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Skript Autismus (pdf) - PFHonline.de

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AUTISMUS<br />

PFH PRIVATE FACHAKADEMIE FÜR HEILPÄDAGOGIK SCHULJAHR 2011/ 2012<br />

„Der Roboter als Bild für <strong>Autismus</strong> erweist gute Dienste“ (Uta Frith, 1996)<br />

Der Versuch, <strong>Autismus</strong> zu beschreiben<br />

GESCHICHTE DES BEGRIFFS „AUTISMUS“<br />

1799 Victor von Aveyron<br />

<strong>de</strong>r französische Arzt Itard nimmt einen 12 jährigen verwil<strong>de</strong>rten Jungen bei sich auf.<br />

Dieser zeigte <strong>de</strong>utliche Anzeichen von <strong>Autismus</strong><br />

1911 Eugen Bleuler<br />

Eugen Bleuler verwen<strong>de</strong>te als Erster <strong>de</strong>n Begriff „<strong>Autismus</strong>".<br />

• Begriff „<strong>Autismus</strong>“ von griechisch „auros“- „selbst“<br />

• Er beschrieb eine Form <strong>de</strong>r Schizophrenie<br />

• Merkmale: Gestörte Beziehung zu Menschen und <strong>de</strong>r Außenwelt<br />

• Die Patienten flüchten sich in eine Innenwelt<br />

1943 Leo Kanner<br />

• Leo Kanner beschrieb 1943 erstmals <strong>Autismus</strong> als eigene Störung<br />

• Erste theoretische Erklärungsversuche<br />

• Für ihn ist <strong>Autismus</strong> eine tiefgreifen<strong>de</strong> Entwicklungsstörung,<br />

die von Geburt an besteht.<br />

• Er beschreibt die Kin<strong>de</strong>r „als in einer Schale lebend“, unfähig Beziehungen aufzunehmen.<br />

• Frühkindlicher <strong>Autismus</strong> wird heute noch umgangssprachlich als „Kanner-<strong>Autismus</strong>“ bezeichnet.<br />

1


Hans Asperger<br />

• veröffentlicht 1944 <strong>de</strong>n Bericht über „autistische Psychopathen im Kin<strong>de</strong>salter.<br />

6 Charaktereigenschaften:<br />

a. Autistische Intelligenz<br />

b. Körperliches und Ausdruckserscheinen<br />

c. Genetisches<br />

d. Verhalten in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

e. Trieb- und Gefühlsleben<br />

f. Soziale Wertigkeit und Verlauf<br />

Bruno Bettelheim<br />

• Prägte <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Kühlschrankeltern“<br />

• Machte vor allem die Mütter für<br />

das autistische Verhalten ihrer Kin<strong>de</strong>r verantwortlich<br />

• Einzige Therapiemöglichkeit ist die Unterbringung im Heim<br />

Die These ist höchst problematisch und inzwischen vollkommen wi<strong>de</strong>rlegt!<br />

FORMEN DES AUTISMUS<br />

FRÜHKINDLICHER AUTISMUS (F84.0)<br />

Bei <strong>de</strong>r Diagnose “Frühkindlicher <strong>Autismus</strong>” sind in drei Bereichen Auffälligkeiten festzustellen:<br />

• Soziale Interaktion und Spiel<br />

• Kommunikation<br />

• Wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong>s Verhalten und eingeschränkte Interessen (Stereotypien)<br />

Die Störung beginnt vor <strong>de</strong>m dritten Lebensjahr und ist nicht heilbar.<br />

ATYPISCHER AUTISMUS (F84.1)<br />

AUTISMUS MIT ATYPISCHEM ERKRANKUNGSALTER<br />

<strong>Autismus</strong> tritt vor <strong>de</strong>m dritten Lebensjahr <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s auf. Sollte es erst später <strong>Autismus</strong> bekommen, spricht<br />

man von <strong>Autismus</strong> mit atypischem Erkrankungsalter<br />

AUTISMUS MIT ATYPISCHER SYMPTOMATOLOGIE<br />

Treten bei Kin<strong>de</strong>rn einzelne Symptome nicht auf, spricht man von <strong>Autismus</strong> mit atypischer<br />

Symptomatologie<br />

2


ASPERGER-SYNDROM (F84.5)<br />

Die Störung unterschei<strong>de</strong>t sich vom <strong>Autismus</strong> in erster Linie durch fehlen<strong>de</strong> allgemeine<br />

Entwicklungsverzögerung bzw. <strong>de</strong>n fehlen<strong>de</strong>n Entwicklungsrückstand <strong>de</strong>r Sprache und <strong>de</strong>r kognitiven<br />

Entwicklung. Die Störung geht häufig mit einer auffallen<strong>de</strong>n Ungeschicklichkeit einher.<br />

Da sich die Abgrenzungen innerhalb <strong>de</strong>r Spektrums selten ein<strong>de</strong>utig bestimmen lassen, da viele<br />

Mischformen und fliessen<strong>de</strong> Übergänge zu beobachten sind, spricht man heute von<br />

<strong>Autismus</strong>spektrumstörung.<br />

DIAGNOSEKRITERIEN<br />

SOZIALVERHALTEN UND IDENTITÄT<br />

Für Menschen mit <strong>Autismus</strong> ist das Verstehen von sozialen Situationen eine große Schwierigkeit. Die<br />

Be<strong>de</strong>utung von Gegenstän<strong>de</strong>n und vor allem von menschlichen Verhaltensweisen in sozialen<br />

Situationen ist sehr schwer zuzuordnen, wenn es an zentraler Kohärenz mangelt.<br />

Zentrale Kohärenz: Menschen mit <strong>Autismus</strong> haben Schwierigkeiten, Details zu integrieren und aus <strong>de</strong>m<br />

Zusammenhang <strong>de</strong>s Kontextes Erklärungen zu geben. Sie können, ähnlich wie ein Computer, eine<br />

Menge Wissen und Fakten bereithalten, aber es fällt ihnen sehr schwer, mit Mehrfachbe<strong>de</strong>utungen<br />

umzugehen und aus einzelnen Teilen ein Ganzes zu sehen.<br />

Beispiel: Sie haben Durst und sehen ein Glas mit Wasser. Was machen Sie?<br />

Man wür<strong>de</strong> es gerne trinken!<br />

Jetzt immer noch?<br />

3


Menschen mit <strong>Autismus</strong> bleiben in <strong>de</strong>r konkreten Wahrnehmung stecken: sie nehmen wahr, was konkret<br />

ist, sichtbar und tastbar. Der Zusammenhang ist nicht sichtbar. Das Vorstellungsvermögen ist schwierig für<br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong>, sie sind relationsblind.<br />

Für Menschen mit <strong>Autismus</strong> sind soziale Situationen unlösbare Rätsel, weil:<br />

• die Be<strong>de</strong>utungen von sozialen Reizen unsichtbar sind,<br />

• und weil sich die Be<strong>de</strong>utungen auch noch kontinuierlich än<strong>de</strong>rn, abhängig von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Kontexten.<br />

Die Problematik von Sozialtraining besteht auch darin, dass es schwierig ist, für alle Situationen eine Regel<br />

zu fin<strong>de</strong>n. Menschen mit autistischen Verhaltensweisen haben auch Probleme, Regeln anzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Regeln wer<strong>de</strong>n gelernt und dann zu oft o<strong>de</strong>r zu lange angewandt (Übergeneralisierung):<br />

Beispiel: „Wenn du eine Uniform siehst, sagst du guten Tag!“<br />

O<strong>de</strong>r die Regel wird zu wenig angewen<strong>de</strong>t, zu selektiv, somit nicht in Situationen, in <strong>de</strong>nen es angebracht<br />

wäre (Hyperselektivität)<br />

Beispiel: Grüner Pullover-Situation<br />

Lösung?: Imitieren<br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong> wollen an <strong>de</strong>r Gesellschaft teilhaben. Dafür entwickeln sie Überlebensstrategien.<br />

Auch wenn wir uns nicht auskennen, versuchen wir an<strong>de</strong>re Menschen zu imitieren: Beispiel: Reise in ein<br />

frem<strong>de</strong>s Land.<br />

Problematisch ist allerdings das reine Imitieren, ohne das Verhalten zu verstehen -> kommt sehr häufig vor<br />

bei Menschen mit <strong>Autismus</strong><br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong> verstehen soziale Situationen nicht auf Anhieb. Sie müssen verschie<strong>de</strong>ne<br />

gespeicherte Situationen im Kopf miteinan<strong>de</strong>r vergleichen und somit die Regel verstehen zu können.<br />

Emotionen- ein Buch mit sieben Siegeln:<br />

Beispiel: Sie verstehen oft nicht, dass man manchmal in gleichen Situationen unterschiedlich reagieren<br />

kann. Auch die Feinabstufungen bleiben schwierig zu erkennen.<br />

Emotionen zu verstehen, ist allerdings fast unlösbar.<br />

Beispiel: Tränen (Tränen <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Trauer, Heuschnupfen)<br />

4


„Theory of mind“: die Fähigkeit, eine Annahme über Bewusstseinsvorgänge in an<strong>de</strong>ren Personen<br />

vorzunehmen, also in an<strong>de</strong>ren Personen Gefühle, Bedürfnisse, Absichten, Erwartungen und<br />

Meinungen zu vermuten.<br />

Das menschliche Verhalten kann man nur sehr schwer begreifen, wenn man <strong>de</strong>n Kontext <strong>de</strong>r Situation<br />

nicht verstehen kann.<br />

Beispiel: eine hochgestreckte Hand- was be<strong>de</strong>utet sie? Halt? Hallo? Ein Gruß? Es immer auch abhängig<br />

davon, wer die Hand hebt.<br />

AUTISTISCHES DENKEN ALS ÜBERLEBENSSTRATEGIE<br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong> nutzen ihre Stärken, um in unserer Gesellschaft zu überleben.<br />

Beispiel: Temple Gradin, die von allen möglichen Situationen Vi<strong>de</strong>obän<strong>de</strong>r im Kopf speichert, die sie im<br />

Alltag abrufen kann. Da sie stark visuell ausgerichtet ist, gelingt ihr das. Sie selbst sagt, sie <strong>de</strong>nke in<br />

Bil<strong>de</strong>rn.<br />

Oft kompensieren sie ihre Schwächen über ihr gutes Gedächtnis o<strong>de</strong>r mei<strong>de</strong>n soziale Situationen, die sie<br />

nicht verstehen.<br />

Problem: Vollkommene Selbstständigkeit und „echte“ Integration in die Welt <strong>de</strong>r Zusammenhang-Denker<br />

ist für die meisten Menschen mit <strong>Autismus</strong> ein unüberwindbares Problem.<br />

Warum? Weil ihre Be<strong>de</strong>utungszuordnung nicht von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Menschen geteilt wird. Das<br />

be<strong>de</strong>utet, dass das Faktenwissen noch so groß sein kann, aber es ihnen nicht gelingt, es im Alltag<br />

einzusetzen.<br />

KOMMUNIKATION<br />

Es gibt verschie<strong>de</strong>ne Formen <strong>de</strong>r Sprache:<br />

• gesprochene Sprache<br />

• geschriebene Sprache<br />

• Abbildungssprache<br />

• Körpersprache<br />

• Gegenstandssprache<br />

Menschen mit autistischen Verhaltensweisen haben Schwierigkeiten, Sprache zu entziffern. Sie hören ohne<br />

<strong>de</strong>n Zusammenhang zu sehen. So kann ein Satz unterschiedliche Be<strong>de</strong>utungen haben, die wir erkennen,<br />

wenn wir in <strong>de</strong>r Theory of mind geübt sind.<br />

5


Beispiel:<br />

„Ober, ein Glas Wasser!“<br />

In diesem Satz spielt vor allem eine Rolle, was alles nicht gesagt wird:<br />

„Ober, (schaue dort) ein Glas Wasser!“ (jeman<strong>de</strong>n etwas zeigen)<br />

„ (Aber) Ober, (das ist) ein Glas Wasser (Ich hatte ein Pils bestellt)<br />

„Ober, (hier haben Sie ein)Glas Wasser“ (ein Angebot)<br />

„Ober, (wollen Sie) ein Glas Wasser?“<br />

„Ober, (können Sie mir)ein Glas Wasser (bringen)?“<br />

Welche <strong>de</strong>r Möglichkeiten nun zutrifft, ist nur aus <strong>de</strong>m Zusammenhang <strong>de</strong>s Kontexts zu verstehen.<br />

In <strong>de</strong>n meisten Fällen erkennen wir <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Satzes ohne zusätzliche Worte. Sonst müsste er lauten:<br />

„Herr Ober, ein Glas Wasser bitte. Schau mal, ich sitze hier und habe Durst. Ich wür<strong>de</strong> gerne ein Glas<br />

Wasser bekommen. Und da sie <strong>de</strong>r Ober sind, und ich mich außer<strong>de</strong>m an sie wen<strong>de</strong>, ist die Absicht <strong>de</strong>s<br />

ersten Satzes, <strong>de</strong>n ich äußerte, dass sie mir ein Glas Wasser bringen, hier an meinen Tisch“.<br />

INHALTS- UND BEZIEHUNGSEBENE<br />

Inhaltsebene: die Wörter, die du sagst<br />

Beziehungsebene: Die Absicht, warum und mit welcher Absicht man die Wörter ausspricht.<br />

ÜBER KOMMUNIKATION: DIE GESCHICHTE MIT DEM HAMMER:<br />

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber <strong>de</strong>n Hammer. Der Nachbar hat<br />

einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt<br />

ihm ein Zweifel: Was, wenn <strong>de</strong>r Nachbar mir <strong>de</strong>n Hammer nicht leihen will? Gestern schon<br />

grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur<br />

vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; <strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>t sich<br />

da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und<br />

warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen?<br />

Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bil<strong>de</strong>t er sich noch ein, ich sei auf<br />

ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. - Und so stürmt er<br />

hinüber, läutet, <strong>de</strong>r Nachbar öffnet, doch bevor er "Guten Tag" sagen kann, schreit ihn unser<br />

Mann an: "Behalten Sie Ihren Hammer".<br />

(aus P. Watzlawick: Anleitung zum unglücklich sein.)<br />

6


STEREOTYPE VERHALTENSWEISEN<br />

Die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen o<strong>de</strong>r die Fähigkeit zur zentralen Kohärenz ermöglichen es uns,<br />

unser Verhalten <strong>de</strong>n verän<strong>de</strong>rten Situationen anzupassen<br />

Bei Menschen mit <strong>Autismus</strong> wer<strong>de</strong>n Details sehr wichtig, wenn man das Ganze nicht überblicken kann;<br />

Wer<strong>de</strong>n Details wichtiger als das Ganze, dann wer<strong>de</strong>n Aktivitäten starr und nicht flexibel ausgeführt.<br />

Wichtig ist: man muss das Wesentliche vom Unwesentlichen unterschei<strong>de</strong>n können<br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong> können Dinge schlecht in eine Perspektive setzen<br />

Problem <strong>de</strong>r flexiblen Verallgemeinerung:<br />

• Mangeln<strong>de</strong> Verallgemeinerung: ein Verhalten o<strong>de</strong>r eine Situation wird nicht ausgeführt, weil ein<br />

Detail, auf das man fokussiert ist, nicht vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />

• Generalisierungsproblem: Ist das Detail vorhan<strong>de</strong>n, wird die Handlung ausgeführt, obwohl es<br />

vielleicht gar nicht erfor<strong>de</strong>rlich ist.<br />

Menschen mit <strong>Autismus</strong> orientieren sich an Details, die Nicht-Autisten gar nicht auffallen. Fehlen diese<br />

nun, o<strong>de</strong>r sind sie verän<strong>de</strong>rt, kann es sein, dass eine Handlung nicht ausgeführt wird.<br />

(Ein Vergleich ist eine Bibliothek ohne Ordnungssystem: wie wür<strong>de</strong>n wir uns verhalten, wenn wir<br />

bestimmte Bücher fin<strong>de</strong>n wollen?)<br />

ZUSÄTZLICHE BESONDERHEITEN<br />

STÖRUNGEN IM SCHLAF-WACH-RHYTHMUS<br />

Menschen mit autistischen Verhaltensweisen haben oft einen verän<strong>de</strong>rten Schlaf-Wach-Rhythmus<br />

und benötigen unter Umstän<strong>de</strong>n viel weniger Schlaf als an<strong>de</strong>re Menschen. Dies kann verschie<strong>de</strong>ne<br />

Ursachen haben, oft gelingt es ihnen aber nicht, ihr hohes Erregungspotential herunterzufahren.<br />

DEPRESSIONEN<br />

Kin<strong>de</strong>r mit Asperger-Syndrom können von sich aus kaum altersgemäße Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren<br />

Kin<strong>de</strong>rn herstellen. Die Kontaktaufnahme geschieht verstan<strong>de</strong>smäßig, die Gefühle an<strong>de</strong>rer wer<strong>de</strong>n<br />

nicht wahrgenommen. Die Kin<strong>de</strong>r wirken auf ihre Klassenkamera<strong>de</strong>n fremd und beunruhigend und<br />

wer<strong>de</strong>n daher oft Opfer von Ausgrenzung und/o<strong>de</strong>r Mobbing. Sie merken bald, dass sie an<strong>de</strong>rs als ihre<br />

Klassenkamera<strong>de</strong>n sind. Mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter kommt dann die Erkenntnis, dass sie niemals so sein<br />

wer<strong>de</strong>n, wie diese, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengen. Wer<strong>de</strong>n sie mit damit allein gelassen,<br />

ist die Gefahr einer Depression sehr groß. Dies kann sich dahingehend auswirken, dass sie entwe<strong>de</strong>r<br />

Aggressivität zeigen, o<strong>de</strong>r sich völlig zurückziehen. Manche wollen gar nicht mehr leben<br />

ÄNGSTE<br />

7


WAHRNEHMUNGSVERARBEITUNG<br />

• Menschen mit <strong>Autismus</strong> können<br />

o Überempfindlich o<strong>de</strong>r<br />

o Unterempfindlich<br />

gegenüber Reizen <strong>de</strong>r Umgebung sein.<br />

• Dies führt zu zahlreichen Problemen in <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung<br />

Viele Autistien weisen darauf hin, dass sie an<strong>de</strong>rs wahrnehmen als an<strong>de</strong>re Leute, genauer gesagt, dass<br />

ihre Wahrnehmungsverarbeitung an<strong>de</strong>rs funktioniert. Sie sind bestimmten Geräuschen, visuellen o<strong>de</strong>r<br />

taktilen Reizen gegenüber empfindlicher o<strong>de</strong>r unempfindlicher sind als an<strong>de</strong>re Leute. Diese<br />

Empfindlichkeiten sind bei je<strong>de</strong>r Person individuell. Es ist für Eltern und Lehrkräfte wichtig, die<br />

jeweiligen Empfindlichkeiten ihres Kin<strong>de</strong>s zu kennen, um sein Verhalten besser zu verstehen und um<br />

zu wissen, über welche Sinneskanäle das Kind gera<strong>de</strong> Informationen aufnehmen kann.<br />

GERÄUSCHE<br />

• Viele Autisten sind zum Beispiel geräuschempfindlich und hassen plötzlichen, durchdringen<strong>de</strong>n Lärm<br />

o<strong>de</strong>r relativ leise, aber beson<strong>de</strong>rs hohe o<strong>de</strong>r tiefe Töne (z.B. das Surren elektrischer Geräte). Ein<br />

autistisches Kind kann zum Beispiel einen plötzlichen und für Außenstehen<strong>de</strong> grundlos erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Wutanfall bekommen, wenn irgendwo im Gebäu<strong>de</strong> ein Ventilator eingeschaltet wird. Das Geräusch ist<br />

für das Kind intensiv und unerträglich, während an<strong>de</strong>re Leute es nicht einmal bewusst wahrnehmen.<br />

Es ist wichtig zu verstehen, dass plötzliche Wutanfälle nicht grundlos sind, son<strong>de</strong>rn Grün<strong>de</strong> haben, die<br />

unter Umstän<strong>de</strong>n schwer erkennbar sind, und sich klarzumachen, dass Überempfindlichkeiten keine<br />

Einbildung sind, son<strong>de</strong>rn sehr real. Wenn Eltern und Lehrkräfte darauf achten, können sie solche<br />

Störquellen meist ausschalten.<br />

• Viele Autisten haben Schwierigkeiten damit, eine einzelne Stimme unter vielen Geräuschquellen<br />

herauszufiltern. Das heißt, dass sie bei Gesprächen am Bahnhof, im Supermarkt o<strong>de</strong>r in einem lauten<br />

Klassenzimmer vielleicht nur einen Bruchteil <strong>de</strong>s Gesagten verstehen. Auch <strong>de</strong>r Hall in einem großen<br />

leeren Raum kann ein Problem sein, er lässt sich durch dicke Vorhänge und Teppiche o<strong>de</strong>r auch<br />

Regalen an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n abmil<strong>de</strong>rn.<br />

BERÜHRUNGEN<br />

• Manche Autisten mögen es generell nicht, berührt zu wer<strong>de</strong>n, manche mögen unerwartete<br />

Berührungen nicht, bei manchen sind bestimmte Körperbereiche beson<strong>de</strong>rs empfindlich, z.B. die<br />

Kopfhaut o<strong>de</strong>r die Handgelenke. Häufig sind auch Abneigungen gegen bestimmte Kleidungsstücke<br />

aufgrund von sensorischen Problemen. Manche Autisten mögen keine leichten Berührungen, fin<strong>de</strong>n<br />

festem Druck aber angenehm. Temple Grandin entwarf aus diesem Grund ihre “Hugbox” o<strong>de</strong>r<br />

“Squeeze Maschine”, <strong>de</strong>ren kräftiger Druck sie entspannte.<br />

GESCHMACK<br />

• Viele Autisten sind sehr wählerisch mit <strong>de</strong>m Essen. Eltern sollten ihre Kin<strong>de</strong>r nicht dazu zwingen, etwas<br />

zu essen, was diese nicht mögen, und dafür sorgen, dass auch bei Ausflügen und Restaurantbesuchen<br />

immer etwas da ist, was das Kind essen kann. Dabei spielt auch die Textur und die Farbe <strong>de</strong>s Essens<br />

eine Rolle. Manche Kin<strong>de</strong>r essen Pellkartoffeln, aber kein Kartoffelpüree, manche essen z.B. nur<br />

weißes o<strong>de</strong>r sehr helles Essen (Weißbrot, Milch, Joghurt…). Manche Kin<strong>de</strong>r essen alles Mögliche, aber<br />

nicht vermischt. Es kann eine Herausfor<strong>de</strong>rung für Eltern sein, trotz<strong>de</strong>m eine ausgewogene Ernährung<br />

sicherzustellen. Viele Kin<strong>de</strong>r erweitern ihr Nahrungsspektrum jedoch von selbst, wenn sie älter<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

• Immer wie<strong>de</strong>r hört man von einem angeblichen Zusammenhang zwischen<br />

Nahrungsmittelunverträglichkeiten (speziell Gluten- und Kasein-Unverträglichkeit) und <strong>Autismus</strong>.<br />

Einen solchen Zusammenhang hat man bisher noch nicht feststellen können. Aber es gibt immer mehr<br />

Kin<strong>de</strong>r, die Nahrungsunverträglichkeiten haben und, solange diese nicht erkannt wer<strong>de</strong>n, ständig<br />

8


Bauchweh, Durchfall o.a. haben. Autistische Kin<strong>de</strong>r können solche Beschwer<strong>de</strong>n unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

nicht kommunizieren. Wenn Eltern vermuten, dass ihr Kind bestimmte Nahrungsmittel nicht verträgt,<br />

sollten sie sich an ihren Hausarzt wen<strong>de</strong>n, um es testen zu lassen. Obwohl<br />

Nahrungsmittelunverträglichkeiten nichts mit <strong>Autismus</strong> zu tun haben, bewirkt eine Besserung <strong>de</strong>s<br />

körperlichen Wohlbefin<strong>de</strong>ns <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s oft auch eine Verhaltensän<strong>de</strong>rung (weniger Wutausbrüche,<br />

mehr Konzentrationsfähigkeit etc.).<br />

VISUELLE REIZE<br />

• Viele Autisten stören sich an grellem o<strong>de</strong>r flackern<strong>de</strong>m Licht, an Neonlicht o<strong>de</strong>r sind einfach<br />

überfor<strong>de</strong>rt von zu vielen visuellen Reizen auf einmal. Manche Autisten tragen <strong>de</strong>shalb eine<br />

Sonnenbrille und haben die Vorhänge bei Sonnenschein lieber geschlossen.<br />

GERÜCHE<br />

• Einige Autisten reagieren empfindlich auf Parfüms, Deodorants, Putzmittel etc. Meistens wer<strong>de</strong>n<br />

natürliche Mittel besser akzeptiert. Eltern sollten versuchen, entwe<strong>de</strong>r geruchsfreie Mittel zu<br />

verwen<strong>de</strong>n (z.B. geruchsfreies Deo) o<strong>de</strong>r solche, <strong>de</strong>ren Geruch vom Kind toleriert wird.<br />

NIEDRIGE SENSIBILITÄTEN<br />

• Weniger auffällig sind niedrige Sensibilitäten, oft gegenüber Kälte o<strong>de</strong>r Schmerzen. Ein autistisches<br />

Kind kann verletzt o<strong>de</strong>r krank sein, obwohl es keine o<strong>de</strong>r kaum Anzeichen von Schmerzen zeigt. Eltern<br />

sollten darauf beson<strong>de</strong>rs achten. Wenn sie feststellen, dass ihr Kind auch bei größeren Verletzungen<br />

kaum Schmerzen zeigt, sollten sie bei eventuellen Arzt- o<strong>de</strong>r Krankenhausbesuchen darauf hinweisen,<br />

weil anhand <strong>de</strong>s Vorhan<strong>de</strong>n- o<strong>de</strong>r Nichtvorhan<strong>de</strong>nseins von Schmerzen auch Diagnosen gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Wenn ein Kind kaum Anzeichen von Schmerzen äußert, wird unter Umstän<strong>de</strong>n eine akute<br />

Blinddarmentzündung zu spät erkannt.<br />

TIEFENSENSIBILITÄT<br />

• Bei <strong>de</strong>r Tiefensensibilität geht es um die Eigenwahrnehmung <strong>de</strong>s Körpers. Sie umfasst Empfindungen<br />

über die Lage <strong>de</strong>s eigenen Körpers und seine Position im Raum, über <strong>de</strong>n Spannungszustand von<br />

Muskeln und Sehnen sowie <strong>de</strong>n Bewegungssinn, durch <strong>de</strong>n eine Bewegungsempfindung und das<br />

Erkennen <strong>de</strong>r Bewegungsrichtung ermöglicht wird.<br />

• Einige Autist_innen berichten, Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>r Tiefensensibilität zu haben. Dafür spricht, dass<br />

einige grob- und feinmotorisch ungeschickt sind, z.B. eine unleserliche Handschrift haben, im Sport<br />

ungeschickt sind o<strong>de</strong>r regelmäßig gegen Möbel stößen. Die eigene Tiefenwahrnehmung lässt sich<br />

jedoch verbessern.<br />

AUFMERKSAMKEITS-DEFIZIT-STÖRUNGEN<br />

INSELBEGABUNGEN (SAVANTS)<br />

Die Inselbegabung – auch Savant-Syndrom genannt – ist ein Phänomen, bei <strong>de</strong>m Menschen, oft mit<br />

kognitiver Behin<strong>de</strong>rung, in einem kleinen Teilbereich außergewöhnliche Leistungen vollbringen. 50 Prozent<br />

<strong>de</strong>r bekannten Inselbegabten sind Autisten. Sechs von sieben Inselbegabten sind männlich. Es gibt keine<br />

zuverlässigen Untersuchungen darüber, wie häufig das Savant-Syndrom auftritt. Der <strong>Autismus</strong>-Forscher<br />

Darold Treffert schlug 1989 eine Unterscheidung in erstaunliche und talentierte Savants vor. [1] Während<br />

9


die erstaunlichen Savants wirklich herausragen<strong>de</strong> Fähigkeiten besitzen, weisen die talentierten Savants<br />

höchstens durchschnittliche Leistungen auf, die aber in Anbetracht ihrer Behin<strong>de</strong>rung bemerkenswert sind.<br />

Zurzeit sind weltweit etwa 100 Menschen bekannt, die man nach dieser Unterteilung als erstaunliche<br />

Savants bezeichnen kann. Der Intelligenzquotient <strong>de</strong>r Personen liegt meist unter 70, kann aber auch<br />

durchschnittlich, in einigen Fällen auch überdurchschnittlich sein. Die Fähigkeiten sind dabei sehr<br />

unterschiedlich ausgeprägt. Ins Bewusstsein <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gelangte das Savant-Syndrom unter<br />

an<strong>de</strong>rem durch <strong>de</strong>n Film Rain Man.<br />

AUTISTISCHE INTELLIGENZ<br />

ÜBER HUMOR UND KÜNSTLICHE INTELLIGENZ<br />

Menschen mit autistischen Verhaltensweisen haben sehr große Schwierigkeiten, Witze und Humor zu<br />

verstehen.<br />

Was ist „witzig“?<br />

Ein guter Witz braucht eine Pointe; eine Pointe ist eine Abweichung vom normalen menschlichen<br />

Erwartungsmuster. In <strong>de</strong>m Moment wo wir in unseren Gedanken erwarten, dass es gera<strong>de</strong> ausgeht,<br />

biegt die Pointe links ab.<br />

Witze verdanken ihre Existenz Doppel<strong>de</strong>utigkeiten<br />

Ober: Wie fand <strong>de</strong>r Herr das Schnitzel?<br />

Gast: In<strong>de</strong>m ich die Kartoffeln zur Seite schob.<br />

Menschen ohne <strong>Autismus</strong> <strong>de</strong>nken in Zusammenhängen, eine Eigenschaft, die Menschen mit <strong>Autismus</strong> oft<br />

fehlt. Eine Situation wird witzig, wenn <strong>de</strong>r Zusammenhang durchbrochen wird.<br />

Das Verhalten von Menschen mit <strong>Autismus</strong> wirkt oft für Außenstehen<strong>de</strong> witzig, da sie <strong>de</strong>n Kontext einer<br />

Situation oft nicht erfassen können, son<strong>de</strong>rn oft mechanisch auf Situationen reagieren.<br />

WENN ES ROT IST MUSST DU ANHALTEN – ÜBER AUTISTISCHE INTELLIGENZ (1)<br />

Eine Szene aus Rainman: Mann bleibt auf <strong>de</strong>r Straße stehen, weil die Ampel auf „Don’t walk“ umschaltet.<br />

Das Gehirn <strong>de</strong>s Menschen mit <strong>Autismus</strong> <strong>de</strong>nkt in einem „Eins-zu-Eins-Verhältnis“<br />

Schon das Beispiel Ampel zeigt, wie komplex unsere Welt ist.<br />

10


Bitte stellen Sie sich die Situation vor, dass sie eine Straße überqueren und mittendrin springt die Ampel<br />

um auf Rot. Was machen Sie? Und vor allem, von welchen Faktoren machen Sie ihre Entscheidung<br />

abhängig?<br />

FOLGENDE FAKTOREN BETRACHTEN WIR:<br />

• Wie breit ist die Straße?<br />

• Wie weit bin ich schon fortgeschritten?<br />

• Manchmal muss ich sogar anfangen zu rennen (welch ein Wi<strong>de</strong>rspruch!)<br />

• Was mache ich, wenn die Ampel kaputt ist?<br />

Wenn Sie jetzt noch bei einem Menschen mit <strong>Autismus</strong> versuchen, ihn „verkehrssicher“ zu machen,<br />

wer<strong>de</strong>n Sie merken, wie problematisch das ist.<br />

RAVIOLI UND WASCHTISCH- ANTWORTEN:<br />

11


ZWISCHEN DEN ZEILEN – ÜBER AUTISTISCHE INTELLIGENZ (2)<br />

Wie intelligent sind <strong>de</strong>nn nun Menschen mit <strong>Autismus</strong>? Dazu gibt es immer wie<strong>de</strong>r die abenteuerlichsten<br />

Theorien.<br />

Problematisch ist die Auffassung, dass Intelligenz etwas ist, das man entwe<strong>de</strong>r besitzt o<strong>de</strong>r eben nicht. Ist<br />

dann ein autistisches Kind, das sehr gut rechnen kann, intelligent? Ja natürlich, aber warum kann es<br />

dann nicht auf das Gymnasium?<br />

Besser ist die Frage: wie unterschei<strong>de</strong>t sich die Intelligenzstruktur von Menschen mit <strong>Autismus</strong> von <strong>de</strong>r<br />

Intelligenzstruktur von Menschen ohne <strong>Autismus</strong>?<br />

Bei Autisten ist die integrieren<strong>de</strong> Intelligenzstruktur weniger stark ausgeprägt als das Sehen von Details.<br />

Beispiel: Korrekturlesen von Arbeiten – wir überlesen oft Fehler!<br />

Beispiel 2: Viele Autisten können exakt die Daten von Familienfesten aufsagen, aber wenn sie beschreiben<br />

sollen, wie die Stimmung war, dann scheitern sie.<br />

DIAGNOSTIK - BEI VERDACHT AUF ASS<br />

• Besteht eine autistische Störung?<br />

o Diagnostische Kriterien prüfen<br />

• Wie ist <strong>de</strong>r Entwicklungsstand und die Intelligenz?<br />

o Normal o<strong>de</strong>r verzögert?<br />

o Spezielle Defizite und Fähigkeiten<br />

o Intelligenzprofil<br />

• Wie ist das soziale Umfeld?<br />

o Familiengeschichte<br />

o Geschwisterposition<br />

o Erziehungsstil<br />

PROGNOSEKRITERIEN BEI ASS<br />

• Autistisches Verhalten<br />

o Art und Schwere <strong>de</strong>r Probleme<br />

o Therapierbarkeit<br />

• Spezielle Defizite und Fertigkeiten<br />

o Entwicklungsniveau<br />

o Sprache vor <strong>de</strong>m Alter von fünf Jahren<br />

o Sensorische Störungen<br />

o Motivation und Interessen<br />

• Organische Auffälligkeiten<br />

o Art und Schwere <strong>de</strong>r Probleme<br />

o Therapierbarkeit<br />

12


• Familie und För<strong>de</strong>rmöglichkeiten<br />

o Optimismus<br />

o För<strong>de</strong>rangebote<br />

o Finanzielle Situation<br />

DIFFERENTIALDIAGNOSE<br />

EPILEPSIEN UND EPILEPTISCHE SYNDROME<br />

FRAGILES X-SYNDROM<br />

Fragiles-X Syndrom wird durch einen Gen<strong>de</strong>fekt auf <strong>de</strong>m X-Chromosom hervorgerufen und stellt die<br />

häufigste Form erblicher Lern- und geistiger Behin<strong>de</strong>rung dar. Das Spektrum ist weitläufig, Jungen/Männer<br />

sind meist stärker betroffen als Mädchen/Frauen. Man geht heute von einer Häufigkeit von etwa 1:3000<br />

aus. Neben <strong>de</strong>r mentalen Beeinträchtigung gibt es eine Reihe körperlicher Beson<strong>de</strong>rheiten, die beim<br />

Fragilen X-Syndrom-Syndrom auftreten können. Das Gesicht <strong>de</strong>r Betroffenen ist meist lang und schmal, das<br />

Kinn kann sehr ausgeprägt und kantig sein. Der Kopfumfang ist überdurchschnittlich groß, er liegt aber<br />

noch im oberen Normalbereich. Die Ohren können sehr groß sein und stehen häufig ab. Die Merkmale <strong>de</strong>s<br />

Gesichtes sind bei sehr jungen Kin<strong>de</strong>rn noch schwach ausgeprägt, treten aber mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter<br />

immer <strong>de</strong>utlicher hervor. Bei weiblichen Betroffenen mit Fragiles X-Syndrom-Syndrom bleiben sie auch im<br />

Erwachsenenalter schwächer ausgeprägt. Erwachsene Männer haben zu 80% eine Ho<strong>de</strong>nvergrößerung<br />

(Makroorchidie), diese kann auch schon bei Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>utlich sein. Die Gelenke sind oft überstreckbar. Die<br />

Muskelspannung ("Muskeltonus") ist häufig schwächer (Hypotonie), aber auch das Gegenteil, ein erhöhter<br />

Tonus (Hypertonie) ist möglich. Dadurch haben Betroffene einen auffälligen Gang, sie wirken schlaksig und<br />

etwas unbeholfen. Die körperlichen Merkmale sind einzeln nicht beson<strong>de</strong>rs auffällig, doch in <strong>de</strong>r<br />

Kombination ergeben sie das für das Fragile X-Syndrom-Syndrom typische Erscheinungsbild.<br />

Es gibt neben <strong>de</strong>n äußerlichen Merkmalen vor allem aber Verhaltensauffälligkeiten, die bei Menschen mit<br />

Fragiles X-Syndrom-Syndrom gehäuft vorkommen. Insbeson<strong>de</strong>re zählen dazu Hyperaktivität und<br />

Aufmerksamkeits<strong>de</strong>fizite. Einige Verhaltensweisen tragen autismusähnliche Züge, wie das Vermei<strong>de</strong>n von<br />

Blickkontakt, soziale Scheu, stereotypes Verhalten und das Bestehen auf Ritualen. Häufig we<strong>de</strong>ln Kin<strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r beißen in <strong>de</strong>n Handrücken, wenn sie beson<strong>de</strong>rs erregt sind. Fragiles X-Syndrom-<br />

Syndrom Betroffene sind leicht erregbar und neigen vor allem in jungen Jahren zu heftigen<br />

Wutausbrüchen. Ihre Frustrationstoleranz ist niedrig, Bedürfnisse aufzuschieben fällt ihnen sehr schwer.<br />

Viele Verhaltensauffälligkeiten schwächen sich nach <strong>de</strong>r Pubertät jedoch ab.<br />

Die Entwicklung von Kin<strong>de</strong>rn mit Fragiles X-Syndrom-Syndrom verläuft verzögert. Sie laufen spät und<br />

können Gleichgewichtsstörungen haben. Auch mit <strong>de</strong>r Feinmotorik, wie z. B. <strong>de</strong>m Halten von Stiften o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Umgang mit Besteck haben sie häufig Probleme. Die Sprachentwicklung beginnt spät und verläuft<br />

langsam. Später haben die Kin<strong>de</strong>r oft eine un<strong>de</strong>utliche Aussprache. Sie wie<strong>de</strong>rholen einzelne Wörter o<strong>de</strong>r<br />

Sätze (Echolalie), gern stellen sie auch immer wie<strong>de</strong>r die gleichen Fragen. Das Sprachverständnis ist<br />

allerdings oftmals größer, als es <strong>de</strong>r aktive Wortschatz vermuten lässt.<br />

Trotz <strong>de</strong>r oft erheblichen geistigen Beeinträchtigung haben die Betroffenen ein hervorragen<strong>de</strong>s<br />

Langzeitgedächtnis. Vor allem Orte und Wege prägen sich fotografisch ein. Sie entwickeln oft ein starkes<br />

Interesse für ein Sachgebiet, auf <strong>de</strong>m sie sich dann ein erstaunliches Wissen aneignen können.<br />

Die zuvor beschriebenen Merkmale <strong>de</strong>s Fragilen X-Syndrom-Syndroms treten selten alle bei einem<br />

Menschen auf, es können sehr viele Symptome zutreffen, aber auch nur einige wenige. Auch ein Kind mit<br />

Fragiles X-Syndrom-Syndrom ist immer ein Kind seiner Familie, mit vielen Ähnlichkeiten zu seinen Eltern,<br />

Geschwistern und Verwandten in Aussehen und Charakter.<br />

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