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a k t u e l l<br />
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a k t u e l l<br />
r e p o r T a g e r e p o r T a g e<br />
Die 28-jährige graduierte<br />
erzieherin nicole Heinen<br />
findet es gut, dass Jungen und<br />
Mädchen zusammenwohnen.<br />
Das sei realitätsnäher als reine<br />
Jungen- oder Mädcheninternate.<br />
MARTINA FOLSCHEID<br />
martina.folscheid@telecran.lu<br />
Das „<strong>Internat</strong> <strong>Jos</strong> <strong>Schmit</strong>“ liegt mitten in Diekirch,<br />
nördlich der Altstadt, gleich neben dem Gelände<br />
der ehemaligen Diekircher Brauerei<br />
und neben dem Militärmuseum. Von außen<br />
wirkt das Gebäude sehr nüchtern. Vier miteinander verbundene<br />
Trakte aus hellem Stein ragen in die Luft. Auch<br />
innen empfängt einen eine klar strukturierte Architektur<br />
mit viel, viel Sichtbeton, ab und an unterbrochen von<br />
kirschroten Wandflächen, knallgelben Türen und großen<br />
Fenstern. Auf Anhieb so richtig gemütlich wirkt es nicht,<br />
eher futuristisch angehaucht. Seit drei Jahren wohnen<br />
die Jugendlichen nun dort, in der Rue du Moulin. Das<br />
vorige Pensionat Saint-<strong>Jos</strong>eph im Diekircher Lyzeum war<br />
aus allen Nähten geplatzt.<br />
Urgestein Jemp Eilenbecker, der seit sieben Jahren <strong>Internat</strong>sbewohner<br />
ist und somit Alt und Neu vergleichen<br />
kann, sieht das Ganze pragmatisch: „Das vorige <strong>Internat</strong><br />
war alt, aber gemütlich. Hier, Sie sehen ja selbst“, sagt<br />
er und hebt die Hände. „Hier ist alles viel neuer, moderner.<br />
Wir haben eine Topbibliothek und vor allem die<br />
Sanitäranlagen sind kein Vergleich zu vorher.“ Alles habe<br />
zwei Seiten. Ohnehin hänge es auch von den anderen<br />
<strong>Internat</strong>sbewohnern ab, ob es gemütlich sei.<br />
Jemp ist 19 Jahre alt und will Maschinenbau studieren.<br />
Verspürt er Wehmut, nun die gewohnte Umgebung verlassen<br />
zu müssen? „Nein, es ist jetzt gut, dass ein neuer<br />
Lebensabschnitt beginnt.“ Die Atmosphäre im neuen<br />
<strong>Internat</strong> wie schon an der alten Adresse bezeichnet er<br />
als sehr entspannt. „Wenn man sich immer gut schickt,<br />
gibt es keine Probleme“, sagt er augenzwinkernd. Hat er<br />
nie Streiche gespielt? „Doch, schon, wir haben mal eine<br />
Wasserschlacht veranstaltet, nach der<br />
der ganze Stock unter Wasser stand“,<br />
erinnert er sich.<br />
Entspannt ist die richtige Bezeichnung<br />
für das Diekircher <strong>Internat</strong>. Dafür<br />
sorgt schon allein <strong>Internat</strong>sleiter<br />
Luss Backes, der die Zügel nicht zu<br />
locker, aber auch nicht zu streng in<br />
den Händen hält. Doch auch wenn<br />
nicht das komplette <strong>Internat</strong>sleben<br />
streng reglementiert ist – feste Regeln<br />
gibt es in der Tat dennoch. Lern-, Essens-,<br />
Freizeit- und Ausgehzeiten zum<br />
Beispiel. Wobei diese unterschiedlich<br />
sind, da im <strong>Internat</strong> Schüler wohnen,<br />
die insgesamt sechs postprimäre Schulen ab der Septième<br />
besuchen: die Mehrzahl das „Lycée classique Diekirch“,<br />
manche das Nordstad-Lycée, andere die Hotelschule,<br />
wieder andere das technische Lyzeum in Ettelbrück. Da<br />
die Schüler zu unterschiedlichen Zeiten eintrudeln, gibt<br />
es für die einzelnen Gruppen auch verschiedene Lern-<br />
oder Freizeitzeiten.<br />
Insgesamt stehen 108 Einzelzimmer zur Verfügung. Von<br />
den vier Trakten beherbergt einer die Verwaltungsräume<br />
und eine Küche, in den anderen drei Gebäudeteilen<br />
befinden sich jeweils drei Wohngruppen mit je zwölf<br />
Schülern, wobei auf einem Stock jeweils nur entweder<br />
Jungen oder Mädchen ihre Zimmer haben. In den Zimmern<br />
gibt es ein Waschbecken, die Duschen und Toiletten<br />
sind auf dem Gang untergebracht.<br />
„Die Geräusche<br />
rundherum nerven<br />
manchmal, aber es<br />
ist auszuhalten.“<br />
<strong>Internat</strong>sbewohnerin Myriam<br />
Myriam wohnt seit zwei Jahren im<br />
„<strong>Internat</strong> <strong>Jos</strong> <strong>Schmit</strong>“ und besucht<br />
die zwölfte Klasse des „Lycée classique“.<br />
Die 18-Jährige nennt eines der<br />
15 Quadratmeter großen Zimmer ihr<br />
Eigen und hat die weißen Wände mit<br />
Blumen- und Palmenmotiven bemalt,<br />
damit sie freundlicher aussehen. An<br />
einem großen Standspiegel hängen<br />
ihre rosafarbenen Ballettschuhe. Sie<br />
ist begeisterte Tänzerin und ist unter<br />
anderem ins <strong>Internat</strong> gezogen, weil<br />
sie dann in der Nähe der Tanz- und<br />
Musikschule ist. Außerdem wäre der Weg von zu Hause<br />
in die Schule zu lang, sie stammt aus Vianden. Sie schätzt<br />
die Selbständigkeit und freut sich, in der gewonnenen<br />
Zeit, die sie ansonsten für die Strecke nach Vianden<br />
und zurück benötigte, ins Lernen stecken zu können.<br />
Die Geräusche rundherum – das Gemeinschaftsbad<br />
befindet sich direkt gegenüber – nerven manchmal,<br />
aber es sei auszuhalten.<br />
Jemand, der genau wie Myriam das <strong>Internat</strong> schätzt,<br />
um „anständig zu lernen“, noch dazu unter Kontrolle,<br />
ist Lee. Man muss fast schmunzeln, als der Junge mit<br />
dem blonden Wuschelkopf und der Baseballkappe solch<br />
ernsthafte Aussagen vom Stapel lässt. Schließlich ist<br />
er erst 14 Jahre alt, ein Alter, in dem Jugendliche zum<br />
Teil noch viel verspielter wirken. Aber nein, betont er,<br />
es sei gut für ihn und er fände es cool im <strong>Internat</strong>. Er<br />
lernt gemeinsam mit den anderen Septième-Schülern<br />
in einem Gemeinschaftsraum, betreut von einer graduierten<br />
Erzieherin. Die höheren Klassen lernen in ihren<br />
Zimmern, werden aber auch dort vom Personal betreut.<br />
Es wird darauf geachtet, dass in jedem der drei Blocks<br />
über längere Zeit die gleichen Erzieher arbeiten, so dass<br />
eine Einzelbetreuung besser möglich ist.<br />
Kann man als Erzieher denn in jedem Fach weiterhelfen?<br />
Schließlich sind Erzieher keine fachspezifischen Lehrer.<br />
„Ach, bei verschiedenen Fächern ziehe ich Kollegen zu<br />
Rate“, erklärt Nicole Heinen, eine junge Belgierin aus<br />
dem Raum St. Vith. „In Mathematik und Englisch bin ich<br />
kein Ass, dafür glänze ich eher in Französisch, Deutsch<br />
oder Naturwissenschaften.“ Sie findet es gut, dass in<br />
dem neuen <strong>Internat</strong> Mädchen und Jungen zusammenleben.<br />
Das sei viel realistischer, natürlicher. Kommen die<br />
Kleinen sich auch mal bei ihr ausweinen, wenn sie zum<br />
Beispiel Heimweh haben? „Hin und wieder ja. Ansonsten<br />
müssen wir bei den Jüngeren eher darauf achten, dass<br />
sie gewisse Hygieneregeln beachten und sich gesund<br />
ernähren“, erklärt die 28-Jährige.<br />
Auch Lee hat bereits gemeinsam mit Freunden den einen<br />
oder anderen Streich gespielt, aber genau wie Jemp eher<br />
harmloser Natur. „Wir haben mal Tabasco ins Nutella gegeben,<br />
das konnte keiner mehr essen“, lacht er und freut<br />
sich noch heute darüber. Ansonsten ist der aufgeweckte,<br />
lernwillige Teenie begeistert von den Freizeitmöglichkeiten,<br />
die das <strong>Internat</strong> zu bieten hat. Neben Computer<br />
und Playstation liebt er das Spiel „Tipp Kick“, das eine<br />
Fußball-Simulation darstellt. Auf einer mit Filz bespannten<br />
Platte bewegen zwei Teilnehmer zwei Spielfiguren, wobei<br />
der Fuß durch Antippen eines Knopfes auf der Figur den<br />
Ball schießt. Sogar Turniere finden statt.<br />
Neben den Freizeitaktivitäten wie Sport – es gibt sogar<br />
einen Fitnessraum –, Musik oder Basteln ist eines ganz<br />
wichtig: die Vermittlung von Medienkompetenz. Ab dem<br />
Alter von 16 Jahren hat jeder <strong>Internat</strong>sbewohner einen<br />
Internetanschluss in seinem Zimmer. Außerdem gibt es<br />
neben dem Computerraum mit acht PCs einen Raum, in<br />
dem Radiobeiträge bearbeitet werden. Unlängst beispielsweise<br />
ist Erzieher Fernand Winkin mit seinen Schützlingen,<br />
einer Gruppe von maximal sechs freiwilligen Teilnehmern,<br />
in die Stadt ausgezogen und hat Passanten befragt, was<br />
für sie die SMS bedeutet und ob sie sich ein Leben ohne<br />
Handy vorstellen können. Oder sie filmen den „éducateur<br />
instructeur“ Gregory Muller, wie er den Schülern<br />
Kochen beibringt, und vertonen den Beitrag hinterher.<br />
„Für mich ist wichtig, dass die Heranwachsenden lernen,<br />
Medien kritisch zu beobachten“, so Winkin. „Sie sollen<br />
zum Beispiel lernen, dass man die Intention von Aussagen<br />
völlig verändern kann, indem man einen Nebensatz<br />
herausschneidet.“ Auch, auf was sie beim Chatten achten<br />
müssen, dass sie nicht zu viel von sich preisgeben sollen,<br />
bringt der Erzieher ihnen bei.<br />
>><br />
eine der neun Wohngruppen<br />
beim abendessen: pro Woche<br />
hat einer der Bewohner auf<br />
seinem Stock Küchendienst.<br />
Dieses Mal ist lee (vorne rechts)<br />
an der reihe. er muss dann<br />
das von erzieher gregory mit<br />
Jugendlichen vorbereitete<br />
essen aufwärmen und den Tisch<br />
decken.<br />
„Die Regeln waren<br />
damals strenger<br />
als heute, aber<br />
dafür sind sie auch<br />
öfter überschritten<br />
worden“.<br />
luss Backes leitet das „<strong>Internat</strong><br />
<strong>Jos</strong> <strong>Schmit</strong>“. Der 50-Jährige war<br />
selbst <strong>Internat</strong>sbewohner.