Baukultur
978-3-86859-010-4
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Inhalt<br />
Vorwort<br />
6<br />
Impressum<br />
© 2009 by jovis Verlag GmbH<br />
Das Copyright für die Texte liegt bei den Autoren.<br />
Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den<br />
Fotografen / Inhabern der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Konzept und Redaktion<br />
Werner Durth und Paul Sigel<br />
Projektkoordination<br />
Elke Lang und Udo Gleim<br />
Gestaltung<br />
Polynox – Büro für Gestaltung<br />
www.polynox.de<br />
Schriftsatz<br />
Elke Lang, Polynox<br />
Umschlaggestaltung<br />
Thomas Hahn, Polynox<br />
Reproduktion und Bildbearbeitung<br />
Jürgen Schreiter, Darmstadt<br />
Lektorat<br />
Miriam Seifert-Waibel, Hamburg<br />
Druck und Bindung<br />
GCC Grafisches Centrum Cuno, Calbe<br />
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten<br />
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />
jovis Verlag GmbH<br />
Kurfürstenstraße 15 / 16, 10785 Berlin<br />
www.jovis.de<br />
ISBN 978 - 3 - 86859 - 010 - 4<br />
Einleitung<br />
Jahrhundertwende<br />
Im Kaiserreich<br />
Deutschland auf Weltausstellungen<br />
Die Suche nach dem neuen Stil<br />
Der Deutsche Werkbund<br />
Die Modernisierung der Metropole<br />
Die Weimarer Republik<br />
Nach der Katastrophe<br />
Internationale Architektur<br />
Das Neue Berlin<br />
Sieg des neuen Baustils?<br />
Präsentationen<br />
Im Nationalsozialismus<br />
Machtwechsel<br />
Architektur als Propaganda<br />
Die Inszenierung der Diktatur<br />
Die Neugestaltung der Reichshauptstadt<br />
Planungen für die Nachkriegszeit<br />
Deutschland in zwei Staaten<br />
Wiederaufbau oder Neubeginn?<br />
Im Kalten Krieg<br />
Wendepunkte<br />
Internationale Selbstdarstellung<br />
Paradigmenwechsel<br />
Am Ende des Provisoriums<br />
Nach der Vereinigung<br />
Hauptstadt Berlin<br />
Die Wiederentdeckung der Geschichte<br />
Internationale Auftritte<br />
Internationale Bauausstellungen<br />
Umschau und Ausblick<br />
<strong>Baukultur</strong> als Lernprozess<br />
Anhang<br />
Anmerkungen<br />
Literaturverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Namenregister<br />
9<br />
19<br />
36<br />
45<br />
78<br />
107<br />
125<br />
162<br />
199<br />
232<br />
261<br />
279<br />
305<br />
326<br />
356<br />
371<br />
387<br />
441<br />
500<br />
527<br />
562<br />
594<br />
629<br />
658<br />
678<br />
694<br />
723<br />
734<br />
758<br />
771<br />
775
Jahrhundertwende<br />
Im Kaiserreich<br />
Die Gründung des Deutschen Reichs nach dem Sieg über<br />
Frankreich im Krieg 1870 / 71, der mit hohen Reparationszahlungen<br />
an Deutschland verbunden war, setzte einen wirtschaftlichen<br />
Aufschwung in Gang, dessen Auswirkungen in<br />
den folgenden Jahren vor allem in den großen Städten des<br />
Reichs sichtbar wurden. Die Suche nach zeitgemäßen Gestaltungsmustern<br />
für eine in ungeahnter Beschleunigung sich verändernde<br />
und modernisierende Gesellschaft, die Frage nach<br />
kultureller Prägekraft im Spannungsfeld zwischen staatlicher<br />
und privater Bauherrenschaft und nicht zuletzt das Bedürfnis<br />
nach regionaler und nationaler Selbstverortung und Identität,<br />
aber auch nach Wettbewerbsfähigkeit im Maßstab des Weltmarkts:<br />
Ein großer Teil der Fragen, die heute den Diskurs um<br />
<strong>Baukultur</strong> in Deutschland bestimmen, hat eine eigene, weit<br />
zurückreichende Geschichte. Im Blick auf die Gründerjahre<br />
des späten 19. Jahrhunderts werden die Wechselwirkungen<br />
zwischen Industrialisierung und Urbanisierung, technologischen<br />
Innovationen und sozialem Strukturwandel sowie der<br />
Suche nach baulicher Gestaltung der veränderten Lebenswelt<br />
als fundamentale Herausforderung deutlich.<br />
Urbane Welten<br />
Deutschland hatte in den Jahrzehnten nach der Reichsgründung<br />
1871 einen rasanten Modernisierungsschub erfahren.<br />
Die Industrialisierung hatte zu einem explosionsartigen<br />
Wachstum zahlreicher Städte geführt und neue urbane Agglomerationen<br />
in den industriellen Kernregionen entstehen<br />
lassen. Allein schon der Blick auf die Wachstumszahlen einiger<br />
der wichtigsten deutschen Metropolen verdeutlicht die<br />
ungeheure Wachstumsdynamik mit all ihren Folgeproblemen.<br />
Während eine Stadt wie Stuttgart zwischen 1875 und 1900 mit<br />
einem Zuwachs von 107 000 auf 176 000 ihre Einwohnerzahl<br />
steigerte, 1 Köln im selben Zeitraum von knapp 135 000 Einwohnern<br />
auf über 370 000 anwuchs und damit seine Einwohnerzahl<br />
verdreifachte, 2 stieg die Zahl der Bewohner Berlins<br />
ebenfalls im selben Zeitraum von 966 000 auf knapp 1 900 000. 3<br />
Hinzu kamen unmittelbar benachbarte Städte und Gemeinden<br />
wie Charlottenburg, Wilmersdorf oder Schöneberg, die nach<br />
der Bildung Groß-Berlins 1920 zu einer Gesamteinwohnerzahl<br />
von 3,9 Millionen beitrugen. Neue industrielle Ballungsräume<br />
entstanden vor allem in den Bergbauregionen des heutigen<br />
Ruhrgebiets oder des oberschlesischen Industriereviers.<br />
Infrastrukturprojekte nie gekannten Ausmaßes veränderten<br />
Versorgung und Mobilität der Bevölkerung. Das Schienennetz<br />
der Eisenbahnlinien wurde rasant ausgebaut und<br />
bildete die Voraussetzung für einen weitgehend ungehinderten<br />
Eisenbahn in Stadtlandschaft, Gemälde von Hans Baluschek, Berlin 1890<br />
und raschen Gütertransport. Das neue Netz ermöglichte zudem<br />
effiziente Reiseverbindungen zwischen den Städten und<br />
Regionen, obwohl das Zusammenrücken der Zielorte durch<br />
das Nebeneinander von Privatbahnen und der verschiedenen<br />
Staatsbahnen zunächst noch behindert wurde. Erst die reichsweite<br />
Zusammenführung der verschiedenen Staats- und der<br />
wichtigsten Privatbahnen beendete 1920 diese Übergangsphase.<br />
Noch heute zeigt die Gestalt des Leipziger Bahnhofs,<br />
bis 1915 fertiggestellt nach Entwurf der Architekten Lossow<br />
& Kühne, mit den beiden parallelen Kopfbauten das einstige<br />
Nebeneinander der Sächsischen und der Preußischen<br />
Staatsbahn. Die ingenieurwissenschaftliche Kompetenz, die<br />
sich beim Bau der neuen Eisenbahnstreckennetze über Jahrzehnte<br />
sukzessive herausgebildet hatte, wirkte weit über die<br />
Reichsgrenzen hinaus und begründete auch im Ausland ein<br />
nachhaltiges Interesse an deutscher Technologie. Der ab<br />
1903 im Auftrag des Osmanischen Reichs vorangetriebene<br />
und von Wilhelm II. auch unter wirtschaftspolitischen und<br />
militärstrategischen Gesichtspunkten unterstützte Bau der<br />
Bagdad-Bahn 4 von Istanbul Richtung Bagdad – unter Beteiligung<br />
deutscher Konzerne wie Philipp Holzmann, Krupp,<br />
Borsig oder Hanomag – entwickelte sich zu einem der bedeutendsten<br />
und international wirksamen technischen Renommierprojekte<br />
des Kaiserreichs.<br />
Der wachsenden Bedeutung der Eisenbahnen entsprechend<br />
entstanden im Reich zahlreiche neue Bahnhofsbauten, 5<br />
die in den Großstädten als monumentale Eingangspforten inszeniert<br />
wurden und sinnfällig die Überwindung der kommunalen<br />
und regionalen Begrenzungen verdeutlichten. Der<br />
von Franz Schwechten 6 entworfene und von 1874 bis 1880<br />
erbaute Anhalter Bahnhof in Berlin oder der von dem preußischen<br />
Baurat Hermann Eggert geplante und bis 1888 errichtete<br />
Hauptbahnhof in Frankfurt am Main vermittelten<br />
in ihrer Verbindung von modernster Baukonstruktion und<br />
Fassaden im Stilkleid des Historismus exemplarisch die neue<br />
Jahrhundertwende – Im Kaiserreich<br />
19
Die Weimarer Republik<br />
Nach der Katastrophe<br />
Sechs Wochen waren seit dem 16. Mai 1914 vergangen, seit<br />
jenem Tag, an dem mit Böllerschüssen und Flaggenbomben<br />
die Ausstellung des Deutschen Werkbunds (DWB) in Köln wie<br />
ein Volksfest freudig eröffnet worden war, als fernab in Sarajevo<br />
am 28. Juni 1914 ein Anschlag stattfand, der den Ersten<br />
Weltkrieg und damit die „Urkatastrophe“ 1 des 20. Jahrhunderts<br />
auslöste. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger<br />
Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin veranlasste<br />
die Regierung in Wien dazu, am 28. Juli Serbien den Krieg zu<br />
erklären, in der sicheren Erwartung, dass im Falle einer Unterstützung<br />
Serbiens durch Russland die Großmacht Deutschland<br />
an der Seite Österreich-Ungarns kämpfen würde. Am<br />
1. August 1914 erklärte Deutschland dem Zarenreich den<br />
Krieg, zwei Tage später folgte die Kriegserklärung an Frankreich.<br />
Ab dem 4. August war auch Großbritannien am Krieg<br />
beteiligt, nachdem deutsche Truppen unter Missachtung der<br />
Neutralität Belgiens dessen Grenzen überschritten hatten.<br />
Seit Jahren war ein Krieg zwischen den Mächten Europas<br />
erwartet, von vielen Deutschen als „reinigendes Gewitter“<br />
sogar herbeigesehnt worden. 2 Jetzt, da dieser Krieg durch<br />
massive Aufrüstung in Flotte und Heer gut vorbereitet war,<br />
zudem aber als Notwendigkeit zur Verteidigung des Vaterlandes<br />
ausgegeben werden konnte, zog eine Welle der Kriegsbegeisterung<br />
und Kampfbereitschaft durch Deutschland. In<br />
seiner Rede vom 1. August 1914 hatte Kaiser Wilhelm II. mit<br />
der Forderung nach nationaler Einheit über alle politischen<br />
Lager hinweg ausgerufen: „Ich kenne keine Parteien mehr;<br />
ich kenne nur noch Deutsche.“ 3 Obwohl die Sozialdemokraten<br />
noch Ende Juli zu Demonstrationen für den Frieden aufgerufen<br />
hatten, stimmte auch die SPD am 4. August auf Antrag<br />
der Regierung den Kriegskrediten zu. Ein parteiübergreifender<br />
„Burgfrieden“ in Berlin sollte den Soldaten Rückhalt geben,<br />
die nun zu Hunderttausenden ins Feld zogen.<br />
Im Weltkrieg<br />
Nach Beginn des Krieges blieb in Köln nicht mehr die Zeit,<br />
die Werkbundausstellung vor ihrem Abbruch durch Fotografien<br />
zu dokumentieren. „Binnen Tagesfrist wandelten sich die<br />
Hallen, welche die feinsten Erzeugnisse deutscher Kunst und<br />
deutschen Kunstgewerbes beherbergt hatten, in eine Stätte<br />
zum Empfang verwundeter Soldaten von den Fronten“ 4 , vor<br />
allem aus Belgien. Trotz der nur kurzen Ausstellungsdauer hatte<br />
die Präsentation in Köln das Selbstbewusstsein des Werkbunds<br />
gestärkt, der angesichts der Herausforderungen des<br />
Weltkriegs nun erst recht die Erneuerung der deutschen Kultur<br />
vorantreiben wollte: „Er möge seine Saat streuen in alle<br />
Werkbund-Jahrbuch 1916 / 17<br />
die weitläufigen Pflanzstätten deutscher Gestaltungskraft,<br />
vom Granit- und Eisenbau bis zur Frauenkleidung, von Städteanlagen<br />
und Siedlungen bis in das Büro des Kaufmanns, von<br />
der Schaubühne bis auf den Friedhof“ 5 , forderte Peter Jessen<br />
im Jahrbuch 1915, das unter dem Titel Deutsche Form im<br />
Kriegsjahr erschien. Für den „Kampf“ um eine „Durchformung<br />
aller Dinge“ 6 als nationale Aufgabe trat auch Walter Riezler,<br />
seit 1910 Direktor des Städtischen Museums in Stettin und<br />
engagiertes Mitglied des Werkbunds, in seinem programmatischen<br />
Beitrag Die Kulturarbeit des Deutschen Werkbundes<br />
ein, der 1915 in der Schriftenreihe Weltkultur und Weltpolitik<br />
erschien, herausgegeben von Ernst Jäckh, dem Geschäftsführer<br />
des DWB.<br />
Für Deutschland habe der Bund die Aufgabe übernommen,<br />
„die Form, die ‚deutsche Form‘ zu nennen wohl<br />
berechtigt ist, zuerst zu einer solchen Reife und Allgemeingültigkeit<br />
zu entwickeln, daß sie auch fremden Völkern als<br />
eine in sich gefestigte, natürlichen Gesetzen gehorchende<br />
Welt erscheint“ 7 . Zwar sei es „heute verfrüht“, schon „von<br />
der Beherrschung des Auslands zu reden“, doch verkündete<br />
Riezler mit weltpolitischem Großmachtanspruch: „Genau<br />
dies aber ist die Aufgabe des Werkbundes, der dann, wenn<br />
einmal die ausländischen Märkte wieder geöffnet sein werden,<br />
auch die geeignete Macht ist, um die Eroberung der fremden<br />
Märkte zu unternehmen. Auch hierbei wird der Deutsche<br />
Werkbund Schulter an Schulter mit seinem österreichischen<br />
Die Weimarer Republik – Nach der Katastrophe<br />
125
Im Nationalsozialismus<br />
Machtwechsel<br />
Im Zuge der sogenannten „Machtergreifung“ Adolf Hitlers<br />
im Januar 1933 wurden mit überraschender Geschwindigkeit<br />
neue Gesetze erlassen, Ämter geschaffen und Schlüsselpositionen<br />
besetzt. Im März besiegelte das Ermächtigungsgesetz<br />
die Herrschaft der Nationalsozialisten, und durch das Gesetz<br />
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933<br />
konnten die neuen Machthaber nach Belieben politisch „unzuverlässige“<br />
Personen und „Nichtarier“ aus Beamtenstellen<br />
entfernen, darunter auch zahlreiche Protagonisten des Neuen<br />
Bauens, wie Richard Döcker, Hans Poelzig, Hans Scharoun,<br />
Bruno Taut und Martin Wagner. Gleichzeitig wurden auch jene<br />
Kommunalpolitiker ihrer Ämter enthoben, die zuvor eng mit<br />
Architekten der modernen Bewegung verbunden waren, wie<br />
Konrad Adenauer als Oberbürgermeister von Köln, Ludwig<br />
Landmann in Frankfurt am Main, Fritz Hesse in Dessau. Mit<br />
scharfen Angriffen und persönlicher Verfolgung mussten ins<br />
besondere die „Nichtarier“ rechnen, wie die Deutsche Bauhütte<br />
schon im März 1933 meldete. Unter dem Titel Ein Schädling<br />
soll büßen berichtete die Fachzeitschrift vom Antrag des<br />
nationalsozialistischen Stadtrats in Frankfurt am Main, die<br />
Pensionszahlungen an den früheren Oberbürgermeister Ludwig<br />
Landmann einzustellen, der wie Friedrich Naumann der<br />
Deutschen Demokratischen Partei angehört hatte: „Die Frankfurter<br />
Bevölkerung würde es unbegreiflich finden, wenn Landmann<br />
seine Pension bis zu seinem Ende weiterbekäme. Die<br />
Beschlagnahme seines Vermögens muß folgen.“ 1<br />
Gleichschaltung<br />
Die von den Nationalsozialisten verfolgten Architekten, oft<br />
Mitglieder des einst honorigen Bundes Deutscher Architekten<br />
(BDA), hatten von ihrer Vertretung keinen Beistand zu erwarten.<br />
Auch hier hatte ein Machtwechsel begonnen. Nach einer<br />
Ausschusssitzung in Berlin trat im März 1933 der Vorstand<br />
um Hans Poelzig zurück. Als neuer Präsident des BDA – nicht<br />
mehr wie bisher als Erster Vorsitzender bezeichnet – wurde<br />
der Präsident der Münchner Künstlergenossenschaft, Eugen<br />
Hönig, gewählt, „ein seit Jahren begeisterter Nationalsozialist“<br />
2 , der in den folgenden Wochen nach dem „Führerprinzip“<br />
konsequent die Gleichschaltung bis in die Landesleitungen<br />
und Ortsgruppen des BDA durchsetzen konnte, ohne auf nennenswerten<br />
Widerstand aus den eigenen Reihen zu stoßen.<br />
Noch im April meldete sich der Bund mit einem Nationalen<br />
Aufbauprogramm zu Wort, in dem die Eingrenzung der „übermächtig<br />
gewordenen Bürokratie“ und eine deutliche Privilegierung<br />
der Architekten gefordert wurde: „Die Planung und<br />
Durchführung aller Bauaufgaben einschließlich derjenigen<br />
Rednertribüne auf der Zeppelinwiese, Albert Speer, Nürnberg 1933<br />
der öffentlichen Hand ist ausschließlich den freien Architekten<br />
anzuvertrauen.“ 3 Die Baumeister sollten Nutznießer sein, und<br />
bald biederte sich der Bund mit einer Vollzugsmeldung und<br />
Ergebenheitsadresse der neuen Herrschaft an.<br />
Nach „Rücksprache mit der Reichsleitung des Kampfbundes<br />
für Deutsche Kultur“ sei „die Gleichschaltung inzwischen<br />
überall durchgeführt worden“, berichtete Hönig in der<br />
Bauwelt vom Mai 1933 unter der Überschrift Die Architekten<br />
als Berufsstand im neuen Staate – mit dem für manche bedrohlichen<br />
Untertitel Architektenliste in der Vorbereitung –,<br />
um danach zu erklären: „Der Bund Deutscher Architekten<br />
ist damit zu einem starken Kulturinstrument der nationalen<br />
Regierung geworden. Er steht mit allen seinen Kräften hinter<br />
der Regierung und dem Reichskanzler Adolf Hitler.“ 4 Zur<br />
Aufnahme in die Architektenliste werde ein Fragebogen vorbereitet,<br />
denn: „Die Eintragung in die Architektenliste wird<br />
unter Beachtung der kulturellen und völkischen Grundsätze<br />
des Kampfbundes Deutscher Architekten und Ingenieure im<br />
Kampfbund für Deutsche Kultur erfolgen.“ 5<br />
Mit Spannung erwartete man im Sommer 1933 die<br />
wegweisende „Kulturrede“ des „Führers“, in der Hitler auf dem<br />
ersten Reichstag der geeinten deutschen Nation am 1. September<br />
in Nürnberg auch sein Programm zur künftigen <strong>Baukultur</strong><br />
vorstellen wollte. Zu wechselnden Themen sprach<br />
Hitler vor den versammelten Massen auf dem Parteitagsgelände<br />
der NSDAP, das für seine Auftritte von dem damals<br />
28-jährigen Architekten Albert Speer effektvoll mit einem<br />
Arrangement aus Holztribünen und gigantischen Hoheitszeichen<br />
ausgestattet worden war. In einer ausführlichen<br />
Ansprache erläuterte Hitler im Rahmen des Parteitags auch<br />
Im Nationalsozialismus – Machtwechsel<br />
279
Deutschland in zwei Staaten<br />
Wiederaufbau oder Neubeginn?<br />
Als am 30. April 1945 die rote Fahne auf dem Reichstagsgebäude<br />
gehisst wurde, glich die Mitte Berlins einem Trümmerfeld.<br />
Seit dem 26. August 1940 hatten insgesamt 336<br />
Luftangriffe die Reichshauptstadt getroffen. 1 Die schwersten<br />
Schäden erfolgten im Battle of Berlin zwischen dem 18. November<br />
1943 und dem 24. März 1944. Am Ende des Krieges<br />
war von den im Mai 1939 gezählten 1,5 Millionen Wohnungen<br />
mehr als ein Drittel zerstört, in den Bezirken Mitte, Tiergarten<br />
und Friedrichshain lag der Wohnungsverlust über 50 Prozent.<br />
Allein nach dem Angriff im November 1943 wurden rund 3 000<br />
Tote und 400 000 Obdachlose gezählt. Bis Januar 1945 hatten<br />
1,5 Millionen Bewohner die Stadt verlassen, bis Mai 1945 fielen<br />
nach Angaben der Schutzpolizei 49 600 Menschen dem<br />
Luftkrieg zum Opfer. 2 Dem Terror des Bombenkriegs folgte<br />
der Ansturm der Roten Armee. In 16 Tagen wurde die Reichshauptstadt<br />
Haus für Haus, Straße um Straße erobert.<br />
Bei ihrem Treffen in Jalta hatten Winston S. Churchill,<br />
Franklin D. Roosevelt und Josef W. Stalin am 11. Februar 1945<br />
erklärt: „Das nationalsozialistische Deutschland ist dem Untergang<br />
geweiht. Dem deutschen Volk wird seine Niederlage<br />
nur noch teurer zu stehen kommen, wenn es versucht, einen<br />
hoffnungslosen Widerstand fortzusetzen.“ 3 Dieser Drohung<br />
folgte von deutscher Seite am 9. März der Befehl für die Vorbereitungen<br />
zur Verteidigung der Reichshauptstadt: „Mit den<br />
zur unmittelbaren Verteidigung der Reichshauptstadt zur<br />
Verfügung stehenden Kräften wird der Kampf um Berlin nicht<br />
in offener Feldschlacht ausgetragen, sondern im wesentlichen<br />
als Straßen- und Häuserkampf. Er muß mit Fanatismus, Fantasie,<br />
mit allen Mitteln der Täuschung, der List, und Hinterlist,<br />
mit vorbereiteten und aus der Not des Augenblicks geborenen<br />
Aushilfen aller Art auf, über und unter der Erde geführt<br />
werden. Hierbei kommt es darauf an, die Vorteile des eigenen<br />
Landes und die voraussichtliche Scheu der meisten Russen<br />
vor dem ihnen fremden Häusermeer restlos auszunutzen. Die<br />
genauen Ortskenntnisse, die Nutzbarmachung der U-Bahn<br />
und des unterirdischen Kanalisationsnetzes, die vorhandenen<br />
Nachrichtenverbindungen, die vorzüglichen Kampf- und<br />
Tarnmöglichkeiten in den Häusern, der festungsmäßige Ausbau<br />
von Häuserblocks – insbesondere von Eisenbetonhäusern<br />
– zu Stützpunkten, machen den Verteidiger auch bei<br />
zahlenmäßiger und materieller Unterlegenheit gegenüber jedem<br />
Feinde unüberwindlich!“ 4 Noch in den letzten Wochen<br />
des Krieges kamen unzählige Soldaten der Wehrmacht, ältere<br />
Menschen im Volkssturm sowie Kinder und Jugendliche aus<br />
dem Jungvolk in den aussichtslosen Kämpfen ums Leben. Am<br />
Ende lagen Tausende von Toten auf offener Straße, zwischen<br />
Reichstagsgebäude nach der Zerstörung, Berlin 1945<br />
zerschossenen Häusern, in verschütteten Kellern, gefluteten<br />
U-Bahnschächten. Unendliches Grauen breitete sich aus und<br />
zog bei vielen Überlebenden eine innere Abwehr solcher Wirklichkeit<br />
mit langer Folgewirkung nach sich.<br />
„Inmitten der Ruinen schreiben die Deutschen einander<br />
Ansichtskarten von Kirchen und Marktplätzen, den öffentlichen<br />
Gebäuden und Brücken, die es gar nicht mehr gibt“,<br />
notierte die 1933 zunächst nach Frankreich geflohene, später<br />
in die USA emigrierte jüdische Philosophin Hannah Arendt<br />
nach ihrem Besuch in Deutschland 1949: „Und die Gleichgültigkeit,<br />
mit der sie sich durch die Trümmer bewegen, findet<br />
ihre Entsprechung darin, daß niemand um die Toten trauert;<br />
sie spiegelt sich in der Apathie wider, mit der sie auf das<br />
Schicksal der Flüchtlinge in ihrer Mitte reagieren oder vielmehr<br />
nicht reagieren. Dieser allgemeine Gefühlsmangel, auf<br />
jeden Fall aber die offensichtliche Herzlosigkeit, die manchmal<br />
mit billiger Rührseligkeit kaschiert wird, ist jedoch<br />
nur das auffälligste äußerliche Symptom einer tief verwurzelten,<br />
hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung, sich<br />
dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und sich damit abzufinden.“<br />
5<br />
Tabula rasa in Berlin<br />
An jenem 30. April, an dem erstmals die rote Fahne über dem<br />
Reichstagsgebäude wehte, traf sich die später legendäre<br />
Gruppe Ulbricht vor dem Hotel Lux in Moskau zur Reise nach<br />
Berlin, wo Walter Ulbricht, Karl Maron, Otto Winzer, Arthur<br />
Pieck, Wolfgang Leonhard und andere deutsche Kommunisten<br />
als Angehörige dieser Gruppe nach Jahren der Emigration<br />
in der Sowjetunion auf die politische Neuordnung im sowjetisch<br />
besetzten Teil Deutschlands Einfluss nehmen wollten. 6<br />
Vom Moskauer Flughafen wurden sie mit einem amerikanischen<br />
Transportflugzeug nach Zwischenlandung in Minsk<br />
nach Berlin geflogen und erreichten die zerstörte Reichshauptstadt<br />
am 2. Mai 1945, dem Tag, an dem dort der Berliner<br />
Deutschland in zwei Staaten – Wiederaufbau oder Neubeginn?<br />
387
Wohnhochhaus in Moskau, Zustand 1993<br />
Umgestaltung der Spreeinsel in Berlin-Mitte, Skizze von Helmut Hennig, 1950<br />
Prämissen moderner Architektur und Stadtplanung eingeschworen<br />
und auf die seit den 1930er Jahren gültige Doktrin<br />
des sogenannten „Sozialistischen Realismus“ verpflichtet. 200<br />
Das Ende der Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen<br />
sollte durch Bauten zur Anschauung kommen, die<br />
einerseits durch bildhafte Verweise auf frühere Epochen der<br />
Menschheitsgeschichte das kulturelle Erbe der Welt in sich aufnehmen,<br />
andererseits aber gerade dadurch von der Macht und<br />
den Segnungen des Sowjetstaats künden sollten. Seit mehr als<br />
zwei Jahrzehnten hatte Stalin als ästhetische Kompensation<br />
politischer Unterdrückung und der Vernichtung jedweder Opposition<br />
in den zuvor noch weitgehend selbstständigen Republiken<br />
der Sowjetunion immer wieder aufs Neue die Stärkung<br />
regionaler Sitten und Gebräuche, nationaler Bautraditionen<br />
und folkloristischer Besonderheiten befohlen. Für die Architektur<br />
galt der sibyllinische Satz: „sozialistisch im Inhalt, national<br />
in der Form“, was beispielsweise im Wiederaufbau von<br />
Kiew die demonstrative Monumentalisierung von Elementen<br />
des sogenannten „Ukrainischen Barock“ in den Wohntürmen<br />
an der Prachtstraße Kreschtschatik bedeutete. Zwischen den<br />
Reisen nach Kiew und Stalingrad besuchte die Delegation die<br />
Landwirtschaftsausstellung in Moskau, in der zum Studium<br />
der vielfältigen Bautraditionen wie in einem Freilichtmuseum<br />
die Regionalarchitekturen der Republiken von Usbekistan<br />
bis Sibirien präsentiert wurden. Wenn ein „Volk der Sowjetunion“<br />
schon nicht politisches Subjekt sein durfte, sollte ihm<br />
doch zumindest eine erkennbare kulturelle Identität im Mosaik<br />
des Vielvölkerstaates zukommen. Dieser Leitsatz der totalitären<br />
Herrschaft Stalins sollte künftig auch auf die Gestaltung<br />
Berlins übertragen werden.<br />
Nach der Rückkehr der Delegation wurde in wenigen<br />
Wochen die Mitte Berlins umgeplant. Als Zeichen der Wertschätzung<br />
der Hauptstadttradition Preußens wurde in Plänen<br />
und Modellen die Straße Unter den Linden hervorgehoben und<br />
Schinkels Neue Wache wiederhergestellt. Andererseits wurde<br />
schon in den ersten Konzepten nach der Reise der Abbruch<br />
des Berliner Schlosses vorgesehen, den die Planer jedoch nicht<br />
allein aus ideologischen Gründen der Damnatio memoriae in<br />
Vernichtung der geschmähten „Zwingburg“ der Hohenzollern,<br />
sondern – wie schon erwähnt – vor allem pragmatisch zwecks<br />
optimaler Logistik von Massenaufmärschen beschlossen, obwohl<br />
zur gleichen Zeit die Propaganda für die Bewahrung<br />
des historischen Erbes auf Touren kam. Wie der eigens gezeichnete<br />
Plan mit eingetragenen Demonstrationszügen und<br />
den erforderlichen Straßenbreiten zeigte, sollte nach dem<br />
Vorbild des Roten Platzes in Moskau gegenüber dem Lustgarten<br />
ein neuer Aufmarschplatz entstehen. Im Juli legten<br />
Blick vom Brandenburger Tor über die Straße Unter den Linden zur Spreeinsel, Modell zum geplanten Aufbau der Mitte Berlins, 1951<br />
434 Deutschland in zwei Staaten – Wiederaufbau oder Neubeginn?<br />
435
Luftbild Römerberg, Frankfurt am Main, Publikation 1975<br />
Ostzeile Römerberg, Skizze von Ferry Ahrlé, 1975<br />
Unser Lebensraum braucht Schutz, Plastiktüte 1975 Unser Lebensraum braucht Schutz. Denkmalschutz., Publikation des Deutschen Nationalkomitees 1975<br />
zusammen mit der Aktion Gemeinsinn verbreiteten Broschüre<br />
im März 1975 fest: „War früher hauptsächlich der natürliche<br />
Verfall zu bekämpfen, so sind heute unsere Altstädte vor allem<br />
vor der von uns selbst verübten Zerstörung durch neue Straßen<br />
und Gebäude zu schützen. Und während in der Vergangenheit<br />
Denkmalpflege eine Angelegenheit einiger weniger<br />
besonders Interessierter war, nimmt heute ein großer Teil der<br />
Bevölkerung an der Lösung der für unser aller Leben so wichtigen<br />
Probleme Anteil.“ 879<br />
In einer radikalen Umkehr der Wertungen, mit der über<br />
die Jahrzehnte zuvor die verachtete <strong>Baukultur</strong> der Kaiserzeit<br />
mit Bildern einer lichten Moderne konfrontiert worden war,<br />
hieß es jetzt in der auflagenstarken Broschüre: „Ornamentüberladene<br />
Fassaden, abwechslungsreiche Gliederung der<br />
Baukörper, sinnenfrohe Farben, quirlige Straßen, kleine Geschäfte,<br />
Gastronomie an jeder Ecke, intime Plätze, Bäume vor<br />
den Häusern, die kleine Tischlerwerkstatt im Hof, das alles<br />
und noch mehr macht diese Gründerzeitviertel liebenswert<br />
und unersetzlich für das Stadtganze.“ 880 Zu den Folgen der<br />
Moderne hieß es: „Erst die maschinellen und die damit verbundenen<br />
sozialen Umwälzungen der Neuzeit haben die Städte<br />
dermaßen verändert, daß wir jetzt um ihre Zukunft bangen<br />
müssen, weil sie bald keine Vergangenheit mehr haben werden.<br />
Es sei denn, wir tun etwas dagegen. Wir alle.“ 881 Zum<br />
Widerstand wurden auch die Planer solcher Veränderungen<br />
aufgerufen, „denn erst allmählich fangen die Architekten an,<br />
sich im Zeichen sinkender Neuproduktion für die Probleme<br />
der historischen Zentren und der alten Wohnviertel zu interessieren.“<br />
882<br />
Angesichts des wachsenden Aufwands für kommunale<br />
Öffentlichkeitsarbeit kommentierte der Spiegel unter der Frage<br />
„Städtewerbung: Einlullen oder informieren?“ die politische<br />
Funktionalisierung: „Mit Millionen Beträgen lassen westdeutsche<br />
Stadtverwaltungen die Vorzüge ihrer Kommunen preisen<br />
– zum Nutzen des amtierenden Bürgermeisters und der<br />
regierenden Rathauspartei. Dem Bürger wird dabei von Werbeprofis<br />
mit Propaganda und Image-Kampagnen immer mehr<br />
vorgegaukelt, immer weniger Information geboten.“ 883 Rasch<br />
wirkte sich der neue Trend auch auf die Strategien der Kommunalpolitik<br />
aus und gab den Wahlkämpfen aktuelle Themen<br />
vor. Im Februar 1977 äußerte der Spiegel den Verdacht, dass<br />
die Frankfurter Kommunalwahl im März durch eine teure Werbekampagne<br />
beeinflusst werden sollte. „Statt nur zu informieren“,<br />
zitierte das Magazin die oppositionelle CDU, „betreibe<br />
das städtische Informationsamt (Etat 1976: 1,7 Millionen Mark)<br />
mit Steuergeldern zunehmend Public-Relations-Aktionen, die<br />
unterschwellig den Sozialdemokraten und ihrem Oberbürgermeister<br />
Rudi Arndt zugute kämen.“ 884<br />
Ein exemplarischer Fall solchen Kurswechsels von<br />
konsequenter Modernisierung in Richtung Nostalgie und Bürgerbegehren<br />
war die Stadt Frankfurt am Main, in der ab 1966<br />
zunächst die dort wohnenden Bürger, dann auch Studenten<br />
mit wachsender Gewaltbereitschaft gegen den Abbruch von<br />
Häusern im bürgerlichen Wohnviertel Westend protestiert<br />
hatten, um die Ausweitung des Bankenviertels und den Bau<br />
neuer Hochhaustürme zu verhindern. Seit Anfang der 1950er<br />
Jahre war „das Wortspiel Mainhattan – Manhattan in den<br />
Pressemedien“ 885 verbreitet worden. Niemand hatte daran Anstoß<br />
genommen, dass in Frankfurt „die Bevölkerung in vielen<br />
Bereichen des Lebens mit Amerikanismen kokettiert“ 886 . Inzwischen<br />
waren solche Bezüge unzeitgemäß und stattdessen<br />
Zeichen der Wertschätzung des baukulturellen Erbes gefragt:<br />
eine schwierige Lage für den Oberbürgermeister, der sich<br />
durch seinen Vorschlag zum Abbruch der Ruine der Alten<br />
Oper in den Wallanlagen den Spitznahmen „Dynamit-Rudi“ 887<br />
erworben hatte. Jetzt sollte ein Signal des Wandels gesetzt<br />
werden. Als Demonstrationsort wurde im Frühjahr 1975 der<br />
seit Jahrzehnten umstrittene Bereich der zerstörten Altstadt<br />
zwischen Dom und Römer ausgewählt, an dem 1973 soeben<br />
die Bürotürme des Technischen Rathauses mit den vorgelagerten<br />
Bauten fertiggestellt worden waren.<br />
Die Verwirklichung des 1963 prämierten Entwurfs der<br />
Architekten Bartsch, Thürwächter und Weber hatte wegen<br />
wirtschaftlicher Probleme während der Rezession 1966 / 67<br />
lange auf sich warten lassen, doch konnte Ulrich Conrads als<br />
Chefredakteur der Bauwelt im August 1973 den Neubau endlich<br />
würdigen, wobei er nachdrücklich darauf hinwies, dass<br />
bei den Aufbauten der inzwischen großflächig angelegten<br />
Tiefgaragen zwischen Technischem Rathaus und dem neuen<br />
Historischen Museum der weiteren Gestaltung große Aufmerksamkeit<br />
zu widmen sei. Erst im Zusammenhang mit der<br />
bisher nur „als Substruktion angelegten Mittelzone“ würden<br />
die „Neubauten des Technischen Rathauses und des Historischen<br />
Museums ihre je besonderen Qualitäten ganz eigen<br />
zeigen und entfalten können“, mahnte Conrads. Das Potenzial<br />
der Situation sei allerdings bereits zu erkennen, da „es<br />
jetzt schon keine Frage ist, daß der kubischen Härte des<br />
Museumsbaues und der unprätentiösen Eleganz, um nicht<br />
zu sagen Baumasse verzehrenden Heiterkeit des Technischen<br />
Rathauses wie auch dem Umriß der historischen Bauten mit<br />
weiteren Kontrapunkten begegnet“ werden könnte. 888<br />
Zu diesen „Kontrapunkten“ offerierte der Oberbürgermeister<br />
seine eigenen Vorstellungen. Unter der Frage „Was<br />
kommt zwischen Dom und Römer?“ präsentierte er in jenem<br />
März 1975, in dem die Broschüre der Aktion Gemeinsinn zum<br />
Europäischen Denkmalschutzjahr verbreitet wurde, den Vorschlag:<br />
„Am Römerberg soll historisch gebaut werden.“ 889 Im<br />
Rückblick auf den Konflikt mit jenen Bürgern, die in eigener<br />
Initiative die Finanzierung des Wiederaufbaus der Alten Oper<br />
vorantrieben, stellte er fest: „Man muß zur Kenntnis nehmen,<br />
daß Magistrat und Stadtverordnetenversammlung immer wieder<br />
ihren Willen zum Wiederaufbau der Opernhausruine als<br />
Konzert- und Kongresshalle Alte Oper bekräftigt haben.“ 890<br />
Jetzt offerierte Arndt seine Empfehlung, „historische Häuser<br />
gegenüber dem Römer“ zu bauen und erklärte: „Damit wenigstens<br />
die ‚gute Stubb des Heiligen Römischen Reiches<br />
Deutscher Nation‘, der Römerberg, sich wieder geschlossen<br />
darstellt, sollte man die Ostseite gegenüber dem Römer<br />
schleunigst in einer der Tradition und dem historischen Charakter<br />
des Platzes angepaßten Form bebauen.“ 891 In der vom<br />
Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main im<br />
März 1975 zahlreich verteilten Broschüre zeigten anschauliche<br />
Federzeichnungen die zuvor kritisierte „Höckerzone“ der Tiefgarage<br />
durch Neubauten überformt. Die Häuser an der ehemaligen<br />
Ostzeile entsprachen einem alten Bild Frankfurts, ohne<br />
jedoch präzise auf die zerstörten Bauten bezogen zu sein.<br />
Ironisch kommentierte die Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung in diesem März 1975 den Vorstoß des Oberbürgermeisters:<br />
„Es hätte kaum des späten, aber noch rechtzeitigen<br />
Einspruchs des Oberbürgermeisters bedurft, um zu wissen,<br />
daß die Masse der Frankfurter Bürger am Römerberg nicht eine<br />
moderne Bebauung ‚in alten Maßstäben‘, sondern die Rekonstruktion<br />
von Altstadthäusern wünscht. Das haben schon die<br />
Auseinandersetzungen vergangener Jahre gezeigt. Ein Plebiszit<br />
erscheint nicht notwendig.“ 892 Dieses imaginäre Plebiszit<br />
betraf allerdings nicht nur den Wunsch nach Rekonstruktion,<br />
sondern auch die generelle Ablehnung moderner Architektur,<br />
wie sie in der Stadt nach 1945 entstanden war. „Schaut man<br />
sich in Frankfurt um, so findet man kaum Bauwerke, die die<br />
586 Deutschland in zwei Staaten – Paradigmenwechsel<br />
587
Nach der Vereinigung<br />
Hauptstadt Berlin<br />
Im Westen wie im Osten Deutschlands stand das Jahr 1989<br />
im Zeichen der Feiern zur Staatsgründung. Jede sollte auf ihre<br />
eigene Weise gewürdigt werden. In Bonn fiel der 40. Jahrestag<br />
der Gründung der Bundesrepublik auf das 2000-jährige Gründungsjubiläum<br />
der Stadt Bonn. Dieser Zufall bot der Bundesregierung<br />
den Anlass, der Stadt als Geschenk eine Ausstellung<br />
zu präsentieren, in der unter dem Titel Hauptstadt. Zentren,<br />
Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte ein unterhaltsamer<br />
Rückblick auf verschiedene Regierungsstandorte<br />
ermöglicht und zugleich das konstitutive Prinzip des Föderalismus<br />
illustriert werden konnte. „Es gehört zu den hervorstechenden<br />
Konstanten unserer Geschichte, daß das politische,<br />
wirtschaftliche und kulturelle Leben unseres Landes sich zu<br />
fast allen Zeiten in verschiedenen bedeutenden Städten konzentrierte.<br />
Sie bringen jene regionale Vielfalt zur Geltung, deren<br />
Reichtum uns heute wieder mehr bewußt wird“, erklärte<br />
Bundeskanzler Helmut Kohl im Ausstellungskatalog, um anschließend<br />
die in vier Jahrzehnten bewährte Hauptstadtfunktion<br />
Bonns zu würdigen: „Diese 40 Jahre sind zugleich die<br />
40 Jahre einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen<br />
dem Bund und der Bundeshauptstadt.“ 1 Artig bedankte sich<br />
Hans Daniels, Oberbürgermeister der Stadt Bonn, für das Geschenk<br />
der Ausstellung: „Wir sehen darin ein Zeichen der Verbundenheit<br />
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und<br />
ihrer ebenso jungen Hauptstadt. Wir sehen darin aber auch<br />
die Verpflichtung, in Bescheidenheit und Würde unseren<br />
Beitrag zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu<br />
leisten.“ 2 Mit den Worten Bescheidenheit und Würde nahm<br />
Daniels die seit 1949 für die Selbstdarstellung der Bundesrepublik<br />
verpflichtenden Begriffe auf, um danach politisch korrekt<br />
daran zu erinnern, „daß unser Staat, die Bundesrepublik<br />
Deutschland, sich selbst nicht als endgültig empfindet, daß<br />
unser Ziel die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden<br />
und Freiheit mit Berlin als Hauptstadt ist.“ Bescheiden fügte er<br />
hinzu: „Bonn ist nicht Metropole im Sinne der großen Hauptstädte<br />
Europas wie London, Paris oder auch Berlin.“ 3<br />
Diese Vorgabe nahm der Regierende Bürgermeister<br />
Berlins in seinem Geleitwort zur Ausstellung gerne auf: „Berlin<br />
war als Hauptstadt des Deutschen Reiches ein Knotenpunkt<br />
an Kultur, Wirtschaft und Politik und strahlte Glanz und<br />
Gloria und schließlich kulturelle Kreativität aus“, erklärte Walter<br />
Momper, um zugleich die aktuelle Bedeutung der Stadt in<br />
Kontrast zur Bundeshauptstadt Bonn hervorzuheben: „Heute<br />
begreift sich Berlin als geistiger Mittelpunkt zwischen<br />
beiden deutschen Staaten und als kulturelle Metropole von<br />
europäischem und internationalem Rang. Seine Mittellage<br />
Berliner Mauer, Zustand 1990<br />
hat es ebenso wenig eingebüßt wie seine kulturelle Lebendigkeit<br />
oder geistige Kreativität.“ 4 Zuversichtlich erklärte er:<br />
„Es ist der Ort, wo Neues gedacht und gewagt wird, neue<br />
Ausdrucksformen der Kultur gefunden und neue Lebensentwürfe<br />
entwickelt werden, ja, wo auch neue gesellschaftspolitische<br />
Prozesse am ehesten zu erkennen sind und realisiert<br />
werden.“ 5<br />
Implizit spielte Momper dabei wohl auch auf jene Ereignisse<br />
an, die zur Internationalen Bauausstellung geführt<br />
hatten: „Man denke etwa 10 Jahre zurück, an das frühe Aufkommen<br />
von Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen und von<br />
Freien Gruppen in Berlin, die inzwischen auch in anderen<br />
Städten zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Kulturlebens<br />
geworden sind.“ Es folgte der Ausblick: „Berlin sieht<br />
sich heute mehr denn je seiner geistigen und politischen<br />
Vorreiterrolle verpflichtet. Nicht zuletzt durch eine verstärkt<br />
auf den Menschen und seine Umwelt bezogene Politik will es<br />
Testfeld des Neuen sein, um auf diese Weise dem hohen Anspruch<br />
zu genügen, auch heute das geistige und kulturelle<br />
Zentrum der Deutschen zu sein.“ 6 Dafür sollte auf unerwartete<br />
Weise bald der Beweis erbracht werden.<br />
Wendezeit<br />
Nach dem Ende der Bonner Ausstellung im August setzte jenes<br />
weltpolitische Beben ein, das im Oktober 1989 zum Fall<br />
der Berliner Mauer führen sollte. Im September wurden aus<br />
den Deutschen Botschaften in osteuropäischen Ländern die<br />
dorthin geflohenen Bürger der DDR in die Freiheit entlassen;<br />
Nach der Vereinigung – Hauptstadt Berlin<br />
629
Umschau und Ausblick<br />
<strong>Baukultur</strong> als Lernprozess<br />
Über ein Jahrhundert hatte die Folge der Internationalen Bauausstellungen<br />
durch neue Ideen, Themen und experimentelle<br />
Verfahren jenseits der sonst üblichen Planungspraxis zu<br />
beispielhaften Ergebnissen geführt, die für künftige Vorhaben<br />
hohe Maßstäbe setzten. Insbesondere durch die konzeptionell<br />
eng verbundenen Projekte der IBA Berlin und der IBA<br />
Emscher Park war überdies jener grundlegende Paradigmenwechsel<br />
bestätigt worden, der seit den 1970er Jahren in Abkehr<br />
von den Prämissen der funktionalistisch vereinseitigten<br />
Moderne zu einer neuen Wertschätzung des bereits gebauten<br />
Bestands geführt und Prinzipien nachhaltigen Bauens zur Geltung<br />
gebracht hatte. Die Präsentationen und Publikationen<br />
im Abschlussjahr der IBA Emscher Park 1999 sowie die in<br />
der Expo 2000 in Hannover aufgeworfenen Fragen nach dem<br />
Verhältnis von Mensch, Natur, Technik verstärkten das in vielen<br />
Bereichen des Planens und Bauens artikulierte Bedürfnis<br />
nach Standortbestimmung und Neuorientierung im Prozess<br />
der Moderne.<br />
Die Erfahrung der rapiden Beschleunigung gesellschaftlichen<br />
Wandels infolge der politischen Umbrüche und<br />
technischen Innovationen im Zeitraum des letzten Jahrzehnts<br />
ließ den Ausblick auf das kommende 21. Jahrhundert eher<br />
beängstigend als hoffnungsvoll erscheinen. War um 1900 die<br />
„Moderne als Programm“ 1 noch verbunden mit einem neuen<br />
„Verständnis der Gegenwart als Moment zur Gestaltung<br />
der Zukunft“ 2 , so war im Rückblick auf das vergangene Jahrhundert<br />
um 2000 das Bewusstsein dafür gewachsen, „daß allzu<br />
viele Hoffnungen sich in Alpträume verwandelt haben“ 3 .<br />
Diese Einsicht galt auch für die Entwicklung moderner Architektur<br />
und Stadtplanung, die mit hohen Erwartungen an<br />
sozialen und technischen Fortschritt ab 1900 von einer Avantgarde<br />
in Gang gebracht und nach dem Epochenbruch des<br />
Nationalsozialismus in veränderter Weise wieder aufgenommen<br />
worden war. Trotz aller unbestreitbaren Erfolge habe die<br />
Moderne schließlich zu jenem „Bauwirtschaftsfunktionalismus“<br />
4 geführt, der weder sozial noch ästhetisch jene Glücksversprechen<br />
einzulösen vermochte, die anfangs das Neue<br />
Bauen begleitet hatten – so die weit verbreitete Kritik an der<br />
Architektur der Gegenwart. Im Gegenzug wurde die Forderung<br />
nach einer „Revision der Moderne“ 5 erhoben, die weit<br />
über das kurze Zwischenspiel „postmoderner“ Stilvielfalt<br />
hinausweisen sollte, wie Heinrich Klotz betonte, als er den<br />
Übergang in eine „Zweite Moderne“ 6 konstatierte. Dieser Begriff<br />
hatte unterdessen in kultur- und sozialwissenschaftlicher<br />
Perspektive eine andere, alle gesellschaftlichen Lebensbereiche<br />
umfassende Bedeutung erhalten.<br />
„Unser tagtägliches Leben ist, wie man sagen kann,<br />
in einer Weise experimentell geworden, die dem ‚Großversuch‘<br />
der Moderne insgesamt entspricht“, stellte der Soziologe<br />
Anthony Giddens in seinem Beitrag zur Fachbuchreihe<br />
Zweite Moderne fest. Unter diesem Titel wurde zugleich der<br />
Übergang in eine neue Epoche der Moderne mit noch gänzlich<br />
unabsehbaren Chancen und Risiken gekennzeichnet, die<br />
ein neues Konzept für eine „reflexive Modernisierung“ verlangte.<br />
„Die derzeitige Periode der Globalisierung ist nicht<br />
bloß eine Fortsetzung der Ausbreitung des Kapitalismus und<br />
des Abendlands“, erklärte Giddens: „Wollte man ihren spezifischen<br />
Ausgangspunkt bestimmen, wäre es die erste gelungene<br />
Nachrichtenübertragung per Satellit. Seit dieser Zeit<br />
ist verzögerungsfreie elektronische Kommunikation über den<br />
ganzen Erdball nicht nur möglich, sondern beginnt beinahe<br />
unmittelbar in das Leben vieler Millionen einzugreifen.“ 7<br />
Seit dem Ende der politischen Teilung der Welt in eine<br />
westliche und eine östliche Hemisphäre, die in vereinfachter<br />
Geografie der Systemkonkurrenz zwischen Kapitalismus und<br />
Sozialismus in mancherlei Spielart entsprach, zeichnet sich<br />
eine neue Teilung der Welt als Spaltung der sozialen Wirklichkeit<br />
in zwei Schichten ab, welche in vielfältigen Wechselwirkungen<br />
aufeinander bezogen sind, in ihrem Zusammenhang<br />
aber nicht sinnlich wahrgenommen werden können.<br />
Mit beiden Füßen auf der Erde gehen die Menschen<br />
wie bisher ihrer Arbeit nach, leben ihren Alltag in einer sinnlich<br />
anschaubaren Umgebung, die je nach regionaler Besonderheit<br />
in der baulich-räumlichen Ausformung geprägt ist von<br />
ihrer Topografie und Geschichte. Über dieser Ebene gelebten<br />
Alltags – mit seinen Rhythmen von Tag und Nacht, Beschleunigung<br />
und Verlangsamung menschlicher Aktivitäten vor dem<br />
Horizont von Wünschen und Ängsten – breitet sich mit wachsender<br />
Geschwindigkeit und Dichte eine andere, immaterielle<br />
Schicht weltumspannender Informationsströme und Entscheidungsprozesse<br />
aus. Diese werden von Befehlszentren in den<br />
großen Agglomerationen aus gesteuert und nehmen, unvorhersehbar<br />
in den Konsequenzen, unmittelbar Einfluss auf<br />
das Leben in den Regionen, auf die Verteilung von Armut<br />
und Reichtum, auf die Konflikte in und zwischen den Staaten.<br />
8 Über Stärkung und Niedergang regionaler Wirtschaftsstrukturen<br />
wird längst nicht mehr vor Ort entschieden; die<br />
Entwicklung der Städte folgt dem schicksalhaften Gezeitenwechsel<br />
von Finanzkrisen und Kapitalströmen nach Maßgabe<br />
von Standortpräferenzen, die in ihren Folgen nicht absehbar<br />
sind. Doch im Spannungsfeld zwischen der Expansion prosperierender<br />
Städte und dem Schrumpfen anderer eröffnen sich<br />
Umschau und Ausblick – <strong>Baukultur</strong> als Lernprozess<br />
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