Gerhard Waldherr - Lucona
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Meisterleistung, die ohne das extra angefertigte Sonargerät nicht möglich gewesen wäre. Die beiden Sprengstoffexperten<br />
waren merkwürdig ruhig, und der Leiningen hat gesagt: ‚Jetzt kann ich nichts mehr machen.‘“<br />
Aber ist damit schlüssig bewiesen, dass Proksch für die Zündung des Sprengstoffs und damit für die Versenkung der<br />
„<strong>Lucona</strong>“ verantwortlich war?<br />
Müller: „Der Betrugsplan konnte nur gelingen, wenn die ‚<strong>Lucona</strong>‘ nie in Hongkong ankommt, und sie sollte auch nie<br />
gefunden werden. Deshalb wollte Proksch genau wissen, wo das Schiff gerade war. Sie hatten einen Zeitplan, wann es an<br />
exakt dieser Stelle des Indischen Ozeans sein sollte, weil es dort am tiefsten ist. Weil die ‚<strong>Lucona</strong>‘ zu früh in Chioggia<br />
abfuhr und auch zu schnell durch den Sueskanal kam, haben sie sie in Dschibuti im Hafen festgehalten und Treibstoff<br />
bunkern lassen, obwohl die Tanks noch fast voll waren.“<br />
Möglicherweise wurde jemand in Dschibuti an Bord geschmuggelt, der den Zeitzünder präparierte.<br />
Müller: „Es ist nicht entscheidend, wer für den Chef Proksch die Sprengung ausführte. Das ist für die Verantwortlichkeit<br />
von Proksch auch nicht maßgeblich. Um die genauen Umstände wissen nur die Beteiligten. Proksch wusste, was ge plant<br />
war, und wäre auch der Hauptnutznießer gewesen. Was hat er gesagt, als er von den ertrunkenen Seeleuten erfahren hat?<br />
‚A paar Schwarze‘ hat er gesagt.“<br />
N<br />
acht über dem Waldviertel. Über fünf Stunden lang hat Hans Pretterebner erzählt, jetzt sieht er müde aus. Pretterebner<br />
sagt, er habe viel Geld verdient mit seinem Buch, das später von Jack Gold verfilmt wurde – mit Jürgen<br />
Proch now als besessener Journalist. Doch er machte auch Schulden während der Recherche, danach kamen die<br />
Prozesse und die hohen Anwaltskosten. Dazu hat er sich 1991 das Schloss gekauft. Erste urkundliche Erwähnung 1271,<br />
große Geschichte, aber viel morsches Gemäuer. Pretterebner renovierte die Ruine und betreibt Schloss Wetzlas heute als<br />
Jugendhotel für Schulklassen, Pfadfinder, katholische Jungscharen. Die Zimmer sind spartanisch möbliert mit Stockbetten,<br />
für eine weitere Sanierung und mehr Luxus, sagt er, fehle ihm das Kapital.<br />
Einige Jahre nach dem Fall <strong>Lucona</strong> benutzte Pretterebner, der inzwischen das Montagsmagazin „Top“ herausgab, ein Wahlplakat<br />
des damaligen SPÖ-Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Es war als politische Satire gedacht. Vranitzky klagte. Bis<br />
Pretterebner Recht bekam, hatten ihn Bußgelder, Anwalts- und Gerichtskosten ruiniert. So haben sie ihn doch noch<br />
gekriegt. Pretterebner erkrankte am Guillain-Barré-Syndrom, einer rätselhaften Nervenkrankheit, die Lähmungen hervorruft<br />
und auch durch Stress ausgelöst werden kann. Inzwischen leidet er an Blasenkrebs, vier Operationen hat er bereits<br />
hinter sich. Und nun muss er zusehen, wie Udo Proksch seit „Out of Control“ in der Wiener Kulturschickeria wieder als<br />
kreativer Tausendsassa gefeiert wird. Die österreichische Fernsehjournalistin Ingrid Thurnher schreibt angeblich ein Buch<br />
über ihn. Das Museum für angewandte Kunst in Wien erwägt einen Ankauf seines Nachlasses. Erika Pluhar hat in einem<br />
Interview gesagt, Pretterebner sei „ein kleines Würschtl. Er war eigentlich Udos Mörder“.<br />
Man versucht sich vorzustellen, wie es ihn zermartert, während er das betreffende Interview ausdruckt, sich die nächste<br />
Zigarette anzündet und noch eine und noch eine. Pretterebner sagt: „Die Ärzte meinen, mit dem Rauchen aufzuhören<br />
wäre in meiner Situation mehr Belastung für die Gesundheit als weiterzumachen.“ Es klingt so, als bliebe ihm nicht mehr<br />
viel Zeit. Die Frage, ob auch er mit der „<strong>Lucona</strong>“ untergegangen ist, traut man sich nicht mehr zu stellen. b<br />
<strong>Gerhard</strong> <strong>Waldherr</strong>, Jahrgang 1960, freier Journalist in Berlin und Autor beim Wirtschaftsmagazin „brand eins“, befragte für seinen Artikel nicht nur Zeitzeugen<br />
in Wien und anderen Teilen Österreichs, sondern saß wochenlang über alten Unterlagen und Büchern. Die damaligen Aussagen sind teilweise so<br />
widersprüchlich und die Ereignisse um die gesunkene „<strong>Lucona</strong>“ so bizarr, dass <strong>Waldherr</strong> am Ende immer noch nicht wusste, was seinerzeit im Indischen<br />
Ozean genau passiert ist. „Auf jeden Fall ist die Geschichte verrückt, unglaublich. So etwas hätte sich niemand ausdenken können.“<br />
82<br />
mare No. 84, Februar/März 2011