Bauten für die Wissenschaft
978-3-86859-163-7
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Vorwort 7<br />
EINLEITUNG 9<br />
Werner Siemens und der Standort der Physikalisch-Technischen<br />
Reichsanstalt (PTR) in Charlottenburg 12<br />
Zur stadträumlichen Situation der Gegend um das „Knie“ (heute Ernst-Reuter-Platz)<br />
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und deren Entwicklung bis zu den<br />
Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg 12<br />
Werner Siemens‘ Anwesen an der Berliner Straße (heute Otto-Suhr-Allee)<br />
in Charlottenburg 18<br />
Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte<br />
der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) 24<br />
Von der Idee eines „Naturwissenschaftlichen Instituts“ von Werner Siemens<br />
bis zum Bebauungskonzept von Paul Spieker 24<br />
Vom Bebauungskonzept zur architektonischen Umsetzung durch den<br />
Architekten Theodor Astfalck 30<br />
Die <strong>Bauten</strong> der (wissenschaftlichen) Abteilung I 39<br />
Die <strong>Bauten</strong> der (technischen) Abteilung II 46<br />
Ausbau und erste Erweiterung des Standortes Charlottenburg 62<br />
Der Neubau <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kaiserliche Normal-Aichungs-Kommission (1898–1900)<br />
und seine spätere Eingliederung als neue Abteilung <strong>für</strong> Maß und Gewicht (1923) 62<br />
Der Neubau eines Starkstromlaboratoriums (1911) und eines<br />
Kältelaboratoriums (1926) 66<br />
Bleiben oder Verlagern: <strong>die</strong> Diskussion um den Standort (1927–1933) 71<br />
Die PTR zwischen der sogenannten Machtergreifung<br />
durch <strong>die</strong> Nationalsozialisten im Januar 1933 und<br />
dem Ende des Zweiten Weltkriegs 74<br />
Potsdam, München oder Berlin: <strong>die</strong> Planungen von Johannes Stark und<br />
Eugen Bruker zur Neugestaltung der Reichsanstalt im Zeitraum bis 1937 74<br />
Provisorien statt Neubauten und <strong>die</strong> Feier zum 50-jährigen Bestehen der<br />
PTR im November 1937 83<br />
Planungen zum Neubau der PTR bis zu deren Einstellung im Jahre 1942,<br />
Evakuierung des Charlottenburger Stammgeländes und dessen Kriegszerstörungen 88<br />
Vom Neuanfang im geteilten Berlin bis zur<br />
zweiten Erweiterung zwischen 1978 und 2001 99<br />
Aufräumarbeiten, Improvisation und erste Instandsetzungen nach<br />
Ende des Zweiten Weltkrieges 99<br />
Die bauliche Entwicklung des „Instituts Berlin“ in den Jahren 1953–1980 110<br />
Die zweite Erweiterung: der Ausbau des ehemaligen Arbeits schutzmuseums<br />
zu einer Forschungseinrichtung der PTB und <strong>die</strong> Entwicklung<br />
des Standortes bis 2000 127<br />
Neuausrichtung nach der Wiedervereinigung<br />
und das Zukunftskonzept „PTB 2000“ 142<br />
Die dritte Erweiterung: Übernahme des bis 1999 vom Berliner Landesamt<br />
<strong>für</strong> Mess- und Eichwesen genutzten Blockareals und seine Einbeziehung<br />
in <strong>die</strong> Campusplanung 142<br />
Das Institut Berlin der PTB heute 151<br />
Blick in <strong>die</strong> Zukunft: der Masterplan <strong>für</strong> den Standort in Berlin-Charlottenburg 163<br />
Anhang 176<br />
Quellen 176<br />
Literatur 178<br />
Abbildungsquellen 181<br />
Namensregister 182
Vorwort<br />
Die Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) 1887 gilt als<br />
Etablierung der ältesten außeruniversitären Großforschungseinrichtung in Deutschland.<br />
Zudem bedeutete <strong>die</strong>ser Schritt <strong>die</strong> weltweit erste Einrichtung eines staatlichen<br />
Metrologie-Instituts, ein Vorbild <strong>für</strong> <strong>die</strong> nachfolgenden Institutionen in Großbritannien<br />
und den USA, das National Physical Laboratory (NPL) und das National Bureau of<br />
Standards (NBS, heute NIST). Nicht genug der Pionierleistungen: Auch bauhistorisch<br />
vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Während zuvor physikalische oder technische Experimentierlaboratorien<br />
in Gebäuden eingerichtet wurden, deren Entwurf ausschließlich<br />
nach ästhetischen/architektonischen Gesichtspunkten erfolgte, wurde das erste<br />
Gebäude der PTR, ja sogar der Geländeplan nach physikalisch-technischen Kriterien<br />
„konstruiert“. Das kannte man bis dahin nur von astrophysikalischen Observatorien.<br />
Das vorliegende Buch – auf der Grundlage einer vom Bundesamt <strong>für</strong> Bauwesen<br />
und Raumplanung in Auftrag gegebenen bauhistorisch-denkmalpflegerischen<br />
Expertise der Autoren entstanden – illustriert in prägnanter Weise das vorbildliche<br />
Zusammenspiel von architektonischer Ästhetik, exzellentem handwerklichem Umgang<br />
mit Baumaterialien und der innovativen Einbeziehung der zum Teil extremen<br />
Anforderungen der Nutzer an <strong>die</strong> Gebäude. Die hier wiedergegebenen feinen Faksimiles<br />
der historischen Baupläne zeigen zum Teil eine geradezu liebevolle Ausgestaltung<br />
der Objekte des heute denkmalgeschützten Ensembles auf dem Charlottenburger<br />
Campus der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).<br />
Es wird exemplarisch der baugeschichtliche Bogen gespannt von den Visionen<br />
der Gründerväter Werner von Siemens und Hermann von Helmholtz über <strong>die</strong> Katastrophen<br />
nationalsozialistischer Überheblichkeit und Krieg bis zum Wiederaufbau<br />
der Nachkriegszeit und zu den wunderschön wiederhergestellten Vorzeigeobjekten,<br />
von denen vor allen Dingen der Hermann-von-Helmholtz-Bau und das Observatorium<br />
ein hervorragendes Zeugnis ablegen.<br />
Eine Berliner Baugeschichte in der Nussschale!<br />
Wir danken den Autoren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schätze, <strong>die</strong> sie <strong>für</strong> uns gehoben und so<br />
eindrucksvoll aufbereitet haben und wünschen den Leserinnen und Lesern eine von<br />
Staunen begleitete, anregende Lektüre.<br />
Prof. Dr. Joachim Ullrich<br />
Präsident der<br />
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt<br />
Prof. Dr. Hans Koch<br />
Leiter des Instituts Berlin der<br />
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt<br />
7 Vorwort
EINLEITUNG<br />
„Indem wir <strong>die</strong> Dinge kultivieren, kultivieren wir uns selbst.“<br />
(Georg Simmel, Philosoph und Soziologe, 1858–1918)<br />
„... Und es ist gerechtfertigt zu sagen, dass <strong>die</strong><br />
entstandene großartige Anlage von keiner ähnlichen<br />
in der Welt erreicht wird.“<br />
(aus der Denkschrift über <strong>die</strong> Tätigkeit der<br />
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt vom 31. Dezember 1897)<br />
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) begeht 2012 ein großes Jubiläum,<br />
denn sie kann auf eine bewegte wie gleichermaßen bewegende Geschichte<br />
von stolzen 125 Jahren zurückblicken. 1887 erfolgte ihre Gründung in Charlottenburg,<br />
heute Teil von Berlin, welches damals noch eine selbstständige Stadtgemeinde westlich<br />
der deutschen Hauptstadt war. Als weltweit erstes Staatsinstitut <strong>für</strong> <strong>die</strong> experimentelle<br />
Förderung der exakten Naturforschung und der Präzisionstechnik verkörperte<br />
<strong>die</strong> „Physikalisch-Technische Reichsanstalt“ (PTR), von Werner Siemens – später<br />
Werner von Siemens – initiiert und in Entstehung und Aufbau tatkräftig unterstützt<br />
sowie maßgeblich finanziert, einen Meilenstein der <strong>Wissenschaft</strong>s- und Forschungsgeschichte.<br />
Dementsprechend avancierte sie schon sehr bald nach ihrer Etablierung<br />
zum institutionellen Vorbild und Muster <strong>für</strong> etliche danach entwickelten Einrichtungen<br />
vergleichbaren Charakters.<br />
Die Entstehung und Herausbildung der PTR ist dabei untrennbar mit dem<br />
Standort an der Charlottenburger Marchstraße verbunden, welcher über mehr als 60<br />
Jahre den faktischen Haupt- und Stammsitz <strong>die</strong>ser in seiner Bedeutung herausragenden<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sinstitution bildete. Seit 1953 wird der inzwischen zwei Blockareale<br />
umfassende Campus vom Institut Berlin der nach Gründung der Bundesrepublik<br />
Deutschland in Braunschweig neu strukturierten und neu aufgebauten Physikalisch-<br />
Technischen Bundesanstalt (PTB) 1 genutzt. Sie ist als metrologisches Staatsinstitut<br />
damit als <strong>die</strong> unmittelbare Folgeeinrichtung der einstmaligen Physikalisch-Technischen<br />
Reichsanstalt (PTR) anzusehen, in der deren technische und wissenschaftliche<br />
Abteilungen aufgegangen sind.<br />
Die vorliegende Untersuchung widmet sich anlässlich des Jubiläums explizit<br />
der baugeschichtlichen Dimension des traditionsreichen Charlottenburger Standortes,<br />
der <strong>die</strong> Geburtsstätte und wissenschaftliche Keimzelle der vormaligen Reichsanstalt<br />
und heutigen Bundesanstalt darstellt. Denn in der Tat ist seine vielschichtige,<br />
komplexe Architekturgeschichte bis dato im Gegensatz zu seiner Ereignis- und<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sgeschichte noch nie zum zentralen Gegenstand einer umfassenden<br />
und systematisch vorgenommenen historischen Betrachtung gemacht worden. Dies<br />
muss umso mehr verwundern, da der überkommene Gebäudebestand einschließlich<br />
1 Bereits 1947 nahmen ehemalige Mitarbeiter der PTR, <strong>die</strong> sich in Braunschweig zusammengefunden<br />
hatten, wieder <strong>die</strong> Arbeit auf und reaktivierten einige Tätigkeitsbereiche der Reichsanstalt.<br />
Daraus erwuchs sehr bald <strong>die</strong> Physikalisch-Technische Anstalt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes<br />
(PTA), aus der dann 1950 nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland <strong>die</strong><br />
neu organisierte PTB hervorging. 1953 wurde der PTB schließlich der aus der alten „Rest-PTR“<br />
gebildete Forschungskomplex als Institut Berlin angegliedert. Vgl. Ernst O. Göbel: „PTR/PTB:<br />
125 Jahre metrologische Forschung“. In: PTB Mitteilungen 2/2012, S. 3<br />
9 Einleitung
gelegen, verfügte der an der Ecke zum Platz hin abgerundete Büro- und Gewerbebau,<br />
der nach Plänen des Architekten Friedrich Wilhelm Göhre errichtete worden war, über<br />
insgesamt acht Geschosse und zählte damit im Sinne des Bauordnung tatsächlich<br />
zu einem der ersten Hochhäuser in Berlin. Ein Jahrzehnt nach seiner Fertigstellung<br />
Das „Knie“ mit dem 1924<br />
errichteten „Hochhaus“<br />
an der Ecke Hardenbergstraße/Kur<strong>für</strong>stenallee,<br />
in dem <strong>die</strong> PTR seit 1934<br />
Räumlichkeiten angemietet<br />
hatte, Aufnahme<br />
um 1936<br />
Das „Knie“ im Zustand<br />
nach Kriegsende, in der<br />
Bildmitte <strong>die</strong> Ruine des<br />
sogenannten „Hochhauses<br />
am Knie“, Aufnahme<br />
Oktober 1945<br />
mietete <strong>die</strong> Physikalisch-Technische Reichanstalt unter der Präsidentschaft von<br />
Johannes Stark in dem Gebäude dann eine Anzahl von Räumen an, <strong>die</strong> <strong>die</strong> schon<br />
lange bestehende Raumnot auf dem nur unweit entfernten Stammgelände vorübergehend<br />
lindern sollten.<br />
Im Zuge der beabsichtigten Umgestaltung Berlins zur künftigen „Welthauptstadt<br />
Germania“ durch den „Generalbauinspektor <strong>für</strong> <strong>die</strong> Reichshauptstadt“ (GBI)<br />
Albert Speer, dessen offizielle Ernennung am 30. Januar 1937, dem vierten Jahrestag<br />
der sogenannten Machtergreifung erfolgte, standen zunächst solche Bauvorhaben<br />
im Vordergrund, <strong>die</strong> sich mit geringerem Aufwand und vor allem schnell realisieren<br />
ließen, um im Hinblick auf <strong>die</strong> Propaganda möglichst kurzfristig sichtbare Ergebnisse<br />
präsentieren zu können. Da<strong>für</strong> bot sich der erste Teil des westlichen Abschnitts der<br />
Ost-West-Achse an, <strong>die</strong> gleichsam als eine Art „Via triumphalis“ des NS-Regimes zu<br />
einer Paradestrecke ausgebaut werden sollte. So verbreiterte man <strong>die</strong> Charlottenburger<br />
Chaussee und <strong>die</strong> Berliner Straße bis zum „Knie“ auf 50 Meter, was den Verhältnissen<br />
der zwischenzeitlich ausgebauten Bismarckstraße und des Kaiserdamms<br />
entsprach, verringerte <strong>die</strong> Zahl der Kreuzungen und beseitigte sichtstörenden Baumbestand.<br />
Dann erhielt der Straßenzug ein einheitliches Profil. Ein vier Meter breiter<br />
Mittelstreifen teilte <strong>die</strong> jeweils 14.5 Meter weiten Hauptfahrbahnen, denen sich an jeder<br />
Seite noch eine Nebenfahrbahn und ein Bürgersteig anfügten. Der Mittelstreifen<br />
wurde nur unwesentlich höher als <strong>die</strong> Hauptfahrbahnen angelegt, sodass <strong>die</strong> ganze<br />
Breite der Straße <strong>für</strong> Militäraufmärsche genutzt werden konnte. Am 19. April 1939,<br />
einen Tag vor Hitlers 50. Geburtstag, konnte Albert Speer offiziell <strong>die</strong> Fertigstellung<br />
des westlichen Abschnitts der Ost-West-Achse vermelden, <strong>die</strong> tags darauf ihre „Einweihung“<br />
und erste Erprobung durch <strong>die</strong> Wehrmacht erfuhr. Als Schauplatz <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Militärparade wurde hierbei <strong>die</strong> Freifläche vor dem Hauptgebäude der Technischen<br />
Hochschule auserkoren und mit der Verlegung von Granitplatten zur Aufstellung von<br />
Ehrentribünen zweckentsprechend ausgestattet.<br />
Im Zuge des Straßenausbaues war der Große Stern im Tiergarten als ein<br />
Kernstück der verbreiterten Ost-West-Achse mit großem Aufwand zu einem monumentalen<br />
„Forum des Zweiten Reiches“ umgestaltet worden; dort fanden <strong>die</strong> um<br />
eine Trommel erhöhte Siegessäule sowie am Nordrand <strong>die</strong> Denkmäler Bismarcks,<br />
Roons und Moltkes ihren neuen Standort. Die Neugestaltungsmaßnahmen am<br />
„Knie“ beschränkten sich dagegen zunächst auf <strong>die</strong> Aufstellung der von Albert Speer<br />
entworfenen gusseisernen doppelarmigen Laternen mit zylindrischen Leuchtkörpern,<br />
<strong>die</strong> im Übrigen noch heute den Straßenzug vom Großen Stern bis zum Theodor-<br />
Heuss-Platz „zieren“.<br />
Späteren Planungen zufolge sollte am „Knie“ schließlich noch das Dienstgebäude<br />
des „Generalbauinspektors“ errichtet werden. Den hierzu zwischen 1939 und<br />
1941 entwickelten Gebäudeentwurf schuf der Architekt und Professor der Technischen<br />
Hochschule Hans Freese. Allein der Krieg verhinderte seine Realisierung.<br />
Die Bombardements des Zweiten Weltkrieges zerstörten neben dem privaten<br />
Siemens-Anwesen große Teile der Bebauung des „Knie“-Bereiches und seines<br />
Umfeldes. Die sogenannten Wiederaufbauplanungen der Nachkriegsjahre insbesondere<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschulbauten standen dann unter dem Zeichen der nahezu<br />
vollständigen Eliminierung historischer Raumstrukturen. Die ausgeführten Solitärbauten<br />
symbolisieren bis heute <strong>die</strong> Auflösung überkommener Proportion und Maßstäblichkeit.<br />
So ist das Gebäudeensemble auf dem Stammgelände der einstmaligen<br />
16 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 17 Werner Siemens und der Standort der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) in Charlottenburg
<strong>die</strong> Jahreswende 1885/86 und bis in den Frühsommer hinein hatte sich weder <strong>die</strong><br />
Architektenfrage geklärt, noch waren <strong>die</strong> von Werner Siemens in seiner Schenkungsurkunde<br />
festgelegten finanziellen Verpflichtungen des Staates <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bauausführung<br />
konkretisiert und berechenbarer geworden. Fortschritt und Entwicklung des Projektes<br />
mussten sich den äußeren Umständen anpassen und konnten daher nicht mit<br />
ganzer Kraft vorangetrieben werden.<br />
Bis zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt hatte Werner Siemens alles in seiner Macht Stehende<br />
getan, um das Projekt zu forcieren und keine Zeit zu verlieren, aber seine Geduld<br />
wurde durch <strong>die</strong> widrigen Umstände auf eine harte Probe gestellt. Und ein weiteres<br />
Mal war er es, der das Geschick in <strong>die</strong> eigenen Hände nahm und <strong>die</strong> Entscheidungen<br />
auf Regierungsebene nicht abwarten wollte, denn er beschloss, auf eigenes Risiko<br />
mit dem Bau zu beginnen, auch auf <strong>die</strong> Gefahr hin, dass der Reichstag <strong>die</strong> Etatposition<br />
nicht übernehmen würde. Im Juni 1886 unterrichtete er Hermann von Helmholtz von<br />
seinem Angebot und zeigte sich zuversichtlich, dass es schon bald „munter mit dem<br />
Bau losgehen“ könnte. Schwierig aber sei es, einen Baumeister zu finden, „da Techniker<br />
nicht gern nach fremden Plänen arbeiten“ 32 . Einen Monat später allerdings, im<br />
Juli 1886, war der Architekt <strong>für</strong> das Projekt gefunden und es darf angenommen werden,<br />
dass Paul Spieker als Kommissionsmitglied bei der Suche behilflich war. Werner<br />
Siemens konnte den im Reichsamt des Innern beschäftigten Regierungsbaumeister<br />
32 Brief von Werner Siemens an Hermann von Helmholtz vom 5. Juni 1886. Nachgedruckt in: Aus<br />
einem reichen Leben ... (Anm. 5), S. 325 f.<br />
Ballonaufnahme von der<br />
Gegend um das „Knie“,<br />
in der Mitte <strong>die</strong> Villa<br />
Siemens mit Park, das<br />
helle Viereck markiert<br />
<strong>die</strong> Baustelle <strong>für</strong> das<br />
geplante Observatorium,<br />
Luftbild undatiert (Herbst<br />
1886)<br />
Das Observatorium,<br />
Grundrisszeichnung<br />
Isolierkeller und<br />
2. Obergeschoss,<br />
unterzeichnet von<br />
Werner Siemens und<br />
Theodor Astfalck,<br />
30. Juli 1886<br />
Das Observatorium,<br />
Grundrisszeichnung<br />
Untergeschoss und<br />
1. Obergeschoss,<br />
unterzeichnet von<br />
Werner Siemens und<br />
Theodor Astfalck,<br />
30. Juli 1886<br />
Das Observatorium,<br />
Ansichtzeichnung und<br />
Gebäudequerschnitt,<br />
unterzeichnet von<br />
Werner Siemens und<br />
Theodor Astfalck,<br />
30. Juli 1886<br />
Theodor Astfalck 33 als Nachfolger von Paul Spieker gewinnen, einen erst 34 Jahre<br />
alten, aber bereits erfahrenen Architekten, der bei seinem Vorgänger als „Baueleve“<br />
gelernt hatte und als Bauführer unter anderem auch bei den Neubauten des Astro-<br />
33 Theodor Astfalck (4. Februar 1852, Berlin – 6. Februar 1910, Berlin): 1872 Baueleve bei Paul<br />
Spieker. Studium an der Technischen Hochschule Berlin, 1877 Prüfung zum Bauführer. In <strong>die</strong>ser<br />
Funktion unter anderem Tätigkeit bei den Neubauten des Astrophysikalischen Observatoriums<br />
auf dem Telegrafenberg Potsdam. 1878–1880 Tätigkeit im Kultusministerium, dort ab 1883 unter<br />
Paul Spieker mit unterschiedlichen Bauvorhaben von Kultur-, Technik- und Krankenhausbauten in<br />
Berlin und Preußen beschäftigt. Ab 1897 in das Technische Büro des Ministeriums <strong>für</strong> öffentliche<br />
Arbeiten berufen, nebenberuflich als Architekt tätig. 1898 Berufung zum Mitglied der Königlichen<br />
Ministerial-Baukommission. Sein letztes Werk ist <strong>die</strong> zwischen 1904 und 1907 erbaute<br />
und heute unter Denkmalschutz stehende Evangelische Passions-Kirche am Marheinekeplatz in<br />
Berlin-Kreuzberg.<br />
34 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 35 Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)
Das Wohnhaus des<br />
Präsidenten, Grundrisse,<br />
Ansicht von der Marchstraße<br />
und Schnitt,<br />
Architekt: Theodor<br />
Astfalck, 26. Mai 1887<br />
Das Wohnhaus des Präsidenten,<br />
Schnittzeichnung<br />
zur Änderung des<br />
Dachgeschosses, Architekt:<br />
Theodor Astfalck,<br />
24. Januar 1888<br />
Die <strong>Bauten</strong> der (wissenschaftlichen) Abteilung I<br />
Konsequent und ohne Verzögerungen wurden <strong>die</strong> vier Gebäude der Abteilung I<br />
in Bauantrags- und Ausführungsplanung von Theodor Astfalck in Angriff genommen.<br />
Das Observatorium bildete – wie bereits erwähnt – das Zentrum und den Leitbau der<br />
gesamten Gebäudeanlage, dessen solitäre Platzierung und Ausrichtung durch seine<br />
komplexen Erfordernisse bestimmt wurden und dadurch auch <strong>die</strong> Anordnung der<br />
Lageplan zum Verwaltungsgebäude,<br />
Architekt:<br />
Theodor Astfalck, 24. Mai<br />
1888<br />
Das Verwaltungsgebäude,<br />
Grundriss-, Schnittund<br />
Ansichtszeichnung,<br />
Architekt: Theodor<br />
Astfalck, 24. Mai 1888<br />
Die PTR und ihr räumliches<br />
Umfeld, Situationsplan<br />
der Haupt- und Residenz-Stadt<br />
Berlin und<br />
Um gegend, bearbeitet<br />
von Wilhelm Liebenow,<br />
1888 (Ausschnitt)<br />
Das Maschinenhaus,<br />
Ansicht, Schnitt und<br />
Grundrisse, Architekt:<br />
Theodor Astfalck,<br />
5. Januar 1889<br />
38 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 39 Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)
zugewandt war und wurde durch eine weit geschwungene, repräsentative Rampe<br />
erschlossen. Durch das Portal gelangte man in das Haupttreppenhaus, über das alle<br />
Stockwerke erreicht werden konnten. Dennoch bestimmte nicht das Treppenhaus <strong>die</strong><br />
Grundrissordnung über alle Etagen, sondern der inmitten des Gebäudekerns befindliche,<br />
zweigeschossige „Raum <strong>für</strong> konstante Temperatur“. Er reichte über das Sockelund<br />
das Hauptgeschoss und bildete damit das Herzstück des Observatoriums, was<br />
durch <strong>die</strong> pyramidale Dachüberhöhung auch in der Außengestaltung ausgedrückt<br />
wurde. Wie eine räumliche Ummantelung waren um <strong>die</strong>ses Zentrum herum Arbeitsräume,<br />
Büros und Werkstätten gruppiert, <strong>die</strong> jeweils an den Außenwänden gelegen<br />
waren und durch einen umlaufenden Flur erschlossen werden konnten.<br />
Bezogen auf <strong>die</strong> Nutzungsverteilung waren <strong>die</strong> Geschossebenen klar bestimmten<br />
Forschungsbereichen zugeordnet. Im Kellergeschoss lagen aufgrund der<br />
mangelnden Belichtung nur wenige Arbeitsräume. Im darüber liegenden sogenannten<br />
Isolierkeller wurden <strong>die</strong> um den Kernraum gelegenen Werkräume außer einem<br />
„chemischen Zimmer“ nicht genauer spezifiziert. Auf der Hauptetage fanden – wie<br />
in einem Piano Nobile – öffentliche und administrative Funktionen des Instituts ihren<br />
Platz und Theodor Astfalck musste, obwohl durch den Zentralraum grundrisslich eingeschränkt,<br />
<strong>die</strong>se nach außen gerichteten Raumanforderungen adäquat gestalten.<br />
Somit war das Hauptgeschoss in seinen Funktionen unterteilt: an der westlichen<br />
Spange befanden sich in einem öffentlich-repräsentativen Bereich <strong>die</strong> Räume mit Büros,<br />
Bibliothek, einem Versammlungsraum und dem Dienstzimmer des Präsidenten,<br />
während an der östlichen Spange gewöhnliche Dienst- und Arbeitsräume platziert<br />
wurden. Im zweiten Obergeschoss waren dann noch einmal Arbeitsräume und Werkstätten<br />
gelegen, darüber befand sich schließlich ein zurückversetztes Zwischengeschoss,<br />
auf dem wie ein Drempel das pyramidale Glasdach auflag.<br />
Der „Raum <strong>für</strong> konstante Temperatur“ mit seinen spezifischen Erfordernissen<br />
legte das System von Konstruktion und Tragwerk fest, welches alle übrigen Räume<br />
des Observatoriums in Maß und Proportion ordnete. Denn <strong>die</strong>ser zentrale Raum<br />
Blick über <strong>die</strong> Marchstraße<br />
auf das Observatorium<br />
und das Verwaltungsgebäude,<br />
in der<br />
Bildmitte im Bau das<br />
chemische Laboratorium<br />
der Abteilung II, Aufnahme<br />
um 1894<br />
Hermann von Helmholtz<br />
mit seiner Frau Anna und<br />
Mitarbeitern der PTR auf<br />
der Veranda der Präsidenten-Villa,<br />
Aufnahme<br />
um 1891<br />
Denkmal Hermann von<br />
Helmholtz von Ernst<br />
Herter, aufgestellt vor<br />
dem Hauptgebäude der<br />
Friedrich-Wilhelms-Universität<br />
(heute<br />
Humboldt-Universität),<br />
Unter den Linden 6,<br />
Aufnahme: Waldemar<br />
Titzenthaler, 1903<br />
benötigte eine größtmögliche Erschütterungsfreiheit und eine beständige Raumtemperatur,<br />
weshalb das gesamte Gebäude auf ein aufwändiges, zwei Meter dickes Plattenfundament<br />
gegründet wurde. Damit konnte Astfalck eine gleichmäßige Setzung<br />
und damit minimale Gebäudespannungen <strong>für</strong> den Betrieb gewährleisten. Die im vollen<br />
Querschnitt 1,90 Meter dicken Außenwände im Kellergeschoss bildeten <strong>die</strong> Auflagerfläche<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> umlaufende zweischalige Wandkonstruktion des darüber liegenden<br />
Isolierkellers, deren Außenschale 51 Zentimeter, <strong>die</strong> Luftschicht 50 Zentimeter und<br />
Innenschale 71 Zentimeter stark dimensioniert waren. Diese zwei massiven Mauerwerksschalen,<br />
<strong>die</strong> voneinander konstruktiv entkoppelt auf dem Plattenfundament<br />
auflagen, sicherten gewissermaßen <strong>die</strong> Erschütterungsfreiheit und bildeten an der<br />
Eingangsseite einen „Isoliergang“ aus, der im Hauptgeschoss als repräsentative Balkonebene<br />
weitergeführt wurde. Obwohl alle übrigen Wände monolithisch in massivem<br />
Mauerwerk und mit einer Stärke von 38 Zentimetern bzw. 51 Zentimetern in<br />
den oberen Geschossen deutlich schlankere Querschnitte aufwiesen, konnte in den<br />
Arbeitsräumen <strong>die</strong> Überwölbung großer Spannweiten erfolgen, sodass <strong>die</strong> Räume<br />
ohne störende queraussteifende Wände flexibel nutzbar waren. Die Tonnengewölbe<br />
besaßen einen 50 Zentimeter dicken Aufbau, verstärkte Gurtbögen mit einer Sandschüttung<br />
und waren mit einem Terrazzoboden belegt. Eine komplexe Dachkonstruktion<br />
mit Laterne überspannte schließlich turmartig <strong>die</strong> Gebäudemitte und nobilitierte<br />
<strong>die</strong> ansonsten flache Dachzone.<br />
Galt es <strong>für</strong> den Architekten Astfalck, eine bauliche Kontur <strong>für</strong> eine hochkomplexe<br />
Nutzung zu entwickeln, so bedeutete <strong>die</strong>s nicht das Fehlen eines architektonisch-künstlerischen<br />
Konzeptes. Gerade weil sich <strong>die</strong> Nutzung nicht in dem äußeren<br />
Erscheinungsbild abbilden konnte und es zudem keinerlei gestalterische Vorbilder<br />
gab, griff Astfalck – dem historistischen Architekturprinzip folgend – auf probate stilistische<br />
Formen der Renaissance zurück. Es war der Typus des italienischen Palazzo,<br />
der in seiner historischen Bedeutung als bürgerliche Residenz <strong>die</strong>ser neuen Nutzung<br />
einen adäquaten Ausdruck zu verleihen in der Lage war und den der Architekt <strong>für</strong> sein<br />
Projekt wählte. Das Gebäude war durch seine charakteristische Dreiteilung in eine<br />
wuchtige Sockelzone, das hohe Hauptgeschoss und ein niedriges Obergeschoss<br />
gegliedert, <strong>die</strong> jeweils durch Horizontalgesimse voneinander abgesetzt waren. Den<br />
Übergang zur Attika bildete dabei ein kräftiges, verkröpftes Kranzgesims, das als<br />
umlaufendes Band das Gebäude umfasste. Die Fassadenflächen prägte <strong>die</strong> signifikante<br />
Oberflächentextur des Mauerwerkes, das Astfalck mit einem andersgearteten<br />
Baumaterial kombinierte, wodurch er eine differenzierte architektonische Physiognomie<br />
entwickeln konnte. Neben den robust wirkenden gelben Ullersdorfer Verblendsteinen<br />
wählte er feinen Sandstein <strong>für</strong> <strong>die</strong> Dekorelemente wie Gesimse, Säulen und<br />
Bekrönungen der Ecken, sodass in <strong>die</strong>ser architektonischen Reduktion auf das Wesentliche<br />
ein elegant dekoriertes, aber dennoch monumentales Gebäude entstand.<br />
Trotz der Massigkeit des Sichtmauerwerks und seiner Strenge wirkte das Gebäude<br />
offen und klar, denn Astfalck variierte den Rundbogen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fensteröffnungen als<br />
einheitliches und maßgebendes Motiv. Wurden im Sockel flache Segmentbogenfenster<br />
eingebaut, so übernahm Astfalck <strong>die</strong>se Bogenform <strong>für</strong> das Hauptgeschoss<br />
und übersetzte sie auf <strong>die</strong> großen Öffnungen. Im Obergeschoss dagegen wechselte<br />
er den Rhythmus und sah kleinteilige Zwillingsfenster mit Halbkreisbögen und einer<br />
akzentuierenden Mittelsäule vor, sodass ein auf einem pointierten Gestaltungsmotiv<br />
basierende, aber differenzierte Fassadenkomposition möglich wurde. Die Front zur<br />
42 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 43 Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)
Blick auf das Lufthäuschen<br />
im Hof des Hauptgebäudes,<br />
Aufnahme:<br />
Paul Meyer, um 1897<br />
Der „Kaisereingang“ im<br />
Hauptgebäude, Aufnahme:<br />
Paul Meyer, um 1897<br />
Die Mitteltreppe im<br />
Hauptgebäude, Aufnahme:<br />
Paul Meyer, um 1897<br />
Die Südostecke des<br />
Hauptgebäudes, Aufnahme:<br />
Paul Meyer, um 1897<br />
Blick in eines der seitlichen<br />
Treppenhäuser im<br />
Hauptgebäude, Aufnahme:<br />
Paul Meyer, um 1897<br />
56 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 57 Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)
Vogelschau aus nördlicher<br />
Richtung auf das<br />
Gebäudeensemble der<br />
PTR, Schaubild von<br />
A. C. Laxmann und<br />
H. Gerstenhauer, welches<br />
1904 entstanden<br />
ist und nicht, wie durchgängig<br />
in der Literatur<br />
behauptet, im Zeitraum<br />
zwischen 1884 und 1887<br />
Hermann von Helmholtz aber, der Gründungspräsident der Physikalisch-<br />
Technischen Reichsanstalt, hat <strong>die</strong> Vollendung der Reichsanstalt nicht mehr erlebt.<br />
Der große deutsche Gelehrte war am 8. September 1894 in seiner Dienstvilla gestorben.<br />
Und so war es nicht Helmholtz, sondern sein Nachfolger Friedrich Kohlrausch,<br />
der nach Fertigstellung der Gesamtanlage eine erste Bewertung vornahm und mit<br />
Stolz feststellte: „So ist der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt jetzt <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Verfolgung ihrer Aufgaben wichtigste Grundbedingung, <strong>die</strong> Ausstattung mit räumlichen<br />
Mitteln, in reichlicher und zweckentsprechender Weise gewährt, und es ist<br />
gerechtfertigt zu sagen, dass <strong>die</strong> entstandene großartige Anlage von keiner ähnlichen<br />
in der Welt erreicht wird.“ 45<br />
Die Reichsanstalt nach<br />
Fertigstellung der <strong>Bauten</strong><br />
der Abteilung II, Lageplan<br />
mit Darstellung der Freiflächen<br />
und Angabe der<br />
Bauzeiten <strong>für</strong> <strong>die</strong> einzelnen<br />
Gebäude, Lithografische<br />
Kunstanstalt von<br />
Albert Frisch, undatiert<br />
(um 1900)<br />
45 Denkschrift über <strong>die</strong> Tätigkeit der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt vom Frühjahr 1895 bis<br />
zum Sommer 1897, überarbeitet von Präsident Kohlrausch, Vorlage Nr. 80 vom 31. Dezember<br />
1897 <strong>für</strong> den Reichstag, S. 2<br />
60 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 61 Zur Entstehungs- und Gründungsgeschichte der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)
Maschinen- und zweigeschossigem Labortrakt mit einem Satteldach war lediglich der<br />
Eingang – an der Giebelseite gelegen – gestalterisch herausgehoben. Auch das drei<br />
Jahre später, im Jahre 1929 von demselben Architekten ausgeführte Packhaus hinter<br />
dem Maschinenhaus folgte der stilistischen Konvention, doch der Gedanke einer großen,<br />
verbindlichen Gestaltungseinheit war verloren.<br />
Bleiben oder Verlagern: <strong>die</strong> Diskussion um den Standort (1927–1933)<br />
Strassenfluchtlinie entfernt, errichtet werden.“ 50 Man einigte sich auf einen Kompromiss:<br />
Die Baugenehmigung wurde unter der Bedingung erteilt, dass das sogenannte<br />
Magnetische Häuschen 51 abgerissen würde. Das Kältelaboratorium war nach Plänen<br />
des Regierungsbaurates Kemper, eines Architekten des Reichsbauamtes, geplant<br />
worden und spiegelte den schon mit dem Bau des Starkstromlaboratoriums eingeleiteten<br />
Wandel im architektonischen Anspruch. Das Gebäude war ein schlichter Funktionsbau,<br />
dessen Hülle um <strong>die</strong> Raumnutzungen – ein Maschinenraum, eine Werkstatt<br />
und ein Labor – entwickelt wurde. In der Kombination von eingeschossigem<br />
Neubau eines Packhauses,<br />
Lageplan, Ansichten,<br />
Schnitte und Grundriss,<br />
Architekt: Regierungsbaurat<br />
Kemper, 28. September<br />
1929<br />
Mitarbeiter der PTR auf<br />
dem Dach des Hauptgebäudes<br />
in Erwartung<br />
einer Sonnenfinsternis,<br />
Aufnahme 29. Juni 1927<br />
Schrägluftbild von der<br />
Reichsanstalt aus südlicher<br />
Richtung, Aufnahme<br />
um 1930<br />
Petition des Kuratoriums<br />
der PTR an den Hauptausschuss<br />
des Deutschen<br />
Reichstages,<br />
14. März 1929<br />
Schon mit dem Abriss des Maschinenhauses zugunsten des Starkstromlaboratoriums<br />
im Jahre 1911 wurde <strong>die</strong> zunehmende räumliche Beengtheit offenbar<br />
und kolli<strong>die</strong>rte mit den stetig wachsenden Aufgaben sowie den damit verbundenen<br />
komplexen funktionalen Gebäudeanforderungen. Die zur Verfügung stehenden Bauund<br />
Raumkapazitäten stießen an ihre Grenzen. Nicht nur, dass <strong>die</strong> räumlichen, technischen<br />
und praktischen Ansprüche der benötigten Gebäude auf dem vorhandenen<br />
Gelände nicht mehr zu befriedigen waren, es war vor allem das Alter der <strong>Bauten</strong>,<br />
das den Erfordernisse einer modernen technisch-wissenschaftlichen Einrichtung<br />
nicht mehr genügte. Das Gebäudeensemble, das zu Zeiten von Werner von Siemens<br />
eine innovative Institution ersten Ranges dargestellt hatte, schien mittlerweile<br />
den zeitgemäßen Aufgaben nicht mehr entsprechen zu können. Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund<br />
verwundert es nicht, dass <strong>für</strong> den Standort Charlottenburg eine vollkommen<br />
neue Strategie entwickelt wurde. Schon im Jahr 1928 schlug das Kuratorium vor,<br />
„<strong>die</strong> ganze Reichsanstalt zu verkaufen und außerhalb Berlins als ganz modernen Bau<br />
neu aufzustellen.“ 52 Innerhalb des Kuratoriums wurde eigens da<strong>für</strong> eine Kommission<br />
gebildet, <strong>die</strong> <strong>die</strong> räumlichen und baulichen Notwendigkeiten erarbeiten sollte. In<br />
einer drängenden Petitionsschrift wandte sich schließlich das Kuratorium der PTR<br />
im Jahre 1929 an den Hauptausschuss des Deutschen Reichstages und sah sich<br />
zu folgender Zustandsbeschreibung genötigt: „Die Aufgaben und <strong>die</strong> Einrichtungen<br />
der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt sind durch <strong>die</strong> Entwicklung der Technik<br />
in der Nachkriegszeit in ein unerträgliches Mißverhältniss geraten. Die Reichsanstalt<br />
bedarf einer Reihe neuer Laboratorien; zwei davon, ein wärmetechnisches und ein<br />
Hochspannungs-Laboratorium aber braucht sie unverzüglich (…) Aber [das Kuratorium]<br />
erachtet es <strong>für</strong> seine Pflicht, den Reichstag darauf hinzuweisen, daß (…) weitere<br />
Anforderungen folgen werden, <strong>die</strong> auf dem bisherigen Gelände in keinem Fall<br />
befriedigt werden können, sondern <strong>die</strong> Bereitstellung neuer Flächen verlangen.“ 53<br />
Das Kuratorium begründete seine drastische Schilderung mit der technischen und<br />
wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, <strong>die</strong> sich Werner von Siemens nicht im<br />
Mindesten habe vorstellen können: „Auf allen Gebieten der Technik haben <strong>die</strong> Maße<br />
der behandelten Substanzen, der Kräfte, der Drucke, der elektrischen Spannungen<br />
das Vielfache der Abmessungen erreicht, <strong>die</strong> noch bis vor kurzem in der Technik gemeistert<br />
werden konnten, ohne daß wir unsere Hilfsmittel entwickelt hätten, um<br />
50 Gesuch um Dispenz, Schreiben an <strong>die</strong> Städtische Baupolizei vom 10. September 1926. BA<br />
Charlottenburg-Wilmersdorf, Bauakten-Archiv, Grundstück Abbestraße 2/12, Bd. 6, Bl. 67<br />
51 Der Abriss kam jedoch nicht zur Ausführung. Das Magnetische Häuschen wurde erst im Zweiten<br />
Weltkrieg zerstört.<br />
52 Protokoll der Kuratoriumssitzung vom 14. März 1928. Zitiert in: Ulrich Kern: Forschung und Präzisionsmessung.<br />
Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt zwischen 1918 und 1948. Weinheim,<br />
New York, Basel, Tokyo 1994, S. 197<br />
53 Petitionsschrift des Kuratoriums der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt an den Hauptausschuß<br />
des Deutschen Reichstages bezüglich des Ausbaues der Physikalisch-Technischen<br />
Reichsanstalt vom 14. März 1929. Bundesarchiv Berlin, Abteilung Reich, R 2/11700 a<br />
70 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 71 Ausbau und erste Erweiterung des Standortes Charlotten burg
Das geplante Hochspannungsinstitut,<br />
Ansicht<br />
von der Marchstraße<br />
(oben) und von der<br />
Berliner Straße (unten),<br />
Architekt: Eugen Bruker,<br />
23. Juli 1937<br />
Das geplante Hochspannungsinstitut,<br />
perspektivische<br />
Darstellung des<br />
Gebäudes gegen <strong>die</strong> Ecke<br />
Berliner Straße (links)/<br />
Marchstraße (rechts) gesehen,<br />
Architekt: Eugen<br />
Bruker, 23. Juli 1937<br />
betragen. Damit wird eine umfassende Hochspannungsanlage geschaffen sein, <strong>die</strong><br />
allen heute zu stellenden Anforderungen gerecht zu werden verspricht.“ 69<br />
Die hierzu im Sommer 1937 vorgelegten Planzeichnungen wurden wiederum<br />
von Eugen Bruker ausgearbeitet. Sie sahen den Gebäudekomplex des Hochspannungsinstituts<br />
auf dem zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt dem Preußischen Staat gehörenden<br />
Grundstück Berliner Straße Ecke Marchstraße vor, wobei seine mächtige Kubatur <strong>die</strong><br />
Maßstäblichkeit der dortigen Bebauung außer Kraft gesetzt hätte. Im Anschluss an<br />
den Institutsbau bildeten entlang der Marchstraße vier großförmige Gebäudekörper<br />
69 Forschung und Prüfung. 50 Jahre Physikalisch-Technische Reichsanstalt. Hrsg. von Johannes<br />
Stark, Leipzig 1937, S. 43<br />
<strong>die</strong> Blockrandbebauung aus, <strong>die</strong> bis an den Landwehrkanal heranreichte und in weiteren<br />
Gebäuderiegeln am Charlottenburger Ufer sowie an der Werner-Siemens-Straße<br />
(heute Abbestraße) ihre Fortsetzung finden sollte. Die in <strong>die</strong>ser Form vorgesehene<br />
Bebauung hätte dabei im Bereich des Stammgeländes den Abriss des Präsidentenhauses,<br />
des Verwaltungsgebäudes sowie des Observatoriums bedeutet.<br />
Auch <strong>die</strong>se Planungen ließen sich jedoch nicht sofort realisieren, weil einmal<br />
mehr <strong>die</strong> Grundstücksfragen nicht geklärt waren. Und noch ehe <strong>die</strong>se vonseiten Johannes<br />
Starks und der PTR gelöst werden konnten, setzte der „Generalbauinspektor“<br />
Albert Speer dem Vorhaben ein deutliches Ende. Kraft seiner Planungskompetenzen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> „Neugestaltungsmaßnahmen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Reichshauptstadt Berlin“ 70 , <strong>die</strong><br />
ihm seitens Hitler am 30. Januar 1937 überantwortet wurden, erklärte er <strong>die</strong> geplante<br />
Bebauung der Marchstraße <strong>für</strong> nicht akzeptabel, da sie mit seinen Planungsvorstellungen<br />
<strong>für</strong> das Umfeld des Charlottenburger „Knies“, welches integraler Bestandteil<br />
der Ost-West-Achse war, nicht kompatibel erschienen. Damit war auch <strong>die</strong>ses Projekt<br />
einer neuen Reichsanstalt am bestehenden Ort, welches Johannes Stark in Überschätzung<br />
seiner Möglichkeiten entwickelt hatte, obsolet geworden.<br />
Als Ausgleich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Versagung, an der Marchstraße zu erweitern, stellte<br />
der „Generalbauinspektor“ (G.B.I.) der PTR jedoch einen möglichen Bauplatz an der<br />
Charlottenburger Heerstraße in Aussicht, was es aber im Einzelnen noch zu überprüfen<br />
galt. In dem <strong>die</strong>sbezüglichen Schreiben vom 17. November 1937 an den „Reichsund<br />
Preußischen Minister <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Erziehung und Volksbildung“, welcher<br />
inzwischen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Physikalisch-Technische Reichsanstalt anstelle des Reichsministeriums<br />
des Innern zuständig war, führt <strong>die</strong>ser dazu mit vergleichsweise kargen Worten<br />
aus: „Einer Erweiterung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt im Rahmen der<br />
vorhandenen Gebäude in der Nähe des Knies kann ich nicht zustimmen. Dagegen<br />
70 Vgl. Hans J. Reichhardt, Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania. Über Zerstörungen der<br />
Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen. Berlin 1998. Hierzu im Besonderen<br />
das Kapitel „Zur Geschichte und Aufbau des Generalbauinspektors <strong>für</strong> <strong>die</strong> Reichshauptstadt<br />
(G.B.I.)“, S. 49 ff.<br />
80 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 81 Die PTR zwischen der sogenannten Machtergreifung durch <strong>die</strong> Nationalsozialisten im Januar 1933<br />
und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
während Bruker – wie stets – <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gesamtplanung verantwortlich zeichnete. Die<br />
dann auf <strong>die</strong>ser Basis ausgearbeiteten Entwurfskonzepte wurden schließlich, um das<br />
Grundstück zu erwerben, mit der am 20. Juni 1938 fertiggestellten „Raum- und Personalbedarfsnachweisung“<br />
dem Präsidenten des Rechnungshofes des Deutschen<br />
Reiches zur Prüfung vorgelegt. Dieser kam dann bezüglich der Planungen zu dem<br />
Schluss: „Das <strong>für</strong> den Neubau ausersehene Baugelände in Lichterfelde-Süd halte<br />
ich nach den Darlegungen der PTR und der zuständigen Stellen <strong>für</strong> geeignet. Sein<br />
Erwerb würde <strong>die</strong> Möglichkeit bieten, der Anstalt das Ausmaß, <strong>die</strong> Gestaltung, <strong>die</strong><br />
Ausstattung und damit das Leistungsvermögen zu geben, das <strong>die</strong> Bedürfnisse der<br />
Standort am Bahnhof<br />
Lichterfelde-Süd, Grundstücksplan<br />
mit Ausweisung<br />
der Nutzungsbereiche,<br />
Anlage zur<br />
Stellungnahme vom<br />
20. Juni 1938<br />
Vorschlag zur Anordnung<br />
der Abteilungen der PTR<br />
in Lichterfelde-Süd am<br />
geplanten 4. Ring, Entwurf:<br />
Architekt Grimm<br />
unter der Leitung von<br />
Eugen Bruker, 17. April<br />
1938<br />
deutschen Wirtschaft und der Wehrtechnik sowie das Ansehen des ersten Physikalisch-Technischen<br />
Instituts Deutschlands verlangen. Es bietet auch <strong>für</strong> absehbare<br />
Zukunft genügende Erweiterungsmöglichkeiten. Ich halte es deshalb <strong>für</strong> ratsam und<br />
erforderlich, das von der PTR vorgeschlagene Gelände in Lichterfelde-Süd möglichst<br />
bald <strong>für</strong> den Neubau sicherstellen zu lassen.“ 79 Insgesamt hätte <strong>die</strong> grundsätzliche<br />
Sanktionierung der Planungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> PTR eine Erweiterung der Nutzfläche von 21<br />
445 Quadratmeter auf mehr als 51 000 Quadratmeter bedeutet und eine Vergrößerung<br />
des Personalbestandes von insgesamt 459 Mitarbeitern auf 720 Mitarbeiter.<br />
Allein bezüglich der Aufteilung des Geländes und der Anordnung der Gebäude hatten<br />
sich jedoch einige „Einschränkungen und Hinweise“ ergeben. So wurde zum<br />
Beispiel angeregt, „eine Zusammenfassung [der Anlage] in weniger Einzelgebäude<br />
mit ruhigen Grundrissen“ vorzunehmen sowie „technisch und fachlich zusammengehörige<br />
Einrichtungen (…) möglichst in einem Baukörper“ 80 unterzubringen. Diesen<br />
sehr grundsätzlichen Monita schlossen sich noch eine Reihe kleinerer Kritikpunkte<br />
an. Insofern endete <strong>die</strong> Begutachtung in der Empfehlung „das Vorhaben mit den vorgeschlagenen<br />
Einschränkungen und Hinweisen neu planen zu lassen.“ 81<br />
Johannes Stark ließ schließlich entsprechend den Empfehlungen vom 9.<br />
September 1938 Eugen Bruker mit seiner Baugruppe der Oberfinanzdirektion Planänderungen<br />
vornehmen und trieb das Bauvorhaben voran. Er erreichte schließlich, dass<br />
sowohl der Reichs- und Preußische Minister <strong>für</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Erziehung und Volksbildung<br />
als auch der Reichsminister <strong>für</strong> Finanzen sich mit der Wahl des Bauplatzes<br />
Ende Februar 1939 im Grundsatz einverstanden erklärten. Gleichwohl konnte er den<br />
schwierigen Entscheidungsprozess, auch dort zu bauen, nicht mehr während seiner<br />
Amtszeit, <strong>die</strong> am 31. März 1939 endete, zu Ende bringen. Und so führte sein<br />
Nachfolger, der wissenschaftlich renommierte Hochfrequenzphysiker Abraham Esau,<br />
<strong>die</strong> Neubauplanungen bruchlos fort und baute dabei weiterhin auf <strong>die</strong> Erfahrungen<br />
von Eugen Bruker. Esau, der <strong>die</strong> Präsidentschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges<br />
inne hatte, war „mehr noch als sein Vorgänger in <strong>die</strong> forschungspolitischen<br />
Netzwerke des Dritten Reiches eingebunden (…): von seiner führenden Stellung im<br />
Reichsforschungsrat als Beauftragter <strong>für</strong> <strong>die</strong> deutsche Hochfrequenzforschung über<br />
<strong>die</strong> Mitwirkung am ‚Uranverein’, an dessen Forschungen sich Mitarbeiter der Abteilung<br />
Radioaktivität der PTR (…) aktiv beteiligten, bis hin zu seinen Verbindungen zu<br />
militärischen Kreisen und der Rüstungsindustrie.“ 82<br />
Die Planungen <strong>für</strong> Lichterfelde-Süd schienen schon ihrer Realisierung entgegenzusehen,<br />
als Anfang April 1940 Präsident Esau in einer Besprechung beim „Generalbauinspektor“<br />
eröffnet wurde, dass aus städtebaulichen Erwägungen der Bauplatz<br />
der PTR in Lichterfelde aufzugeben sei und ein neuer an der Nord-Süd-Achse<br />
bestimmt worden wäre. Dementsprechend mussten <strong>die</strong> bis dahin <strong>für</strong> Lichterfelde<br />
entwickelten Planungen auf den neuen Bauplatz an der Südachse projiziert werden.<br />
Die am 20. April 1940 verfertigten Zeichnungen belegen den zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
erreichten Planungsstand.<br />
79 Mitteilung betr. Raumprogramm <strong>für</strong> einen Neubau der PTR des „Präsidenten des Rechnungshofes<br />
des Deutschen Reiches“ an den „Reichsminister der Finanzen“ vom 9. September 1938,<br />
S. 2. PTB, Archiv Braunschweig, Sign. 1477<br />
80 Ebda., S. 13<br />
81 Ebda., S. 14<br />
82 Dieter Hoffmann: Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt im Dritten Reich … ( Anm. 58), S. 31<br />
90 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 91 Die PTR zwischen der sogenannten Machtergreifung durch <strong>die</strong> Nationalsozialisten im Januar 1933<br />
und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Trotz <strong>die</strong>ser massiven Intervention Brukers kam es im Verlauf der folgenden<br />
Planungen dennoch zu weiteren Grundstücksverschiebungen, <strong>die</strong> vor allem der vom<br />
„Generalbauinspektor“ vorgenommenen Planänderungen bezüglich des Verlaufs und<br />
der Bebauungsstruktur der Südachse geschuldet waren. Im September 1941 schien<br />
man sich aber schließlich auf einen endgültigen Bauplatz in der Nähe von Diedersdorf<br />
geeinigt zu haben Er war ebenfalls am 4. Ring gelegen und befand sich im Bereich<br />
der vom „Generalbauinspektor“ konzipierten Südstadt, <strong>die</strong> einen wesentlichen Bestandteil<br />
des Achsenabschnittes zwischen der Stadtgrenze und dem geplanten Autobahnring<br />
darstellte. Ein kolorierter Lageplan vom Oktober 1941 sowie ein Modellfoto<br />
der Gesamtanlage stellten offensichtlich bereits auf <strong>die</strong>sen Standort ab und offenbaren<br />
zugleich den letzten Planungsstand des PTR-Neubaus, der sich erhalten hat.<br />
Wie Protokollnotizen des „Generalbauinspektors“ sowie des Reichsministeriums belegen,<br />
wurden <strong>die</strong> Planungsarbeiten allerdings noch bis zum April 1942 fortgeführt,<br />
ehe sie auf Grund eines „Führererlasses vom 2. Januar 1942“ eingestellt wurden. 84<br />
Während also bis in <strong>die</strong> Kriegsjahre hinein seitens der Leitungsebene unter<br />
Hochdruck an der inhaltlichen, strukturellen wie baulichen Neugestaltung der Physikalisch-Technischen<br />
Reichsanstalt gearbeitet wurde, konnte der in den Aufgaben<br />
angewachsene, vielschichtige laufende Betrieb der PTR in den vorhandenen Gebäudeanlagen<br />
auf dem Charlottenburger Stammgelände sowie an den vier Satellitenstandorten<br />
uneingeschränkt aufrecht erhalten werden, ohne dass dort noch erwähnenswerte<br />
bauliche Maßnahmen erfolgten. 85 Noch bis zum Sommer des Jahres<br />
1943 wurden <strong>die</strong> Arbeiten der PTR in Berlin in vollem Umfange weitergeführt und<br />
erfuhren erst zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt eine Veränderung, da <strong>die</strong> Bombenangriffe auf <strong>die</strong><br />
„Reichshauptstadt Berlin“ derart zugenommen hatten, dass ein ungefährdetes und<br />
störungsfreies Arbeiten nicht mehr gewährleistet schien und man sich zur Evakuierung<br />
der Laborbereiche entschloss. So war „vom Herbst 1943 an (…) der größte<br />
Teil der PTR in Weida (Thüringen) in besonders hier<strong>für</strong> hergerichteten Räumen einer<br />
ehemaligen Lederfabrik untergebracht. Die Hochfrequenzlaboratorien kamen in Zeulenroda<br />
(Thüringen), <strong>die</strong> Abteilung V in Ronneburg (Thüringen) und <strong>die</strong> akustischen<br />
Laboratorien in Warmbrunn (Schlesien) unter. Einige kleinere Gruppen waren durch<br />
<strong>die</strong> Art ihrer Tätigkeit gezwungen, andere Ausweichmöglichkeiten zu suchen; [nur] ein<br />
Rest verblieb in Berlin-Charlottenburg.“ 86<br />
Mit dem nahezu bis Kriegsende auf dem Stammgelände verbliebenen „Rest<br />
der PTR“ waren unter anderem der Präsident mit seinem Mitarbeiterstab, der Leiter<br />
der Abteilung I, der spätere Präsident Wilhelm Kösters, mit zwei Laboratorien, einige<br />
Mitarbeiter der allgemeinen und technischen Verwaltung sowie ein Teil der Hauptwerkstatt<br />
gemeint, <strong>die</strong> trotz der bereits im Herbst 1943 eingetretenen erheblichen<br />
Bombenschäden hier ihre Arbeit fortsetzten. Hatten <strong>die</strong> Luftangriffe vom November<br />
1943, durch <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> in der Nachbarschaft der PTR gelegene Siemens-Villa zerstört<br />
wurde, etlichen Gebäuden des Stammgeländes wie dem Observatorium, dem<br />
Kältelaboratorium, dem Kesselhaus mit Schornstein, dem Packhaus und dem Magnetischen<br />
Häuschen erhebliche Schäden zugefügt, bewirkte der sinnlose „Endkampf<br />
um <strong>die</strong> Reichshauptstadt“, bei dem das Gelände der Reichsanstalt Ende April 1945<br />
<strong>für</strong> mehrere Tage ins Schussfeld der von Westen auf <strong>die</strong> Innenstadt vorrückenden<br />
Roten Armee geriet, irreversible Zerstörungen, <strong>die</strong> kaum ein Gebäude verschonten.<br />
So erlitten durch Minenwerfer und Maschinengewehrbeschuss vor allem <strong>die</strong> Fassadenfronten<br />
des Hauptgebäudes (der heutige Werner-von-Siemens-Bau) sowie des<br />
benachbarten Chemiegebäudes schwere Beschädigungen.<br />
Unmittelbar nach Beendigung der Kampfhandlungen, <strong>die</strong> mit der Unterzeichnung<br />
der Kapitulationsurkunde durch den letzten Stadtkommandanten von Berlin,<br />
General Helmuth Weidling, am 2. Mai 1945 ihre formelle Besiegelung erfuhr, richtete<br />
<strong>die</strong> Rote Armee auf dem Gelände der PTR eine Standortkommandantur ein. Zwölf<br />
russische Soldaten bildeten hierbei <strong>die</strong> Wache. Darüber hinaus wurde auf dem Gelände<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Rotarmisten eine Feldküche eingerichtet. Die bis in <strong>die</strong> letzten Kriegstage<br />
84 Vgl. Aktennotiz Dr. Kollmann „An Abteilung I, Ref. Dr. Baccarcich“ beim Reichsminister der<br />
Finanzen vom 3. März 1943. Bundesarchiv Berlin, Abteilung Reich, R 2/12534<br />
Modell des Neubaus<br />
der PTR am 4. Ring,<br />
Planungsstand<br />
Oktober 1941<br />
85 So wurden in den Jahren 1941/42 lediglich <strong>die</strong> Dachgeschosse des Hauptgebäudes (heute<br />
Werner-von-Siemens-Bau) und des Chemiegebäudes <strong>für</strong> Laborzwecke ausgebaut sowie das<br />
sogenannte Magnetische Häuschen, welches man jahrelang als Kasino nutzte, wieder <strong>für</strong> seine<br />
ursprüngliche Zweckbestimmung hergerichtet. Des Weiteren kam es auf den Freiflächen des<br />
Stammgeländes zur Aufstellung eines Barackenbaues. Vgl. Heinz Eicke: „Zur Geschichte des<br />
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR)“ ( Anm. 76), S. 3<br />
86 H. Ebert, A. Schulze: Aus der Geschichte der PTR. In: Forschung und Prüfung. 75 Jahre Physikalisch-Technische<br />
Bundesanstalt/Reichsanstalt. Hrsg. von Helmut Moser, Braunschweig 1962, S.<br />
18<br />
96 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 97 Die PTR zwischen der sogenannten Machtergreifung durch <strong>die</strong> Nationalsozialisten im Januar 1933<br />
und dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Die einsturzgefährdete<br />
Ruine des Verwaltungsgebäudes<br />
vor dem<br />
Abriss, Aufnahme: Otto<br />
Stenzel, um 1948<br />
Blick aus dem ausgebrannten<br />
und fensterlosen<br />
Treppenhaus des Observatoriums<br />
in Richtung<br />
Marchstraße, Aufnahme:<br />
Otto Stenzel, um 1948<br />
Kleingärten auf dem<br />
Charlottenburger<br />
Stammgelände, links im<br />
Hintergrund das Beamtenwohnhaus,<br />
Aufnahme:<br />
Otto Stenzel, um 1948<br />
Die ausgeglühte Dachkuppel<br />
des Observatoriums<br />
von innen gesehen,<br />
Aufnahme: Otto Stenzel,<br />
um 1948<br />
102 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 103 Vom Neuanfang im geteilten Berlin bis zur zweiten Erweiterung zwischen 1978 und 2001
Blick in <strong>die</strong> renovierte<br />
Maschinenhalle mit<br />
den dort aufgestellten<br />
Hochstromprüfständen,<br />
Aufnahme: Willy Kiel,<br />
August 1951<br />
Feierstunde in der Maschinenhalle<br />
aus Anlass<br />
der Eingliederung der<br />
PTR-Charlottenburg in<br />
<strong>die</strong> PTB als „Institut Berlin“,<br />
Wirtschaftsminister<br />
Ludwig Erhard während<br />
seiner Ansprache, Aufnahme:<br />
Gert Schütz,<br />
25. September 1953<br />
Schon zuvor, wahrscheinlich noch im Blockadejahr 1948, begann <strong>die</strong> provisorischen<br />
Wiederin<strong>die</strong>nstnahme des Hauptgebäudes, welches in Bombenkrieg und<br />
„Endkampf“ abgesehen von seiner Fassade nur vergleichsweise leichte Beschädigungen<br />
erfahren hatte. Seine eigentliche Instandsetzung erfolgte jedoch erst nach<br />
1953, dem Jahr der Eingliederung der PTR in <strong>die</strong> neu geschaffene Physikalisch-Technische<br />
Bundesanstalt. Eine erste umfassende grundlegende Instandsetzung wurde<br />
hingegen schon früh am Starkstromgebäude (heute Emil-Warburg-Bau) in Angriff<br />
genommen. Sie begann bereits 1951 und konnte nach mehreren Bauetappen Anfang<br />
1960 mit dem Wiederaufbau des Südostflügels abgeschlossen werden. Neben<br />
<strong>die</strong>sen vom Umfang her großen baulichen Wiederherstellungsmaßnahmen konzentrierten<br />
sich in den beginnenden 1950er Jahren <strong>die</strong> Aufbauaktivitäten der PTR allerdings<br />
noch primär auf <strong>die</strong> Herstellung der Arbeitsfähigkeit der Laboratorien und deren<br />
betrieblichen Ausbau. Dementsprechend verfügte <strong>die</strong> PTR Charlottenburg Ende 1950<br />
schon wieder über mehr als 120 Mitarbeiter, <strong>die</strong> in 32 Laboren tätig waren. 89 Im folgenden<br />
Jahr musste schließlich aufgrund der erfreulich raschen Aufbauentwicklung<br />
eine Neugliederung vorgenommen und <strong>die</strong> Anstalt von zwei auf drei Abteilungen<br />
ausgebaut werden. Sie verfügte nun über Abteilungen <strong>für</strong> Mechanik und Eichtechnik,<br />
<strong>für</strong> Elektronik sowie über Laboratorien <strong>für</strong> Wärme und Druck, Magnetismus und<br />
Elektromedizin.<br />
Zwei Jahre später war es dann soweit: Der bereits seit längerem vorbereitete<br />
Zusammenschluss der PTR Charlottenburg mit der in Braunschweig neu aufgebauten<br />
Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) konnte vollzogen werden. Im Emil-<br />
Warburg-Bau (dem ehemaligen Starkstromlaboratorium) in der wiederhergestellten<br />
Halle <strong>für</strong> Hochstromprüfstände fand am 25. September 1953 <strong>die</strong> Festveranstaltung<br />
anlässlich der Eingliederung der PTR in <strong>die</strong> Physikalisch-Technische Bundesanstalt<br />
als „Institut Berlin“ statt. An der Feier nahmen als ranghöchster Vertreter der Bundesrepublik<br />
Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und von Seiten des Berliner<br />
Senats der damalige Regierende Bürgermeister Walter Schreiber teil. Die formelle<br />
Eingliederung trat am 1. Oktober 1953 in Kraft. Von <strong>die</strong>sem Tage an erstreckte sich<br />
<strong>die</strong> Zuständigkeit der PTB als Bundesinstitution, deren Sitz mit „Braunschweig und<br />
Berlin“ festgeschrieben wurde, auch auf das Land Berlin, womit zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
der Westteil der Stadt gemeint war.<br />
Als Teil einer Bundesbehörde nun gleichsam auf andere institutionelle wie<br />
administrative Füße gestellt, partizipierte fortan auch das „Institut Berlin“ von dem<br />
umfassenden Ausbau der PTB. Aber im Gegensatz zu Braunschweig, wo auf dem<br />
weitläufigen Gelände der ehemaligen Deutschen Forschungsanstalt <strong>für</strong> Luftfahrt<br />
(DFL) im an der Peripherie gelegenen Ortsteil Völkenrode, welches der PTB <strong>für</strong> ihre<br />
Zwecke überantwortet wurde, <strong>für</strong> neugeschaffene bzw. im Ausbau befindliche Arbeitsbereiche<br />
eine beträchtliche Anzahl von Neubauten errichtet wurden, beschränkte<br />
sich <strong>die</strong> Bautätigkeit in Berlin im Wesentlichen auf <strong>die</strong> Wiederherstellung und Instandsetzung<br />
des kriegsbeschädigten Gebäudebestandes, was auf absehbare Zeit<br />
zu einer ungleichgewichtigen Entwicklung der beiden Standorte führte.<br />
89 Vgl. Lilli Peltzer: Die Demontage deutscher naturwissenschaftlicher Intelligenz nach dem 2.<br />
Weltkrieg. Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt 1945–1948. Berlin 1995, S. 112<br />
108 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 109 Vom Neuanfang im geteilten Berlin bis zur zweiten Erweiterung zwischen 1978 und 2001
Die Gebäudeanlage der<br />
PTB in Charlottenburg<br />
vom Hochhaus des nahe<br />
gelegenen Heinrich-<br />
Hertz-Instituts der<br />
TU Berlin aus gesehen,<br />
Aufnahme: Elisabeth<br />
Fresenius, 8. April 1969<br />
Aufstellung des neuen<br />
Pförtnerhauses, Aufnahme:<br />
Elisabeth Fresenius,<br />
Sommer 1979<br />
Während der 1970er Jahre festigte sich dann der Betrieb der PTB auf allen<br />
Arbeitsebenen der in Berlin ansässigen und zwischenzeitlich kontinuierlich ausgebauten<br />
Abteilungen und hatte sich in den wieder in vollem Umfange nutzbar gemachten<br />
Gebäuden des Charlottenburger Stammgeländes einschließlich der im Wilhelm-<br />
Foerster-Bau zur Verfügung stehenden Flächen eingerichtet, ohne dass es zu weiteren<br />
Baumaßnahmen kam. Allein der Neubau des Pförtnerhauses an der Hauptzufahrt<br />
des Stammgeländes an der Abbestraße, der das pittoreske, alte in Fachwerk gehaltene<br />
Pförtnerhaus von 1938/39 ersetzte, bildet <strong>die</strong> einzige nennenswerte Ausnahme.<br />
Blick in <strong>die</strong> ehemalige<br />
Ausstellungshalle des<br />
Deutschen Arbeitsschutzmuseums<br />
(vormals<br />
Ständige Ausstellung <strong>für</strong><br />
Arbeiterwohlfahrt), Aufnahme:<br />
Wolfgang Reuss,<br />
1979<br />
Die zweite Erweiterung: der Ausbau des ehemaligen Arbeitsschutzmuseums<br />
zu einer Forschungseinrichtung der PTB und <strong>die</strong><br />
Entwicklung des Standortes bis 2000<br />
Nach Jahren des baulichen Stillstandes bewirkte <strong>die</strong> unterdessen entwickelte<br />
Entspannungspolitik eine deutliche Veränderung der politischen Großwetterlage,<br />
<strong>die</strong> positive Auswirkungen auf Berlin hatte. Vor allem trugen das 1972 abgeschlossene<br />
Vier-Mächte-Abkommen und <strong>die</strong> deutsch-deutschen Folgevereinbarungen zu einer<br />
deutlichen Stärkung der Bindungen West-Berlins an <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
bei. Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund und der darauf aufbauenden künftigen Entwicklung<br />
suchte auch <strong>die</strong> Physikalisch-Technische Bundesanstalt als obere Bundesbehörde<br />
nach Möglichkeiten, ihren Berliner Standort institutionell zu stärken und aufzuwerten.<br />
Ein neuer Institutsbau sollte schließlich ein sichtbares Zeichen setzen und das<br />
„Institut Berlin“ erweitern und damit in seiner Bedeutung heben. Hierzu wurde der<br />
PTB 1978 das an der Ecke Fraunhoferstraße/Kohlrauschstraße gelegene Grundstück<br />
des ehemaligen Arbeitsschutzmuseums aus dem Besitz der Sondervermögens- und<br />
126 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 127 Vom Neuanfang im geteilten Berlin bis zur zweiten Erweiterung zwischen 1978 und 2001
Die Wandfliesen im<br />
wiederhergestellten<br />
Eingangs foyer wurden<br />
nach Restfunden neu<br />
angefertigt, Aufnahme:<br />
Manfred Hamm, 2001<br />
Der Würfelkubus der<br />
Messkabine <strong>für</strong> biomagnetische<br />
Untersuchungen<br />
von Süden gesehen,<br />
Aufnahme: Manfred<br />
Hamm, 2001<br />
140 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 141 Vom Neuanfang im geteilten Berlin bis zur zweiten Erweiterung zwischen 1978 und 2001
des Observatoriums an. Schon 1996 begannen <strong>die</strong> grundlegende Instandsetzung<br />
und Modernisierung des Foerster-Baus, <strong>die</strong> schließlich im Jahre 2002 abgeschlossen<br />
werden konnte. Unter der Regie des Bundesbauamtes Berlin II durchgeführt, folgten<br />
sie dem von Zeumer zuvor aufgestellten Maßnahmenkatalog. Die Instandsetzung<br />
des auf dem Erweiterungsgelände befindlichen Helmholtz-Baus war bereits – wie<br />
ausgeführt – im Jahre 2000 abgeschlossen worden. Im März 2008 wurde dann <strong>für</strong><br />
ein neues Infrastrukturgebäude <strong>für</strong> Untersuchungs- und Technikräume des Labors <strong>für</strong><br />
Medizinphysik in unmittelbarer baulicher Verbindung und Zuordnung zum Observatorium<br />
ein Realisierungswettbewerb ausgelobt, aus dem das Berliner Architekturbüro<br />
huber staudt architekten als Sieger hervorging. Sie wurden in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />
auch mit der denkmalgerechten Ertüchtigung des Observatoriums als Nukleus<br />
und Rückgrat des Stammgeländes beauftragt. Die Baumaßnahmen begannen im<br />
Sommer 2009 und werden schließlich im Oktober 2012 beendet werden können.<br />
Der Neubau <strong>für</strong> den<br />
Gerätebau Berlin, fertiggestellt<br />
2003 nach<br />
Entwürfen des Berliner<br />
Architekturbüros AGP*,<br />
Aufnahme: Heiko Körner,<br />
2009<br />
Der 2007 eröffnete<br />
Konrad-Zuse-Bau<br />
an der Guericke- Ecke<br />
Kohlrauschstraße integriert<br />
einen Vor gängerbau<br />
(E1) des Eich amts<br />
Berlin, Aufnahme: Heiko<br />
Körner, 2009<br />
Die erste reine Neubaumaßnahme auf dem Erweiterungsgelände betraf den<br />
Gerätebau Berlin, der nach einem Entwurf des Berliner Architekturbüros AGP* bis<br />
2003 realisiert wurde. Im Auftrag der PTB hatte AGP* sich – wie dargelegt – schon<br />
seit 1994 intensiv mit den baulichen Ressourcen und Potenzialen des Gesamtgeländes<br />
auseinandergesetzt und entwickelten auf <strong>die</strong>ser Grundlage ihren Entwurf.<br />
Bezogen auf <strong>die</strong> Proportion, Ordnung und Materialität des überkommenen Bestandes<br />
komplettierte dementsprechend ein Mauerwerksbau – bestehend aus einem<br />
Stockwerksgebäude und einem Hallenkomplex – das bauliche Ensemble. Dem Gebäude<br />
<strong>für</strong> den wissenschaftlichen Gerätebau ging drei Jahre zuvor <strong>die</strong> Fertigstellung<br />
eines würfelförmigen Gebäudekubus, einer „Messkabine“, voraus, welcher baulich<br />
dem Hermann-von-Helmholtz-Bau angeschlossen ist. Schließlich entstand im Jahre<br />
2006/2007 an der Ecke Guericke-/Kohlrauschstraße der Neubau <strong>für</strong> <strong>die</strong> metrologische<br />
Informationstechnik – der Konrad-Zuse-Bau –, wobei bei <strong>die</strong>ser Baumaßnahme, <strong>die</strong><br />
148 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 149 Neuausrichtung nach der Wiedervereinigung und das Zukunftskonzept „PTB 2000“
Kohlrauschstraße<br />
Guerickestraße<br />
CHEMIE-<br />
GEBÄUDE<br />
PFÖRTNER<br />
EINGANG<br />
KONRAD-ZUSE-<br />
BAU<br />
GERÄTEBAU<br />
BERLIN<br />
WILHELM-FOERSTER-BAU<br />
HERMANN-VON-<br />
HELMHOLTZ-BAU<br />
MATERIALWESEN<br />
Abbestraße<br />
WERNER-VON-SIEMENS-BAU<br />
MASCHINENHAUS<br />
EMIL-WARBURG-BAU<br />
OBSERVATORIUM<br />
Marchstraße<br />
Die Gebäudekonfiguration<br />
des erweiterten<br />
Standortes der PTB<br />
Berlin-Charlottenburg,<br />
im Juni 2007<br />
Plan des Gebäudebestandes<br />
des PTB-Standortes<br />
Berlin-Charlottenburg<br />
mit Angaben zu den<br />
Baujahren und zum<br />
Denkmalschutz, 2011<br />
Das Institut Berlin der PTB heute<br />
Basierten <strong>die</strong> langfristigen Zukunftsplanungen der PTB <strong>für</strong> den Standort<br />
Charlottenburg auf der Grundlage von Erhalt und Sanierung des Bestandes, so bildete<br />
<strong>die</strong> Restaurierung und Wiederherstellung des auf dem Stammgelände gelegenen<br />
Observatoriums dabei den zentralen und maßgebenden baulichen Bezug. Sowohl<br />
in seiner historischen wie in seiner architekturgeschichtlichen Bedeutung kann es<br />
als außergewöhnlich gelten, stellt es doch das einzige Gebäude dar, welches aus<br />
der ersten Bauphase nach Gründung der PTR im Jahre 1887 überkam. Vor <strong>die</strong>sem<br />
Hintergrund war auch seine Instandsetzung von elementarer Bedeutung <strong>für</strong> das Gesamtensemble,<br />
bestehend aus dem Werner-von-Siemens-Bau, dem Chemiegebäude<br />
mit dem Maschinenhaus sowie dem ehemaligen Beamtenwohnhaus, denen es<br />
Maß und Ordnung gibt. Das Bewusstsein, dass das Observatorium nicht nur das<br />
zentrale architektonische Element des historischen Standortes darstellte, sondern<br />
als Sinnbild der PTB <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft auch bleiben wird, gab <strong>die</strong> Zielrichtung vor und<br />
Fraunhoferstraße<br />
Perspektivische Zeichnung<br />
des nun zwei<br />
Blockflächen umfassenden<br />
Geländes des „Instituts<br />
Berlin“ der PTB,<br />
März 2007<br />
dem Architekten Dietrich Dörschner oblag, ein 1969 errichteter Vorgängerbau (E 1) integriert<br />
und hierbei baulich-gestalterisch qualifiziert wurde. Mit der feierlichen Einweihung<br />
des Konrad-Zuse-Baus war schließlich <strong>die</strong> erste Bebauungsphase der PTB auf<br />
dem Erweiterungsgelände abgeschlossen. Sie war im Kontext mit den vorhandenen<br />
Flächen ausschließlich am realen Bestand orientiert.<br />
Einzeldenkmal<br />
gesamtanlage<br />
Baujahr<br />
ehemalige <strong>Bauten</strong> der PTR<br />
150 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 151 Neuausrichtung nach der Wiedervereinigung und das Zukunftskonzept „PTB 2000“
Blick in das wiederhergestellte<br />
Treppenhaus des<br />
Observatoriums, Aufnahme:<br />
Werner Huthmacher,<br />
April 2012<br />
Blick gegen <strong>die</strong> Süd ecke<br />
des Observatoriums,<br />
Aufnahme: Werner<br />
Huthmacher, April 2012<br />
160 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 161 Neuausrichtung nach der Wiedervereinigung und das Zukunftskonzept „PTB 2000“
Blick auf das Charlottenburger<br />
Stammgelände<br />
mit dem Werner-von-<br />
Siemens-Bau und dem<br />
wiederhergestellten<br />
Observatorium (rechts im<br />
Bild), Aufnahme: Werner<br />
Huthmacher, April 2012<br />
174 Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 175 Neuausrichtung nach der Wiedervereinigung und das Zukunftskonzept „PTB 2000“