Am Schrein des Misri-Schah sind nach dem ... - Navid Kermani
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War ganz schön was los, sage ich, worauf Mithu berichtet, daß die urs, die Heiligenfeste vor<br />
zehn Jahren noch größer und vor allem wilder gewesen. Heute hätten viele Leute Angst, daß<br />
eine Bombe hochgeht, außer<strong>dem</strong> sei die wirtschaftliche Lage für die Ärmeren noch schlechter<br />
geworden. Und ja, viele hätten sich auch von der <strong>Schrein</strong>skultur abgewandt. Manchmal höre<br />
er jemanden haraam rufen, „Sünde“, wenn sie bei einem Fest aufträten. Früher hätte es das<br />
nicht gegeben, früher hätten die gleichen Leute sie beinah als Heilige verehrt. Das seien sie<br />
nicht, natürlich nicht, aber doch Faqirs oder Fakire, wörtlich: „Arme“, die <strong>nach</strong> nichts<br />
anderem strebten als <strong>nach</strong> der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Menschen.<br />
Das Verbot, nächstens im <strong>Schrein</strong> <strong>des</strong> <strong>Schah</strong> Djamals zu trommeln, wie sie es gewohnt waren,<br />
hat keineswegs mit der Angst vor Terroristen zu tun, wie ich annahm. Das Verbot, klärt Mithu<br />
mich auf, sei schon zwei Jahre vor <strong>dem</strong> verheerenden Anschlag auf Data Gandsch Bakhsch<br />
ausgesprochen, das größte Heiligtum Lahores. Angeblich hätten sich die Nachbarn von <strong>Schah</strong><br />
Djamal über die Ruhestörung beschwert, tatsächlich sei es aber um einen Bodenstreit<br />
gegangen, und dann habe der Kläger eben die Fatwa eines fundamentalistischen Mullahs<br />
besorgt, der das Trommeln für unislamisch erklärte. Aber das sei wirklich nur ein Vorwand<br />
gewesen. Und der Beamte <strong>des</strong> Religionsministeriums, der das Verbot verfügte, sei auf die<br />
Musiker schlecht zu sprechen gewesen, <strong>nach</strong><strong>dem</strong> er sie zuvor für eine Hochzeit habe<br />
engagieren wollen, und sie sich geweigert hätten, mit der Gage <strong>nach</strong> unten zu gehen. Der<br />
Polizist, der den <strong>Schrein</strong> absperrte, damit darin niemand mehr trommelt oder tanzt, sei<br />
übrigens kurz darauf erblindet. Für Mithu ist das die Strafe <strong>des</strong> Heiligen gewesen, der auch<br />
Dschule Lal genannt wird, „Roter Tänzer“.<br />
- Und seit wann dürft Ihr auf <strong>dem</strong> Friedhof neben <strong>dem</strong> <strong>Schrein</strong> trommeln? frage ich.<br />
Das Ministerium habe bald gemerkt, daß kaum noch jemand den <strong>Schrein</strong> besuche und<br />
entsprechend die Spendenboxen leer blieben, die es verwaltet. Da habe es die Musik wieder<br />
erlaubt, wenn auch nur einmal die Woche. Es gehe den Beamten nur ums Geld, um nichts<br />
anderes, alle seien sie korrupt. Von ruhaniyat, Spiritualität, habe niemand eine Ahnung im<br />
Religionsministerium.<br />
Und der Rhythmus? will ich endlich wissen. Sie begännen gewöhnlich mit klassischen<br />
Rhythmen, erklärt Mithu Sain und schlägt zur Illustrierung mit den Fingern auf seine<br />
Oberschenkel, also Fünfern und Sechsern, und dann ginge es darum, diesen Rhythmus zu<br />
erweitern, mit Siebenern, Achtern, Neunen, Elfern oder Elfeinhalber, und zwar häufig zwei<br />
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