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Was Sie wissen sollten - Henseler & Partner

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DER RECHTSFALL AUS DEM STAHLHANDEL (FEBRUAR 2002)<br />

„Abruf II“<br />

Verträge auf Abruf spielen im Stahlvertrieb eine bedeutende Rolle. Vor genau zwei<br />

Jahren berichtete Stahlreport schon einmal von einem solchen „Abruffall“ (daher die<br />

„II“). Also: Auf ein Neues! Rechtsanwalt Peter <strong>Henseler</strong> hat diesen Fall für <strong>Sie</strong><br />

„abgerufen“.<br />

Stahl & Co steht in ständigen Geschäftsbeziehungen zu der Norma GmbH in Essen, die<br />

einen kontinuierlichen Bedarf an Spaltband hat. Mit Schreiben vom 8.3.2000 bot sie der<br />

Norma GmbH 500 to feuerverzinktes Spaltband der Güte EEPO2 G Z 210 NA gemäß DIN<br />

EN 10142/10143, normale Blume, chromatiert, ungefettet/ trocken mit einem<br />

Ringinnendurchmesser 508/610 in einer Stärke von 500 mm zum Preise von 1.250 DM/to<br />

an.<br />

Da die Norma GmbH nicht die gesamte Menge auf einmal benötigte, kam man überein, dass<br />

sie sie nach Bedarf bei Stahl & Co abrufen und jeden Abruf gesondert bezahlen sollte. Mit<br />

dieser Maßgabe nahm die Norma GmbH das Angebot von Stahl & Co mit Schreiben vom<br />

9.3.2000 an.<br />

Stahl & Co bestätigte daraufhin ihren Kaufvertrag mit der argentinischen Vorlieferantin und<br />

lagerte die 500 to nach deren Ankunft in Antwerpen ein.<br />

In der Folgezeit rief Norma 285 to ab und bezahlte sie. Zum Abruf der restlichen 215 to war<br />

sie nicht bereit, weil sie – wie sie es in einem Schreiben an Stahl & Co begründete – den<br />

Abschluss vom März 2000 wegen preislicher Veränderungen auf dem Stahlmarkt als<br />

unvorteilhaft bewertete. Es kam daraufhin zu einem Gespräch am 31.10.2000 zwischen den<br />

beiden Prokuristen der Parteien, Hinz und Kunz, dessen Inhalt jedoch beide Herren<br />

unterschiedlich darstellen: Während Kunz meint, bei diesem Gespräch sei vereinbart<br />

worden, dass Stahl & Co auf weitere Ansprüche aus dem Vertrag vom März 2000 im<br />

Interesse einer vorteilhaften Weiterentwicklung der Geschäftsbeziehungen verzichtet und der<br />

Norma GmbH ein Angebot über die Lieferung von Spaltband zu einem geringeren Preis<br />

angekündigt habe, streitet dies Hinz ab: Kunz’ Ansinnen, den Vertrag vom März 2000 der<br />

aktuellen Preisentwicklung anzupassen, habe er abgelehnt.<br />

Kurz und schlecht: Die Norma GmbH nahm auch nach diesem Gespräch nichts mehr aus<br />

den in Antwerpen lagernden Mengen ab, sodass sich Stahl & Co schließlich genötigt sah,<br />

anwaltliche und gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der entsprechenden Klage auf<br />

Zahlung von 311.750 DM (einschließlich 16 % MwSt) – Zug um Zug gegen Aushändigung<br />

der Restmenge – hält Norma entgegen, absehen von Stahl & Co’s Verzicht sei der<br />

eingeklagte Kaufpreis noch nicht fällig, weil der Vertrag vom März 2000 keine Abruffristen<br />

vorsehe und Norma aus den restlichen 215 to ja noch nichts abgerufen habe.<br />

Wie ist der Rechtsstreit wohl ausgegangen<br />

Das Gericht musste sich mit zwei Fragen befassen:<br />

1. Hatte Stahl & Co (vertreten durch Herrn Hinz) am 31.10.2000 auf weitere Abrufe<br />

verzichtet<br />

2. Stand die fehlende Absprache zu den Abrufterminen der Fälligkeit des Kaufpreises<br />

entgegen<br />

Zur 1. Frage hörte das Gericht die Herren Hinz und Kunz als Zeugen. Kunz bestätigte in der<br />

Beweisaufnahme, Hinz habe in dem Gespräch am 31.10.2000 verzichtet. Er (Hinz) habe<br />

erklärt, Stahl & Co wolle die Norma GmbH nicht länger an der Vereinbarung vom März 2000


festhalten lassen, weil auf Grund der veränderten Marktverhältnisse ein Preis von 1.250<br />

DM/to nicht mehr angemessen, sondern für Norma unzumutbar sei. Demgegenüber gab<br />

Hinz zu Protokoll, er habe in dem fraglichen Gespräch wiederholt betont, er bestehe auf der<br />

Erfüllung des Vertrages und der Preis sei nichts verhandelbar; nur für Folgeaufträge könne<br />

er einen niedrigeren Preis anbieten.<br />

Das Gericht folgte der Aussage des Herrn Hinz: für sie spreche die „größere<br />

Lebenswahrscheinlichkeit“; denn Stahl & Co habe im Oktober 2000 keinen<br />

„nachvollziehbaren Anlass“ gehabt, ohne entsprechende Gegenleistungen auf<br />

Kaufpreisansprüche von (netto) 270.000 DM zu verzichten, zumal sie mit Sicherheit keinen<br />

Ersatzkäufer gefunden hätte, der ihr das bereits gekaufte Material zu dem vereinbarten Preis<br />

abgekauft hätte.<br />

Zur 2. Frage stellte das Gericht fest, dass im März 2000 zwar keine Abruftermine und<br />

Höchstfristen festgelegt worden seien. Dies habe aber nicht zur Folge, dass es im Belieben<br />

der Norma GmbH gestanden habe, ob sie die bestellten Mengen überhaupt abrufe. Vielmehr<br />

sei bei einer solchen Ausgangslage davon auszugehen, dass Norma den Zeitpunkt der<br />

Abrufe nach billigem Ermessen vorzunehmen hatte. Diese Ermessensgrenze habe sie<br />

überschritten. Zwar habe sie die Abruftermine entsprechend ihren Produktionsbedürfnissen<br />

ausgestalten dürfen. „Die Grenze des für den Vertragspartner Hinzunehmenden ist jedoch<br />

überschritten, wenn die Beklagte – wie hier – weitere Abrufe davon abhängig machen will, ob<br />

und wann der im März 2000 vereinbarte Kaufpreis für sie wirtschaftlich vorteilhaft ist. Ein<br />

solcher Ermessensgebrauch ist fehlerhaft, weil er darauf abzielt, das wirtschaftliche Risiko<br />

einer angemessenen Preisgestaltung auf die Klägerin abzuwälzen.“<br />

Fazit:<br />

Mit Urteil vom 14.10.2001 (Az. 44 0 87/01) sprach das Landgericht Essen Stahl & Co die<br />

Kaufpreisforderung zuzüglich Zinsen zu.<br />

<strong>Was</strong> <strong>Sie</strong> <strong>wissen</strong> <strong>sollten</strong>:<br />

1. Ein Abrufgeschäft ist ein Vertrag über die Lieferung einer bestimmten Menge zu einem<br />

bestimmten Preis, wobei dem Käufer die Bestimmung über die Leistungszeit<br />

(Abholung/Anlieferung) überlassen ist.<br />

2. Sind bei einem Abrufgeschäft feste Abruffristen vereinbart, so wird die Lieferung mit<br />

Erreichen der jeweiligen Frist ohne weiteres fällig. Hat sich also der Verkäufer zu Anlieferung<br />

der Ware beim Käufer verpflichtet, muss er am Abruftermin die Ware dorthin liefern. Hat sich<br />

der Käufer zur Abholung verpflichtet, muss die Ware für ihn am Abholort bereit liegen.<br />

3. Ist bei einem Abrufgeschäft keine Frist für die einzelnen Abrufe vereinbart, so muss in<br />

angemessener Zeit abgerufen werden. Das gilt auch bei der Klausel „Kauf auf Abruf nach<br />

Bedarf“. Die Länge der Abrufzeit bestimmt sich nach Treu und Glauben unter<br />

Berücksichtigung etwaiger Handelsübung (z.B. beim Betonstahl nach Baufortschritt).<br />

4. Ruft der Käufer bei Fälligkeit nicht ab, kann der Verkäufer bei festen Abrufterminen die<br />

betreffende Forderung fällig stellen und berechnen. Bei einem Abrufgeschäft ohne feste<br />

Fristen muss er den Termin „nach Billigkeit“ selbst bestimmen, dann ebenfalls die Forderung<br />

fällig stellen und berechnen (OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 16.9.1980, DB 1981, S. 471).<br />

5. Ruft der Käufer dann immer noch nicht ab, kann der Verkäufer die Forderung(en)<br />

entweder – Zug um Zug gegen Zurverfügungstellen des Materials – einklagen oder aber vom<br />

Vertrag zurücktreten und – nach erfolglosem Ablauf einer angemessenen Nachfrist – nach §<br />

281 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen. In dem meisten Fällen wird


sein Schaden darin bestehen, dass er die nicht abgerufene Ware zu einem niedrigeren Preis<br />

hat veräußern müssen (Deckungsverkauf). Dann steht ihm die Differenz zwischen dem Preis<br />

des Deckungsverkaufs und dem ursprünglich vereinbarten Preis zu.<br />

________________________________________________________________________________<br />

veröffentlicht im Stahlreport 02/02<br />

© RA Peter <strong>Henseler</strong>, c/o Anwaltssozietät <strong>Henseler</strong>, Nusser & <strong>Partner</strong>, Düsseldorf 2002

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