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Texte fürs netz - Museum Junge Kunst Frankfurt

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ich habe ihr zugesehen und gezählt, schneidet sie sie mit einem kurzen<br />

Messer zu kleinen Würfeln. Ich will meine Frage noch einmal stellen, da sagt<br />

die Großmutter mit ihrer leisen, doch harten Stimme: „Was weiß ich.“<br />

Ich stehe auf, lasse sie schneiden, lasse sie die Kartoffelstücke mit den<br />

groben Händen greifen, lasse sie alles in einen Topf tun, lasse sie aus dem<br />

Fenster starren, während auf dem Herd das Mittagessen gar kocht. Ich gehe<br />

ins Schlafzimmer, einer der Räume, in denen der Alte wohl nur seine Tobsucht<br />

ausgelebt hat. Ich öffne eine Schranktür. Großmutters grüne Gartenschürze,<br />

eine graue Windjacke, ein Kopftuch, ein durchsichtiges Regencape, braune,<br />

übereinander gelegte Hosen. In den Schubladen darunter fünf Hornbrillen,<br />

hölzerne Wäscheklammern, eine Zigarrenkiste, Schallplatten und eine<br />

Postkarte mit gemaltem Loreleimotiv. Zwei Plastikblüten eines<br />

<strong>Kunst</strong>blumenstraußes liegen noch auf dem roten Teppich; die Großmutter hat<br />

sie beim Aufräumen sicher übersehen. Was der Alte hier in diesem Schrank<br />

gesucht hat, kann ich mir nicht erklären. Ich schüttele den Kopf, schließe Tür<br />

und Lade.<br />

Die Großmutter rührt mit einem Aluminiumlöffel in den Kartoffeln herum; dabei<br />

nickt sie leicht mit dem Kopf. Ich betrachte sie durch den Türspalt und frage<br />

mich plötzlich, ob ich sie auf der Straße überhaupt erkennen würde, käme sie<br />

mir über den Weg gelaufen.<br />

„Er muss sehr wütend gewesen sein“, sage ich durch die Tür hindurch und<br />

schaue, ob sie den Kopf hebt. Doch sie glotzt nur in den Topf und antwortet<br />

mir nach einer Weile laut: „Ja, vielleicht. Wirst sehen, der kommt doch eh<br />

gleich wieder.“<br />

Sicher tut er das, denke ich. Zumindest glaube ich das, denn eigentlich ist mir<br />

der Alte immer irgendwie unbekannt geblieben. Der Alte. Mein Vater nennt ihn<br />

seit seiner Kindheit so, alle aus meiner Familie haben das übernommen.<br />

Großmutter ist die Großmutter, aber Großvater ist eben der Alte. Unheimlich<br />

ist er mir schon immer gewesen. Den Tag über sitzt er in seinem Zimmer<br />

herum, bei dem großen Vogelkäfig. Ich kenne ihn nur mit dem hinkenden Bein<br />

und dem Husten, der lauter wird und durch die Wohnung hallt, wenn der Alte<br />

sich zum Essen in die Küche aufmacht.

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