Alles, was kreucht und fleucht - Docwarter.com
Alles, was kreucht und fleucht - Docwarter.com
Alles, was kreucht und fleucht - Docwarter.com
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
WOCHENENDE<br />
SAMSTAG, 21. APRIL 2012<br />
WOCHENENDE@SALZBURG.COM<br />
Käfer<br />
<strong>Alles</strong>, <strong>was</strong> <strong>kreucht</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>fleucht</strong><br />
Bild: SN/FOTOLIA<br />
TANJA WARTER<br />
Im Müsli, im Badesee oder im<br />
Gletschereis, Käfer kommen fast<br />
überall vor. Bis auf das Meer <strong>und</strong><br />
die Antarktis haben sie jeden<br />
Lebensraum erobert, keine andere<br />
Tiergruppe ist größer <strong>und</strong><br />
vielfältiger. Erst jetzt verstehen wir<br />
erste Details der ausgeklügelten<br />
Überlebensstrategien – <strong>und</strong><br />
kopieren sie.<br />
Jeden Morgen macht der Nebeltrinkerkäfer in der<br />
afrikanischen Namib-Wüste einen Kopfstand. Er hat<br />
Durst <strong>und</strong> das ist seine spezielle Art <strong>und</strong> Weise, an Flüssigkeit<br />
zu gelangen. An seinem kleinen schwarzen Körper<br />
lässt er das Wasser aus dem Nebel kondensieren. Die Tröpfchen<br />
fließen geradewegs hinunter in sein Maul. Diese Technik<br />
war Vorbild für jene Nebelnetze, die seit einigen Jahren in trockenen<br />
Regionen der Erde aufgestellt werden <strong>und</strong> zur Gewinnung<br />
von Trink<strong>was</strong>ser dienen.<br />
Der in Mitteleuropa heimische Bombardierkäfer ist mit einer<br />
einzigartigen Waffe ausgestattet. Droht Gefahr, kommt es in seinem<br />
Hinterleib zu einer Explosion, deren Knall deutlich hörbar<br />
ist. Der Käfer schleudert seinem Gegner ein 100 Grad Celsius heißes,<br />
ätzendes Gasgemisch entgegen. Die Wendigkeit des biologischen<br />
Schussapparats sichert den Trefferfolg, der Käfer kann sein<br />
Hinterteil in alle Richtungen biegen. Experten für Thermodynamik<br />
aus Großbritannien haben bereits versucht, eine ähnliche<br />
Brennkammer mit einem so perfekten Ventilsystem zu erzeugen.<br />
Doch die Vorgaben der Natur scheinen unerreichbar: Der Bombardierkäfer<br />
schafft 500 Dampfstrahlen pro Sek<strong>und</strong>e, die Bioniker<br />
mit Glück 15. Gelungen ist den Forschern aber ein Nachbau,<br />
mit dem sich die Tröpfchengröße kontrollieren lässt. Dieses inzwischen<br />
lizenzierte System könnte zukunftsweisend für ein effizienteres<br />
Einspritzverfahren für Verbrennungsmotoren<br />
sein oder zur Herstellung medizinischer Sprays<br />
dienen.<br />
Das Glühwürmchen – sein Name ist irreführend,<br />
denn es handelt sich um einen Käfer <strong>und</strong> keinen<br />
Wurm – stellt Techniker vor eine offenbar unlösbare<br />
Aufgabe. Für die Partnersuche erzeugt es Licht, das zwar<br />
extrem hell strahlt, dabei aber kaum Wärme abgibt. Der Wirkungsgrad<br />
liegt bei über 95 Prozent. Obwohl die Geheimnisse dieser<br />
Lichterzeugung längst entschlüsselt sind, schaffen wir es nicht annähernd,<br />
ein ähnlich gutes Leuchtmittel in den Elektrohandel zu<br />
bringen. Eine moderne LED-Lampe erreicht einen Wirkungsgrad<br />
von 45 Prozent, die alte Glühbirne gar nur fünf Prozent.<br />
Leider haben Käfer nicht nur Fähigkeiten, von denen wir et<strong>was</strong><br />
lernen können, sondern auch Eigenschaften, die der Mensch mit<br />
allen Mitteln zu bekämpfen versucht. Am Arbeitsplatz von Notburga<br />
Pfabigan sind ungewöhnliche Geräusche zu hören. Fast klingt es<br />
wie ein Schmatzen, das da aus der Schublade dringt. Ein Schmatzen,<br />
laut, genussvoll <strong>und</strong> ohne jeden Anstand. „Über dieses Geräusch<br />
w<strong>und</strong>ern sich unsere Besucher oft“, sagt die Biologin, die<br />
bei der Holzforschung Austria in Wien tätig ist. Doch wenn Notburga<br />
Pfabigan eine der Schubladen öffnet, in denen geschmatzt<br />
wird, sind nur Holzklötze zu sehen.<br />
Fortsetzung Seite II<br />
Gastautor<br />
Ob eine Gartenschere<br />
betet?<br />
Jochen<br />
Jung, mitten im<br />
Leben. Seite IV<br />
Porträt<br />
Die bunte Welt<br />
der Lifestyle-<br />
Pionierin Katarina<br />
Noever.<br />
Seite V<br />
Reportage<br />
Ein Oligarch<br />
<strong>und</strong> sein Imperium<br />
aus Stahl:<br />
Magnitogorsk.<br />
Seite VII<br />
Reisen<br />
Im arktischen<br />
Norden: Steife<br />
Brise <strong>und</strong><br />
Mythos pur.<br />
Seiten IX, X
II THEMA SAMSTAG, 21. APRIL 2012<br />
ZUM Inhalt<br />
Süße <strong>und</strong><br />
andere Käfer<br />
NORBERT LUBLASSER<br />
„Süßer Käfer“, so nannte man<br />
in Zeiten des Wirtschaftsw<strong>und</strong>ers<br />
politisch vollkommen<br />
inkorrekt liebreizende Damen<br />
jugendlichen Alters. Peter<br />
Alexander hat es sicher in<br />
einem seiner Filmen einer<br />
Angebeteten ins Ohr geflüstert.<br />
Süße Käfer gab es aber auch<br />
einst zum kulinarischen<br />
Verzehr: Noch bis Mitte des 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts, weiß Wikipedia,<br />
wurden in unseren Breiten<br />
Maikäfer kandiert oder gezuckert<br />
in Konditoreien angeboten.<br />
Oder auch geröstet in einer<br />
Suppe verarbeitet. Mittlerweile<br />
gibt es kaum mehr Maikäfer,<br />
die meisten fielen der chemischen<br />
Keule zum Opfer. Andere<br />
Käfer gedeihen prächtig, wie<br />
Tanja Warter weiß.<br />
Schönes Wochenende!<br />
Fortsetzung von Seite I<br />
Der Hausbock ist ein heimischer<br />
Käfer. Bevorzugt siedelt er sich in<br />
Dachstühlen <strong>und</strong> Holzhäusern<br />
an. Seine Larven sind gefräßig.<br />
Sie werden gut drei Zentimeter<br />
groß, sind dick <strong>und</strong> gelblich <strong>und</strong> fressen bis<br />
zu 2,5 Zentimeter große Löcher <strong>und</strong> Gänge<br />
in das Holz. Nicht gerade die besten Voraussetzungen<br />
für einen langlebigen Dachstuhl.<br />
Gegen einen Befall schützt eine vorbeugende<br />
Behandlung mit einem Holzschutzmittel.<br />
Solche Mittel testet die Holzforschung<br />
Austria <strong>und</strong> beherbergt dafür<br />
eine Hausbockzucht mit mehreren Tausend<br />
Tieren. Genormte Holzklötze werden<br />
mit den Präparaten behandelt <strong>und</strong> dann<br />
den Larven zum Fraß vorgesetzt. Ist das<br />
Holzschutzmittel wirksam, dann war es ihre<br />
Henkersmahlzeit.<br />
Damit hat Notburga Pfabigan kein Problem,<br />
obwohl sie, Chefin der größten Hausbockzucht<br />
Österreichs, Käfer eigentlich<br />
mag. „Alle Produkte, die auf den Markt<br />
kommen, müssen abtötende Wirkung haben“,<br />
erklärt sie. Ist die Substanz aber unwirksam,<br />
fressen sich die Larven fröhlich<br />
weiter durch den genormten Holzklotz.<br />
Dabei schmatzen sie.<br />
Noch viel mehr Käfer krabbeln im<br />
Dienst der Menschen im Keller der B<strong>und</strong>esanstalt<br />
für Materialforschung (BAM) in<br />
Berlin herum. Mit Holzwürmern (auch das<br />
sind Käfer) <strong>und</strong> Splintholzkäfern werden<br />
ähnliche Tests gemacht wie mit den Hausböcken<br />
in Wien. Aber nicht nur Holz wird<br />
von Käfern befallen. Auch Wollpullover,<br />
Teppiche <strong>und</strong> Kissen können von Larven<br />
zerlegt werden. Übeltäter in diesen Fällen:<br />
der Polsterwarenkäfer.<br />
„Alle relevanten Schädlinge<br />
sind längst Kosmopoliten“<br />
Der Herr<br />
der<br />
Maden<br />
national anerkannten Prüforganismus“ gebracht.<br />
Er wird weltweit für Testzwecke<br />
eingesetzt, weshalb Rüdiger Plarre mit seinen<br />
Zuchttieren sogar handelt. Deren vorhersehbarer<br />
Tod ist Teil des Verfahrens.<br />
Auch Mark Benecke hat es beruflich mit<br />
Käfern zu tun. Sein Job ist eher aus Krimis<br />
bekannt, spannend <strong>und</strong> gleichzeitig gruselig.<br />
Der Kölner ist forensischer Entomologe.<br />
Das heißt, er untersucht unter anderem<br />
Leichen auf Krabbeltiere, die sich während<br />
des Zersetzungsprozesses ansiedeln. „Zuerst<br />
kommen immer die Fliegen, die ihre<br />
Eier in den Körperöffnungen ablegen“, erklärt<br />
der Experte. „Aber schon kurz danach<br />
tauchen auch die Käfer auf.“<br />
Es sind jene, die als Aufräumer in der<br />
Natur gelten: die Aaskäfer. Im Erwachsenenalter<br />
fressen sie Pflanzenreste, Pilze,<br />
Exkremente oder fremde Maden. Ihre Larven<br />
aber füttern sie stets mit den Überresten<br />
toter Tiere – oder Menschen.<br />
Der Totengräber ist einer dieser Aaskäfer.<br />
Seinem Namen macht er besondere Ehre,<br />
denn die Weibchen vergraben regelmäßig<br />
Kadaver in der Erde. Gleich neben dieses<br />
Erdgrab bauen sie eine unterirdische<br />
Kammer, in die sie ihre Eier legen <strong>und</strong> die<br />
kurze Zeit später als Kinderstube dient.<br />
Aus Teilen des verwesenden Körpers formen<br />
die Totengräber Futterkugeln <strong>und</strong><br />
schleppen sie zu den Larven nach nebenan.<br />
Mit diesem Verhalten fallen sie ebenso in<br />
Beneckes Repertoire wie die Speckkäfer,<br />
die sich gern von Hautschuppen ernähren.<br />
Findet er ein solches Exemplar auf einer<br />
Leiche, deutet das auf Austrocknung hin.<br />
„Aber die meisten erwachsenen Käfer<br />
krabbeln weg, wenn eine Leiche befördert<br />
wird“, erklärt der Profi, der sich deshalb<br />
auf die Maden konzentriert. „Manche die-<br />
Käferfraß kann in Kriminalfällen<br />
zu fatalen Irrtümern führen<br />
IM Detail<br />
Käfer haben im Gr<strong>und</strong>aufbau wie alle Insekten<br />
sechs Beine <strong>und</strong> vier Flügel. Trotzdem<br />
unterscheiden sie sich wesentlich von Fliegen,<br />
Läusen, Flöhen <strong>und</strong> Schmetterlingen, die<br />
ebenfalls alle Insekten sind. Das vordere<br />
Flügelpaar wurde bei Käfern im Laufe der<br />
Evolution immer dicker <strong>und</strong> kräftiger, jetzt<br />
dienen diese harten Flügel dem Schutz des<br />
Körpers <strong>und</strong> werden Deckflügel genannt. Mit<br />
dem Flugvermögen haben sie nichts zu tun.<br />
Käfer, die fliegen können, spreizen die Deckflügel<br />
ab <strong>und</strong> flattern mit dem zweiten, viel<br />
dünneren Flügelpaar.<br />
In ihrer individuellen Entwicklung durchlaufen<br />
Käfer mehrere Stadien. Zunächst schlüpfen<br />
sie als Larve aus dem Ei. Diese Larve häutet<br />
sich mehrfach – die Anzahl der Häutungen<br />
variiert stark. Ist die Larve ausgewachsen,<br />
verpuppt sie sich. Jetzt findet die Verwandlung<br />
zum ausgewachsenen Käfer statt, der schließlich<br />
schlüpft. Vom Ei bis zu diesem Zeitpunkt<br />
vergeht meist ein Jahr, manchmal auch mehr.<br />
Das Erwachsenenleben ist hingegen bei vielen<br />
Käfern sehr kurz, Hirschkäfer leben beispielsweise<br />
nur gut einen Monat. Ihr einziges Ziel<br />
ist es, sich so rasch wie möglich zu paaren.<br />
Sein Nachwuchs ernährt sich von allem,<br />
<strong>was</strong> Keratin enthält. Dazu gehören Wolle,<br />
Federn <strong>und</strong> Haare. Biologe Rüdiger Plarre<br />
kennt die ungewöhnlichsten Schadstellen:<br />
„Polsterwarenkäfer lieben naturk<strong>und</strong>liche<br />
Sammlungen. Seeh<strong>und</strong>schuhe der Inuit,<br />
Federschmuck der Indianer, dort siedeln<br />
sie sich gern an.“ In diesen Lebensräumen<br />
haben sie meist einen engen Verwandten,<br />
den Museumskäfer, im Schlepptau. Dessen<br />
Larven futtern auch Chitin, aus dem die Insekten<br />
selbst aufgebaut sind. Museumskäfer<br />
zerstören deshalb vor allem Insektensammlungen<br />
<strong>und</strong> sind dort außerordentlich<br />
gefürchtet.<br />
Doch weder die Museen noch die löchrigen<br />
Teppiche sind der eigentliche Gr<strong>und</strong><br />
dafür, warum die BAM diese Käferart<br />
züchtet <strong>und</strong> erforscht. Plarre: „Die Tiere<br />
gehen auf Dämmmaterial los, das immer<br />
öfter aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt<br />
wird. Ist davon in einem Haus alles<br />
aufgefuttert, geht nicht nur die Dämmwirkung<br />
verloren, die Käfer machen sich auf<br />
die Suche nach neuen Futterquellen.“ Die<br />
nächstbeste Nahrung sind Daunenbettzeug<br />
<strong>und</strong> Wollkleidung.<br />
„Alle relevanten Schädlinge sind längst<br />
Kosmopoliten“, erklärt Plarre. Darum<br />
müssen alle Prüfverfahren streng standardisiert<br />
ablaufen. Durch diese Vorgabe hat<br />
es der Polsterwarenkäfer zu einem „inter-<br />
Mark Benecke untersucht Leichen auf allerlei<br />
Getier. Auf Schaben (Foto), Fliegen <strong>und</strong> Käfer,<br />
vor allem aber auf Maden. Bild: SN/TH. VAN DE SCHECK<br />
ser Maden bohren Löcher in den Körper,<br />
die genau so aussehen wie Einschusskanäle.<br />
Das kann natürlich zu fatalen Irrtümern<br />
in Kriminalfällen führen.“<br />
Weltweit gibt es r<strong>und</strong> 300 verschiedene<br />
Aaskäferarten, allein in Mitteleuropa sind<br />
es 47. Damit bilden sie nur einen kleinen<br />
Teil innerhalb der zoologischen Ordnung<br />
der Käfer. Farbenpracht, Formen, Verhalten<br />
<strong>und</strong> Überlebensstrategien sind unglaublich<br />
vielfältig. Es gibt Laufkäfer,<br />
Schwimmkäfer, Bockkäfer, Schnellkäfer,<br />
Ölkäfer, Prachtkäfer, Rüsselkäfer, Blattkäfer,<br />
Buntkäfer, Borkenkäfer, Schwarzkäfer,<br />
Weichkäfer, Goliathkäfer, Purzelkäfer, Zuckerkäfer<br />
<strong>und</strong> so weiter <strong>und</strong> so fort.<br />
Eine 230 Millionen Jahre währende Evolution<br />
hat ihnen faszinierende Fähigkeiten<br />
zugedacht: Sie können laufen, fliegen,<br />
schwimmen, graben, klettern, bohren oder<br />
tauchen. Sie duften, erzeugen Licht, geben<br />
Klopfzeichen oder musizieren, haben spektakuläre<br />
chemische Waffen, kommunizieren<br />
mit ihren Farben <strong>und</strong> schleudern Gifte.<br />
Unterteilt in 179 Familien, sind bis jetzt<br />
r<strong>und</strong> 350.000 Arten bekannt. Damit ist<br />
schon heute klar, dass mindestens jedes<br />
vierte Tier auf der Erde ein Käfer ist. Biosystematiker<br />
schätzen die Anzahl viel höher.<br />
Sie gehen von bis zu einer Million Arten<br />
aus. Viele dieser Käfer werden noch<br />
vor ihrer Entdeckung ausgestorben sein.<br />
KÄFERParade<br />
Der Hausbock<br />
Er ist ein häufiger <strong>und</strong> nicht gern gesehener<br />
Vertreter der Bockkäfer, die sich durch ihre langen<br />
Fühler auszeichnen. Ausgewachsen wird er etwa<br />
zwei Zentimeter groß, seine Gr<strong>und</strong>farbe ist braun.<br />
Das Leben eines Hausbocks dauert nur kurz, in<br />
dieser Zeit beschnuppert das Männchen verschiedene<br />
Hölzer auf Eignung für die Eiablage, denn<br />
seine Larven fressen ausschließlich totes Nadelholz.<br />
Findet er et<strong>was</strong> Passendes, lockt er mit Duftstoffen<br />
Weibchen herbei. Dachstühle liebt er.<br />
Der Bombardierkäfer<br />
Höchstens 1,5 Zentimeter wird dieser vor allem<br />
im südlichen Europa weit verbreitete Laufkäfer<br />
groß. Berühmt ist der Bombardierkäfer für seine<br />
explosive Verteidigungsstrategie. Droht Gefahr,<br />
mischt er in seinem Hinterteil zwei hochreaktive<br />
Substanzen zusammen <strong>und</strong> schleudert sie dem<br />
Gegner als bis zu 100 Grad Celsius heißes, ätzendes<br />
Gasgemisch entgegen. Er kann sogar unter dem<br />
Bauch hindurch nach vorn schießen. Distanz, die<br />
er mit dem Gift überbrückt: 20 Zentimeter.<br />
Der VW-Käfer<br />
Früher sah man ihn häufig in Hauseinfahrten oder<br />
auf Wald- <strong>und</strong> Wiesenwegen. Heute ist er rar<br />
geworden. Sein Schicksal: Er hat die Fähigkeit<br />
zur arterhaltenden Reproduktion verloren, die<br />
jüngsten Nachkommen tragen deutliche Mutationen<br />
davon. Erstmals aufgetaucht ist der VW-<br />
Käfer im Jahr 1938, über Jahrzehnte wurde er<br />
gehegt <strong>und</strong> gepflegt. Mittlerweile scheint sein<br />
Aussterben unausweichlich, es gibt nur noch<br />
wenige in die Jahre gekommene Exemplare.<br />
Der Polsterwarenkäfer<br />
Die Larven dieses nur wenige Millimeter großen<br />
Käfers, der zu den Speckkäfern zählt, futtern unter<br />
anderem Wolle oder Federn <strong>und</strong> zerstören beispielsweise<br />
Teppiche, Pullover oder Daunenmäntel.<br />
Sie sind spezialisiert auf tierische Produkte, in<br />
denen Keratin enthalten ist. Gewebtes aus Baumwolle<br />
rühren sie nicht an. Schädlich wegen ihres<br />
großen Appetits sind nur die Larven. Das Leben<br />
der Erwachsenen ist so kurz, dass sie erst gar keine<br />
Nahrung aufnehmen.
SAMSTAG, 21. APRIL 2012<br />
THEMA III<br />
Kleine Käfer <strong>und</strong> große Politik<br />
Es war nach Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs, als sich der<br />
Kartoffelkäfer immer weiter in<br />
Richtung Osteuropa ausbreitete.<br />
1950 war für ihn witterungsbedingt<br />
ein besonders gutes Jahr. Wegen<br />
ihres massenhaften Auftretens<br />
gerieten die Tiere in das Visier der<br />
sozialistischen Propaganda <strong>und</strong><br />
die Amerikaner in den Verdacht,<br />
die Schädlinge gezielt aus<br />
Flugzeugen abgeworfen zu haben.<br />
TANJA WARTER<br />
Bild: SN/FOTOLIA<br />
Wo sie einfallen, bleibt von<br />
Erdäpfelpflanzen nicht<br />
viel übrig. Ein paar Stiele<br />
vielleicht, das eine oder<br />
andere vergammelte Blatt.<br />
Kartoffelkäfer hinterlassen Felder der Verwüstung.<br />
Ist alles weggefuttert, suchen die<br />
Tiere im Hochsommer nach schattigen<br />
Plätzen <strong>und</strong> siedeln sich auch in Wohnhäusern<br />
an. Erst vor vier Jahren durften die<br />
Bewohner von Lasberg im Mühlviertel am<br />
eigenen Leib erfahren, <strong>was</strong> eine Invasion<br />
ist. Tausend Kartoffelkäfer sammelte eine<br />
Familie an einem einzigen Tag in ihrem<br />
Haus zusammen. Erst als der betroffene<br />
Bauer mit der chemischen Keule zuschlug,<br />
besserte sich die Lage.<br />
Der Gr<strong>und</strong>, warum sich der Kartoffelkäfer<br />
in Europa so rasend vermehrt, ist simpel:<br />
Er hat keine Fressfeinde. Dieses Phänomen<br />
ist von der Natur nicht vorgesehen.<br />
Aber die Geschichte des Kartoffelkäfers<br />
unterscheidet sich von der anderer Insekten.<br />
Erst der Mensch ermöglichte ihm die<br />
weite Reise in das Schlaraffenland.<br />
In den Siebzigerjahren des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
lebten auf den Feldern des US-B<strong>und</strong>esstaats<br />
Colorado niedliche, kugelige Käfer,<br />
gelb-schwarz gefärbt mit zehn Längsstreifen<br />
auf dem Rücken. Sie ernährten<br />
sich von einer unbedeutenden Pflanze namens<br />
Stachel-Nachtschatten. Probleme<br />
mit ihnen gab es nie. Bis sich immer mehr<br />
europäische Siedler in den USA einfanden.<br />
Im Gepäck die Kartoffel. Auch die ist ein<br />
Nachtschattengewächs <strong>und</strong> schmeckte den<br />
Käfern viel besser als das bisherige Futter.<br />
Mit dem großflächigen Erdäpfelanbau<br />
gediehen sie prächtig <strong>und</strong> ihre Anzahl<br />
wuchs <strong>und</strong> wuchs. Die Siedler staunten<br />
nicht schlecht über das schicke Tierchen.<br />
Als Zierobjekt dürften sie es zuerst mit<br />
nach Großbritannien <strong>und</strong> in die Niederlande<br />
gebracht haben, denn Kartoffelkäfer<br />
tauchten erstmals in den Häfen von Liverpool<br />
<strong>und</strong> Rotterdam auf. Es war die große<br />
St<strong>und</strong>e des „Colorado Beetle“ <strong>und</strong> der Beginn<br />
eines weltweiten Siegeszugs.<br />
Schon 1887 kam es zu vereinzeltem Massenauftreten,<br />
die erste Vernichtung ganzer<br />
Felder fand 1922 in Frankreich statt. Von<br />
hier aus krabbelte der Käfer unaufhaltsam<br />
in Richtung Osten. 1936 trat er in Luxemburg<br />
auf, im selben Jahr gelangte er über<br />
den Rhein. Mit einer Geschwindigkeit von<br />
20 bis 30 Kilometern pro Jahr ging es kontinuierlich<br />
weiter. Bis 1950 hatte er den Osten<br />
Deutschlands durchquert.<br />
Hier, in der sowjetischen Besatzungszone,<br />
dürfte er besonders<br />
gute Bedingungen vorgef<strong>und</strong>en<br />
haben. Die Bestände stiegen<br />
sprunghaft <strong>und</strong> erreichten katastrophale<br />
Ausmaße für die sozialistische<br />
Landwirtschaft.<br />
Unfähig, der Lage auch nur annähernd<br />
Herr zu werden, nutzte<br />
die Führung die Käferplage<br />
zu Propagandazwecken.<br />
Die Amerikaner züchteten die Käfer, um<br />
sie dann als biologische Waffe im Kalten<br />
Krieg gezielt über den Äckern abzuwerfen,<br />
hieß es. Radio Moskau verbreitete diese<br />
Botschaft, das Informationsamt der Regierung<br />
verschickte Aussendungen, in denen<br />
es mitteilte, bei der Käferplage handle es<br />
sich um einen „verbrecherischen Anschlag<br />
der angloamerikanischen Imperialisten<br />
auf unsere Volksernährung“. Über diese<br />
Anschuldigungen staunte man in Washington<br />
nicht schlecht. Die Amerikaner waren<br />
zunächst sauer, doch dann nahmen sie es<br />
mit spöttischem Humor <strong>und</strong> verschickten<br />
Pappkäfer an alle Gemeinderäte der DDR.<br />
Die hatten zwischenzeitlich zu „Sondersuchtagen“<br />
aufgerufen, an denen die gesamte<br />
Bevölkerung vom Kind bis zur Großmutter<br />
zum Käfersammeln aufbrach. Mit<br />
dem Einbruch der kalten Jahreszeit verschwanden<br />
die Plagegeister <strong>und</strong> mit ihnen<br />
die Vorwürfe gegen die Amerikaner. 1951,<br />
es war vermutlich ein schwächeres Käferjahr,<br />
verstummten die Anschuldigungen<br />
dann endgültig.<br />
Bis 1960 besiedelte der Kartoffelkäfer<br />
Polen <strong>und</strong> erreichte die Grenze<br />
zur ehemaligen Sowjetunion.<br />
Heute ist er längst bis Asien verbreitet.<br />
Wenige Jahre nach der Ankunft<br />
des Kartoffelkäfers in Europa<br />
machte sich auch in Mexiko<br />
ein Insekt auf die Reise. Ein unscheinbarer<br />
Käfer namens Anthonomus<br />
grandis schaffte es,<br />
den Rio Grande zu überqueren<br />
<strong>und</strong> in Texas Fuß zu fassen.<br />
Ähnlich dem Kartoffelkäfer eroberte er<br />
Jahr um Jahr Region für Region. In den<br />
1920er-Jahren schließlich stürzte das Krabbeltier<br />
den Südosten der USA, wo Baumwolle<br />
für Wohlstand gesorgt hatte, in eine<br />
wirtschaftliche Katastrophe. Allein in Alabama<br />
ruinierte er über Jahre hinweg mehr<br />
als 60 Prozent der Ernte.<br />
Anthonomus grandis, der später den<br />
deutschen Namen „Baumwollkapselkäfer“<br />
bekam, knabbert Löcher in die Knospen<br />
der Baumwollpflanzen <strong>und</strong> legt seine Eier<br />
hinein. Nach dem Schlupf fressen sich die<br />
Larven durch die Blüten <strong>und</strong> Fruchtkapseln<br />
<strong>und</strong> sind bereits vier Wochen später<br />
wieder geschlechtsreif. So entwickeln sich<br />
pro Jahr bis zu zehn neue gefräßige Generationen.<br />
Die verzweifelten Farmer suchten<br />
nach Möglichkeiten, sich vor dem<br />
Bankrott zu retten. Also bauten sie andere<br />
Spezialitäten an. Erdnüsse zum Beispiel<br />
oder Mais. Diese Neuerung in der Agrarwirtschaft<br />
hatte ungeahnte Folgen: Die Gewinne<br />
der Landwirte überstiegen jene der<br />
besten Baumwolljahre. Und der Baumwollkapselkäfer<br />
erhielt ein Denkmal.<br />
Wer glaubt, solche Invasionen seien heute<br />
nicht mehr möglich, denke an die Marienkäfer,<br />
die seit einigen Jahren massenhaft<br />
in Mitteleuropa auftreten. Dabei handelt<br />
es sich nicht um eine der heimischen<br />
Arten mit zwei oder sieben Punkten, sondern<br />
um eine größere, asiatische Variante<br />
mit 19 Punkten. Sie fiel wegen ihres unstillbaren<br />
Hungers auf Blattläuse auf. Die Idee,<br />
diese Marienkäfer als effizientes, natürliches<br />
Bekämpfungsmittel einzusetzen,<br />
klingt zunächst unter ökologischen Aspekten<br />
lobenswert. Doch sie entkamen den<br />
Gewächshäusern <strong>und</strong> vermehrten sich in<br />
Freiheit rasend schnell. In Frankreich hat<br />
es bereits Versuche gegeben, einen flügellosen<br />
Stamm rein für die Schädlingsbekämpfung<br />
zu züchten. Ohne Erfolg.<br />
Die Biester sind lästig, weil sie in Fensterstöcken<br />
überwintern <strong>und</strong> während ihrer<br />
Nahrungssuche auch in Wohnungen <strong>und</strong><br />
Häuser eindringen. Inzwischen fressen sie<br />
unseren heimischen Glücksbringern alles<br />
weg. Finden sie nicht schnell genug neue<br />
Nahrung, verspeisen sie sogar unsere<br />
Zwei- <strong>und</strong> Siebenpunkte. Damit sind sie<br />
auf dem besten Weg, zu einem ernsthaften<br />
Schädling zu werden.<br />
KÄFERParade<br />
Der Marienkäfer<br />
Ihre Schönheit brachte ihnen die Sympathien der<br />
Menschen ein. Dabei signalisiert ihre rote Farbe<br />
den potenziellen Feinden in der Natur die Botschaft:<br />
Achtung, ich bin giftig! Dieses leichte Gift kann<br />
man riechen, wenn ein Marienkäfer über die Hand<br />
gekrabbelt ist. Beliebt sind Marienkäfer außerdem,<br />
weil sie Läuse verspeisen. Das freut die Gartenbesitzer.<br />
Die heimischen Arten haben entweder<br />
zwei oder sieben Punkte <strong>und</strong> bekamen kurzerhand<br />
die Namen Zwei- bzw. Siebenpunktmarienkäfer.<br />
Das Glühwürmchen<br />
Sie leuchten, um einen Partner zu finden. Glühwürmchen<br />
haben mit Würmchen nichts am Hut,<br />
sie sind Leuchtkäfer. Dafür sorgt der körpereigene<br />
Stoff Luciferin. Er wird unter Beteiligung von<br />
Sauerstoff mit einem Enzym gespalten. Dabei<br />
wird Energie frei, die in Form von Licht abgegeben<br />
wird.Weltweit gibt es 2000Arten von Leuchtkäfern.<br />
Manche Weibchen können sogar das Blinken einer<br />
anderen Art imitieren. Damit locken sie fremdartige<br />
Männchen an <strong>und</strong> töten sie dann.<br />
Der Maikäfer<br />
Ganz typisch für den Maikäfer sind seine fächerartigen<br />
Fühler. Sie sind das Markenzeichen aller<br />
Blatthornkäfer. Die Fühler haben bei den männlichen<br />
Tieren sieben Enden, bei den Weibchen<br />
sind es nur sechs. Maikäfer heißt er deshalb, weil<br />
in diesem Monat die Metamorphose unter der<br />
Erde beendet ist <strong>und</strong> die Käfer nach vier Jahren<br />
Dasein als Engerling in der Dunkelheit endlich<br />
ans Licht krabbeln. Danach ist das Leben kurz:<br />
Gleich nach der Vermehrung sterben sie.<br />
Der Heilige Pillendreher<br />
Die alten Ägypter waren von ihm begeistert. Der<br />
Heilige Pillendreher, so glaubten sie, könne sich<br />
aus dem Nichts vermehren. So wurde er zum<br />
Symbol für die Schöpfungskraft. In Wahrheit rollt<br />
er eine Kugel aus Dung vor sich her, aus der<br />
tatsächlich neues Leben kommt. Natürlich nicht<br />
aus dem Nichts, sondern nur, weil vorher ein<br />
Weibchen seine Eier hineingelegt hat. Beheimatet<br />
ist der drei Zentimeter große Käfer r<strong>und</strong> um das<br />
Mittelmeer <strong>und</strong> im gesamten Afrika.