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Die Gärten des Bauhauses

ISBN 978-3-93631-434-2

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<strong>Die</strong> <strong>Gärten</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Bauhauses</strong><br />

Gestaltungskonzepte<br />

der Moderne<br />

jovis


Bei der vorliegenden Buchveröffentlichung handelt es sich um Ergebnisse einer Forschungsarbeit<br />

an der Hochschule Anhalt (FH), Bernburger Str. 55, 06366 Köthen<br />

Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. Dorothea Fischer-Leonhardt<br />

Hochschule Anhalt, Fachbereich Landwirtschaft, Ökotrophologie, Lan<strong>des</strong>pflege<br />

06406 Bernburg, Strenzfelder Allee 28<br />

Das Forschungsprojekt wurde vom Bun<strong>des</strong>ministerium für Bildung und Forschung<br />

(BMBF) im Rahmen <strong>des</strong> Programms „Anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung<br />

an Fachhochschulen (aFuE)“ (FKZ 1709102) gefördert.<br />

© 3. Auflage 2018 by jovis Verlag GmbH<br />

© für die durchgesehene und überarbeitete 2. Auflage 2009 by jovis Verlag GmbH<br />

© 2005 by jovis Verlag GmbH<br />

Das Copyright für den Text liegt bei der Autorin.<br />

Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den Fotografen bzw. bei den Bildrechtein<br />

habern.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Schlussbericht zum Forschungsprojekt „Außenanlagen Bauhaus-Bauten“<br />

FKZ: 1709102, HS Anhalt, FB Lan<strong>des</strong>pflege, Bernburg<br />

06406 Bernburg, Strenzfelder Allee 28<br />

Tel.: 03471/355 1122, Fax: 03471/355 1238 (Sekretariat)<br />

E-Mail: d.fischer-leonhardt@loel.hs-anhalt.de<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Dipl.-Ing. (FH) Christine Fuhrmann<br />

Studentische Mitarbeiter: Rico Bauer, Nicole Eckert, Tobias Witt, Christian Wagner,<br />

Verena Meyer<br />

Projektbegleitende Arbeitsgruppe: Dipl.-Ing. Monika Markgraf, Dipl.-Ing. Heike<br />

Brückner<br />

Stiftung Bauhaus Dessau<br />

06846 Dessau, Gropiusallee 38<br />

Lektorat: Doerte Achilles<br />

Gestaltung und Satz: Susanne Rösler, Berlin<br />

Lithografie: Galrev Druck- und Verlagsgesellschaft, Berlin<br />

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

<strong>Die</strong> Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de<br />

abrufbar.<br />

jovis Verlag GmbH<br />

Kurfürstenstr. 15/16<br />

10785 Berlin<br />

www.jovis.de<br />

ISBN 978-3-936314-34-2


Inhalt<br />

Heinz W. Hallmann: Vorwort 6<br />

Walter Gropius und die <strong>Gärten</strong> <strong>des</strong> <strong>Bauhauses</strong> 8<br />

Das Bauhausgebäude 22<br />

<strong>Die</strong> Meisterhaussiedlung 60<br />

Das Kornhaus 128<br />

<strong>Die</strong> Siedlung Törten 148<br />

Nachwort 170<br />

Dank 172<br />

Bildnachweis 174<br />

Vita 175


Chronologie der Ausführung 9<br />

Pausenhof der gewerblichen Berufsschule<br />

1926 Direktor Haase, Gewerbliche Berufsschule an den Magistrat der Stadt<br />

Dessau (SB 1)<br />

„... Wir brauchen für unsere fast 1600 Schüler einen besonderen Hofraum<br />

zur Erholung in den Pausen. Der Hof ist soweit abzustecken, dass<br />

er groß genug bleibt, auch wenn ein Erweiterungsbau entsteht und<br />

eine Turnhalle errichtet werden muß. Vorläufig wünschen wir einen<br />

vom Hofe abgeschiedenen Turnplatz mit einem Geräteschuppen. <strong>Die</strong><br />

Abtrennung ist nötig, damit nur Schüler unter verantwortlicher Führung<br />

eines Leiters Übungen vornehmen.<br />

Für unsere Ungelernten muß die Durchführung von Werkunterricht<br />

zum Teil in der Werkstatt, zum Teil im Freien, gesichert werden. Für<br />

die landwirtschaftlichen Kulturarbeiten brauchen wir ein möglichst unbegrenztes<br />

Gelände, das aus dem Zustand der Wald- und Unkultur zu<br />

Kulturland umgeschaffen werden soll.“<br />

Walter Gropius an den Magistrat der Stadt Dessau (SB 1)<br />

„der hofraum ist neben dem gebäude gegenüber dem wohlfahrtsgebäu-<br />

32


Der abgesenkte<br />

Hof raum der<br />

Berufs schule<br />

mit den ersten<br />

Bäumen,<br />

Herbst 1926<br />

de angelegt worden, er bedarf noch der beschotterung und der bekiesung<br />

... wenn ein turnplatz und geräteschuppen angelegt werden soll, so<br />

empfehle ich, diesen auf die nordseite <strong>des</strong> fachschulbaues zu verlegen.<br />

das gelände ist dort vorläufig noch bestellt und müsste erst freigemacht<br />

werden.“<br />

1927 Walter Gropius an den Magistrat der Stadt Dessau<br />

„es muß festgestellt werden, dass zur zeit mit den arbeiten für den<br />

schulhof etc. nicht begonnen werden kann, bevor nicht die endgültige<br />

strassenregulierung vorgesehen ist. alle geländearbeiten müssten zur<br />

gleichen zeit vorgenommen werden. darunter fällt die bearbeitung der<br />

rasenflächen, die einzäunung, die befestigung <strong>des</strong> schulhofes, die befestigung<br />

der strasse etc. nur wenn diese arbeiten zugleich vorgenommen<br />

werden, ist die garantie gegeben, dass das ausmass der arbeiten<br />

in jeder weise richtig durchgeführt wird...<br />

in kürzester zeit erhält der magistrat eine vorlage betr. durchführung<br />

und kostenaufstellung für diese dinge.“<br />

33


Blick vom<br />

Wohntrakt auf<br />

den ehemaligen<br />

Schulhof ohne<br />

Geländemodellierung,<br />

Juni 2009<br />

1929 11.9.1929<br />

Gewerbliche Berufsschule Dessau an den Magistrat der Stadt Dessau<br />

(SB 2)<br />

„<strong>Die</strong> Unterbringung der Fahrräder der Schüler und Schülerinnen an der<br />

Gewerblichen Berufsschule wächst sich zu einem unerträglichen Übelstande<br />

aus. Z. Zt. ist Gelegenheit, rd. 50 Fahrräder regulär unterzubringen.<br />

An stark besuchten Unterrichtstagen – Montag und Donnerstag<br />

– ist Unterstellung von 250 Fahrrädern notwendig. <strong>Die</strong> Räder werden<br />

<strong>des</strong>halb in Reihen von 5–6 nebeneinander gestellt. Dadurch werden der<br />

Laufraum und die Austrittsgelegenheit im Kellergeschoß ganz wesentlich<br />

behindert. Erschwerend kommt hinzu, dass an den stark besuchten<br />

Unterrichtstagen die Räume im Kellergeschoß zu Unterrichtszwecken<br />

benutzt werden müssen.<br />

Wiederholt sind neben Radschäden auch Beschädigungen der Kleidung<br />

bei Schülern und Schülerinnen vorgekommen.<br />

34


Blick vom<br />

Wohn trakt auf<br />

den Schulhof<br />

mit Böschungskante,<br />

der<br />

Schul hof ist<br />

nicht mehr<br />

erkennbar, um<br />

1928/29<br />

Außerdem leiden die Wände und die Räder selbst. Wir gestatten uns<br />

<strong>des</strong>halb vorzuschlagen, einen Unterstand oder Fahrradschuppen außerhalb<br />

<strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> zu errichten. Als Ort käme die nördliche Rabatte<br />

oder die Nordwestecke <strong>des</strong> Schulhofes infrage.“<br />

7.11.1929<br />

Bauhaus Dessau an den Magistrat der Stadt Dessau (SB 2)<br />

„anbei übersenden wir ihnen lageplan und kostenvoranschlag für die<br />

von der direktion der gewerblichen berufsschule geforderten aufstellung<br />

von ca. 240 fahrrädern.“<br />

„wie aus dem lageplan ersichtlich, soll die aufstellung der abgedeckten<br />

fahrradständer in 6 gruppen von je 40 fahrrädern auf der nördlichen<br />

grasrabatte der gewerblichen berufsschule erfolgen. Es sollen aus ersparnisgründen<br />

auf den unterbauten nur die fundamente der fahrradständer<br />

hergestellt werden; eine bekiesung der fläche kann, falls es<br />

sich als notwendig erweisen sollte, später erfolgen.“<br />

Ü Der Hof<br />

der Berufsschule<br />

mit<br />

Einfriedung<br />

aus Maschendrahtzaun<br />

und<br />

Gasrohrgeländer;<br />

im Hintergrund<br />

ist die<br />

Rasenfläche<br />

vor der Mensa<br />

zu sehen, um<br />

1929/1930 10 .<br />

35


36


37


<strong>Die</strong> Meisterhaussiedlung<br />

Baujahr: 1925 bis 1926<br />

Ort: Ebertallee 59–71<br />

Architekt: Walter Gropius<br />

Auftraggeber: Stadt Dessau (Auftragserteilung: März 1925)<br />

Gleichzeitig mit dem Entwurf für das neue Schulgebäude in Dessau entstanden<br />

die ersten Pläne für die Wohnhäuser der Bauhausmeister. Walter Gropius entwarf<br />

ein Einzelhaus für sich selbst und drei Doppelhäuser mit Ateliers für László<br />

Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, Georg Muche und Oskar Schlemmer,<br />

Wassily Kandinsky und Paul Klee. Im August 1926 bezogen die Meister ihre<br />

Häuser, in denen sie bis zur Schließung der Siedlung im Jahr 1932 wohnen<br />

sollten.<br />

<strong>Die</strong> Außenraumgestaltung an der Meisterhaussiedlung war durch das ausgewählte<br />

Grundstück entscheidend geprägt. Daher sind Erläuterungen zum<br />

Standort der Meisterhäuser auch bei diesem Objekt zwingend erforderlich. <strong>Die</strong><br />

Auswahl <strong>des</strong> Baugrundstücks wird in der Literatur in der Regel Walter Gropius<br />

selbst zugeschrieben. In den Lebenserinnerungen von Nina Kandinsky<br />

lässt sich jedoch eine andere Version der Grundstücksfindung nachlesen. Hier<br />

schreibt sie, dass der Standort der Häuser bis zum 19. Februar 1925 noch<br />

gar nicht bestimmt gewesen wäre. Erst bei einer Besichtigungstour durch die<br />

Stadt gemeinsam mit Frau Muche hätten sie das Grundstück entdeckt: „[D]ie<br />

Standorte der Ateliers und der Meisterhäuser waren noch nicht genau festgelegt.<br />

Während unseres Spazierganges waren wir bis zum Stadtrand vorgedrungen,<br />

wo uns eine besonders schöne Gegend auffiel, die für Wohnhäuser wie<br />

60


Bebauungsplan<br />

Großkühnauer<br />

Kreis straße<br />

und Friedhofsstraße<br />

im Ortsteil<br />

Ziebigk,<br />

1925<br />

geschaffen schien. Als Kandinsky, Muche und der Bürgermeister nach ihrer<br />

Besprechung wieder mit uns zusammentraten, fragte uns Dr. Hesse: ‚Nun,<br />

wo hat es Ihnen denn am besten gefallen?’ Ich überlegte nicht lange: ‚Wenn<br />

Sie mich fragten, wo ich am liebsten wohnen möchte, dann würde ich Ihnen<br />

ohne zu zögern antworten: in der Nähe der Burgkühnauer Allee.’ Kandinsky<br />

war überrascht. ‚Warum gerade dort?’ Ich erklärte ihm, dass es dort eine unbebaute<br />

Grünfläche gebe, deren landschaftliche Umgebung ein angenehmes<br />

Wohnen verspräche. […] Hesse griff meinen Wunsch auf und sicherte Gropius<br />

zu, für seine Baupläne, die Burgkühnauer Allee bereitzustellen.“ 1<br />

Nach diesem Bericht ist es offenbar Nina Kandinsky zu verdanken, dass die<br />

Häuser an der oben genannten Stelle errichtet wurden.<br />

Eine andere Schilderung der Bauplatzfindung ist bei Reginald R. Isaacs nachzulesen.<br />

Laut Isaacs war es das Ansinnen <strong>des</strong> Bürgermeisters der Stadt Dessau,<br />

Fritz Hesse, einen geeigneten Standort für die Meisterhaussiedlung zu<br />

finden. 2 „Bei einem Rundgang, auf dem sie die verschiedenen als Bauland für<br />

die Meister-Häuser in Frage kommenden Grundstücke innerhalb <strong>des</strong> engeren<br />

Stadt gebiets besichtigten, fand sich Walter Gropius plötzlich vor einem mit Kiefern<br />

bestandenen Streifen am Rand einer Allee und sagte spontan, ‚in einem<br />

Kiefern wald zu wohnen war schon immer mein Lieblingswunsch’.“ 3<br />

61


Lage plan der<br />

Meisterhaussiedlung<br />

vom<br />

9. Juni 1925<br />

Fritz Hesse soll sich danach bereit erklärt haben, das Grundstück für den Bau<br />

der Häuser zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig berichtet Isaacs, dass der<br />

Bürgermeister von Ise Gropius stark beeindruckt war, da sie sich sehr für einen<br />

geeigneten Bauplatz einsetzte.<br />

Wer auch immer den Ausschlag für die Errichtung der Meisterhäuser in Dessau<br />

gegeben hat, sicher haben auch rein pragmatische Beweggründe zu der Entschei<br />

dung geführt, diesen Standort zu wählen. Schließlich konnten die Meister<br />

von dort ihren Arbeitsplatz, das Bauhaus, mit einem nur 15-minütigen Spaziergang<br />

erreichen. Wenn Isaacs im Zusammenhang mit der Bebauung <strong>des</strong> Areals<br />

mit den Meisterhäusern vom „Rand einer Allee“ schreibt, so entspricht das<br />

nicht exakt der Realität. <strong>Die</strong> Häuser an der ehemaligen Burgkühnauer Allee<br />

(heute Ebert allee) stehen in einer historisch bedeutsamen Straße, die die romantische<br />

Ru ine der „Sieben Säulen“ am Georgium mit dem Amaliensitz verband,<br />

der 1792/93 von Friedrich Wilhelm von Ermannsdorf erbaut worden war.<br />

<strong>Die</strong>ser „Ziegelputz bau mit Palladio-Motiv“ stand seinerzeit als „Point-de-vue in<br />

der Sichtachse zu den ‚Sieben Säulen’ und [war] gleichzeitig weiterführen<strong>des</strong><br />

62


und verbinden<strong>des</strong> Landschaftsmotiv zum Großkühnauer Park“ 4 . Es befanden<br />

sich je zwei Baumrei hen auf der Nordseite und auf der Südseite der Allee. Zwischen<br />

ihnen lag ein un befestigter Radweg.<br />

<strong>Die</strong> erste Bebauung in der Großen Kienheide fand 1924 im Norden der Ebertallee,<br />

zwischen den „Sieben Säulen“ (1782–86) und dem Amaliensitz, statt.<br />

Zwei Jahre später folgte die Meisterhaussiedlung auf der gegenüberliegenden<br />

Seite (Abb. S. 61). Zu erwähnen bleibt, dass es sich bei der Gestaltung<br />

der Umgebung der Meisterhaussiedlung um keinen Gartenbau im traditionellen<br />

Sinn handelte. 5 Ziel war es, eine der Architektur gemäße moderne,<br />

streng architekto nisch gegliederte Gartenanlage zu schaffen. Auch in dieser<br />

Hinsicht wandte sich Gropius gegen das Althergebrachte, gegen die Tradition<br />

und hin zu neuem und innovativem Bauen – ein modernes Verständnis, das<br />

auch Ausdruck einer Position ist, die sich gegen allzu bürgerliche Behaglichkeit<br />

auflehnt.<br />

Das Konzept der Außenanlage<br />

Der Lageplan der Meisterhaussiedlung vom 9. Juni 1925 dokumentiert vermutlich<br />

das erste Ideenkonzept zu den Außenanlagen der Meisterhäuser. Er<br />

zeigt eine in mehrere <strong>Gärten</strong> unterteilte Siedlungsstruktur und eine eindeutige<br />

Zeichen symbolik. Rhythmisch eingesetzte lineare Heckenstreifen gliedern das<br />

Areal und grenzen die Hausgärten voneinander ab. <strong>Die</strong> Hecken sind in einer<br />

Breite von et wa zweieinhalb Metern angelegt. Zwischen den Häusern sind sie<br />

verstärkt und weisen dadurch deutlich auf die gewünschte Privatheit im hinteren<br />

Gartenraum hin. Außerdem schließt je<strong>des</strong> Grundstück mit einer schmalen<br />

Hecke und einem Durchgang zum Fahrweg ab, der gleichzeitig im Norden und<br />

Osten durch zwei Tore zu erreichen ist. Zur Nachbarbebauung im Süden hin<br />

wurde als Abschluss <strong>des</strong> Grundstückes ein Zaun gewählt.<br />

Im Vergleich mit dem Lageplan zum Bauhausgebäude von 1926, in dem die<br />

Idee zur Freiraumgestaltung in äußerst abstrakter Darstellungsform präsentiert<br />

ist, liegt hier ein detailliert ausgearbeiteter Gartenentwurf vor. Eindeutig ist die<br />

gewäh lte Zeichensprache, die zwischen vegetativen und baulichen Elementen<br />

unter schei det. Handelt es sich im Gesamteindruck bei dem Plan auch eher um<br />

einen Vorentwurf als um eine präzise Bauzeichnung, so ist die Entwurfsabsicht<br />

doch klar ablesbar: großzügig angelegte Vorgärten und deutlich voneinander<br />

abgegrenzte Privatgärten.<br />

Gropius hat für sein Haus infolge <strong>des</strong> großen Gartens hinter dem Haus auf<br />

einen Vorgarten verzichtet. <strong>Die</strong>se Fläche ist offenbar dem Garten <strong>des</strong> „Hausmannes“<br />

6 vorbehalten, <strong>des</strong>sen Wohnung sich im Souterrain <strong>des</strong> Hauses be -<br />

fand. Den Gartenraum <strong>des</strong> Hausmeisters begrenzt östlich die Garage <strong>des</strong> Direktors,<br />

von dieser erstreckt sich eine „Mauer“ entlang <strong>des</strong> Grundstücks.<br />

63


Erdgeschossgrund<br />

riss eines<br />

Doppelhauses<br />

vom 22.10.1925<br />

Zwischen dem Vorgarten und dem eigentlichen Hausgarten ist eine geradlinige<br />

Doppellinie eingetragen, die als Wegeführung zum Eingang der Hausmeisterwohnung<br />

gedeutet werden kann. 7 Auch zu jedem Doppelhaus führt ein geradliniger<br />

Weg, der allerdings, wie der Lageplan der Meisterhaussiedlung zeigt,<br />

am Hause durch eine platzartige Erweiterung aufgefangen wird (Abb. S. 62).<br />

Dem Platzraum kom men mehrere Funktionen zu: Im Lageplan erscheint er<br />

formal als integrierter Teil der Architektur, wie eine Erweiterung <strong>des</strong> Hauses.<br />

Gleichzeitig fungiert er in seiner befestigten Ausführung auch als räumlicher<br />

Vermittler zwischen Innen- und Außenraum. <strong>Die</strong> gleiche Funktion kommt den<br />

Terrassen im Erdgeschoss <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> zu. Der Platz an den Hauseingängen<br />

hat aber außerdem noch eine Verteilerfunktion. Jeder Bewohner gelangt über<br />

ihn zu seiner Doppel haushälfte. <strong>Die</strong> Rasterschraffur für die Wege- und Platzflächen<br />

in der Zeichnung deutet darauf hin, dass die Freifläche in rechteckigen<br />

Platten realisiert wurde, eine Darstellungsform, die sich bei später entstandenen<br />

Grundrisszeichnungen wiederholt. <strong>Die</strong> Situation ist im Erdgeschossplan<br />

im Maßstab 1:100 deutlich ablesbar (Abb. o.). <strong>Die</strong>ser Entwurf entstand vier<br />

Monate nach dem oben genannten Lageplan.<br />

Betrachtet man beide Entwürfe genauer, so ist festzustellen, dass das Layout<br />

der Zeichnungen dasselbe ist. Auch wenn ein Planverfasser nicht angegeben<br />

64


Obergeschossgrund<br />

riss eines<br />

Doppelhauses<br />

vom 22.10.1925<br />

wurde, lassen sich dennoch beide – auch wegen der Übereinstimmung der<br />

Planschrift – ein und demselben Urheber zuordnen. 8<br />

In der Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau befindet sich außerdem eine<br />

Kohlezeichnung, die Carl Fieger, ein Mitarbeiter im Baubüro Gropius in Dessau,<br />

1925 nach Intention von Gropius angefertigt hat. 9 <strong>Die</strong> so genannte „Perspektive“<br />

entstand im gleichen Jahr wie der Lageplan von 1925, enthält demgegenüber<br />

im Vergleich aber einige Abweichungen. So ist beispielsweise an<br />

der Eingangstreppe zum Wohnhaus von Walter Gropius an der linken Treppenseite<br />

eine Mauer zu sehen. Ihre Funktion ist nicht ganz einsichtig, außer<br />

dass sie dem Hauseingang sichtlich Prägnanz verleiht und ihn gleichzeitig vor<br />

Einblicken schützt. <strong>Die</strong> Garage im Vorgarten ist nicht eingetragen, dafür aber<br />

die seitliche Grundstücksmauer, die symbolisch den Beginn der Meisterhaussiedlung<br />

anzeigt. Auf weitere Einfriedungen wurde verzichtet. Der öffentliche<br />

Raum wird bis an die Gebäude herangeführt, keine Heckenpflanzungen trennen<br />

den Vorgar ten vom eigentlichen hinteren Gartenraum, wie es der Lageplan<br />

ursprünglich vor sah.<br />

<strong>Die</strong> Meisterhäuser stehen in Fiegers Zeichnung (Abb. S. 66/67) voluminös und<br />

von allen Seiten einsehbar im Raum. Es scheint, als würden dem Besucher<br />

beim Betrachten der Häuser keine Grenzen gesetzt; so stehen zwei Personen<br />

65


Carl Fieger: <strong>Die</strong> Meisterhaussiedlung.<br />

Perspektive,<br />

Ansicht von Nordosten,<br />

Kohle auf Transparentpapier,<br />

1925<br />

in un mit tel barer Nähe der Terrasse <strong>des</strong> Hauses von Moholy-Nagy. Der die Gebäude<br />

um fassende Freiraum zeigt sich als großzügige und offene Grünanlage.<br />

Selbst die Einfriedungsmauer am Direktorenhaus ist so niedrig gewählt, dass<br />

sie dem Spaziergänger freien Einblick auf das Grundstück gewährt. Alle Vorgärten<br />

sind von jeglicher Vegetation freigehalten – kein Strauch, kein Baum, so<br />

scheint die Intention <strong>des</strong> Entwerfers, darf das kontemplative Erscheinungsbild<br />

der Bauten beeinträchtigen.<br />

Der zur Zeit der Bebauung waldähnliche Baumbestand wird auf die Gebäudezw<br />

ischenräume reduziert, wo die Bäume gleichsam als Staffage wirken. Auf<br />

der Zeichnung gibt es außerdem keine Konkurrenzbauten, die Gegenseite ist<br />

unbebaut. Nichts außer einigen schlanken Kiefernstämmen stört die Architekturformation.<br />

Schließlich entsteht durch die schemenhaft angedeuteten Baumkronen<br />

ein unrealistischer malerischer Gesamteindruck – eine Szenerie, wie<br />

man sie aus den amerikanischen Vororten kennt, die Gropius allerdings erst in<br />

späteren Jahren persönlich kennen lernte.<br />

66


<strong>Die</strong> Zeichnung von Carl Fieger bringt aber auch den Dialog von Natur- und Innenraum<br />

deutlicher zum Ausdruck als die zahlreichen Schwarzweiß-Fotografien<br />

nach der Errichtung der Bauten. Tatsächlich entwickeln sich die Vertikalen<br />

der großen Fensteröffnungen in der visuellen Weiterführung zu Baum stämmen<br />

und die Flächen der Flachdächer aus tragenden Balkonen und Terrassen zur Ergänzung<br />

der Baumkronen. <strong>Die</strong> oft zitierten Worte von Gropius sind an dieser<br />

einfachen Strichzeichnung sehr gut nachvollziehbar: „das einweben von baumund<br />

pflanzenwuchs zwischen die baukörper, der den blick öffnet und schließt,<br />

sichert wohltuenden Kontrast, lockert und verlebendigt das schema, vermittelt<br />

zwischen bauwerk und mensch und schafft spannungen und maßstab. denn<br />

architektur erschöpft sich nicht in zweckerfüllung“. 10<br />

<strong>Die</strong> Architektur der Meisterhäuser wird oft mit der Baukunst von Le Corbusier<br />

in Verbindung gebracht – auch in diesem Zusammenhang erweist sich der Vergleich<br />

als äußerst treffend. Beim Pavillon de l’Esprit Nouveau, der 1925 in Paris<br />

für die „Exposition <strong>des</strong> arts décoratifs“ erbaut wurde, hat Le Corbusier in der<br />

67


Isometrie der<br />

Meisterhaussiedlung,<br />

1930<br />

Tat die Verflechtung von vegetativen und baulichen Strukturen auf die Spitze<br />

getrieben, indem er einen Baum vom Erdgeschoss aus durch das Flachdach<br />

herauswachsen ließ. 11 Der Baum wird so zum integrativen Teil der Architektur.<br />

Fünf Jahre nach diesen ersten Zeichnungen und dem Baubeginn der Meisterhaussiedlung,<br />

also 1930, veröffentlichte Gropius eine Isometrie der Gesamtanlage.<br />

Das Ideenkonzept zur Gestaltung der Umgebung der Meisterhäuser<br />

ist auf dieser Zeichnung auf das Wesentliche reduziert. Hier ziehen vor allem<br />

die schwarz angelegten Dachflächen der Siedlungsgebäude den Blick <strong>des</strong><br />

Betrachters an. <strong>Die</strong> Flächen der höchsten Flachdächer, zwei ungleich große<br />

Rechtecke, finden sich bei genauerem Hinsehen im Außenraum wieder. So<br />

besteht der Vorgarten aus einem quergestreckten und der hintere Gartenteil<br />

aus einem längsgestreckten Rechteck. Anders als in dem früher entstandenen<br />

Lageplan ist an die Stelle der breiten Heckenstreifen ein dreidimensionales,<br />

schmales Element getreten. Dabei macht die Zeichnung keine Aussagen darüber,<br />

ob es sich um eine Mauer, einen Zaun oder um eine abstrakt dargestellte<br />

Hecke handelt. <strong>Die</strong> Chiffre findet sich außerdem in der Linie zwischen Vor- und<br />

Hauptgarten.<br />

Insgesamt gesehen hat sich das Gestaltungsprinzip von 1925 nicht wesentlich<br />

geändert. Auffallend ist lediglich der gänzliche Verzicht auf die in der Gartenkunst<br />

übliche Zeichensymbolik. Der Schwerpunkt der Zeichnung lag anderswo:<br />

Zum einen handelt es sich bei der Isometrie um eine „Schauzeichnung“, zum<br />

anderen war es dem Verfasser ganz offenkundig wichtig, in erster Linie die<br />

Gebäude der Bauhausmeister zu repräsentieren und nicht so sehr die Umgebung.<br />

So erinnert die Darstellungsform <strong>des</strong> Gebäudeumfel<strong>des</strong> allzu sehr an<br />

68


den Lageplan zum Bauhausgebäude, bei dem die Konzentration auf die Architektur<br />

und die Wiedergabe <strong>des</strong> Gartenraums in minimalistischer Sprache das<br />

vordergründige Anliegen ist.<br />

Genau wie bei dem Bauhausgebäude stellt sich allerdings auch bei dieser Perspektive<br />

die Frage, ob der gewählte zeichnerische Ausdruck auch ein Indiz für<br />

die generelle Haltung <strong>des</strong> planenden Architekten bezüglich <strong>des</strong> Freiraumes ist.<br />

<strong>Die</strong>ses Problem wird im Kapitel über die Realisierung <strong>des</strong> Außenraumes eingehender<br />

behandelt werden.<br />

Zunächst lohnt sich ein genauer Blick auf das Grundstück <strong>des</strong> Direktorenhauses<br />

in dieser Zeichnung. Es ergeben sich Abweichungen gegenüber dem Lageplan<br />

und der Kohlezeichnung von Carl Fieger. Prinzipiell wird hier deutlich,<br />

dass das Haus von Walter Gropius eine privilegierte Stellung am Anfang der<br />

Meisterhaussiedlung einnimmt und über einen erheblich größeren Garten als<br />

die anderen Meisterhäuser verfügt. Unverkennbar wird dieser Garten an der<br />

westlichen Grundstücksgrenze durch eine Mauer markiert. Anders als bei Fieger<br />

dargestellt, endet die Mauerführung jedoch zur Straße hin an einer Garage.<br />

Auf dem Lageplan war bereits eine Garage an der Ecke <strong>des</strong> Grundstücks<br />

eingetragen, allerdings endete die Mauer dort, und der Vorgarten blieb unbegrenzt.<br />

Vermutlich war sich Gropius zu diesem Zeitpunkt über die Länge der<br />

Grundstücksmauer nicht ganz sicher. <strong>Die</strong> Isometrie hingegen entspricht nahezu<br />

der Ausführung von 1926. Demnach hat sich Gropius für eine längere Grundstücksmauer<br />

entschieden, die ihn vor allzu freien Einblicken in seinen Garten<br />

bewahrte. Lange Spekulationen über den Sinn der baulichen Anlage sind nicht<br />

notwendig, da auch in diesem Fall Gropius selbst in einem Werkmanuskript die<br />

Antwort gibt: „unter lichtem kie fern bestand stehen in glatter rasenfläche die 4<br />

wohnhäuser, 1 einzelhaus und 3 dop pelhäuser. in der front die burgkühnauer<br />

allee; die häuser bei 20 mtr. bauflucht hinter zaunloses vorgelände und halbwil<strong>des</strong><br />

gartengelände zurückge zogen, das einzelhaus gegen die stadt hin mit<br />

mauern und kieferngärten geschützt.“ 12<br />

Offensichtlich lag Gropius der Schutz seiner Privatsphäre sehr am Herzen. Dass<br />

dieses Anliegen berechtigt war, belegt ein Tagebucheintrag Ise Gropius’ vom<br />

27. Mai 1926: „im neuen haus werden derart viele scheiben kaput geworfen,<br />

dass man allmählich an bösen willen glauben muss.“ 13<br />

Das Manuskript von Gropius ist aber auch in anderer Hinsicht ein aufschlussreiches<br />

Dokument. <strong>Die</strong> Bauflucht von 20 Metern entsprach dem Abstand der<br />

Doppelhäuser. Sein eigenes Haus stand majestätisch genau fünf Meter vor der<br />

benannten Bauflucht. So verfügte das Direktorenhaus nicht nur über das größte<br />

Gartengrundstück, sondern sein Standort, einschließlich Grundstücksmauer<br />

und Garage gaben ihm innerhalb der Siedlung eine besondere und deutlich<br />

sichtbare Bedeutung. Das „halbwilde Gartengelände“ blieb in seiner ursprüng-<br />

Ü Eingangsbereich<br />

<strong>des</strong><br />

Ein zel hauses,<br />

links die<br />

Garage mit neu<br />

angepflanzter<br />

Fassadenbegrünung<br />

und<br />

seitlich der<br />

<strong>Die</strong>nstboteneingang;<br />

Gasrohr-Einfassungen<br />

dienen<br />

als Abgrenzung<br />

<strong>des</strong> Vorgartens<br />

vom öffentli chen<br />

Fußweg.<br />

69


70


71


Ü Gesamtansicht<br />

der Meis terhäuser<br />

von Westen, 1926<br />

ÜÜ Ansicht <strong>des</strong><br />

Doppelhauses<br />

Klee/Kandinsky,<br />

2005: <strong>Die</strong> einstige<br />

Bepflanzung durch<br />

Kandisky wurde<br />

nicht wiederhergestellt.<br />

112


113


<strong>Die</strong> Siedlung Törten<br />

Baujahr: 1926–1928, in drei Bau abschnitten<br />

Ort:<br />

Dessau-Törten<br />

Architekt: Walter Gropius<br />

Auftraggeber: Stadt Dessau<br />

Gesamtplan<br />

der<br />

Siedlung<br />

Törten<br />

Das standardisierte Einfamilienhaus stand generell schon lange im Mittelpunkt<br />

theoretischer Untersuchungen am Bauhaus. <strong>Die</strong> Pläne zu einer Bauhaussiedlung,<br />

die Gropius schon in Weimar beschäftigt hatten, konnte er mit der Siedlung<br />

Törten in Dessau nun erstmals in die Realität umsetzen. Unterstützung<br />

bei seiner Initiative für eine rationelle Bauweise in der Siedlungsplanung erhielt<br />

Gropius vom Oberbürgermeister der Stadt Dessau, Fritz Hesse. Schon im April<br />

1926, so nachzulesen im Tagebuch von Ise Gropius, fand eine „besprechung<br />

mit stadtrat paulick über die siedlungsbauten in törten [statt]. es wird wohl<br />

80–100 häuser zu bauen geben und er trug g. die sache an“. 1<br />

So sehr die Anfrage der Stadt für Gropius eine baukünstlerische Herausforderung<br />

darstellte, so sehr sah er in der Konzeptionierung und Umsetzung <strong>des</strong><br />

Bauvorhabens durch das Bauhaus, wie es sich Hesse wünschte, erhebliche<br />

Probleme auf sich zukommen. Ise Gropius formulierte dies am 26. April 1926<br />

wie folgt: „g. ist ziemlich in sorge wie die sache mit der siedlung in törten werden<br />

soll. der bürgermeister hat die idee, dass das bauhaus sich betätigen soll,<br />

wegen <strong>des</strong> ansehens in der stadt, übersieht aber dabei, dass die bauhäusler<br />

gar keine praktischen erfahrungen haben und eine so wichtige sache wie eine<br />

148


grosse siedlung nicht aus dem ärmel geschüttelt werden kann. zudem fehlt vor<br />

allem das baubüro für das bauhaus“. 2<br />

Dennoch legte Gropius dem Gemeinderat, der zunächst den Auftrag zum Bau<br />

von 60 Eigenheimen innerhalb der Reichsheimstättensiedlung erteilte, bereits<br />

am 25. Juni 1926 ein Planungskonzept für die Siedlung Törten vor. Nach dem<br />

Bebauungsplan von Gropius sollte die Umsetzung der Siedlung in drei Bauabschnitten<br />

von 1926–1928 vonstatten gehen. Der erste – in einer Doppelreihe<br />

– war bereits Ende 1926 im Rohbau erstellt. Im zweiten Bauabschnitt wurden<br />

1927 weitere 100 Häuser errichtet, und 1928 erhielt das Baubüro Gropius den<br />

Auftrag zur Realisierung von 156 Einfamilienhäusern, in dem Jahr, in dem im<br />

Zentrum der Stadt auch das Konsumgebäude realisiert wurde. 3<br />

<strong>Die</strong> Einfamilienhaussiedlung sollte eigentlich nach dem Wunsch Walter Gropius’<br />

in der Nähe <strong>des</strong> <strong>Bauhauses</strong> umgesetzt werden. „Da dort der Grund zu<br />

teuer war, erwarb die Stadt ein Gelände an der Hauptstraße nach Leipzig bei<br />

dem Dorf Törten.“ 4 Und es entstand, so Walter Gropius, „eine reichsheimstättensiedlung<br />

nach meinen Plänen und unter meiner gesamtregie“. 5<br />

Das Konzept der Außenanlage<br />

Der Gesamtplan der Siedlung, auf dem die drei Bauabschnitte von 1926–1928<br />

dargestellt sind, zeigt die Doppelreihe <strong>des</strong> ersten Bauabschnitts linear verlaufend<br />

an der Alten Leipziger Straße und die daran anschließende ringförmige<br />

Bebauung am Klein-, Mittel- und Großring. Parallel zur Doppelreihe verläuft die<br />

Damaschkestraße, von der zwei Straßenläufe im rechten Winkel abgehen. Entge<br />

gen der Asymmetrie der Siedlungsstruktur präsentieren sich die Einfamilienhäuser<br />

in einem einheitlichen architektonischen Erscheinungsbild.<br />

Bestimmt wird die Außenraumgestaltung der Siedlung Törten durch eine klare<br />

Abgrenzung mehrerer sich voneinander unterscheidender Freiraumtypen: die<br />

Vorgartenzone, der private Hausgarten und die öffentlichen Grünräume.<br />

Der Gesamtplan von 1926 zeigt eine Addition von öffentlichen Freiraumanlagen,<br />

die sich ausgehend von einem dreieckigen Platzraum am Konsumgebäude<br />

in östlicher und westlicher Richtung erstrecken. Vermutlich hat die bestehende<br />

Hochspannungsleitung von 1921 eine bauliche Nutzung an dieser Stelle <strong>des</strong><br />

Planungsgebietes ausgeschlossen. Eindeutig zweckdienlich sind hingegen die<br />

Dreiecksflächen, die die Häuserzeilen <strong>des</strong> Klein- und Mittelrings begrenzen.<br />

Aktiv nutzbare Freiräume wollte Gropius mit Hilfe von Sport- und Spielflächen<br />

anbieten, die seitlich <strong>des</strong> Großringes entstehen sollten.<br />

Analog zu vergleichbaren englischen und deutschen Gartenstädten setzt Gropius<br />

mit dem zurückgesetzten Konsumgebäude und der dadurch geschaffenen<br />

räumlichen Akzentuierung eine wirkungsvolle grüne Mitte innerhalb der<br />

Siedlung. 6 <strong>Die</strong>se ist zwar mit Bruno Tauts großem parkähnlichem Hufeisen in<br />

150


Berlin nicht zu vergleichen, es lassen sich jedoch zu Tauts „Gartenstadtkolonie<br />

Reform in Magdeburg“ von 1913 durchaus Parallelen hinsichtlich Größe und<br />

Abmessung <strong>des</strong> zentralen Platzes ziehen.<br />

Eine weitere großzügige Raumöffnung, die gleichsam als Eingangssituation gedeutet<br />

werden kann, erreicht Gropius durch das Zurücksetzen der Häuserfront<br />

an der Doppelreihe zur Südstraße hin. Dennoch mangelt es der Siedlung Törten<br />

an einem ganzheitlichen und überzeugenden Freiraumkonzept. <strong>Die</strong> großräumigen<br />

Rasenflächen der öffentlich nutzbaren Grünzonen wirken im Gegensatz<br />

zu denen am Bauhaus und den Meisterhäusern in der Siedlung eher stilistisch<br />

befremdend und in ihrer Monotonie aufgesetzt. Zu stark ist die Diskrepanz zwischen<br />

den individuell hergerichteten Hausgärten auf der Rückseite <strong>des</strong> Hauses<br />

und den gestalterisch bewusst zurückgenommenen Vorgärten und übrigen<br />

Freiflächen.<br />

Siedlung<br />

Törten, Vorgärten<br />

am<br />

Klein ring,<br />

1928<br />

Ü Luftaufnahme<br />

der Siedlung<br />

Törten<br />

151


Siedlung<br />

Törten,<br />

Vor gärten am<br />

Kleinring, 2003<br />

Bei der Planung der Vorgartenzonen in der Siedlung Törten blieb Gropius seinem<br />

Prinzip einer minimalistischen Gestaltungsweise treu. Obwohl es sich bei<br />

diesem Bauauftrag um die Freiräume von Arbeiterwohnhäusern handelte, verfolgte<br />

Gropius in diesem Bereich dieselben Gestaltungsmaßstäbe wie bei der<br />

Umfeldgestaltung <strong>des</strong> <strong>Bauhauses</strong> oder der Meisterhäuser. Weder Hecken einfas<br />

sungen noch andere vegetative Elemente wurden eingesetzt (Abb. S. 151).<br />

Lediglich schlichte Rasenflächen werden bis an die Häuser herangezogen und<br />

durch Gasrohrgeländer in gewohnter Weise begrenzt.<br />

Kritik hinsichtlich <strong>des</strong> eintönigen Erscheinungsbil<strong>des</strong> der Vorgärten, aber auch<br />

<strong>des</strong> Wohnquartiers ganz allgemein, ließ nicht lange auf sich warten. Gropius,<br />

der mit dem Bürgermeister Hesse auch nach seinem Weggang aus Dessau in<br />

Verbindung stand, wurde von diesem über die missbilligenden Stellungnahmen<br />

von auswärtigen Besuchern unterrichtet. Aus einem Antwortschreiben vom<br />

14. Oktober 1928 sprach Verständnis für die kritischen Bemerkungen. Gropius<br />

schreibt: „bei den zahlreichen besuchen der siedlung törten durch auswärtige,<br />

154


so kürzlich durch die führenden persönlichkeiten der berliner wohnungsfürsorge,<br />

wird immer wieder mit recht beanstandet, dass für die siedlung zu wenig<br />

gärtnerisches geschehen ist […] ich möchte heute mit ganz besonderer betonung<br />

darum bitten, dass der magistrat jetzt, wo gerade noch eine günstige<br />

baumumpflanzungszeit ist, das gartenamt anzuweisen, die baumbepflanzung<br />

nach anliegendem plan vorzunehmen:<br />

1. die grünen kreise bedeuten bäume, die möglichst gross als strassenbäume<br />

in die vorgärten zu pflanzen sind. <strong>Die</strong> auswahl der arten wird dem gartenbaumamt<br />

überlassen.<br />

2. die grünen striche bedeuten paarweise zu versetzende taxusbäumchen auf<br />

der breiten vorgartenseite der doppelreihe<br />

3. die roten striche bedeuten berankung der grauen giebelwände mit selbstklimmer<br />

oder ähnlichen rankgewächsen<br />

4. die im vorjahr angelegten rasenflächen bedürfen im frühjahr der ausbesserung<br />

im allseitigen interesse bitte ich sie, die bepflanzung nach diesem vorschlag<br />

doch sogleich in die wege leiten zu wollen.“ 7<br />

Im Stadtarchiv Dessau befindet sich eine „Skizze für die Erdbewegung und die<br />

gärtnerischen Anlagen im Krautwinkel“. (Abb. S. 159) <strong>Die</strong> ursprüngliche Datierung<br />

der Zeichnung vom 12. September 1928 wurde durch den 24. Oktober<br />

1929 ersetzt. Folglich verzögerten sich die Gestaltungsarbeiten an den Vorgärten<br />

um ca. ein Jahr.<br />

<strong>Die</strong> Skizze wurde vermutlich nach dem Plan, den Gropius in seinem Schreiben<br />

angibt, angefertigt, da das Stadtbauamt der Verfasser ist.<br />

Schon am 25. Mai 1929 machte sich der Stadtbaurat Schmetzer Notizen über<br />

erforderliche „Ergänzungsarbeiten“ der öffentlichen Anlagen der Siedlung Törten:<br />

„1. Im allgemeinen soll zwischen den Straßenbäumen, die zu weit stehen,<br />

immer noch ein Baum eingereiht werden.<br />

2. Das Gelände, südlich an die Damaschkestraße grenzend, soll in etwa 16 m<br />

Breite eingeebnet, gepflügt, geeggt und angesät werden. Wo die Bodenmasse<br />

nicht ausreicht, können vertiefte Parterres liegen bleiben.<br />

3. Der Klein-Ring soll beiderseits bepflanzt werden, möglichst so, dass je<strong>des</strong><br />

Mal vor der Mitte eines Hauses und vor der Mitte der Lücke ein Baum steht.<br />

4. Auf den Ringen, die bisher nur einseitig bepflanzt sind, soll auch die andere<br />

Straßenseite mit Bäumen versehen werden.<br />

Ü Siedlung<br />

Törten,<br />

Vorgärten am<br />

Mittelring,<br />

1928<br />

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