zum Bericht - Nils Holger Moormann
zum Bericht - Nils Holger Moormann
zum Bericht - Nils Holger Moormann
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156 Design<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT<br />
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
Eine Liebeserklärung<br />
an das Design<br />
„Schön ...<br />
Design 157
... hat er‘s hier!“Jochen Flacke steht vor dem Atelier<br />
von <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong> und blickt<br />
sich bewundernd um. Der historische<br />
Reitstall, in dem Kollege <strong>Moormann</strong><br />
und sein Designteam beheimatet sind,<br />
ist liebevoll saniert. An dem kleinen<br />
Dorfplatz stehen zudem ein<br />
pittoresker Uhrturm und eine Festhalle,<br />
beide wirken ebenfalls wie aus dem Ei<br />
gepellt. Über allem thront das Schloss<br />
Hohenaschau an einem bewaldeten<br />
Hang, und der Chiemsee ist nur einen<br />
Steinwurf entfernt. Das malerische<br />
Dorf Aschau zeigt sich an einem strahlend<br />
schönen Spätsommertag von<br />
seiner besten Seite.<br />
Doch Jochen Flacke ist kein Tourist.<br />
Jochen Flacke ist Möbeldesigner.<br />
Einer der anerkanntesten Entwickler in<br />
der deutschen Möbelindustrie. Und er<br />
ist der Einladung des MÖBELMARKT<br />
gefolgt, sich mit <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong><br />
über Design auszutauschen. Beide<br />
machen Ähnliches: Sie entwerfen und<br />
entwickeln Möbel. Doch beide könnten<br />
unterschiedlicher nicht sein.<br />
Flacke, auf der einen Seite, entwickelt<br />
Möbel für den breiten Markt, Schlafzimmerschränke<br />
für preisaggressive<br />
Volumenanbieter genau wie für exklusive<br />
Serienfertiger. <strong>Moormann</strong> hingegen, der Autodidakt unter den deutschen Möblern, lässt auf<br />
eigene Rechnung fertigen. Er entwirft, lässt bauen und vertreibt. „Flacke trifft <strong>Moormann</strong>“ und mit<br />
den MÖBELMARKT-Redakteuren Silke Forner und Arnd Schwarze diskutieren sie über Design,<br />
158 Design<br />
gutes und schlechtes.<br />
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
Der eine, Flacke, muss sich klaren Vorgaben<br />
des Marktes unterwerfen - oder dem, was seine<br />
Auftraggeber dafür halten. <strong>Moormann</strong> ist<br />
freier, er „darf auch mal Spinnen“, wie er<br />
selber sagt. Trotzdem, der Erfahrungshorizont<br />
ist ähnlich, beide haben Höhen und Tiefen in<br />
ihrer Karriere erlebt, mussten durch schwierige<br />
Anfänge und Schicksalsschläge verkraften.<br />
Heute sind sie erfolgreich, gut im Geschäft,<br />
wie man so sagt. Und Design ist ihre<br />
gemeinsame Sprache.<br />
Über eine knarrende Treppe geht es in den<br />
ersten Stock des historischen Gemäuers,<br />
entspannte Geschäftigkeit herrscht im Atelier<br />
von <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong>, Menschen telefonieren,<br />
stecken die Köpfe zusammen und<br />
wuseln durcheinander. Aber immer mit einem<br />
Lächeln: „Der Chef kommt gleich“, heißt es.<br />
Und dann ist es soweit, Jochen Flacke und<br />
<strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong> stehen sich <strong>zum</strong> ersten<br />
Mal gegenüber. Ein fester Händedruck, ein<br />
kurzes Beschnuppern - und noch bevor<br />
die begleitenden Journalisten ihre Blöcke<br />
bereitlegen, das Aufnahmegerät starten<br />
können, sind sie schon mittendrin. Flacke ist<br />
begeistert von der Atmosphäre in dem historischen<br />
Ambiente, in dem so moderne Möbel<br />
entstehen.<br />
Jochen Flacke: Ich habe auch einmal so ein<br />
altes Gebäude gekauft, weil ich diesen<br />
Charme liebe. Als junger Mensch habe ich<br />
das natürlich nicht so erschließen können, da<br />
wäre das einfach eine alte Bude. Aber je älter<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
<strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong>:<br />
„Das ist total<br />
anders und<br />
trotzdem genau<br />
dasselbe.“<br />
160 Design<br />
ich geworden bin, umso mehr habe ich das Feeling<br />
dafür bekommen, diese Freude daran - an so<br />
einer alten Wohnung, so einer knarrenden Treppe.<br />
Sowas kann man gezielt gar nicht bauen...<br />
<strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong>: Die haben halt damals<br />
schon gewusst, wie es geht. Sie haben es nur<br />
nicht so schnell machen können. Heute kann<br />
man natürlich viel schneller bauen, einfach den<br />
Entwurf mal schnell am Computer hoch skalieren<br />
und schon schaut der Raum ganz anders aus.<br />
Flacke: Ja, die hatten früher bei solchen Vorhaben<br />
gleich zwei Handycaps - sie konnten nicht<br />
so schnell bauen und sie wurden halt nicht so alt.<br />
<strong>Moormann</strong>: Wir haben hier ja noch ein Gästehaus,<br />
die „Berge“, das wir auch selbst geplant<br />
haben. Da gab es Fenstersituationen, die haben<br />
wir dreimal gemacht. Erst war es zu groß, dann<br />
war es zu klein. Die Handwerker haben natürlich<br />
gesagt, sie würden das auch zehnmal machen,<br />
wenn wir es bezahlen. So ein Vorgehen könnte<br />
man einem Bauherren gar nicht vermitteln. Aber<br />
wenn man selbst der Bauherr ist...<br />
Flacke: Das ist ja in der Industrie dasselbe. Wenn<br />
man heute einen Entwurf vorlegt, der nicht passt<br />
und er dann auch beim zweiten Anlauf<br />
immer noch nicht passt, dann war es das in der<br />
Regel, eine dritte Chance bekommt man heute<br />
Was kann Design? Diese Frage diskutiert MÖBEL-<br />
MARKT Redakteurin Silke Forner mit Jochen<br />
Flacke (rechts) und <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong>.<br />
Fotos: Schwarze, Forner<br />
nicht mehr, das ist im Laufe der Jahre schon<br />
schwieriger geworden, eindeutig.<br />
MM: Damit sind wir ja eigentlich schon genau<br />
beim Thema: Was ist gutes Design? Und was<br />
wird gutes Design in der Zukunft sein? Wie erleben<br />
Sie den Spagat zwischen innerer Überzeugung<br />
und äußeren Einflüssen in Ihrer<br />
täglichen Arbeit?<br />
<strong>Moormann</strong>: Wir haben beide den gleichen Job,<br />
aber trotzdem vollkommen andere Ablasskanäle.<br />
Das ist total anders aber eigentlich genau dasselbe.<br />
Für mich ist so ein Gespräch hier auch deswegen<br />
so spannend, weil ich solche Kunden, mit<br />
denen Jochen Flacke zusammen arbeitet,<br />
eigentlich gar nicht kenne. Man ist ja <strong>zum</strong>eist<br />
doch immer nur in seinem eigenen Dunstkreis<br />
unterwegs. Wenn er mir etwas erzählt, was ich<br />
gar nicht kenne, halte ich ihn zuerst vielleicht für<br />
verrückt. Aber irgendwann wird einem dann klar:<br />
So blöd ist das ja eigentlich gar nicht, vielleicht<br />
muss ich selber einfach mal ein wenig präziser<br />
denken.<br />
Flacke: Der Beruf hat eben diese Facetten und<br />
man lebt ja auch häufig gegen seine innere Überzeugung.<br />
Ich liebe schöne Dinge. Aber ich tue<br />
täglich auch Dinge, die gegen meine innere Überzeugung<br />
sind, entwerfe Möbel, die ich mir selber<br />
nichtmal in den Keller stellen würde.<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
<strong>Moormann</strong>: Da sind wir ein bisschen freier...<br />
Flacke: Das ist wohl wahr.<br />
<strong>Moormann</strong>: Es gibt ja noch einen gigantischen<br />
Unterschied zwischen uns. Wir hier sind ein inhabergeführtes<br />
Unternehmen. Ich mache alles<br />
gemeinsam mit meinen Mitarbeitern, aber wenn<br />
wir uns mal nicht einig sind, bin letztlich ich der,<br />
der entscheidet. Ich habe einfach mehr Möglichkeiten,<br />
mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.<br />
Denn letztlich muss irgendjemand am Ende ja<br />
eine Entscheidung treffen.<br />
Entscheidungen treffen und auch umsetzen, das<br />
ist die Freiheit, die sich <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong><br />
heraus nehmen kann. Aber natürlich gibt auch<br />
er zu, dass er nicht völlig frei von Zwängen<br />
ist, denn auch er benötigt einen Markt, benötigt<br />
Kunden, die seine Möbel an den Endkunden<br />
bringen.<br />
Aber er kann sich auf Kunden konzentrieren, die<br />
seine Idee von Design und seine Leidenschaft für<br />
das Besondere teilen. Und diese Leidenschaft ist<br />
es wohl auch die einen Designer zu besonderen<br />
Leistungen anspornt.<br />
So erinnert sich Jochen Flacke an seine Studienzeit,<br />
in der er auch die Gelegenheit hatte, die<br />
umstrittene Designikone Luigi Colani in seiner<br />
Werkstatt zu beobachten. Dort hat er gelernt,<br />
dass es sich lohnt, Widerstände zu überwinden<br />
und nicht auf Zweifler zu hören.<br />
162 Design<br />
Jochen Flacke:<br />
„Mir sagt heute<br />
kein Mensch<br />
mehr, dass etwas<br />
nicht geht!“<br />
Ein ganz neues Konzept: <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong><br />
erklärt Jochen Flacke und MÖBELMARKT<br />
Redakteur Arnd Schwarze den Prototyp eines<br />
Stuhls aus einem einzigen Stück Blech.<br />
<strong>Moormann</strong>: Schade bei Colani ist, dass er so<br />
politisch unkorrekt ist, sonst wäre er ein witziger<br />
Vogel. Aber er hat einfach Sachen gemacht, die<br />
man nicht machen kann.<br />
Flacke: Ja, das ist schade, denn eigentlich ist er<br />
ein begnadeter Mann. Wenn ich an Colanis Keramikserien<br />
für Villeroy & Boch aus den 70er Jahren<br />
denke, in diesen amorphen Formen. Da hat es<br />
bei Villeroy & Boch immer geheißen: „Diese<br />
Waschbecken kann man nicht machen, die verformen<br />
sich auf dem Weg <strong>zum</strong> Brennofen.“ Dann<br />
hat er sich eben mal acht Tage im Kittel an den<br />
Brennofen gestellt und hat ihnen bewiesen, dass<br />
es doch funktioniert. Natürlich war bei Colani<br />
nicht alles toll, es gab ja auch viele Diskussionen<br />
über ihn. Aber mir sagt kein Mensch mehr, dass<br />
etwas nicht geht!<br />
<strong>Moormann</strong>: Und da wären wir auch schon wieder<br />
beim Hauptthema. Es gibt ja für alles ganz<br />
viele Regeln. Bei uns kommt vor allem immer die<br />
goldene Schreinerregel ins Spiel: „Geht nicht!“<br />
Wenn ich das schon höre...da werde ich dann<br />
erst richtig wach und will es genau wissen und<br />
beweisen, dass es doch geht. In 99 Prozent der<br />
Fälle geht es dann zwar wirklich nicht, was ja<br />
auch klar ist, schließlich sind die erfahrenen<br />
Schreiner ja nicht doof und wissen auch, was sie<br />
tun. Und sonst wäre das ja auch keine „Goldene<br />
Regel“. Aber diesem einen Prozent hinterher zu<br />
jagen, darum geht es doch. Wir hängen mit den<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
Jochen Flacke:<br />
„Wir haben ganz<br />
enge Grenzen, in<br />
denen wir uns<br />
bewegen.“<br />
<strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong>:<br />
„Die größten<br />
Unfälle sind<br />
manchmal die<br />
größten Erfolge.“<br />
164 Design<br />
bekannten Materialien und Formen so<br />
fest, dass es manchmal schon langweilig<br />
wird. Wir müssten eigentlich<br />
Leuchtendesigner sein, die haben richtig<br />
Schwung! Die bekommen alle paar<br />
Jahre ein völlig neues Leuchtmittel und<br />
können dann so richtig loslegen mit<br />
neuen Ideen und Formen. Bei uns kam<br />
doch nach der MDF-Platte nichts Neues<br />
mehr.<br />
Flacke: Das ist wirklich so. Wir haben<br />
- wenn wir für die Industrie arbeiten -<br />
ganz enge Grenzen, in denen man sich<br />
bewegt, diktiert von der Fertigung und<br />
von Materialien. Da braucht man eben<br />
auch mal ein Ventil als Ausgleich. Ich<br />
habe auch schon Dinge gemacht, die<br />
verrückt waren.<br />
MM: Wie verrückt können Sie denn<br />
sein? In Ihrer täglichen Arbeit?<br />
Flacke: Gar nicht.<br />
MM: Gar nicht?<br />
Flacke: Nein, gar nicht. Es ist ja so,<br />
dass jeder Unternehmer seine Umsätze<br />
realisieren muss. Und da denkt man<br />
natürlich über den Möbeleinkäufer hinaus<br />
immer an den Endkunden, der die<br />
Möbel ja auch kaufen soll und vor Verrücktem<br />
schrecken wir da einfach zurück.<br />
Obwohl wir dem Endkunden<br />
manchmal vielleicht doch mehr Geschmack<br />
zutrauen und öfter mal die<br />
eingefahrenen Wege verlassen sollten.<br />
Denn es hat sich in der Vergangenheit<br />
ja auch schon viel verändert. Als ich<br />
mit dem Studium fertig war, gab es<br />
ausschließlich Wohnzimmerwände in<br />
Eiche P43 und sie waren 3 1/2 Meter<br />
breit und 2 1/2 Meter hoch. Da hab ich<br />
als Student manchmal schon gedacht:<br />
„Oh Gott, und das muss ich jetzt mein<br />
Leben lang machen?“<br />
MM: Hat Sie das nicht abgeschreckt?<br />
Flacke: Nein, natürlich nicht! Ich habe<br />
<strong>zum</strong> Glück gemerkt, dass man damit<br />
auch Geld verdienen kann, das einem<br />
die Freiheit gibt, neue Dinge zu entwickeln,<br />
die man nicht unbedingt verkaufen<br />
muss - und wenn man sie einfach<br />
nur selbst behält. Mir war es immer zu<br />
platt zu sagen, dass die Menschen<br />
Dinge eben so oder so wollen und<br />
nicht anders. Weil ich glaube, dass wir<br />
gar nicht wissen können, was die Menschen<br />
wollen und die Industrie kann es<br />
eigentlich auch nicht wissen, weil wir<br />
immer noch den vorgeschalteten Handel<br />
zwischen uns und dem Endkunden<br />
haben. Und dieser Handel hat inzwischen<br />
eine Marktdominanz entwickelt,<br />
mit der er kontrollieren kann, was entsteht<br />
und was letztlich <strong>zum</strong> Kunden<br />
gelangt.<br />
<strong>Moormann</strong>: Und genau da ist einer<br />
der ganz großen Fehler. Ich mache diesen<br />
Job inzwischen seit 30 Jahren und<br />
ich kann bis heute noch nicht sagen,<br />
welches Möbel ein Hit wird und welches<br />
nicht. Die größten Unfälle sind<br />
manchmal auch die größten Erfolge.<br />
Und oft gibt es Modelle, die so richtig<br />
vielversprechend anfangen, die der<br />
Handel begeistert ordert und für die ich<br />
großes Lob bekomme, weil die Händler<br />
meinen, dass sie damit sehr gute Geschäfte<br />
machen können. Von den Kollegen<br />
höre ich dann: „Mensch <strong>Moormann</strong>,<br />
Du bist der Größte, das steht ja<br />
überall!“ Ich kann dann nur antworten:<br />
„Richtig. Das STEHT überall, nur verkauft<br />
wird es nicht.“ Der Markt wird<br />
eben immer noch von dem gemacht,<br />
der ganz hinten in der Kette steht, der<br />
ein Möbel kauft und benutzt. Und das<br />
ist nun einmal der Endkunde. Da können<br />
wir uns im Vorfeld noch so viele<br />
Gedanken machen.<br />
MM: Also sind diese verkopften Marktstudien<br />
und Konzepte nur ein Anlocker,<br />
der die Menschen in den Handel<br />
bringt?<br />
Flacke: Naja, das ist schon ein Miteinander.<br />
Wir können ja jetzt auch nicht<br />
einfach drauf los entwerfen. Das wäre<br />
dann wie Lotto spielen. Man muss sich<br />
doch auch einige grundsätzliche Gedanken<br />
machen. Aber natürlich finde<br />
ich es auch spannend, dass der Markt<br />
sich letztendlich selber macht. Da entwickeln<br />
wir Produkte, die sind vernünftig,<br />
sehen gut aus, funktionieren, bei<br />
denen also alles stimmt - und im Verkauf<br />
gehen sie dann trotzdem nicht.<br />
Und dann gibt es wieder Produkte, die<br />
sind zwar eingängig, man würde vielleicht<br />
sagen, dass sie nett und witzig<br />
sind, aber niemals wirklich relevant<br />
werden. Und die werden dann aber gekauft.<br />
MM: Ist es dann eine größere Befriedigung,<br />
wenn sich etwas durchsetzt, von<br />
dem man es nicht gedacht hat oder<br />
von dem man es sich gedacht hat?<br />
<strong>Moormann</strong>: Natürlich wenn man es<br />
sich gedacht hat, dann hat man es ja<br />
vorher gewusst und alles richtig gemacht.<br />
Man muss sich da glaube ich<br />
eine hohe Demut und Gelassenheit bewahren<br />
und akzeptieren, wie die Dinge<br />
sind und wie der Markt entscheidet.<br />
Der Herr Flacke hat es da noch etwas<br />
schwerer. Wir in unserem Bereich arbeiten<br />
ja ein wenig nach dem Trial and<br />
Error Verfahren. Dieses Forschen, dieses<br />
Herantasten, dieses Zulassen, das<br />
gehört bei uns einfach dazu. Ich mag<br />
den Begriff Avantegarde-Design eigentlich<br />
nicht so gerne, weil das etwas<br />
abgehoben klingt, als wären wir etwas<br />
Besonderes. Wir sind genauso Malocher<br />
wie Herr Flacke und seine Leute.<br />
Aber es beschreibt es insofern vielleicht<br />
ganz gut, weil die Avantgarde<br />
diejenigen sind, die immer ein Stück<br />
voraus gehen und keiner weiß, was einen<br />
da eigentlich erwartet, während<br />
die Truppe ein paar Kilometer zurück<br />
bleibt und uns die Erfahrungen machen<br />
lässt. Das macht unheimlich viel<br />
Spaß - ist aber auch lebensgefährlich,<br />
weil es einfach keine festen, verbindlichen<br />
Regeln gibt. Man versucht eben<br />
und versucht immer weiter. Das können<br />
aber eigentlich nur kleine Einheiten,<br />
am besten inhabergeführte Unternehmen.<br />
Sobald hier zehn Leute am<br />
Tisch sitzen, beginnt das Gespräch zu<br />
erstarren. Da sagt dann der Marketingchef<br />
über ein Produkt: „Toll, aber das<br />
kann ich nicht umsetzen.“ Der nächste<br />
rechnet dir vor, dass es zu teuer wäre<br />
und wieder ein anderer erklärt einem,<br />
dass es technisch nicht geht.<br />
Ortswechsel. Zeit für einen kleinen<br />
Rundgang durch das Atelier, das früher<br />
einmal ein Pferdestall war. <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong><br />
<strong>Moormann</strong> führt seinen Gast durch die<br />
Räume, die so ganz anders sind, als<br />
man es sich von einem modernen Designbüro<br />
erwarten würde. Vorbei an<br />
Möbeln, die er gar nicht so gerne zeigen<br />
will, die eher gescheiterte Experimente<br />
waren, wie er zugibt. Und durch<br />
den Stall, der noch genauso aussieht<br />
wie vor 100 Jahren, nur dass in den<br />
einzelnen Boxen jetzt keine Pferde<br />
mehr stehen, sondern Betten und Regale,<br />
quasi der Showroom des Designers.<br />
Jochen Flacke ist aufmerksam.<br />
Sein Blick schweift hin und her, bleibt<br />
hängen an den Details. Und an Möbeln.<br />
Wie dem Kleiderschrank von<br />
<strong>Moormann</strong>, der so weit entfernt ist von<br />
seinen eigenen Entwürfen wie nur vorstellbar.<br />
Ein Kleiderschrank, der von<br />
vorne wie hinten exakt gleich aussieht,<br />
für den <strong>Moormann</strong> und sein Team ein<br />
eigenes Scharnier entwickeln mussten,<br />
damit diese Optik überhaupt umsetzbar<br />
war. Die Designer fachsimpeln,<br />
stecken die Köpfe zusammen, tauchen<br />
ganz tief ein in die Möbel. Der gegenseitige<br />
Respekt ist spürbar.<br />
MM: Herr <strong>Moormann</strong>, hätten Sie sich<br />
eigentlich vorstellen können, beruflich<br />
in dieselbe Richtung zu gehen wie Herr<br />
Flacke?<br />
<strong>Moormann</strong>: Als ich jung war sicher<br />
nicht. Ich konnte ja als Autodidakt<br />
spielerisch lernen. Bei dem was Herr<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT
Flacke macht benötigt man von Anfang<br />
an ein unglaubliches Fachwissen.<br />
Flacke: Aber neben dem Fachwissen<br />
muss auch die Leidenschaft da sein,<br />
am besten auf beiden Seiten. Die alte<br />
Inhabergeneration in der Industrie beispielsweise,<br />
die war von neuen Ideen<br />
einfacher zu begeistern, weil sie das<br />
Produkt genauso gelebt hat wie man<br />
selbst. Wie Karl Hüls. Der ist immer<br />
auch Handwerker geblieben, hat in seiner<br />
Werkstatt an den Entwürfen auch<br />
selber gearbeitet, wenn man mit ihm<br />
etwas entwickelt hat. Das geht heute<br />
mit Managern, die teilweise aus ganz<br />
anderen Branchen kommen, natürlich<br />
nicht mehr.<br />
<strong>Moormann</strong>: Ein gutes Produkt muss<br />
einfach Charakter haben, muss spalten<br />
und auch mal weh tun. Sein wir doch<br />
ehrlich, wenn wir Zwei heute auf einer<br />
beliebigen Möbelmesse über Nacht<br />
umdekorieren würden, also die Modelle<br />
einfach mal auf die Stände anderer<br />
Hersteller stellen, das würde doch heute<br />
kaum einer merken. Das war früher<br />
ganz anders.<br />
In einem Flur bleiben die beiden Designer<br />
stehen. Jochen Flacke blickt sich<br />
sichtlich beeindruckt um. Er steht vor<br />
der „Wall of Fame“ des Studios. Über<br />
mehrere Meter Breite ziehen sich<br />
Urkunden, Designpreise und andere<br />
Auszeichnungen an der einen Wand<br />
hoch, über die Decke und auf der<br />
anderen Seite wieder herunter. Preisgekrönte<br />
Entwürfe hat das Designbüro<br />
von <strong>Nils</strong> <strong>Holger</strong> <strong>Moormann</strong> ganz offensichtlich<br />
schon reichlich produziert.<br />
Doch der Vater des Erfolges bleibt<br />
gelassen. Schließlich seien das alles<br />
nur Momentaufnahmen, in den Jurys<br />
sitzen Kollegen, die Kollegen bewerten,<br />
mit dem wahren Leben habe das<br />
nicht viel zu tun. Und an die Kosten,<br />
so frotzelt er, die ein solcher Preis mit<br />
sich bringe, dürfe er erst gar nicht denken.<br />
Ein kleines Vermögen an Antrittsgeldern<br />
und Lizengebühren für Auszeichnungen<br />
hänge da an der Wand.<br />
Und die traurige Erfahrung habe ihn<br />
gelehrt, je mehr Preise ein Produkt<br />
gewinne, desto stärker könne er die<br />
Produktion zurück fahren. Was anderen<br />
Designern gefällt scheint der kommerzielle<br />
Tod für fast jedes Produkt<br />
zu sein.<br />
MM: Wo wir schon die ganzen Auszeichnungen<br />
für gutes Design vor uns<br />
haben - was ist eigentlich gutes Design?<br />
<strong>Moormann</strong>: Die Beantwortung dieser<br />
Frage verweigern wir!<br />
Flacke: Gutes Design ist, was mir gefällt!<br />
MM: Na gut, stellen wir die Frage anders.<br />
Was ist Design?<br />
<strong>Moormann</strong>: Beim Design sind vor allem<br />
auch die Vernunftbausteine wichtig,<br />
wie beispielsweise die Nachhaltigkeit<br />
– auch wenn ich es persönlich<br />
nicht mehr hören kann. Man muss für<br />
sich selbst eine Liste entwickeln, auf<br />
der man dann Punkt für Punkt bewer-<br />
ten und abhaken kann. Auf der anderen<br />
Seite darf man dabei aber auch<br />
nicht zu dogmatisch vorgehen.<br />
Mit meinem Lesesessel habe ich auch<br />
mal ein Produkt entwickelt, das eigentlich<br />
völliger Nonsense war und das<br />
mit einem Augenzwinkern mit allen<br />
Konventionen bricht. Dessen Funktion<br />
hauptsächlich darin bestand, gegen<br />
meine eigenen Rückenschmerzen<br />
anzukämpfen. Niemand hätte je damit<br />
gerechnet, dass er kommerziell funkti-<br />
Oben: Die Tüftlerwerkstatt im Atelier<br />
<strong>Moormann</strong> - hier erhält man nur mit<br />
guten Ideen Zutritt<br />
Unten: Der alte Pferdestall ist <strong>zum</strong><br />
Showroom umfunktioniert. Statt<br />
Reittieren wohnen hier nun Betten.<br />
onieren würde, doch das tut er.<br />
Flacke: Denken Sie an die Cassina<br />
Liege (Cassina LC4, Entwurf 1928 von<br />
Le Corbusier, Anmerkung. der Redaktion).<br />
Sie hat keine seitlichen Armlehnen,<br />
so dass man die Arme nirgendwo<br />
auflegen kann. Wirklich bequem ist<br />
das nicht und dennoch ein Design-<br />
klassiker.<br />
MM: Gilt das so oder so ähnlich auch<br />
für die Alessi Zitruspresse PSJS von<br />
Philippe Starck? Ebenfalls ein extrem<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT Design 165
Flacke<br />
trifft<br />
<strong>Moormann</strong><br />
populärer Entwurf, dem man Mängel in der Funktionalität<br />
nachsagt.<br />
<strong>Moormann</strong>: Ach, die ist doch skulptural betrachtet<br />
ein ganz tolles Thema. Sie dekoriert die Küche<br />
und ist inzwischen eine kleine Ikone. Wirklich nutzen<br />
tut sie niemand, aber sowas lasse ich gerne<br />
einmal zu, weil sie so radikal anders ist.<br />
Flacke: Ich habe auch so eine zu Hause, aber nie<br />
eine Zitrone damit ausgepresst. Meine Frau hat<br />
sie von Anfang an für eine Skulptur gehalten und<br />
jetzt sieht sie einfach nur gut aus, das ist doch<br />
auch schon mal was.<br />
<strong>Moormann</strong>: Den spielerischen Ansatz im Design<br />
muss man einfach auch mal zulassen, sonst kann<br />
doch nichts Neues entstehen. Jedes normale Industrieunternehmen<br />
hat eine Forschungs- und<br />
166 Design<br />
Entwicklungsabteilung, nur die Hersteller in unserer<br />
Branche haben das kaum. Das ist einfach<br />
schade...<br />
Flacke: Und das wird immer schlimmer. Früher<br />
gab es noch in jeder Fabrik Menschen, die Prototypen<br />
gebaut haben. Das ist heute zu teuer und<br />
mit CAD Programmen ist so viel möglich, da halten<br />
viele so etwas für überflüssig. Allerdings<br />
muss man auch zugeben, dass der Kostendruck<br />
in den letzten 50 Jahren unglaublich zugenommen<br />
hat. Man muss sich nur mal anschauen, wie<br />
viele Hersteller deswegen verschwunden sind.<br />
Und der Kostendruck steigt immer weiter.<br />
<strong>Moormann</strong>: Ich halte das für sehr gefährlich, weil<br />
es meiner Ansicht nach nicht reicht, nur gut zu<br />
sein, wenn man langfristig Erfolg haben will. Ein<br />
Flackes Entwürfe, wie hier das Modell „Kjub“ von Höltkemeyer, sind zeitgemäß, modern und in der Mitte<br />
des Marktes. Sie sprechen breite Kundenschichten an. Foto: Dieter Höltkemeyer Möbelfabrik<br />
Links: Wie sieht ein Stuhl in 50 Jahren aus?<br />
Die mit wenigen Bleistiftstrichen skizzierten<br />
Antworten machen den Design-Profis sichtlich<br />
Spaß.<br />
Unten: <strong>Moormann</strong>s Entwürfe sind sichtbar frei<br />
von Konventionen, was für Fans auch ihren<br />
Reiz ausmacht. Fotos: Atelier <strong>Moormann</strong><br />
Unternehmen muss besonders sein und Charakter<br />
haben, sonst ist es austauschbar. Manche<br />
Produkte sind nur ganz knapp zu früh am Markt<br />
und scheitern deswegen. Alles muss sich viel zu<br />
schnell drehen, solche Dinge verschwinden vom<br />
Markt, bevor man die Gelegenheit hatte sie weiter<br />
zu entwickeln. Aber wenn man nichts Neues<br />
mehr macht, dann ist man eigentlich schon tot.<br />
Ich finde das ganz furchtbar.<br />
Flacke: Ich möchte ja an meinem Lebensende ja<br />
nicht nur Sperrmüll produziert haben - also Produkte,<br />
die nach Gebrauch wieder weggeworfen<br />
werden - sondern Dinge, die bleiben. Dinge, die<br />
unser Leben bereichern und überdauern.<br />
<strong>Moormann</strong>: Und eines ist auch klar: Wenn das<br />
Produkt nicht das Wichtigste ist, dann haben wir<br />
etwas falsch gemacht.<br />
Zum Schluss bittet der MÖBELMARKT die<br />
beiden Designer noch um eine Idee. Eine Idee<br />
davon, wie ein Stuhl in 50 Jahren aussehen mag.<br />
Arbeitsmaterialien sind ein Bleistift und ein Blatt<br />
Papier. Und vielleicht zeigt sich hier auch wieder<br />
der unterschiedliche Ansatz von Flacke und<br />
<strong>Moormann</strong> in ihrer täglichen Arbeit.<br />
Während Jochen Flacke mit schwungvollen<br />
Strichen ein einladendes Sitzmöbel mit geschwungenen<br />
Formen und niedriger Sitzhöhe<br />
zu Papier bringt, zeichnet <strong>Moormann</strong> durchaus<br />
selbstironisch ein Piktogramm eines Stuhls aus<br />
drei Strichen: „Ein Stuhl ist ein Stuhl - und ein<br />
Arsch ist ein Arsch. Heute und in 50 Jahren.“<br />
Arnd Schwarze<br />
50 JAHRE<br />
MÖBELMARKT