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S Doppelte Integration durch MiBoCap - Integrierte Gesamtschule ...

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Bericht<br />

Brückenbauer zwischen den Kulturen<br />

<strong>Doppelte</strong> <strong>Integration</strong><br />

<strong>durch</strong> <strong>MiBoCap</strong><br />

Annette Kellinghaus-<br />

Klingberg und Ibrahim<br />

Turhan helfen mit ihrem<br />

Kölner Projekt <strong>MiBoCap</strong><br />

jungen MigrantInnen mit<br />

einer Behinderung, den<br />

Übergang von der Schule<br />

in die Arbeitswelt zu<br />

finden. Besonders wichtig<br />

ist es ihnen dabei den<br />

kulturellen Hintergrund<br />

der Familien zu berücksichtigen.<br />

Annette<br />

Kellinghaus-<br />

Klingberg<br />

engagiert sich<br />

für die Berufsvorbereitung<br />

behinderter<br />

SchülerInnen.<br />

S<br />

ie weiß genau, wie schwierig es ist, behinderten Jugendlichen<br />

mit Migrationshintergrund (Einwanderer-Familien) Motivation<br />

und Selbstvertrauen zu vermitteln, ihnen zu zeigen, dass sie vieles<br />

allein können. Die Diplom-Sozialpädagogin Annette Kellinghaus-<br />

Klingberg hat selbst eine schwere Behinderung (Glasknochen).<br />

Seit zehn Jahren arbeitet sie an der Integrativen <strong>Gesamtschule</strong><br />

Köln-Holweide (IGS Holweide) zum Schwerpunkt Berufsvorbereitung<br />

und -orientierung, um behinderte SchülerInnen in den<br />

Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dass der Übergang von der Schule in<br />

den Beruf hier so gut gelingt, liegt nicht zuletzt daran, dass die engagierte<br />

Rollstuhlfahrerin die SchülerInnen als Betroffene beraten<br />

kann. Sie lebt den Kindern und Jugendlichen praktisch vor, was alles<br />

mit einer Behinderung möglich ist. Das ist ein Riesenvorteil.<br />

20<br />

B-Kids 2/10


Bericht<br />

Insgesamt lernen an der IGS Holweide etwa<br />

1 800 Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft<br />

aus vielen Kulturen. Etwa 180 von ihnen<br />

haben sonderpädagogischen Förderbedarf,<br />

25 Prozent davon kommen aus anderen Kulturen.<br />

Das erschwert die Vermittlung in den<br />

Arbeitsmarkt erheblich. Denn Migranten mit<br />

Behinderung haben häufig Defizite, fühlen<br />

sich stark verunsichert und versuchen, ihre<br />

Probleme zu verbergen. Die Familien dieser<br />

Jugendlichen stehen unter einer Doppelbelastung,<br />

was nach den Erfahrungen von Annette<br />

Kellinghaus-Klingberg oft kaum zu bewältigen<br />

ist. Sie müssen sich einerseits mit der Situation<br />

der Migration auseinandersetzen, andererseits<br />

müssen sie sich zusätzlich um ein behindertes<br />

Kind kümmern. Zumal es schwer für sie ist, die<br />

Behinderung ihres Kindes überhaupt zu akzeptieren<br />

– besonders eine Lernbehinderung<br />

wollen sie oft nicht wahrhaben. Häufig trauen<br />

sie sich nicht, ihre Bedürfnisse zu äußern und<br />

das Hilfesystem, das in Deutschland existiert,<br />

ist ihnen nicht bekannt. Viele beantragen deshalb<br />

nicht einmal einen Behindertenausweis.<br />

Hinzu kommt oft die sprachliche Barriere,<br />

die auch Kellinghaus-Klingberg nicht nehmen<br />

kann. Etwa die Hälfte der Eltern hat sehr<br />

schlechte Deutschkenntnisse. Die Sozialpädagogin<br />

ist sich sicher, dass <strong>Integration</strong> nur<br />

Diplom-Sozialpädagoge<br />

Ibrahim<br />

Turhan findet Zugang<br />

zu den Migranten-<br />

Familien.<br />

dann gelingen kann, wenn die Unterstützung<br />

bei der Berufsorientierung schon früh gefördert<br />

wird und wenn man einen Zugang zu<br />

den kulturellen Hintergründen der einzelnen<br />

SchülerInnen findet.<br />

Thema Migration und<br />

Behinderung<br />

Im Schuljahr 2007/08 absolvierte der Diplom-<br />

Sozialpädagoge Ibrahim Turhan sein Anerkennungsjahr<br />

an der IGS Holweide. Sein Arbeitsschwerpunkt<br />

lag in der Berufsorientierung für<br />

Schüler mit Behinderung<br />

und Migrationshintergrund.<br />

Kellinghaus-Klingberg<br />

erkannte die Chance:<br />

Turhan ist Türke und<br />

70 Prozent der Förderschüler<br />

mit Migrationshintergrund<br />

kommen aus der<br />

Türkei. Gemeinsam<br />

entwickelten beide<br />

die Idee, ein Projekt<br />

ins Leben zu rufen,<br />

das auf die besonderen<br />

Anforderungen<br />

der SchülerInnen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

und Behinderung<br />

reagiert.<br />

Denn die üblichen<br />

Beratungskonzepte<br />

reichten für diese<br />

Arbeit nicht aus. „Es ist wichtig, die Familien<br />

so anzusprechen, dass Hemmungen und<br />

Schamgefühle überwunden werden können.<br />

Behinderte Kinder werden bisweilen als Strafe<br />

für etwas betrachtet, das von Allah gewollt<br />

ist“, erzählt Turhan. „Solche Kinder werden<br />

in manchen Kulturen eher verheimlicht und<br />

verschwiegen.“ Wenn diese Kinder dann in<br />

der Schule <strong>durch</strong> ungewöhnliches Verhalten<br />

auffallen, nimmt Turhan Kontakt zu den Eltern<br />

auf. Denn Menschen aus dem gleichen<br />

Kulturkreis haben einen besseren Zugang zueinander.<br />

Wenn die Eltern nicht in die Schule<br />

kommen, besucht der Sozialpädagoge sie zu<br />

Hause. So oft, bis schließlich offen über alle<br />

Probleme gesprochen werden kann. Und bis<br />

Gemeinsam entwickelten<br />

beide<br />

die Idee, ein Projekt<br />

ins Leben zu<br />

rufen, das auf die<br />

besonderen Anforderungen<br />

der<br />

SchülerInnen mit<br />

Migrationshintergrund<br />

und Behinderung<br />

reagiert.<br />

B-Kids 2/10<br />

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Bericht<br />

spezifischen interkulturellen sozialpädagogischen<br />

Ansatz. ISS verfügt über das Knowhow<br />

in der Migrantenarbeit, es bietet u. a.<br />

Hilfen zur Erziehung, Betreuung sowie Begleitung<br />

für Familien, Kinder und Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund und kann im Bedarfsfall<br />

30 Sprachen bedienen. Ibrahim Turhan<br />

wurde beim ISS für das Projekt <strong>MiBoCap</strong> fest<br />

angestellt.<br />

Die junge<br />

Rollstuhlfahrerin<br />

Kiraz absolviert z.Z.<br />

ein einjähriges<br />

Praktikum bei<br />

<strong>MiBoCap</strong>.<br />

die behinderte Kollegin als Vorbild dazukommen<br />

und Maßnahmen vorschlagen kann.<br />

Auf diese Weise waren Eltern plötzlich bereit,<br />

ihre Kinder nach der Schule in geeignete Fördermaßnahmen<br />

zu geben, und traten sogar auf<br />

Elternabenden in Erscheinung. Schnell wurde<br />

klar: Es wird ein Projekt zum Thema Migration<br />

und Behinderung gebraucht, bei dem ein Mitarbeiter<br />

aus einer der Herkunftskulturen der<br />

Familien gleichberechtigt beschäftigt ist.<br />

Der Träger des Projekts<br />

Das Konzept zu diesem Projekt wurde in Kooperation<br />

mit dem Netzwerk ISS gGmbH<br />

entwickelt (Interkultureller Sozialer Service).<br />

Im Februar 2009 wurde <strong>MiBoCap</strong> (Migration<br />

und Berufsorientierung mit Handicap)<br />

als Xenos-Projekt gestartet. Das Bundesprogramm<br />

XENOS integriert Aktivitäten gegen<br />

Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und<br />

Rechtsextremismus in arbeitsmarktbezogene<br />

Maßnahmen an der Schnittstelle zwischen<br />

(Berufs-)Schule, Ausbildung und Arbeitswelt.<br />

Abgeleitet vom altgriechischen xénos - der<br />

Fremde, der Gastfreund – steht der Name des<br />

Programms für Toleranz und Weltoffenheit.<br />

Auch das LVR-<strong>Integration</strong>samt fördert <strong>durch</strong><br />

das Projekt.<br />

Als interkulturelles Zentrum arbeitet das ISS-<br />

Netzwerk seit mehreren Jahren mit einem<br />

„Wir sind ein ideales Gespann für diese Arbeit“,<br />

erzählt Kellinghaus-Klingberg. Turhan bringt<br />

die Sprach- und Kulturkompetenz mit, die die<br />

Türen bei Eltern öffnet, Vertrauen weckt und<br />

letztendlich den Weg freimacht für Lebensverbesserungen,<br />

die nicht nur den Kindern<br />

zugute kommen, sondern der gesamten Familie.<br />

Sie selbst begleitet die Schüler nach dem<br />

Peer-Counseling-Prinzip (Betroffene beraten<br />

Betroffene), fördert vorhandene Stärken und<br />

vermittelt zusätzliche Kompetenzen. „Die<br />

Jugendlichen müssen ihre Behinderung zunächst<br />

verarbeiten, Menschen in ähnlichen<br />

Situationen kennen lernen und sich ihrer eigenen<br />

Bedürfnisse und Wünsche bewusst<br />

werden“, weiß Kellinghaus-Klingberg. Das sind<br />

ihrer Meinung nach die Voraussetzungen für<br />

ein selbstbestimmtes Leben. Zusammen ist es<br />

den beiden Sozialpädagogen so möglich, die<br />

SchülerInnen individuell zu unterstützen.<br />

Perspektiven<br />

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Beratung<br />

von 20 Förderschülern der achten bis<br />

zehnten Klassen. Ziel ist es, diese SchülerInnen<br />

mit ihren unterschiedlichen Behinderungen in<br />

Praktika auf den ersten, zweiten und dritten<br />

Arbeitsmarkt zu vermitteln und den Übergang<br />

von der Schule in den Beruf/Arbeit zu begleiten<br />

und zu fördern.<br />

Dabei ist es zum einen wichtig, mit außerschulischen<br />

Kooperationspartnern wie zum Beispiel<br />

dem Zentrum Selbstbestimmtes Leben,<br />

der Lebenshilfe sowie mit Ärzten und Psychologen<br />

zusammenzuarbeiten.<br />

Zum anderen muss das Netzwerk mit internationalen<br />

Unternehmen aus dem Stadtbezirk<br />

und der Bildungsregion Köln weiter ausgebaut<br />

werden. Viele ausländische Betriebe, die<br />

es mittlerweile in Köln gibt und die als spätere<br />

Ausbildungsbetriebe bzw. Arbeitgeber für die<br />

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B-Kids 2/10


Bericht<br />

Jugendlichen in Frage kommen, bilden immer<br />

noch nicht aus. Sie sollen darüber aufgeklärt<br />

und beraten werden, welche Fördermaßnahmen<br />

es für die Beschäftigung von Menschen<br />

mit Behinderung gibt.<br />

Die bisherigen Ergebnisse des Projektes zeigen,<br />

dass behinderte Jugendliche mit Migrationshintergrund<br />

<strong>durch</strong> <strong>MiBoCap</strong> gute Perspektiven<br />

haben, den Übergang von der Schule ins<br />

Arbeitsleben zu meistern. Die Mitarbeiter des<br />

Projektes hoffen nun, dass sie auch nach dem<br />

vorläufigen Ende des Projektes im Januar 2012<br />

das Projekt weiterführen können. Dass der<br />

Landschaftsverband Rheinland sagt: So etwas<br />

brauchen wir. Dann wäre die weitere Finanzierung<br />

gesichert.<br />

Immerhin hat das Projekt bei der Verleihung<br />

des „Kölner Innovationspreis Behindertenpolitik<br />

2008“ den zweiten Platz belegt. Der<br />

damalige Oberbürgermeister von Köln, Fritz<br />

Schramma, betonte in seiner Rede zur Preisverleihung,<br />

warum ihm diese Preisverleihung<br />

so wichtig sei: „Behinderung ruft nicht nach<br />

Mitleid, Behinderung braucht partnerschaft-<br />

Ergebnisse des<br />

Projektes zeigen,<br />

dass behinderte<br />

Jugendliche mit<br />

Migrationshintergrund<br />

<strong>durch</strong> MiBo-<br />

Cap gute Perspektiven<br />

haben, den<br />

Übergang von der<br />

Schule ins Arbeitsleben<br />

zu meistern.<br />

liche Anerkennung. Braucht Diskussionen<br />

in der Öffentlichkeit. Braucht viel Unterstützung.“<br />

Text: Ulrike Talmann<br />

Fotos: privat<br />

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Anz HumanisVerlag_210x99_4C_2009:Schuchmann 30.04.2009 9:05 Uhr Seite 1<br />

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