4. Einheit: Handelsregister
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<strong>4.</strong> <strong>Einheit</strong>: <strong>Handelsregister</strong><br />
<strong>4.</strong>1 Inhalt und Lernziele<br />
In <strong>Einheit</strong> 10 von WPR 1 (Verfügungen über Grundstücke) wurde mit dem<br />
Grundbuch bereits ein öffentliches Register dargestellt. Ein weiteres öffentliches<br />
Register ist für das Handelsrecht besonders bedeutsam: das <strong>Handelsregister</strong>.<br />
Denn dieses Register gibt im Interesse der Verkehrssicherheit Auskunft über bestimmte<br />
Rechtstatsachen, die im Zusammenhang mit kaufmännischen Gewerben<br />
für den Rechtsverkehr von Interesse sind. Etwa darüber, welche Personen<br />
in einem Unternehmen zur Vertretung berechtigt sind, oder wer Gesellschafter<br />
eines bestimmten Unternehmens ist. Auf die Richtigkeit dieser Eintragungen<br />
in diesem Register muss sich der Rechtsverkehr verlassen können. Man spricht<br />
von der Publizität des <strong>Handelsregister</strong>s. Die sog. formelle Publizität wird durch<br />
die Pflicht zur Bekanntmachung und das Einsichtsrecht nach §§ 9, 10 HGB gewährleistet.<br />
Auf der sog. materiellen Publizität des <strong>Handelsregister</strong>s beruht der<br />
Vertrauensschutz Dritter durch § 15 Abs. 1 und Abs. 3 HGB.<br />
Im Folgenden werden diese Publizitätswirkungen des <strong>Handelsregister</strong>s dargestellt.<br />
Der Übungsfall baut auf dem Sachverhalt einer erteilten aber zwischenzeitlich<br />
widerrufenen Prokura auf. Damit soll verdeutlicht werden, wie aus der<br />
Publizität des <strong>Handelsregister</strong>s ein Vertrauenstatbestand für gutgläubige Dritte<br />
resultieren kann. Infolgedessen können diese sich auf eine Rechtslage berufen,<br />
die von der tatsächlich bestehenden Rechtslage abweicht.<br />
<strong>4.</strong>2 Formelles Registerrecht<br />
<strong>4.</strong>2.1 Registerverfahren<br />
Das <strong>Handelsregister</strong> ist wie das Grundbuch ein öffentliches Register, die Registerführung<br />
obliegt den Amtsgerichten und bildet eine Sondermaterie der<br />
freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 374 ff. FamFG).<br />
Für Eintragungen gilt der Antragsgrundsatz, § 12 HGB. Nur ausnahmsweise<br />
erfolgen die Eintragungen von Amts wegen (z. B. §§ 31 Abs. 2 S. 2, 32 HGB). Die<br />
Bekanntmachung der Eintragungen erfolgt inzwischen im jeweiligen elektronischen<br />
Informationssystem des Bundeslandes (§ 10 HGB). Die Bekanntmachung<br />
in Bundesanzeiger sowie Zeitung (zumeist: lokale Tageszeitung) ist entfallen.
<strong>4.</strong>2.2.1 Aufbau des <strong>Handelsregister</strong>s<br />
Das <strong>Handelsregister</strong> hat zwei Abteilungen. In Abteilung A finden sich Tatsachen<br />
über Einzelkaufleute, Personengesellschaften (GbR) und Personenhandelsgesellschaften<br />
(OHG, KG) sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts. In<br />
Abteilung B werden Tatsachen über Kapitalgesellschaften eingetragen.<br />
<strong>4.</strong>2.2.2 Eintragungsfähigkeit und Eintragungspflicht<br />
Eingetragen werden können nur die im Gesetz als solche aufgeführten eintragungsfähigen<br />
Tatsachen. Innerhalb der eintragungsfähigen Tatsachen werden<br />
eintragungspflichtige und sonstige eintragbare Tatsachen unterschieden:<br />
Eine Eintragungspflicht besteht z. B. bei:<br />
• §§ 29, 31 HGB (Firma und Firmenänderung)<br />
• § 32 HGB (Eröffnung des Insolvenzverfahrens)<br />
• § 53 HGB (Erteilung und Erlöschen der Prokura)<br />
• § 106 HGB (Gründung einer OHG)<br />
• § 143 HGB (Ausscheiden von Gesellschaftern, Auflösung einer OHG)<br />
Hier besteht ggf. ein mit Zwangsgeld durchsetzbarer Registerzwang (§ 14 HGB).<br />
Sonstige eintragbare Tatsachen sind z. B. die nach §§ 25 Abs. 2, 28 Abs. 2 HGB<br />
notwendigen Angaben wie eine abweichende Haftungsvereinbarung bei Wechsel<br />
des Unternehmensträgers.<br />
<strong>4.</strong>2.2.3 Wirkung der Eintragung<br />
Die Eintragung einer Tatsache in das <strong>Handelsregister</strong> wirkt grundsätzlich lediglich<br />
deklaratorisch (rechtsbezeugend, nicht rechtserzeugend). Bedeutende<br />
Ausnahmen bilden die konstitutiv wirkenden Eintragungen nach §§ 2, 3 und<br />
105 Abs. 2 HGB sowie nach § 11 Abs. 1 GmbHG und § 41 Abs. 1 AktG.<br />
<strong>4.</strong>3 Materielle Registerpublizität, § 15 HGB<br />
Die materielle Publizität des <strong>Handelsregister</strong>s in § 15 HGB gehört systematisch<br />
zur Rechtsscheinhaftung, also dem Vertrauensschutz für die Sicherheit und<br />
Leichtigkeit des Rechtsverkehrs.<br />
Zur Wirkung von § 15 HGB ist zu unterscheiden zwischen den Regelungen<br />
in den Absätzen 1 und 3 (zugunsten Dritter) und der Regelung in Absatz 2<br />
(zugunsten des Eintragenden selbst). Die Publizitätsfolgen knüpfen an die Eintragung<br />
und Bekanntmachung (Abs. 1, 2) einer Tatsache oder ausschließlich an<br />
die Bekanntmachung (Abs. 3) einer Tatsache an.<br />
§ 15 HGB enthält eine Kombination aus positiver und negativer Publizität:
Der Rechtsverkehr kann sich darauf verlassen, was tatsächlich in einem Register<br />
steht bzw. bekannt gemacht worden ist.<br />
• Negative Publizität gem. § 15 Abs. 1 HGB (Vollständigkeitsvermutung):<br />
Diese schützt Dritte in ihrem Glauben, dass sich etwas, was nicht im Register<br />
eingetragen oder bekannt gemacht ist, auch nicht ereignet hat.<br />
Beispiel: P ist Prokurist des Kaufmanns K und als solcher in das <strong>Handelsregister</strong> eingetragen;<br />
K widerruft die Prokura. Noch vor Eintragung des Widerrufs im <strong>Handelsregister</strong><br />
schließt P einen Kaufvertrag mit L. Die negative Publizität des § 15 Abs. 1 HGB verwehrt es<br />
dem K, sich gegenüber L auf den Widerruf der Prokura zu berufen, da dieser noch nicht<br />
eingetragen ist.<br />
<strong>4.</strong>3.1 Negative Publizität, § 15 Abs. 1 HGB<br />
<strong>4.</strong>3.1.1 Voraussetzungen<br />
a. Eintragungspflichtige Tatsache<br />
Eintragungspflichtige Tatsachen sind die §§ 29, 31, 53 Abs. 1, 2, 106 Abs. 2, 125<br />
Abs. 4, 143 Abs. 2, 3 HGB. Nach der Rechtsprechung sind darüber hinaus auch<br />
die Ausdehnung der Prokura gem. § 49 Abs. 2 HGB und die Befreiung des Geschäftsführers<br />
einer GmbH von der Beschränkung des § 181 BGB eintragungspflichtige<br />
Tatsachen.<br />
Nach h. M. ist auch die Veränderung einer nicht eingetragenen, aber eintragungspflichtigen<br />
Tatsache eintragungspflichtig, da der Verkehr auch auf andere<br />
Art und Weise von der nicht eingetragenen Tatsache Kenntnis erlangt haben<br />
kann. Dem <strong>Handelsregister</strong> kommt auch insofern negative Publizität zu. Dritte<br />
können sich also auf die fehlende Eintragung des Widerrufs der Prokura berufen,<br />
obwohl ihre Erteilung gar nicht eingetragen ist.<br />
b. Fehlende Eintragung oder Bekanntmachung (vgl. § 10 HGB)<br />
Diese Voraussetzung knüpft an kein Verhalten an, so dass es nicht auf eine<br />
Zurechenbarkeit oder ein Verschulden des Betroffenen ankommt; deshalb gilt<br />
§ 15 Abs. 1 HGB auch bei mangelnder oder beschränkter Geschäftsfähigkeit.<br />
c. Gutgläubigkeit des Dritten<br />
Es genügt die Unkenntnis des Dritten in Bezug auf die wahre Rechtslage (abstraktes<br />
Vertrauen). Nicht erforderlich ist daher – etwa im Unterschied zur Lehre<br />
vom Scheinkaufmann – die Bildung eines konkreten Vertrauens, z. B. durch<br />
Einsicht in das <strong>Handelsregister</strong> oder ein Handeln im bewussten Vertrauen auf<br />
den Rechtsschein (Kausalität).<br />
d. Handeln im Geschäfts- oder Prozessverkehr<br />
Vertrauensschutz setzt voraus, dass die Bildung von Vertrauen prinzipiell möglich<br />
ist. Dies ist aber nur im Zusammenhang mit einem vom Willen gesteuerten<br />
Verhalten (rechtsgeschäftlicher Kontakt; Bereicherungsvorgänge, Prozesshandlungen)<br />
denkbar. Folglich wird der Dritte im reinen sog. Unrechtsverkehr (v. a.<br />
Deliktsrecht) von § 15 Abs. 1 HGB nicht geschützt.
schafter G in Anspruch nehmen. M kann sich nicht auf § 15 Abs. 1 HGB berufen, da sich<br />
bei dem plötzlichen Verkehrsunfall kein Vertrauen hinsichtlich des Fortbestehens der<br />
Gesellschafterstellung des G entwickeln konnte.<br />
<strong>4.</strong>3.1.2 Rechtsfolge<br />
Die nicht eingetragenen / nicht bekanntgemachten Tatsachen können Dritten<br />
nicht entgegengehalten werden, d. h. der Dritte kann sich auf diejenige Rechtsfolge<br />
berufen, die bei tatsächlichem Vorhandensein der von ihm unterstellten<br />
Rechtslage eingetreten wäre.<br />
Beispiel: Der ausgeschiedene Gesellschafter gilt weiterhin als Gesellschafter und haftet<br />
auch für Neuschulden; die widerrufene Prokura gilt als bestehend.<br />
Da § 15 Abs. 1 HGB allein dem Schutz des gutgläubigen Dritten dient und<br />
nicht zu seinem Nachteil greifen kann, steht ihm ein Wahlrecht zu. Er kann<br />
entscheiden, ob er sich auf den Vertrauensschutz oder die Geltung der wahren<br />
Rechtslage beruft, je nach dem, was im Einzelfall für ihn günstiger ist.<br />
Beispiel: Die Prokura des P wird vom Kaufmann K widerrufen, vor Eintragung des Widerrufs<br />
schließt P noch einen Kaufvertrag mit L ab; L hat ein Wahlrecht: Entweder nimmt er den K<br />
unter Berufung auf § 15 Abs. 1 HGB in Anspruch oder aber – falls K insolvent sein sollte – er<br />
geht gegen P nach § 179 BGB vor, da dieser als falsus procurator handelte.<br />
<strong>4.</strong>3.2 Zerstörung des Rechtsscheins, § 15 Abs. 2 HGB<br />
§ 15 Abs. 2 HGB bezieht sich auf eintragungspflichtige und -fähige Tatsachen.<br />
Die Regelung des § 15 Abs. 2 HGB dient dem Schutz des Eintragenden: Die<br />
Berufung auf eine vom Registerinhalt abweichende Tatsache ist selbst dann<br />
ausgeschlossen, wenn ein gutgläubiger Dritter hierauf vertraut, § 15 Abs. 2 S. 1<br />
HGB. Man spricht insoweit von der rechtsscheinzerstörenden Wirkung der<br />
Registereintragung.<br />
Eine Ausnahme zu obigem Grundsatz regelt § 15 Abs. 2 S. 2 HGB. Ein Dritter<br />
kann sich auf einen gegenteiligen Rechtsschein berufen, wenn die jeweilige<br />
Rechtshandlung innerhalb von 15 Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen<br />
wird und der Dritte beweist, dass er die wahre Tatsache weder kannte noch<br />
kennen musste. Diese Vorschrift hat jedoch wegen der kurzen Frist und der<br />
beim Dritten liegenden Beweislast nur eine geringe Praxisrelevanz.<br />
<strong>4.</strong>3.3 Positive Publizität, § 15 Abs. 3 HGB<br />
Die positive Publizität (Richtigkeitsvermutung) schützt gutgläubige Dritte in<br />
ihrem Vertrauen auf eine unwahre Tatsache, die (fälschlich) bekannt gemacht<br />
wurde. Geregelt ist dies in § 15 Abs. 3 HGB. Daneben sind ergänzende Rechtsscheingrundsätze<br />
anwendbar.
a. Unrichtige Bekanntmachung<br />
Dies umfasst jede Abweichung der Bekanntmachung von der tatsächlichen<br />
Rechtslage, wie:<br />
• Bekanntmachungsfehler i. e. S. (Druckfehler im Bekanntmachungsblatt),<br />
• Bekanntmachung einer bereits falsch eingetragenen Tatsache,<br />
• Bekanntmachung einer überhaupt nicht eingetragenen Tatsache.<br />
Ist eine unrichtige Eintragung ausnahmsweise richtig bekannt gemacht worden,<br />
greift nicht § 15 Abs. 3 HGB, sondern ergänzendes Gewohnheitsrecht (s. u.).<br />
b. Eintragungspflichtige Tatsache<br />
Bei der eingetragenen und bekanntgemachten Tatsache muss es sich um eine<br />
eintragungspflichtige Tatsache i. S. v. § 15 Abs. 1 HGB handeln.<br />
c. Unkenntnis des Dritten<br />
Für die Unkenntnis des Dritten von der wahren Rechtslage reicht wie bei § 15<br />
Abs. 1 HGB abstraktes Vertrauen aus.<br />
d. Handeln im Geschäfts- oder Prozessverkehr<br />
Es gelten die Grundsätze wie bei § 15 Abs. 1 HGB.<br />
e. Zurechenbarkeit der Bekanntmachung<br />
Die Eintragung (und infolge dessen die Bekanntmachung) muss vom Betroffenen<br />
zurechenbar veranlasst worden sein. Dafür spricht der Wortlaut der<br />
Vorschrift („in dessen Angelegenheiten“) und das Ziel der Vorschrift, eine<br />
unerträglich weite Haftung unbeteiligter Dritter zu verhindern.<br />
Beispiel: R wird aufgrund eines Druckfehlers als Gesellschafter einer von A und B begründeten<br />
und geführten OHG bekannt gemacht; sämtliche Gläubiger der vermögenslosen<br />
OHG wollen nun den (noch) solventen R in Anspruch nehmen.<br />
Die zurechenbare Veranlassung der Bekanntmachung setzt weder ein Verschulden<br />
noch die Veranlassung der Fehlerhaftigkeit voraus. Ausgeschlossen<br />
ist aber die Haftung gänzlich Unbeteiligter und Geschäftsunfähiger bzw. in der<br />
Geschäftsfähigkeit Beschränkter.<br />
<strong>4.</strong>3.3.2 Rechtsfolge<br />
Ein Dritter kann sich auf die falsch bekannt gemachte Tatsache nur gegenüber<br />
demjenigen berufen, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen war<br />
(im Beispiel die OHG-Gesellschafter A und B). Wie bei § 15 Abs. 1 HGB besteht<br />
insoweit ein Wahlrecht.
§ 15 HGB: Publizität des<br />
<strong>Handelsregister</strong>s<br />
§ 15 III HGB: positive<br />
Publizität<br />
(Richtigkeitsvermutung)<br />
§ 15 I HGB: negative<br />
Publizität<br />
(Vollständigkeitsvermutung)<br />
aber: Zerstörung des<br />
Rechtsscheins gem. § 15 II<br />
1 HGB<br />
aber: § 15 II 2 HGB<br />
<strong>4.</strong>3.4 Ergänzende Gewohnheitsrechtssätze<br />
Die sog. ergänzenden Gewohnheitsrechtssätze waren bereits vor der Fassung<br />
des heutigen § 15 Abs. 3 HGB anerkannt. Auf sie wird zurückgegriffen, um in<br />
Fällen, in denen § 15 Abs. 3 HGB nicht unmittelbar anwendbar ist, da es an einer<br />
unrichtigen Bekanntmachung fehlt, eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 3<br />
HGB zu vermeiden.<br />
Diese Grundsätze sind aufgebaut wie typische Rechtsscheintatbestände und<br />
damit strenger als der abstrakte Vertrauensschutz des § 15 Abs. 3 HGB.<br />
Voraussetzungen einer Haftung sind:<br />
• die zurechenbare Veranlassung des Rechtsscheins bzw. schuldhafte Nichtbeseitigung,<br />
• ein Handeln des Dritten im Vertrauen auf den Rechtsschein und<br />
• die Gutgläubigkeit des Dritten.<br />
Wegen des Vorrangs der gesetzlichen Regelung in § 15 Abs. 3 HGB sind aber nur<br />
noch drei, in der Praxis seltene Anwendungsfälle verblieben:<br />
• Reiner Eintragungsfehler: Die Eintragung ist falsch, aber die Bekanntmachung<br />
ist dennoch richtig.<br />
• Zwischenfehler: Die Eintragung ist falsch und eine Bekanntmachung ist<br />
noch nicht erfolgt.<br />
• Die Eintragung und/oder Bekanntmachung einer nicht eintragungspflichtigen<br />
Tatsache.
Sachverhalt<br />
Grete (G) betreibt einen eingetragenen Kaufmannsbetrieb für Küchenwaren.<br />
Als Prokuristen bestellt sie den Hans (H), der in das <strong>Handelsregister</strong> eingetragen<br />
wird. Nachdem Hans mehrmals größere Mengen von für Grete unnützen<br />
Thermomixern bestellt hat, entzieht Grete ihm die Prokura, ohne dies dem<br />
<strong>Handelsregister</strong> mitzuteilen. Einige Wochen später meldet sich der Lieferant<br />
(L) der Thermomixer bei Grete und verlangt Zahlung i. H. v. 15.000 Euro für<br />
eine neue Lieferung, die Hans am Vortag in Auftrag gegeben habe. Zu Recht?<br />
Abwandlung<br />
Grete hatte den Entzug der Prokura in das <strong>Handelsregister</strong> eintragen lassen<br />
und die Bekanntmachung war bereits erfolgt, als H einen Monat nach der Bekanntgabe<br />
abermals bei L eine Bestellung aufgab. Vom Erlöschen der Prokura<br />
hatte der L allerdings keine Kenntnis. Er verlangt daher Begleichung seiner<br />
Forderung von Grete. Zu Recht?<br />
Lösung Ausgangfall<br />
L könnte gegen G einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i. H. v.<br />
15.000 Euro aus Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 2 BGB haben.<br />
1. Hierzu müsste ein wirksamer Kaufvertrag zwischen L und G durch Angebot<br />
und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande gekommen sein.<br />
2. G selbst hat keine Willenserklärung abgegeben, sie könnte aber durch H nach<br />
§ 164 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam vertreten worden sein.<br />
3. H hat im Namen der G eine eigene Willenserklärung zum Abschluss des<br />
Kaufvertrags abgeben. H müsste des Weiteren im Rahmen seiner Vertretungsmacht<br />
gehandelt haben. G hatte H als Prokuristen bestellt und ihm<br />
damit gem. § 49 HGB eine umfassende Vollmacht erteilt (siehe zur Stellvertretung<br />
und zur Prokura auch <strong>Einheit</strong> 3).<br />
<strong>4.</strong> Problematisch ist aber, dass die Prokura dem H zum Zeitpunkt der Abgabe<br />
der Willenserklärung wieder entzogen gewesen ist. Dieses Erlöschen der Prokura<br />
kann dem L aber möglicherweise nach § 15 Abs. 1 HGB nicht entgegengehalten<br />
werden. H würde dann gegenüber L als bevollmächtigt angesehen<br />
werden. Hinsichtlich in das <strong>Handelsregister</strong> einzutragender Tatsachen gilt<br />
die Vermutung der Vollständigkeit (negative Publizität). Dritte sind in ihrem<br />
Glauben geschützt, dass sich etwas, was nicht im Register eingetragen oder<br />
bekannt gemacht ist, auch nicht ereignet hat.<br />
5. Das Erlöschen einer Prokura ist gem. § 53 Abs. 2 HGB eine eintragungspflichtige<br />
Tatsache. Dass die Prokura des H erloschen ist, wurde aber weder ins<br />
<strong>Handelsregister</strong> eingetragen noch bekannt gemacht.<br />
6. Es ist davon auszugehen, dass L vom Erlöschen der Prokura keine positive<br />
Kenntnis hatte. Ob er sich tatsächlich Gedanken über das Vorliegen der<br />
Prokura gemacht hat oder das <strong>Handelsregister</strong> danach eingesehen hat, ist<br />
unerheblich. Geschützt wird bereits das abstrakte Vertrauen.
Rechtsverkehr konnte also grundsätzlich Vertrauen in die Prokura bilden.<br />
8. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 HGB liegen vor, das Erlöschen der Prokura<br />
kann dem L damit nicht entgegengehalten werden. Die Vorschrift des<br />
§ 15 Abs. 1 HGB schützt das Vertrauen des L. Es liegt an ihm, ob er diesen<br />
Schutz in Anspruch nehmen will oder nicht. Er kann sich auf die eingetragene<br />
Rechtslage oder die wahre Rechtslage berufen. Vorliegend verlangt L<br />
die Zahlung des Kaufpreises und gibt damit zu erkennen, dass er sich auf<br />
die noch eingetragene Prokura berufen will.<br />
9. Es ist also davon auszugehen, dass H im Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung<br />
als Prokurist gem. § 49 Abs. 1 HGB zu allen Rechtshandlungen<br />
ermächtigt war. R handelte bei der Bestellung mit und im Rahmen seiner<br />
Vertretungsmacht. Die Willenserklärung des H zum Abschluss des Kaufvertrags<br />
über die Thermomixer wirkt damit für und gegen die G.<br />
Ergebnis: Es besteht ein wirksamer Kaufvertrag zwischen G und L. L kann zu<br />
Recht Zahlung des Kaufpreises i. H. v. 15.000 Euro aus dem Kaufvertrag gem.<br />
§ 433 Abs. 2 BGB verlangen.<br />
Lösung der Abwandlung<br />
Auch hier stellt sich die Frage nach der Vertretungsmacht des H bei Abschluss<br />
des Kaufvertrags.<br />
1. G hatte dem H zwar umfassende Vertretungsmacht in Form der Prokura<br />
nach § 49 Abs. 1 HGB erteilt, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit L war<br />
die Prokura aber bereits entzogen. L hatte davon allerdings keine Kenntnis.<br />
Er hat darauf vertraut, dass H weiterhin Prokurist ist. Dennoch muss er gem.<br />
§ 15 Abs. 2 S. 1 HGB das eingetragene und bekanntgemachte Erlöschen der<br />
Prokura gegen sich gelten lassen.<br />
2. Um sich auf die Ausnahme des § 15 Abs. 2 S. 2 HGB berufen zu können,<br />
müsste der Kaufvertrag innerhalb von 15 Tagen nach der Bekanntmachung<br />
des Erlöschens der Prokura geschlossen worden sein und L müsste beweisen<br />
können, dass er vom Erlöschen weder wusste noch wissen musste. Diese<br />
Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. H handelte bei Abschluss des<br />
Kaufvertrags also als Vertreter ohne Vertretungsmacht.<br />
Ergebnis: Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen L und G ist nicht zustande<br />
gekommen. L hat keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB.