Aktuelles - AusgAbe Juni 2010 - Thomsen Rechtsanwälte
Aktuelles - AusgAbe Juni 2010 - Thomsen Rechtsanwälte
Aktuelles - AusgAbe Juni 2010 - Thomsen Rechtsanwälte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 1<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
<strong>Aktuelles</strong> - Ausgabe <strong>Juni</strong> <strong>2010</strong><br />
INHALT:<br />
Kurzarbeitergeld -<br />
Beschluss der Bundesregierung<br />
BAG, Urteil vom 10.06.<strong>2010</strong> – 2 AZR 541/09 –<br />
Verhaltensbedingte Kündigung wegen Unterschlagung<br />
geringwertiger Sachen – Emmely<br />
BAG, Urteil vom 19.05.<strong>2010</strong> – 4 AZR 796/08 –<br />
Bezugnahme auf BAT in der jeweils gültigen Fassung<br />
BAG, Beschluss vom 19.01.<strong>2010</strong> – 1 ABR 62/08 –<br />
Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit dem Betriebsrat<br />
zur Sanktion von Mitbestimmungsverstößen ist unwirksam<br />
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.<strong>2010</strong> – 6 Sa 399/09 –<br />
Kündigung wegen qualitativer Minderleistung einer Kassiererin<br />
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.02.<strong>2010</strong> – 14 Sa 26/09 –<br />
Altersteilzeit im öffentlichen Dienst – Anspruch auf<br />
Blockmodell/Ermessensentscheidung<br />
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 12.05.<strong>2010</strong> – 20 Ca 2326/09 –<br />
Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung, mit der alle<br />
rentennahen Jahrgänge auf „Kurzarbeit Null“ gesetzt werden, ist<br />
wegen Altersdiskriminierung unzulässig.<br />
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18.02.<strong>2010</strong> – 38 Ca 12879/09 –<br />
Die verhaltensbedingte Kündigung der Leiterin<br />
Korruptionsbekämpfung und Ermittlungen der DB AG ist unwirksam
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 2<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Kurzarbeitergeld –<br />
Beschluss der Bundesregierung<br />
Die in der Wirtschaftskrise eingeführten Sonderregelungen über<br />
Kurzarbeit werden bis März 2012 verlängert.<br />
Nach einer im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise eingeführten<br />
Sonderregelung zahlt die Bundesagentur für Arbeit<br />
nicht nur Kurzarbeitergeld für nicht geleistete Arbeitszeit, sondern<br />
in den ersten sechs Monaten auch die Hälfte der Arbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung und ab dem siebten Monat<br />
die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung insgesamt. Wird<br />
die Kurzarbeit für Schulungsmaßnahmen genutzt, erstattet die<br />
Agentur für Arbeit die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />
ebenfalls in voller Höhe.<br />
Das Kurzarbeitergeld ist eine Lohnersatzleistung und als solche<br />
für den betroffenen Arbeitnehmer nicht steuerpflichtig. Bezieht<br />
der Arbeitnehmer aber neben Kurzarbeitergeld anderweitig<br />
steuerpflichtiges Einkommen, wird auch das Kurzarbeitergeld<br />
zur Ermittlung seines persönlichen Steuersatzes herangezogen,<br />
sodass die Steuerlast auf das steuerpflichtige Einkommen<br />
steigt.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 3<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
BAG, Urteil vom 10.06.<strong>2010</strong> – 2 AZR 541/09 –<br />
Verhaltensbedingte Kündigung wegen Unterschlagung<br />
geringwertiger Sachen – Emmely<br />
Die Kündigung langjährig beschäftigter Arbeitnehmer Diebstahls<br />
oder Unterschlagung hat in den letzten Monaten ein großes Medieninteresse<br />
auf sich gezogen. Neben dem Maultaschenfall,<br />
der zwischenzeitlich verglichen wurde, dem Kinderwagenfall,<br />
bei dem ein Arbeitnehmer einen bereits im Schrott entsorgten<br />
Kinderwagen an sich genommen hatte, fiel das Medieninteresse<br />
ganz besonders auf den Fall Emmely. Die Vorinstanzen hatten<br />
die Kündigung wegen zweier Pfandmarken für gerechtfertigt<br />
gehalten. Das BAG hatte die Revision nach Nichtzulassungsbeschwerde<br />
angenommen. Inzwischen hat das BAG entschieden.<br />
SACHVERHALT:<br />
Die bei Tengelmann beschäftigte Kassiererin, die auf eine Betriebszugehörigkeit<br />
von mehr als 30 Jahren zurückblicken konnte,<br />
ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen, löste zwei<br />
Pfandmarken im Gesamtwert von 1,30 € ein. Der Arbeitgeber<br />
kündigte daraufhin fristlos, hilfsweise ordentlich.<br />
Das BAG bestätigte, dass grundsätzlich ein vorsätzlicher Verstoß<br />
des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine<br />
fristlose Kündigung auch dann rechtfertige, wenn der wirtschaftliche<br />
Schaden für den Arbeitgeber gering sei. Allerdings<br />
stelle nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen<br />
des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne weiteres<br />
einen Kündigungsgrund dar. Das Gesetz kenne aber keine<br />
„absoluten Kündigungsgründe“. Es komme vielmehr immer auf<br />
alle Umstände des Einzelfalles an, die im Rahmen einer Interessenabwägung<br />
zu berücksichtigen seien. In die Beurteilung
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 4<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
sei insbesondere einzustellen, dass das Maß des beim Arbeitgeber<br />
beschädigten Vertrauens, das Interesse des Arbeitgebers<br />
an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, die<br />
wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes und zugunsten<br />
des Arbeitnehmers sein „Vertrauenskapital“, das er in der Zeit<br />
seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworben habe. Diese<br />
Kriterien seien nicht abschließend. Insgesamt müsse sich die<br />
sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene<br />
Reaktion auf die eingetragene Vertragsstörung erweisen. Auch<br />
im Falle einer Vertragsverletzung im Vertrauensbereich könne<br />
unter Umständen die Abmahnung als milderes Mittel ausreichen,<br />
um das für die Fortsetzung des Vertrags notwendige Vertrauen<br />
in die Redlichkeit des Arbeitnehmers wieder herzustellen.<br />
Das BAG hat Emmely zugute gehalten, dass es sich um einen<br />
atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt gehandelt<br />
habe, durch den das für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses<br />
notwendige Vertrauen noch nicht vollständig zerstört worden<br />
sei. Im Rahmen der Gesamtabwägung sei der vergleichsweise<br />
geringfügige wirtschaftliche Schaden des Arbeitgebers zu berücksichtigen.<br />
Letztlich überwögen die zugunsten von Emmely<br />
in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Eine Abmahnung<br />
wäre als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen<br />
und ausreichend gewesen, um einen künftig wieder<br />
störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.<br />
FAZIT:<br />
Das BAG hat die Gelegenheit genutzt, um seine Rechtsprechung<br />
zu sog. Bagatellkündigungen klarzustellen. Das Urteil des BAG<br />
mit Tatbestand und Entscheidungsgründen liegt noch nicht vor.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 5<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
BAG, Urteil vom 19.05.<strong>2010</strong> – 4 AZR 796/08 –<br />
Bezugnahme auf BAT in der jeweils gültigen Fassung<br />
In Arbeitsverträgen wurde in Jahrzehnten zur Regelung der Arbeitsvertragsbedingungen<br />
auf den BAT in der jeweils gültigen<br />
Fassung verwiesen. Mit der Ablösung des BAT durch den TV-L,<br />
den TVöD oder einen anderen für den Bereich des öffentlichen<br />
Dienstes anwendbaren Tarifvertrag stellt sich die Frage, wie diese<br />
Bezugnahmeklausel heute zu verstehen ist.<br />
SACHVERHALT:<br />
Der Arbeitnehmer ist bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber<br />
beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wird auf die Bestimmungen<br />
des jeweils gültigen BAT verwiesen. Der Hinweis, dass auch die<br />
Tarifverträge zur Anwendung kommen, die den BAT ersetzen,<br />
fehlt. Der Arbeitgeber wandte auch nach Inkrafttreten des Tarifvertrages<br />
für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der im<br />
Falle eine Tarifbindung einschlägig gewesen wäre, weiterhin die<br />
Bestimmungen des BAT an. Der Arbeitnehmer wollte festgestellt<br />
wissen, dass auf sein Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag TV-L zur<br />
Anwendung kommt.<br />
ENTSCHEIDUNG:<br />
Die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel sei zeitdynamisch (in<br />
der jeweils gültigen Fassung) ausgestaltet. Sie erfasse aber<br />
nicht die Nachfolgeverträge des BAT. Insoweit fehle es an einer<br />
ausdrücklichen Verweisung für den Fall, dass der BAT durch<br />
einen anderen im Tarifvertrag zur Anwendung kommenden Tarifvertrag<br />
ersetzt werde. Dennoch lasse sich insgesamt aus der<br />
Bezugnahmeklausel schließen, dass die Arbeitsvertragsparteien<br />
das Arbeitsverhältnis dynamisch an der Tarifentwicklung des
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 6<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
öffentlichen Dienstes ausrichten wollten. Damit entspräche die<br />
statische Weitergeltung des BAT mit seinen Normen aus dem<br />
Jahre 2003 nicht dem Sinn und Zweck der Bezugnahme und<br />
den Interessen der Parteien. Die Klausel sei daher mit Inkrafttreten<br />
des TV-L lückenhaft geworden. Im Wege der ergänzenden<br />
Vertragsauslegung sei davon auszugehen, dass nach dem Willen<br />
der Parteien auf das Arbeitsverhältnis diejenigen Tarifregelungen,<br />
die den BAT ersetzten, Anwendung finden sollten. Das<br />
sei den Umständen nach der TV-L, da die Arbeitgeberin ihren<br />
Sitz in Hamburg habe und kein Grund ersichtlich sei, weshalb<br />
sie ihre Arbeitsverhältnisse am Tarifrecht des Bundes oder der<br />
Kommunen orientieren sollte.<br />
FAZIT:<br />
Die Entscheidung ist keine Selbstverständlichkeit. Der Arbeitgeber<br />
selbst hatte keine Veranlassung gesehen, mit der Ablösung<br />
des BAT durch andere Tarifverträge des öffentlichen Dienstes<br />
von den in seinen Betrieben überkommenden Regelungen des<br />
BAT abzuweichen. Es bestanden für das Unternehmen möglicherweise<br />
auch gute Gründe, den TV-L nicht anzuwenden. Ein<br />
Tarifwechsel ist für den Arbeitgeber mit einem nicht unerheblichen<br />
Anpassungsaufwand verbunden.<br />
Arbeitgeber, die ganz bewusst im Falle der Ablösung nicht vorbehaltlos<br />
einen ersetzenden Tarifvertrag zur Anwendung bringen<br />
wollen, müssen nach dieser Entscheidung ihre Bezugnahmeklausel<br />
klarstellen, z.B. mit der Formulierung: „Es gilt der<br />
Tarifvertrag … in der jeweils gültigen Fassung. Die Geltung eines<br />
diesen ersetzenden Tarifvertrages bedarf der gesonderten<br />
Vereinbarung“.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 7<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
BAG, Beschluss vom 19.01.<strong>2010</strong> – 1 ABR 62/08 –<br />
Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit dem Betriebsrat<br />
zur Sanktion von Mitbestimmungsverstößen ist unwirksam<br />
Der Betriebsrat hat zur Wahrung seiner Mitbestimmungsrechte<br />
nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zwar einen Beseitigungsanspruch<br />
nach § 101 BetrVG, aber keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch.<br />
Erst grobe Verstöße des Arbeitgebers gegen die<br />
Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG verschaffen dem Betriebsrat<br />
den gesetzlich ausgestalteten Unterlassungsanspruch nach<br />
§ 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Die Voraussetzungen hierfür liegen<br />
nur in Extremfällen vor. Einen allgemeinen Unterlassungsanspruch<br />
im Rahmen des § 99 Abs. 1 BetrVG hatte das BAG mit<br />
seiner grundlegenden Entscheidung vom 23.06.2009 – 1 ABR<br />
23/08 - abgelehnt. Die vorliegende Entscheidung betrifft ein<br />
vereinbartes Unterlassungsgebot.<br />
SACHVERHALT:<br />
Der Arbeitgeber hatte sich durch gerichtlichen Vergleich verpflichtet,<br />
keine Einstellungen und Versetzungen i.S.d. § 99 BetrVG<br />
vorzunehmen, solange die Zustimmung des Betriebsrats<br />
nicht erteilt oder das Arbeitsgericht die Zustimmung ersetzt hat<br />
oder wegen Dringlichkeit das Verfahren nach § 100 BetrVG (vorläufige<br />
personelle Maßnahme) durchgeführt wird. Als Sanktion<br />
für Zuwiderhandlungen gegen diese Unterlassungsverpflichtung<br />
war vereinbart, dass der Arbeitgeber bei jedem Verstoß im Rahmen<br />
einer Einstellung oder Versetzung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG<br />
ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 € an den DRK Kreisverband<br />
zahlt.<br />
Nach Abschluss des Vergleichs kam es erneut zu Streitigkeiten<br />
über die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates bei ei-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 8<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
ner Versetzung. Der Betriebsrat verlangte die Zahlung des Ordnungsgeldes.<br />
Der Arbeitgeber weigerte sich. Die Vorinstanzen<br />
haben den Anspruch auf Zahlung des Ordnungsgeldes für begründet<br />
gehalten. Das BAG hat auf die Rechtsbeschwerde des<br />
Arbeitgebers den zur Zahlung des Ordnungsgeldes verpflichtenden<br />
Beschluss aufgehoben.<br />
ENTSCHEIDUNG:<br />
Der Betriebsrat könne aus der Vertragsstrafenvereinbarung keine<br />
Rechte herleiten. Sie sei mit zwingenden Grundsätzen des<br />
Betriebsverfassungsgesetzes nicht zu vereinbaren.<br />
Das Betriebsverfassungsgesetz weise dem Betriebsrat die Aufgabe<br />
zu, auf die Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Ordnung hinzuwirken. Dazu könne der Betriebsrat vom Arbeitgeber<br />
nur unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen ein<br />
Unterlassen eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens fordern.<br />
Der gesetzliche Unterlassungsanspruch des Betriebsrates sei je<br />
nach Gegenstand und Regelungsgehalt des Mitbestimmungsrechts<br />
von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Er<br />
sei aber stets darauf gerichtet, dass der Arbeitgeber für die<br />
Zukunft auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats achte<br />
und die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung einhalte. Der<br />
Betriebsrat habe im Falle der Zuwiderhandlung gegen Mitbestimmungsrechte<br />
einen Anspruch auf Wiederherstellung der<br />
betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Dementsprechend<br />
könne der Betriebsrat die Beseitigung eines vom Arbeitgeber<br />
geschaffenen rechtswidrigen Zustandes verlangen. Dies gelte<br />
ganz besonders für die Sicherung der Beteiligungsrechte des<br />
Betriebsrates in personellen Angelegenheiten. Bei personellen<br />
Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG, deren vorläufige Durchführung<br />
vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens dem Arbeitgeber nur
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 9<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG gestattet sei, solle<br />
der Betriebsrat den Arbeitgeber daran hindern können, vor<br />
der Durchführung des Zustimmungs- oder Zustimmungsersetzungsverfahrens<br />
vollendete Tatsachen zu schaffen. Dazu habe<br />
ihm der Gesetzgeber mit § 101 BetrVG einen Anspruch auf Beseitigung<br />
des durch einseitiges Handeln beigeführten betriebsverfassungswidrigen<br />
Zustandes zur Verfügung gestellt, wenn er<br />
personelle Maßnahmen i.S.d. § 99 BetrVG ohne Zustimmung<br />
des Betriebsrates oder unter Missachtung des Verfahrens nach<br />
§ 100 BetrVG durchführe.<br />
Das Betriebsverfassungsgesetz verlange vom Betriebsrat aber<br />
nicht, bei jedwedem mitbestimmungswidrigen Verhalten des<br />
Arbeitgebers einzugreifen. Es stehe vielmehr in seinem pflichtgemäßen<br />
Ermessen, ob er die Herstellung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Ordnung durchsetzen möchte. Ggf. stünde<br />
ihm die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur<br />
Verfügung, in dem er seine Ansprüche geltend machen und im<br />
Wege der Zwangsvollstreckung auch durchsetzen könne. Komme<br />
der Arbeitgeber einer gerichtlichen Anordnung nicht nach,<br />
könne der Betriebsrat den Arbeitgeber durch Ordnungs- oder<br />
Zwangsgeld zu einem gesetzeskonformen Verhalten durch das<br />
Gericht anhalten. Die Bemessung des Zwangsgeldes nach Art,<br />
Umfang und Dauer des dem Arbeitgeber zur Last gelegten Verstoßes,<br />
dem Verschuldensgrad und dem Vorteil, den der Arbeitgeber<br />
aus der Nichtbeachtung des gerichtlichen Gebotes<br />
zieht, obliege dem Arbeitsgericht. Das verhängte Zwangs- oder<br />
Ordnungsgeld verfalle dem Staat. Dadurch sei gewährleistet,<br />
dass die Wiederherstellung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Ordnung durch den Betriebsrat ausschließlich im Interesse der<br />
von ihm vertretenen Arbeitnehmer und unabhängig von sachfremden<br />
Erwägungen geschehe. Dieses Verfahren sichere auch<br />
die äußere Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrates.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 10<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Im Gegensatz dazu ziele das Vertragsstrafeversprechen nicht<br />
auf die Wiederherstellung eines betriebsverfassungsgemäßen<br />
Zustandes, sondern habe reinen Strafcharakter. Anders als das<br />
nach § 101 Satz 2 und 3 BetrVG vom Arbeitsgericht festzusetzende<br />
Zwangsgeld, sei das Bußgeld nicht geeignet und auch<br />
nicht darauf gerichtet, einen betriebsverfassungswidrigen Zustand<br />
zu beseitigen. Das vereinbarte Ordnungsgeld sei Strafe<br />
und werde einmalig fällig. Das Zwangsgeld nach § 101 Satz 3<br />
BetrVG sei dagegen für jeden Tag der Zuwiderhandlung mit dem<br />
Ziel festzusetzen, den Arbeitgeber anzuhalten, die mitbestimmungswidrig<br />
durchgeführte personelle Maßnahme jedenfalls<br />
für die Zukunft aufzuheben.<br />
Mit dem Vertragsstrafeversprechen werde auch nicht der Intention<br />
des Gesetzgebers entsprochen, die Herstellung eines betriebsverfassungsgemäßen<br />
Zustandes durch den Betriebsrat zu<br />
fördern. Das Vertragsstrafeversprechen in der vorliegenden Art<br />
führe typischerweise dazu, dass sich der Betriebsrat bei einem<br />
mitbestimmungswidrigen Verhalten des Arbeitgebers mit der<br />
Geltendmachung der Vertragsstrafe begnüge und von der Einleitung<br />
eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Wiederherstellung<br />
der betriebsverfassungsgemäßen Ordnung absehe. Wegen<br />
der begrenzten und im Vorhinein feststehenden Höhe des<br />
Ordnungsgeldes könne der Arbeitgeber kalkulieren, ob er sich<br />
gewissermaßen den Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte<br />
leisten könne. Das komme einem „Abkauf“ gesetzlicher Rechte<br />
gleich und sei mit der gesetzlichen Konzeption der betrieblichen<br />
Mitbestimmung auch dann schlechterdings unvereinbar, wenn<br />
der Betriebsrat keinen finanziellen Vorteil aus der Verwirkung<br />
der Vertragsstrafe zu erwarten habe.<br />
Weil die verwirkte Vertragsstrafe einem begünstigten Dritten<br />
zufließe, könne der Eindruck entstehen, der Betriebsrat mache
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 11<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
die Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte von sachfremden<br />
Erwägungen abhängig, um dem begünstigten Dritten einen<br />
Vorteil zu schaffen. Dies gefährde die äußere Unabhängigkeit<br />
des Betriebsrates. Das dem Staat anfallende Ordnungs- bzw.<br />
Zwangsgeld könne diese Besorgnis nicht auslösen.<br />
FAZIT:<br />
Die Entscheidung ist interessant, weil die Bindung des Betriebsrates<br />
an die gesetzlich vorgegebene betriebsverfassungsrechtliche<br />
Ordnung auch dann zu beachten ist, wenn sich der Arbeitgeber<br />
freiwillig im Wege der Vereinbarung auf eine abweichende<br />
Regelung eingelassen hat. Vereinbarungen von Geldzahlungen<br />
unmittelbar an den Betriebsrat sind bereits wegen der fehlenden<br />
Vermögensfähigkeit des Betriebsrats grundsätzlich unzulässig.<br />
Ausgeschlossen sind aber nach dieser Entscheidung<br />
auch Strafzahlungen an Dritte, wenn die Betriebsverfassung ein<br />
anderes Sanktionssystem bereit hält. Bemerkenswert sind die<br />
Ausführungen zur sog. äußeren Unabhängigkeit des Betriebsrates.<br />
Der Betriebsrat darf sich durch sein Handeln nicht dem<br />
Vorwurf aussetzen, er habe sich bei seinen Entscheidungen von<br />
sachfremden Erwägungen leiten lassen.<br />
In den Fällen, in denen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats<br />
im Zusammenhang mit einer Einstellung oder Versetzung zweifelhaft<br />
ist, schlägt das Bundesarbeitsgericht dem Betriebsrat<br />
vor, sein Beteiligungsrecht gem. § 256 Abs. 1 ZPO feststellen zu<br />
lassen. Drohten anschließend weitere Verstöße, könne der Betriebsrat<br />
nach § 23 Abs. 3 BetrVG vorgehen. In der Missachtung<br />
eines gerichtlich festgestellten Rechts des Betriebsrates liege<br />
regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Der<br />
Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG werde durch<br />
den Beseitigungsanspruch nach § 101 BetrVG nicht verdrängt.<br />
Die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags ist m.E. diskussionswürdig.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 12<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.02.<strong>2010</strong> – 6 Sa 399/09 –<br />
Kündigung wegen qualitativer Minderleistung einer Kassiererin<br />
Die Kündigung von sog. „Low-Performern“ ist ein viel behandeltes<br />
Thema in der arbeitsrechtlichen Praxis. Die Schwierigkeit<br />
in diesen Fällen besteht darin, die für Arbeitskollegen und<br />
Vorgesetzten mit Händen zu greifende Leistungsminderung des<br />
Arbeitnehmers kündigungsrechtlich verwertbar zu machen. Das<br />
LAG Schleswig-Holstein hat die Anforderungen im Fall einer gekündigten<br />
Kassiererin nochmals dargelegt.<br />
SACHVERHALT:<br />
Nach Feststellung wiederholter Kassendifferenzen sprach der<br />
Arbeitgeber gegenüber einer Kassiererin eine ordentliche verhaltensbedingte<br />
Kündigung aus. Die Kassiererin hatte in den<br />
Jahren 2002 und 2008 an einer Kassenschulung teilgenommen.<br />
Der Arbeitgeber hatte in den Jahren 2007 und 2008<br />
jeweils drei Abmahnungen ausgesprochen. Am 22.01.2009<br />
war es zu einer Plusdifferenz in Höhe von 39,69 € und am<br />
19.03.2009 zu einer Minusdifferenz von 99.99 € gekommen<br />
sowie am 27.03.2009 zu einer Minusdifferenz von 20,00 €.<br />
Danach kündigte der Arbeitgeber.<br />
Das Arbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage der Kassiererin<br />
abgewiesen. Das LAG Schleswig-Holstein hat auf die<br />
Berufung der Kassiererin die Kündigung für rechtswirksunam<br />
erklärt.<br />
ENTSCHEIDUNG:<br />
Der Vorwurf, die Kassiererin habe wiederholt Kassenfehlbestände<br />
zu verantworten, sei den verhaltensbedingten und nicht
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 13<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
den personenbedingten Kündigungsgründen zuzurechnen. Der<br />
Arbeitnehmer, der trotz angemessener Bemühungen nicht die<br />
Normalleistung erbringe, verstoße nicht gegen den Vertrag,<br />
sondern unterschreite die berechtigte Erwartung des Arbeitgebers,<br />
dass Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis in<br />
einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Verhaltensbedingt sei<br />
der Kündigungsgrund, wenn der Arbeitnehmer seine mangelnde<br />
Leistung steuern könne. Die verhaltensbedingte Kündigung<br />
setze regelmäßig eine vorherige erfolglose Abmahnung voraus.<br />
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des zweiten Senats<br />
des BAG bestätigt das Gericht, dass Schlechtleistungen eines<br />
Arbeitnehmers, die auf Pflichtverletzungen beruhen, grundsätzlich<br />
geeignet sind, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen<br />
(BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02 – AP Kündigungsschutzgesetz<br />
1969 § 23 Nr. 33).<br />
Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen sei, beurteile<br />
sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Sei die Arbeitsleistung<br />
im Vertrag, der Menge und der Qualität nach nicht<br />
näher beschrieben, so richte sich der Inhalt des Leistungsversprechens<br />
zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung<br />
des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und<br />
zum anderen nach dem persönlichen subjektiven Leistungsvermögen<br />
des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer müsse tun, was<br />
er soll, und zwar so gut, wie er könne. Die Leistungspflicht sei<br />
nicht statisch, sondern dynamisch und orientiere sich an der<br />
Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Diese Grundsätze seien<br />
allerdings nicht dahin misszuverstehen, dass der Arbeitnehmer<br />
seine Arbeitspflicht selbst bestimmen könne. Der Arbeitnehmer<br />
dürfe das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht einseitig<br />
nach seinem Belieben festlegen. Er müsse vielmehr unter<br />
angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfä-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 14<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
higkeit arbeiten.<br />
Ob der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe,<br />
sei für den Arbeitgeber anhand objektivierbarer Kriterien<br />
nicht immer erkennbar. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer<br />
unterdurchschnittliche Leistungen erbringe, bedeute<br />
nicht zwangsläufig, dass er seine persönliche Leistungsfähigkeit<br />
nicht ausschöpfe. Auf der anderen Seite sei das deutliche und<br />
längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern<br />
erreichten Mittelwerts oft der einzige für den Arbeitgeber<br />
erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende<br />
Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpfe, die mit zumutbaren<br />
Anstrengungen nutzbar wären. Bei der Überprüfung<br />
des Kündigungsgrundes wegen Schlechtleistung gelte daher<br />
eine abgestufte Darlegungslast.<br />
Zunächst sei es Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln<br />
vorzutragen, was er wissen könne. Kenne er lediglich die<br />
objektiven messbaren Arbeitsergebnisse, so genüge er seiner<br />
Darlegungslast, wenn er Tatsachen vortrage, aus denen ersichtlich<br />
sei, dass die Leistung des betreffenden Arbeitnehmers<br />
deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleibe,<br />
also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreite.<br />
Habe der Arbeitgeber vorgetragen, dass die Leistung des Arbeitnehmers<br />
über einen längeren Zeitraum im vorgenannten<br />
Sinne unterdurchschnittlich gewesen seien, sei es im zweiten<br />
Schritt Sache des Arbeitnehmers, darauf zu entgegnen. Er habe<br />
Umstände vorzutragen, aus denen sich ergebe, warum er mit<br />
seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung trotzdem seine<br />
persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpfe.<br />
Lege der Arbeitnehmer derartige Umstände plausibel dar, müs-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 15<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
se der Arbeitgeber sie in einem dritten Schritt widerlegen. Trage<br />
der Arbeitnehmer auf der zweiten Stufe derartige Umstände<br />
allerdings nicht vor, gelte das Vorbringen des Arbeitgebers als<br />
zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Es sei dann davon auszugehen,<br />
dass der Arbeitnehmer seine Leistungsfähigkeit nicht<br />
ausschöpfe.<br />
Nach einem Urteil des zweiten Senats des BAGs vom 17.01.2008<br />
sei es bei einer qualitativen Minderleistung nicht ausreichend,<br />
auf die bloße Fehlerhäufigkeit in Bezug auf den Arbeitnehmer zu<br />
verweisen. Absolute Bezugsgrößen ließen außer Acht, dass es<br />
je nach Art der Tätigkeit und der dabei möglicherweise auftretenden<br />
Fehler diesen ein sehr unterschiedliches kündigungsrelevantes<br />
Gewicht beizumessen sei. Über die Berufsbetrachtung<br />
der Fehlerhäufigkeit hinaus sei eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise<br />
unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsanforderung<br />
und der konkreten Gegebenheiten des Arbeitsplatzes<br />
geboten. Die Prüfung habe sich auch hier an dem Maßstab zu<br />
orientieren, ob und ggf. in welchem Umfang das Verhältnis von<br />
Leistung und Gegenleistung beeinträchtigt sei.<br />
Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung sei es<br />
danach Sache des Arbeitgebers, zu den aufgetretenen Leistungsmängeln<br />
dasjenige vorzutragen, was er über die Fehlerzahl,<br />
die Art und Schwere sowie die Folgen der fehlerhaften<br />
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wissen könne. Könne der<br />
Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die<br />
durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten<br />
beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschreite, so<br />
könne dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer<br />
vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletze. Der Vergleich<br />
durchschnittlicher Fehlerquoten sei jedoch für sich allein noch<br />
keine hinreichende Begründung dafür, dass die fehlerhafte Ar-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 16<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
beit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtige.<br />
Hierfür müsse der Arbeitnehmer weitere Umstände<br />
vortragen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, der<br />
Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden<br />
Arbeitnehmers sei näher darzulegen, dass die längerfristige<br />
deutliche Überschreitung der durchschnittlicher Fehlerquote<br />
nach den Gesamtumständen darauf hinweise, dass der<br />
Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletze.<br />
Die vom Arbeitgeber vorgetragenen drei Kassendifferenzen<br />
nach Abmahnung im Jahre 2009 genügten den Anforderungen,<br />
die an den Vortrag des Arbeitnehmers auf der ersten Stufe zu<br />
stellen seien, bereits nicht. Der Arbeitgeber hätte die Zahl der<br />
bei der gekündigten Kassiererin aufgetretenen Beanstandungen<br />
wegen Kassendifferenzen ins Verhältnis zur durchschnittlichen<br />
Beanstandungsquote bei anderen Arbeitnehmern ins Verhältnis<br />
setzen müssen. Unsorgfältiges Arbeiten an der Kasse schlage<br />
sich darin nieder, dass Waren übersehen und nicht registriert<br />
werden oder bei der Geldrückgabe Fehler unterlaufen. Qualitative<br />
Minderleistungen dieser Art seien dadurch gekennzeichnet,<br />
dass sie bei der Kassenabrechnung oder bei Testkäufen „sichtbar“<br />
würden. Ein Vergleich der Arbeitsergebnisse der Klägerin<br />
mit anderen Kassierern und Kassiererinnen sei möglich und für<br />
die Darlegung des Kündigungsgrundes notwendig.<br />
FAZIT:<br />
Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen qualitativer Leistungsmängel<br />
macht nach den in der Entscheidung wiedergegebenen<br />
Anforderungen eine sorgfältige Analyse der Leistung des<br />
Arbeitnehmers durch quantifizierenden Vergleich mit anderen<br />
Arbeitnehmern notwendig. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten,<br />
die in qualitativer Hinsicht maßgebliche „Normalleistung“<br />
zu bestimmen und diese anschließend zu einer qualitativ bestimmten<br />
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ins Verhältnis zu<br />
setzen, bleibt eine Kündigung wegen Leistungsmängeln ein<br />
kaum zu lösendes Dilemma.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 17<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.02.<strong>2010</strong> – 14 Sa 26/09 –<br />
Altersteilzeit im öffentlichen Dienst – Anspruch auf<br />
Blockmodell/Ermessensentscheidung<br />
Die Altersteilzeit im Blockmodell soll Arbeitnehmern faktisch<br />
den vorzeitigen Eintritt in die Rente ermöglichen. Arbeitnehmer<br />
erhalten so die Chance, zunächst in Vollzeit zu einem reduzierten<br />
Lohn zu arbeiten, und anschließend für einen entsprechend<br />
langen Zeitraum gegen Bezahlung freigestellt zu werden.<br />
Um zu verhindern, dass Arbeitgeber durch übermäßige Inanspruchnahme<br />
der Altersteilzeit überfordert werden, wurde die<br />
sog. Überforderungsklausel geschaffen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Altersteilzeitgesetz).<br />
Danach ist die Gewährung von Zuschüssen zur<br />
Altersteilzeit davon abhängig, dass kollektivvertragliche Bestimmungen,<br />
die einem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Übergang<br />
in Altersteilzeit einräumen, diese Rechtsposition nicht mehr als<br />
5 % der Beschäftigten eines Betriebes gewähren.<br />
Das LAG Baden-Württemberg hatte sich zu der Frage zu äußern,<br />
wann die Berufung eines öffentlichen Arbeitgebers gegenüber<br />
dem Altersteilzeitbegehren eines Angestellten nicht zum Erfolg<br />
führt.<br />
SACHVERHALT:<br />
Der Kläger, ein über 60-jähriger Diplom-Chemiker, war als Abteilungsleiter<br />
bei einer von der öffentlichen Hand getragenen<br />
Großforschungseinrichtung in Karlsruhe tätig. Er begehrte den<br />
Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Blockmodell<br />
für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis 31.08.2013. Auf<br />
das Arbeitsverhältnis fand das Tarifrecht des Bundes, somit<br />
auch der Tarifvertrag Altersteilzeit (TV-ATZ) Anwendung.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 18<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Kläger sein 60. Lebensjahr<br />
vollendet. Der Arbeitgeber war zur Vereinbarung der<br />
Altersteilzeit bereit, lehnte allerdings das Blockmodell aus personalwirtschaftlichen<br />
Gründen ab. Zum einen verwies der Arbeitgeber<br />
auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums des<br />
Innern vom 08.03.2006, wonach Altersteilzeit zur Vermeidung<br />
von zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushaltes grundsätzlich<br />
nur nach § 3 Abs. 2 lit. b TV-ATZ als Teilzeitmodell bewilligt<br />
werden sollte. Zudem sei man als Forschungseinrichtung<br />
auf den Transfer von Knowhow angewiesen, der allein durch das<br />
Teilzeitmodell gewährleistet sei. Schließlich berief sich der Arbeitgeber<br />
auf die Überforderungsklausel, da bei Antragstellung<br />
die Quote gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 ATZG in Höhe von<br />
5 % bereits überschritten sei.<br />
ENTSCHEIDUNG:<br />
Das LAG Baden-Württemberg entschied im Sinne des Klägers.<br />
Ihm stünde ein Anspruch auf Abschluss des beantragten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses<br />
im Blockmodell zu.<br />
Der Anspruch des Klägers ergebe sich aus § 2 Abs. 2 TV-ATZ.<br />
Danach haben Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet<br />
haben, eine Beschäftigungszeit von 5 Jahren vollendet und innerhalb<br />
der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeitarbeit<br />
mind. 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen<br />
Beschäftigung gestanden haben, Anspruch auf Vereinbarung<br />
eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses.<br />
Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg könne sich<br />
der Arbeitgeber vorliegend nicht auf die Überschreitung der 5<br />
%-Grenze im Sinne eines Überforderungsschutzes (§ 3 Abs. 1<br />
Nr. 3 Alternative 1 Altersteilzeitgesetz) berufen. Zwar sei die 5
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 19<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
%-Quote überschritten gewesen. Schließe ein Arbeitnehmer<br />
dessen ungeachtet aber weiterhin Altersteilzeitarbeitsverhältnisse<br />
ab, so handele es sich nach Auffassung des LAG Baden-<br />
Württemberg um freiwillige Leistungen, die unter Beachtung<br />
des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erbringen seien.<br />
Weiter führte das LAG Baden-Württemberg aus, dass dem Anspruch<br />
des Klägers keine dringenden dienstlichen bzw. betrieblichen<br />
Gründe i.S.d. § 2 Abs. 3 TV-ATZ entgegen stünden. Als<br />
derartige Gründe kämen insbesondere die mit der Gewährung<br />
von Altersteilzeit regelmäßig und notwendigerweise verbundenen<br />
finanziellen Belastungen des Arbeitgebers nicht in Betracht.<br />
Finanzielle Belastungen, die über die tariflich vorgeschriebenen<br />
Leistungen des Arbeitgebers hinausgingen, seien nicht ersichtlich.<br />
Des Weiteren habe der Kläger auch Anspruch auf Abschluss<br />
eines Altersteilzeitarbeitsvertrages in Form des Blockmodells.<br />
Die gegenüber dem Teilzeitmodell erhöhte finanzielle Belastung<br />
durch das Blockmodell aufgrund von Rückstellungen und den<br />
Kosten der Insolvenzsicherung seien für die Verteilung der Arbeitszeit<br />
nicht von Bedeutung (im Anschluss an BAG, Urteil vom<br />
23.01.2007 – 9 AZR 393/06 und 9 AZR 624/06).<br />
Schließlich entschied das LAG Baden-Württemberg, dass eine<br />
pauschale Beschränkung auf Altersteilzeitverträge ausschließlich<br />
im Teilzeitmodell eine sachwidrige Gruppenbildung darstelle.<br />
Eine pauschale Handhabung, bei der ohne nähere Prüfung<br />
die Bewilligung von Altersteilzeit im Blockmodell von vornherein<br />
ausscheide, stelle keine dem Maßstab des § 315 BGB entsprechende<br />
Ermessensausübung dar.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 20<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
FAZIT:<br />
Vor dem Hintergrund der Verlängerung der Altersteilzeitregelung<br />
von Bund und Kommunen wird das Urteil erhebliche Auswirkungen<br />
in der Praxis haben. Im TV-ATZ ist kein Anspruch eines<br />
Beschäftigten auf ein bestimmtes Arbeitszeitmodell (Blockmodell<br />
oder Teilzeitmodell) während der Altersteilzeitarbeit vorgesehen.<br />
Die Entscheidung des LAG-Baden-Württemberg hat<br />
verdeutlicht, dass ein genereller Ausschluss des Blockmodells<br />
nicht den Anforderungen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung<br />
nach § 315 BGB entspricht. Die Interessenabwägung<br />
muss vielmehr auf den Einzelfall bezogen sein. Öffentlichen<br />
Arbeitgebern ist deshalb zu empfehlen, vor Ablehnung eines<br />
Altersteilzeitgesuchs eine sorgfältige, auf den Einzelfall bezogene<br />
Prüfung unter strikter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes<br />
anzustrengen.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 21<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 12.05.<strong>2010</strong> – 20 Ca 2326/09 –<br />
Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung, mit der alle rentennahen<br />
Jahrgänge auf „Kurzarbeit Null“ gesetzt werden, ist wegen Altersdiskriminierung<br />
unzulässig.<br />
Arbeitnehmern, die ggf. nach Arbeitslosengeldbezug nahtlos Altersrente<br />
aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch<br />
nehmen können, wird in Betriebsvereinbarungen häufig eine<br />
Sonderregelung zuteil. Hintergrund solcher Regelungen ist die<br />
Überlegung, dass rentennahe Jahrgänge zur Sicherung ihrer<br />
Existenz nicht mehr im gleichen Maße auf Arbeitseinkommen<br />
angewiesen sind, wie jüngere Arbeitnehmer.<br />
Der Ausschluss rentennaher Jahrgänge von Leistungen des<br />
Arbeitgebers, z. B. Abfindungszahlungen beim Verlust des Arbeitsplatzes,<br />
ist nicht unproblematisch, weil die vorzeitige Inanspruchnahme<br />
von Altersrente regelmäßig zu nicht unerheblichen<br />
Rentenabschlägen führt. Für Sozialpläne hat das BAG entschieden,<br />
dass die Ungleichbehandlung rentennaher Jahrgänge nicht<br />
gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt, weil die<br />
Leistungseinschränkung durch sachliche Gründe gerechtfertigt<br />
sei (BAG, Urteil vom 26. 5. 2009 - 1 AZR 198/08).<br />
Das Arbeitsgericht Stuttgart hat eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung,<br />
mit der rentennahe Jahrgänge grundsätzlich auf<br />
Kurzarbeit Null gesetzt wurden, für unwirksam gehalten.<br />
SACHVERHALT:<br />
Im Zusammenhang mit umfangreichen Sanierungsmaßnahmen,<br />
die mit einem Interessenausgleich und Sozialplan begleitet<br />
wurden, schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat eine
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 22<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit im<br />
Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.12.<strong>2010</strong>. Für sämtliche<br />
Arbeitnehmer des Betriebes, die älter als 59 Jahre waren,<br />
galt Kurzarbeit Null. Wie der innerbetrieblichen Kommunikation<br />
zu entnehmen war, sollten ältere Arbeitnehmer nahtlos in<br />
Altersrente gehen. 59-jährige Arbeitnehmer sollten zunächst<br />
18 Monate konjunkturelles Kurzarbeitergeld, dann 12 Monate<br />
Transferkurzarbeitergeld und anschließend 24 Monate<br />
Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen. Ein 59-jähriger Arbeitnehmer<br />
wehrte sich gegen die Regelung und machte Ansprüche<br />
auf seine volle Vergütung aus Annahmeverzug geltend. Er<br />
berief sich u.a. darauf, dass die Regelung zur Einführung der<br />
Kurzarbeit altersdiskriminierend und damit unwirksam sei.<br />
ENTSCHEIDUNG.<br />
Das Arbeitsgericht war der Meinung, dass in Bezug auf die<br />
rentennahen Jahrgänge keine Einführung von Kurzarbeit vorgelegen<br />
habe. Der Betriebsvereinbarung habe ein Konzept<br />
zugrunde gelegen, die älteren Arbeitnehmer nicht wieder in<br />
Arbeit zu bringen. Dies widerspreche Sinn und Zweck der<br />
Kurzarbeit, die auf die Überbrückung eines vorübergehenden<br />
Arbeitsausfalls gerichtet sei.<br />
Für die dauerhafte Verkürzung der Arbeitszeit bestehe kein<br />
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Zif.<br />
3 BetrVG. Da kein Mitbestimmungstatbestand eröffnet sei,<br />
könne die Betriebsvereinbarung keine tragfähige Grundlage<br />
für die eingeführte Kurzarbeit sein.<br />
Unabhängig von dieser Begründung hält das Arbeitsgericht<br />
die Regelung gem. § 7 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen<br />
die Altersdiskriminierung für unwirksam. Die Einbeziehung al-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 23<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
ler Mitarbeiter sog. rentennaher Jahrgänge eines Betriebes in<br />
die Kurzarbeit Null nur wegen einer (vermeintlichen) Möglichkeit,<br />
über die Aneinanderreihung von Kurzarbeitergeld, Transferkurzarbeitergeld<br />
und Arbeitslosengeld einen (vorgezogenen)<br />
Renteneintritt zu erreichen, sei eine unzulässige Benachteiligung<br />
wegen des Alters. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung<br />
sei deshalb gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Regelung<br />
umgehe den gesetzlichen Kündigungsschutz der betroffenen Arbeitnehmer.<br />
FAZIT:<br />
Die Entscheidung ist in beiden Begründungsansätzen mit Zweifeln<br />
behaftet. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung sollte das<br />
der Betriebsvereinbarung zugrunde liegende Sanierungskonzept<br />
eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand für ältere<br />
Mitarbeiter nicht vorschnell verworfen werden.<br />
Richtig ist, dass durch Betriebsvereinbarung wegen des Tarifvorbehalts<br />
(§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) wirksam keine dauerhafte<br />
Verkürzung der Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen<br />
des Betriebes vereinbart werden kann. Das<br />
ist aber auch für die 59- jährigen Arbeitnehmer nicht der Fall,<br />
weil die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Beendigung der<br />
Kurzarbeit nicht feststeht, sondern erst vom Abschluss eines<br />
dreiseitigen Vertrages zum Übertritt in die Transfergesellschaft<br />
abhängt. Die Regelungskompetenz zur Einführung von Kurzarbeit<br />
kann den Betriebsparteien m.E. auch dann nicht abgesprochen<br />
werden, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />
nach Kurzarbeit zwar nicht bezweckt, aber ohne eine gesondert<br />
zu vereinbarende Vertragsauflösung Folge der rechtlich lediglich<br />
vorrübergehend verkürzten Herabsetzung der Arbeitszeit ist.<br />
Eine unzulässige Altersdiskriminierung liegt m.E. nicht vor, weil
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 24<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
die durch die Regelung hervorgerufene Ungleichbehandlung<br />
der Jahrgänge über 59 sachlich gerechtfertigt ist. Der Abwägungsvorgang<br />
ist nicht grundlegend anders als bei Sozialplänen,<br />
die bei meiner Ansicht nach Abfindungszahlungen jüngere<br />
Arbeitnehmer gegenüber älteren Arbeitnehmern begünstigen,<br />
weil rentennahe Jahrgänge über Arbeitslosen- und Rentenversicherung<br />
eine Versorgungsgewähr haben. Für jüngere Arbeitnehmer<br />
ist eine vergleichbare Brücke nicht möglich.<br />
Eine Umgehung des Kündigungsschutzes liegt nach meinem<br />
Dafürhlalten ebenfalls nicht vor, solange der Arbeitnehmer frei<br />
entscheiden kann, ob er sein Arbeitsverhältnis durch einen<br />
Wechsel in die Transfergesellschaft beenden oder nach Auslaufen<br />
der Kurzarbeit fortsetzten will.<br />
Das der Entscheidung zugrunde liegende Sanierungskonzept ist<br />
bei einem drastischen Restrukturierungsbedarf interessant. Es<br />
bleibt abzuwarten, wie die Obergerichte entscheiden werden.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 25<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18.02.<strong>2010</strong> – 38 Ca 12879/09 –<br />
Die verhaltensbedingte Kündigung der Leiterin<br />
Korruptionsbekämpfung und Ermittlungen der DB AG ist unwirksam<br />
Der sog. Datenskandal bei der Deutschen Bahn AG hat hohe<br />
Wellen geschlagen. Durch Medienberichte war ins Licht der Öffentlichkeit<br />
gerückt worden, dass die Deutsche Bahn AG Adressund<br />
Kontodaten ihrer Mitarbeiter in einer Art Rasterfahndung<br />
abgeglichen hatte, um Verdachtsfälle von Korruption aufzuspüren.<br />
Der Vorstandsvorsitzende Mehdorn musste seinerzeit nicht<br />
zuletzt wegen der Auswirkungen dieses Datenskandals seinen<br />
Vorstandsposten räumen. Das Arbeitsgericht Berlin hatte sich<br />
bei der Überprüfung einer Kündigung auch mit der Frage zu<br />
befassen, ob die Veranlassung von dieser Datenabgleichung<br />
durch einen verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bahn<br />
vorwerfbar war.<br />
SACHVERHALT:<br />
Die gekündigte Mitarbeiterin war bei der Deutschen Bahn AG innerhalb<br />
des Vorstandsresorts „Compliance“ für die nationalen<br />
Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung zuständig. Die Mitarbeiterin<br />
hatte im Rahmen ihrer Funktion einen externen Dienstleister<br />
mit der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen<br />
beauftragt. Bestandteil dieser Überwachungsmaßnahmen war<br />
u.a. ein breit angelegter Datenabgleich u.a. auch von Arbeitnehmerdaten,<br />
insbesondere Adressdaten und Kontodaten. Im<br />
Zuge der Datenschutzaffäre bei der Deutschen Bahn AG kam es<br />
auch zu Vorwürfen seitens der Deutschen Bahn AG gegenüber<br />
der Mitarbeiterin, nachdem ein Zwischenbericht zur Überprüfung<br />
der Ordnungsgemäßheit von Maßnahmen der Korruptionsbekämpfung<br />
zu dem Ergebnis gekommen war, dass Verstöße
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 26<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
gegen straf- und datenschutzrechtliche Bestimmungen durch<br />
die Überwachungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden<br />
konnten. In einer daraufhin eingeleiteten Sonderuntersuchung<br />
legte die Mitarbeiterin einen umfassenden Bericht über die unter<br />
ihrer Verantwortung eingeleiteten Überwachungsmaßnahmen<br />
vor. Die Deutsche Bahn AG stellte sie daraufhin von der Arbeit<br />
frei und kündigte das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt.<br />
ENTSCHEIDUNG:<br />
Das Arbeitsgericht hatte zu prüfen, ob die Mitarbeiterin durch<br />
die Veranlassung der Überwachungsmaßnahmen objektiv<br />
rechtswidrig gehandelt hatte und sie subjektiv die Rechtswidrigkeit<br />
der Maßnahmen auch gekannt hat. Obwohl dem Gericht<br />
die von der Deutschen Bahn AG veranlassten Prüfberichte vorlagen,<br />
hat das Arbeitsgericht Berlin beides verneint.<br />
Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Korruption oder<br />
Wirtschaftsstraftaten in Unternehmen könne es in Einzelfällen<br />
auch erforderlich sein, personenbezogene Daten abzugleichen.<br />
Scheingeschäfte würden häufig über nahe Angehörige<br />
abgewickelt. Um ein derartiges Muster abzufragen, dränge es<br />
sich auf, Kontonummer und Wohnanschrift der eigenen Mitarbeiter<br />
mit denen der Lieferanten abzugleichen. Ein derartiger<br />
Datenabgleich könne allenfalls dann problematisch sein, wenn<br />
auch Daten ausgewertet wurden, die das Unternehmen nicht<br />
oder nicht zu diesem Zweck verwenden dürfe. Das könnte bei<br />
Kommunikationsdaten der Fall sein, wenn den Mitarbeitern die<br />
private Nutzung der Telekommunikationseinrichtungen des Unternehmens<br />
erlaubt sei. Ließen sich private Gespräche oder die<br />
private Nutzung von E-Mails nicht eindeutig von den geschäftlichen<br />
trennen (z. B., indem eine getrennte Vorwahl für die Amtsleitung<br />
zu verwenden ist oder die private Nutzung generell ver-
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 27<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
boten ist), könne eine Überprüfung solcher Daten rechtswidrig<br />
und ggf. gem. § 206 StGB strafbar sein.<br />
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin ist im Umkehrschluss<br />
eine Rechtswidrigkeit außerhalb der Anwendung des<br />
Telekommunikationsgesetzes nicht festzustellen. Dürfen die<br />
Telekommunikationseinrichtungen des Unternehmens, wie Intranet,<br />
Internet und E-Mailadresse, nicht privat genutzt werden<br />
oder wird durch technische Maßnahmen sichergestellt, dass<br />
nur dienstlich erhobene Daten überprüft werden, ist also eine<br />
Überwachung auch durch den Abgleich personenbezogener<br />
Daten zur Aufdeckung von Korruptionsfällen nach Meinung des<br />
Arbeitsgerichts Berlin rechtlich zulässig.<br />
Es liege auch kein Verstoß gegen das Datenschutzrecht vor.<br />
Personenbezogene Daten seien nur solche, die Einzelangaben<br />
über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten<br />
oder bestimmbaren natürlichen Person enthielten. Es müsse<br />
sich um Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse<br />
einer Person handeln. Eine Vielzahl analytischer Prüfungshandlungen<br />
unterliege damit nicht dem Bundesdatenschutzgesetz,<br />
da es sich insoweit nur um die Auswertung von Transaktionsdaten<br />
handele. Aber selbst ein Abgleich personenbezogener Daten<br />
sei nicht rechtswidrig, da die Aufdeckung eines Korruptionstatbestandes<br />
auch den Abgleich personenbezogener Daten rechtfertigen<br />
könne. Im Fall der Deutschen Bahn AG sei kein Fall ersichtlich,<br />
bei dem die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer<br />
gegenüber dem Interesse der Deutschen Bahn, die Korruption<br />
zu bekämpfen, als schutzwürdig anzusehen seien. Abgesehen<br />
davon, dürften zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene<br />
Daten eines Beschäftigten erhoben, verarbeitet oder genutzt<br />
werden, wenn tatsächlich Anhaltspunkte den Verdacht begründen,<br />
dass der Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 28<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Straftat begangen hat und die Datenverarbeitung erforderlich<br />
und verhältnismäßig ist. Dieser Erlaubnistatbestand sei durch<br />
den neuen § 32 Bundesdatenschutzgesetz ausdrücklich gesetzlich<br />
normiert.<br />
FAZIT:<br />
Die Entscheidung gibt Arbeitgebern Rückendeckung, die zur<br />
Aufdeckung von Missbrauchsfällen u.a. auf die in ihrem EDV-<br />
System gespeicherten Stammdaten ihrer Arbeitnehmer zugreifen<br />
wollen. Die Nutzung dieser Daten für Überwachungszwecke<br />
ist nach dieser Entscheidung unter bestimmten Umständen keineswegs<br />
rechtswidrig. In Betrieben mit Betriebsrat unterliegt die<br />
Verarbeitung personenbezogener Daten gem. § 87 Zif. 6 BetrVG<br />
dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Datenabgleiche<br />
bedürfen dann in jedem Fall einer Betriebsvereinbarung.
<strong>Juni</strong> <strong>2010</strong> Seite: 29<br />
Stabelstraße 10<br />
D-76133 Karlsruhe<br />
Tel. +49 (0)721-83024-93<br />
Fax +49 (0)721-83024-94<br />
www.thomsen-ra.de<br />
kontakt@thomsen-ra.de<br />
Impressum:<br />
Der THOMSEN RECHTSANWÄLTE Newsletter ist ein kostenloser Service. Die Verfasser<br />
übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit der übermittelten Informationen. Bitte<br />
beachten Sie, dass diese Informationen eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen können.<br />
Herausgeber:<br />
THOMSEN RECHTSANWÄLTE<br />
Stabelstr. 10<br />
76133 Karlsruhe<br />
Ansprechpartner (ViSdP):<br />
Rechtsanwalt Klaus Thomas <strong>Thomsen</strong>