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Aktuelles - AusgAbe Juni 2010 - Thomsen Rechtsanwälte

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<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 1<br />

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<strong>Aktuelles</strong> - Ausgabe <strong>Juni</strong> <strong>2010</strong><br />

INHALT:<br />

Kurzarbeitergeld -<br />

Beschluss der Bundesregierung<br />

BAG, Urteil vom 10.06.<strong>2010</strong> – 2 AZR 541/09 –<br />

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Unterschlagung<br />

geringwertiger Sachen – Emmely<br />

BAG, Urteil vom 19.05.<strong>2010</strong> – 4 AZR 796/08 –<br />

Bezugnahme auf BAT in der jeweils gültigen Fassung<br />

BAG, Beschluss vom 19.01.<strong>2010</strong> – 1 ABR 62/08 –<br />

Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit dem Betriebsrat<br />

zur Sanktion von Mitbestimmungsverstößen ist unwirksam<br />

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.<strong>2010</strong> – 6 Sa 399/09 –<br />

Kündigung wegen qualitativer Minderleistung einer Kassiererin<br />

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.02.<strong>2010</strong> – 14 Sa 26/09 –<br />

Altersteilzeit im öffentlichen Dienst – Anspruch auf<br />

Blockmodell/Ermessensentscheidung<br />

Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 12.05.<strong>2010</strong> – 20 Ca 2326/09 –<br />

Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung, mit der alle<br />

rentennahen Jahrgänge auf „Kurzarbeit Null“ gesetzt werden, ist<br />

wegen Altersdiskriminierung unzulässig.<br />

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18.02.<strong>2010</strong> – 38 Ca 12879/09 –<br />

Die verhaltensbedingte Kündigung der Leiterin<br />

Korruptionsbekämpfung und Ermittlungen der DB AG ist unwirksam


<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 2<br />

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Kurzarbeitergeld –<br />

Beschluss der Bundesregierung<br />

Die in der Wirtschaftskrise eingeführten Sonderregelungen über<br />

Kurzarbeit werden bis März 2012 verlängert.<br />

Nach einer im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise eingeführten<br />

Sonderregelung zahlt die Bundesagentur für Arbeit<br />

nicht nur Kurzarbeitergeld für nicht geleistete Arbeitszeit, sondern<br />

in den ersten sechs Monaten auch die Hälfte der Arbeitgeberbeiträge<br />

zur Sozialversicherung und ab dem siebten Monat<br />

die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung insgesamt. Wird<br />

die Kurzarbeit für Schulungsmaßnahmen genutzt, erstattet die<br />

Agentur für Arbeit die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />

ebenfalls in voller Höhe.<br />

Das Kurzarbeitergeld ist eine Lohnersatzleistung und als solche<br />

für den betroffenen Arbeitnehmer nicht steuerpflichtig. Bezieht<br />

der Arbeitnehmer aber neben Kurzarbeitergeld anderweitig<br />

steuerpflichtiges Einkommen, wird auch das Kurzarbeitergeld<br />

zur Ermittlung seines persönlichen Steuersatzes herangezogen,<br />

sodass die Steuerlast auf das steuerpflichtige Einkommen<br />

steigt.


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BAG, Urteil vom 10.06.<strong>2010</strong> – 2 AZR 541/09 –<br />

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Unterschlagung<br />

geringwertiger Sachen – Emmely<br />

Die Kündigung langjährig beschäftigter Arbeitnehmer Diebstahls<br />

oder Unterschlagung hat in den letzten Monaten ein großes Medieninteresse<br />

auf sich gezogen. Neben dem Maultaschenfall,<br />

der zwischenzeitlich verglichen wurde, dem Kinderwagenfall,<br />

bei dem ein Arbeitnehmer einen bereits im Schrott entsorgten<br />

Kinderwagen an sich genommen hatte, fiel das Medieninteresse<br />

ganz besonders auf den Fall Emmely. Die Vorinstanzen hatten<br />

die Kündigung wegen zweier Pfandmarken für gerechtfertigt<br />

gehalten. Das BAG hatte die Revision nach Nichtzulassungsbeschwerde<br />

angenommen. Inzwischen hat das BAG entschieden.<br />

SACHVERHALT:<br />

Die bei Tengelmann beschäftigte Kassiererin, die auf eine Betriebszugehörigkeit<br />

von mehr als 30 Jahren zurückblicken konnte,<br />

ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen, löste zwei<br />

Pfandmarken im Gesamtwert von 1,30 € ein. Der Arbeitgeber<br />

kündigte daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich.<br />

Das BAG bestätigte, dass grundsätzlich ein vorsätzlicher Verstoß<br />

des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine<br />

fristlose Kündigung auch dann rechtfertige, wenn der wirtschaftliche<br />

Schaden für den Arbeitgeber gering sei. Allerdings<br />

stelle nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen<br />

des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne weiteres<br />

einen Kündigungsgrund dar. Das Gesetz kenne aber keine<br />

„absoluten Kündigungsgründe“. Es komme vielmehr immer auf<br />

alle Umstände des Einzelfalles an, die im Rahmen einer Interessenabwägung<br />

zu berücksichtigen seien. In die Beurteilung


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sei insbesondere einzustellen, dass das Maß des beim Arbeitgeber<br />

beschädigten Vertrauens, das Interesse des Arbeitgebers<br />

an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, die<br />

wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes und zugunsten<br />

des Arbeitnehmers sein „Vertrauenskapital“, das er in der Zeit<br />

seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworben habe. Diese<br />

Kriterien seien nicht abschließend. Insgesamt müsse sich die<br />

sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene<br />

Reaktion auf die eingetragene Vertragsstörung erweisen. Auch<br />

im Falle einer Vertragsverletzung im Vertrauensbereich könne<br />

unter Umständen die Abmahnung als milderes Mittel ausreichen,<br />

um das für die Fortsetzung des Vertrags notwendige Vertrauen<br />

in die Redlichkeit des Arbeitnehmers wieder herzustellen.<br />

Das BAG hat Emmely zugute gehalten, dass es sich um einen<br />

atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt gehandelt<br />

habe, durch den das für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses<br />

notwendige Vertrauen noch nicht vollständig zerstört worden<br />

sei. Im Rahmen der Gesamtabwägung sei der vergleichsweise<br />

geringfügige wirtschaftliche Schaden des Arbeitgebers zu berücksichtigen.<br />

Letztlich überwögen die zugunsten von Emmely<br />

in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Eine Abmahnung<br />

wäre als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen<br />

und ausreichend gewesen, um einen künftig wieder<br />

störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.<br />

FAZIT:<br />

Das BAG hat die Gelegenheit genutzt, um seine Rechtsprechung<br />

zu sog. Bagatellkündigungen klarzustellen. Das Urteil des BAG<br />

mit Tatbestand und Entscheidungsgründen liegt noch nicht vor.


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BAG, Urteil vom 19.05.<strong>2010</strong> – 4 AZR 796/08 –<br />

Bezugnahme auf BAT in der jeweils gültigen Fassung<br />

In Arbeitsverträgen wurde in Jahrzehnten zur Regelung der Arbeitsvertragsbedingungen<br />

auf den BAT in der jeweils gültigen<br />

Fassung verwiesen. Mit der Ablösung des BAT durch den TV-L,<br />

den TVöD oder einen anderen für den Bereich des öffentlichen<br />

Dienstes anwendbaren Tarifvertrag stellt sich die Frage, wie diese<br />

Bezugnahmeklausel heute zu verstehen ist.<br />

SACHVERHALT:<br />

Der Arbeitnehmer ist bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber<br />

beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wird auf die Bestimmungen<br />

des jeweils gültigen BAT verwiesen. Der Hinweis, dass auch die<br />

Tarifverträge zur Anwendung kommen, die den BAT ersetzen,<br />

fehlt. Der Arbeitgeber wandte auch nach Inkrafttreten des Tarifvertrages<br />

für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der im<br />

Falle eine Tarifbindung einschlägig gewesen wäre, weiterhin die<br />

Bestimmungen des BAT an. Der Arbeitnehmer wollte festgestellt<br />

wissen, dass auf sein Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag TV-L zur<br />

Anwendung kommt.<br />

ENTSCHEIDUNG:<br />

Die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel sei zeitdynamisch (in<br />

der jeweils gültigen Fassung) ausgestaltet. Sie erfasse aber<br />

nicht die Nachfolgeverträge des BAT. Insoweit fehle es an einer<br />

ausdrücklichen Verweisung für den Fall, dass der BAT durch<br />

einen anderen im Tarifvertrag zur Anwendung kommenden Tarifvertrag<br />

ersetzt werde. Dennoch lasse sich insgesamt aus der<br />

Bezugnahmeklausel schließen, dass die Arbeitsvertragsparteien<br />

das Arbeitsverhältnis dynamisch an der Tarifentwicklung des


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öffentlichen Dienstes ausrichten wollten. Damit entspräche die<br />

statische Weitergeltung des BAT mit seinen Normen aus dem<br />

Jahre 2003 nicht dem Sinn und Zweck der Bezugnahme und<br />

den Interessen der Parteien. Die Klausel sei daher mit Inkrafttreten<br />

des TV-L lückenhaft geworden. Im Wege der ergänzenden<br />

Vertragsauslegung sei davon auszugehen, dass nach dem Willen<br />

der Parteien auf das Arbeitsverhältnis diejenigen Tarifregelungen,<br />

die den BAT ersetzten, Anwendung finden sollten. Das<br />

sei den Umständen nach der TV-L, da die Arbeitgeberin ihren<br />

Sitz in Hamburg habe und kein Grund ersichtlich sei, weshalb<br />

sie ihre Arbeitsverhältnisse am Tarifrecht des Bundes oder der<br />

Kommunen orientieren sollte.<br />

FAZIT:<br />

Die Entscheidung ist keine Selbstverständlichkeit. Der Arbeitgeber<br />

selbst hatte keine Veranlassung gesehen, mit der Ablösung<br />

des BAT durch andere Tarifverträge des öffentlichen Dienstes<br />

von den in seinen Betrieben überkommenden Regelungen des<br />

BAT abzuweichen. Es bestanden für das Unternehmen möglicherweise<br />

auch gute Gründe, den TV-L nicht anzuwenden. Ein<br />

Tarifwechsel ist für den Arbeitgeber mit einem nicht unerheblichen<br />

Anpassungsaufwand verbunden.<br />

Arbeitgeber, die ganz bewusst im Falle der Ablösung nicht vorbehaltlos<br />

einen ersetzenden Tarifvertrag zur Anwendung bringen<br />

wollen, müssen nach dieser Entscheidung ihre Bezugnahmeklausel<br />

klarstellen, z.B. mit der Formulierung: „Es gilt der<br />

Tarifvertrag … in der jeweils gültigen Fassung. Die Geltung eines<br />

diesen ersetzenden Tarifvertrages bedarf der gesonderten<br />

Vereinbarung“.


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BAG, Beschluss vom 19.01.<strong>2010</strong> – 1 ABR 62/08 –<br />

Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit dem Betriebsrat<br />

zur Sanktion von Mitbestimmungsverstößen ist unwirksam<br />

Der Betriebsrat hat zur Wahrung seiner Mitbestimmungsrechte<br />

nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zwar einen Beseitigungsanspruch<br />

nach § 101 BetrVG, aber keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch.<br />

Erst grobe Verstöße des Arbeitgebers gegen die<br />

Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG verschaffen dem Betriebsrat<br />

den gesetzlich ausgestalteten Unterlassungsanspruch nach<br />

§ 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Die Voraussetzungen hierfür liegen<br />

nur in Extremfällen vor. Einen allgemeinen Unterlassungsanspruch<br />

im Rahmen des § 99 Abs. 1 BetrVG hatte das BAG mit<br />

seiner grundlegenden Entscheidung vom 23.06.2009 – 1 ABR<br />

23/08 - abgelehnt. Die vorliegende Entscheidung betrifft ein<br />

vereinbartes Unterlassungsgebot.<br />

SACHVERHALT:<br />

Der Arbeitgeber hatte sich durch gerichtlichen Vergleich verpflichtet,<br />

keine Einstellungen und Versetzungen i.S.d. § 99 BetrVG<br />

vorzunehmen, solange die Zustimmung des Betriebsrats<br />

nicht erteilt oder das Arbeitsgericht die Zustimmung ersetzt hat<br />

oder wegen Dringlichkeit das Verfahren nach § 100 BetrVG (vorläufige<br />

personelle Maßnahme) durchgeführt wird. Als Sanktion<br />

für Zuwiderhandlungen gegen diese Unterlassungsverpflichtung<br />

war vereinbart, dass der Arbeitgeber bei jedem Verstoß im Rahmen<br />

einer Einstellung oder Versetzung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG<br />

ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 € an den DRK Kreisverband<br />

zahlt.<br />

Nach Abschluss des Vergleichs kam es erneut zu Streitigkeiten<br />

über die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates bei ei-


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ner Versetzung. Der Betriebsrat verlangte die Zahlung des Ordnungsgeldes.<br />

Der Arbeitgeber weigerte sich. Die Vorinstanzen<br />

haben den Anspruch auf Zahlung des Ordnungsgeldes für begründet<br />

gehalten. Das BAG hat auf die Rechtsbeschwerde des<br />

Arbeitgebers den zur Zahlung des Ordnungsgeldes verpflichtenden<br />

Beschluss aufgehoben.<br />

ENTSCHEIDUNG:<br />

Der Betriebsrat könne aus der Vertragsstrafenvereinbarung keine<br />

Rechte herleiten. Sie sei mit zwingenden Grundsätzen des<br />

Betriebsverfassungsgesetzes nicht zu vereinbaren.<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz weise dem Betriebsrat die Aufgabe<br />

zu, auf die Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Ordnung hinzuwirken. Dazu könne der Betriebsrat vom Arbeitgeber<br />

nur unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen ein<br />

Unterlassen eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens fordern.<br />

Der gesetzliche Unterlassungsanspruch des Betriebsrates sei je<br />

nach Gegenstand und Regelungsgehalt des Mitbestimmungsrechts<br />

von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Er<br />

sei aber stets darauf gerichtet, dass der Arbeitgeber für die<br />

Zukunft auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats achte<br />

und die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einhalte. Der<br />

Betriebsrat habe im Falle der Zuwiderhandlung gegen Mitbestimmungsrechte<br />

einen Anspruch auf Wiederherstellung der<br />

betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Dementsprechend<br />

könne der Betriebsrat die Beseitigung eines vom Arbeitgeber<br />

geschaffenen rechtswidrigen Zustandes verlangen. Dies gelte<br />

ganz besonders für die Sicherung der Beteiligungsrechte des<br />

Betriebsrates in personellen Angelegenheiten. Bei personellen<br />

Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG, deren vorläufige Durchführung<br />

vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens dem Arbeitgeber nur


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unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG gestattet sei, solle<br />

der Betriebsrat den Arbeitgeber daran hindern können, vor<br />

der Durchführung des Zustimmungs- oder Zustimmungsersetzungsverfahrens<br />

vollendete Tatsachen zu schaffen. Dazu habe<br />

ihm der Gesetzgeber mit § 101 BetrVG einen Anspruch auf Beseitigung<br />

des durch einseitiges Handeln beigeführten betriebsverfassungswidrigen<br />

Zustandes zur Verfügung gestellt, wenn er<br />

personelle Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG ohne Zustimmung<br />

des Betriebsrates oder unter Missachtung des Verfahrens nach<br />

§ 100 BetrVG durchführe.<br />

Das Betriebsverfassungsgesetz verlange vom Betriebsrat aber<br />

nicht, bei jedwedem mitbestimmungswidrigen Verhalten des<br />

Arbeitgebers einzugreifen. Es stehe vielmehr in seinem pflichtgemäßen<br />

Ermessen, ob er die Herstellung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Ordnung durchsetzen möchte. Ggf. stünde<br />

ihm die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur<br />

Verfügung, in dem er seine Ansprüche geltend machen und im<br />

Wege der Zwangsvollstreckung auch durchsetzen könne. Komme<br />

der Arbeitgeber einer gerichtlichen Anordnung nicht nach,<br />

könne der Betriebsrat den Arbeitgeber durch Ordnungs- oder<br />

Zwangsgeld zu einem gesetzeskonformen Verhalten durch das<br />

Gericht anhalten. Die Bemessung des Zwangsgeldes nach Art,<br />

Umfang und Dauer des dem Arbeitgeber zur Last gelegten Verstoßes,<br />

dem Verschuldensgrad und dem Vorteil, den der Arbeitgeber<br />

aus der Nichtbeachtung des gerichtlichen Gebotes<br />

zieht, obliege dem Arbeitsgericht. Das verhängte Zwangs- oder<br />

Ordnungsgeld verfalle dem Staat. Dadurch sei gewährleistet,<br />

dass die Wiederherstellung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Ordnung durch den Betriebsrat ausschließlich im Interesse der<br />

von ihm vertretenen Arbeitnehmer und unabhängig von sachfremden<br />

Erwägungen geschehe. Dieses Verfahren sichere auch<br />

die äußere Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrates.


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Im Gegensatz dazu ziele das Vertragsstrafeversprechen nicht<br />

auf die Wiederherstellung eines betriebsverfassungsgemäßen<br />

Zustandes, sondern habe reinen Strafcharakter. Anders als das<br />

nach § 101 Satz 2 und 3 BetrVG vom Arbeitsgericht festzusetzende<br />

Zwangsgeld, sei das Bußgeld nicht geeignet und auch<br />

nicht darauf gerichtet, einen betriebsverfassungswidrigen Zustand<br />

zu beseitigen. Das vereinbarte Ordnungsgeld sei Strafe<br />

und werde einmalig fällig. Das Zwangsgeld nach § 101 Satz 3<br />

BetrVG sei dagegen für jeden Tag der Zuwiderhandlung mit dem<br />

Ziel festzusetzen, den Arbeitgeber anzuhalten, die mitbestimmungswidrig<br />

durchgeführte personelle Maßnahme jedenfalls<br />

für die Zukunft aufzuheben.<br />

Mit dem Vertragsstrafeversprechen werde auch nicht der Intention<br />

des Gesetzgebers entsprochen, die Herstellung eines betriebsverfassungsgemäßen<br />

Zustandes durch den Betriebsrat zu<br />

fördern. Das Vertragsstrafeversprechen in der vorliegenden Art<br />

führe typischerweise dazu, dass sich der Betriebsrat bei einem<br />

mitbestimmungswidrigen Verhalten des Arbeitgebers mit der<br />

Geltendmachung der Vertragsstrafe begnüge und von der Einleitung<br />

eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Wiederherstellung<br />

der betriebsverfassungsgemäßen Ordnung absehe. Wegen<br />

der begrenzten und im Vorhinein feststehenden Höhe des<br />

Ordnungsgeldes könne der Arbeitgeber kalkulieren, ob er sich<br />

gewissermaßen den Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte<br />

leisten könne. Das komme einem „Abkauf“ gesetzlicher Rechte<br />

gleich und sei mit der gesetzlichen Konzeption der betrieblichen<br />

Mitbestimmung auch dann schlechterdings unvereinbar, wenn<br />

der Betriebsrat keinen finanziellen Vorteil aus der Verwirkung<br />

der Vertragsstrafe zu erwarten habe.<br />

Weil die verwirkte Vertragsstrafe einem begünstigten Dritten<br />

zufließe, könne der Eindruck entstehen, der Betriebsrat mache


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die Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte von sachfremden<br />

Erwägungen abhängig, um dem begünstigten Dritten einen<br />

Vorteil zu schaffen. Dies gefährde die äußere Unabhängigkeit<br />

des Betriebsrates. Das dem Staat anfallende Ordnungs- bzw.<br />

Zwangsgeld könne diese Besorgnis nicht auslösen.<br />

FAZIT:<br />

Die Entscheidung ist interessant, weil die Bindung des Betriebsrates<br />

an die gesetzlich vorgegebene betriebsverfassungsrechtliche<br />

Ordnung auch dann zu beachten ist, wenn sich der Arbeitgeber<br />

freiwillig im Wege der Vereinbarung auf eine abweichende<br />

Regelung eingelassen hat. Vereinbarungen von Geldzahlungen<br />

unmittelbar an den Betriebsrat sind bereits wegen der fehlenden<br />

Vermögensfähigkeit des Betriebsrats grundsätzlich unzulässig.<br />

Ausgeschlossen sind aber nach dieser Entscheidung<br />

auch Strafzahlungen an Dritte, wenn die Betriebsverfassung ein<br />

anderes Sanktionssystem bereit hält. Bemerkenswert sind die<br />

Ausführungen zur sog. äußeren Unabhängigkeit des Betriebsrates.<br />

Der Betriebsrat darf sich durch sein Handeln nicht dem<br />

Vorwurf aussetzen, er habe sich bei seinen Entscheidungen von<br />

sachfremden Erwägungen leiten lassen.<br />

In den Fällen, in denen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats<br />

im Zusammenhang mit einer Einstellung oder Versetzung zweifelhaft<br />

ist, schlägt das Bundesarbeitsgericht dem Betriebsrat<br />

vor, sein Beteiligungsrecht gem. § 256 Abs. 1 ZPO feststellen zu<br />

lassen. Drohten anschließend weitere Verstöße, könne der Betriebsrat<br />

nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorgehen. In der Missachtung<br />

eines gerichtlich festgestellten Rechts des Betriebsrates liege<br />

regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Der<br />

Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG werde durch<br />

den Beseitigungsanspruch nach § 101 BetrVG nicht verdrängt.<br />

Die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags ist m.E. diskussionswürdig.


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LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.<strong>2010</strong> – 6 Sa 399/09 –<br />

Kündigung wegen qualitativer Minderleistung einer Kassiererin<br />

Die Kündigung von sog. „Low-Performern“ ist ein viel behandeltes<br />

Thema in der arbeitsrechtlichen Praxis. Die Schwierigkeit<br />

in diesen Fällen besteht darin, die für Arbeitskollegen und<br />

Vorgesetzten mit Händen zu greifende Leistungsminderung des<br />

Arbeitnehmers kündigungsrechtlich verwertbar zu machen. Das<br />

LAG Schleswig-Holstein hat die Anforderungen im Fall einer gekündigten<br />

Kassiererin nochmals dargelegt.<br />

SACHVERHALT:<br />

Nach Feststellung wiederholter Kassendifferenzen sprach der<br />

Arbeitgeber gegenüber einer Kassiererin eine ordentliche verhaltensbedingte<br />

Kündigung aus. Die Kassiererin hatte in den<br />

Jahren 2002 und 2008 an einer Kassenschulung teilgenommen.<br />

Der Arbeitgeber hatte in den Jahren 2007 und 2008<br />

jeweils drei Abmahnungen ausgesprochen. Am 22.01.2009<br />

war es zu einer Plusdifferenz in Höhe von 39,69 € und am<br />

19.03.2009 zu einer Minusdifferenz von 99.99 € gekommen<br />

sowie am 27.03.2009 zu einer Minusdifferenz von 20,00 €.<br />

Danach kündigte der Arbeitgeber.<br />

Das Arbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage der Kassiererin<br />

abgewiesen. Das LAG Schleswig-Holstein hat auf die<br />

Berufung der Kassiererin die Kündigung für rechtswirksunam<br />

erklärt.<br />

ENTSCHEIDUNG:<br />

Der Vorwurf, die Kassiererin habe wiederholt Kassenfehlbestände<br />

zu verantworten, sei den verhaltensbedingten und nicht


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den personenbedingten Kündigungsgründen zuzurechnen. Der<br />

Arbeitnehmer, der trotz angemessener Bemühungen nicht die<br />

Normalleistung erbringe, verstoße nicht gegen den Vertrag,<br />

sondern unterschreite die berechtigte Erwartung des Arbeitgebers,<br />

dass Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis in<br />

einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Verhaltensbedingt sei<br />

der Kündigungsgrund, wenn der Arbeitnehmer seine mangelnde<br />

Leistung steuern könne. Die verhaltensbedingte Kündigung<br />

setze regelmäßig eine vorherige erfolglose Abmahnung voraus.<br />

Unter Berufung auf die Rechtsprechung des zweiten Senats<br />

des BAG bestätigt das Gericht, dass Schlechtleistungen eines<br />

Arbeitnehmers, die auf Pflichtverletzungen beruhen, grundsätzlich<br />

geeignet sind, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen<br />

(BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP Kündigungsschutzgesetz<br />

1969 § 23 Nr. 33).<br />

Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen sei, beurteile<br />

sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Sei die Arbeitsleistung<br />

im Vertrag, der Menge und der Qualität nach nicht<br />

näher beschrieben, so richte sich der Inhalt des Leistungsversprechens<br />

zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung<br />

des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und<br />

zum anderen nach dem persönlichen subjektiven Leistungsvermögen<br />

des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer müsse tun, was<br />

er soll, und zwar so gut, wie er könne. Die Leistungspflicht sei<br />

nicht statisch, sondern dynamisch und orientiere sich an der<br />

Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Diese Grundsätze seien<br />

allerdings nicht dahin misszuverstehen, dass der Arbeitnehmer<br />

seine Arbeitspflicht selbst bestimmen könne. Der Arbeitnehmer<br />

dürfe das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht einseitig<br />

nach seinem Belieben festlegen. Er müsse vielmehr unter<br />

angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfä-


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higkeit arbeiten.<br />

Ob der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe,<br />

sei für den Arbeitgeber anhand objektivierbarer Kriterien<br />

nicht immer erkennbar. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer<br />

unterdurchschnittliche Leistungen erbringe, bedeute<br />

nicht zwangsläufig, dass er seine persönliche Leistungsfähigkeit<br />

nicht ausschöpfe. Auf der anderen Seite sei das deutliche und<br />

längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern<br />

erreichten Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber<br />

erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende<br />

Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpfe, die mit zumutbaren<br />

Anstrengungen nutzbar wären. Bei der Überprüfung<br />

des Kündigungsgrundes wegen Schlechtleistung gelte daher<br />

eine abgestufte Darlegungslast.<br />

Zunächst sei es Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln<br />

vorzutragen, was er wissen könne. Kenne er lediglich die<br />

objektiven messbaren Arbeitsergebnisse, so genüge er seiner<br />

Darlegungslast, wenn er Tatsachen vortrage, aus denen ersichtlich<br />

sei, dass die Leistung des betreffenden Arbeitnehmers<br />

deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleibe,<br />

also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreite.<br />

Habe der Arbeitgeber vorgetragen, dass die Leistung des Arbeitnehmers<br />

über einen längeren Zeitraum im vorgenannten<br />

Sinne unterdurchschnittlich gewesen seien, sei es im zweiten<br />

Schritt Sache des Arbeitnehmers, darauf zu entgegnen. Er habe<br />

Umstände vorzutragen, aus denen sich ergebe, warum er mit<br />

seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung trotzdem seine<br />

persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe.<br />

Lege der Arbeitnehmer derartige Umstände plausibel dar, müs-


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se der Arbeitgeber sie in einem dritten Schritt widerlegen. Trage<br />

der Arbeitnehmer auf der zweiten Stufe derartige Umstände<br />

allerdings nicht vor, gelte das Vorbringen des Arbeitgebers als<br />

zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Es sei dann davon auszugehen,<br />

dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht<br />

ausschöpfe.<br />

Nach einem Urteil des zweiten Senats des BAGs vom 17.01.2008<br />

sei es bei einer qualitativen Minderleistung nicht ausreichend,<br />

auf die bloße Fehlerhäufigkeit in Bezug auf den Arbeitnehmer zu<br />

verweisen. Absolute Bezugsgrößen ließen außer Acht, dass es<br />

je nach Art der Tätigkeit und der dabei möglicherweise auftretenden<br />

Fehler diesen ein sehr unterschiedliches kündigungsrelevantes<br />

Gewicht beizumessen sei. Über die Berufsbetrachtung<br />

der Fehlerhäufigkeit hinaus sei eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise<br />

unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsanforderung<br />

und der konkreten Gegebenheiten des Arbeitsplatzes<br />

geboten. Die Prüfung habe sich auch hier an dem Maßstab zu<br />

orientieren, ob und ggf. in welchem Umfang das Verhältnis von<br />

Leistung und Gegenleistung beeinträchtigt sei.<br />

Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung sei es<br />

danach Sache des Arbeitgebers, zu den aufgetretenen Leistungsmängeln<br />

dasjenige vorzutragen, was er über die Fehlerzahl,<br />

die Art und Schwere sowie die Folgen der fehlerhaften<br />

Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wissen könne. Könne der<br />

Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die<br />

durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten<br />

beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschreite, so<br />

könne dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer<br />

vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletze. Der Vergleich<br />

durchschnittlicher Fehlerquoten sei jedoch für sich allein noch<br />

keine hinreichende Begründung dafür, dass die fehlerhafte Ar-


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beit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtige.<br />

Hierfür müsse der Arbeitnehmer weitere Umstände<br />

vortragen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, der<br />

Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden<br />

Arbeitnehmers sei näher darzulegen, dass die längerfristige<br />

deutliche Überschreitung der durchschnittlicher Fehlerquote<br />

nach den Gesamtumständen darauf hinweise, dass der<br />

Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletze.<br />

Die vom Arbeitgeber vorgetragenen drei Kassendifferenzen<br />

nach Abmahnung im Jahre 2009 genügten den Anforderungen,<br />

die an den Vortrag des Arbeitnehmers auf der ersten Stufe zu<br />

stellen seien, bereits nicht. Der Arbeitgeber hätte die Zahl der<br />

bei der gekündigten Kassiererin aufgetretenen Beanstandungen<br />

wegen Kassendifferenzen ins Verhältnis zur durchschnittlichen<br />

Beanstandungsquote bei anderen Arbeitnehmern ins Verhältnis<br />

setzen müssen. Unsorgfältiges Arbeiten an der Kasse schlage<br />

sich darin nieder, dass Waren übersehen und nicht registriert<br />

werden oder bei der Geldrückgabe Fehler unterlaufen. Qualitative<br />

Minderleistungen dieser Art seien dadurch gekennzeichnet,<br />

dass sie bei der Kassenabrechnung oder bei Testkäufen „sichtbar“<br />

würden. Ein Vergleich der Arbeitsergebnisse der Klägerin<br />

mit anderen Kassierern und Kassiererinnen sei möglich und für<br />

die Darlegung des Kündigungsgrundes notwendig.<br />

FAZIT:<br />

Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen qualitativer Leistungsmängel<br />

macht nach den in der Entscheidung wiedergegebenen<br />

Anforderungen eine sorgfältige Analyse der Leistung des<br />

Arbeitnehmers durch quantifizierenden Vergleich mit anderen<br />

Arbeitnehmern notwendig. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten,<br />

die in qualitativer Hinsicht maßgebliche „Normalleistung“<br />

zu bestimmen und diese anschließend zu einer qualitativ bestimmten<br />

Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ins Verhältnis zu<br />

setzen, bleibt eine Kündigung wegen Leistungsmängeln ein<br />

kaum zu lösendes Dilemma.


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LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.02.<strong>2010</strong> – 14 Sa 26/09 –<br />

Altersteilzeit im öffentlichen Dienst – Anspruch auf<br />

Blockmodell/Ermessensentscheidung<br />

Die Altersteilzeit im Blockmodell soll Arbeitnehmern faktisch<br />

den vorzeitigen Eintritt in die Rente ermöglichen. Arbeitnehmer<br />

erhalten so die Chance, zunächst in Vollzeit zu einem reduzierten<br />

Lohn zu arbeiten, und anschließend für einen entsprechend<br />

langen Zeitraum gegen Bezahlung freigestellt zu werden.<br />

Um zu verhindern, dass Arbeitgeber durch übermäßige Inanspruchnahme<br />

der Altersteilzeit überfordert werden, wurde die<br />

sog. Überforderungsklausel geschaffen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Altersteilzeitgesetz).<br />

Danach ist die Gewährung von Zuschüssen zur<br />

Altersteilzeit davon abhängig, dass kollektivvertragliche Bestimmungen,<br />

die einem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Übergang<br />

in Altersteilzeit einräumen, diese Rechtsposition nicht mehr als<br />

5 % der Beschäftigten eines Betriebes gewähren.<br />

Das LAG Baden-Württemberg hatte sich zu der Frage zu äußern,<br />

wann die Berufung eines öffentlichen Arbeitgebers gegenüber<br />

dem Altersteilzeitbegehren eines Angestellten nicht zum Erfolg<br />

führt.<br />

SACHVERHALT:<br />

Der Kläger, ein über 60-jähriger Diplom-Chemiker, war als Abteilungsleiter<br />

bei einer von der öffentlichen Hand getragenen<br />

Großforschungseinrichtung in Karlsruhe tätig. Er begehrte den<br />

Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell<br />

für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 31.08.2013. Auf<br />

das Arbeitsverhältnis fand das Tarifrecht des Bundes, somit<br />

auch der Tarifvertrag Altersteilzeit (TV-ATZ) Anwendung.


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Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Kläger sein 60. Lebensjahr<br />

vollendet. Der Arbeitgeber war zur Vereinbarung der<br />

Altersteilzeit bereit, lehnte allerdings das Blockmodell aus personalwirtschaftlichen<br />

Gründen ab. Zum einen verwies der Arbeitgeber<br />

auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums des<br />

Innern vom 08.03.2006, wonach Altersteilzeit zur Vermeidung<br />

von zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushaltes grundsätzlich<br />

nur nach § 3 Abs. 2 lit. b TV-ATZ als Teilzeitmodell bewilligt<br />

werden sollte. Zudem sei man als Forschungseinrichtung<br />

auf den Transfer von Knowhow angewiesen, der allein durch das<br />

Teilzeitmodell gewährleistet sei. Schließlich berief sich der Arbeitgeber<br />

auf die Überforderungsklausel, da bei Antragstellung<br />

die Quote gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 ATZG in Höhe von<br />

5 % bereits überschritten sei.<br />

ENTSCHEIDUNG:<br />

Das LAG Baden-Württemberg entschied im Sinne des Klägers.<br />

Ihm stünde ein Anspruch auf Abschluss des beantragten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses<br />

im Blockmodell zu.<br />

Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus § 2 Abs. 2 TV-ATZ.<br />

Danach haben Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet<br />

haben, eine Beschäftigungszeit von 5 Jahren vollendet und innerhalb<br />

der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit<br />

mind. 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen<br />

Beschäftigung gestanden haben, Anspruch auf Vereinbarung<br />

eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.<br />

Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg könne sich<br />

der Arbeitgeber vorliegend nicht auf die Überschreitung der 5<br />

%-Grenze im Sinne eines Überforderungsschutzes (§ 3 Abs. 1<br />

Nr. 3 Alternative 1 Altersteilzeitgesetz) berufen. Zwar sei die 5


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%-Quote überschritten gewesen. Schließe ein Arbeitnehmer<br />

dessen ungeachtet aber weiterhin Altersteilzeitarbeitsverhältnisse<br />

ab, so handele es sich nach Auffassung des LAG Baden-<br />

Württemberg um freiwillige Leistungen, die unter Beachtung<br />

des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erbringen seien.<br />

Weiter führte das LAG Baden-Württemberg aus, dass dem Anspruch<br />

des Klägers keine dringenden dienstlichen bzw. betrieblichen<br />

Gründe i.S.d. § 2 Abs. 3 TV-ATZ entgegen stünden. Als<br />

derartige Gründe kämen insbesondere die mit der Gewährung<br />

von Altersteilzeit regelmäßig und notwendigerweise verbundenen<br />

finanziellen Belastungen des Arbeitgebers nicht in Betracht.<br />

Finanzielle Belastungen, die über die tariflich vorgeschriebenen<br />

Leistungen des Arbeitgebers hinausgingen, seien nicht ersichtlich.<br />

Des Weiteren habe der Kläger auch Anspruch auf Abschluss<br />

eines Altersteilzeitarbeitsvertrages in Form des Blockmodells.<br />

Die gegenüber dem Teilzeitmodell erhöhte finanzielle Belastung<br />

durch das Blockmodell aufgrund von Rückstellungen und den<br />

Kosten der Insolvenzsicherung seien für die Verteilung der Arbeitszeit<br />

nicht von Bedeutung (im Anschluss an BAG, Urteil vom<br />

23.01.2007 – 9 AZR 393/06 und 9 AZR 624/06).<br />

Schließlich entschied das LAG Baden-Württemberg, dass eine<br />

pauschale Beschränkung auf Altersteilzeitverträge ausschließlich<br />

im Teilzeitmodell eine sachwidrige Gruppenbildung darstelle.<br />

Eine pauschale Handhabung, bei der ohne nähere Prüfung<br />

die Bewilligung von Altersteilzeit im Blockmodell von vornherein<br />

ausscheide, stelle keine dem Maßstab des § 315 BGB entsprechende<br />

Ermessensausübung dar.


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FAZIT:<br />

Vor dem Hintergrund der Verlängerung der Altersteilzeitregelung<br />

von Bund und Kommunen wird das Urteil erhebliche Auswirkungen<br />

in der Praxis haben. Im TV-ATZ ist kein Anspruch eines<br />

Beschäftigten auf ein bestimmtes Arbeitszeitmodell (Blockmodell<br />

oder Teilzeitmodell) während der Altersteilzeitarbeit vorgesehen.<br />

Die Entscheidung des LAG-Baden-Württemberg hat<br />

verdeutlicht, dass ein genereller Ausschluss des Blockmodells<br />

nicht den Anforderungen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung<br />

nach § 315 BGB entspricht. Die Interessenabwägung<br />

muss vielmehr auf den Einzelfall bezogen sein. Öffentlichen<br />

Arbeitgebern ist deshalb zu empfehlen, vor Ablehnung eines<br />

Altersteilzeitgesuchs eine sorgfältige, auf den Einzelfall bezogene<br />

Prüfung unter strikter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes<br />

anzustrengen.


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Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 12.05.<strong>2010</strong> – 20 Ca 2326/09 –<br />

Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung, mit der alle rentennahen<br />

Jahrgänge auf „Kurzarbeit Null“ gesetzt werden, ist wegen Altersdiskriminierung<br />

unzulässig.<br />

Arbeitnehmern, die ggf. nach Arbeitslosengeldbezug nahtlos Altersrente<br />

aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch<br />

nehmen können, wird in Betriebsvereinbarungen häufig eine<br />

Sonderregelung zuteil. Hintergrund solcher Regelungen ist die<br />

Überlegung, dass rentennahe Jahrgänge zur Sicherung ihrer<br />

Existenz nicht mehr im gleichen Maße auf Arbeitseinkommen<br />

angewiesen sind, wie jüngere Arbeitnehmer.<br />

Der Ausschluss rentennaher Jahrgänge von Leistungen des<br />

Arbeitgebers, z. B. Abfindungszahlungen beim Verlust des Arbeitsplatzes,<br />

ist nicht unproblematisch, weil die vorzeitige Inanspruchnahme<br />

von Altersrente regelmäßig zu nicht unerheblichen<br />

Rentenabschlägen führt. Für Sozialpläne hat das BAG entschieden,<br />

dass die Ungleichbehandlung rentennaher Jahrgänge nicht<br />

gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt, weil die<br />

Leistungseinschränkung durch sachliche Gründe gerechtfertigt<br />

sei (BAG, Urteil vom 26. 5. 2009 - 1 AZR 198/08).<br />

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung,<br />

mit der rentennahe Jahrgänge grundsätzlich auf<br />

Kurzarbeit Null gesetzt wurden, für unwirksam gehalten.<br />

SACHVERHALT:<br />

Im Zusammenhang mit umfangreichen Sanierungsmaßnahmen,<br />

die mit einem Interessenausgleich und Sozialplan begleitet<br />

wurden, schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat eine


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Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit im<br />

Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.12.<strong>2010</strong>. Für sämtliche<br />

Arbeitnehmer des Betriebes, die älter als 59 Jahre waren,<br />

galt Kurzarbeit Null. Wie der innerbetrieblichen Kommunikation<br />

zu entnehmen war, sollten ältere Arbeitnehmer nahtlos in<br />

Altersrente gehen. 59-jährige Arbeitnehmer sollten zunächst<br />

18 Monate konjunkturelles Kurzarbeitergeld, dann 12 Monate<br />

Transferkurzarbeitergeld und anschließend 24 Monate<br />

Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen. Ein 59-jähriger Arbeitnehmer<br />

wehrte sich gegen die Regelung und machte Ansprüche<br />

auf seine volle Vergütung aus Annahmeverzug geltend. Er<br />

berief sich u.a. darauf, dass die Regelung zur Einführung der<br />

Kurzarbeit altersdiskriminierend und damit unwirksam sei.<br />

ENTSCHEIDUNG.<br />

Das Arbeitsgericht war der Meinung, dass in Bezug auf die<br />

rentennahen Jahrgänge keine Einführung von Kurzarbeit vorgelegen<br />

habe. Der Betriebsvereinbarung habe ein Konzept<br />

zugrunde gelegen, die älteren Arbeitnehmer nicht wieder in<br />

Arbeit zu bringen. Dies widerspreche Sinn und Zweck der<br />

Kurzarbeit, die auf die Überbrückung eines vorübergehenden<br />

Arbeitsausfalls gerichtet sei.<br />

Für die dauerhafte Verkürzung der Arbeitszeit bestehe kein<br />

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Zif.<br />

3 BetrVG. Da kein Mitbestimmungstatbestand eröffnet sei,<br />

könne die Betriebsvereinbarung keine tragfähige Grundlage<br />

für die eingeführte Kurzarbeit sein.<br />

Unabhängig von dieser Begründung hält das Arbeitsgericht<br />

die Regelung gem. § 7 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen<br />

die Altersdiskriminierung für unwirksam. Die Einbeziehung al-


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ler Mitarbeiter sog. rentennaher Jahrgänge eines Betriebes in<br />

die Kurzarbeit Null nur wegen einer (vermeintlichen) Möglichkeit,<br />

über die Aneinanderreihung von Kurzarbeitergeld, Transferkurzarbeitergeld<br />

und Arbeitslosengeld einen (vorgezogenen)<br />

Renteneintritt zu erreichen, sei eine unzulässige Benachteiligung<br />

wegen des Alters. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung<br />

sei deshalb gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Regelung<br />

umgehe den gesetzlichen Kündigungsschutz der betroffenen Arbeitnehmer.<br />

FAZIT:<br />

Die Entscheidung ist in beiden Begründungsansätzen mit Zweifeln<br />

behaftet. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung sollte das<br />

der Betriebsvereinbarung zugrunde liegende Sanierungskonzept<br />

eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand für ältere<br />

Mitarbeiter nicht vorschnell verworfen werden.<br />

Richtig ist, dass durch Betriebsvereinbarung wegen des Tarifvorbehalts<br />

(§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) wirksam keine dauerhafte<br />

Verkürzung der Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen<br />

des Betriebes vereinbart werden kann. Das<br />

ist aber auch für die 59- jährigen Arbeitnehmer nicht der Fall,<br />

weil die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Beendigung der<br />

Kurzarbeit nicht feststeht, sondern erst vom Abschluss eines<br />

dreiseitigen Vertrages zum Übertritt in die Transfergesellschaft<br />

abhängt. Die Regelungskompetenz zur Einführung von Kurzarbeit<br />

kann den Betriebsparteien m.E. auch dann nicht abgesprochen<br />

werden, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

nach Kurzarbeit zwar nicht bezweckt, aber ohne eine gesondert<br />

zu vereinbarende Vertragsauflösung Folge der rechtlich lediglich<br />

vorrübergehend verkürzten Herabsetzung der Arbeitszeit ist.<br />

Eine unzulässige Altersdiskriminierung liegt m.E. nicht vor, weil


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die durch die Regelung hervorgerufene Ungleichbehandlung<br />

der Jahrgänge über 59 sachlich gerechtfertigt ist. Der Abwägungsvorgang<br />

ist nicht grundlegend anders als bei Sozialplänen,<br />

die bei meiner Ansicht nach Abfindungszahlungen jüngere<br />

Arbeitnehmer gegenüber älteren Arbeitnehmern begünstigen,<br />

weil rentennahe Jahrgänge über Arbeitslosen- und Rentenversicherung<br />

eine Versorgungsgewähr haben. Für jüngere Arbeitnehmer<br />

ist eine vergleichbare Brücke nicht möglich.<br />

Eine Umgehung des Kündigungsschutzes liegt nach meinem<br />

Dafürhlalten ebenfalls nicht vor, solange der Arbeitnehmer frei<br />

entscheiden kann, ob er sein Arbeitsverhältnis durch einen<br />

Wechsel in die Transfergesellschaft beenden oder nach Auslaufen<br />

der Kurzarbeit fortsetzten will.<br />

Das der Entscheidung zugrunde liegende Sanierungskonzept ist<br />

bei einem drastischen Restrukturierungsbedarf interessant. Es<br />

bleibt abzuwarten, wie die Obergerichte entscheiden werden.


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Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18.02.<strong>2010</strong> – 38 Ca 12879/09 –<br />

Die verhaltensbedingte Kündigung der Leiterin<br />

Korruptionsbekämpfung und Ermittlungen der DB AG ist unwirksam<br />

Der sog. Datenskandal bei der Deutschen Bahn AG hat hohe<br />

Wellen geschlagen. Durch Medienberichte war ins Licht der Öffentlichkeit<br />

gerückt worden, dass die Deutsche Bahn AG Adressund<br />

Kontodaten ihrer Mitarbeiter in einer Art Rasterfahndung<br />

abgeglichen hatte, um Verdachtsfälle von Korruption aufzuspüren.<br />

Der Vorstandsvorsitzende Mehdorn musste seinerzeit nicht<br />

zuletzt wegen der Auswirkungen dieses Datenskandals seinen<br />

Vorstandsposten räumen. Das Arbeitsgericht Berlin hatte sich<br />

bei der Überprüfung einer Kündigung auch mit der Frage zu<br />

befassen, ob die Veranlassung von dieser Datenabgleichung<br />

durch einen verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bahn<br />

vorwerfbar war.<br />

SACHVERHALT:<br />

Die gekündigte Mitarbeiterin war bei der Deutschen Bahn AG innerhalb<br />

des Vorstandsresorts „Compliance“ für die nationalen<br />

Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung zuständig. Die Mitarbeiterin<br />

hatte im Rahmen ihrer Funktion einen externen Dienstleister<br />

mit der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen<br />

beauftragt. Bestandteil dieser Überwachungsmaßnahmen war<br />

u.a. ein breit angelegter Datenabgleich u.a. auch von Arbeitnehmerdaten,<br />

insbesondere Adressdaten und Kontodaten. Im<br />

Zuge der Datenschutzaffäre bei der Deutschen Bahn AG kam es<br />

auch zu Vorwürfen seitens der Deutschen Bahn AG gegenüber<br />

der Mitarbeiterin, nachdem ein Zwischenbericht zur Überprüfung<br />

der Ordnungsgemäßheit von Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung<br />

zu dem Ergebnis gekommen war, dass Verstöße


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gegen straf- und datenschutzrechtliche Bestimmungen durch<br />

die Überwachungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden<br />

konnten. In einer daraufhin eingeleiteten Sonderuntersuchung<br />

legte die Mitarbeiterin einen umfassenden Bericht über die unter<br />

ihrer Verantwortung eingeleiteten Überwachungsmaßnahmen<br />

vor. Die Deutsche Bahn AG stellte sie daraufhin von der Arbeit<br />

frei und kündigte das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt.<br />

ENTSCHEIDUNG:<br />

Das Arbeitsgericht hatte zu prüfen, ob die Mitarbeiterin durch<br />

die Veranlassung der Überwachungsmaßnahmen objektiv<br />

rechtswidrig gehandelt hatte und sie subjektiv die Rechtswidrigkeit<br />

der Maßnahmen auch gekannt hat. Obwohl dem Gericht<br />

die von der Deutschen Bahn AG veranlassten Prüfberichte vorlagen,<br />

hat das Arbeitsgericht Berlin beides verneint.<br />

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Korruption oder<br />

Wirtschaftsstraftaten in Unternehmen könne es in Einzelfällen<br />

auch erforderlich sein, personenbezogene Daten abzugleichen.<br />

Scheingeschäfte würden häufig über nahe Angehörige<br />

abgewickelt. Um ein derartiges Muster abzufragen, dränge es<br />

sich auf, Kontonummer und Wohnanschrift der eigenen Mitarbeiter<br />

mit denen der Lieferanten abzugleichen. Ein derartiger<br />

Datenabgleich könne allenfalls dann problematisch sein, wenn<br />

auch Daten ausgewertet wurden, die das Unternehmen nicht<br />

oder nicht zu diesem Zweck verwenden dürfe. Das könnte bei<br />

Kommunikationsdaten der Fall sein, wenn den Mitarbeitern die<br />

private Nutzung der Telekommunikationseinrichtungen des Unternehmens<br />

erlaubt sei. Ließen sich private Gespräche oder die<br />

private Nutzung von E-Mails nicht eindeutig von den geschäftlichen<br />

trennen (z. B., indem eine getrennte Vorwahl für die Amtsleitung<br />

zu verwenden ist oder die private Nutzung generell ver-


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boten ist), könne eine Überprüfung solcher Daten rechtswidrig<br />

und ggf. gem. § 206 StGB strafbar sein.<br />

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin ist im Umkehrschluss<br />

eine Rechtswidrigkeit außerhalb der Anwendung des<br />

Telekommunikationsgesetzes nicht festzustellen. Dürfen die<br />

Telekommunikationseinrichtungen des Unternehmens, wie Intranet,<br />

Internet und E-Mailadresse, nicht privat genutzt werden<br />

oder wird durch technische Maßnahmen sichergestellt, dass<br />

nur dienstlich erhobene Daten überprüft werden, ist also eine<br />

Überwachung auch durch den Abgleich personenbezogener<br />

Daten zur Aufdeckung von Korruptionsfällen nach Meinung des<br />

Arbeitsgerichts Berlin rechtlich zulässig.<br />

Es liege auch kein Verstoß gegen das Datenschutzrecht vor.<br />

Personenbezogene Daten seien nur solche, die Einzelangaben<br />

über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten<br />

oder bestimmbaren natürlichen Person enthielten. Es müsse<br />

sich um Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse<br />

einer Person handeln. Eine Vielzahl analytischer Prüfungshandlungen<br />

unterliege damit nicht dem Bundesdatenschutzgesetz,<br />

da es sich insoweit nur um die Auswertung von Transaktionsdaten<br />

handele. Aber selbst ein Abgleich personenbezogener Daten<br />

sei nicht rechtswidrig, da die Aufdeckung eines Korruptionstatbestandes<br />

auch den Abgleich personenbezogener Daten rechtfertigen<br />

könne. Im Fall der Deutschen Bahn AG sei kein Fall ersichtlich,<br />

bei dem die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer<br />

gegenüber dem Interesse der Deutschen Bahn, die Korruption<br />

zu bekämpfen, als schutzwürdig anzusehen seien. Abgesehen<br />

davon, dürften zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene<br />

Daten eines Beschäftigten erhoben, verarbeitet oder genutzt<br />

werden, wenn tatsächlich Anhaltspunkte den Verdacht begründen,<br />

dass der Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine


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Straftat begangen hat und die Datenverarbeitung erforderlich<br />

und verhältnismäßig ist. Dieser Erlaubnistatbestand sei durch<br />

den neuen § 32 Bundesdatenschutzgesetz ausdrücklich gesetzlich<br />

normiert.<br />

FAZIT:<br />

Die Entscheidung gibt Arbeitgebern Rückendeckung, die zur<br />

Aufdeckung von Missbrauchsfällen u.a. auf die in ihrem EDV-<br />

System gespeicherten Stammdaten ihrer Arbeitnehmer zugreifen<br />

wollen. Die Nutzung dieser Daten für Überwachungszwecke<br />

ist nach dieser Entscheidung unter bestimmten Umständen keineswegs<br />

rechtswidrig. In Betrieben mit Betriebsrat unterliegt die<br />

Verarbeitung personenbezogener Daten gem. § 87 Zif. 6 BetrVG<br />

dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Datenabgleiche<br />

bedürfen dann in jedem Fall einer Betriebsvereinbarung.


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Rechtsanwalt Klaus Thomas <strong>Thomsen</strong>

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