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Carl-Friedrich Stuckenberg Provozierte Notwehrlage und Actio illicita

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ens ein Urteil gegen alle Gesellschafter der GbR. Mit<br />

einem solchen Urteil kann nach § 736 ZPO in das Gesellschaftsvermögen<br />

vollstreckt werden. Probleme ergeben<br />

sich wiederum dann, wenn sich der Gesellschafterbestand<br />

ändert, also zB ein Gesellschafter nach Abschluss<br />

des Erkenntnisverfahrens wechselt. Dann liegt<br />

kein Urteil mehr gegen alle Gesellschafter der GbR vor.<br />

Notwendig ist daher, dass der gegen alle Gesellschafter<br />

erwirkte Titel (nicht aber der Einzeltitel gegen den<br />

ausgeschiedenen Gesellschafter) entsprechend § 727<br />

ZPO so umgeschrieben wird, dass er auch gegen den<br />

Neueingetretenen gerichtet ist. 88 Die Titelumschreibung<br />

versagt aber dann nach § 727 ZPO, wenn der<br />

Eintritt des Gesellschafters weder offenk<strong>und</strong>ig ist noch<br />

durch öffentlich beglaubigte Urk<strong>und</strong>en nachgewiesen<br />

werden kann. Der Gläubiger muss dann erst Klage auf<br />

Klauselerteilung nach § 731 ZPO erheben. 89<br />

Nach der nun vom BGH vertretenen Ansicht kann<br />

aus einem Urteil gegen die BGB-Gesellschaft in das<br />

Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden. Dem stehe<br />

§ 736 ZPO nicht entgegen, denn ein gegen die Gesamtheit<br />

der gesamthänderisch verb<strong>und</strong>enen Gesellschafter<br />

als Partei ergangenes Urteil sei ein Urteil »gegen<br />

alle Gesellschafter« iSd § 736 ZPO. 90 § 736 ZPO soll daneben<br />

die Bedeutung zukommen, dass auch mit einem<br />

Titel gegen alle Gesellschafter aus ihrer persönlichen<br />

Mithaftung in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt<br />

werden kann. 91<br />

V. Fazit<br />

Die Anerkennung der Rechts- <strong>und</strong> Parteifähigkeit<br />

durch den BGH erleichtert den Umgang mit der BGB-<br />

Gesellschaft im Rechtsverkehr. Welche Position man<br />

auch aus dogmatischer Sicht für richtig halten mag,<br />

diesen praktischen Nutzen, besonders in prozessualer<br />

Hinsicht, wird man nicht leugnen können.<br />

88 Zöller-Stöber (Fn 74) § 736 Rn 3; MünchKommZPO-Heßler (Fn 80) § 736<br />

Rn 22; Müther MDR 1998, 625, 629<br />

89 BGH NJW 2001, 1056, 1059<br />

90 BGH NJW 2001, 1056, 1059<br />

91 BGH NJW 2001, 1056, 1060; zustimmend K. Schmidt NJW 2001, 993,<br />

1000 f<br />

<strong>Provozierte</strong> <strong>Notwehrlage</strong> <strong>und</strong> <strong>Actio</strong> <strong>illicita</strong> in causa: Der Meinungsstand im<br />

Schrifttum<br />

Dr. <strong>Carl</strong>-<strong>Friedrich</strong> <strong>Stuckenberg</strong>, LL.M. (Harvard), Wiss. Ass., Bonn<br />

I. Einleitung<br />

Es ist seit langem umstritten, ob durch Notwehr gem<br />

§ 32 StGB gerechtfertigt ist, wer die <strong>Notwehrlage</strong> in<br />

vorwerfbarer Weise herbeigeführt (»provoziert« 1 ) hat.<br />

Vorausgesetzt ist stets die Rechtswidrigkeit des abgewehrten<br />

Angriffs. Stellt die Provokationshandlung<br />

selbst einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff dar,<br />

gegen den der <strong>Provozierte</strong> Notwehr übt, so steht dem<br />

Provokateur wie jedermann »keine Notwehr gegen<br />

Notwehr« 2 zu. Liegt indes in der Provokationshandlung<br />

schon kein »rechtswidriger Angriff« oder überschreitet<br />

der <strong>Provozierte</strong> seine Notwehrbefugnis zeitlich (extensiver<br />

Notwehrexzess) oder dem Maße nach (intensiver<br />

Notwehrexzess), so ist oder wird der Angriff des <strong>Provozierte</strong>n<br />

auf die Rechtsgüter des Provokateurs rechtswidrig<br />

<strong>und</strong> damit an sich notwehrfähig. 3<br />

Das als diffus beklagte 4 Meinungsspektrum umfasst<br />

alle denkbaren Möglichkeiten – von der ungeminderten<br />

Notwehrbefugnis über die Einschränkung der Abwehrmittel<br />

bis hin zur Versagung der Rechtfertigung<br />

– <strong>und</strong> wird durch weitere Differenzierungen kompliziert,<br />

zB ob die <strong>Notwehrlage</strong> absichtlich, vorsätzlich<br />

oder fahrlässig verursacht, ob das Provokationsver-<br />

Notwehr z Strafrecht Aufsatz<br />

halten selbst rechtswidrig oder bloß sozialethisch<br />

missbilligenswert oder rechtlich <strong>und</strong> sittlich untadelig<br />

ist, ob der Provokateur dem rechtswidrigen Angriff<br />

noch ausweichen kann oder nicht etc. Nach einer Ansicht<br />

kann der Angegriffene für die Folgen der durch<br />

Notwehr gerechtfertigten Tat strafrechtlich verantwortlich<br />

sein, indem an die unerlaubte Verursachung<br />

der <strong>Notwehrlage</strong> angeknüpft wird, sog actio <strong>illicita</strong> in<br />

causa.<br />

Aktuell ist die Problematik wegen eines neuen Urteils<br />

des BGH, 5 das die »kaum noch vertretene« 6 actio<br />

<strong>illicita</strong> nun erstmals anwendet. Mit der Entwicklung<br />

der Rspr wird sich ein späterer Beitrag befassen.<br />

1 Zu den terminologischen Varianten Kühl Jura 1991, 57, 59 mwN; ders<br />

Strafrecht AT, 3. Aufl, 2000, Rn 208; Bitzilekis Die neue Tendenz zur Einschränkung<br />

des Notwehrrechts, 1984, S 136 ff. Hruschka Strafrecht nach<br />

logisch-analytischer Methode, 2. Aufl, 1988, S 372 Fn 185, ist zuzugeben,<br />

dass der Sprachgebrauch unscharf ist: »provoziert« wird allenfalls der<br />

Angriff, gegen den Notwehr in Frage steht.<br />

2 Vgl BGH NJW 2001, 1075; Lackner/Kühl StGB, 23. Aufl, 1999, § 32 Rn 1<br />

3 Beispielsfälle aus der Rspr bei Roxin ZStW 75 (1963), 541 ff; Übungsfälle<br />

weist Kühl (Fn 1) Rn 227, 231, 252 nach.<br />

4 Baumann/Weber/Mitsch Strafrecht AT, 10. Aufl, 1995, § 16 Rn 73<br />

5 BGH NJW 2001, 1075 = JA-R 2001, 89 (Heuchemer)<br />

6 Beulke Klausurenkurs im Strafrecht I, 2001, Rn 113, 277<br />

3 894 n n JA 2001 Heft 11


Aufsatz Strafrecht z Notwehr<br />

II. Normative Ausgangslage<br />

Die Regelung der Notwehr ist traditionell auf die Sequenz<br />

zweier Handlungen zugeschnitten: einen rechtswidrigen<br />

Angriff <strong>und</strong> dessen tatbestandsmäßige Abwehr.<br />

Nun beschränken sich die Sachverhalte, in denen<br />

Notwehr relevant wird, nicht auf den Typus des<br />

überraschenden Überfalls auf ein wildfremdes Opfer,<br />

sondern oft gehen der Notwehrsituation weitere Handlungssequenzen<br />

voraus, in denen die Konfliktbeteiligten<br />

wechselseitig <strong>und</strong> gleichzeitig offensiv <strong>und</strong> defensiv<br />

agieren. 7 Für die Unrechtsbeurteilung interessiert aber<br />

nur die letzte Abwehrhandlung <strong>und</strong> der unmittelbar<br />

vorausgehende Angriff. Alle weiteren Sachverhaltsdaten<br />

werden normalerweise ausgeblendet.<br />

Diese für das Strafrecht typische Sichtweise, die<br />

einzelne Handlungen aus einem Geschehenskomplex<br />

herausstanzt <strong>und</strong> isoliert beurteilt, wird jedenfalls<br />

dann als unbefriedigend empf<strong>und</strong>en, wenn die finale<br />

Rollenverteilung (Täter – Opfer, Angreifer – Verteidiger)<br />

in der rechtlich relevanten kurzen Geschehensphase<br />

zufällig erscheint, weil beide Streitbeteiligte zuvor<br />

offensiv handelten <strong>und</strong> gleichermaßen zur Eskalation<br />

beitrugen. Daher werden zum einen die wechselseitigen<br />

Abwehrhandlungen der an einem Raufhandel<br />

(§ 227 aF = 231 nF StGB) Beteiligten als Teile der<br />

auf Überwindung des Gegners gerichteten Gesamttätigkeit<br />

<strong>und</strong> nicht als Notwehrhandlungen angesehen. 8<br />

Zudem kennt das StGB von Beginn an besondere Strafzumessungsregeln<br />

für Fälle verbalen oder tätlichen<br />

Streits, bei dem beide Seiten gleichermaßen »Schuld«<br />

tragen – § 199 StGB <strong>und</strong> früher § 233 aF StGB 9 – sowie<br />

bei nachvollziehbarer Provokation durch das Tatopfer<br />

(§ 213 StGB), in allen Fällen aber nur, wenn die Reaktion<br />

»auf der Stelle« erfolgte. Ansonsten kann Vorverhalten<br />

sowohl des Täters als auch des Opfers 10 iRd<br />

Strafzumessung nach § 46 II StGB berücksichtigt werden.<br />

Eigenes Vorverhalten belastet den Täter schließlich<br />

noch im Rahmen des § 35 I 2 StGB sowie bei der – freilich<br />

umstrittenen – actio libera in causa. 11<br />

Die heutige Notwehrregelung des § 32 StGB – ähnlich<br />

wie die Notstandsregelung des § 34 StGB 12 – berücksichtigt<br />

ihrem Wortlaut nach kein dem rechtswidrigen<br />

Angriff vorausgehendes Verhalten. 13 Allerdings<br />

wird die Fallkonstellation der provozierten Notwehr<br />

seit Jahrh<strong>und</strong>erten diskutiert <strong>und</strong> viele der heute noch<br />

vorgetragenen Argumente sind altbekannt:<br />

III. Kleine Entwicklungsgeschichte des Rechts<br />

der Notwehrprovokation<br />

Zwar schwiegen die Notwehrregelungen der Art 164 ff<br />

der Bambergischen Halsgerichtsordnung von 1507 sowie<br />

der Art 140 ff der Peinlichen Halsgerichtsordnung<br />

Kaiser Karls V. von 1532 (Constitutio Criminalis Carolina)<br />

14 zur Notwehrprovokation, doch war es seit dem<br />

Mittelalter im gemeinen Recht weit verbreitete Ansicht,<br />

dass derjenige, der einen Streit vom Zaun bricht<br />

(auctor rixae), sich gegen den, der sich dadurch zu<br />

Tätlichkeiten hinreißen lässt (auctor pugnae), nicht<br />

auf Notwehr (moderamen inculpatae tutelae) berufen<br />

kann. 15 Zur Begründung gab Carpzov in seiner 1635<br />

erstmals erschienenen, über lange Zeit <strong>und</strong> die Landesgrenzen<br />

weit hinaus äußerst einflussreichen Darstellung<br />

des sächsischen Strafrechts an, 16 dass erstens<br />

stets nicht nur auf das Ende, sondern auch auf den<br />

Beginn eines Geschehens geachtet werden müsse, also<br />

darauf, wer die unerlaubten Handlungen begonnen<br />

habe. Dann aber trage der Provokateur die Hauptschuld,<br />

weil er zuerst offensiv geworden sei. Seine<br />

»Notwehrhandlung« müsse nicht als Verteidigung,<br />

sondern als Rache gelten, die keine Gnade verdiene.<br />

Zweitens könne sich niemand auf selbst verschuldete<br />

Lebensgefahr berufen. Drittens sei der auctor rixae<br />

seines Glückes Schmied: Es sei nur billig, dass er die<br />

Fesseln, die er gemacht habe, auch selbst trage. Noch<br />

im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert versagten einige Partikulargesetzbücher<br />

dem Provokateur explizit das Notwehrrecht. 17<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert ist die Entwicklung der Notwehr<br />

von einem Sonderfall der straflosen Tötung zu einem<br />

allgemeinen Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> in seiner heutigen,<br />

»schneidigen« Form vollendet. 18 Zugleich setzte sich<br />

die Meinung durch, dass die Abwehrbefugnis auch bei<br />

Provokation des Notwehrenden zur Gänze erhalten<br />

bleibt. Exemplarisch formulierte Levita in seiner Mo-<br />

7 Dazu Hassemer Festschrift für Bockelmann, 1979, S 225, 234 ff<br />

8 RGSt 73, 341, 342 f; RG HRR 1940 Nr 1143; OLG Stuttgart NJW 1992,<br />

850, 851. Erst wenn einer der Raufenden zu erkennen gibt, dass er den<br />

Kampf nicht fortsetzen will, kann eine <strong>Notwehrlage</strong> entstehen.<br />

9 Aufgehoben durch das 6. StrRG vom 26. 1. 1998, BGBl 1998 I, 164, 175 f,<br />

weil schon die allgemeinen Vorschriften der §§ 153, 153 a StPO, 59<br />

StGB eine angemessene Lösung ermöglichten, BT-Ds 13/8587 S 36<br />

10 »Mitverschulden« des Opfers, zB durch Provokation, kann strafmildernd<br />

wirken, Tröndle/Fischer StGB, 50. Aufl, 2001, § 46 Rn 60 mwN.<br />

11 Umfassend zu den Konstellationen belastenden Vorverhaltens Neumann<br />

Zurechnung <strong>und</strong> »Vorverschulden«, 1985<br />

12 Zur schuldhaft verursachten Notstandslage siehe nur Küper Der »verschuldete«<br />

rechtfertigende Notstand, 1983; NK-StGB-Neumann, §34<br />

Rn 93 ff; Dencker JuS 1979, 779 sowie die Nachw bei Lackner/Kühl<br />

(Fn 2) § 34 Rn 2 aE; Tröndle/Fischer (Fn 10) § 34 Rn 6, 15.<br />

13 Zur »Gebotenheitsklausel« siehe unten bei Fn 30<br />

14 Die Texte sind leicht zugänglich bei Buschmann Textbuch zur Strafrechtsgeschichte<br />

der Neuzeit, 1998, S 18 ff, 103 ff<br />

15 His Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Teil I, 1920, S 198 mwN;<br />

Schaffstein Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung<br />

durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, 1930, S 73<br />

mwN; zB Carpzov Practica Nova Imperialis Saxonicae Rerum Criminalium,<br />

1635, pars I, quaestio XXIX, nn 41 – 49 mwN, der dem Provokateur<br />

die volle Strafe zudenkt. Sa Levita Das Recht der Nothwehr, 1856,<br />

S 187 f mwN. Noch 1947 hielt das OLG Kiel HESt 2, 206, 207 diese überlieferten<br />

Notwehrbeschränkungen für »gesetzlich niemals aufgehoben«.<br />

16 Carpzov (Fn 15) nn 43 – 45<br />

17 Codex Iuris Bavarici Criminalis 1751, Art 8: keine Strafmilderung, auch<br />

wenn der Täter keine Ausweichmöglichkeit mehr hatte; Josephinisches<br />

StGB von 1787, § 97, mit gemilderter Strafe; zuletzt wohl das Criminalgesetzbuch<br />

für das Königreich Hannover von 1840, Art 79, dazu Levita<br />

(Fn 15) S 188 Fn 28.<br />

18 Zur Geschichte der Notwehr siehe knapp Krause Festschrift für Bruns,<br />

1978, S 71 ff; Schaffstein (Fn 15) S 68 ff; Schroeder Festschrift für Maurach,<br />

1972, S 127, 128 ff<br />

JA 2001 Heft 11 n n 895 "


nografie von 1856, dass solche Einschränkungen »dem<br />

innersten Wesen des Nothwehrrechtes« zuwiderliefen,<br />

denn durch die Verschuldung des einen verliere die<br />

Handlung des anderen ihren widerrechtlichen Charakter<br />

nicht. 19 Die Provokation habe allein Einfluss auf<br />

die Strafzumessung. Wäre hingegen ein vom Notwehrübenden<br />

»unverschuldeter« Angriff zu verlangen, so<br />

müsste konsequenterweise nicht nur beim absichtlich<br />

verursachten, sondern auch beim bloß voraussehbaren<br />

Angriff das Notwehrrecht versagt werden. 20 Dies<br />

verletze aber »im Tiefsten das Recht der freien Persönlichkeit,<br />

welche verlangen kann, dass Niemand ihr<br />

das Recht der freien Bewegung wider Recht verkümmere.<br />

Derjenige, welcher weiss, dass ihm an einem bestimmten<br />

Orte aufgelauert wird, dass Diebe bei ihm<br />

einbrechen werden, dass Räuber eine Strasse unsicher<br />

machen, ist darum nicht gehalten, jene Orte zu meiden,<br />

der Obrigkeit die Anzeige zu machen, die Reise<br />

nicht anzutreten, sondern er geht oder bleibt, wohin<br />

<strong>und</strong> wo es ihm beliebt, <strong>und</strong> darf, wenn nun seiner Person<br />

oder seinem Eigenthum ein widerrechtlicher Angriff<br />

droht, sein Recht durch gewaltsame Selbstvertheidigung<br />

erhalten. Die Versagung dieses Rechtes<br />

würde die Freiheit des Staatsbürgers von der Willkühr<br />

des Verbrechers abhängig machen.« 21<br />

Das Preußische StGB von 1851 schwieg in § 41 ebenso<br />

wie das RStGB von 1871 in seinem § 53 zur Frage<br />

der Notwehrprovokation, weshalb verbreitet angenommen<br />

wurde, 22 dass sie nach positivem Recht unbeachtlich<br />

sei. Der Text des § 53 aF StGB blieb unverändert,<br />

obwohl einige Entwürfe 23 seit 1922 durchaus erwogen<br />

hatten, im Anschluss an eine wachsende Lit-Meinung 24<br />

dem Provokateur die Berufung auf Notwehr zu versagen,<br />

weil er der eigentliche Angreifer sei, auch ähnele<br />

der Fall der actio libera in causa. Nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg wurde die These, das scharfe Notwehrrecht<br />

bedürfe in bestimmten Fallgruppen, unter ihnen die<br />

Notwehrprovokation, der »sozialethischen« Einschränkung,<br />

zur vorherrschenden Meinung. 25 Nunmehr galten<br />

ausdrückliche gesetzliche Regelungen der Notwehreinschränkung<br />

in Provokationsfällen als überflüssig, weil<br />

dies selbstverständlich sei. 26 Die Neufassung des Allgemeinen<br />

Teils 1969 27 übernahm in § 32 nF den Text des<br />

§ 53 aF fast unverändert <strong>und</strong> fügte das vom E 1962<br />

gestrichene Merkmal der »Gebotenheit«, ursprünglich<br />

gleichbedeutend mit »Erforderlichkeit«, 28 wieder ein,<br />

um in dieser Hülse 29 die Fallgruppen der sozialethischen<br />

Notwehreinschränkungen in das Gesetz einbinden<br />

zu können. 30<br />

IV. Meinungsstand in der Literatur<br />

Die Uneinigkeit über die Rechtsfolgen der Notwehrprovokation<br />

ist bei weitem geringer als über ihre Begründung,<br />

31 deren Schwierigkeit darin liegt, sie mit<br />

dem Normtext des § 32 StGB in Einklang zu bringen. 32<br />

Die meisten Vorschläge setzen voraus, die »Provoka-<br />

Notwehr z Strafrecht Aufsatz<br />

tion <strong>und</strong> die daraus erwachsene Verletzungshandlung<br />

. . . als Sinneinheit zu betrachten«. 33 Indes lassen sich<br />

Formulierungen, dass keine echte <strong>Notwehrlage</strong> bestehe,<br />

weil der Provokant der »wahre Angreifer« sei, 34 allenfalls<br />

als untechnische 35 Wertung <strong>und</strong> Motiv einer<br />

Einschränkung verstehen. Denn Notwehr kommt überhaupt<br />

nur in Betracht (oben I.), wenn der <strong>Provozierte</strong><br />

einen »rechtswidrigen Angriff« iSd § 32 II StGB unternimmt.<br />

Ob vorheriges »angriffsweises« Vorgehen des<br />

19 Levita (Fn 15) S 188 f<br />

20 Levita (Fn 15) S 188, 190 mwN: Die Anm zu Art 125, 126 des Bayerischen<br />

StGB 1813 versagten die Notwehr gegen vorhergesehene Angriffe,<br />

weil es sich dabei um verkappte Duelle handele.<br />

21 Levita (Fn 15) S 190 (Hervorh im Original)<br />

22 Binding Die Normen <strong>und</strong> ihre Übertretung, Bd 2, 1. Hälfte, 2. Aufl,<br />

1914, S 623 ff, im Umkehrschluss aus § 54 aF, der eine unverschuldete<br />

Notstandslage (wie heute § 35 I 2) voraussetzte (allerdings hielt Binding<br />

das Gegenteil für richtiger, S 624); Köstlin System des deutschen<br />

Strafrechts, AT, 1855, S 86; Hälschner Das gemeine deutsche Strafrecht,<br />

Bd I, 1881, S 480; A. Merkel Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1889,<br />

S 163; von Liszt Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 16./17. Aufl, 1908,<br />

S 144 sowie von Liszt/Schmidt, 26. Aufl, 1932, Bd 1, S 195 f; Frank StGB,<br />

18. Aufl, 1931, § 53 Anm I 2 aE, S 161 f; alle mwN; wN auch bei Hegler<br />

Festgabe für Richard Schmidt, 1932, S 51, 62 f; Bockelmann Festschrift<br />

für Honig, 1970, S 19, 31 Fn 53<br />

23 Nachw bei Eb. Schmidt in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen<br />

Strafrechtskommission, 1958, Bd 2, Anh Nr 21, S 51 ff<br />

24 ZB Heimberger in: Aschrott/Kohlrausch Reform des Strafrechts, 1926,<br />

S 79 f zum E 1925 mwN.<br />

25 Vgl die »Bilanz« von Roxin ZStW 93 (1981), 68 ff; Bitzilekis (Fn 1)<br />

26 So Eb. Schmidt zu seinem eigenen Vorschlag, (Fn 23) S 127, <strong>und</strong> Anh<br />

Nr 21, S 57, 59. Siehe auch E 1960, BR-Ds 270/60, S 148; E 1962, BT-Ds<br />

IV/650 (BR-Ds 200/62) S 156; BT-Ds V/4095, S 14; zust Roxin ZStW 75<br />

(1963), 541, 589. Der Alternativ-Entwurf eines StGB, AT, 2. Aufl, 1969,<br />

S 51, hielt eine gesetzliche Regelung nicht für möglich.<br />

27 2. StrRG vom 4. 7. 1969, BGBl 1969 I, 717, in Kraft seit dem 1. 10. 1973<br />

28 Dazu Bockelmann (Fn 22) S 19, 24 mwN; Lenckner GA 1968, 1, 6 ff<br />

mwN; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron StGB, 26. Aufl, 2001, § 32<br />

Rn 44; siehe auch Schroeder (Fn 18) S 131 f; Hruschka (Fn 1) S 373<br />

29 Lenckner GA 1968, 1, 6 ff<br />

30 BT-Ds V/4095, S 14; krit Maurach Deutsches Strafrecht, AT, 4. Aufl, 1971,<br />

§ 26 II B 2, S 314; Bockelmann wie Fn 28; abl Bertel ZStW 84 (1972), 1, 2.<br />

Nach Kratzsch Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht, 1968, S 35 ff,<br />

44 ff, 51 ff; ders GA 1971, 65, 76, 80 ff; ders JuS 1975, 435, 438 ff; ders<br />

NJW 1975, 1933, 1934, verstoßen sämtliche Notwehreinschränkungen<br />

gegen Art 103 II GG, weil § 32 StGB insoweit keiner Auslegung zugänglich<br />

sei, ähnl Vassilaki/Hüthig Jura 1997, 266, 268, dagegen zutr Lenckner<br />

GA 1968, 1, 9; Roxin ZStW 93 (1981), 68, 78 ff; Jakobs Strafrecht AT,<br />

2. Aufl, 1991, Tz 12/42 Fn 87; Krey Deutsches Strafrecht AT, 2001,<br />

Rn 521; siehe auch Koch ZStW 104 (1992), 785, 816 ff<br />

31 Zu Recht krit Kindhäuser Gefährdung als Straftat, 1989, S 117, dass bei<br />

dieser Streitfrage die Prämissen am Ergebnis <strong>und</strong> nicht das Ergebnis an<br />

den Prämissen ausgerichtet werde.<br />

32 Otto Gr<strong>und</strong>kurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehren, 6. Aufl, 2000,<br />

§ 8 Rn 81<br />

33 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 586<br />

34 So schon Carpzov (oben nach Fn 16); Heimberger (Fn 24) S 80; E 1960<br />

BR-Ds 270/69, S 148; Blei Strafrecht AT, 18. Aufl, 1983, § 39 II 1, S 144; Jescheck<br />

Lehrbuch des Strafrechts AT, 1. Aufl, 1969, § 32 IV 2. a), S 232;<br />

Krey (Fn 30) Rn 510; Roxin Strafrecht AT I, 3. Aufl, 1997, § 15 Rn 62;<br />

Wessels/Beulke Strafrecht AT, 30. Aufl, 2000, Rn 347; Himmelreich GA<br />

1966, 129, 134.<br />

35 AA Constadinidis Die »<strong>Actio</strong> <strong>illicita</strong> in causa«, 1982, S 123 ff mwN: Der<br />

Provokateur begehe einen mittelbaren Angriff auf sich selbst, so dass<br />

die gesetzliche Voraussetzung eines rechtswidrigen Fremdangriffs fehle.<br />

Das ist nicht haltbar, solange sich der <strong>Provozierte</strong> selbst zB gem<br />

§§ 223 ff StGB strafbar macht, zutr Neumann (Fn 11) S 148; Kühl (Fn 1)<br />

Rn 233; Matt NStZ 1993, 271. Luzón Jahrbuch für Recht <strong>und</strong> Ethik 2<br />

(1994), 353, 363, sieht in der Provokation eine Anstiftung zum Versuch.<br />

Dem steht nach hM entgegen, dass der Anstifter die Vollendung der<br />

Tat wollen muss, woraus auch die Straflosigkeit des agent provocateur<br />

folgt, vgl nur Lackner/Kühl (Fn 2) § 26 Rn 4 mwN<br />

3 896 n n JA 2001 Heft 11


Aufsatz Strafrecht z Notwehr<br />

Provokateurs die Notwehr ausschließt, ist gerade die<br />

Frage. 36 Das Merkmal des »Gebotenseins« in § 32 I<br />

StGB gibt keinerlei Kriterien vor. 37 Am einfachsten<br />

wäre es deshalb, wenn in Provokationsfällen eine der<br />

Notwehrvoraussetzungen aus § 32 II StGB fehlte:<br />

1. Fehlender Verteidigungswille<br />

Bisweilen wird die Abwehr des provozierten Angriffs<br />

schon deshalb nicht für gerechtfertigt angesehen, weil<br />

dem Provokateur der nötige Verteidigungswille fehle<br />

bzw dieser nur vorgetäuscht werde, da er in Wahrheit<br />

den <strong>Provozierte</strong>n unter dem Deckmantel der Notwehr<br />

angreifen wolle. 38 Versteht man unter »Verteidigungswillen«<br />

lediglich das fast einhellig 39 als subjektives<br />

Rechtfertigungsmerkmal geforderte Bewusstsein der<br />

<strong>Notwehrlage</strong> <strong>und</strong> des Handelns in Abwehr eines Angriffs,<br />

so wird man dieses dem Provokanten nicht absprechen<br />

können, 40 der ja stets beides will: zB die drohenden<br />

Schläge des Angreifers abwehren, indem er<br />

selbst schlägt. 41 Verlangte man mit der überwiegenden<br />

Meinung zusätzlich zur Kenntnis der <strong>Notwehrlage</strong><br />

noch die Absicht bzw das Motiv der Verteidigung, 42 so<br />

ließe sich auch dies nicht verneinen, zumal die Rspr 43<br />

selbst es für unschädlich hält, wenn andere Motive<br />

hinzutreten.<br />

2. Einwilligung des Provokateurs in den Angriff<br />

In der absichtlichen Provokation könnte ein der Einwilligung<br />

<strong>und</strong> bewussten Risikoübernahme ähnlicher<br />

Rechtsschutzverzicht liegen, so dass der provozierte<br />

Angriff mangels Erfolgsunrechts nicht rechtswidrig<br />

wäre, wenn er sich im vorhergesehenen Rahmen<br />

hält. 44 Bei tödlichen Abwehrhandlungen hilft dieser<br />

Ansatz wegen § 216 StGB jedoch nicht weiter. Auch in<br />

die eigene Verletzung wird selbst der Absichtsprovokateur<br />

nicht einwilligen wollen 45 <strong>und</strong> jedenfalls in dem<br />

Moment, in dem er sich zu wehren beginnt, eine etwaige<br />

Einwilligung widerrufen haben. 46 Nur im übertragenen<br />

Sinne ließe sich sagen, dass der Provokateur<br />

im Ergebnis so behandelt wird, als ob er eingewilligt<br />

habe, 47 doch dazu braucht es eines dogmatischen F<strong>und</strong>aments.<br />

Zudem übersieht diese schon bei Carpzov zu<br />

findende Wertung (auctor rixae faber suae fortunae<br />

est 48 ) die Verantwortlichkeit des Angreifers.<br />

Die meisten Lösungsansätze versuchen, die Leerformel<br />

des »Gebotenseins« der Notwehr durch Heranziehung<br />

allgemeiner Gr<strong>und</strong>sätze 49 auszufüllen:<br />

3. Rechtsmissbrauch<br />

So wird als alleiniger oder zusätzlicher Gesichtspunkt<br />

auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs zurückgegriffen:<br />

Wer eine Situation so manipuliere, dass der<br />

Gegner zuerst angreife, um ihn dann im Zuge der Abwehr<br />

zu verletzen, dürfe sich auf Rechtfertigung nicht<br />

berufen. 50 Es »dürfte ein Rechtsmissbrauch selten so<br />

offenk<strong>und</strong>ig sein wie bei einer derartigen Pervertierung<br />

des Notwehrrechts«. 51 Schon früh wurde auf die<br />

Gedanken der exceptio doli <strong>und</strong> des venire contra factum<br />

proprium hingewiesen. 52 Dem ist entgegnet worden,<br />

dass die zivilrechtliche Figur des Missbrauchs<br />

eines bestehenden subjektiven Rechts (vgl das Schikaneverbot<br />

des § 226 BGB) auf Rechtfertigungsgründe<br />

nicht übertragbar sei: 53 Die Voraussetzungen des Notwehrrechts<br />

seien gegeben oder nicht gegeben, aber<br />

missbrauchen lasse sich das gegebene Recht nicht, 54<br />

allenfalls das Institut 55 der Notwehr. Im Übrigen sei<br />

das Missbrauchsprinzip völlig unbestimmt 56 oder gar<br />

36 Sehr klar (<strong>und</strong> im Ergebnis verneinend) RGRspr 6 (1884), 576, 577<br />

37 Hruschka (Fn 1) S 372 f; Kühl (Fn 1) Rn 208 (»inhaltsleer«); Lenckner GA<br />

1968, 1, 2 (»nichtssagend«); Mitsch Straflose Provokation strafbarer Taten,<br />

1986, S 109 f; ders GA 1986, 533, 537; Otto Festschrift für Würtenberger,<br />

1977, S 129, 136; ders (Fn 32) § 8 Rn 68<br />

38 LK-Hirsch, StGB, 11. Aufl, 1994, Vor § 32 Rn 62; Geilen Strafrecht AT,<br />

2. Aufl, 1976, S 96; Krey (Fn 30) Rn 510<br />

39 Abl nur noch LK-Spendel, StGB, 11. Aufl, 1992, § 32 Rn 138 ff<br />

40 So schon Hegler (Fn 22) S 63 Fn 44; Baumann/Weber Strafrecht AT,<br />

9. Aufl, 1985, § 21 II 1 b), S 308; Bertel ZStW 84 (1972), 1, 3; Berz JuS<br />

1984, 340, 343; Bitzilekis (Fn 1) S 167 ff; Bockelmann (Fn 22) S 25; Constadinidis<br />

(Fn 34) S 119 f; Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 Fn 106 (Vermengung<br />

der Lauterkeit des Wollens mit dem psychischen Faktum eines Wollens);<br />

Kühl (Fn 1) Rn 233; Mitsch (Fn 37) S 109 Fn 11; Neumann (Fn 11)<br />

S 143; Renzikowski Notstand <strong>und</strong> Notwehr, 1994, S 306 Fn 125; SK-<br />

StGB-Günther, § 32 Rn 122<br />

41 Sehr deutlich Mitsch GA 1986, 533, 537: »Eine Verteidigung ohne Angriffswillen<br />

ist bei einer Vorsatztat <strong>und</strong>enkbar«.<br />

42 Dazu siehe nur NK-StGB-Herzog § 32 Rn 127 mwN; krit Roxin ZStW 75<br />

(1963), 541, 562 ff; Jakobs (Fn 30) Tz 11/18 ff, 21 mwN<br />

43 RGSt 60, 261, 262; RG ZRpflBay 5 (1909), 131, 132; BGHSt 3, 194, 198; 5,<br />

245, 247; jüngst BGH NStZ 1996, 29, 30; 2000, 365, 366<br />

44 Oppenhoff Das StGB für das Deutsche Reich, 11. Aufl, 1888, § 53 Anm 7<br />

(volenti non fit iniuria); Maurach/Zipf, Strafrecht AT, Teilbd I, 8. Aufl,<br />

1992, § 26 Rn 43 ff; Wagner (Fn 63) S 71; ähnl Montenbruck Thesen zur<br />

Notwehr, 1983, S 42 f, 76 (beschränkt auf disponible, nicht existenzielle<br />

Rechtsgüter)<br />

45 Hegler (Fn 22) S 63 Fn 44; Bitzilekis (Fn 1) S 167; Bockelmann (Fn 22)<br />

S 25; Constadinidis (Fn 34) S 120 f; Hillenkamp Vorsatztat <strong>und</strong> Opferverhalten,<br />

1981, S 129; Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 Fn 106; Kühl Jura 1991, 175,<br />

176; ders (Fn 1) Rn 233; Mitsch (Fn 37) S 109 Fn 11; Neumann (Fn 11)<br />

S 143 f; Roxin ZStW 93 (1981), 68, 85 Fn 40; krit zur Zulässigkeit der Einwilligung<br />

Berz JuS 1980, 340, 343 Fn 41<br />

46 Von Bar Gesetz <strong>und</strong> Schuld, Bd III, 1909, S 160<br />

47 Zutr Hillenkamp (Fn 45)<br />

48 Carpzov (Fn 15) 45<br />

49 Hassemer sieht darin einen Rückschritt in ein »vorpositives Stadium«,<br />

(Fn 7) S 227 ff, dagegen zutr Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 Fn 106<br />

50 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 556 ff; Welzel Das deutsche Strafrecht,<br />

11. Aufl, 1969, § 14 II 2, S 87; Wessels/Beulke (Fn 34) Rn 347; Geilen<br />

(Fn 38)<br />

51 Lenckner GA 1961, 299, 302<br />

52 Krit Hegler (Fn 22) S 63 f mwN<br />

53 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 3 f; Berz JuS 1984, 340, 343; Kratzsch Grenzen<br />

(Fn 30) S 38 ff, 42 ff; Otto (Fn 37) S 135<br />

54 Baumann/Weber (wie Fn 40); Schmidhäuser Festschrift für Honig, 1970,<br />

S 185, 188 f; ders Strafrecht AT (Lehrbuch), 2. Aufl, 1975, Tz 9/109 (freilich<br />

unter seiner Prämisse, dass Notwehr kein Individualrecht sei); auch<br />

Bitzilekis (Fn 1) S 57 ff, 152; Constadinidis (Fn 34) S 91 f, 116; Fre<strong>und</strong><br />

Strafrecht AT, 1998, § 3 Rn 118; Kindhäuser (Fn 31) S 117; Koch ZStW<br />

104 (1992), 785, 809; Krause (Fn 18) S 79; Marxen Die »sozialethischen«<br />

Grenzen der Notwehr, 1979, S 57; Mitsch (Fn 37) S 111 ff; ders GA 1986,<br />

533, 538 f; Renzikowski (Fn 40) S 304 f; SK-StGB-Günther, § 32 Rn 122<br />

55 Schröder JR 1962, 187, 188; Lenckner JZ 1973, 253, 254<br />

56 Hirsch Festschrift für Dreher, 1977, S 211, 217 Fn 23; ähnl Roxin ZStW 93<br />

(1981), 68, 78<br />

JA 2001 Heft 11 n n 897 "


inhaltslos. 57 Auch folge selbst aus einer rechtswidrigen<br />

Herbeiführung der <strong>Notwehrlage</strong> nicht, dass die Notwehrhandlung<br />

missbräuchlich sein müsse. 58 In der Tat<br />

lässt sich von »Rechtsmissbrauch« sinnvoll nur sprechen,<br />

wenn damit bestimmte Formen der Ausübung<br />

eines existenten Rechts für unzulässig erklärt werden.<br />

Ist das Notwehrrecht aber die Befugnis, den Angreifer<br />

zu verletzen, so ist eine solche Stufung schwer möglich.<br />

59 Die vollständige Versagung des Notwehrrechts<br />

etwa bei der Absichtsprovokation wäre besser als »Verwirkung«<br />

zu bezeichnen. 60 Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Grenzen dieser<br />

Rechtsfolge sind damit freilich ebenso wenig erklärt.<br />

4. Rückgriff auf die ratio des Notwehrrechts<br />

Überwiegend wird angenommen, das Notwehrrecht<br />

lasse sich in seiner Schärfe nur durch zwei Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

erklären (sog dualistische Notwehrlehre), zum<br />

einen durch das Schutzprinzip, dh Selbstverteidigung<br />

zum Schutz individueller Rechtsgüter, <strong>und</strong> zum anderen<br />

durch das Rechtsbewährungsprinzip, wonach der<br />

Verteidiger zugleich die Rechtsordnung als ganze verteidigt<br />

(oft verkürzt auf den trivialen 61 Satz »das Recht<br />

braucht dem Unrecht nicht zu weichen« 62 ). 63 Der Absichtsprovokateur<br />

hingegen habe sich als Repräsentant<br />

der Rechtsordnung disqualifiziert, sei also zu ihrer<br />

Verteidigung nicht mehr befugt, 64 da seine Verteidigungshandlung<br />

»mit dem Makel des vorausgegangenen<br />

Unrechts behaftet« 65 wäre. Maßgebend sei<br />

nicht die böse Absicht, sondern der objektive Sinn des<br />

Verhaltens, dh dass der Täter die Situation bewusst<br />

manipuliert habe, um sein Ziel zu erreichen. 66 Auch<br />

generalpräventive Gründe verlangten keine scharfe<br />

Zurückweisung provozierter Angriffe. Denn Angriffe,<br />

die aus beiderseitigem Verschulden entstehen, riefen<br />

in der Bevölkerung weniger Erregung hervor als unvorhergesehene,<br />

weil sich der Bürger sage, dass er es<br />

insoweit selbst in der Hand habe, solche Situationen<br />

zu vermeiden, <strong>und</strong> darum weniger gefährdet fühle. 67<br />

Abgesprochen wird dem Provokateur zudem das<br />

Selbstschutzinteresse, weil derjenige, der sich selbst<br />

einem Angriff ausgesetzt habe, weder faktisch des<br />

Schutzes bedürfe noch normativ den Schutz der<br />

Rechtsordnung verdiene. 68 Dass demnach beide Kontrahenten<br />

rechtswidrig handelten, sei kein Widerspruch,<br />

sondern teleologisch geboten. 69<br />

Heute wird für eine Notwehreinschränkung zumeist<br />

rechtswidriges 70 Provokationsverhalten gefordert, denn<br />

rechtmäßiges, aber »sozialethisch wertwidriges« Verhalten<br />

(Belästigungen, Hänseleien, Taktlosigkeiten), das nur<br />

wenige 71 genügen lassen, verlasse den Boden des Rechts<br />

nicht, zudem sei das Kriterium zu vage. Sozialadäquates<br />

Verhalten <strong>und</strong> erst recht Ausübung eigener Rechte soll<br />

keine Einschränkungen nach sich ziehen. 72 Zudem müsse<br />

das Vorverhalten in engem zeitlichen Zusammenhang<br />

mit dem ausgelösten Angriff stehen sowie adäquat-kausal<br />

73 bzw objektiv sorgfaltswidrig 74 hierfür sein.<br />

Notwehr z Strafrecht Aufsatz<br />

Auch über die Rechtsfolgen besteht Uneinigkeit:<br />

n Dem Absichtsprovokateur soll die Notwehr versagt<br />

sein, sei es immer, 75 sei es, solange er dem Angriff, der<br />

57 Roxin ZStW 93 (1981), 68, 78, dagegen Neumann (Fn 11) S 156<br />

58 Jakobs (wie Fn 40); Neumann (Fn 11) S 156 f; Bockelmann (Fn 22) S 28 f<br />

mit Verweis auf § 228 BGB (der verschuldete Notstand rechtfertigt).<br />

59 Zutr Neumann (Fn 11) S 160; Mitsch GA 1986, 533, 539; Bitzilekis (Fn 1)<br />

S 152<br />

60 Vgl Neumann (Fn 11) S 160<br />

61 Hassemer (Fn 7) S 240<br />

62 Der Satz geht auf Berner ArchCrimR NF 19 (1848), 547, 562 zurück; vgl<br />

Frister GA 1988, 291, 296; Kühl Festschrift für Triffterer, 1996, S 149,<br />

158 ff; ders JuS 1993, 177, 180 mwN<br />

63 Blei (Fn 34) § 39 III 2 b; Gropp Strafrecht AT, 1997, § 6 Rn 92 ff; Jescheck/<br />

Weigend Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl, 1996, § 32 III. 3. a), S 346;<br />

Krause (Fn 18) S 81 ff; Lackner/Kühl (Fn 2) § 32 Rn 1; Maurach/Zipf<br />

(Fn 44) § 26 Rn 4; Mayer Strafrecht AT, 1967, § 22 IV 3 a; NK-StGB-Herzog,<br />

§ 32 Rn 115; Otto (Fn 37) S 138 ff; ders (Fn 32) § 8 Rn 93 ff; Roxin<br />

ZStW 75 (1963), 541, 566 ff; ders ZStW 93 (1981), 68, 85 ff; ders (Fn 34)<br />

§ 15 Rn 1 ff, 61 ff; Rudolphi JuS 1969, 461, 464; Schönke/Schröder/<br />

Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 1 mwN; Schumann JuS 1979, 559, 564 f;<br />

Stratenwerth Strafrecht AT I, 4. Aufl, 2000, § 9 Rn 83; siehe auch E 1962<br />

BT-Ds IV/650, S 156 f. Überblick über den Streit um die Notwehrbegründung<br />

bei Kühl JuS 1993, 177, 178 ff; siehe auch Roxin ZStW 93 (1981),<br />

68, 70 ff; Renzikowski (Fn 40) S 76 ff; Wagner Individualistische oder<br />

überindividualistische Notwehrbegründung, 1984.<br />

64 Besonders deutlich Roxin ZStW 75 (1963), 541, 567, 575, 579; ebenso<br />

Jescheck/Weigend (wie Fn 63); Krause (Fn 18) S 81 ff; Krey (Fn 30)<br />

Rn 510; Kühl (Fn 1) Rn 240 f; Otto (Fn 37) S 144; ders (Fn 32) § 8 Rn 98;<br />

Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 47, 54; Schünemann<br />

JuS 1979, 275, 278; zu Varianten siehe Neumann (Fn 11) S 161 mwN<br />

65 Lenckner JZ 1973, 253, 255<br />

66 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 558 ff, 567; ders 93 (1981), 68, 87; Lenckner<br />

JR 1984, 206, 208; Kühl (Fn 1) Rn 230<br />

67 Roxin ZStW 93 (1981), 68, 87 ff; ders (Fn 34) § 15 Rn 65; ähnl Rudolphi<br />

JuS 1969, 461, 464 (dem provozierten Angriff komme »nicht der Sinn<br />

einer Störung des allgemeinen Rechtsfriedens, sondern der einer individuellen<br />

Vergeltungsaktion zu«, vgl Carpzov, oben bei Fn 16); aA Bertel<br />

ZStW 84 (1972), 1, 9 ff; Frister GA 1988, 291, 309 f; Hinz JR 1993,<br />

353, 357; Renzikowski (Fn 40) S 113 f<br />

68 Roxin (Fn 34) § 15 Rn 61 (bei vorsätzlicher Selbstgefährdung); ders<br />

ZStW 75 (1963), 567, 575, 579; ders ZStW 93 (1981), 68, 85 f; Rudolphi<br />

JuS 1969, 461, 464 (nicht bei Fahrlässigkeit); Schünemann JuS 1979,<br />

275, 278; ähnl Wagner (Fn 63) S 70 f; krit Bertel ZStW 84 (1972), 1, 6 f<br />

69 Roxin (Fn 34) § 15 Rn 62<br />

70 Bitzilekis (Fn 1) S 139 ff mwN, 146; Jescheck/Weigend (Fn 63) S 347 f;<br />

Krey (Fn 30) Rn 514; Kühl (Fn 1) Rn 219 ff; ders Festschrift für Bemmann,<br />

1997, S 193, 199 f; ders StV 1997, 298, 299; Lenckner GA 1961, 299, 310;<br />

ders JZ 1973, 253, 254; NK-StGB-Herzog, § 32 Rn 121; Otto (Fn 37)<br />

S 142 ff; ders (Fn 32) § 8 Rn 81, 98; Roxin (Fn 34) § 15 Rn 61, 67 ff, 69;<br />

ders ZStW 93 (1981), 68, 90 f (unter Aufgabe seiner früheren Auffassung,<br />

siehe Fn 71); Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 59<br />

71 Schünemann JuS 1979, 275, 279; Stratenwerth (Fn 63) § 9 Rn 83; Wessels/Beulke<br />

(Fn 34) Rn 348 f; nur bei Absichtsprovokation: NK-StGB-Herzog,<br />

§ 32 Rn 121; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 55;<br />

Constadinidis (Fn 34) S 88; früher auch Roxin ZStW 75 (1963), 541,<br />

570 ff; ders NJW 1972, 1822 (siehe vorige Fn).<br />

72 Lenckner GA 1961, 299, 309 f; Roxin ZStW 75 (1963), 541, 559 ff; ders<br />

ZStW 93 (1981) 68, 89; Kühl (Fn 1) Rn 215; NK-StGB-Herzog § 32 Rn 115<br />

(anders bei Absichtsprovokation: Rn 121); Otto (Fn 32) § 8 Rn 87; siehe<br />

auch Bertel ZStW 84 (1972), 1, 27 ff<br />

73 Lenckner JZ 1973, 253, 255 (Angriff muss in angemessenem Verhältnis<br />

zum Gewicht der Provokation stehen); Krey (Fn 30) Rn 514; NK-StGB-<br />

Herzog § 32 Rn 122 (nicht bei gegenseitigen Beeinträchtigungen <strong>und</strong><br />

provozierten Provokationen); Roxin (Fn 34) § 15 Rn 69; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron<br />

(Fn 28) § 32 Rn 59 (bei adäquater Reaktion behalte<br />

der provozierte Provokateur das volle Notwehrrecht); Krack JR 1996,<br />

468, 469<br />

74 Bitzilekis (Fn 1) S 146 ff<br />

75 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 566 ff; ders ZStW 93 (1981), 68, 86 f (es sei<br />

»nicht recht einzusehen«, warum der Provokateur »die Notwehrbefugnis<br />

nur deshalb behalten soll, weil er etwas nicht kann, was er<br />

überhaupt nicht will«, dh ausweichen); ders (Fn 34) § 15 Rn 63; wohl<br />

auch Stratenwerth (Fn 63) § 9 Rn 83 (auch bei vorsätzlicher Provokation<br />

allenfalls noch §§ 34, 35 StGB)<br />

3 898 n n JA 2001 Heft 11


Aufsatz Strafrecht z Notwehr<br />

sich im vorhergesehenen Rahmen hält, noch ausweichen<br />

könne. Kann er nicht mehr ausweichen, so wird<br />

ihm verbreitet ein Notwehrrecht – mitunter gekoppelt<br />

mit der Haftung aus actio <strong>illicita</strong> in causa (unten 6.) –<br />

zugesprochen, weil er weder verpflichtet noch gezwungen<br />

werden könne, den rechtswidrigen Angriff<br />

zu dulden, 76 <strong>und</strong> weil die Rechtsordnung dem Unrecht<br />

des Angriffs nicht den Vorrang einräumen dürfe. 77<br />

n Bei bedingt vorsätzlicher oder fahrlässiger Provokation<br />

bleibe das Selbstschutzinteresse intakt <strong>und</strong> das<br />

Rechtsbewährungsinteresse sei nur eingeschränkt, 78<br />

daher soll defensive Abwehr erlaubt sein <strong>und</strong> Trutzwehr<br />

dann, wenn Ausweichen nicht mehr möglich ist<br />

<strong>und</strong> schwere Beeinträchtigungen drohen. 79 Vereinzelt<br />

wird jegliche Notwehreinschränkung bei fahrlässiger<br />

Provokation abgelehnt. 80<br />

n Der Begriff der Absicht wird <strong>und</strong>eutlich gebraucht, 81<br />

folglich ist die Zuordnung der Provokation mit dolus<br />

directus umstritten: teils wird sie der Absichtsprovokation<br />

gleichgestellt, 82 teils der »sonst verschuldeten«<br />

Provokation zugeschlagen. 83<br />

Es wird allerdings bestritten, dass die Notwehr der<br />

»Bewährung der Rechtsordnung« diene, 84 da unerklärlich<br />

sei, warum die Rechtsordnung dann nur bei<br />

tauglicher Bedrohung individueller Güter verteidigt<br />

werden dürfe. Gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber<br />

mit dem Notwehrrecht Generalprävention betreibe,<br />

85 spreche überdies die allgemeine Ansicht, die<br />

Abwehr von »Angriffen auf die Rechtsordnung als solche«<br />

sei »Sache des Staates <strong>und</strong> seiner Organe«, stehe<br />

»also nicht dem einzelnen Bürger zu«, 86 mithin die<br />

Wahrung des staatlichen Gewalt- <strong>und</strong> Strafmonopols. 87<br />

Dies trifft auch diejenigen monistischen Notwehrbegründungen,<br />

die § 32 StGB allein auf den Schutz der<br />

Rechtsordnung 88 gründen. Selbst wenn man die überindividuelle<br />

oder sozialrechtliche 89 Komponente der<br />

Notwehr akzeptiert, heißt das nicht, dass der Angegriffene<br />

iS einer persönlichen Vergünstigung die<br />

»unantastbare Majestät des Rechts« 90 nur verteidigen<br />

dürfte, wenn er dazu »würdig« genug sei. 91 Dass ein<br />

»Rechtsbewährungsinteresse« bestehen bleibt, zeigt<br />

überdeutlich die Strafbarkeit des <strong>Provozierte</strong>n. Die<br />

Befugnis zur Verteidigung der Rechtsordnung kann<br />

dem Einzelnen auch nicht in seinem Interesse eingeräumt<br />

sein, so dass er sie durch Fehlverhalten verspielen<br />

könnte. 92 Erst recht könne dies nicht zu Lasten<br />

unbeteiligter Dritter gehen, die in den Konflikt verwickelt<br />

werden. 93<br />

Wenn zudem nach Roxin im Fall der provozierten<br />

Provokation das Notwehrrecht bestehen bleiben soll,<br />

weil der Angreifer als Erster den Boden des Rechts<br />

verlassen habe, 94 so müsste eine Provokationskette<br />

mit wechselnden Rollen uU lange in die Vergangenheit<br />

zurückverfolgt werden, um herauszufinden, wer<br />

den Anfang gemacht hat. 95 Damit hängt das Notwehrrecht<br />

von Zufälligkeiten ab <strong>und</strong> wird praktisch<br />

wertlos.<br />

Schließlich gebe der Gedanke der fehlenden Befugnis<br />

zur Rechtsbewährung weder Kriterien für die Voraussetzungen<br />

noch für die Rechtsfolgen her. 96<br />

76 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 6; NK-StGB-Herzog, § 32 Rn 116 f; Jescheck/<br />

Weigend (Fn 63) S 346 f; Lenckner GA 1961, 299, 301 f; ders JZ 1973,<br />

253, 255 f; ders JR 1984, 206, 208; NK-StGB-Herzog § 32 Rn 115 f; Roxin<br />

(Fn 34) § 15 Rn 66; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32<br />

Rn 56 f; Schünemann JuS 1979, 275, 280; aA Roxin ZStW 75 (1963), 541,<br />

568 ff<br />

77 Berz JuS 1984, 340, 343; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32<br />

Rn 57<br />

78 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 578 f; NK-StGB-Herzog § 32 Rn 120<br />

79 Bitzilekis (Fn 1) S 183 f; Krey (Fn 30) Rn 514; NK-StGB-Herzog §32<br />

Rn 124; Roxin (Fn 34) § 15 Rn 65; ders ZStW 73 (1963), 541, 580; Lenckner<br />

JZ 1973, 253, 255 f; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32<br />

Rn 60 mwN<br />

80 Wagner (Fn 63) S 72 ff; Hinz JR 1993, 353, 357 f<br />

81 Bockelmann (Fn 22) S 23 f; Otto (Fn 37) S 137<br />

82 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 574 ff; Kühl (Fn 1) Rn 228; Stratenwerth<br />

(Fn 63) § 9 Rn 83<br />

83 Lenckner GA 1961, 299, 309 f<br />

84 Jakobs (Fn 30) Tz 12/20; Frister GA 1988, 291, 295 ff, 298; Hoyer JuS<br />

1988, 89, 90 ff; Mitsch (Fn 37) S 116 ff; Neumann (Fn 11) S 162 ff; Renzikowski<br />

(Fn 40) S 111 ff; SK-StGB-Günther, § 32 Rn 11 ff; Wagner (Fn 63)<br />

S 68 ff; Constadinidis (Fn 34) S 98 ff, 116 f; Übersicht bei Kühl JuS 1993,<br />

177, 182, alle mwN. Vgl das bekannte Wort Franks (Fn 22) § 53 Anm I 2,<br />

S 161, von der »weltfremden Auffassung, dass bei der Notwehr der Angegriffene<br />

den Kampf des Rechts des Unrechts führe, während er tatsächlich<br />

doch weiter nichts will, als sich oder andere schützen«.<br />

85 Roxin ZStW 93 (1981), 68, 73, während das Schutzprinzip der Spezialprävention<br />

diene.<br />

86 Statt vieler BGHSt 5, 245, 247 ff; Wessels/Beulke (Fn 34) Rn 332<br />

87 Neumann (Fn 11) S 162 f, 164 mwN; Frister GA 1988, 291, 295 ff; aA Roxin<br />

ZStW 93 (1981), 68, 74 f, der das staatliche Gewaltmonopol als »teilweise<br />

suspendiert« ansieht, aber – gegen Mayer (Fn 63) § 22 II 2 a – einen<br />

poenalen Charakter der Notwehr verneint. Siehe auch Schmidhäuser<br />

(Fn 54) Tz 9/86; ders GA 1991, 97, 115 ff, 124 f, der die empirische<br />

Geltung der Rechtsordnung als Schutzobjekt sieht.<br />

88 Bitzilekis (Fn 1) S 57 ff; 170 ff; Haas Notwehr <strong>und</strong> Nothilfe, 1978,<br />

S 216 ff, 354 ff; dazu Roxin ZStW 93 (1981), 68, 72 f; Kühl JuS 1993, 177,<br />

182<br />

89 Zur Begrifflichkeit siehe Roxin ZStW 93 (1981), 68, 73<br />

90 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 580<br />

91 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 9 ff, 13; Fre<strong>und</strong> (Fn 54) § 3 Rn 118; Kühl (Fn 1)<br />

Rn 239; Wagner (Fn 63) S 70<br />

92 Bockelmann (Fn 22) S 30 f; Baumann/Weber (Fn 40) S 307; Wagner<br />

(Fn 63) S 70; Neumann (Fn 11) S 174 f. Der hier nahe liegende Gedanke<br />

widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) führt<br />

zurück zur Figur des Rechtsmissbrauchs <strong>und</strong> bedarf weder des Schutznoch<br />

des Rechtsbewährungsprinzips, Neumann wie vor, S 175 f. Beachte<br />

die Parallelität zur Konstellation des agent provocateur, dessen dem<br />

Staat zurechenbares Verhalten die staatliche Strafbefugnis nach wohl<br />

überwM nicht, nach aA aber wegen venire contra factum proprium<br />

ausschließt (so die frühere Rspr, zB BGH NJW 1981, 1626 f; StV 1984,<br />

406, 407; dazu Bruns StV 1984, 388, 391 ff; von Danwitz StV 1995, 431 ff<br />

mwN), Bockelmann (Fn 22) S 31 Fn 52.<br />

93 Jakobs (Fn 30) Tz 12/51 Fn 107; Renzikowski (Fn 40) S 112; eingehend<br />

zur Nothilfeprovokation: Mitsch GA 1986, 533 ff; ders (Fn 37) S 108 ff;<br />

Engels Die Angriffsprovokation bei der Nothilfe, Diss Würzburg 1992;<br />

auch Bitzilekis (Fn 1) S 190 ff<br />

94 Roxin ZStW 93 (1981), 68, 91 Fn 51<br />

95 Zutr Mitsch (Fn 37) S 114 f mit der Bemerkung, dass diese Konstellation<br />

weniger ein »Sonderfall« (Roxin, vorige Fn) als der Normalfall sein<br />

dürfte, so schon Bertel ZStW 84 (1972), 1, 11 ff; jetzt Hinz JR 1993, 353,<br />

357; zur provozierten Provokation siehe Fn 107<br />

96 Neumann (Fn 11) S 162, 168 ff. Dem »Rechtsbewährungsprinzip« fehlen<br />

Kontur <strong>und</strong> Gehalt. Offenbar wird dem Gedanken so viel Evidenz<br />

zugetraut, dass nähere Begründungen verzichtbar scheinen. Oft begegnet<br />

das Argument als petitio principii, die in die »ratio« der Notwehr<br />

zuerst hineinlegt, was dann aus ihr abgeleitet wird, Jakobs<br />

(Fn 30) Tz 12/50 Fn 106; Montenbruck JR 1985, 115, 117; Mitsch (Fn 37)<br />

S 116 f; NK-StGB-Paeffgen Vor § 32 Rn 146; Renzikowski (Fn 40) S 112;<br />

Seelmann ZStW 89 (1977), 36, 45; auch Hohmann/Matt JR 1989, 161,<br />

162.<br />

JA 2001 Heft 11 n n 899 "


Dass der Provokateur des Schutzes gegen den Angriff<br />

faktisch nicht bedürfe, weil er darauf gefasst<br />

sei, 97 lässt sich kaum sagen. 98 Dass er den Schutz nicht<br />

verdiente, weil er den Angriff provoziert hat, wiederholt<br />

nur das thema probandum, trägt also nichts zur<br />

Begründung bei. 99 Einzuräumen ist, dass der Provokateur<br />

bei Versagung der Notwehr <strong>und</strong> fehlender Ausweichmöglichkeit<br />

nicht vor dem Dilemma steht, 100 sich<br />

durch offensive Abwehr strafbar machen oder den<br />

rechtswidrigen Angriff dulden zu müssen, so weit ihm<br />

noch das Verteidigungsrecht des Defensivnotstands<br />

zusteht, das durch Verschulden nicht entfällt (§ 228<br />

S 2 BGB). 101<br />

Aus Sicht des Teils der monistischen Ansichten, denen<br />

zufolge bei Notwehr »das angegriffene Gut verteidigt<br />

[wird], sonst nichts«, 102 ist eine Einschränkung im<br />

Provokationsfall wie folgt begründbar:<br />

Wird die Schärfe des Notwehrrechts mit der Zuständigkeit<br />

des Angreifers für den Konflikt erklärt, 103<br />

so kann in Provokationsfällen die Notwehr nie völlig<br />

entfallen. 104 Zieht man den in §§ 35 I 2, 213 StGB erkennbaren<br />

Rechtsgedanken, 105 dass derjenige, der seine<br />

Güter zurechenbar einem Konflikt aussetzt, auch<br />

einen Teil der zur Konfliktlösung nötigen Güterbeeinträchtigungen<br />

tragen muss, heran, so scheidet die<br />

Schuldhaftigkeit des Angriffs als alleiniger Gr<strong>und</strong> der<br />

Lastenverteilung bei der Notwehr aus, die damit ihre<br />

Schärfe, dh Unproportionalität, verliert. 106 Bei beiderseits<br />

schuldhafter Konfliktbeteiligung 107 bleibt daher<br />

nur eine Abwehr im Rahmen des defensiven Notstands<br />

(§ 228 BGB), 108 dh der Angegriffene muss zunächst<br />

ausweichen <strong>und</strong> die Güterproportionalität einhalten.<br />

109 Zurechenbares Provokationsverhalten kann<br />

nur ein selbst rechtswidriger Angriff 110 oder die wenigstens<br />

fahrlässige, offene oder konkludente Aufforderung<br />

dazu sein. 111 Entsprechend §§ 33, 213 StGB<br />

ruft die Provokation auch nur Einschränkungen der<br />

Abwehr eines solchen Angriffs hervor, der in derselben<br />

Situation erfolgt. 112<br />

5. Weitere Ansätze zur Notwehreinschränkung<br />

Marxen begründet die Pflicht des Provokateurs zur<br />

Schonung des <strong>Provozierte</strong>n bei der Abwehr mit dem<br />

Gedanken der Garantenpflicht aus vorangegangenem<br />

Tun (Ingerenz). 113 Verwandt ist der Ansatz Kochs, der<br />

zunächst mit Schroeder 114 davon ausgeht, dass das<br />

eigentliche Problem der Notwehrprovokation das Problem<br />

der Eskalation sei, <strong>und</strong> die Notwehreinschränkung<br />

auf das Rechtsprinzip gründet, dass der Verursacher<br />

einer Eskalation auf ihm zustehende Rechte<br />

verzichten müsse, um die Situation zu entschärfen. 115<br />

Schöneborn sieht den Gr<strong>und</strong> der Rücksichtnahme auf<br />

den <strong>Provozierte</strong>n in dessen »honorierungswürdiger<br />

Gemütserregung« <strong>und</strong> herabgesetzter Verhaltenskontrolle<br />

auch in Fällen unterhalb der Schwelle des § 21<br />

StGB. 116 Es spricht indes nichts dafür, die Grenze der<br />

Notwehr z Strafrecht Aufsatz<br />

§§ 20, 21 StGB aufzugeben, unterhalb derer das Gesetz<br />

den Bürger generell als verantwortlich für seine<br />

unbeherrschten Taten ansieht. Konsequenterweise<br />

müssten die Abwehrmittel der Notwehr auch bei nicht<br />

provozierten Angriffen, die im Zustand der Gemütserregung<br />

begangen werden – dies dürften die meisten<br />

sein –, eingeschränkt werden. Nach Neumann 117 gibt<br />

es eine Lösung nur durch Anerkennung »dogmatischer<br />

Regeln zweiter Stufe«, die als Argumentationsregeln<br />

in einem Verantwortungsdialog verstanden werden:<br />

Rechtsmissbräuchlich ist demnach nicht die Abwehr<br />

des provozierten Angriffs, sondern die Berufung auf<br />

die arglistig herbeigeführte Notwehrsituation zur<br />

Rechtfertigung des Abwehrverhaltens. 118 Danach dürfte<br />

der Provokateur indes im Ergebnis sowohl zu gut (er<br />

behält die volle Abwehrbefugnis) als auch zu schlecht<br />

(er haftet für die gesamte Abwehr trotz Mitzuständigkeit<br />

des Angreifers) stehen. 119 Kindhäuser erwägt, die<br />

97 Siehe oben Fn 68<br />

98 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 6 f: Außerdem müsste dann auch Notwehr<br />

gegen bewusst fahrlässig verursachte Angriffe ausgeschlossen sein.<br />

99 Constadinidis (Fn 34) S 118 f<br />

100 So aber Lenckner GA 1961, 299, 302; Bockelmann (Fn 22) S 29 sowie<br />

die Nachw in Fn 76; dagegen wieder Roxin ZStW 93 (1981), 68, 85 ff<br />

101 Kindhäuser (Fn 31) S 117; Hruschka (Fn 1) S 376 ff; vgl auch Kühl (Fn 1)<br />

Rn 247; Otto (Fn 37) S 144; ders (Fn 32) § 8 Rn 98; Stratenwerth (Fn 63)<br />

§ 9 Rn 83, die immerhin § 34 StGB für anwendbar halten.<br />

102 Jakobs (Fn 30) Tz 12/20 mwN sowie oben Fn 84<br />

103 Dies setzt zwingend schuldhaftes Verhalten voraus, dazu Jakobs<br />

(Fn 30) Tz 12/16 ff; auch Frister GA 1988, 291, 305; Hoyer JuS 1988, 89,<br />

95; Hruschka (Fn 1) S 141 ff; Köhler Strafrecht AT, 1997, S 267 f; Krause<br />

(Fn 18) S 84 ff, 87; Otto (Fn 32) § 8 Rn 21; Schmidhäuser (Fn 54) Tz 9/86,<br />

95<br />

104 Jakobs (Fn 30) Tz 11/3, 12/50; v. Heintschel-Heinegg Prüfungstraining<br />

Strafrecht, Bd 1, 1992, Rn 386; Lesch JA 1996, 833, 834; ähnl Fre<strong>und</strong><br />

(Fn 54) § 3 Rn 116 ff; Köhler (Fn 103) S 273 f; SK-StGB-Günther §32<br />

Rn 125; Rudolphi JR 1991, 210, 211<br />

105 Der der Ingerenz verwandt ist, Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 aE; vgl auch<br />

Köhler (Fn 103) S 273 f, 275<br />

106 Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 – 53; SK-StGB-Günther § 32 Rn 125, 127<br />

107 Dabei kann auch eine »Provokation der Provokation« berücksichtigt<br />

werden, die zur Beschränkung der Abwehrrechte beider Seiten führt,<br />

vgl oben Fn 73 <strong>und</strong> Jakobs (Fn 30) Tz 12/52; SK-StGB-Günther §32<br />

Rn 125 zu Hassemer (Fn 7) S 232 ff <strong>und</strong> Hillenkamp (Fn 45) S 130;<br />

Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 59 aE<br />

108 Zum Defensivnotstand siehe nur Jakobs (Fn 30) Tz 13/46 ff mwN<br />

109 Jakobs (Fn 30) Tz 12/53; Lesch JA 1996, 833, 834; ähnl Köhler (Fn 103)<br />

S 274 f; im Erg auch Hruschka (Fn 1) S 376 ff; Hinz JR 1993, 353, 356<br />

110 Fre<strong>und</strong> (Fn 54) § 3 Rn 117; Jakobs (Fn 30) Tz 12/54 f; Köhler (Fn 103)<br />

S 274 f; SK-StGB-Günther § 32 Rn 124 ff<br />

111 Jakobs (Fn 30) Tz 12/54 f<br />

112 Jakobs (Fn 30) Tz 12/56; ähnl SK-StGB-Günther § 32 Rn 126<br />

113 Marxen (Fn 54) S 58 ff; ähnl Jakobs (Fn 105); Köhler (Fn 103) S 273 f<br />

(Abwendungspflicht auf Gr<strong>und</strong> rechtswidrigen Beteiligungsverhaltens);<br />

Montenbruck (Fn 44) S 43; dagegen Bitzilekis (Fn 1) S 164 ff;<br />

Neumann (Fn 11) S 144 ff; Renzikowski (Fn 40) S 303 f; Roxin (Fn 34)<br />

§ 15 Rn 71; ders ZStW 93 (1981), 68, 92 ff; Hinz JR 1993, 353, 355<br />

114 Schroeder (Fn 18) S 140<br />

115 Koch ZStW 104 (1992), 785, 810 f; siehe auch BGHSt 39, 374, 379<br />

116 Schöneborn NStZ 1981, 201, 202 f; ähnl Kratzsch JuS 1975, 435, 439;<br />

Mitsch GA 1986, 533, 545; Baumann/Weber/Mitsch (Fn 4) § 17 Rn 38<br />

(dann Anwendung des § 34 StGB); dagegen Roxin (Fn 34) § 15 Rn 72<br />

117 Neumann (Fn 11) S 176 ff<br />

118 Vgl die normtheoretische Erwägung Hruschkas (Fn 1) S 373 ff, wonach<br />

die Regeln über die Notwehr einer metasprachlichen Normschicht<br />

angehören könnten, die Ausnahmen auf Gr<strong>und</strong> einer – von<br />

Hruschka offen gelassenen – Wertung erlaube; dazu Kühl Jura 1991,<br />

57 f; krit Neumann GA 1985, 389, 399.<br />

119 Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 Fn 106. Außerdem ist zweifelhaft, ob »dogmatische<br />

Regeln zweiter Stufe« die Wertung auf der ersten Stufe über-<br />

3 900 n n JA 2001 Heft 11


Aufsatz Strafrecht z Notwehr<br />

Provokation im Verhältnis Täter <strong>und</strong> Angreifer als<br />

Obliegenheitsverletzung anzusehen mit der Folge,<br />

dass der Täter das Notwehrrecht nicht erlangt <strong>und</strong><br />

auf die Befugnisse des Defensivnotstands beschränkt<br />

ist. 120<br />

6. <strong>Actio</strong> <strong>illicita</strong> in causa<br />

Schließlich wird vertreten, dass der Provokateur in<br />

actu zwar die vollen Notwehrbefugnisse behalte, 121<br />

sich aber wegen der in causa unerlaubten Herbeiführung<br />

der <strong>Notwehrlage</strong> durch die Provokation strafbar<br />

mache. 122 Zur Begründung wird auf die Parallele mit<br />

der actio libera in causa, 123 die sich in dem »modernen<br />

Kunstwort« 124 actio <strong>illicita</strong> in causa widerspiegelt, sowie<br />

mit der mittelbaren Täterschaft 125 verwiesen. Die<br />

Strafbarkeit des Provokateurs, der den Angreifer in<br />

Notwehr tötet, knüpft somit nicht an die nach § 32<br />

StGB gerechtfertigte Tötungshandlung (actio licita in<br />

se), sondern an die Provokationshandlung (actio praecedens)<br />

an, so weit diese Angriff, Notwehrhandlung<br />

<strong>und</strong> Abwehrerfolg in fahrlässiger oder vorsätzlicher<br />

Weise verursacht 126 hat. Zudem müsse der Angriff in<br />

engem zeitlichen Zusammenhang mit der Provokation,<br />

die für sich allein betrachtet nicht unbedingt<br />

rechtswidrig sein muss, 127 stehen <strong>und</strong> deren adäquate<br />

Folge sein; 128 mitunter wird ein spezifischer Rechtswidrigkeitszusammenhang<br />

verlangt. 129 Der Angreifer<br />

darf nur die Schaffung der <strong>Notwehrlage</strong>, nicht aber<br />

die Notwehrhandlungen des Provokateurs hindern. 130<br />

Eine Abweichung von den Meinungen, die offensive<br />

Gegenwehr wegen Rechtsmissbrauchs o¾ ausschließen,<br />

ergibt sich im Ergebnis allein dann, wenn die Abwehrhandlung<br />

vorsätzlich, die Provokation aber nur<br />

fahrlässig war.<br />

Die actio <strong>illicita</strong> wird von der überwiegenden Meinung<br />

aus einer Reihe von Gründen abgelehnt:<br />

n Zunächst sei die Zubilligung der Notwehr nur<br />

scheinhaft <strong>und</strong> »konstruktiv ein verwirrender Umweg«,<br />

131 wenn der Provokateur gleichwohl wegen vorsätzlicher<br />

oder fahrlässiger Tat bestraft werde.<br />

n Die actio <strong>illicita</strong> »überlaste« den Tatbestand, genauer:<br />

seine Garantiefunktion. So könne zB eine provozierende<br />

Beleidigung nicht als tatbestandsmäßige<br />

Körperverletzung oder Tötung angesehen werden. 132<br />

Sodann wird wie teilweise bei der actio libera in causa<br />

ein Verstoß gegen Art 103 II GG gerügt, weil die<br />

Ausweitung der Strafbarkeit des Provokateurs keine<br />

Gr<strong>und</strong>lage im Gesetz habe. 133 Konzediert wird von den<br />

Verfechtern der actio <strong>illicita</strong>, dass sie nur bei Erfolgsdelikten,<br />

die keine spezifische Handlungsbeschreibung<br />

aufweisen, möglich sei, daher – ähnlich wie die<br />

actio libera in causa 134 – zB nicht bei eigenhändigen<br />

Delikten. 135<br />

n Wenn die Provokationshandlung das tatbestandsmäßige<br />

Verhalten darstellte, so müsste darin zugleich<br />

ein Versuch 136 – der bei Misslingen der Provokation<br />

fehlgeschlagen <strong>und</strong> somit nicht rücktrittsfähig wä-<br />

spielen könnten, zutr krit Kindhäuser (Fn 31) S 118 Fn 30. Schließlich<br />

führt Neumanns Ansatz zu einem infiniten Turmbau dogmatischer<br />

Regeln: Wenn es nicht ausreicht, ein Recht (erster Stufe) zu haben,<br />

sondern noch ein Recht (zweiter Stufe) nötig ist, um sich auf jenes<br />

Recht berufen zu dürfen, so sind auch Rechte dritter Stufe denkbar,<br />

die die Ausübung der Rechte zweiter Stufe regeln usw, Kindhäuser<br />

ibid; siehe auch NK-StGB-Paeffgen Vor § 323 a Rn 21.<br />

120 Kindhäuser (Fn 31) S 118 f; krit Renzikowski (Fn 40) S 306 f<br />

121 Unklar Kohlrausch/Lange StGB, 43. Aufl, 1961, § 53 Anm V, bei der<br />

Absichtsprovokation sei Notwehr »als actio <strong>illicita</strong> in causa unzulässig«,<br />

zust Eb. Schmidt (Fn 23) Anhang Nr 21, S 57; dazu Roxin ZStW 75<br />

(1963), 541, 545 Fn 28.<br />

122 Baumann MDR 1962, 349; ders Strafrecht AT, 8. Aufl, 1977, § 21 I 3 b,<br />

S 304 ff; Bertel ZStW 84 (1972), 1, 14 ff; Kohlrausch/Lange (Fn 121) Vor<br />

§ 51 Anm II 2; Lenckner GA 1961, 299, 303 ff, 312; Schröder JR 1962,<br />

187, 188 f; ders JuS 1973, 160; Schmidhäuser (Fn 54) Tz 9/109 ff; eingeschränkt<br />

bei Schönke/Schröder/Lenckner (Fn 28) Vor § 32 Rn 23;<br />

Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 54, 61; Tröndle/Fischer<br />

(Fn 10) § 32 Rn 23 f (jedenfalls für Absichtsprovokation); siehe<br />

auch Dencker JuS 1979, 779, 781 ff; diff Luzón (Fn 35) 360 ff (nur bei<br />

Ausschluss des Handlungsunwerts); wN bei Küper (Fn 12) S 40 Fn 119<br />

123 Anfangs als Fall der actio libera behandelt, zB von Buri Beilage zu GS<br />

29 (1878), 106, oder »quasi-actio libera in causa« genannt, Goldschmidt<br />

Der Notstand ein Schuldproblem, 1913, S 52 f; ders JW 1922, 252, 256<br />

(jew zum Notstand); Baier Die verschuldete <strong>Notwehrlage</strong> in strafrechtlicher<br />

Beziehung, Diss Marburg 1928, S 25 ff; Heimberger (Fn 24) S 80;<br />

dagegen schon Hegler (Fn 22) S 64 f; wN bei Constadinidis (Fn 34) S 9 ff<br />

124 Zur Terminologie Hruschka (Fn 1) S 381 ff; der Ausdruck sei 1927 erstmals<br />

verwendet worden. Dass die actio <strong>illicita</strong> eine gemeinrechtliche<br />

Figur sei, so Schröder JR 1962, 187, 188, ist zweifelhaft, weil das gemeine<br />

Recht dem auctor rixae die Notwehr absprach (Fn 15), also einer<br />

Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht bedurfte.<br />

125 Baumann MDR 1962, 349 f; ders (Fn 122) S 304; Lenckner GA 1961,<br />

299, 303; siehe auch Küper (Fn 12) S 43 mwN, 45; Schmidhäuser<br />

(Fn 54) Tz 9/110 f; Schröder JR 1962, 187, 188; vgl Bitzilekis (Fn 1)<br />

S 156 ff, 160 ff<br />

126 An der – psychisch vermittelten – Kausalität der Provokation für den Angriff<br />

sowie des Angriffs für die Verteidigungshandlung, die letztlich die<br />

Verletzung des Angreifers bewirkt, mit der Folgerung, dass die Provokation<br />

auch Ursache für die Verletzung ist (causa causae est causa causati),<br />

wird heute fast nicht mehr gezweifelt nach Überwindung der früheren<br />

Regressverbotslehre, die eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs<br />

durch freies Handeln Dritter annahm, zB Frank (Fn 22) § 1 Anm III<br />

2 a, S 14 f. Hingegen ist für Kindhäuser (Fn 31) S 116 mit Fn 26, die Provokation<br />

nicht Ursache der späteren Verletzung (ähnl Matt NStZ 1993,<br />

271, 273), weil er eine Handlung dann als kausal für einen Erfolg ansieht,<br />

wenn dessen Ursache der Endzustand einer Veränderung ist, die<br />

Gegenstand eines Tuns oder Unterlassens ist, ibid S 89; zur Definition<br />

von »Handlung« siehe S 51 f, 88 f. Vgl außerdem allg zur psychisch vermittelten<br />

Kausalität NK-StGB-Puppe Vor § 13 Rn 111 ff.<br />

127 Lenckner GA 1961, 299, 301, 309 f; Schröder JR 1962, 187, 189; unklar<br />

Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 55, 58, 61; aA Bertel<br />

ZStW 84 (1972), 1, 20 f, 30 ff, der rechtswidriges Verhalten fordert.<br />

128 Lenckner GA 1961, 299, 311 f; Schröder JuS 1973, 157, 160; aA wohl<br />

Himmelreich GA 1966, 129, 134<br />

129 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 17 f; 32 ff: Die Provokation muss gerade deshalb<br />

verboten sein, weil sie einen rechtswidrigen Angriff befürchten<br />

lässt; krit Roxin NJW 1972, 1821, 1822.<br />

130 Schönke/Schröder/Lenckner (Fn 28) Vor § 32 Rn 23<br />

131 Roxin (Fn 34) § 15 Rn 64; ders ZStW 75 (1963), 541, 569; ähnl Hruschka<br />

JR 1979, 125, 127; Mitsch (Fn 37) S 119<br />

132 Hruschka JR 1979, 125, 127; Schünemann JuS 1979, 275, 280; Neumann<br />

(Fn 11) S 150 f; auch Bitzilekis (Fn 1) S 154 f; Kühl (Fn 1) Rn 243;<br />

Mitsch (Fn 37) S 119; Werle JuS 1986, 902, 904<br />

133 NK-StGB-Herzog § 32 Rn 125; NK-StGB-Paeffgen Vor § 32 Rn 146; Constadinidis<br />

(Fn 34) S 72, 131; siehe auch Dencker JuS 1979, 779, 782 f<br />

134 Vgl nur BGHSt 42, 235, 237 ff<br />

135 Schönke/Schröder/Lenckner (Fn 28) Vor § 32 Rn 23; Schönke/Schröder/<br />

Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 54, 61; Dencker JuS 1979, 779, 782 f;<br />

siehe auch Mitsch (Fn 37) S 118<br />

136 So in der Tat Lenckner GA 1961, 299, 304 f. Als bloße Vorbereitungshandlung<br />

lässt sich die Provokation nicht begreifen, denn da die Ausführungshandlung<br />

gerechtfertigt ist, käme die Tat sonst nie aus dem<br />

Vorbereitungsstadium hinaus, Roxin ZStW 75 (1963), 541, 547, krit<br />

zum Versuchsbeginn S 553 ff; dagegen auch Kindhäuser (Fn 31) S 116.<br />

JA 2001 Heft 11 n n 901 "


e 137 – <strong>und</strong> »rechtswidriger Angriff« liegen, gegen den<br />

der <strong>Provozierte</strong> Notwehr üben kann, so dass eine actio<br />

<strong>illicita</strong> gegenstandslos wäre. 138 Die Befürworter der<br />

actio <strong>illicita</strong> entgegnen, dass ein Versuch nicht zwangsläufig<br />

einen notwehrfähigen Angriff enthalte. 139<br />

n Als wesentlicher Einwand gilt die sog »Unvereinbarkeitsthese«:<br />

Es sei widersprüchlich, die Provokationshandlung<br />

als rechtswidrig zu qualifizieren, weil<br />

sie auf die Ermöglichung einer rechtmäßigen Verteidigungshandlung<br />

ziele. 140 Dass eine rechtswidrige Tat<br />

durch rechtmäßige Akte desselben Täters vollendet<br />

werden könne, lasse sich nicht ernsthaft vertreten. 141<br />

Derselbe Erfolg könne nicht zugleich gerechtfertigt<br />

(als Vollendung der Notwehr) <strong>und</strong> rechtswidrig (als<br />

Folge des unerlaubten Vorverhaltens) sein. 142 Die Befürworter<br />

der actio <strong>illicita</strong> erwidern, die Rechtsordnung<br />

könne durchaus die Herbeiführung eines Konflikts<br />

missbilligen, obgleich sie dessen Urheber im<br />

Konflikt die Befugnis einräume, ihn durch Beeinträchtigung<br />

fremder Rechtsgüter zu lösen, 143 wie die Haftung<br />

für eine verschuldete Notstandslage gem § 228<br />

S 2 BGB zeige. 144 Insofern stellte sich der Gesetzgeber<br />

»in einem Konflikt zwischen Personen nicht auf beide<br />

Seiten zugleich«, 145 sondern wechselte im Laufe des<br />

Geschehens die Seiten. Dass ein Erfolg je nach betrachteter<br />

Vorhandlung als rechtmäßig <strong>und</strong> rechtswidrig<br />

zugerechnet werden könne, zeige sich auch an<br />

der mittelbaren Täterschaft mit Einsatz eines gerechtfertigten<br />

Werkzeugs. 146<br />

n Soweit der Angreifer schuldhaft, aus freiem Entschluss,<br />

handele, sei der Erfolg dem Provokateur nicht<br />

objektiv zurechenbar. 147 Teilweise wird die actio <strong>illicita</strong><br />

daher auf Fälle des Angriffs eines unfrei Handelnden<br />

beschränkt. 148 Allerdings ist generell umstritten,<br />

ob <strong>und</strong> inwieweit das Dazwischentreten eines Dritten<br />

die objektive Zurechnung hindert. Erörtert wird diese<br />

Frage zumeist anhand von Konstellationen, in denen<br />

ein ohne Gemeinsamkeit mit dem Ersttäter handelnder<br />

Dritter einen bereits eingetretenen Erstschaden<br />

vertieft (Folgeschaden) oder die Folgen der Ersthandlung<br />

überhaupt erst in einen tatbestandsmäßigen Erfolg<br />

umwandelt. Teils wird darauf abgestellt, ob der<br />

Zweittäter vorsätzlich, grob oder leicht fahrlässig handelt<br />

– willkürliches Handeln des Zweiten sei vom Ersttäter<br />

nicht beherrschbar 149 –, teils darauf, ob das Zweitrisiko<br />

das erste verdrängt oder nur modifiziert, 150 teils<br />

auf Adäquanzgesichtspunkte, 151 ob das Drittverhalten<br />

typischerweise mit der Ausgangsgefahr verb<strong>und</strong>en<br />

ist. 152 Die Abgrenzung der Zuständigkeiten des Erst<strong>und</strong><br />

Zweittäters wird insb unter den allerdings uneinheitlich<br />

verwendeten Topoi des Vertrauensgr<strong>und</strong>satzes<br />

<strong>und</strong> (modernen) Regressverbots diskutiert. 153<br />

Ausgangspunkt für die Erfolgszurechnung ist stets,<br />

dass zur Erklärung des Schadens sämtliche Informationen<br />

vom Geschehen benötigt werden, aus denen<br />

sich das Unerlaubte des Risikos ergibt, 154 wobei gerade<br />

diejenigen Eigenschaften der Handlung, die diese un-<br />

Notwehr z Strafrecht Aufsatz<br />

erlaubt machen, als notwendige Bestandteile der kausalen<br />

Erklärung des Erfolgs fungieren müssen. 155 Anders<br />

formuliert: Die Sorgfaltspflichtsverletzung des<br />

Provokateurs muss für die Verletzung des Angreifers<br />

nicht nur kausal sein, es muss auch eine ununterbrochene<br />

Kette unerlaubter Zustände vorliegen (»Durchgängigkeitserfordernis«).<br />

156 Die actio <strong>illicita</strong> lässt sich<br />

daher nicht mit dem bloßen Hinweis stützen, es hindere<br />

die Zurechnung nicht, wenn »zwischendurch eine<br />

›rechtmäßige Phase‹ im Handeln des Täters liegt«, 157<br />

wie sich schon daran zeigt, dass die unerlaubte Schaf-<br />

137 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 553 ff (555: »Wie viele strafbare Mordversuche<br />

mögen da wohl ungesühnt geblieben sein?«); Neumann (Fn 11)<br />

S 150; Mitsch (Fn 37) S 120<br />

138 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 547 ff; Bockelmann (Fn 22) S 26; Neumann<br />

(Fn 11) S 150, 152 f; Renzikowski (Fn 40) S 114 Fn 170<br />

139 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 21 f<br />

140 Roxin (Fn 34) § 15 Rn 64; ders ZStW 75 (1963), 541, 547 ff; ders ZStW<br />

93 (1981), 68, 92; ebenso Bockelmann (Fn 22) S 25 ff; v. Heintschel-Heinegg<br />

(Fn 104) Rn 387; Kühl (Fn 1) Rn 243; LK-Spendel (Fn 39) § 32<br />

Rn 291; Luzón (Fn 35), 362; Marxen (Fn 54) S 57 f; NK-StGB-Herzog<br />

§ 32 Rn 125; Otto (Fn 32) § 8 Rn 83; SK-StGB-Günther § 32 Rn 122;<br />

Schünemann JuS 1979, 275, 280; Werle JuS 1986, 902, 904<br />

141 Hruschka JR 1979, 125, 127<br />

142 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 550; ders ZStW 93 (1981), 68, 92 (»unlösbare<br />

Aporie«), dagegen Küper (Fn 12) S 45 ff<br />

143 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 15 f; ähnl Küper (Fn 12) S 41 – 47; aA Neumann<br />

(Fn 11) S 152 (dies erfordere einen eigenen Gefährdungstatbestand<br />

wie § 227 aF = § 231 nF StGB)<br />

144 Schröder JuS 1973, 157, 161. Allerdings kennt § 227 BGB keine entsprechende<br />

Haftung für verschuldete <strong>Notwehrlage</strong>n! Die Ablehnung<br />

der actio <strong>illicita</strong> ist insoweit notwehrspezifisch, vgl Küper (Fn 12)<br />

S 40 f, weil beim Notstand mittelbare Täterschaft möglich ist, Jakobs<br />

(Fn 30) Tz 21/81 ff; aA NK-StGB-Neumann § 34 Rn 98.<br />

145 So aber Roxin ZStW 93 (1981), 68, 92<br />

146 Küper (Fn 12) S 45 f mit Fn 139 gegen Roxin ZStW 75 (1963), 541, 549 f<br />

<strong>und</strong> Schünemann JuS 1979, 275, 280, die meinen, die Situation der<br />

mittelbaren Täterschaft sei wegen der Personenverschiedenheit der<br />

Zurechnungssubjekte wesentlich anders.<br />

147 Neumann (Fn 11) S 149 f; Mitsch GA 1986, 533, 543; Kühl Jura 1991,<br />

175, 178; ders (Fn 1) Rn 243; vgl auch Rudolphi JuS 1969, 461, 465; allg<br />

Wessels/Beulke (Fn 34) Rn 192<br />

148 Baumann/Weber (Fn 40) S 308 f; Schönke/Schröder/Lenckner (Fn 28)<br />

Vor § 32 Rn 23; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron (Fn 28) § 32 Rn 61;<br />

anders noch Lenckner GA 1961, 299, 305<br />

149 Mayer (Fn 63) S 73; Naucke ZStW 76 (1964), 409 ff; Otto Festschrift für<br />

Maurach, 1972, S 91, 96 ff; ders JuS 1974, 702, 706; diff heute ders<br />

(Fn 32) § 6 Rn 56 ff; siehe auch Köhler (Fn 103) S 145 f, ebenso Diel Das<br />

Regreßverbot als allgemeine Tatbestandsgrenze im Strafrecht, 1996,<br />

S 279 ff, 375: keine Zurechnung mangels »Kausalität aus Freiheit«<br />

150 Roxin (Fn 34) § 11 Rn 111 ff, 116; Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten<br />

<strong>und</strong> Zurechnung des Erfolgs, 1988, S 436 ff; siehe auch Jakobs (Fn 30)<br />

Tz 7/51 ff, 54, 59 ff, 78 ff<br />

151 Maurach/Zipf (Fn 44) § 18 Rn 47, 49<br />

152 Otto (Fn 32) § 6 Rn 58; Wessels/Beulke (Fn 34) Rn 192<br />

153 Jakobs (Fn 30) Tz 7/51 ff, 59 ff, 65 a, 23/13 ff (Vertrauensgr<strong>und</strong>satz als<br />

Unterfall des Regressverbots); ders ZStW 89 (1977), 1 ff; Roxin (Fn 34)<br />

§ 11 Rn 108 ff, § 24 Rn 21 ff, 26 ff; SK-StGB-Rudolphi Vor 1 Rn 73 ff;<br />

krit NK-StGB-Puppe Vor § 13 Rn 150 ff, 155 ff; dies Die Erfolgszurechnung<br />

im Strafrecht, 2000, S 129 ff, 145 ff; dies Jura 1998, 21, 23 f<br />

154 Jakobs (Fn 30) Tz 7/78<br />

155 NK-StGB-Puppe Vor § 13 Rn 189, 195 ff<br />

156 NK-StGB-Puppe Vor § 13 Rn 219 ff; dies Erfolgszurechnung (Fn 153)<br />

S 103 ff; dies ZStW 99 (1987), 595, 610 f, 615; dies Jura 1998, 21, 24<br />

157 Dencker JuS 1979, 779, 782 mit dem Beispiel, dass ein Arzt, der nach<br />

einem Kunstfehler zur Abwendung weiterer Schäden einen schwereren<br />

Eingriff vornehmen muss als durch die ursprüngliche Krankheit<br />

indiziert, wegen des durch den Kunstfehler verursachten Übermaßes<br />

gem § 229 StGB strafbar sei trotz Rechtmäßigkeit des zweiten Eingriffs;<br />

dazu Küper (Fn 12) S 43 ff mit Fn 131, 134; siehe auch Puppe Erfolgszurechnung<br />

(Fn 153) S 140: dass der riskante Heileingriff erlaubt<br />

sei, mache die bereits vorhandene Gefahr selbst noch nicht erlaubt.<br />

3 902 n n JA 2001 Heft 11


Aufsatz Strafrecht z Notwehr<br />

fung eines – für sich erlaubten – allgemeinen Lebensrisikos<br />

des Opfers nicht genügt. 158 Anliegen der Lehre<br />

von der objektiven Zurechnung ist es gerade, sich<br />

nicht mit der Rückführung des Erfolges auf ein verbotenes<br />

Verhalten des Verursachers zu begnügen (»versari<br />

in re <strong>illicita</strong>«), sondern Zuständigkeits-, dh Verantwortungsbereiche<br />

differenzierter abzugrenzen.<br />

Legt man das Durchgängigkeitserfordernis zu Gr<strong>und</strong>e,<br />

so scheint die Antwort schnell gef<strong>und</strong>en, wenn die<br />

gerechtfertigte Abwehrhandlung zu einem erlaubten<br />

Zustand führte, der die Zurechnung unterbricht. Da<br />

aber in jedem Kausalverlauf auch erlaubtes Verhalten<br />

vorkommt, ist genauer zu fragen, ob in jedem Stadium<br />

des Kausalverlaufs zum Erfolg nicht auch unerlaubte<br />

Folgen fortwirken – dann hätte sich das unerlaubte<br />

Risiko im Erfolg realisiert. 159<br />

Vorausgesetzt ist jedoch, dass die Provokationshandlung<br />

überhaupt unerlaubt riskant (bzw sorgfaltswidrig)<br />

hinsichtlich des Verletzungserfolgs durch die<br />

spätere Abwehrhandlung ist. 160 Da der Provokateur idR<br />

nicht unabhängig von seiner Handlung schon Garant<br />

für die Unverletztheit des <strong>Provozierte</strong>n ist, 161 müsste<br />

sich in concreto eine Pflicht feststellen lassen, auch das<br />

Fehlverhalten, genauer: die Selbstgefährdung des <strong>Provozierte</strong>n<br />

zu kompensieren 162 bzw dem vorzubeugen<br />

(»paternalistische Sorgfaltspflicht« 163 ). So müsste zB<br />

eine Beleidigung nicht nur als Ehrverletzung verboten<br />

sein, sondern auch, um den Beleidigten vor einer von<br />

ihm mitgetragenen Eskalation zu schützen. Für eine<br />

solche »Bevorm<strong>und</strong>ung« 164 des <strong>Provozierte</strong>n ist indes<br />

kein Anlass, solange dieser rechtlich frei verantwortlich<br />

handelt <strong>und</strong> beide Akteure nicht durch ein besonderes<br />

Garantieverhältnis verb<strong>und</strong>en sind.<br />

n Damit bestätigt sich der schon früher vorgetragene,<br />

aber auf fahrlässige Verursachung des Angriffs begrenzte<br />

Einwand, es liege nur eine Veranlassung zur<br />

Selbstgefährdung vor, der sich der Angreifer freiwillig<br />

aussetze <strong>und</strong> die nach allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen straflos<br />

sei. 165 Jeden, der sorgfaltswidrig nicht erkannt hat,<br />

dass sein Verhalten ihn in eine <strong>Notwehrlage</strong> bringen<br />

würde, in der er gezwungen sein könnte, den Angreifer<br />

zu verletzen, zu bestrafen, wurde als Ȇberdehnung<br />

der Fahrlässigkeitshaftung« angesehen <strong>und</strong> zu weitgehende<br />

Einschränkung des § 32 StGB verworfen. 166<br />

n Schließlich liegt wegen des freien Handelns des Angreifers<br />

kein Fall mittelbarer Täterschaft des Provokateurs<br />

durch Benutzung seiner selbst als gerechtfertigt<br />

handelndes Werkzeug vor. 167 Zwar mag in vielen<br />

Fällen das Verhalten des <strong>Provozierte</strong>n so berechenbar<br />

sein, dass man eine faktische »Tatherrschaft«<br />

bejahen kann, 168 maßgebend ist aber, dass die eigene<br />

rechtliche Zuständigkeit des Angreifers eine vollständige<br />

Zurechnung seines Verhaltens zum Provokateur<br />

hindert (sog »Verantwortungsprinzip«). 169 Handelt der<br />

provozierte Angreifer hingegen unfrei, zB schuldlos,<br />

so liegt ein Fall von Fremdverletzung in mittelbarer<br />

Täterschaft durch Benutzung eines schuldlos <strong>und</strong><br />

eines gerechtfertigt handelnden Werkzeugs vor. 170<br />

7. Keine Einschränkung des Notwehrrechts<br />

In jüngerer Zeit mehren sich die Stimmen im Schrifttum,<br />

die sowohl die Einschränkung der Notwehrbefugnisse<br />

als auch die Sanktionierung des Vorverhaltens<br />

sogar beim Absichtsprovokateur ablehnen, 171 teils<br />

auf Gr<strong>und</strong> der zuvor genannten Gegenargumente, teils<br />

auf Gr<strong>und</strong> eines argumentum e contrario aus § 228<br />

BGB, 172 teils weil die Ausdehnung der Einschränkung<br />

auf fahrlässige Provokationen als unumgänglich <strong>und</strong><br />

zugleich unerträglich angesehen wird, 173 teils weil die<br />

Rechtsordnung vom Angreifer verlange, dass er der<br />

Provokation widerstehe. 174 Wer sich provozieren lasse,<br />

handle auf eigenes Risiko <strong>und</strong> verdiene keinen strafrechtlichen<br />

Schutz. 175 Vor allem dürfe man dem Provokateur<br />

dann nicht jegliche Gegenwehr versagen, wenn<br />

er keine Ausweichmöglichkeit mehr habe, <strong>und</strong> ihn da-<br />

158 Vgl den notorischen Krankenwagenunfall, zB bei SK-StGB-Rudolphi<br />

Vor § 1 Rn 63<br />

159 Puppe Erfolgszurechnung (Fn 153) S 139 f, 190 f<br />

160 Klar herausgestellt von Bertel ZStW 84 (1972), 1, 35 f<br />

161 Vgl Jakobs (Fn 30) Tz 7/66 ff<br />

162 Vgl Jakobs (Fn 30) Tz 7/55; siehe auch Wessels/Beulke (Fn 34) Rn 192<br />

mwN<br />

163 Begriff von Puppe Erfolgszurechnung (Fn 153) S 165 ff, für Sorgfaltspflichten,<br />

die die Vermeidung fremder Selbstgefährdung umfassen.<br />

164 Vgl Puppe Erfolgszurechnung (Fn 153) S 157 ff<br />

165 Roxin (Fn 34) § 15 Rn 70; ders ZStW 75 (1963), 541, 553; Schünemann<br />

JuS 1979, 275, 280; Hinz JR 1993, 353, 355; dagegen Bertel ZStW 84<br />

(1972), 1, 23 f<br />

166 Roxin ZStW 75 (1963), 541, 553; ders NJW 1972, 1821, 1822; Bitzilekis<br />

(Fn 1) S 181 f<br />

167 So aber Baumann MDR 1962, 349, 350; ders (Fn 122) S 304<br />

168 Zutr Bertel ZStW 84 (1972), 1, 23 f; siehe auch Lenckner GA 1961, 299,<br />

305; aA Roxin ZStW 75 (1963), 541, 551: Der Provokateur könne nur<br />

»hoffen <strong>und</strong> wünschen«, dass der andere angreife, »aber er hat es in<br />

keiner Weise in der Hand«, im Fall der actio libera hingegen laufe das<br />

Geschehen zwangsläufig ab; ähnl Bockelmann (Fn 22) S 27 Fn 40;<br />

Kiefner Die Provokation bei Notwehr (§ 32 StGB) <strong>und</strong> Notstand (§ 34<br />

StGB), Diss Gießen 1991, S 52 ff; Luzón (Fn 35) 362; Neumann (Fn 11)<br />

S 149 f; Matt NStZ 1993, 271, 273; Mitsch (Fn 37) S 119 f.<br />

169 Jakobs (Fn 30) Tz 12/50 Fn 105, 106; anders beim rechtfertigenden<br />

Notstand, ders (Fn 30) Tz 21/81 ff, 84; siehe auch Bitzilekis (Fn 1)<br />

S 160 ff<br />

170 Vgl Baumann/Weber (Fn 40) S 308 f; Lenckner GA 1961, 299, 307<br />

Fn 31; LK-Spendel, § 32 Rn 306. Klar wird dies an dem Fall, wo der<br />

Hintermann einen Schuldunfähigen zum Angriff auf einen Dritten<br />

bestimmt <strong>und</strong> dabei voraussieht, dass der Angreifer (schuldloses<br />

Werkzeug) vom sich wehrenden Angegriffenen (gerechtfertigtes<br />

Werkzeug) verletzt werde: Körperverletzung am Angreifer in Tateinheit<br />

mit Nötigung des Angegriffenen, jeweils in mittelbarer Täterschaft,<br />

Jakobs (Fn 30) Tz 21/85. Ist der Angreifer voll verantwortlich,<br />

fehlt das vermittelnde erste Werkzeug, ebenso bei der actio <strong>illicita</strong>,<br />

wo Hintermann <strong>und</strong> zweites Werkzeug personengleich sind.<br />

171 Baumann/Weber/Mitsch (Fn 4) § 17 Rn 38; Bockelmann (Fn 22) S 20 ff;<br />

Bockelmann/Volk Strafrecht AT, 4. Aufl, 1987, § 15 B I 2 f); Frister GA<br />

1988, 291, 310; Hassemer (Fn 7) S 243 f; Hillenkamp (Fn 45) S 130; Hohmann/Matt<br />

JR 1989, 161 f; LK-Spendel (Fn 39) § 32 Rn 281 ff, 290 ff;<br />

Kiefner (Fn 168) S 54 f; Matt NStZ 1993, 271, 273; Mitsch (Fn 37)<br />

S 109 ff, 121 f; ders GA 1986, 533, 545 f; NK-StGB-Paeffgen Vor § 32<br />

Rn 146 f; Renzikowski (Fn 40) S 111 ff, 302 ff<br />

172 Bockelmann (Fn 22) S 28 f, wenn sogar bei absichtlich provozierter<br />

Notstandslage Rechtfertigung eintrete, müsse das erst recht für die<br />

Notwehr gelten; krit Hinz JR 1993, 353, 355<br />

173 Bockelmann (Fn 22) S 20, 23<br />

174 Baumann/Weber/Mitsch (Fn 4) § 17 Rn 38; Bockelmann (Fn 22) S 31;<br />

LK-Spendel (Fn 39) § 32 Rn 301; Hohmann/Matt JR 1989, 161, 162;<br />

Mitsch (Fn 37) S 121; ders GA 1986, 533, 545 f; Renzikowski (Fn 40)<br />

S 302; insofern auch Wagner (Fn 63) S 72<br />

175 Mitsch (Fn 37) S 121<br />

JA 2001 Heft 11 n n 903 "


mit vor das Dilemma stellen, sich entweder widerstandslos<br />

misshandeln oder töten zu lassen oder sich<br />

durch seine Abwehr strafbar zu machen. 176 Der Provokateur<br />

könne ggf wegen einer in se strafbaren Provokationshandlung<br />

bestraft, dürfe aber nicht für vogelfrei<br />

erklärt <strong>und</strong> der Selbstjustiz des Angreifers ausgeliefert<br />

werden. 177 Ferner sei unverständlich, warum<br />

Flucht oder Ausweichen nur dem angegriffenen Provokateur,<br />

nicht aber dem provozierten Angreifer zugemutet<br />

werde, obwohl letzterer den Angriff doch jederzeit<br />

abbrechen könne. 178 Der genuine Platz zur Berücksichtigung<br />

einer Provokation sei die Strafzumessung.<br />

179 Vereinzelt wird für die Schaffung eines eigenen<br />

Gefährdungstatbestands plädiert. 180<br />

Diesen Bedenken steht entgegen, dass der Gesetzge-<br />

Gr<strong>und</strong>rechtliche Bindungen im Steuerrecht<br />

Dipl.-Wirtschaftsjuristin Birgit Bley <strong>und</strong> Prof. Dr. Manfred Heße, Hagen<br />

Innerhalb der Gesamtrechtsordnung zählt das Steuerrecht<br />

zum Recht der Eingriffsverwaltung. 1 Damit gehört<br />

das Steuerrecht zu einem Rechtsgebiet, in dem die<br />

in Art 1 III GG normierte Bindung der öffentlichen Gewalt<br />

an die Gr<strong>und</strong>rechte traditionell eine besonders herausragende<br />

Bedeutung besitzt. Steuergesetzgebung,<br />

-verwaltung <strong>und</strong> -rechtsprechung dürfen bei ihrer Tätigkeit<br />

nicht ausschließlich fiskalische Interessen verfolgen.<br />

Die Träger der Steuerstaatsgewalt müssen darüber<br />

hinaus auch die Gr<strong>und</strong>rechte der Steuerbürger<br />

beachten. Anderenfalls laufen sie Gefahr, dass die von<br />

ihnen gesetzten Rechtsakte auf Dauer keinen Bestand<br />

haben. Die damit angesprochene Bindungswirkung der<br />

Gr<strong>und</strong>rechte im Steuerrecht dürfte insb im Anschluss<br />

an die Entscheidungen des BVerfG zur Steuerfreiheit<br />

des Existenzminimums 2 <strong>und</strong> zur Vermögensteuer 3 Allgemeingut<br />

geworden sein. Als Brennpunkte der steuerverfassungsrechtlichen<br />

Diskussion haben sich dabei<br />

neben dem aus dem Rechtsstaatsprinzip 4 des Art 20 III<br />

GG abgeleiteten Rückwirkungsverbot das allgemeine<br />

Freiheitsgr<strong>und</strong>recht des Art 2 I GG, der allgemeine<br />

Gleichheitssatz des Art 3 I GG, der in Art 6 I GG normierte<br />

Schutz von Ehe <strong>und</strong> Familie sowie die Eigentumsgarantie<br />

des Art 14 I GG herauskristallisiert. Welche<br />

Probleme des materiellen Verfassungsrechts bei<br />

entsprechenden Fragestellungen zu erörtern sind,<br />

wird nachfolgend unter besonderer Berücksichtigung<br />

der einschlägigen Rspr dargestellt.<br />

1. Das allgemeine Freiheitsgr<strong>und</strong>recht<br />

Art 2 I GG schützt die allgemeine Handlungsfreiheit der<br />

Person <strong>und</strong> stellt diese zugleich unter einen umfassen-<br />

Gr<strong>und</strong>rechte z Öffentliches Recht Aufsatz<br />

ber mit dem Merkmal »geboten« diese Einschränkungsmöglichkeit<br />

bewusst eröffnet hat, die sich durchaus in<br />

systematisch begründeter Weise 181 ausfüllen lässt, <strong>und</strong><br />

dass eine Notwehreinschränkung schon wegen der verbleibenden<br />

Notstandsbefugnisse keine Friedloslegung<br />

des Provokateurs bedeutet.<br />

176 Bockelmann (Fn 22) S 29<br />

177 Hillenkamp (Fn 45) S 128; insoweit auch Lenckner GA 1961, 299, 302;<br />

ders JR 1984, 206, 208<br />

178 Mitsch (Fn 37) S 121<br />

179 Bertel ZStW 84 (1972), 1, 12; Hillenkamp (Fn 45) S 130 f; siehe auch<br />

Frister GA 1988, 291, 309<br />

180 NK-StGB-Paeffgen Vor § 32 Rn 146; Renzikowski (Fn 40) S 114; Kiefner<br />

(Fn 168) S 55 ff im Anschluss an Neumanns Überlegung (oben Fn 143)<br />

181 Am überzeugendsten mit dem Vorschlag oben bei Fn 103 ff<br />

den Gesetzesvorbehalt. Somit folgt, sofern kein spezielles<br />

Gr<strong>und</strong>recht betroffen ist, der Gr<strong>und</strong>satz der Gesetzmäßigkeit<br />

der Besteuerung zumindest aus Art 2 I GG.<br />

Stellt etwa die Ausgestaltung einer Steuer eine Beeinträchtigung<br />

von Ehe <strong>und</strong> Familie dar, so kann sich<br />

ein Betroffener wegen dieses Eingriffs auf Art 6 I GG<br />

als subjektives Abwehrrecht berufen. Aber auch so<br />

weit kein Eingriff in ein spezielles Gr<strong>und</strong>recht vorliegt,<br />

sind die Steuergesetze in ihrer freiheitsbeschränkenden<br />

Wirkung jedenfalls an Art 2 I GG zu messen. 5<br />

Bei der Untersuchung von Gr<strong>und</strong>rechtsbeeinträchtigungen<br />

durch die Steuerstaatsgewalt ist somit zunächst<br />

zu überlegen, ob nicht der Schutzbereich eines<br />

speziellen Gr<strong>und</strong>rechts betroffen ist. Erst wenn dies<br />

nicht der Fall ist, gewinnt die Prüfung des Art 2 I GG<br />

gegenüber der Prüfung der speziellen Gr<strong>und</strong>rechte<br />

Bedeutung. Dagegen ist das allgemeine Freiheitsrecht<br />

nicht einschlägig, soweit der Schutzbereich der speziellen<br />

Gr<strong>und</strong>rechte reicht. 6<br />

a) Gesetzesvorbehalt<br />

Art 2 I GG hat neben Art 20 III GG zunächst Bedeutung<br />

für den Gesetzesvorbehalt. Wie alle anderen belastenden<br />

staatlichen Maßnahmen bedarf auch die Steuerer-<br />

1 Tipke/Lang Steuerrecht, 16. Aufl, § 1 Rn 10 f<br />

2 Grdl BVerfGE 82, 60 = NJW 1990, 2869<br />

3 BVerfG BStBl II 1995, 655 = NJW 1995, 2615<br />

4 Wegen des engen Sachzusammenhangs zu den angesprochenen gr<strong>und</strong>rechtlichen<br />

Fragestellungen werden hier auch die bei Art 20 III GG angesiedelten<br />

Fragestellungen der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung <strong>und</strong><br />

des Rückwirkungsverbotes dargestellt.<br />

5 Vgl BVerfGE 87, 153, 169 = NJW 1992, 3153<br />

6 Dazu Pieroth/Schlink Staatsrecht II/Gr<strong>und</strong>rechte, 14. Aufl, Rn 369<br />

3 904 n n JA 2001 Heft 11

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