Gerontologie+ Geriatrie - Kompetenz-Centrum Geriatrie
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Zeitschrift für<br />
Gerontologie +<br />
<strong>Geriatrie</strong><br />
mit European Journal of Geriatrics<br />
Elektronischer Sonderdruck für<br />
D. Lüttje<br />
Ein Service von Springer Medizin<br />
Z Gerontol Geriat 2014 · 47:6–12 · DOI 10.1007/s00391-013-0592-7<br />
© Springer-Verlag 2014<br />
G. Kolb · K. Breuninger · S. Gronemeyer · D. van den Heuvel · N. Lübke ·<br />
D. Lüttje · A. Wittrich · J. Wolff<br />
10 Jahre geriatrische<br />
frührehabilitative<br />
Komplexbehandlung im DRG-System<br />
Diese PDF-Datei darf ausschließlich für nicht kommerzielle<br />
Zwecke verwendet werden und ist nicht für die<br />
Einstellung in Repositorien vorgesehen – hierzu zählen<br />
auch soziale und wissen schaftliche Netzwerke und<br />
Austauschplattformen.<br />
www.zgg.springer.de
Beiträge zum Themenschwerpunkt<br />
Z Gerontol Geriat 2014 · 47:6–12<br />
DOI 10.1007/s00391-013-0592-7<br />
Eingegangen: 29. November 2013<br />
Angenommen: 29. November 2013<br />
Online publiziert: 20. Januar 2014<br />
© Springer-Verlag 2014<br />
G. Kolb 1 · K. Breuninger 2 · S. Gronemeyer 3 · D. van den Heuvel 4 · N. Lübke 5 ·<br />
D. Lüttje 6 · A. Wittrich 7 · J. Wolff 8<br />
1<br />
Fachbereich <strong>Geriatrie</strong> und Rehabilitation, Medizinische Klinik St. Bonifatius Hospital, Lingen<br />
2<br />
Fachbereich Rehabilitation, Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS), Essen<br />
3<br />
Medizinischer Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS), Essen<br />
4<br />
Bundesverband <strong>Geriatrie</strong> e.V., Berlin<br />
5<br />
<strong>Kompetenz</strong>-<strong>Centrum</strong> <strong>Geriatrie</strong> (KCG) des GKV-Spitzenverbandes<br />
und der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste, Hamburg<br />
6<br />
Medizinische Klinik IV (<strong>Geriatrie</strong> und Palliativmedizin), Klinikum Osnabrück GmbH,<br />
KH Natruper Holz, Osnabrück<br />
7<br />
Bundesverband <strong>Geriatrie</strong> e.V., Berlin<br />
8<br />
Abteilung Krankenhaus des GKV-Spitzenverbandes Berlin<br />
10 Jahre geriatrische<br />
frührehabilitative<br />
Komplexbehandlung<br />
im DRG-System<br />
Die gesundheitliche Versorgung älterer<br />
Menschen gewinnt vor dem Hintergrund<br />
der demographischen Entwicklung zunehmend<br />
an Bedeutung. So prognostizieren<br />
die im Weißbuch <strong>Geriatrie</strong> [1] veröffentlichten<br />
Bedarfsschätzungen des GE-<br />
BERA-Instituts z. B. eine Verdoppelung<br />
der stationären geriatrischen Versorgungskapazitäten<br />
bis zum Jahr 2020, der<br />
u. a. eine deutliche Zunahme hochaltriger<br />
Patienten an den Krankenhausfällen zugrunde<br />
liegt (. Tab. 1).<br />
Die <strong>Geriatrie</strong> leistet die fachspezifische<br />
Versorgung für betagte und hochbetagte<br />
Patienten. Grundsätzliches Ziel ist es, diesen<br />
geriatrischen Patienten im Sinne des<br />
Sozialgesetzbuches (SGB) V eine „ausreichende,<br />
zweckmäßige und wirtschaftliche“<br />
fachspezifische Versorgung zu bieten,<br />
die jedoch im medizinisch erforderlichen<br />
Maße die Besonderheiten des geriatrischen<br />
Patienten berücksichtigt. Die<br />
Erwartungen an die Abbildung der <strong>Geriatrie</strong><br />
im DRG(Diagnosis Related Groups)-<br />
System beziehen sich daher v. a. auf die<br />
Abdeckung einer indikationsgerechten<br />
Versorgung multimorbider hochbetagter<br />
Versicherter unter Vermeidung von<br />
Unter-, Über- und Fehlversorgung.<br />
Neben der erforderlichen kurativmedizinischen<br />
Behandlung geht es bei dieser<br />
Versichertengruppe insbesondere auch<br />
um den Erhalt von Selbstständigkeit und<br />
Teilhabe sowie um die Minderung von<br />
Pflegebedürftigkeit. Neben einem frühzeitigen<br />
Risikomanagement kommt daher<br />
v. a. auch rehabilitativen Behandlungsansätzen<br />
eine besondere Bedeutung zu.<br />
Die geriatrisch-frührehabilitativen Diagnostik-<br />
und Behandlungselemente sollen<br />
dem geriatrischen Patienten in angepasstem<br />
und ausreichendem Umfang<br />
zum frühestmöglichen Zeitpunkt seiner<br />
jeweiligen fachspezifischen Akutbehandlung<br />
zur Verfügung stehen. Diesem Anspruch<br />
folgend trat das DRG-System vor<br />
10 Jahren im Hinblick auf den Einbezug<br />
geriatrischer Leistungen mit einem neuen<br />
pauschalierten Vergütungssystem an. Der<br />
vorliegende Beitrag setzt sich mit der Implementierung<br />
der <strong>Geriatrie</strong> im DRG-System<br />
auseinander, die über die geriatrische<br />
frührehabilitative Komplexbehandlung<br />
gemäß OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel)<br />
8-550/8-98a erfolgt.<br />
Ihre Abbildung im Vergütungssystem<br />
erfährt die <strong>Geriatrie</strong> einerseits über die<br />
gleichen DRG, die von anderen Fachabteilungen<br />
erbracht werden, und andererseits<br />
über derzeit 17 geriatrische DRG. Diese<br />
bilden zusätzliche Leistungen einer<br />
geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung<br />
(GFK) entsprechend des<br />
OPS 8-550* in den meisten der Hauptdiagnosegruppen<br />
(MDC) ab. Die Leistungserfassung<br />
erfolgt derzeit über 3 Fünfsteller<br />
in wochenweiser Abstufung:<br />
F OPS 8-550.0 über 7–13 Tage,<br />
F OPS 8-550.1 über 14–20 Tage,<br />
F OPS 8-550.2 über 21 Tage und mehr.<br />
Die Vergütungsrelevanz zeigt sich in den<br />
geriatrischen DRG bei Erbringung der<br />
GFK mit mindestens 20 Therapieeinheiten<br />
über mindestens 14 Tage, d. h., es<br />
wird mindestens OPS 8-550.1 erreicht.<br />
Zeitlich längere oder in höherem Umfang<br />
erbrachte therapeutische Leistungen einer<br />
GFK finden, abgesehen von den üblichen<br />
DRG-Zuschlägen bei Überschreiten der<br />
oberen Grenzverweildauer, keine weitere<br />
Berücksichtigung in der Vergütung.<br />
Die den geriatrischen frührehabilitativen<br />
Komplexbehandlungen zugrunde liegenden<br />
OPS-Kodes erfuhren insbesondere<br />
in den ersten Jahren mehrfache Überarbeitungen<br />
mit dem Ziel<br />
6 | Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014
Tab. 1 Krankenhaushäufigkeit 2007 und prognostizierte Entwicklung der Fallzahlen aufgrund<br />
der demografischen Entwicklung bis 2014 bzw. 2020. (Quelle: Destatis Bevölkerungsprognose<br />
2008; Destatis Diagnosedaten Krankenhaus 2007)<br />
Altersgruppen<br />
(Jahre)<br />
Geriatrische<br />
KH-Häufigkeit<br />
2007 (%)<br />
F einer klareren Operationalisierung<br />
der Leistungsinhalte und<br />
F strukturellen Leistungsvoraussetzungen.<br />
Hierbei konnten eine Reihe von Anfangsproblemen<br />
wie<br />
F die Mindestzahl zu leistender Therapieeinheiten,<br />
F die Frage der Definition eines Behandlungstages,<br />
F der Mindestumfang der Assessments,<br />
F die Qualifikation der Behandlungsleitung<br />
und weiteres befriedigend geklärt werden.<br />
Mit der Integration frührehablitativer<br />
Leistungen ins DRG-System stellte sich<br />
die Frage der klaren Abgrenzung dieser<br />
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation<br />
nach §40 SGB V. Diese Abgrenzung<br />
erfolgt – wie in einem Erlass des<br />
BMGS (Bundesministerium für Gesundheit<br />
und Soziales) von 2004 klargestellt<br />
wurde – über den für die Krankenhausbehandlung<br />
prinzipiell und gegenüber<br />
dem rehabilitativen Behandlungsbedarf<br />
primär erforderlichen akutstationären<br />
Behandlungsbedarf mit den besonderen<br />
Mitteln des Krankenhauses. Dies bedeutet,<br />
dass frührehabilitative Leistungen für<br />
sich allein keinen eigenen Anspruch auf<br />
Behandlung im Krankenhaus begründen<br />
können, sondern nur in Kombination mit<br />
Anzahl Patienten in geriatrischen<br />
Fachabteilugen<br />
Entwicklung<br />
2007 2014 2020 2007–2020<br />
Unter 65 0,02282 14.988 14.596 14.261 −728<br />
65–75 0,36520 34.558 33.459 32.561 −2,042<br />
75–80 1,26292 38.281 41.834 44.880 6,599<br />
Über 80 3,22707 123.443 155.445 183.269 59.826<br />
Gesamt 211.270 245.334 274.926 63.655<br />
Tab. 2 Leistungsentwicklung der vollstationären geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung<br />
2005 bis 2010 (Destatis 2011)<br />
Geriatrische<br />
Krankenhausbehandlungsfälle<br />
(n)<br />
Anteil der Fälle<br />
Ohne GFK<br />
(%)<br />
Mit 8-550.0<br />
(%)<br />
Mit 8-550.1<br />
(%)<br />
2005 178.262 41,3 8,9 32,3 17,4<br />
2010 246.529 27,0 7,3 48,8 17,0<br />
Mit 8-550.2<br />
(%)<br />
einer hiervon unabhängig erforderlichen<br />
akutstationären Krankenhausbehandlung<br />
erbracht und abgerechnet werden dürfen.<br />
Entfällt die akutstationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit<br />
und besteht<br />
weiterhin Rehabilitationsbedarf sind Leistungen<br />
der medizinischen Rehabilitation<br />
nach §40 anzuschließen. Dies führt zur<br />
Diskussion um die tagesbezogene Überprüfung<br />
der stationären Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit<br />
für den Zeitraum<br />
der GFK-Erbringung und ist ein zentrales<br />
Thema dieser Publikation.<br />
Unter dieser Einbindung der <strong>Geriatrie</strong><br />
in das DRG-System hat die Anzahl<br />
geriatrischer Betten in Krankenhäusern<br />
von 2005 bis 2010 entgegen der allgemeinen<br />
Kapazitätsentwicklung von 10.354<br />
auf 12.128 um 17,1% zugenommen. Die<br />
Anzahl von geriatrischen Krankenhausbehandlungen<br />
in diesen Betten hat sich<br />
von 178.262 auf 246.529 sogar um 47,6%<br />
erhöht (. Tab. 2). Innerhalb der vollstationären<br />
geriatrischen Behandlungen hat<br />
der Anteil geriatrischer frührehabilitativer<br />
Komplexbehandlungen (GFK) gemäß<br />
OPS 8-550* deutlich zugenommen,<br />
insbesondere der OPS 8-550.1, der Grenz-<br />
OPS, ab dem eine GFK in die höher bewertete<br />
geriatrische DRG triggert.<br />
Die Praxis der Kodierung zeigt, dass<br />
die <strong>Geriatrie</strong> wie alle anderen Fachrichtungen<br />
in den letzten Jahren eine – allerdings<br />
vergleichsweise moderat ausfallende<br />
– Liegezeitverkürzung auch bei typisch<br />
geriatrischen Patienten mit einer Verkürzung<br />
der durchschnittlichen Verweildauer<br />
von 19,1 Tage (2005) auf 18,6 Tage (2010)<br />
verzeichnete.<br />
Die <strong>Geriatrie</strong> kann insofern durch das<br />
DRG-System im Rahmen der Krankenhausversorgung<br />
als etabliert und gestärkt<br />
angesehen werden. Dennoch lassen sich<br />
auch kritische Aspekte und Entwicklungen<br />
benennen, denen im Folgenden aus<br />
Perspektive verschiedener Akteure Raum<br />
gegeben werden soll.<br />
Perspektive der klinischen Praxis<br />
Der Behandlungsprozess sollte aus klinischer<br />
Sicht v. a. einen möglichst fließenden<br />
Übergang von der Akutbehandlung<br />
zur Rehabilitation gewährleisten.<br />
Es ist davon auszugehen, dass vom Beginn<br />
bis zum Ende des Behandlungszeitraumes<br />
der Anteil der Akutmedizin und<br />
Rehabilitation sich entsprechend einer erwünschten<br />
wachsenden Belastbarkeit des<br />
Patienten verschiebt. Im Idealfall überwiegt<br />
die Akutmedizin zu Beginn der Behandlung<br />
und später der Reha-Anteil mit<br />
dem Ziel, den Patienten in seinem Funktionsstatus<br />
zu verbessern und um Unterstützungsbedarf<br />
und Pflegeabhängigkeit<br />
zu reduzieren. Dem entspricht auch die<br />
im OPS 8-550* vorgesehene wochenweise<br />
Betrachtung und Beurteilung des Behandlungsverlaufs<br />
im Rahmen der Teambesprechungen.<br />
Die dazu notwendige individuelle<br />
Behandlungsintensität und -frequenz<br />
entspricht dabei nicht zwangsläufig<br />
der durch Erreichen des vergütungsentscheidenden<br />
OPS 8-550.1 bestehenden<br />
ökonomischen Alles-oder-Nichts-Logik<br />
in Abhängigkeit von einer bestimmten<br />
Zahl von Behandlungstagen und Therapieeinheiten.<br />
Die bei den in der <strong>Geriatrie</strong><br />
üblichen Teambesprechungen wöchentlich<br />
erfolgende Betrachtung des Behandlungsverlaufes<br />
unter Einschluss medizinischer<br />
Ziele wie sozialmedizinischer<br />
Aspekte (Re-Integration, Veränderung<br />
von Pflegebedürftigkeit u. a.) sollte gerade<br />
die Fixierung auf einen einzigen vergütungsrelevanten<br />
Behandlungscut, wie<br />
er derzeit durch das DRG-System getriggert<br />
wird, abmildern.<br />
Unter den derzeit gesetzten Vergütungsanreizen<br />
zielen die Prüfungen durch<br />
den MDK (Medizinischer Dienst der<br />
Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014 |<br />
7
Zusammenfassung · Abstract<br />
Krankenversicherung) in den letzten Jahren<br />
hingegen immer stärker auf die Frage,<br />
ob der Patient an jedem Tag seiner Behandlung<br />
die Ressourcen eines Akutkrankenhauses<br />
benötigt. Dabei wird in der allgemeinen<br />
Diskussion festgestellt, dass<br />
sich die Krankenhäuser in ihren Verweildauern<br />
bei geriatrischen Patienten zunehmend<br />
auf die OPS-8-550.1-getriggerte<br />
Verweildauergrenze konzentrieren.<br />
Die Tage unmittelbar vor Überschreiten<br />
der erlösrelevanten 14-tägigen Mindestbehandlungsdauer<br />
des OPS 8-550.1 sind<br />
daher besonders in den Fokus der MDK-<br />
Prüfungen geraten. Hier erweist sich die<br />
derzeitige Erlösfixierung auf eine einzige<br />
Alles-oder-Nichts-Grenze sowohl<br />
als falscher ökonomischer Anreiz für die<br />
Leistungserbringer als auch als Anreiz für<br />
die Kostenträger zur Streitigstellung der<br />
akutstationären Behandlungsbedürftigkeit<br />
des Tages 14. Dieser erst erlaubt die<br />
Kodierung des erlösrelevanten OPS 8-<br />
550.1 bzw. wandelt diesen bei Streichung<br />
in einen nichterlösrelevanten OPS 8-550.0<br />
um, da die Mindestbehandlungsdauer<br />
nicht mehr erfüllt wird.<br />
Die Gutachter des MDK weisen zwar<br />
manchmal darauf hin, dass eine Indikation<br />
zu einer weiterführenden stationären<br />
Rehabilitationsbehandlung durchaus bestanden<br />
hätte, Akutkrankenhausbehandlungsbedürftigkeit<br />
aber nur unterhalb der<br />
besagten OPS-8-550.1-Grenze von 14 Tagen<br />
bestand und daher die GFK nur als<br />
OPS 8-550.0 zu kodieren sei. Damit werden<br />
in solchen Fällen die erbrachten rehabilitativen<br />
Leistungen nicht mehr zusätzlich<br />
vergütet, weder als Frührehabilitation<br />
noch als Rehabilitation nach §40 SGB V,<br />
da hierfür kein Antrag und entsprechend<br />
keine Bewilligung vorlag.<br />
Zusammenfassend zeigt die Erfahrung<br />
der letzten Jahre, dass die Einführung der<br />
GFK gemäß OPS 8-550 nicht zu deren<br />
ausreichend leistungsdifferenzierter Vergütung<br />
geführt hat, sondern eine Allesoder-Nichts-Leistung<br />
darstellt, die für die<br />
Kostenträger zu begrenzen oder einzusparen<br />
einen hohen Anreiz darstellt. Die Zahl<br />
der strittigen Fälle, die in der Regel seitens<br />
der Kostenträger mit den leistungserbringenden<br />
Krankenhäusern verrechnet werden,<br />
ist immens, auch wenn bislang kaum<br />
ein Fall vor dem Sozialgericht entschieden<br />
wurde. Entsprechend werden hierzu in<br />
Z Gerontol Geriat 2014 · 47:6–12<br />
© Springer-Verlag 2014<br />
DOI 10.1007/s00391-013-0592-7<br />
G. Kolb · K. Breuninger · S. Gronemeyer · D. van den Heuvel · N. Lübke · D. Lüttje · A. Wittrich ·<br />
J. Wolff<br />
10 Jahre geriatrische frührehabilitative<br />
Komplexbehandlung im DRG-System<br />
Zusammenfassung<br />
Hintergrund. Vor dem Hintergrund der demographischen<br />
Entwicklung gewinnt die<br />
Versorgung geriatrischer Patienten zunehmend<br />
an Bedeutung. Neben der erforderlichen<br />
kurativmedizinischen Behandlung geht<br />
es bei dieser Versichertengruppe unter dem<br />
Aspekt „Erhaltung Selbstständigkeit und Teilhabe“<br />
sowie „Minderung von Pflegebedürftigkeit“<br />
auch um rehabilitative Behandlungsansätze.<br />
Material und Methoden. Mit dem DRG-System<br />
sollten vor 10 Jahren auch geriatrische<br />
Leistungen ein neues, pauschalisiertes Vergütungssystem<br />
erhalten. Durch 17 sog. geriatrische<br />
DRGs werden mithilfe des OPS 8550<br />
die meisten Hauptdiagnosegruppen in spezifische<br />
Einstufungen unterteilt. Leistungen<br />
entsprechend OPS 8550 dürfen nur erbracht<br />
werden, so lange eine akut-stationäre Krankenhausbehandlung<br />
erforderlich ist. Ansonsten<br />
sind Leistungen der medizinischen Rehabilitation<br />
nach § 40 SGB V anzuschließen.<br />
Daraus hat sich in den letzten 10 Jahren eine<br />
Diskussion um die tagesbezogene Überprüfung<br />
stationärer Krankenhausbedürftigkeit<br />
ergeben. Die Kostenträger beklagen die Entlassung<br />
unmittelbar nach Erbringung von<br />
Mindeststandards, Leistungserbringer die<br />
Streichung einzelner Tage während oder am<br />
Ende der Leistungserbringung.<br />
Ergebnisse. Der OPS erfasst zwar geriatrisch-frührehabilitative<br />
Komplexleistungen<br />
grundsätzlich sachgerecht, stößt aber bezüglich<br />
der Festsetzung spezifischer Qualitätswie<br />
Abgrenzungskriterien an Grenzen. Zudem<br />
zeigt die anhaltende Unterschiedlichkeit<br />
länderspezifischer <strong>Geriatrie</strong>konzepte und<br />
-angebote, dass das DRG-System hier einer<br />
Änderung bedarf, um eine sachgerechte Vergütungsabbildung<br />
zukünftig zu ermöglichen.<br />
Schlüsselwörter<br />
Ältere · <strong>Geriatrie</strong> · Rehabilitation ·<br />
Komplexpauschale · Versorgung<br />
Ten years of early complex geriatric rehabilitation<br />
therapy in the DRG system<br />
Abstract<br />
Background. Geriatric medicine, as a specialized<br />
form of treatment for the elderly, is<br />
gaining in importance due to demographic<br />
changes. Especially important for geriatric<br />
medicine is combining acute care with the<br />
need to maintain functionality and participation.<br />
This includes prevention of dependency<br />
on structured care or chronic disability and<br />
handicap by means of rehabilitation.<br />
Methods and materials. Ten years ago, the<br />
German DRG system tried to incorporate procedures<br />
(e.g., “early rehabilitation in geriatric<br />
medicine”) in the hospital reimbursement<br />
system. OPS 8-550.x, defined by structural<br />
quality, days of treatment, and number<br />
of therapeutic interventions, triggers 17 different<br />
geriatric DRGs, covering most of the<br />
fields of medicine. OPS 8-550.x had been revised<br />
continuously to give a clear structure to<br />
quality aspects of geriatric procedures. However,<br />
OPS 8-550.x is based on proven need of<br />
in-hospital treatment. In the last 10 years, no<br />
such definition has been produced taking aspects<br />
of the German hospital system into account<br />
as well as aspects of transparency and<br />
benefit in everyday work.<br />
Results. The German DRG system covers<br />
just basic reimbursement aspects of geriatric<br />
medicine quite well; however, a practi cable<br />
and patient-oriented definition of “hospital<br />
necessity” is still lacking, but is absolutely essential<br />
for proper compensation. A further<br />
problem concerning geriatric medicine reimbursement<br />
in the DRG system is due to the<br />
different structures of providing geriatric<br />
in-hospital care throughout Germany.<br />
Keywords<br />
Aged · Geriatrics · Progressive patients care ·<br />
Reimbursement, health insurance · Health<br />
care<br />
der Begutachtungspraxis immer neue Argumentationsstränge<br />
zur Strittigstellung<br />
der Indikation zur Akutbehandlung gesucht,<br />
sei es grundsätzlich für eine Krankenhausbehandlung,<br />
für einen Teil des<br />
stationären Aufenthaltes oder aber ab der<br />
Überschreitung von Grenzverweildauern.<br />
Dies zeigt die Diskussionsbedürftig-<br />
8 | Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014
keit der Alles-oder-Nichts-Grenze in der<br />
Vergütung der GFK.<br />
Weiterhin ist zu beachten, dass der<br />
OPS 8-550* ausführt, dass eine gleichzeitige<br />
(dauernde oder intermittierende)<br />
akutmedizinische Diagnostik bzw. Behandlung<br />
gesondert zu kodieren ist.<br />
Perspektive des<br />
Bundesverbandes <strong>Geriatrie</strong><br />
Unabhängig vom jeweiligen Versorgungskonzept<br />
und der damit verbundenen<br />
Schwerpunktsetzung im Bereich der Versorgung<br />
geriatrischer Patienten stimmen<br />
alle Bundesländer hinsichtlich des grundsätzlichen<br />
Versorgungsziels einer möglichst<br />
sektorenübergreifenden, vernetzten<br />
und damit dem ganzheitlichen Ansatz<br />
entsprechenden Versorgung des geriatrischen<br />
Patienten überein. Die am Bedarf<br />
des Patienten orientierte konzeptionelle<br />
Ausrichtung setzt eine solche übergreifende<br />
Versorgung zwingend voraus,<br />
sodass sich hieraus ein besonderes Spannungsfeld<br />
zu einem sektoral getrennten<br />
Abrechnungssystem ergibt.<br />
Im Einzelnen zeigt die Entwicklung im<br />
Bereich der <strong>Geriatrie</strong> zunächst die gleichen<br />
systemimmanenten Probleme, wie<br />
sie auch in anderen Bereichen des DRG-<br />
Systems zu finden sind:<br />
F die Konzentration auf die jeweils geforderten<br />
Mindestvoraussetzungen<br />
sowie<br />
F eine Tendenz zur Vergütungsoptimierung.<br />
Dem gilt es seitens aller Beteiligten entgegenzuwirken.<br />
Die Aufgabe der Krankenkassen<br />
bzw. des MDK ist es, hierzu, im gesetzlich<br />
vorgegebenen Rahmen, entsprechende<br />
Prüfungen durchzuführen. Insofern<br />
bildet die <strong>Geriatrie</strong> weder im positiven<br />
noch im negativen Sinne eine Ausnahme.<br />
Der Fokus der Begutachtung wird allerdings<br />
nun verstärkt auf die erlösrelevante<br />
14-tägige Mindestbehandlungsdauer<br />
zum Erreichen der Kodiervoraussetzungen<br />
für den OPS 8-550.1 gerichtet.<br />
Hierbei zeigt sich, dass die ursprüngliche<br />
Intention und damit der fachlich-medizinische<br />
Ansatz in der <strong>Geriatrie</strong> nur schwer<br />
sachgerecht in eine solche Bewertung einzubringen<br />
ist. Dies wird besonders deutlich<br />
bei der Überprüfung der Frage des<br />
akutstationären Behandlungsbedarfs.<br />
Vor dem Hintergrund der Multimorbidität<br />
des geriatrischen Patienten und des<br />
zumeist instabilen Krankheitsverlaufs<br />
ist es fast regelhaft der Fall, dass sich die<br />
Ausprägung des akutmedizinischen Behandlungsbedarfs<br />
kurzfristig sehr stark<br />
verändern kann. Diesem Umstand versuchte<br />
man mit einer Unterteilung des<br />
OPS 8-550* auf wöchentliche Behandlungszeiträume<br />
(7/14/21 Tage) Rechnung<br />
zu tragen. Dieser sachgerechte Grundgedanke<br />
findet jedoch im derzeitigen Vergütungsalgorithmus<br />
keinen Niederschlag.<br />
Zugleich ist zu hinterfragen, ob bei kürzeren<br />
Prüfungszeiträumen, insbesondere<br />
einzelner Behandlungstage rund um die<br />
14-Tage-Grenze, die versorgungspolitischen<br />
Aufgaben im Bereich der <strong>Geriatrie</strong><br />
den individuellen Bedürfnissen des Versicherten<br />
entsprechend ausreichend und<br />
zweckmäßig im Sinne des SGB V erfüllt<br />
werden können.<br />
Wird der OPS-Text betrachtet, so ist<br />
festzuhalten, dass dieser hinsichtlich der<br />
Möglichkeiten und Aufgaben eines Klassifikationssystems,<br />
welches Abrechnungszwecken<br />
dient, als weitestgehend ausgereizt<br />
anzusehen ist. Andernfalls wäre es eine<br />
Bewegung deutlich aus dem primären<br />
Aufgabenfeld eines medizinischen Klassifikationssystems<br />
heraus. Insofern muss<br />
hinsichtlich qualitativer Anforderungen<br />
an die geriatrische Leistungserbringung<br />
mittel- bzw. langfristig über neue oder<br />
zumindest ergänzende Schritte diskutiert<br />
werden. Eine sinnvolle Möglichkeit<br />
könnte dabei sein, besondere Anforderungen<br />
an die geriatrische Versorgung aus<br />
dem OPS-Kode für die GFK heraus und<br />
als Erbringungsvoraussetzungen voran zu<br />
stellen. Denkbar wäre dabei z. B. die Verpflichtung<br />
zu einer fachspezifischen Zertifizierung.<br />
Dadurch könnte die qualitative<br />
Umsetzung der jeweiligen <strong>Geriatrie</strong>konzepte<br />
entsprechend abgesichert werden.<br />
Zudem lohnt ein genauerer Blick auf<br />
die einzelnen Leistungen, die eine geriatriespezifische<br />
Versorgungseinheit konzeptionell/versorgungspolitisch<br />
zu erfüllen<br />
hat. Diese gehen deutlich über den engeren<br />
Kern der Patientenversorgung hinaus<br />
und umfassen vom konzeptionellen<br />
Ansatz her regelhaft u. a.<br />
F Konsile,<br />
F (sektorenübergreifende) Fallbesprechungen,<br />
F Fortbildungsaufgaben,<br />
F besondere Dokumentationsaufgaben<br />
sowie<br />
F die Wahrnehmung besonderer Aufgaben<br />
im Bereich der Qualitätssicherung<br />
bzw. deren Entwicklung.<br />
Bei näherer Betrachtung handelt es sich<br />
um sog. übergreifende, über die Versorgung<br />
der eigenen Patienten hinausgehende<br />
Aufgaben. Laut Krankenhausentgeltgesetz<br />
können entsprechende Zentren<br />
hierfür Finanzzuschläge vereinbaren<br />
– ein für die geriatrische Versorgung sachlich<br />
nachvollziehbarer Ansatz, zumindest<br />
solange vom Gesetzgeber keine Möglichkeit<br />
zur sektorenübergreifenden Finanzierung<br />
bereitgestellt wird.<br />
Perspektive des<br />
Medizinischen Dienstes<br />
Zunächst hat die GFK, wie andere frührehabilitative<br />
Komplexbehandlungskodes<br />
im OPS-Katalog, in Ermangelung anderer<br />
Formen der Qualitätssicherung in diesen<br />
Krankenhausleistungsbereichen wesentlich<br />
eine Ersatzfunktion für die Definition<br />
entsprechender Qualitätsstandards – in<br />
der Regel auf Minimalniveau – erhalten.<br />
Dies ist nicht die originäre Aufgabe von<br />
OPS-Kodes und birgt die Gefahr einer<br />
inhaltlichen Überfrachtung dieser Prozedurenkodes,<br />
v. a. auch mit im Einzelfall<br />
nicht mehr regelhaft prüfbaren Strukturund<br />
Prozesskriterien. Zugleich besteht in<br />
elementaren Aspekten des OPS 8-550, etwa<br />
den Anforderungen an die quantitative<br />
Präsenz der fachärztlichen Behandlungsleitung<br />
oder deren Stellvertretung, seitens<br />
der Leistungserbringer keine Bereitschaft<br />
mehr zu klareren Operationalisierungen<br />
im Rahmen des jährlichen Vorschlagsverfahrens<br />
des DIMDI zur Revision des OPS-<br />
Katalogs. Das Instrument OPS hat hier im<br />
Hinblick auf die Qualitätssicherung offenkundig<br />
seine Grenzen erreicht und bedarf<br />
ggf. ergänzender Instrumente.<br />
Darüber hinaus hat die Leistungsentwicklung<br />
der GFK die Zahl dieser Prüfungen<br />
für die Medizinischen Dienste erhöht.<br />
In diesem Zusammenhang wird kassenseitig<br />
zum einen immer häufiger die Fra-<br />
Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014 |<br />
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Beiträge zum Themenschwerpunkt<br />
11,0<br />
10,0<br />
9,0<br />
Fälle ohne GFK 2005 (N=61.852)<br />
Fälle ohne GFK 2010 (N=54.851)<br />
Fälle mit GFK 2005 (N=86.484)<br />
Fälle mit GFK 2010 (N=148.619)<br />
8,0<br />
7,0<br />
%<br />
6,0<br />
5,0<br />
4,0<br />
3,0<br />
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Auswertung KCG (Dr. Meinck) i.A. des GKV-Spitzenverbandes<br />
Behandlungstage in der <strong>Geriatrie</strong><br />
auf Basis von Abrechnungsdaten der Krankenkassen<br />
Abb. 1 8 Vergütungsassoziierte Verschiebungen in den Anteilen unterschiedlicher <strong>Geriatrie</strong>verweildauern<br />
ge gestellt nach der angemessenen Indikationsstellung,<br />
also der Notwendigkeit<br />
einer GFK z. B. in Abgrenzung zu möglicherweise<br />
ausreichenden Maßnahmen<br />
der Frühmobilisation. Diesbezüglich<br />
wären für die sozialmedizinische Begutachtung<br />
zumindest ähnlich festgelegte<br />
Indikationskriterien wie für medizinische<br />
Rehabilitationsmaßnahmen nach<br />
§40 SGB V wünschenswert.<br />
Zum anderen provoziert die mit dem<br />
OPS-8-550.1-Vergütungscut in der Tendenz<br />
eingetretene Standardisierung geriatrischer<br />
Behandlung durch die Leistungserbringer<br />
auf die minimalen Anforderungen<br />
dieses OPS 8-550.1 (Behandlung mit<br />
gerade 20 Therapieeinheiten über gerade<br />
14 Tage, vgl. hierzu die Abbildungen im<br />
GKV-Teil) die Verlagerung der kassenseitigen<br />
GFK-Prüfaufträge an den MDK<br />
auf die taggenaue Dauer der notwendigen<br />
akutstationären Krankenhausbehandlung.<br />
Genau diese Bestimmung des Akutbehandlungsbedarfs<br />
im Krankenhaus ist<br />
aber quasi per definitionem beim geriatrischen<br />
Patienten noch anspruchsvoller als<br />
bereits bei anderen Patienten und daher<br />
oft mit schwierigen sozialmedizinischen<br />
Ermessensentscheidungen und entsprechenden<br />
Unsicherheiten für alle Beteiligten<br />
verbunden.<br />
Letztlich ist die Abbildung der <strong>Geriatrie</strong><br />
im DRG-System aus MDK-Sicht aber<br />
auch durch systemische Inkonsistenzen<br />
geprägt. Hierzu zählt bei Erbringung von<br />
GFK-Leistungen die prinzipielle Reduktion<br />
des hochdifferenzierten DRG-Systems<br />
auf relativ wenige geriatrische DRG,<br />
die das dahinterliegende akutmedizinische<br />
Leistungsgeschehen oft marginalisieren.<br />
Dies hat erheblich unterschiedliche<br />
und hierdurch teilweise nur schwer<br />
vermittelbare Vergütungssprünge bei der<br />
GFK-Erbringung gegenüber der DRG ohne<br />
GFK zur Folge.<br />
Kalkulatorisch ist zu berücksichtigen,<br />
dass nicht primär die eigentliche Erbringung<br />
der GFK (die Therapieeinheiten, der<br />
Teameinsatz etc.) die höheren Relativgewichte<br />
geriatrischer DRG ausmachen,<br />
sondern sich diese nahezu ausschließlich<br />
aus den Aufwänden aufgrund der durchschnittlich<br />
längeren Verweildauern dieser<br />
Patienten im Krankenhaus begründen.<br />
Dies spiegelt sich in den entsprechend<br />
längeren mittleren und oberen Grenzverweildauern<br />
dieser DRG wider. Die höheren<br />
Relativgewichte geriatrischer DRG<br />
decken im Wesentlichen längere allgemeine<br />
Versorgungs- und Pflegeleistungen vieler<br />
geriatrischer Patienten ab.<br />
Die Vergütungspauschalierung durch<br />
das DRG-System hat darüber hinaus die<br />
bestehenden Unterschiede in den geriatrischen<br />
Versorgungskonzepten der Bundesländer<br />
zugespitzt. Das ist eine sog. fallabschließende<br />
geriatrische Versorgung<br />
einschließlich gesamter stationärer Rehabilitation<br />
im Krankenhaus vs. separate<br />
geriatrische Rehabilitationseinrichtungen<br />
für Rehabilitationsleistungen nach<br />
§40 SGB V. Für gleiche DRG-Pauschalen<br />
soll in den einen Bundesländern der gesamte<br />
Akutaufenthalt zuzüglich der gesamten<br />
stationären Rehabilitationsleistungen,<br />
die andernorts teilweise auch<br />
nach §40 zu erbringen wären, abgedeckt<br />
werden. In anderen Bundesländern soll<br />
nur der Akutaufenthalt abgedeckt werden,<br />
während die Vergütung von ggf. notwendigen<br />
weiteren Rehabilitationsleistungen<br />
nach §40 separat erfolgt.<br />
Aus Sicht des Medizinischen Dienstes<br />
sollte eine stärker differenzierte Vergütung<br />
geriatrisch frührehabilitativer Leistungen<br />
und eine Entkopplung von den<br />
DRG-Vergütungen für die Basisleistungen<br />
z. B. durch Zusatzentgelte geprüft<br />
und kalkuliert werden. Dies könnte die<br />
Schwierigkeiten einer taggenauen Festlegung<br />
der akutstationären Behandlungsbedürftigkeit<br />
geriatrischer Patienten fak-<br />
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Fälle aus Ländern ohne geriatrische Reha-Struktur 2005<br />
Fälle aus Ländern ohne geriatrische Reha-Struktur 2010<br />
Fälle aus Ländern mit geriatrischer Reha-Struktur 2005<br />
Fälle aus Ländern mit geriatrischer Reha-Struktur 2010<br />
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%<br />
6,0<br />
5,0<br />
4,0<br />
3,0<br />
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Auswertung KCG (Dr. Meinck) i.A. des GKV-Spitzenverbandes<br />
auf Basis von Abrechnungsdaten der Krankenkassen<br />
Behandlungstage in der <strong>Geriatrie</strong><br />
Abb. 2 8 Unterschiede der <strong>Geriatrie</strong>verweildauern nach geriatrischen Versorgungskonzepten der Bundesländer<br />
tisch relativieren und perspektivisch am<br />
ehesten einen Beitrag zu vergütungsbezogenen<br />
Annäherungen an die unterschiedlichen<br />
geriatrischen Versorgungskonzepte<br />
der Bundesländer leisten.<br />
Perspektive des<br />
Spitzenverbandes<br />
der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung<br />
Aus Sicht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung hat sich<br />
die geriatrische Versorgung in Deutschland<br />
mit der Einführung des DRG-Systems<br />
ihren Platz gesichert und ausgebaut.<br />
Dies ist im Hinblick auf die demographische<br />
Entwicklung mit einer starken<br />
Zunahme hochbetagter, z. T. auch multimorbider<br />
und in ihren Aktivitäten und<br />
ihrer Teilhabe beeinträchtigter Patienten<br />
positiv zu bewerten.<br />
Fallpauschalierte Vergütungssysteme<br />
setzen Anreize, Krankenhausaufenthalte<br />
auf das notwendige Maß zu begrenzen.<br />
So kam es über nahezu alle Altersklassen<br />
hinweg im Vergleich der Jahre 2005<br />
und 2010 zu einem gleichmäßigen Rückgang<br />
der durchschnittlichen Verweildauer<br />
von etwa einem Tag. Auch im Bereich der<br />
speziellen geriatrischen Versorgung kam<br />
es zu einer Verkürzung der Verweildauern.<br />
Eine deutliche Verkürzung der <strong>Geriatrie</strong>verweildauern<br />
zeigt . Abb. 1 für Fälle<br />
ohne Abrechnung einer GFK (grüne Kurven),<br />
während bei Fällen mit abgerechneter<br />
GFK (rote Kurven) eine Verschiebung<br />
entlang der Erlösanreize auftrat (Abnahme<br />
sowohl der Anteile mit ≤14 als auch<br />
mit ≥24 Behandlungstagen und Ausbildung<br />
eines Peaks nach dem 14. Behandlungstag<br />
in der <strong>Geriatrie</strong>). Dieses Phänomen<br />
lässt sich bei separater Datenanalyse<br />
auch unabhängig vom geriatrischen Versorgungskonzept<br />
der Bundesländer belegen<br />
(. Abb. 2).<br />
Diese empirischen Auswertungen zur<br />
Entwicklung geriatrischer Behandlungsverläufe<br />
geben allerdings Grund zu Zweifeln,<br />
ob sich die Versorgungspraxis bei<br />
geriatrischen Patienten tatsächlich an deren<br />
Bedarf oder immer stärker an Aspekten<br />
der Vergütungsoptimierung ausrichtet.<br />
So deutet die dargestellte Verweildauerentwicklung<br />
in der <strong>Geriatrie</strong> doch eher<br />
auf eine Fokussierung geriatrischer Behandlungen<br />
auf die Minimalvoraussetzungen<br />
für das Erreichen der relativ hoch<br />
bewerteten geriatrischen DRG als auf eine<br />
auf den Behandlungsbedarf dieser Patienten<br />
individuell abgestimmte Behandlung<br />
hin. Dies impliziert einerseits Überversorgung<br />
für Patienten, die keine 14 Tage GFK<br />
benötigen, aber dennoch bis zum Erreichen<br />
der Kodiervoraussetzungen für den<br />
OPS 8-550.1 frührehabilitativ weiterbehandelt<br />
werden. Andererseits besteht die<br />
Gefahr von Unterversorgung bei Patienten,<br />
die derartige Leistungen weiterhin<br />
benötigen, auch wenn der vergütungsrelevante<br />
Behandlungscut von 14 Tagen und<br />
20 Therapieeinheiten bereits erreicht ist.<br />
Dies allerdings hat wiederum auch Implikation<br />
auf das Prüfgeschehen. Wenn die<br />
Verweildauern aller Patienten im Krankenhaus<br />
im Durchschnitt deutlich sinken,<br />
besteht möglicherweise viel häufiger als in<br />
der Vergangenheit im Bereich der starren,<br />
vergütungsrelevanten Verweildauergrenzen<br />
keine akutstationäre Behandlungsbedürftigkeit<br />
mehr. Starre Wochengrenzen<br />
und sinkende Verweildauern provozieren<br />
verstärkte Prüfungen in der akutstationären<br />
Verweildauer.<br />
Die größte Herausforderung besteht<br />
aber darin, einen bundesweit einheitlichen,<br />
unter den Maßstäben der „Einhauskalkulation“<br />
([2], S. 5) entstandenen<br />
Leistungsdefinitions- und Leistungsbewertungskatalogs<br />
mit Länderspezifika<br />
überein zubringen. Da das InEK (Institut<br />
für das Entgeldsystem im Krankenhaus)<br />
in der Kalkulation der GFK alle Fälle mit<br />
GFK-OPS unabhängig von ihrer Herkunft<br />
zur Kalkulation heranzieht, können unterschiedliche<br />
regionale Versorgungsbe-<br />
Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014 |<br />
11
Beiträge zum Themenschwerpunkt<br />
sonderheiten nicht berücksichtigt werden.<br />
Ziel ist ein bundesweit einheitlicher Leistungskatalog.<br />
Die Problematik verdeutlicht<br />
. Abb. 2: die Kombination von zwei<br />
unterschiedlichen geriatrischen Versorgungskonzepten<br />
in den Bundesländern<br />
(Länder mit und ohne geriatrischen Rehastrukturen<br />
nach §111 SGB V) mit einer<br />
einheitlichen DRG-Vergütung. Die Abbildung<br />
zeigt die Anteile der <strong>Geriatrie</strong>verweildauer<br />
für beide Versorgungskonzepte.<br />
Die mittlere <strong>Geriatrie</strong>verweildauer<br />
bei Fällen aus Ländern ohne zusätzliche<br />
geriatrische Rehastruktur (rote Kurve) beträgt<br />
20,4 gegenüber 17,0 Tagen bei Fällen<br />
aus Ländern mit zusätzlicher geriatrischer<br />
Rehastruktur (blaue Kurve).<br />
Einerseits deuten die zwischen den<br />
Versorgungskonzepten abweichenden<br />
Verweildauerkurven auf unterschiedliche<br />
Leistungen hin. Andererseits wirft die in<br />
den sog. 109er-Ländern zu beobachtende<br />
Verkürzung und Annäherung der Krankenhausverweildauern<br />
an die der Mischländer<br />
die Frage auf, inwieweit der ursprüngliche<br />
konzeptionelle Anspruch<br />
der 109er-Länder, zumindest den stationären<br />
geriatrischen Rehabilitationsbedarf<br />
im Krankenhaus abzudecken, noch<br />
erfüllt wird.<br />
Die Darstellung des Problemhaushalts<br />
der GFK führt unweigerlich zu der Frage:<br />
Welche Probleme gilt es zu lösen Im<br />
Bereich der GFK kommen sowohl unspezifische<br />
Probleme, die derzeit nahezu<br />
alle Bereiche des DRG-Systems betreffen<br />
(Mengenentwicklung, Verweildauerrückgang,<br />
Prüfungsbedarf) als auch spezifische<br />
Probleme der GFK (regionale Besonderheiten,<br />
Definition des OPS im Wochenrhythmus)<br />
zusammen. Die Ansatzpunkte<br />
zur Problemlösung im Bereich der<br />
GFK beziehen sich demnach auf das Vorliegen<br />
regionaler Besonderheiten und die<br />
Vorgabe des Wochenbezugs.<br />
Die Abbildung der <strong>Geriatrie</strong> im DRG-<br />
System und dessen empirische Ermittlung<br />
steht außer Frage. Sie kann aber<br />
nur dann zufriedenstellend gelingen,<br />
wenn die Grundlagen der Analysemöglichkeiten<br />
dem InEK vorliegen. Zu diesen<br />
Grundlagen gehört die Definition der<br />
Leistung im OPS genauso wie die Beteiligung<br />
der betroffenen Einrichtungen an<br />
der DRG-Kalkulation. Ein DRG-System<br />
ist stets nur höchstens so gut und differenziert<br />
wie dies die zugrunde liegenden<br />
Diagnose- und Prozedurendaten zulassen.<br />
Die geringe Beteiligung der <strong>Geriatrie</strong>n<br />
an der DRG-Kalkulation erschwert<br />
stark die Analyse und Lösungsfindung.<br />
So stellten gemäß Abschlussbericht zum<br />
G-DRG-System 2013 nur 2 der 20 fallzahlstärksten<br />
Krankenhäuser ihre Daten dem<br />
InEK zur Verfügung ([2], S. 46).<br />
Fazit<br />
F Mit dem OPS 8-550.* sind geriatrische<br />
frührehabilitative Komplexleistungen<br />
grundsätzlich sachgerecht erfasst. Es<br />
wurden generelle Grundstrukturen<br />
und -prozesse des Behandlungsverlaufs<br />
– hierbei u. a. auch die wochenweise<br />
Betrachtung der Behandlungsziele<br />
und Ergebnisse – sowie abgestufte<br />
Mindestmerkmale hinsichtlich<br />
der Behandlungsdauer und der therapeutischen<br />
Behandlungsleistungen<br />
festgelegt.<br />
F An Grenzen stößt der OPS 8-550* hinsichtlich<br />
der Festsetzung spezifischer<br />
Qualitätskriterien geriatrisch frührehabilitativer<br />
Behandlungen. Dies ist<br />
allerdings auch nicht originäre Aufgabe<br />
eines OPS und überfordert die<br />
Prüfressourcen der klassischen DRG-<br />
Einzelfallprüfung. Die notwendige<br />
Qualitätssicherung als Grundlage<br />
der Leistungserbringung ist wichtig,<br />
muss perspektivisch jedoch an anderer<br />
Stelle und auf andere Weise in den<br />
Fokus genommen werden.<br />
F Die Kalkulation der zurzeit 17 geriatrischen<br />
DRG stellt bzgl. einer gleichzeitigen<br />
Aggregation auf 3 Ebenen eine<br />
Herausforderung für das InEK dar:<br />
auf Ebene der wochenbezogenen<br />
Leistungsdauer, auf Ebene der unterschiedlichen<br />
geriatrischen Versorgungskonzepte<br />
in den Bundesländern<br />
(mit und ohne zusätzliche geriatrische<br />
Rehabilitationseinrichtungen)<br />
sowie auf der Ebene der im sonstigen<br />
DRG-System erheblich stärker differenzierten<br />
Wertigkeit der Grundleistung.<br />
Dies schränkt deren Vermittelbarkeit<br />
unter verschiedenen Blickwinkeln<br />
ein.<br />
F Es fehlt an konsentierten, klar operationalisierbaren,<br />
transparenten Kriterien<br />
akutstationärer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit<br />
für geriatrische<br />
Patienten. Diese müssten,<br />
wie bereits kurz nach Einführung des<br />
DRG-Systems vom BMGS in seinem<br />
Erlass zur frührehabilitativen Leistungserbringung<br />
im Krankenhaus gefordert,<br />
die höheren Anforderungen,<br />
die an die absehbare akutmedizinische<br />
Stabilität von Patienten im Rahmen<br />
geriatrischer Krankenhausbehandlung<br />
zu stellen sind, berücksichtigen.<br />
F Es besteht Bedarf, ökonomisch getriggerte<br />
Fehlentwicklungen in der Versorgung<br />
geriatrischer Patienten einzudämmen.<br />
Hierbei muss eine ökonomische<br />
Anreizstruktur entwickelt werden,<br />
die den sehr individuellen Behandlungsbedarf<br />
geriatrischer Patienten<br />
im Blick behält, statt einer zeitlichen<br />
Standardisierung geriatrischer<br />
Behandlungen Vorschub zu leisten.<br />
F Die an diesem Beitrag Beteiligten sind<br />
gewillt, den hiermit aufgenommenen<br />
Austausch über entsprechende Weiterentwicklungen<br />
zur Abbildung der<br />
<strong>Geriatrie</strong> im DRG-System auf Basis<br />
dieses gemeinsamen Fazits fortzuführen.<br />
Korrespondenzadresse<br />
Prof. Dr. D. Lüttje<br />
Medizinische Klinik IV (<strong>Geriatrie</strong> und<br />
Palliativmedizin), Klinikum Osnabrück GmbH,<br />
KH Natruper Holz<br />
Sedanstr. 115, 49090 Osnabrück<br />
dieter.luettje@klinikum-os.de<br />
Einhaltung ethischer Richtlinien<br />
Interessenkonflikt. G. Kolb, K. Breuninger, S. Gronemeyer,<br />
D. van den Heuvel, N. Lübke, D. Lüttje, A. Wittrich<br />
und J. Wolff geben an, dass kein Interessenkonflikt<br />
besteht.<br />
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen<br />
oder Tieren.<br />
Literatur<br />
1. Bundesverband <strong>Geriatrie</strong> (Hrsg) (2010) Weißbuch<br />
<strong>Geriatrie</strong>. 2. Aufl. W. Kohlhammer<br />
2. Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus<br />
(2012) Abschlussbericht. Weiterentwicklung des<br />
G-DRG-Systems für das Jahr 2013. Teil I: Projektbericht.<br />
Siegburg<br />
12 | Zeitschrift für Gerontologie und <strong>Geriatrie</strong> 1 · 2014