion mit f(x) = ( )<br />

x−π 2<br />

2 −<br />

π 2<br />

. Dann S 12 f(x) =<br />

f(0) = ∑ ∞ cos(nx)<br />

n=1<br />

. Es folgt S<br />

n 2<br />

f (0) = ∑ ∞ 1<br />

n=1<br />

= π2 .<br />

n 2 6<br />

101


Aufgaben<br />

Aufgabe 154.<br />

(a) Berechnen Sie den Anfang der Taylorreihe von tan(x) in x = 0.<br />

(b) Berechnen Sie den Anfang der Taylorreihe von arcsin(x) in x = 0.<br />

Aufgabe 155. Sei f(x) = arccot(x).<br />

(a) Best<strong>im</strong>men Sie die Taylorreihe T f (x) von f an der Stelle x = 0.<br />

(b) Auf welchem Intervall um x = 0 konvergiert T f (x) gegen f<br />

(c) Best<strong>im</strong>men Sie einen Näherungswert für f(1) durch Summation der ersten 4<br />

Terme von T f (1) und schätzen Sie das Restglied R 5 (x) ab.<br />

(d) Was ist der tatsächliche Wert von f(1)<br />

Aufgabe 156. Zeigen Sie die folgenden Reihenentwicklungen:<br />

1.<br />

2.<br />

log<br />

1<br />

1 − x = x + x2<br />

2 + x3<br />

3 + x4<br />

. . . für −1 ≤ x < 1<br />

4<br />

√ ∞<br />

1<br />

1 + x = 1 +<br />

2 x + ∑<br />

k−1 1 · 3 · · · (2k − 3)<br />

(−1) x k für |x| < 1<br />

2 · 4 · (2k)<br />

k=2<br />

102

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