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German (PDF) - Center for Security Studies (CSS) - ETH Zürich

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Aktuelle Diskussion


2 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikwohl in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das heisst in jenerZeit der Sonderbündnisse der beiden konfessionellen Lager mitausländischen Mächten. Die Erinnerung an die gemeinsamenSicherheitsinteressen ging fast verloren. Bedeutende politischePersönlichkeiten beider Lager arbeiteten auf die Auflösung derEidgenossenschaft hin. Das Schicksal der Eidgenossenschaft hingwährend einiger Jahre an einem dünnen Faden. Als Frankreichdurch das Edikt von Nantes 1598 zu einem konfessionell gemischtenLand wurde, bedeutete das auch für die Eidgenossenschaft eineVerminderung der Gefahr des Auseinanderbrechens.Mit Mühe hielt sich die Eidgenossenschaft während des DreissigjährigenKrieges aus den Konflikten der Nachbarn heraus. Langsamsetzte sich in der Eidgenossenschaft die Einsicht durch, dassdas Stillesitzen und die Nichteinmischung in die nachbarlichenKämpfe die sicherste Politik zur Wahrung der Sicherheit war. 1638wurde von der Tagsatzung die unbedingte und bewaffneteNeutralität erstmals und offiziell zum sicherheitspolitischen Prinziperhoben. Vorbereitungen auf allfällige Kriegsereignisse wurdenaber noch nicht gemeinsam getroffen. Ausbildung und Bewaffnungder Truppen blieben Sache der Orte. Erst gegen Ende des DreissigjährigenKrieges, als schwedische Truppen sich dem Bodenseenäherten, gelang es, einen ersten Ansatz für eine gesamteidgenössischeOrganisation der Landesverteidigung zu <strong>for</strong>mulieren(Defensionale von Wil, 1647).Diese erste eidgenössische Militärorganisation blieb aber praktischunwirksam, da nach dem Ende des Krieges und dem Ende derunmittelbaren Gefahr die eidgenössischen Orte so<strong>for</strong>t wieder zureifersüchtigen Bewahrung ihrer Souveränität zurückkehrten. Nachrund drei Jahrzehnten zog sich die Mehrheit der katholischen Orte<strong>for</strong>mell aus dem Defensionale zurück. Wichtiger als eingemeineidgenössisches Sicherheitsinteresse waren aus wirtschaftlichenGründen die Soldverträge, die die einzelnen Orte je nachParteineigung mit dem Papst, mit Savoyen, Mailand, Spanien,Frankreich, Österreich, Venetien oder den Niederlanden abschlossen.Alle Vorschläge, die zur Re<strong>for</strong>m des eidgenössischen Wehrwesensgemacht wurden, blieben unbeachtet, auch wenn theoretischdie Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns eingesehen wurde.Entsprechend unorganisiert - sowohl in politischer wie inmilitärischer Hinsicht - waren die Reaktionen der eidgenössischen


Aktuelle Diskussion 3Orte auf die französischen Bedrohungen der Revolutionszeit. Gegendie 1798 einmarschierenden - und von vielen Revolutionsfreundenzum Einmarsch aufge<strong>for</strong>derten - Franzosen kam keinwirkungsvoller gemeinsamer Widerstand zustande. Die Orte derEidgenossenschaft hatten ihre gemeinsamen Sicherheitsinteressenvergessen und eine gemeinsame militärische Vorsorge vernachlässigt.2. Neutralität und VerteidigungDie gewaltsame Umgestaltung der europäischen Staatenwelt durchNapoleon hatte den Papiercharakter einer unverteidigtenNeutralität ebenso demonstriert wie die militärische Übermachtder grossen Nachbarstaaten. Die Schweiz musste damit rechnen, ineiner Neuordnung Europas aufgeteilt zu werden. Glücklicherweiserespektierte Metternich auf dem Wiener Kongress die angestammteLegitimität der vorrevolutionären Verhältnisse. So bliebder Schweiz die Auflösung erspart.Aber die Schweiz war noch immer - trotz aller schmerzlichen Erfahrungenund mit Glück überstandenen Krisen - weit davon entfernt,ein Nationalstaat oder eine Nation zu sein und eine kohärenteAussenpolitik zu verfolgen. Immer noch standen sich verschiedeneregionale, politische, konfessionelle und wirtschaftlicheInteressengruppen mit grossem Misstrauen gegenüber.Das Ringen um eine modernere, kohärentere und auch liberalereGestaltung des Bundes intensivierte sich, als in den 1830er Jahrenverschiedene Kantone ihre Verfassungen modernisierten undliberalisierten. Es entwickelte sich ein Kalter Krieg zwischen demkonservativen und dem wachsenden liberalen Lager, der 1844 mitdem ersten Freischarenzug in kriegerische Handlungen umschlug.Die konservativen Orte gründeten eine "Schutzvereinigung", denSonderbund, und suchten Unterstützung bei Österreich, Frankreichund Sardinien, worauf die liberalen Orte beschlossen, diesenSonderbund mit Gewalt aufzulösen. Der letzte eidgenössischeBürgerkrieg begann. Einmal mehr mussten glückliche geschichtlicheUmstände die Schweiz retten. Bevor nämlich ausländischeMächte intervenieren konnten, war der Krieg zu Ende, und esbrach die 1848er Revolution aus, was sowohl Preussen wie Österreichdaran hinderte, nachträglich noch in der Schweiz zu intervenieren.Der Sieg der Liberalen führte in erstaunlich kurzer Zeit zur


6 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAggressionen offenbar geworden war. Eine Stabilisierung desUmfeldes durch Mitgliedschaft in einer internationalen Organisationwar noch nicht möglich, und das Prinzip der kollektiven Sicherheitwar nicht in der Lage, den kleinen Mitgliedern des Kollektivsechte Sicherheit zu garantieren.Auch die Guten Dienste, die die neutrale Schweiz bereits im ErstenWeltkrieg durch die Interessenvertretung für 23 Staaten zu leistenbegonnen hatte, waren nur eine Hilfskomponente für dieSicherheitspolitik. Gute Dienste und humanitäre Aktivitätenmochten mithelfen, in der Welt ein günstiges Bild von der Schweizzu erzeugen. Aber verlässliche Sicherheit war dadurch nicht zugewinnen.4. Zweiter Weltkrieg: Entstehung der IgelmentalitätMit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Schweiz in aller Härte vordas Problem der Existenzsicherung durch mehrere Komponenteneiner bereits komplex gewordenen Sicherheitspolitik gestellt.Erstens wirkte die militärische Verteidigung der Neutralitätglaubwürdig. Zweitens verschoben sich mit Hitlers Angriff auf dieSowjetunion die strategischen Brennpunkte von der Schweiz weg.Drittens war die Schweiz für Hitler ein wirtschaftlich nützlicherPartner (vor allem als Goldumschlagplatz). Viertens machte diePolitik des zähen Verhandelns und der widerspenstigen Konzessionengegenüber Hitler wie auch gegenüber den Alliierten dieSchweiz zwar auf keiner Seite besonders beliebt, aber sie half Zeitgewinnen und war als Teil der schweizerischen Überlebensstrategieerfolgreich.Es waren insbesondere die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges,die die Neigungen zur Igelmentalität, zur Abkehr vom Ausland undzu selbstgefälligem Rückzug auf das Eigene bestärkten. DieSchweiz hatte sich behaupten können. Ihre Wirtschaft blieb alseinzige inmitten eines zerstörten Umfeldes intakt, und dies - so warsich die Bevölkerung einig - vor allem dank dem Konzept derbewaffneten Neutralität. Im Blick zurück in die Geschichte glaubtendie Schweizer zu sehen, wie ihr Land schon immer durch dieNeutralität vor den Konflikten der grösseren und mächtigerenNachbarn gerettet worden war. Also bestand auch nach dem Endedes Zweiten Weltkriegs kein Grund, dieses Konzept zu ändern.


Aktuelle Diskussion 75. Tradition trotz VeränderungenWährend des Kalten Krieges fuhr die Schweiz <strong>for</strong>t, eine AussenundSicherheitspolitik der bewaffneten Neutralität, der Dissuasionund des "hohen Eintrittspreises" zu betreiben. Sie profitierte aberde facto von der "Extended Deterrence", der ausgedehnten Abschreckungswirkung,des Nato-Nuklearschirmes, der ganz Westeuropaüberdeckte. Während die Schweiz in der Theorie an derTradition festhielt, war sie faktisch im Laufe der Nachkriegszeitselbst Teil des "Westens" geworden. Die politischen und kulturellenGrundwerte teilte sie aus historischen Gründen mit den westlichenDemokratien, im wirtschaftlichen Bereich wurde die Verflechtungdurch zunehmende Industrialisierung, Urbanisierung und dieIntensivierung des internationalen Güteraustausches immer enger.Weder Regierung noch Parlament waren allerdings willens, dieaussenpolitischen oder militärischen Konsequenzen aus dieserSituation zu ziehen. Die Schweiz beharrte auf vollständigerUnabhängigkeit, Nicht-Teilnahme am Integrationsprozess undsicherheitspolitischer Autarkie. Sie wurde nicht Mitglied der Uno,nicht Mitglied der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft undschon gar nicht Mitglied der Nato.Höchstens bot sie ihr Territorium als Verhandlungsplatz für internationaleKonferenzen an und unterstützte die humanitären -ebenfalls strikt neutralen - Aktivitäten des Internationalen Komiteesvom Roten Kreuz. Nach wie vor richteten sich alle sicherheitspolitischenBestrebungen der Schweiz darauf aus, das Landaus den Konflikten der Nachbarn herauszuhalten und deren allfälligeAuswirkungen auf die Schweiz möglichst abzudämpfen. Zudiesem Zweck wurde mit beträchtlichem Aufwand und in langerAufbauzeit ein umfassendes System der Gesamtverteidigung errichtet,das der Bundesrat in einem ersten Bericht zur Sicherheitspolitik1973 erklärte und begründete.Trotz der nicht unerheblichen wirtschaftlichen Stärke der Schweizund entsprechender weltumspannender Tätigkeiten war es denVertretern der schweizerischen Aussenpolitik nicht erlaubt, in irgendeinerdie Neutralität kompromittierenden Absicht über dieLandesgrenzen hinauszublicken. Nachträglich bekanntgewordeneÄusserungen zum Beispiel von 1956 von Bundesrat Chaudet gegenüberdem stellvertretenden Oberkommandierenden der Nato,Feldmarschall Montgomery, die Schweiz würde im Falle eines nu-


8 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikklear geführten Krieges ihre Neutralität so<strong>for</strong>t aufgeben und sichmit der Nato verbünden, konnten noch 1995 heftige Zeitungskontroversenauslösen. Dabei war eine inoffizielle Kontaktaufnahmezur Nato schon damals nichts anderes als verantwortungsvollerWeitblick des damaligen Verteidigungsministers.Die Schweiz wurde zwar 1963 Mitglied des Europarates und unterzeichnete1975 die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit undZusammenarbeit in Europa (KSZE), aber nur, weil die Neutralitätdarin ausdrücklich anerkannt wurde und diese Konferenz keineBeschlüsse fassen, sondern nur Empfehlungen abgeben konnte. Eswar nicht vorauszusehen, dass die KSZE in der späten Phase desKalten Krieges zur wichtigsten Platt<strong>for</strong>m der Begegnungen undAbrüstungsverhandlungen zwischen West und Ost werden würdeund dass den Neutralen und Nichtgebundenen, den sogenanntenN+N-Staaten, in diesem Rahmen vorübergehend eine grosseinternationale Bedeutung zukommen könnte. Trotz dieser erstenetwas ausgreifenderen Aktivitäten im Rahmen der KSZE verharrtedie Schweiz auch nach der grossen Wende von 1989/90 in einemsicherheitspolitischen Denken, das sich an den Erfahrungen desZweiten Weltkrieges ausrichtete und das reaktiv konzipiert war.Der Gedanke, dass eine ganzheitliche Sicherheitspolitik auchdanach trachten könnte, selber aktiv und stabilisierend ins eigeneUmfeld hinauszuwirken, schien schweizerischem Denken undschweizerischen Interessen nicht zu entsprechen. Alle politischeAufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Innenpolitik. FöderalistischeKonsensfindung und der Ausbau des Sozialstaatesstanden im Vordergrund. Nach aussen waren die Guten Dienste,diplomatische Vermittlung im Rahmen der KSZE und humanitäreAktivitäten das Äusserste, was man sich unter dem Motto Neutralitätund Solidarität glaubte leisten zu können.6. Die grosse WendeDer Zusammenbruch der Sowjetunion brachte die radikale Veränderungdes Rahmens, in dem sich die schweizerische Sicherheitspolitikimmer bewegt hatte. Das Ende der bipolaren Weltordnungbrachte das Verschwinden der innereuropäischen Fronten mit sich.Damit änderte sich auch die strategische Lage der Schweiz radikal.Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich die Schweiz immerin der Nähe einer potentiellen Front im säkularen französisch-


Aktuelle Diskussion 9habsburgischen, französisch-österreichischen, französisch-deutschenund zuletzt west-östlichen Hegemonialkampf befunden. DieNeutralität hatte ihr erlaubt, sich von den Kämpfen der Mächtigenfernzuhalten und sich den eigenen Interessen zu widmen. Das allesgalt jetzt nicht mehr. Es gab und gibt keine potentielle Front mehrin der Nähe der Schweiz. Im Gegenteil: Die beherrschendeEntwicklung ist die Entwicklung der Annäherung und desZusammenschlusses jahrhundertelang verfeindeter Nationen - mindestensin Westeuropa. Damit entfällt der eigentliche innersteGrund der schweizerischen Neutralität. Das Land liegt nicht mehrin unmittelbarer Nähe der Front eines jederzeit möglichenKonfliktes, sondern befindet sich in einer echten Binnenlage,nämlich im Innern der sich konsolidierenden Europäischen Union,die bereits nach einer gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik(GASP) strebt. Die fundamentale Bedeutung dieser Veränderungenist bis heute der Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung nichtzum Bewusstsein gekommen, oder aber sie hat tiefe Abwehrängsteausgelöst und ein fast reflexartiges Festhalten-Wollen am so langenützlichen Konzept der integralen Neutralität.Die richtigen Überlegungen zur Neutralität, die die Gründer unseresBundesstaates von 1848 anstellten, sind völlig in Vergessenheitgeraten, und um so nützlicher ist es, sie im Wortlaut des Protokollsvon 1847 in Erinnerung zu rufen: "Die Neutralität sei ein Mittelzum Zwecke, sie sei eine dermalen angemessen erscheinendepolitische Massregel, um die Unabhängigkeit der Schweiz zusichern; allein die Eidgenossenschaft müsse sich das Recht vorbehalten,unter gewissen Umständen, sofern sie es für zuträglicherachte, aus ihrer neutralen Stellung heraus zu treten." 1Die schweizerische Neutralität gilt heute nur noch in der Schweizselbst oder in sehr weit entfernten Ländern - in China, Ghana oderCosta Rica - als moralische Trumpfkarte. Sie hat ihren einst sehrpraktischen Wert verloren. Die Schweiz kommt nicht darumherum, sich über ihre Stellung in Europa und in der Welt vonGrund auf neue Gedanken zu machen.1Abschied der ordentlichen eidgenössischen Tagsatzung des Jahres 1847,IV. Teil, S. 51.


10 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik7. Der Bericht 90In der richtigen Erkenntnis, dass in dieser Zeit des Umbruchs eineNeuorientierung nötig sei, liess der Bundesrat 1990 ein neuessicherheitspolitisches Grundlagendokument erarbeiten, in demaufgrund einer sorgfältigen Lageanalyse die Zielsetzungen einerneuen, den Umständen angepassten Sicherheitspolitik vorgegebenwerden sollten. Der Bericht 90 ging in seiner Analyse bereits voneiner grossen Wende aus. Der Bundesrat wollte in diesem Dokumentdarlegen, wie die Schweiz zur Verwirklichung eines friedlichenund demokratischen Europa beitragen könne. Aber nicht nurauf den machtpolitischen Wandel wollte der Bundesrat mit seinersicherheitspolitischen Kurskorrektur reagieren. Er wollte auch dieTatsache anerkennen, dass "weltweit (...) immer deutlicher andereGefahren sichtbar [werden], die die Existenz von Staat und Bevölkerungletztlich ebenfalls bedrohen können", und deren Ursachenin demographischen, ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichenEntwicklungen liegen. Und schliesslich wollte er auchdie innere Befindlichkeit des Landes, die Verunsicherung vielerMitbürgerinnen und Mitbürger sowie den Wandel von Wertvorstellungen,in seine Analyse mit einbeziehen.Das waren neue Töne. Das war nicht mehr nur militärische Abwehrund reaktives Verhalten. Das war ganzheitliche Sicherheitspolitik.Die Schweiz sollte sich sogar bereit machen, selber aktivstabilisierend in ihrem Umfeld tätig zu werden. Im Bericht 90 desBundesrates wurde in offener Weise ausgesprochen, warum auchdie Schweiz das Ausmass ihrer internationalen Kooperation vergrössernmuss: "Eine ganze Reihe von Sicherheitsproblemen, vorallem im vorbeugenden Bereich, lassen sich nur noch im Zusammenwirkenmit anderen Staaten lösen," und: "Indem wir zur allgemeinenFriedenssicherung, zur Krisenbewältigung und zur Beseitigungvon Konfliktursachen namentlich in Europa beitragen,leisten wir auch einen wesentlichen Beitrag an unsere eigene Sicherheit."8. Der schweizerische BeitragWorin aber soll ein schweizerischer Beitrag an die internationaleStabilität bestehen, nachdem das Blauhelm-Gesetz am 12. Juni1994 abgelehnt worden ist?


Aktuelle Diskussion 11Zunächst sei daran erinnert, dass die Schweiz bereits vor derBlauhelm-Abstimmung international tätig war: mit einer Sanitätseinheitin Namibia, mit einer logistischen Einheit in der Westsahara,mit Militärbeobachtern für verschiedene Uno-Missionen.Diese unbewaffnete militärische Dienstleistung für die Uno und dieinternationale Friedenssicherung wird weitergeführt und ausgebautwerden.Im weiteren ist die Schweiz seit 20 Jahren Mitglied der Konferenz(beziehungsweise Organisation) für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa (KSZE, seit 1995 OSZE) und übernimmt im Jahre1996 den Vorsitz dieser Organisation. (Vgl. dazu den Aufsatz vonAndreas Wenger und Christoph Breitenmoser in diesem Bulletin.)Eine weitere Möglichkeit besteht für die Schweiz darin, das von derNato angebotene Partnership <strong>for</strong> Peace-Programm aktiv aufzunehmen.Sie kann damit die bilaterale Zusammenarbeit mit derfür Europa wichtigsten Sicherheitsorganisation verbessern, ohnedie Neutralität zu gefährden, da mit dem Programm keine Verpflichtungzur Teilnahme an Operationen, nicht einmal an Feldübungen,verbunden ist. Wichtig ist, dass auch die Schweiz - wie inzwischenbereits 24 andere Staaten - diese Chance wahrnimmt, einweiteres Fenster zur internationalen Sicherheitskooperationaufzustossen und im Rahmen dieses Programms in einem selbstdefinierten Umfang mit der Nato in institutionalisierte Beziehungeneinzutreten.Schliesslich ist hier der ganze Bereich der aktiven Friedensförderungdurch Kooperation und Hilfeleistung zu erwähnen, wo verschiedensteMassnahmen - von der Zusammenarbeit im BereichAbrüstungsverhandlungen, Non-Proliferation, restriktive Waffenexportpolitik,Bekämpfung der internationalen Kriminalität, desDrogenhandels und der Geldwäscherei bis zur Entwicklungszusammenarbeitund zur humanitären Hilfe - einzurechnen sind.Ziel all dieser Massnahmen ist es, Konfliktursachen anzugehen unddurch Ursachenbekämpfung mehr Sicherheit zu gewinnen.9. Und die traditionellen sicherheitspolitischen Ziele?Aber wie verhalten sich nun die neuen sicherheitspolitischen Zielezu den traditionellen, tief in der Geschichte verwurzelten Zielen wie"Friede in Freiheit und Unabhängigkeit", "Wahrung der Handlungsfreiheit"und "Behauptung des Staatsgebietes"?


12 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikFrieden, Freiheit und Unabhängigkeit sind Ideale, deren relativeVerwirklichung ohne gesichertes, das heisst auch wirkungsvollverteidigtes, Territorium nie möglich gewesen wäre. Entsprechendgross ist die Bedeutung des Territoriums in der ganzen Überlieferung.Ohne Besitz eines Territoriums kann ein Volk nach Völkerrechtkeinen Staat bilden und auch nicht jene Freiheit und Unabhängigkeitbeanspruchen, die im Selbstverständnis der Schweizerdurch Jahrhunderte hindurch zäh und erfolgreich verteidigt wurden.Dennoch ist den Schweizern von heute klar, dass der Besitzdes schweizerischen Territoriums für die heute lebende Gesellschaftkeine Sicherung des Überlebens, vor allem keine Sicherungdes Weiterlebens mehr bedeutet. Die Mehrheit der Nahrungsmittelund Verbrauchsgüter der Schweiz kommt aus dem Ausland, dieRohstoffe der Industrie kommen aus dem Ausland, die Mehrheitder in der Schweiz hergestellten Produkte geht ins Ausland. Dieheutige Schweiz ist in einem viel höheren Masse mit dem Auslandverzahnt und von ihrem Umfeld abhängig als je zuvor in ihrer Geschichte.Die Schweiz ist eine hochtechnisierte, international vernetzteund extrem arbeitsteilige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft,die nach einem allfälligen Krieg nicht einfach auf demNiveau einer Agrargesellschaft weiterleben könnte. Das heisstaber, dass es heute schwieriger wäre als je zuvor, das sicherheitspolitischeZiel "Behauptung des Staatsgebietes" zu realisieren. Entsprechenddiesen Einschränkungen unserer Unabhängigkeitmüssten auch relativierende Überlegungen in bezug auf die davonabhängigen Begriffe "Freiheit" und "Handlungsfreiheit" gemachtwerden. Frei ist nur, wer nicht abhängig ist. Und die Schweiz, alsmoderne Dienstleistungs- und Industriegesellschaft, ist heutestärker eingebunden als je.Zusammengefasst heisst das: Die Grenzen des klassischen Nationalstaatessind nicht mehr die Grenzen der heute relevanten Sicherheitsräume.Nationalstaaten sind keine autarken Gebildemehr. Es geht für die Schweiz - wieder einmal - darum, in einemProzess der Interessenabstimmung und notgedrungen auch durchAnpassung an das Umfeld die ihr wichtigen sicherheitspolitischenZielsetzungen in die Zukunft hinein zu gewährleisten.


Aktuelle Diskussion 1310. Was ist zu tun?Mit welcher Strategie kann die Schweiz die Spannungen zwischensicherheitspolitischen Zielen und den Zwängen einer verändertenRealität bewältigen?Eine rationale Überprüfung der Fakten scheint dafür zu sprechen,dass die Kräfte der europäischen Integration, die sorgfältig über 35Jahre entwickelt worden sind und die in viele Richtungen weiterwachsen, bereits eine derartige Konsistenz und Standfestigkeiterreicht haben, dass mit einem Rückfall in einen kämpferischenNationalismus unter jetzigen Nato- und EU-Partnern in absehbarerZukunft nicht mehr zu rechnen ist. Nationalistische Bewegungen,wie sie in allen Nachbarstaaten und auch in der Schweiz selbstmanifest sind, können eher als lokale und regionale Fundamentalismenbeurteilt werden. Es bedürfte einer grossen sozialenKatastrophe und einer Entwurzelung der Mehrheiten der europäischenVölker, um die psychologischen Voraussetzungen zuschaffen, die die jeweiligen Mehrheiten solchen Re-Nationalisierungsbewegungenin die Arme treiben würden.Die Anpassungsleistungen von EU und Nato in Richtung wirtschaftlicher,politischer und sicherheitspolitischer Integration sindbemerkenswert. Diese Organisationen haben die Befangenheit inden Problemen des Kalten Krieges hinter sich zurückgelassen. Sogardie Nato hat ein völlig renoviertes, modernes Konzept entwic??kelt,das mit dem ersten grösseren Einsatz ihrer Geschichte -zur Überwachung des Friedensschlusses von Dayton im ehemaligenJugoslawien - ab Dezember 1995 auf dem Prüfstand steht. Selbstwenn die USA ihr Engagement im Rahmen der Nato noch weiterreduzieren würden, so sind doch keine Gründe sichtbar, die dieMitglied- und Trägerstaaten der Nato veranlassen könnten, dieseeinzige funktionstüchtige Sicherheitsorganisation, die sich bereitseine neue, zukunftsbezogene Agenda gegeben hat, aufzulösen.Auch für die Schweiz ergibt sich die Notwendigkeit, sich von derBefangenheit in der Tradition innert nützlicher Zeit zu befreien.Eine logische Konsequenz für die Neuausrichtung der schweizerischenSicherheitspolitik auf diese Tatsachen würde heissen, dassdie Schweiz ihre sicherheitspolitischen Autarkieansprüche (wie siezum Beispiel die Volksrepublik China aus ihren geographischen,demographischen und politischen Voraussetzungen begründet er-


14 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikheben kann) aufgibt und sich dem westeuropäischen Sicherheitsverbundin geeigneter Weise anschliesst. Ein erstes Signal dazuwurde gegeben mit dem Entscheid, Nato-Truppen auf ihrem Wegzum Einsatz in Bosnien die Schweiz passieren zu lassen. Dernächste Schritt wird eine baldige Teilnahme an der Partnerschaftfür den Frieden (Partnership <strong>for</strong> Peace, PfP) sein. Weitere Schrittein Richtung auf eine engere Integration in die europäischen Strukturenwerden folgen müssen.Das bedeutet nicht, die eigene Tradition der Landesverteidigungaufzugeben, sondern das bedeutet, endlich sicherheitspolitischeKontakte aufzunehmen zu Nachbarn, von denen die Schweiz nichtnur keine militärischen Übergriffe zu befürchten hat, sondern mitdenen die Schweiz als demokratisch und marktwirtschaftlich organisierterRechtsstaat in allen relevanten Grundwerten übereinstimmt.Nur sicherheitspolitische Zyniker können im Ernst behaupten,dass die Schweiz gegenwärtig einen genügenden, dasheisst wirklich ernsthaften Beitrag an die Sicherheit Europas leiste.In Tat und Wahrheit profitiert die Schweiz nach wie vor vonder stabilisierenden Wirkung und vom Schutzschild der Nato, ohneselber einen Beitrag an diese wichtigste Sicherheitsorganisation zuleisten.Wenn die Schweiz in ihrer Sicherheitspolitik ernst genommenwerden will, dann darf sie sich nicht damit begnügen, eine Armeezu pflegen, die ausrüstungsmässig und organisatorisch zwar modernisiertwurde, die aber in ihrer sicherheitspolitischen Zielsetzung(und der davon abgeleiteten Strategie der Landesverteidigungnach allen Richtungen) um mindestens ein halbes Jahrhundertzurückgeblieben ist. Ausreichend und richtig bestückte Zeughäusersind notwendiger, aber nicht hinreichender Ausdruck desSicherheitswillens einer Gemeinschaft. Entscheidend ist heute dieEinsicht, dass die Schweiz Teil der europäischen Schicksalsgemeinschaftist und dass angesichts moderner Abstandswaffenund hochtechnisierter internationaler Vernetzung auf allen Gebieteneine einzelstaatliche Sicherheitspolitik illusionär ist.Die Schweiz muss ihre Sicherheit als Teil der europäischen Sicherheiterkennen lernen. Sie muss sich dementsprechend europäischengagieren, auch wenn dies nicht ohne Abstriche an liebgewordenenTraditionen geht. Die Schweiz hat bisher ohne innereZerreissproben gelebt, weil sie keine schwerwiegenden aussenpoli-


Aktuelle Diskussion 15tischen Entscheidungen zu treffen hatte und sich auf die Verwaltungihres prekären inneren Gleichgewichtes zwischen den verschiedenenTeilen und Gruppen konzentrieren konnte. Mitarbeit inEuropa bedeutet aber, mit einer ganzen Menge schwierigerwirtschaftlicher, politischer und sicherheitspolitischer Problemekonfrontiert zu werden, wie sie sich seit dem Ende des KaltenKrieges stellen. Kann und will sich die Schweiz wirklich von jedereuropäischen Mitverantwortung fernhalten? Die Schweiz ist wirtschaftlichzu bedeutend und sollte politisch selbstbewusst genugsein, um aktiv an der Lösung der anstehenden Fragen mitarbeitenzu wollen und den gegenwärtigen Zustand des Profitierens von denAnstrengungen anderer, diese Probleme zu lösen, als unwürdig zuempfinden. Es ist richtig, dass die Kooperation mit den europäischenNachbarn einen Preis hat, materiell und politisch. Aberauch Drückebergerei hat langfristig ihren Preis: Zuerst schrumpftdas Ansehen, dann schrumpft der Einfluss und schliesslich die politischeund wirtschaftliche Macht. Es wäre eine Illusion zu glauben,die Schweiz könne das Rad der Geschichte anhalten und sichvon den Veränderungen in Europa nach dem Kalten Krieg abschotten.Die Zusammenarbeit aller europäischen Staaten ist auch ein Aktder gemeinsamen Konsolidierung europäischer - beziehungsweisewestlicher, transatlantischer - Eigenständigkeit gegenüber einemAufbruch der Länder Asiens, der seine Auswirkungen zuerst wirtschaftlich,und im Laufe des nächsten Jahrhunderts auch politisch,bis nach Europa haben wird.Im Bereiche der Sicherheitspolitik wird sich die Schweiz also zumPartner in einem kooperativen Sicherheitsverbund entwickelnmüssen. Die aus einer so grundlegenden Neuorientierung abzuleitendeArmeeplanung wird nicht ohne massive Umbauten auskommen.Die Armee 95 wird nur als Übergang zu einer zahlenmässignochmals verkleinerten Armee betrachtet werden können,die sich so konfigurieren muss, dass sie mit einer kleinen, aberhochmodernen Kampfarmee (in wesentlichsten Teilen professionalisiert)auch an Einsätzen jenseits der Grenzen teilnehmen kannund mit einer traditionell strukturierten, milizmässig rekrutiertenund nur noch leicht bewaffneten Territorialorganisation die vielfältigenAufgaben in der Schweiz selbst - vom Katastropheneinsatzbis zur Kleinkriegführung im Falle eines völligen Zusammenbruchs


16 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikaller gemeinsamen europäischen Sicherheitsvorkehrungen -wahrnehmen kann. Es wird zentrales Anliegen dieser Armee desnächsten Jahrhunderts sein, die eigenen Kräfte in geeigneter Formdem grösseren Ganzen teilweise, sektoriell und allenfalls in Stufenzur Verfügung zu stellen, für Interoperabilität zu sorgen und vorallem auch sich an den Planungs- und Ausgestaltungsarbeiteneines europäischen Sicherheitsverbundes zu beteiligen.


Die OSZE-Präsidentschaft 1996:Eine Heraus<strong>for</strong>derung für die schweizerischeAussenpolitikvon Andreas Wenger und Christoph BreitenmoserAnlässlich des Budapester Gipfeltreffens vom 5. Dezember 1994wurde die Schweiz in die Führungstroika der Organisation für Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa (OSZE) - vormals Konferenzüber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - gewählt.Damit unterstützte unser Land in diesem Jahr zusammenmit Italien Ungarn in der Wahrnehmung der Präsidialverantwortung.Per 8. Dezember 1995 wurde der Vorsitz für das kommendeJahr offiziell an die Schweiz übertragen. Mit dieser Aufgabe setztunser Land sein traditionelles Engagement im Rahmen dieser Organisation<strong>for</strong>t. Die OSZE ist für die Schweiz um so wichtiger, alssie die einzige sicherheitspolitisch relevante Institution darstellt, inder unser Land gleichberechtigt partizipieren kann.Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden überträgt der Schweizdie "Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten", dasheisst, unser Land übernimmt Steuerungs- und Lenkungsaufgabeninnerhalb dieser gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation. DiePräsidentschaft der OSZE stellt nicht zuletzt deshalb eine besondereHeraus<strong>for</strong>derung für die schweizerische Aussenpolitik dar,weil sich die OSZE mitten in einem Institutionalisierungsprozessbefindet.Der epochale Umbruch 1989/1991 und die damit verbundene Überwindungder Konfrontation zwischen Ost und West sowie die Bereitschaftder Schweiz zur Übernahme der OSZE-Präsidentschaftrücken sowohl den OSZE-Prozess an sich als auch die eigenenMöglichkeiten der Schweiz im Rahmen dieser Organisation vermehrtin den Blickpunkt der aussenpolitischen Aufmerksamkeit.Der vorliegende Artikel schildert in einem ersten deskriptiven Teildie Entwicklung von der "alten" KSZE zur "neuen" OSZE mit denheutigen Institutionen. In einem zweiten analytischen Teil wirdeinerseits die Bedeutung der OSZE für die Schweiz erläutert undandererseits auf die mit der Präsidentschaft im Jahr 1996 verbundenenHeraus<strong>for</strong>derungen für die schweizerische Aussenpolitik


18 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikeingegangen. Namentlich soll dabei untersucht werden, welcheRahmenbedingungen vorgegeben sind und welche Handlungsfelderder schweizerischen OSZE-Präsidentschaft offenstehen. 11. Die "alte" KSZE - Von multilateraler Konferenzdiplomatiezum KSZE-ProzessDer Entwicklungsverlauf der KSZE/OSZE, ihre Form und Thematiklassen sich nicht von der Entwicklung des Ost-West-Konfliktestrennen. Der Helsinki-Prozess widerspiegelt die politischen Verhältnisse,die in den letzten zwanzig Jahren die europäische Politikgrundlegend verändert haben. Eine kurze Darstellung der historischenDimension des KSZE-Prozesses von seinen Ursprüngenbis zur heutigen Ausgestaltung der OSZE sei daher der Diskussionkünftiger Entwicklungsoptionen vorangestellt.Im Verlauf der sechziger Jahre stiegen die Chancen für die Verwirklichungeiner europäischen Neuordnung. Mit der Auflockerungder durch den Kalten Krieg akzentuierten Interessenbloc??kadezwischen den beiden in Europa engagierten Supermächten, derSowjetunion und den Vereinigten Staaten, deuteten sich Möglichkeitender Überwindung des Konfrontationssystems zugunstenblockübergreifender, kooperativ angelegter Strukturen im Sinneeiner "antagonistischen Kooperation" an. Das Projekt einer EuropäischenSicherheitskonferenz war ab Mitte der sechziger Jahreüber ein Jahrzehnt lang das wichtigste Instrument multilateralerEntspannungspolitik in Europa. Im Beitrag der einzelnen Akteurespiegelten sich jedoch unterschiedliche Motive und Interessen. 212Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes danken die beiden Autorenden Herren Dr. Martin Dahinden, Stefan Klötzli, Thomas Köppel und RobertFabrin.Zur Geschichte des KSZE-Prozesses vgl. grundsätzlich: Ljubivoje Acimovic.Problems of <strong>Security</strong> and Cooperation in Europe. Alphen aan den Rijn1981; Victor-Yves Ghebali. La diplomatie de la détente: la CSCE d’Helsinkià Vienne (1973-1989). Brüssel 1989; Wilfried von Bredow. Der KSZE-Prozess:Von der Zähmung zur Auflösung des Ost-West-Konfliktes. Darmstadt1992.Vgl. für ausgezeichnete Analysen und Dokumentationen des ursprünglichenKSZE-Prozesses in den siebziger und achtziger Jahren die umfassendenWerke: Friedrich-Karl Schramm, Wolfram-Georg Riggert, Alois Friedel


Aktuelle Diskussion 19Die Idee einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz stammteursprünglich von der Sowjetunion, die 1954 eine Initiative zurAushandlung eines kollektiven Sicherheitsvertrages lancierte.Weitere Vorstösse folgten in den sechziger Jahren mit derBukarester Deklaration des Warschauer Paktes (1966) und im BudapesterAppell der Ostblockstaaten (1969). Das Hauptmotiv Moskausfür diese diplomatischen Vorstösse war es, den territorialenStatus quo, wie er sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildethatte, zu konsolidieren. Die westliche Seite blieb gegenüber diesenInitiativen anfänglich skeptisch: Sie sah in den sowjetischenAktionen den Versuch, die USA von ihren europäischenVerbündeten abzukoppeln. Auf der neuen konzeptionellen Grundlagedes Harmel-Berichtes über die künftigen Aufgaben der Nato(1967) - der neben der Wahrung militärischer Stärke auch eine aktiveEntspannungspolitik propagierte - begann die NordatlantischeAllianz die Frage einer europäischen Sicherheitskonferenzgleichwohl ernsthaft zu prüfen. Das Signal von Tiflis (1971), in demdie östliche Seite die Bereitschaft zu den von den USA gewünschtenGesprächen über beiderseitige und ausgewogene Trup-(Hg.). Sicherheitskonferenz in Europa: Dokumentation 1954-1972: Die Bemühungenum Entspannung und Annäherung im politischen, militärischen,wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technologischen und kulturellenBereich. Frankfurt am Main 1972; Hans-Adolf Jacobsen, Wolfgang Mallmann,Christian Meier (Hg.). Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa(KSZE): Analyse und Dokumentation, Band I. Dokumente zur AussenpolitikII. Köln 1973; Dies. (Hg.). Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa(KSZE): Analyse und Dokumentation, Band II. Dokumente zur AussenpolitikII/2. Köln 1978; Herrmann Volle, Wolfgang Wagner (Hg.). KSZE - Konferenzüber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Beiträgen undDokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1976; Dies. (Hg.). Das BelgraderKSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des Entspannungsprozesses inEuropa in Beiträgen und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1978;Dies. (Hg.). Das Madrider KSZE-Folgetreffen. Der Fortgang des KSZE-Prozesses in Europa in Beiträgen und Dokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1984.Einen umfassenden Überblick über die zahlreiche Literatur zu allenAspekten des KSZE-Prozesses bieten Günter Schwarz, Dieter S. Lutz. Sicherheitund Zusammenarbeit: Eine Bibliographie zu MBFR, SALT undKSZE. Militär, Rüstung, Sicherheit 2. Baden-Baden 1980.


20 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikpenreduzierungen (MBFR) 3 erkennen liess, erfüllte eine wichtigeVorbedingung des Westens betreffend der Gespräche über diekonventionelle Abrüstung. Nach Abschluss der deutschen Ostverträge,des Grundlagenvertrages zwischen der BundesrepublikDeutschland und der DDR, des Vier-Mächte-Abkommens überBerlin und der erfolgreichen bilateralen Gespräche zwischen denGrossmächten über die Begrenzung strategischer Rüstungen(SALT I) 4 in der Phase der Entspannung der frühen siebziger Jahrekonnten nach mehrjährigen bilateralen Sondierungen zwischen Ostund West nun die multilateralen Vorbereitungen zur Konferenzüber Sicherheit und Zusammenarbeit mit der Aussenministerkonferenzim Juli 1973 in Helsinki offiziell beginnen.Die wichtigste Phase des beginnenden KSZE-Prozesses fand anschliessendvon September 1973 bis Juli 1975 in Genf statt. Inlangwierigen Kommissionsverhandlungen wurde um die Formulierungder KSZE-Schlussakte gerungen. Diese multilateralen Gesprächewaren geprägt vom Gegensatz zwischen den westlichenStaaten der Nordatlantischen Allianz und den Ländern des WarschauerPaktes. Standen bei der UdSSR die Absicherung ihresMachtbereiches und die Entwicklung blockübergreifender Wirtschaftsbeziehungenim Vordergrund, legten die westlichen Vertreterihr Schwergewicht auf die Verankerung der Menschen- undGrundrechte und auf mehr Freizügigkeit für Menschen und In-34Anlässlich des amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffens im Mai 1972 inMoskau fiel die Entscheidung, die MBFR-Verhandlungen (Mutual and BalancedForce Reductions) und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeitgetrennt, aber zeitlich parallel durchzuführen. Dies ist derGrund, warum innerhalb des KSZE-Prozesses nur am Rande über militärischeProblembereiche gesprochen wurde. Damit soll aber die Leistung derKSZE auf dem Gebiet der Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmennicht geschmälert werden, war doch deren inhaltliche Ausweitungund Systematisierung eine Errungenschaft der KSZE. Die MBFR-Konferenzwurde von 19 Teilnehmerstaaten im Oktober 1973 in Wien eröffnet.Sie zog sich mehr als 15 Jahre hin und wurde erst 1989 durch die im Rahmender KSZE stattfindenden Verhandlungen über konventionelle Streitkräftein Europa (VKSE) zwischen Nato und Warschauer Pakt abgelöst.Die Abkürzung steht für Strategic Arms Limitation Talks, welche seit November1969 zwischen den USA und der Sowjetunion geführt worden waren.


Aktuelle Diskussion 21<strong>for</strong>mation. Die Gruppe der Neutralen und NichtpaktgebundenenStaaten (N+N), in welcher die Schweiz eine zentrale Rolle innehatte,übernahm eine wichtige, in einigen Fragen mittels ihrerKompromissvorschläge gar entscheidende Katalysator-Funktionzwischen den beiden Blöcken. Ebenso wurden diesen Staaten gewisseKoordinationsaufgaben in den KSZE-Verhandlungen zugewiesen.Die N+N-Staaten waren aber kein homogener Block zwischenOst und West, sondern eine nicht-institutionalisierte Gruppezur Vertretung gemeinsamer Interessen. Der Charakter der N+N-Gruppe prägte sich je nach Sujet unterschiedlich aus. 5Diese ersten Verhandlungen zwischen dem Osten und dem Westenüber die verschiedensten Aspekte europäischer Sicherheit und Zusammenarbeitführten schliesslich vor zwanzig Jahren - am 1. August1975 - zur feierlichen Unterzeichnung der Schlussakte vonHelsinki durch die Staats- und Regierungschefs der beteiligten 35europäischen Staaten. Die Schlussakte gilt als Basisdokument desKSZE-Prozesses. In ihrer Systematik ist sie in vier Themenbereiche,die sogenannten "Körbe" 6 , aufgeteilt: Korb I: Fragen der Sicherheitin Europa; Korb II: Zusammenarbeit in den Bereichen56Die Abkürzung "N+N" steht für Neutral and Non-Aligned States.(Neutrale: Österreich, Schweden, Finnland, Schweiz; Nichtpaktgebundene:Jugoslawien, Zypern, Malta, Liechtenstein, San Marino).Mit der Auflösung der Blöcke Anfang der neunziger Jahre büsste die Mittlerfunktionaber an Bedeutung ein. Auch wurden keine Kompromisstextemehr von der N+N-Gruppe ausgearbeitet. Die Bedeutung dieser Staatengruppenahm mit dem Übertritt einzelner neutraler und blockfreier Staatenin die Europäische Union, die ihrerseits eine gewichtige Rolle innerhalbder KSZE spielt, ab. Begriff und Institution der N+N-Gruppe sindheute verschwunden.Zur Rolle der N+N-Staaten vgl. allgemein: Michael Zielinski. Die neutralenund blockfreien Staaten und ihre Rolle im KSZE-Prozess. Nomos Universitätsschriften13. Diss. Baden-Baden 1990; Hanspeter Neuhold (Hg.).CSCE: N+N Perspectives: The Process of the Conference on <strong>Security</strong> and Cooperationin Europe from the Viewpoint of the Neutral and Non-AlignedParticipating States. The Laxenburg Papers 8. Wien 1987.Die Aufteilung in die seither gebräuchlichen vier Körbe geht auf ein derschweizerischen Delegation anlässlich der vorbereitenden Konsultationenvon Dipoli (November 1972) erteiltes Mandat zurück, eine Sammlung undSortierung der von den einzelnen Staaten eingebrachten Vorschläge inForm einer Synopse vorzunehmen.


22 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikWirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Umwelt 7 ; Korb III: Zusammenarbeitin humanitären und anderen Bereichen; Korb IV:Folgen der Konferenz. Das Herzstück der Schlussakte bildet aberdie Prinzipienerklärung - der sogenannte "Dekalog" -, auf derenGrundlage die Teilnehmerstaaten ihre Beziehungen zu gestaltenversichern. 8 Die Konferenzprinzipien der gleichberechtigten Teilnahmeund der Beschlussfassung im Konsens 9 verliehen derSchlussakte erhebliches politisches Gewicht, wenngleich der KSZE-Prozess bis heute keine unmittelbare völkerrechtliche Verbindlichkeitbeinhaltet. 10 Die eigentliche Leistung der Schlussakte789Während des kalten Krieges konnte die wirtschaftliche Zusammenarbeitaufgrund der zu unterschiedlichen Wirtschaftssysteme in Ost und West alsdrittes Standbein neben der sicherheitspolitischen und menschlichen Dimensionkeine grösseren Erfolge verzeichnen. Erst seit Ende des Ost-West-Antagonismus wurde mit dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zumPrivateigentum ein Durchbruch erzielt. Der Beitrag der OSZE zur Unterstützungdes Übergangs zur Marktwirtschaft findet heute im Rahmen derjährlich in Prag durchgeführten OSZE-Wirtschafts<strong>for</strong>en statt. Im Gegensatzzu den zahlreichen internationalen Wirtschaftsorganisationen verfügtdie OSZE aber über keine Kompetenz, die es ihr erlauben würde, sich inWirtschaftsfragen operationell zu engagieren.Die 10 Prinzipien lauten: souveräne Gleichheit der Staaten, Gewaltverzicht,Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität der Staaten,friedliche Regelung von Streitigkeiten, Nichteinmischung in innereAngelegenheiten, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten,Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker,Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten und Erfüllungvölkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.Als oberster Grundsatz der Arbeitsmethoden der KSZE gilt bis heute, dassalle Staaten "souverän" und "unabhängig" sowie unter der Bedingung der"vollen Gleichheit" am KSZE-Prozess teilnehmen und dass Beschlüsse imKonsens gefasst werden. Diese Grundsätze wurden bereits 1972/73 anlässlichder Vorverhandlungen, den Konsultationen in Dipoli (Helsinki), inden Schlussempfehlungen - dem sogenannten "Blauen Buch" - fixiert.10 Dabei ist zu beachten, dass die KSZE/OSZE-Dokumente aber insofern einerechtliche Bedeutung besitzen, als sie bestehende völkerrechtliche Normenoder Grundsätze des Völkergewohnheitsrechtes bekräftigen (so bestätigendie Prinzipien als Verhaltenskodex einzelne Bestimmungen der Uno-Charta).Im weiteren schaffen sie eine moralische Verpflichtung, die gemeinsamangenommenen Werte und Normen namentlich im Bereich der Gewährlei-


Aktuelle Diskussion 23lag in ihrer Konstruktion: In ihr wurden mit Ausnahme der Abrüstungund Rüstungskontrolle alle gesamteuropäischen Konfliktthemenaufgelistet. Mit diesem Dokument wurde erstmals auf derBasis gemeinsam beschlossener normativer Werte ein Konsenspapierüber Form und Ziele der Entspannungspolitik ausgearbeitet,dem beide Seiten des geteilten Europas zustimmten. Im Dokumentüber Vertrauensbildende Massnahmen wurden zudem erstekonkrete Umsetzungen erreicht. Rückblickend erwies sich dieSchlussakte als brauchbarer Ausgangspunkt für weiterführendebeiderseitige Annäherungen. Der Abschluss dieser ersten Etappedes KSZE-Prozesses bildete 30 Jahre nach dem Ende des ZweitenWeltkrieges einen Höhepunkt der multilateralen Entspannungspolitik.Auf der Grundlage der Helsinki-Schlussakte entwickelte sich <strong>for</strong>tanein dynamischer Prozess mit Folgetreffen, an denen die Erfüllungder Helsinki-Verpflichtungen überprüft und neue KSZE-Regelnverabschiedet wurden. Es folgten Konferenzen und Expertentreffennamentlich über militärische Vertrauens- und SicherheitsbildendeMassnahmen und Abrüstung, über friedliche Streitbeilegung sowieüber die Menschliche Dimension. Während des ersten KSZE-Folgetreffens in Belgrad (1977-1978) konnte kein Konsens über dieFortschreibung der Schlussakte erreicht werden. Hauptsächlichbeschäftigte man sich mit dem wichtigsten politischen Aspekt, derMenschlichen Dimension, hatte doch diese Frage an Brisanzgewonnen, da die KSZE für viele Menschenrechtsgruppierungen imOsten zum Symbol für ihren Einsatz zugunsten derMenschenrechte und Grundfreiheiten geworden war. 11Die Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen gegen Ende dersiebziger Jahre (Afghanistan-Krieg; Kriegsrecht in Polen; Aufstungder Menschenrechte und Grundfreiheiten innerstaatlich umzusetzen.11 Die in der Schlussakte enthaltene explizite Bestätigung des Anspruchesdes Individuums, seine Rechte und Pflichten im Bereich der MenschlichenDimension ausüben zu können, führte ab 1976 zur Gründung zahlreicherHelsinki-Gruppen. Im Osten entstanden organisierte Dissidentengruppierungenzur Überwachung der Helsinki-Verpflichtungen; im Westen bildetensich entsprechende Vereinigungen, um Menschenrechtsverletzungen inOsteuropa in Erfahrung zu bringen und öffentlich anzuprangern.


24 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikrüstung in Ost und West) überschattete das zweite KSZE-Folgetreffenin Madrid (1980-1983). Nicht zuletzt dank der Bemühungender N+N-Staatengruppe konnte dennoch ein Teilerfolg erzieltwerden: Das "Mandat von Madrid" begründete die Konferenz überVertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen und Abrüstungin Europa (KVAE) in Stockholm (1984-1986).Im Klima der "Perestroika" in der UdSSR und der sich verbesserndenamerikanisch-sowjetischen Beziehungen zeichnete sichallmählich eine Wende im politischen Handeln des Ostblocks ab,welche das Ergebnis des dritten KSZE-Folgetreffens in Wien (1986-1989) nachhaltig beeinflusste und den Helsinki-Prozess mit einerneuen Dynamik versah. In allen drei Körben konnten wesentlicheFortschritte erzielt werden. Erwähnenswert ist namentlich dieSchaffung des Mechanismus der Menschlichen Dimension 12 , mittelsdessen die Einhaltung der KSZE-Menschenrechtsverpflichtungenüberprüft werden kann. Im Bereich der militärischen Sicherheit12 Dieser Mechanismus - später auch CHD-Mechanismus (Conference on theHuman Dimension) genannt - wurde auf dem Kopenhager Treffen (1990)und auf dem Moskauer Treffen (1991) über die Menschliche Dimensionweiter verfeinert. Er erlaubt jedem Teilnehmer, bei einem anderen OSZE-Staat In<strong>for</strong>mationen über Menschenrechtsverletzungen einzuholen. Eskönnen auch bilaterale Treffen zur Klärung von Menschenrechtsverletzungenbeantragt werden. Die Ergebnisse solcher Treffen können auf KSZE-Folgekonferenzen und Aussenministertreffen sowie auf Treffen des HohenRates zur Sprache gebracht werden. Wenn die Resultate unbefriedigendausfallen, kann gegen das Votum des betroffenen Staates eine Mission vonKSZE-Berichterstattern zur Tatsachenfeststellung auf das Territorium desStaates in die Wege geleitet werden. Vgl. zum Mechanismus der MenschlichenDimension: Peter Schlotter, Norbert Ropers, Berthold Meyer. Die neueKSZE: Zukunftsperspektiven einer regionalen Friedensstrategie. AnalysenPolitik, Gesellschaft, Wirtschaft 44. Opladen 1994. 42-45 (Schaubild 8).Dieser Moskauer Mechanismus wurde bisher viermal ausgelöst:Menschenrechtsberichterstatter-Mission nach Ex-Jugoslawien (1991/1992)unter der Leitung des Schweizer Staatsrechtlers Thomas Fleiner;Expertenmission nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina (1992);Expertenmission nach Estland (1992); Expertenmission nach Moldawien(1993). Die geplante Expertenmission nach Serbien-Montenegro (1993)scheiterte am Widerstand Belgrads. Ebenso misslangen Versuche - auchdurch die Schweiz (1995) -, Expertenmissionen in den Südosten der Türkeizu entsenden, da die Unterstützung der er<strong>for</strong>derlichen Anzahl Staatenversagt blieb.


Aktuelle Diskussion 25einigte man sich nicht nur auf weitere Verhandlungen überVertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen (VVSBM) zwischenallen Teilnehmerstaaten, sondern nahm auch erstmals imKSZE-Rahmen Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte inEuropa (VKSE) unter Beteiligung der Mitgliedstaaten von Natound Warschauer Pakt auf. Diese Verhandlungen resultierten 1990schliesslich im Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa(KSE I), der die Nato und den Warschauer Pakt zu festen Obergrenzenwesentlicher Hauptwaffensysteme verpflichtete, und 1992in der Abschliessenden Akte der Verhandlungen über Personalstärken(KSE Ia), welche die Mannstärke der Vertragspartner festsetzte.Überdies wurden anlässlich des Wiener Folgetreffens weitereKonferenzen und Expertentreffen zu verschiedenen Themenanberaumt (Menschliche Dimension; In<strong>for</strong>mation; FriedlicheStreitbeilegung; Wirtschaftliche Zusammenarbeit; Umweltschutz;Mittelmeerraum).2. Die "neue" KSZE - Institutionalisierung nach demstrategischen UmbruchAls Forum des Dialogs zwischen Ost und West leistete die KSZEeinen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Blockkonfrontationund zum Wandel in Mittel- und Osteuropa seit 1989. 13 Ihreursprüngliche Aufgabe des Brückenschlages zwischen Ost undWest war durch die Wende erfüllt. Welche Rolle der OSZE imneuen europäischen Sicherheitsarrangement im Umfeld der sichgegenseitig verstärkenden Sicherheitsinstitutionen heute zukommt,ist noch nicht definiert. Dafür sind die Einschätzungen derTeilnehmerstaaten zu verschieden. Die Weiterentwicklung hängtindes nicht nur von der OSZE allein ab, sondern auch von der Dynamikanderer sicherheitspolitisch relevanter Organisationen in13 Rückblickend nennt Ghebali für den gesamten KSZE-Prozess während derPhase des kalten Krieges folgende drei Vorteile der KSZE: "[The CSCEwas] a permanent channel of communication, a normative code of conduct,a long-term programme of cooperation covering all dimensions of security(...). It filled a vacuum and addressed a deficiency in East-West relationswhich had existed since the beginning of the Cold War and, perhaps, sincethe 1917 Bolshevik October Revolution." Vgl. Victor-Yves Ghebali, BrigitteSauerwein. European <strong>Security</strong> in the 1990s: Challenges and Perspectives.UNIDIR-Publications 2/1995. New York-Genf 1995. 143.


26 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikEuropa. Mit der Eindämmung inner- und zwischenstaatlicherKonflikte, dem Aufbau demokratischer Strukturen, einem wirksamenMinderheitenschutz und der kollektiven Sicherheit befassensich auch die Uno, die Nato mit dem Nordatlantischen Kooperationsrat(NACC) und der Initiative "Partnerschaft für den Frieden"(PfP), die EU und die WEU.Aussagen von der angeblichen Bedeutungslosigkeit der OSZE heutebasieren auf der Prämisse der "Militarisierung" des politischenDenkens in einem von militärischen Konflikten beherrschtenUmfeld, die im Zuge des Jugoslawienkonfliktes neuen Auftrieberhalten hat. Das Leistungsprofil der OSZE, welche das Schwergewichtihrer operativen Tätigkeiten auf die von aussen so wenignachvollziehbare stille Diplomatie legt, wird dadurch ignoriert. DieOSZE ist kein Instrument der Macht- oder Interessenprojektion.Sie setzt auf Stabilisierung von innen mittels "weicher" Instrumentewie Diplomatie, Gute Dienste, Wirtschaftskooperationund Hilfe beim Aufbau demokratischer, rechtlicher, marktwirtschaftlicherund sozialer Strukturen. Sie ist ein Forum des Dialogs- oder wie sie auch bezeichnet wird, eine "Schule der Empathie". 1414 Zur aktuellen Entwicklung der KSZE/OSZE vgl. grundsätzlich: StefanLehne. The CSCE in the 1990s: Common House or Potemkin Village. Wien1991; Ian M. Cuthbertson (Hg.). Redefining the CSCE: Challenges and Opportunitiesin the New Europe. New York 1992; Michael Staak (Hg.). Aufbruchnach Gesamteuropa: Die KSZE nach der Wende im Osten. ForschungsberichteInternationale Politik 15. Münster 1992; Vojtech Mastny.The Helsinki Process and the Reintegration of Europe 1986-1991: Analysisand Documentation. London 1992; Michael R. Lucas (Hg.). The CSCE inthe 1990s: Constructing European <strong>Security</strong> and Cooperation. Baden-Baden1993; Alexis Heraclides. Helsinki II and its Aftermath: The Making of theCSCE into an International Organization. London/New York 1993; PeterSchlotter, Norbert Ropers, Berthold Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiveneiner regionalen Friedensstrategie. Analysen Politik,Gesellschaft, Wirtschaft 44. Opladen 1994; Berthold Meyer, BernhardMoltmann (Hg.). Konfliktsteuerung durch die Vereinten Nationen und dieKSZE. Frankfurt am Main 1994.Als neue Bibliographie zum KSZE/OSZE-Prozess: Henrik Holtermann(Hg.). CSCE: From Idea to Institution: A Bibliography. Kopenhagen 1993.Die KSZE/OSZE-Dokumente werden unter anderem leicht greifbar laufendveröffentlicht in: Ulrich Fastenrath (Hg.). KSZE: Dokumente der Konferenzüber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Neuwied 1992.(Loseblattsammlung, <strong>for</strong>tlaufend).


Aktuelle Diskussion 27Mit der Charta von Paris für ein neues Europa (1990) bekräftigtendie 34 KSZE-Teilnehmerstaaten 15 die einschneidenden Veränderungenin Europa. Die Charta betont die Gemeinsamkeit derWerte, die von "Vancouver bis Wladiwostok" Gültigkeit besitzen.Sie widerspiegelt als zeitgemässe Fortsetzung der Schlussakte vonHelsinki den Optimismus der Wende: Das Dokument erklärt dieKonfrontation zwischen Ost und West für beendet. Die Mitgliedstaatenbekennen sich darin zur Achtung der Menschenrechte, zurpluralistischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zur Förderungfreundschaftlicher Beziehungen untereinander und zurMarktwirtschaft. Eine massvolle Institutionalisierung des KSZE-Prozesses nahm in Paris ihren Anfang. Zwei politische Organewurden in Form des KSZE-Rates der Aussenminister (heute: Ministerrat)und des Ausschusses Hoher Beamter geschaffen; alspermanente Institutionen wurden ein Sekretariat in Prag, das Bürofür freie Wahlen in Warschau (heute: Büro für DemokratischeInstitutionen und Menschenrechte) sowie das Konfliktverhütungszentrumin Wien errichtet. In der Charta von Paris sprechensich die Regierungen auch für die Einrichtung einer ParlamentarischenVersammlung aus.Der Teilnehmerkreis der KSZE wurde im Gefolge der gewaltigenUmwälzungen in Europa, namentlich der Auflösung der Sowjetunion,seit 1990 beträchtlich erweitert auf heute 53 Mitgliedstaa-Das erste Jahrbuch zur OSZE existiert seit diesem Jahr: Institut für Friedens<strong>for</strong>schungund Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (Hg.).OSZE-Jahrbuch 1995: Jahrbuch zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa (OSZE). Baden-Baden 1995.Für einen ersten Überblick sei auf das kürzlich erschienene IAP-Schwerpunktheftverwiesen: Von der KSZE zur OSZE: Die Organisation für Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa. Hg. IAP-Dienst Sicherheitspolitik,5/1995. Bonn 1995.Eine ausgezeichnete Einführung in die OSZE bietet auch: OSZE-Vademecum:Eine Einführung über die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa. Hg. OSZE-Dienst des Eidgenössischen Departementesfür auswärtige Angelegenheiten. Bern 1995.Als Lehrmittel für die Aus- und Weiterbildung ist kürzlich erschienen:OSZE - Sicherheit in Europa. Hg. Eidgenössisches Departement für auswärtigeAngelegenheiten. Bern 1995.15 Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten schied die DDR1990 als Mitgliedstaat aus.


28 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikten: Albanien trat 1991 als letztes europäisches Land, das sich seitden Anfängen der Sicherheitskonferenz ferngehalten hatte, derKSZE bei; ebenfalls 1991 wurden die drei baltischen Staaten Estland,Lettland und Litauen nach Erlangung ihrer Unabhängigkeitzu neuen Mitgliedern; Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenienwurden nach der Auflösung des jugoslawischen Staatenverbandes1992 neu aufgenommen; Mazedonien nahm erst vor kurzem,im Oktober 1995, als Teilnehmerstaat Einsitz; Restjugoslawien(Serbien-Montenegro) ist seit 1992 suspendiert; die zwölfNachfolgestaaten der UdSSR nehmen seit 1992 an der KSZE teil:Russland, Ukraine, Weissrussland, Moldawien, die KaukasusstaatenGeorgien, Armenien und Aserbeidschan und die zentralasiatischenStaaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistanund Usbekistan; und seit der Auflösung der CSFR per 1993 nehmenneu die Tschechische Republik und die Slowakische Republik teil. 16Grundsätzlich waren sich die Teilnehmerstaaten nach dem Umbruch1989/91 bald einmal einig, dass die KSZE über die Funktioneines Dialog<strong>for</strong>ums hinaus eine politische Führungsaufgabe in bezugauf die Sicherheit in Europa übernehmen sollte. Gleichwohlwaren aber für eine angemessene Antwort auf den ausbrechendenJugoslawienkonflikt noch keine operationellen Mittel vorhanden.Vor dem Hintergrund zunehmender Krisen und Konflikte in Europa,vor allem im ehemaligen Jugoslawien, aber auch im Kaukasus,verstärkte die KSZE auf ihrem Folgetreffen von Helsinki (1992)ihre operationellen Instrumente in den Bereichen vorbeugendeMassnahmen, Konfliktverhütung, politische Krisenbewältigungeinschliesslich Erkundungs- und Berichterstattermissionen sowieFriedenserhaltung und friedliche Streitbeilegung. Überdies schufsie die Möglichkeit, eigene Peacekeeping-Operationen durchzuführen.So besteht nun ein ganzes Set von Mechanismen bezüg-16 Das seit 1994 unabhängige Andorra gehört der OSZE (noch) nicht an.Ferner ist zu beachten, dass die KSZE auch Kontakte zu NichtstaatlichenOrganisationen (NGOs) und zu Drittstaaten pflegt: Das Hauptaugenmerkbei den Kontakten zu NGOs liegt auf der Menschlichen Dimension. ImRahmen der Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraumbestehen auch Bindungen zu den Mittelmeeranrainerstaaten Algerien,Ägypten, Israel, Marokko und Tunesien. Seit dem Helsinki II-Gipfel(1992) wird Japan an gewisse Treffen eingeladen. Einen ähnlichen Statusbesitzt Südkorea.


Aktuelle Diskussion 29lich der Konfliktprävention, des Konfliktmanagements und derKonfliktlösung. Weiter erklärten die Staats- und Regierungschefsdie KSZE zu einer "regionalen Abmachung" der Vereinten Nationengemäss Kapitel VIII der Uno-Charta, um so den Charakter derKSZE als wichtiges Bindeglied zwischen europäischer und globalerSicherheit zu betonen und eine Zusammenarbeit mit der Uno imBereich der Verhütung und Beilegung von Konflikten anzustreben.Die bisher getrennt verlaufenen Verhandlungen zur Rüstungskontrolleund Abrüstung, zur Konfliktverhütung sowie zu VertrauensundSicherheitsbildenden Massnahmen wurden zusammengeführt.Damit verbindet die OSZE in diesen Bereichen heute alleTeilnehmerstaaten, nachdem an den VKSE nur Nato- und WarschauerPakt-Staaten teilgenommen haben. Die begonnene Institutionalisierungwurde mit der Einsetzung eines Hochkommissarsfür nationale Minderheiten, der Schaffung eines Forums für Sicherheitskooperationund der Bildung eines Vergleichs- undSchiedsgerichtshofes weitergeführt.In der gegenwärtigen Phase wird die Konferenz konfrontiert mitneuen sicherheitspolitischen Risiken und gesamteuropäischen Ansprüchenanderer sicherheitspolitischer Organisationen. An derBudapester Überprüfungskonferenz (1994) wurden die Strukturenkonsolidiert, was augenscheinlich auch in der neuen Namengebungzum Ausdruck kommt: Seit dem 1. Januar 1995 nennt sie sichOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Eineweitergehende institutionelle Stärkung konnte hingegen nichterreicht werden. Die Erklärung zum Bosnien-Krieg endete imStreit um die Bezeichnung des Aggressors. Grundsätzlich beschlossenwurde aber eine Peacekeeping-Einheit für Nagorny-Karabach.Falls diese entsendet wird, würde die OSZE neben ihrentraditionellen Schwerpunkten Konfliktverhütung und Präventivdiplomatieauch im Bereich des Krisenmanagements aktiv.2.1. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin EuropaUrsprünglich aus unregelmässig durchgeführten Konferenzen,Expertentreffen und Seminaren entstanden, bildet die OSZE heuteeine übernationale Organisation mit festen Institutionen undVerfahren. Dabei sind drei verschiedene Organe zu unterscheiden:politische, administrative und spezialisierte Institutionen.


30 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikHöchste Instanz der politischen Organe sind die Gipfeltreffen derStaats- und Regierungschefs, wo die politischen Richtlinien und dieprioritären Aufgaben der OSZE festgelegt werden. Sie markierenden abschliessenden Höhepunkt der alle zwei Jahre stattfindendenetwa dreimonatigen Folgetreffen - seit 1992 "Überprüfungskonferenzen"genannt -, an denen die Aktivitäten der OSZE überprüftund weitere Schritte zur Stärkung des OSZE-Prozesses in Aussichtgestellt werden. Die Ergebnisse werden in einem Schlussdokumentfestgehalten. Das nächste Treffen der Staats- und Regierungschefsist für 1996 in Lissabon vorgesehen. Der Ministerrat (ehemalsKSZE-Rat der Aussenminister) stellt das zentrale Beschluss- undLeitungsgremium dar und bildet ein Forum für politischeKonsultationen. In der Regel tritt er einmal jährlich auf der Ebeneder Aussenminister zusammen. Alle zwei Jahre bestreitet derMinisterrat die Überprüfungskonferenz. Der Hohe Rat besteht ausleitenden Beamten der Aussenministerien aller Mitgliedstaaten,die für die Leitung und Koordination der OSZE-Geschäfte zwischenden Ministerratstagungen verantwortlich sind. Im gesamtenSystem der Frühwarnung, der vorbeugenden Diplomatie, derKonfliktverhütung und Krisenbewältigung kommt diesem einebesondere Rolle zu. Von ihm werden auch die Haushaltsrichtlinienfestgelegt. Er tritt mindestens zweimal jährlich in Prag und vorden Sitzungen des Ministerrats zusammen. Als zentralespermanentes Forum dient der 1993 geschaffene, wöchentlichtagende Ständige Rat in Wien. Für die täglichen operativenAufgaben bildet er das zuständige Gremium für politische Konsultationenund operationelle Beschlüsse. Diese reichen von derFrühwarnung über das Ergreifen präventiver Massnahmen, dasKrisenmanagement und die Entsendung von Langzeitmissionen bishin zu praktischen, auch administrativen Fragen.


Aktuelle Diskussion 31Abbildung 1: Das Organigramm der OSZE. (Quelle: Von der KSZE zur OSZE:Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Hg. IAP-Dienst Sicherheitspolitik 5/1995. Bonn 1995. S. 8.)Als Verwaltungsorgan zur Unterstützung der politischen Gremienist in Wien ein Sekretariat unter der Leitung eines für drei Jahre


32 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikgewählten Generalsekretärs (seit Mai 1993 der deutsche DiplomatWilhelm Höynck) geschaffen worden. Dieser ist höchster Verwaltungsbeamterund handelt als Vertreter des Vorsitzenden derOSZE. Seine Hauptaufgabe besteht insbesondere darin, den AmtierendenVorsitzenden administrativ zu unterstützen. Das Sekretariatumfasst unter anderem eine Abteilung "Unterstützung" fürdas OSZE-Präsidialland. Ferner unterhält es als Aussenstelle inPrag ein Büro. Im Gegensatz zu anderen internationalen Organisationenspielt die Bürokratie der OSZE keine eigene politischeRolle.Daneben existieren verschiedene spezialisierte Organe: Das Bürofür Demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschauist die Hauptinstitution für die Menschliche Dimension. Es überwachtdie menschenrechtlich relevanten OSZE-Verpflichtungen,organisiert Wahlbeobachtungen und führt Seminare zu menschenrechtlichenFragen der Demokratisierung und der Konsolidierungdes Rechtsstaates durch. Der Hochkommissar für nationale Minderheitenarbeitet unter der Ägide des Hohen Rates und befasstsich in stiller Diplomatie mit Minderheitenkonflikten im OSZE-Raum. Er unterhält ein kleines Sekretariat in Den Haag. DasForum für Sicherheitskooperation in Wien dient als Platt<strong>for</strong>m immilitär- und sicherheitspolitischen Bereich, namentlich für Rüstungskontrolle,Abrüstung und Vertrauens- und Sicherheitsbildung,Fragen der Rüstungskonversion, Regelung über Nichtverbreitungvon Massenvernichtungswaffen und Waffentransfer. DasKonfliktverhütungszentrum in Wien wirkt bei der Durchführungder Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Massnahmen mit unddarf Ermittlungs-, Berichterstatter- und Beobachtermissionendurchführen. In Zukunft können dem Konfliktverhütungszentrumauch Aufgaben im Hinblick auf Streitschlichtungsverfahren und imZusammenhang mit der Beilegung von Streitfällen übertragenwerden.Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof mit Sitz in Genf hat inWeiterentwicklung der Mechanismen der friedlichen Regelung vonStreitigkeiten 17 die Aufgabe, ihm vorgelegte zwischenstaatliche17 Die Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung haben in jüngster Zeiteine dynamische Weiterentwicklung erfahren: Der sogenannte "Valetta-Mechanismus" (KSZE-Expertentreffen über die friedliche Regelung von


Aktuelle Diskussion 33Streitigkeiten mittels eines Vergleichs- und Schiedsverfahren zubearbeiten.Die Parlamentarische Versammlung mit 245 Mitgliedern allerOSZE-Teilnehmerstaaten soll die Umsetzung der Prinzipien bewertenund Vorschläge erarbeiten, die sie mit Mehrheit beschliesst.Sie tagt seit Mitte 1992 jährlich, hat aber bisher keineEntscheidungsbefugnisse.2.2. Instrumentarium im Bereich der Konfliktverhütungund FriedenserhaltungDie OSZE erachtet ihre Verpflichtung, Streitigkeiten unter denTeilnehmerstaaten mit friedlichen Mitteln zu regeln und den Friedenzu wahren, als einen Eckstein ihrer Tätigkeit. Entsprechendwidmet sie ein grosses Mass ihrer Aufmerksamkeit der Bereitstellungdiesbezüglicher Instrumentarien.Bis zum Ende des Ost-West-Gegensatzes waren die Möglichkeitender KSZE-Mitgliedstaaten, auf zwischenstaatliche Krisen und Konfliktezu reagieren, bescheiden. Die sicherheitspolitische Dimensionder "alten" KSZE war auf den "Wohlverhaltenskodex" desPrinzipienkatalogs und die Vereinbarungen von Vertrauens- undStreitfällen in La Valetta 1991) sieht bei einem Streitfall die obligatorischeHinzuziehung einer Drittpartei vor. Der Mechanismus kann auch einseitigangerufen werden. Die OSZE-Schlichter können vertrauliche Hinweiseund Ratschläge erteilen, ob Verhandlungen eingeleitet werden sollen oderob ein anderes Verfahren besser geeignet sei. Die Kompetenzen derSchlichter sind also sehr klein. Um den Mechanismus zu straffen, wurdeauf dem Aussenministertreffen in Stockholm 1992 eine KSZE-Vergleichskommissionbeschlossen. Unter der Bedingung der Gegenseitigkeit könnendie Vorschläge der Kommission als bindend anerkannt werden. Der HoheRat kann eine "Schlichtung auf Anordnung" verfügen, ohne dass dieParteien einverstanden sind (Ausnahmen bilden Fragen der territorialenIntegrität und Verteidigungsfragen). Damit wurde das Konsensprinzipzugunsten der Formel "Konsens minus zwei" weiter aufgeweicht. DerGrundpfeiler des ebenfalls in Stockholm 1992 geschaffenenvölkerrechtlichen Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahreninnerhalb der OSZE schliesslich bildet ein obligatorisches Vergleichsverfahrenvor einer Ad hoc-Vergleichskommission. Deren Empfehlungensind indes nicht zwingend. Das fakultative Schiedsverfahren kann nureingesetzt werden, wenn ein Vergleichsverfahren nicht zum Erfolg gelangtist. Der Schiedsspruch ist rechtlich bindend. Vgl. zur FriedlichenStreitbeilegung: Schlotter, Neue KSZE, 37-42 (Schaubilder 5, 6, 7).


34 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikSicherheitsbildenden Massnahmen beschränkt. Obwohl die Vereinbarungenüber VSBM in den Wiener Dokumenten von 1990, 1992und 1994 noch weiter verfeinert wurden und eigens auch einMilitärischer Krisenmechanismus 18 geschaffen wurde, haben dieseInstrumente in der heutigen veränderten Konfliktlandschaft an Bedeutungeingebüsst.Anlässlich des Helsinki II-Folgetreffens von 1992 wurden Instrumentefür die Konfliktverhütung und die Friedenserhaltung derOSZE geschaffen. Die für den OSZE-Raum vorgesehenen Konzeptebeinhalten einen breiten Zugriff auf verschiedene Mittel. Im Sinnevon präventiven Massnahmen und Frühwarnung sind für Situationen,die ein Konfliktpotential in sich bergen, folgende Instrumentevorgesehen: Aktivitäten des Hochkommissars für nationaleMinderheiten, der unparteiisch, vertraulich und eng mit den Parteienzusammenarbeitet; regelmässige politische Konsultationen;Treffen zur Überprüfung der Einhaltung von OSZE-Verpflichtungenund die Er<strong>for</strong>schung der Ursachen von Spannungen im OSZE-Raum. Auch die Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung sindTeil der präventivdiplomatischen Mittel.Verschärft sich die Lage weiter, werden durch die politischen InstanzenHoher Rat und Ständiger Rat Massnahmen der politischenKrisenbewältigung ergriffen, um die Voraussetzung für eine friedlicheLösung des Streitfalles zu schaffen. Hierzu dienen die Errichtungeines Verhandlungsrahmens wie "Runde Tische", WahrnehmungGuter Dienste, Förderung von Vermittlungsverfahren undnamentlich die Entsendung von Berichterstatter- und Erkun-18 Der im Wiener Dokument über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen(1990) geschaffene Krisenmechanismus ist zur Erörterung"militärisch bedeutsamer Aktivitäten der Streitkräfte ausserhalb der normalenFriedensstandorte" vorgesehen. Er beinhaltet ein kurzfristigesNachfragerecht und Konsultationen auf Verlangen. Zusätzlich verpflichtetsich jeder OSZE-Staat, bei gefährlichen militärischen Zwischenfällen unverzüglichzu in<strong>for</strong>mieren. Vgl. zum Militärischen Krisenmechanismus:Schlotter, Neue KSZE, 34-36 (Schaubild 4).Im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg wurde der Wiener Mechanismusbisher dreimal ausgelöst von Österreich und Italien betreffend Slowenien(1991), von Ungarn aufgrund von Luftraumverletzungen durchRestjugoslawien (1991) und von Serbien-Montenegro wegen eines angeblichenAngriffes auf sein Territorium von Ungarn aus (1992).


Aktuelle Diskussion 35dungsmissionen, kurzzeitig oder auf der Basis von Langzeitmissionen.19 Aufgabe der Langzeitmissionen ist es, für eine objektiveBerichterstattung über Vorfälle aller Art zu sorgen, den Dialogzwischen den beteiligten Akteuren sicherzustellen sowie diesenamentlich im Bereich der Menschenrechte zu beraten. In engerZusammenarbeit mit der EU setzt die OSZE auch in Form derSanktionsüberwachungs-Mission 20 die Blockade gegenüber Serbien-Montenegro durch, indem sie die Behörden der NachbarstaatenRestjugoslawiens bei der Durchsetzung der Uno-Sanktionenunterstützt.19 Präventivdiplomatische Missionen der OSZE sind zur Zeit in achtverschiedenen Krisengebieten tätig: Serbien-Montenegro (seit September1992; im Juli 1993 von Belgrad nicht mehr verlängert); Mazedonien (seitSeptember 1992); Georgien/Südossetien (seit Dezember 1992); Estland(seit Februar 1993); Moldawien (seit April 1993); Lettland (seit November1993); Tadschikistan (seit Februar 1994); Bosnien-Herzegowina (Sarajewo)(seit Oktober 1994); Ukraine (seit November 1994).Überdies beteiligt sich die OSZE seit der vereinbarten Waffenruhe vomMai 1994 im Rahmen der "Minsker Gruppe" an den Verhandlungen übereinen Friedensplan betreffend Nagorny-Karabach (Armenien/Aserbeidschan).Auf dem Budapester Überprüfungstreffen wurde die Vorentscheidungfür die Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe nachBergkarabach getroffen. Es ist ein Verband von 3’300 Personen vorgesehen,der nach Abschluss einer politischen Vereinbarung über die Einstellungdes bewaffneten Konfliktes zwischen Armenien und Aserbeidschanzum Einsatz gelangen könnte. Aufstellung und Einsatz dieser Friedenstruppewerden für die weitere Entwicklung der Sicherheitskooperationund die militärische Zusammenarbeit vor allem mit Blick auf dieEinbindung Russlands von erheblicher Bedeutung sein.Als neuste Entwicklung ist darauf hinzuweisen, dass Anfang 1995 OSZE-Delegationen, unter anderem eine Gruppe von Menschenrechtsexpertenunter der Leitung des Schweizer Diplomaten Lorenzo Amberg, die Lage inTschetschenien erkundeten. Seit April 1995 ist eine OSZE-Assistenzgruppein Grosny aktiv.20 Gegenwärtig sind sieben Sanktionsunterstützungs-Missionen in folgendenNachbarstaaten Restjugoslawiens im Einsatz: Albanien (seit April 1993);Bulgarien (seit Oktober 1992); Kroatien (seit Januar 1993); Mazedonien(seit November 1992); Rumänien (seit Oktober 1992); Ukraine (seit Februar1993); Ungarn (seit Oktober 1992).


36 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikIn "schwerwiegenden und dringlichen Situationen" kommt der politischeDringlichkeitsmechanismus 21 zur Anwendung. Er sieht politischeKonsultationen vor, die durch Empfehlungen zur Lösungdes Konfliktes beitragen sollen.Schliesslich sind auch friedenserhaltende Massnahmen unter deroperativen Leitung der OSZE vorgesehen, welche die politischenLösungsbemühungen ergänzen. Sie bestehen in der Entsendungvon zivilem oder militärischem Personal und umfassen das Spektrumvon Erkundungs- und Berichterstattermissionen über Beobachter-und Überwachungsmissionen bis zum Einsatz grössererStreitkräfte. Aufgabengebiete sind die Überwachung von Waffenstillständenund Truppenrückzügen, die Unterstützung bei derWahrung von Recht und Ordnung sowie die Leistung humanitärerHilfe und Betreuung von Flüchtlingen. Zwangsmassnahmen sindkeine vorgesehen. 22Eine brisante Weiterentwicklung erfuhr das friedenserhaltendeInstrumentarium durch die Initiative Russlands im Jahre 1993,seine im "nahen Ausland", sprich auf dem Gebiet der ehemaligenUdSSR stehenden Truppen als Peacekeeping-Truppen der OSZE21 Der politische Krisenmechanismus wurde anlässlich des Treffens der Aussenministerin Berlin (1991) geschaffen. Ein Teilnehmerstaat kann vombetroffenen Staat eine Klarstellung über Zwischenfälle, die ein Prinzip derSchlussakte verletzen oder den "Frieden, die Sicherheit oder die Stabilität"gefährden, verlangen. Bleibt die Situation weiterhin ungelöst, kann eineDringlichkeitssitzung des Hohen Rates oder des Ständigen Rates einberufenwerden. Diese kann Empfehlungen oder Schlussfolgerungen vereinbarenoder ein besonderes Ratstreffen anberaumen. Vgl. zum Politischen Krisenmechanismus:Schlotter, Neue KSZE, 34 (Schaubild 3).Der Berliner Mechanismus wurde bisher zweimal in bezug auf die Lage inJugoslawien (1991/1992) und einmal betreffend Nagorny-Karabach (1993)ausgelöst.22 Als Grundsätze für das OSZE-Peacekeeping werden im Helsinki II-Dokumentgenannt: Anordnung und Leitung durch Konsens; keine Zwangsmassnahmen;Zustimmung der direkt betroffenen Parteien; unparteiischeDurchführung; zeitlich begrenzt, da kein Ersatz für eine Verhandlungslösung;alle OSZE-Staaten sind zur Teilnahme berechtigt, sofern sie nichtvon den betroffenen Parteien zurückgewiesen werden; OSZE kann bestehendeOrganisation (EU; Nato; WEU; GUS) ersuchen, Ressourcen fürPeacekeeping unter der politischen Leitung der OSZE zur Verfügung zustellen.


Aktuelle Diskussion 37anerkennen zu lassen. Anlässlich des Römer Ministerratstreffens(1993) erklärte sich die OSZE unter verschiedenen Bedingungenbereit, Drittparteien die Durchführung von friedenserhaltendenMassnahmen zu übertragen. Die vorgesehene Grundsatzvereinbarungkonnte aber am Budapester Gipfeltreffen im vergangenenJahr nicht verabschiedet werden.2.3. Das Mandat des Amtierenden VorsitzendenDie zunehmenden operationellen Aktivitäten der OSZE er<strong>for</strong>dertenein Handlungszentrum, das die notwendigen Steuerungs- undLenkungsaufgaben übernimmt. Erstmals erwähnt wurde dieseFunktion in Form des sogenannten "Amtierenden Vorsitzenden"(Chairman-in-Office) 1990 in Paris vor dem Hintergrund des beginnendenInstitutionalisierungsprozesses. Dieses Präsidialmandatwird jeweils während eines Kalenderjahres vom Aussenministerdes Vorsitzlandes ausgeübt. So wie die OSZE gesamthaft seitAnfang der neunziger Jahre einem verstärkten institutionalisiertenEntwicklungsverlauf unterliegt, hat sich auch der Aufgabenbereichdes Vorsitzenden gewandelt. Dabei hat das Mandat laufend anProfil und Gewicht gewonnen, so dass heute von einer umfassendenKompetenz- und Gestaltungsfülle seitens des AmtierendenVorsitzenden gesprochen werden kann. Die Definition desPräsidentschaftsmandates hat in der Erklärung des BudapesterGipfeltreffens (1994) den vorläufigen Höhepunkt erreicht, indemdie "Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeiten derOSZE" an den Amtierenden Vorsitzenden delegiert worden ist.Grundsätzlich obliegen dem Vorsitzenden drei spezifische Aufgabenbereiche,die ihn politisch in den Mittelpunkt des OSZE-Geschehensrücken:• Erstens nimmt er im Falle eines drohenden oder akuten Konfliktesdie wichtige, aber auch schwierige Rolle des Vermittlerswahr. Dabei kommt ihm insofern eine Schlüsselrolle zu, als er dieersten Initiativen in Richtung einer Konfliktbearbeitung ergreifensowie im Namen der Gesamtorganisation Erklärungenabgeben und persönliche Vertreter in das Konfliktgebiet entsendenkann. Er spielt auch eine wichtige Rolle bei der Durchführungder OSZE-Mechanismen (insbesondere dem BerlinerDringlichkeitsmechanismus). Im Bereich der Präventivdiplomatiesind der Präsidentschaft die operationelle Verantwortung fürdie OSZE-Missionen und die präventivdiplomatischen Mass-


38 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiknahmen übertragen. Diese Freiheit des Handelns im Bereich derKonfliktverhütung und Krisenbewältigung ist um so wertvoller,als der multilaterale Prozess der OSZE eine gewisse Zeitbraucht, um konsensreife Aktivitäten zu entfalten.• Zweitens beinhaltet die Funktion des Vorsitzenden die Leitungund Koordination der gesamten Tätigkeiten der Organisation.Der Vorsitz ist für alle politischen Konsultationen innerhalb derOSZE Dreh- und Angelpunkt: So werden die wichtigen GremienMinisterrat, Hoher Rat und Ständiger Rat vom AmtierendenVorsitzenden geleitet. Dabei ist er für die Meinungsbildung,Herstellung und Konsolidierung des Konsenses innerhalb derGemeinschaft zuständig. Ebenfalls zeichnet er für die Vorbereitungder OSZE-Konferenzen und die Erarbeitung langfristigerArbeitsprogramme verantwortlich.• Drittens ist das Präsidialland für die Repräsentation der OSZEnach aussen zuständig. Einerseits sind die Beziehungen zu denPartnern (internationale Organisationen, nichtteilnehmendeDrittstaaten und NGOs) der OSZE sicherzustellen. Andererseitsgehört der äusserst wichtige Kontakt zu den Medien und der Öffentlichkeitin das Pflichtenheft des Vorsitzenden. 23In Ausübung dieser Aufgaben wird das Präsidialland vom Vorgängerund Nachfolger, die zusammen die Troika bilden, und vom Generalsekretariatbegleitet. Die Troika wurde auf dem Helsinki-Gipfel(1992) geschaffen. Sie hat an Bedeutung gewonnen, stellt sie23 Für eine schweizerische Perspektive des Aufgabenbereiches des AmtierendenVorsitzenden vgl. Botschafter Benedikt von Tscharner (Ständiger Vertreterder Schweiz bei der OSZE und bei den internationalen Organisationenin Wien). "Die OSZE als Heraus<strong>for</strong>derung für die Schweiz und ihre Diplomatie".In: Neue Zürcher Zeitung vom 13. Februar 1995; Interview mitBotschafter Benedikt von Tscharner: "Konkrete Schritte statt Luftschlösser".In: Der Bund vom 3. November 1995; Interview mit BotschafterRaymund Kunz (Chef des Koordinationsstabes der OSZE im EDA): "Diegesamteuropäische sicherheitspolitische Kooperation vertiefen". In: ChanceSchweiz 3 (1995): 3-8; Josef Schärli (Delegierter des Generalstabschefs fürRüstungskontrolle und Friedenssicherung). "Zur OSZE-Präsidentschaftder Schweiz 1996". In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 10(1995): 12f; Interview mit Bundesrat Flavio Cotti: "Es ist unsere ethischePflicht, etwas für den Frieden in Europa zu tun". In: Tages-Anzeiger vom21. November 1995.


Aktuelle Diskussion 39doch nicht nur ein Beratungs<strong>for</strong>um des Präsidenten dar, sondernihre Mitglieder handeln auch gemeinsam als Repräsentanten derOSZE bei Kontakten mit anderen Organisationen und geben zuweilensogar gemeinsame politische Erklärungen ab. Im Bereichder Konfliktverhütung, der Krisenbewältigung und der Lösung vonStreitfällen wird der Amtierende Vorsitzende ferner von Ad hoc-Lenkungsgruppen unterstützt, die im Bedarfsfall vom Ministerratoder vom Hohen Rat eingesetzt werden können. Das Präsidiallandkann zu seiner Unterstützung und auf seine Verantwortungpersönliche Vertreter mit einem präzisen Mandat für einzelneKrisen oder Konflikte beauftragen.Die Institution des Vorsitzenden hat sich in den vergangenen vierJahren ausgesprochen konstruktiv weiterentwickelt. Die grosszügigeUmschreibung des Mandates erlaubt es dem jeweiligen Vorsitzenden,sein Amt mit Eigeninitiative und Gestaltungswillenauszufüllen. Die äusseren Umstände er<strong>for</strong>derten bei der ersten vonDeutschland ausgeübten Präsidentschaft (1991) ein aktivesHandeln. Diese Phase war denn auch gekennzeichnet durch Erfahrungenmit dem Berliner Krisenmechanismus in Jugoslawienund durch politische Konsultationen im Zusammenhang mit derAusdehnung des Mitgliederkreises der KSZE insbesondere durchdie Aufnahme der GUS-Staaten. Im tschechoslowakischen Vorsitzjahr(1992) wurden Beobachtermissionen in neue Mitgliedstaatendurchgeführt und umfassende Aufgaben im Bereich des Krisenmanagementsübernommen. Im Schlussdokument von Helsinki II(1992) wurde der Verantwortungsbereich des Vorsitzenden näherdefiniert. Mit der Umschreibung der Aufgaben "Koordination undKonsultation über laufende KSZE-Angelegenheiten" wurde die Institutionalisierungder Präsidialverantwortung ausgeweitet.Schweden setzte 1993 den so erweiterten Handlungsspielraum derPräsidialfunktion mit grossem Engagement in den folgenden Bereichenum: Unterstützung der Feldmissionen; Kontakt mit derUno und anderen internationalen Organisationen; Koordination despolitischen Konsultationsprozesses und Vorbereitung von Entscheidungen;Integration der neuen Teilnehmerstaaten. Der italienischeVorsitz (1994) übernahm die Verantwortung der Aussenkontaktezu Nicht-Teilnehmerstaaten und sprach ein gewichtigesWort mit bei der Bestellung von höheren OSZE-Beamten. DiesePräsidentschaft mündete schliesslich in die oben genannte Gipfelerklärungvon Budapest, mit der die "Gesamtverantwortung für die


40 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikausführenden Tätigkeiten" an den Amtierenden Vorsitzendenübergeben wurde. Die ungarischen Mandatsträger nutzten die erweitertenMöglichkeiten 1995 geschickt aus, im speziellen in bezugauf das Krisenmanagement. Für die Lancierung einer Initiative zurKonfliktbewältigung dient die Vorgehensweise des gegenwärtigenVorsitzenden Ungarn bezüglich des Krieges in Tschetschenien alsgutes Beispiel.3. Leistungsprofil der OSZEGrundsätzlich herrscht unter den Teilnehmerstaaten der OSZEweitgehender Konsens über die komparativen Vorteile dieser Sicherheitsorganisation,wenngleich die Einschätzungen über diezukünftige Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitekturunterschiedlich ausfallen.Auf der Seite der Stärken ist die Tatsache zu nennen, dass dieOSZE eine Wertegemeinschaft von 53 Staaten darstellt, die ihreBeziehungen auf der Grundlage demokratischer Normen zu gestaltengewillt sind. Aus sicherheitspolitischer Sicht ist namentlichzu betonen, dass der OSZE ein umfassendes Sicherheitsverständniszugrunde liegt, das auf militärischem Vertrauen, wirtschaftlicherEntwicklung, sozialer Gerechtigkeit, Demokratie undRechtsstaatlichkeit sowie auf der Achtung der Menschenrechte unddem Schutz der Minderheiten basiert. Weiter stellt die OSZEinstitutionell das einzige paneuropäische Kooperations- und Konsultations<strong>for</strong>umdar, das alle Staaten von Vancouver bis Wladiwostokumfasst und insbesondere Russland in die europäische Sicherheitsstruktureinbindet. Ferner ist sie grundsätzlich als regionaleAbmachung der Uno im Sinne des Kapitels VIII der Chartader Vereinten Nationen anerkannt.Bezüglich ihrer operativen Tätigkeiten hat die OSZE Konzepte,Methoden und Mechanismen entwickelt mit dem Ziel, den Ausbruchbewaffneter Konflikte durch präventivdiplomatische Massnahmenzu verhüten. Mit der Anwendung eines breiten Sets anInstrumenten sollen politische Krisen bewältigt werden und dieVoraussetzungen für eine friedliche Lösung von Konflikten geschaffenwerden. Dabei erfährt die OSZE mit den im Konsensprinzipgefällten Beschlüssen und der gleichberechtigten Teilnahme


Aktuelle Diskussion 41aller Mitgliedstaaten eine besondere Legitimation. 24 Auch besitztdie OSZE eine schlanke bürokratische Struktur, die eine flexibleAktivierung der operationellen Mittel gewährleistet.Als Schwächen der OSZE sind folgende Einschränkungen anzuführen,welche die Aktionsfähigkeiten dieser internationalen Organisationzum Teil entscheidend hemmen: Die OSZE verfügt überkeine eigenen Macht- und Sanktionsmittel, mit denen sie ihrenForderungen Nachdruck verleihen könnte. Der OSZE werden gegenwärtigauch zuwenig finanzielle und personelle Ressourcen 25zugestanden, da der politische Wille der Mehrheit der Mitgliedstaatenfehlt, die OSZE zu einer machtvollen Institution auszugestalten.Zu stark sind noch die unterschiedlichen Meinungen derTeilnehmerstaaten über die zukünftige Rolle der OSZE im Verbundder europäischen Sicherheitsorganisationen. Die OSZE kann alsonur so stark sein, wie es ihre Mitglieder, die zugleich auch inanderen Organisationen mit Sitz und Stimme vertreten sind, zulassen.Die Wahrnehmung des umfangreichen Aufgabenkataloges24 Allerdings ist zu beachten, dass Konsens nicht Einstimmigkeit bedeutet.Konsens ist gegeben, wenn kein Staat einen Einwand erhebt und einensolchen als Hindernis für die anstehende Beschlussfassung qualifiziert.Anlässlich des Prager Ratstreffens (1992) wurde die "Konsens minus eins"-Formel eingeführt. Demnach können "in Fällen von eindeutigen, grobenund nicht behobenen Verletzungen einschlägiger OSZE-Verpflichtungen"angemessene Massnahmen auch ohne die Zustimmung des betroffenenStaates getroffen werden. Dem traditionellen Souveränitätsdenken wurdejedoch noch insofern Rechnung getragen, als sich Beschlüsse nach dieserFormel nur auf "politische Erklärungen" oder andere "politische Schritte"beschränken, die "ausserhalb des Territoriums des betreffenden Staatesanwendbar sind". Mit der Suspendierung Restjugoslawiens (Serbien-Montenegro)wurde ein entsprechendes Präjudiz geschaffen.25 Der revidierte Haushalt betrug für das Jahr 1994 knapp 36 MillionenSchweizer Franken. Die grössten Posten entfielen auf die Missionen unddie Aufgaben des Sekretariates. Davon hatte die Schweiz gemäss Verteilschlüssel2,30 Prozent mitzutragen (1994: ca. 830’000.- Franken). Allerdingsmuss festgehalten werden, dass ein Grossteil der OSZE-Aktivitätenim Feld (Missionen und Langzeitmissionen) auf freiwilligen Beiträgen derTeilnehmerstaaten beruht. So leistete die Schweiz im Rechnungsjahr 1994über den ordentlichen Haushalt hinaus weitere freiwillige Beiträge für dieschweizerischen Teilnehmer an OSZE-Missionen und Sanktionsüberwachungsmissionenim Gesamtumfang von knapp 1 Million Franken.(Zahlenangaben gemäss: OSZE-Vademecum, 14.)


42 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikhängt wesentlich von der politischen Unterstützung durch dieTeilnehmerstaaten ab. Trotz der Intensivierung der Kontakte undder Zusammenarbeit mit anderen Organisationen fehlt gerade aufdem Gebiet der Sicherheitspolitik eine feinere Abstimmung mit denanderen für Europa relevanten Institutionen. Und schliesslich: Dadie Mittel und Methoden der OSZE wenig spektakulär, das heisstwenig "telegen" sind, wird die OSZE von der Öffentlichkeit nurmarginal wahrgenommen.4. Bedeutung der OSZE für die schweizerische Aussenpolitik4.1. Aktives Engagement der Schweiz seit den AnfängenFür die Aussenpolitik der Schweiz stellte die Konferenz über Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa schon zu Beginn des Helsinki-Prozesseseine Heraus<strong>for</strong>derung dar. 26 Insofern kann die26 Zur Bedeutung der KSZE/OSZE für die Schweiz vgl. grundsätzlich:Werner Hübscher. Die Schweiz und die Konferenz über Sicherheit undZusammenarbeit in Europa. SAD-Arbeitsheft W 9. <strong>Zürich</strong> 1973; AloisRiklin et al. Die Schweiz und die KSZE: Stand 1977. SAD-Arbeitsheft W12. <strong>Zürich</strong> 1977; Edouard Brunner. "La CSCE, Véhicule de PolitiqueEtrangère pour la Suisse?". In: Emanuel Diez et al. (Hg.). Festschrift fürRudolf Bindschedler. Bern 1980. 611-616; Matthias Erzinger et al.Menschenrechts-Vorbild Schweiz? Zum "humanitären" KSZE-Engagementder Schweiz. Hg. Schweizerischer Friedensrat. <strong>Zürich</strong> 1986; Urs Stemmler.Die Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Massnahmen undAbrüstung in Europa als Mittel der schweizerischen Sicherheitspolitik. 2Bde. Diss. New York 1989; Marianne von Grünigen. "Konferenz überSicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und Neutralität". In:Bewaffnete Neutralität heute: Beilage zur Allgemeinen SchweizerischenMilitärzeitschrift 1992. 47-56; Marianne von Grünigen, Josef Schärli. "DieSchweiz und der Prozess der Konferenz über Sicherheit undZusammenarbeit in Europa (KSZE)". In: Alois Riklin, Hans Haug,Raymond Probst (Hg.). Neues Handbuch der schweizerischenAussenpolitik. Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft fürAussenpolitik 11. Bern/Stuttgart/Wien 1992. 569-588; Jean-Daniel Ruch."La CSCE et la Suisse". In: Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik2 (1992): 56-70; Hans-Jörg Renk. "Vor 20 Jahren: Schlussakte vonHelsinki: Die Rolle der Schweiz bei der Entstehung der KSZE". In: NeueZürcher Zeitung vom 31. Juli 1995; Benedikt von Tscharner. "Die Schweizund die OSZE". In: René Rhinow (Hg.). Die schweizerische Sicherheitspolitikim internationalen Umfeld. Basel 1995. 73-86.


Aktuelle Diskussion 43heutige Situation durchaus mit der aussenpolitischen KonstellationAnfang der siebziger Jahre verglichen werden. Damals erfuhr dieEinstellung der Schweiz gegenüber der KSZE im Kontext einerallgemeinen Dynamisierung ihrer Aussenbeziehungen einen merklichenWandel: Von einer anfänglich skeptischen Grundhaltung vorder Einberufung der Sicherheitskonferenz zu einem aktivenEngagement innerhalb des Helsinki-Prozesses. Diese aktive Teilnahmekann als herausragendes Element der schweizerischenAussenpolitik der siebziger Jahre bezeichnet werden. Die Schweizwirkte als Teilnehmerstaat und als Gastgeberin für einzelne Treffenmassgeblich mit am KSZE-Prozess. Ihr Beitrag bestand einerseitsin konkreten Vorschlägen zu einzelnen Themen, andererseitsin ihrer Vermittler- und Koordinationsfunktion als Mitglied derN+N-Gruppe.Bereits in der Schlussakte von Helsinki 1975 figurieren zwei aufschweizerische Initiative zurückgehende Vorschläge. Zum einenanerkennt das Prinzip I unter anderem ausdrücklich das Recht derTeilnehmerstaaten auf Neutralität. Zum anderen fand in Prinzip Vdie schweizerische Initiative für ein System der friedlichen StreitbeilegungAufnahme. Dieser Politikbereich stellt bis heute einhauptsächliches Aktionsfeld der schweizerischen KSZE-Politik dar.Dabei handelt es sich um eine Konstante der schweizerischen Aussenpolitik,ist die Schweiz doch stets für Verfahren der friedlichenStreiterledigung im bi- und multilateralen Rahmen eingetreten, dieden Beizug einer Drittpartei vorsehen. 27 Funktion solcherVerfahren ist es, das Gewaltverbot komplementär zu ergänzen;wenn die Anwendung von Gewalt zur Regelung von Konfliktenverboten ist, so ist es unabdingbar, den Staaten Mechanismen zuderen friedlichen Beilegung zur Verfügung zu stellen.27 Lucius Caflisch, Blaise Godet. "La Suisse et le règlement pacifique desdifférends internationaux". In: Riklin, Neues Handbuch der schweizerischenAussenpolitik, 957-971. Über die friedliche Streitbeilegung im Rahmender KSZE fand 1993 ein Seminar der Zentralstelle für Gesamtverteidigung(ZGV) statt. Die entsprechende Tagungsauswertung ist erschienenals: Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.). Friedliche Streitbeilegung.Info Gesamtverteidigung 10. Bern 1993.


44 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikObwohl der sogenannte "Bindschedler-Vorschlag" 28 der Schweiz inden Verhandlungen zur Schlussakte von Helsinki wegen desschiedsgerichtlichen Obligatoriums als zu weitgehend beurteiltwurde, diente er als Richtlinie für die nachfolgenden Bemühungenzur Verwirklichung dieses Prinzips: Expertentreffen in Montreux(1978) und Athen (1984), Valetta-Mechanismus (1991) und GenferExpertentreffen (1992) sowie die darauffolgende Implementierungdes Übereinkommens über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalbder KSZE (Konvention von Stockholm 1992). 29 Der entsprechendeVergleichs- und Schiedsgerichtshof hat sich in diesemJahr in Genf konstituiert. Er ist die erste OSZE-Institution mit Sitzin der Schweiz. 30 Nicht zuletzt dank der hartnäckigen schweizerischenDiplomatie konnte nach knapp zwanzigjährigem Ringendas Prinzip der friedlichen Streitbeilegung nun verwirklicht werden.28 CSCE II/B/1, Entwurf der Delegation der Schweiz für einen Vertrag überein europäisches System der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten (18.September 1973). In: Europa-Archiv 2 (1976): D 38-52.Professor Dr. Rudolf Bindschedler, Rechtsberater des EidgenössischenPolitischen Departementes (Heute: EDA) und Leiter der SchweizerDelegation während der Genfer Verhandlungsphase, war spiritus rectordes Vertragsentwurfes.29 Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend dasÜbereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahren innerhalb derKonferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowiedie Vergleichs- und Schiedsverträge mit Polen und Ungarn (19. Mai 1993).In: BBl 1993 II 1153.Es handelt sich beim Übereinkommen über Vergleichs- und Schiedsverfahrenneben dem aus dem KSZE-Prozess hervorgegangenen Vertrag überkonventionelle Streitkräfte in Europa und dem Vertrag über den OffenenHimmel um die einzige völkerrechtlich bindende Verpflichtung im Rahmender KSZE/OSZE.30 Am 29. Mai 1995 fand die konstituierende Sitzung des neuen VergleichsundSchiedsgerichtshofes in Genf statt. Zum Vorsitzenden wurde der französischeVölkerrechtler und frühere Präsident des Pariser VerfassungsgerichtsRobert Badinter gewählt. Sein Stellvertreter ist der vormalige deutscheAussenminister Hans-Dietrich Genscher. Die Schweiz ernannte ProfessorLucius Caflisch und alt Bundesrichter Rolando Forni zu Streitschlichtern.Die Professoren Christian Dominicé und Daniel Thürergehören dem Gremium als Schiedsrichter an.


Aktuelle Diskussion 45Ein zweites wichtiges Tätigkeitsfeld der Schweiz war von Anfangan die Menschliche Dimension. So setzte sich unser Land in neuererZeit insbesondere am Berner Treffen über Menschliche Kontakte(1986) mit anderen neutralen Staaten für Familienzusammenführungenund für Kontakte im religiösen Bereich ein. Ebensobefürwortete die Schweiz einen regeren In<strong>for</strong>mationsaustausch undnamentlich bessere Arbeitsbedingungen für Journalisten imAusland. Ebenfalls auf eine schweizerische Initiative zurück gehtdas Expertentreffen über nationale Minderheiten in Genf (1991).Die Beteiligung der Schweiz an den sicherheitspolitischen Bemühungender OSZE um Vertrauensbildung und Schaffung von Sicherheitund Stabilität in Europa gibt ihr die Gelegenheit zur Darstellungihrer Sicherheitspolitik. So hob die Schweiz im Rahmender KVAE-Verhandlungen (1984-1986) die Besonderheiten des Milizsystemshervor. Sie setzte sich überdies für ein Verifikationssystemsowie für den In<strong>for</strong>mationsaustausch über das militärischeDispositiv in Europa ein. Die Mitarbeit als dauernd neutraler undbewaffneter Staat in der N+N-Gruppe sicherte der Schweiz wesentlicheEinflussmöglichkeiten und Freiräume. Heute arbeitet dieSchweiz ferner aktiv an der Durchführung von VSBM mit. ImRahmen eines institutionalisierten In<strong>for</strong>mationsaustauschs liefertsie Daten über die Wehrstruktur und Bewaffnung der SchweizerArmee, nimmt an Truppenbesuchen im Ausland teil und organisiertselber Überprüfungsbesuche bei Militäreinheiten in derSchweiz.Im weiteren wirkt die Schweiz bei der Entwicklung der Instrumentefür die Konfliktvorbeugung und das Peacekeeping konzeptionellund praktisch mit. In diesem Zusammenhang nahm sie anverschiedenen KSZE-Missionen teil, die sie zum Teil sogar leitete.Auch in Langzeitmissionen ist unser Land präsent, hat die Schweizdoch Personal für die Missionen in Serbien-Montenegro, Moldawienund Mazedonien zur Verfügung gestellt. Zwei Schweizer haben dieMissionen in Sarajewo und Kiew geleitet. 31 Für die Sanktionsüberwachunggegen Restjugoslawien hat die Schweiz Zollexpertennach Bulgarien (heute nicht mehr aktiv), Mazedonien, Albanienund in die Brüsseler Koordinationszentrale beordert. Ferner31 Es handelt sich dabei um die Journalisten Hanspeter Kleiner (Sarajewo)und Andreas Kohlschütter (Kiew).


46 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikunterhält sie bei den Vereinten Nationen in New York einVerbindungsbüro.4.2. Die OSZE als Brücke zur Mitgestaltung des europäischenUmfeldesDie Übernahme des Mandats des Amtierenden Vorsitzenden 1996gibt der Schweiz die Möglichkeit, aus ihrer Isolationsstellung inEuropa teilweise herauszutreten, um in der Funktion des OSZE-Präsidenten bei der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitekturihren Beitrag zu leisten. Dies ist für die Schweiz um sorelevanter, als sich der aussenpolitische Handlungsspielraum desneutralen Kleinstaates nach dem Ende des Kalten Krieges verkleinerthat. In einem Umfeld ohne klare Fronten und strategischeGleichgewichte im überkommenen Sinn hat der Bedarf nach GutenDiensten durch den Neutralen abgenommen. Entscheidend für denErfolg der schweizerischen Aussenpolitik ist heute, inwieweit esunserer Regierung gelingt, aktiv und initiativ in neuen aussenpolitischenHandlungsfeldern tätig zu werden und dieses Engagementgleichzeitig innenpolitisch abzustützen. In bezug auf dieseBemühungen ist die OSZE insofern von entscheidender Bedeutung,als sie das einzige sicherheitspolitische Gremium darstellt, in demdie Schweiz als gleichberechtigter Teilnehmer Partizipations- undMitgestaltungsrechte besitzt.Um aber die Möglichkeiten dieses für die Schweiz entsprechendwichtigen Gebildes als Mittel einer nachhaltig positiven Entwicklungauszuschöpfen und die Ziele, Methoden und das Wirken derOSZE über einen kleinen Kreis politischer Eliten hinaus besserverständlich zu machen, gilt es vordringlich, eine Kommunikationsstrategiezu entwerfen. Aus einer schweizerischen Perspektiveenthält die Ausarbeitung einer Kommunikationsstrategie einewichtige innenpolitische Dimension. Bedingt durch die politischenRealitäten - ablehnende Volksentscheide in aussenpolitischen Fragen(Uno 1986; EWR 1992; Blauhelme 1994) - kommt der Abstützungder Aussen- in der Innenpolitik hohe Bedeutung zu. In diesemZusammenhang sind die folgenden grundsätzlichen Überlegungenanzustellen:Einerseits empfiehlt es sich, im Sinne einer Handlungsanleitungfür eine PR-Strategie zu betonen, dass die Schweiz das Präsidialamtnicht aufgrund ihrer Neutralität zugesprochen bekommen hat,


Aktuelle Diskussion 47sondern weil sie sich im Rahmen ihrer bisherigen KSZE-Politik alszuverlässiger, konsensorientierter und aktiver Partner erwiesenhat. Nicht die Sonderstellung der Schweiz ist hervorzuheben, sonderndie aktive Mitarbeit in dieser Organisation, die in der Vergangenheitbereits verschiedene Erfolge aufweisen konnte.Andererseits scheint es gerade im Fall dieser sicherheitspolitischenOrganisation wichtig, die Übernahme von zusätzlicher Verantwortungin Form der Präsidentschaft mit den nationalen Sicherheitsinteressender Schweiz zu begründen, um so mehr, als derOSZE ebenfalls ein umfassender Sicherheitsbegriff zugrunde liegt,wie dies auch in der offiziellen schweizerischen Sicherheitspolitik("Bericht 90") postuliert wird. Ebenso kann auf eine Kongruenz inder Wahl und im Einsatz der Mittel hingewiesen werden, liegt dochauch in der schweizerischen Aussenpolitik das Schwergewicht aufvermittelnder, präventiver Diplomatie. Bei dem aktiven Beitrag derschweizerischen Diplomatie handelt es sich daher nicht um einePflicht, um einen "autonomen Nachvollzug" sozusagen, sondern umdie Dynamisierung der Aussenbeziehungen in einem Bereich, derfür dieses Land von sicherheitspolitischem Interesse ist.Mit Blick auf die innenpolitische Dimension einer Kommunikationsstrategiesind aber die folgenden Einschränkungen zu machen:An die Hoffnung, dass sich die OSZE-Präsidentschaft gar als Vehikelfür einen Stimmungswandel der Bevölkerung in der Frage derÖffnung gegenüber Europa nutzen lässt, sollten keine allzu grossenErwartungen geknüpft werden. Aufgrund des unspektakulärenCharakters der Tätigkeiten dieser Sicherheitsorganisation wirddem schweizerischen Engagement im Rahmen der OSZE wohl nurwenig Widerstand von denjenigen Kreisen erwachsen, die sichgenerell gegen eine erhöhte Aktivität unseres Landes inmultilateralen Gremien sträuben. Ebenso begrenzt wird daher aberauch der positive Effekt der Präsidentschaft zur Förderung einesneuen aussenpolitischen Selbstverständnisses sein.Für die Verantwortlichen stellt die Aufgabe, die Bedeutung derOSZE-Präsidentschaft für die schweizerische Aussenpolitik darzulegen,eine doppelte innenpolitische Heraus<strong>for</strong>derung dar. Zum einengilt es, die Notwendigkeit der Arbeit der OSZE im heutigendiffusen strategischen Umfeld und im Rahmen einer unübersichtlichgewordenen Sicherheitsstruktur in Europa mit Nachdruck zuerklären sowie den Stellenwert der Organisation explizit für die


48 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikschweizerische Aussenpolitik aufzuzeigen. In diesem Zusammenhangsollte insbesondere betont werden, dass die OSZE allein schondeshalb ein ideales Aktionsfeld für die schweizerische Aussenpolitikdarstellt, weil sich die präventivdiplomatischen Aufgabenbereicheder OSZE weitgehend mit den friedenspolitischen Absichten derEidgenossenschaft decken. Zum anderen muss aber der auch heutenoch beschränkte Handlungsspielraum der Organisation -beispielsweise etwa gegenüber dem Konflikt im ehemaligenJugoslawien - erläutert und davon ausgehend aufgezeigt werden,dass die Tätigkeit im Rahmen der OSZE keine "Rückfallposition"darstellen kann und daher kein Ersatz für die Übernahme vonVerantwortung in anderen multilateralen Gremien wie der Uno, derEU/WEU und der Nato sein darf.5. Die Debatte über die Rolle der OSZE in der europäischenSicherheitsarchitektur5.1. Sicherheitsmodell für Europa im 21. JahrhundertHinter dem vordergründigen Konsens der OSZE-Teilnehmerstaatenüber die komparativen Vorteile der Organisation bestehen inbezug auf die künftige konzeptionelle Rolle im Geflecht der sichgegenseitig verstärkenden Sicherheitsinstitutionen 32 grundsätzlicheDifferenzen. Die unterschiedlichen Positionen werden namentlichim Dialog über ein "Gemeinsames und umfassendes Sicherheitsmodellfür Europa im 21. Jahrhundert" ersichtlich. Am BudapesterGipfeltreffen 1994 wurde von der russischen Seite einediesbezügliche Diskussion innerhalb der OSZE vorgeschlagen. Dernoch im Anfangsstadium befindliche Dialog soll einen Beitrag zuder nach dem Kalten Krieg weiterhin ungefestigten Sicherheitsarchitekturin Europa leisten, eine neue Teilung Europas verhindernund in Richtung vermehrter kooperativer Sicherheit zielen.32 Für eine neuere Übersicht zum Thema der sich gegenseitig verstärkendenSicherheitsinstitutionen in Europa vgl. James B. Steinberg. "OverlappingInstitutions, Underinsured <strong>Security</strong>: The Evolution of the Post-Cold War<strong>Security</strong> Order". In: Bernard von Plate (Hg.). Europa auf dem Wege zurkollektiven Sicherheit? Konzeptionelle und organisatorische Entwicklungender sicherheitspolitischen Institutionen Europas. Internationale Politik undSicherheit 38. Baden-Baden 1994. 49-69.


Aktuelle Diskussion 49Dabei werden aber sehr unterschiedliche Vorstellungen bezüglichder Rolle der OSZE im grösseren Rahmen der Sicherheitsinstitutionenin Europa greifbar, namentlich seitens der HauptakteureRussland und USA.In der russischen Perspektive kommt der OSZE eine zentrale Rollefür die Stabilisierung in Europa zu. Dabei soll die OSZE für dieKoordination der diesbezüglichen Bemühungen der Mitgliedstaatenund regionaler Institutionen wie GUS, EU, WEU, Europarat, Natound NACC sorgen. Russland möchte auf die Verrechtlichung derOSZE, das heisst auf deren Formalisierung und Trans<strong>for</strong>mation ineine voll funktionsfähige, auf völkerrechtlichem Fundamentstehende regionale Organisation hinwirken. 33Demgegenüber steht die traditionell kritische und abwartendeHaltung der USA unter dem Motto "let the OSCE be the OSCE".Amerikanische Stimmen warnen insbesondere vor einer Über<strong>for</strong>derungder OSZE, da sich die Organisation gleich in zweifacherHinsicht in einem Spannungsfeld befindet. Ein erstes Spannungsfelderöffnet sich aus dem Widerspruch zwischen den einzigartigenMöglichkeiten und den begrenzten Mitteln der OSZE. Da in deramerikanischen Perspektive das herausragende Merkmal derOSZE ihr breiter sicherheitspolitischer Ansatz ist, der die politischmilitärische,menschliche und ökonomische Dimension umfasst,soll der Schwerpunkt entsprechend auch in Zukunft bei vertrauensbildendenKonzepten liegen. Der Versuch, die Mittel undMethoden der OSZE zu verändern, würde, bedingt durch dieÜberdehnung ihrer Fähigkeiten, das Ende dieser Organisation bedeuten.Die OSZE soll deshalb keine institutionalisierte, mit völkerrechtlicherVerbindlichkeit ausgestattete Gemeinschaft werden.Das Sicherheitsmodell im Rahmen der OSZE darf in amerikanischerPerspektive die bestehenden Sicherheitsorganisationen,sprich die Nato, nicht in Frage stellen. Als zweites Spannungsfeldwird auf den Widerspruch zwischen der Erhaltung der "grassrootsfunction" und der offiziellen Dimension der OSZE aufmerksamgemacht. Die OSZE soll ein offenes Gefäss bleiben für Initiativenvon der Basis, namentlich auch von NGOs, für die sie ein wertvollerAnsprechpartner darstellt. Die Organisation würde viel von ihrer33 Andrey Zagorski. "Russland und die OSZE: Erwartungen und Enttäuschungen".In: OSZE-Jahrbuch 1995, 109-120.


50 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAnziehungskraft für diese nichtstaatlichen Organisationenverlieren, wenn sie sich zu einem rein diplomatischen Zirkel entwickelnwürde. 34Verständlicherweise reagierten die osteuropäischen Staaten anfänglichzurückhaltend auf die Diskussion um das Sicherheitsmodell.Die Nato-Osterweiterung soll nicht vom mächtigen russischenNachbarn beeinflusst werden können, befinden sich doch namentlichdie mittelosteuropäischen Visegrad-Staaten in einem Prozessder Annäherung zur transatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.Entsprechend sind diese darauf bedacht - wie dies namentlich auchim Budapester Dokument 1994 in den Beschlüssen des Kapitels VIIfestgehalten wurde -, dass das Sicherheitsmodell das Recht auf denBeitritt zur Nato nicht beeinträchtigt.5.2. Akzentverlagerung in Richtung Peacekeeping?Die grundlegenden Differenzen der Teilnehmerstaaten hinsichtlichder künftigen Rolle der OSZE in der europäischen Sicherheitsarchitekturwiderspiegeln sich auch in der Debatte um ihreoperative Rolle. Die Frage nach dem Schwerpunkt der Tätigkeitender OSZE wird im Verlauf der schweizerischen Präsidentschaft aufeine Entscheidung hin drängen. Konkret geht es darum, zu bestimmen,inwieweit die Aktivitäten im Rahmen der Präventivdiplomatiein der Praxis durch friedenserhaltende Massnahmen ergänztwerden sollen.Die meisten westlichen Staaten messen präventivdiplomatischenAktivitäten grössere Chancen bei als umfassenden friedenserhaltendenMassnahmen. Diese Einschätzung basiert zum einen aufder Wahrnehmung der begrenzten personellen und finanziellenRessourcen der OSZE. Zum anderen lässt sich für präventivdiplomatischeAktivitäten die Kooperation mit anderen Organisationeneinfacher sicherstellen als beim Peacekeeping. Die beschränktenMittel der OSZE erlauben es der Organisation nur, in der prä- undallenfalls in der postkonfliktiven Phase aktiv zu werden. Für dieDurchführung von friedenserhaltenden Massnahmen verfügt dieOSZE bildlich gesprochen schlicht weder über "Zuckerbrot noch34 Jonathan Dean. "Die Vereinigten Staaten und die OSZE: Im Wechsel vonFörderung und ’wohlwollender Vernachlässigung‘". In: OSZE-Jahrbuch1995, 99-108.


Aktuelle Diskussion 51Peitsche". Aufgrund dieser Analyse dürfte eine Schwergewichtsbildungder OSZE-Operationen auf Präventivdiplomatie und allenfallsauf postkonfliktive friedensbildende Massnahmen angezeigtsein.Allerdings sei vor allzu hohen Erwartungen an die Möglichkeitender OSZE im Rahmen der Konfliktprävention gewarnt. Dies erstensdaher, weil auch in Zukunft kleinere und mittlere Länder(Dänemark; Polen; Kanada) für die OSZE-Präsidentschaft vorgesehensind und damit das Ressourcenproblem in ähnlicher Weisewiederkehren dürfte, da das Präsidentenmandat für die Durchführungdiesbezüglicher Aktivitäten eine zentrale Stellung einnimmt.Zweitens wird auch in Zukunft das Problem darin bestehen, dasssich kein Mitgliedstaat für die Auslösung der Krisenmechanismenmobilisieren lässt, bevor ein Konflikt manifest wird.Im Gegensatz dazu wird von östlicher Seite, namentlich von Russland,die Bedeutung friedenserhaltender Massnahmen der OSZEfür die zahlreichen regionalen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligenUdSSR betont und eine Akzentverlagerung von der Konfliktpräventionhin zum Konfliktmanagement und zur Konfliktlösungge<strong>for</strong>dert. In der heutigen Situation soll nicht die Weiterentwicklungder Instrumentarien der Konfliktprävention im Zentrumder Aufmerksamkeit stehen, sondern die Auseinandersetzung mitden aktuellen Konflikten. Die OSZE ist allein schon deshalb herausge<strong>for</strong>dert,weil keine andere internationale Organisation im"nahen Ausland" auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR aktivwerden kann.Der russischen Befindlichkeit ist insofern Verständnis entgegenzubringen,als sich die meisten derzeitigen Konflikte in der Tat inder (ehemaligen) russischen Einflusssphäre abspielen und daherdie nationalen Interessen Russlands direkt tangieren. Russlandmacht entsprechend geltend, dass seine in den Krisenregionenstehenden Truppen der Friedenssicherung dienen und folglich alsPeacekeepingtruppen von der OSZE anerkannt werden sollen.6. Heraus<strong>for</strong>derungen für die schweizerische OSZE-PräsidentschaftEinleitend muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Ausgangslagefür das Schweizer Präsidialjahr 1996 schwierig gestaltet,stehen doch die Diskussionen über die Rolle der OSZE in einer


52 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikengen Wechselbeziehung zu politischen Vorgängen in anderen Bereichen.Neben der Nato-Osterweiterung sind vor allem die Regierungskonferenzenzwecks Überprüfung des Maastrichter Vertragesund des Vertrages über die konventionellen Streitkräfte in Europazu nennen. Ebenfalls 1996 stehen wichtige Präsidentschaftswahlenin Russland und den USA an. Schliesslich wird sich die OSZE auchim nächsten Jahr intensiv mit den aktuellen Krisen inTschetschenien, in Nagorny-Karabach und im ehemaligen Jugoslawienauseinanderzusetzen haben.6.1. Augenmerk auf die GUS und neue Rolle im ehemaligenJugoslawienAuf die Gebiete Russlands und der GUS wird auch im schweizerischenPräsidentschaftsjahr das Hauptaugenmerk zu richten sein.Im Zentrum steht dabei das Verhältnis Russlands zu seinen als"nahes Ausland" deklarierten Nachbarn. Hier steht die allfälligeDurchführung der anlässlich des Budapester Gipfeltreffens (1994)grundsätzlich beschlossenen OSZE-Peacekeeping-Mission in Nagorny-Karabachim Vordergrund. Damit würde in den OSZE-Aktivitätenerstmals eine Akzentverlagerung in Richtung aktivesKrisenmanagement offenbar. Aber auch weitere Gebiete wie Tschetschenien,Tadschikistan, Georgien, Ukraine und Moldawiener<strong>for</strong>dern die Aufmerksamkeit der OSZE und insbesondere die desAmtierenden Vorsitzenden. 35Auf dem Balkan gilt es, die bestehenden präventivdiplomatischenMissionen (Mazedonien; Sarajewo) zur Stabilisierung des Umfeldesin bewährter Weise weiterzuführen. Weit wichtiger sind aber dieder OSZE bei der Umsetzung einer Friedensregelung in Bosnien-Herzegowina erwachsenden Aufgaben. Die Organisation wird imRahmen dieser Friedensbemühungen - das in Dayton (Ohio)paraphierte Friedensabkommen wird voraussichtlich am 14. Dezember1995 in Paris unterzeichnet werden - als "lead agency" 3635 Vgl. Michael Lucas, Oliver Mietzsch. The OSCE and <strong>Security</strong> in Russiaand the CIS: Decisions in Budapest and the Challenge of their EffectiveImplementation. Arbeitspapiere der Schweizerischen Friedensstiftung 23.Bern 1995.36 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen anlässlich des OSZE-Troika-Treffensin Genf am 19. Oktober 1995. Neue Zürcher Zeitung vom 24. Oktober1995; und die Äusserungen von Mitarbeitern des EDA anlässlich der Me-


Aktuelle Diskussion 53eine neue Rolle übernehmen, nachdem sie sich 1992 de facto ausdem Jugoslawienkonflikt abgemeldet hat. Damit wird der OSZE inZukunft ein grosses potentielles Aufgabengebiet im ehemaligenJugoslawien erwachsen. An der OSZE-Aussenministerkonferenzvom 7./8. Dezember 1995 in Budapest, anlässlich derer die Schweizoffiziell den Vorsitz übernimmt, wird ein entsprechendes Mandatim Detail <strong>for</strong>muliert.Neben der Überwachung von Wahlen ist die Überprüfung der Einhaltungder Menschenrechte von grosser Wichtigkeit. Nachdem einpolitischer Lösungsprozess absehbar ist, soll der Fokus der OSZE-Tätigkeiten deshalb auf dem Schutz der Minderheitenrechte liegen.Dies ist aus schweizerischer Perspektive insofern interessant, alsunser Land über einige Erfahrung im Bereich des Minderheitenschutzesverfügt. Zusätzlich ist die Reintegration Restjugoslawiens(Serbien und Montenegro) in die internationale Gemeinschaft anzustreben,um auch in diesen Gebieten aktiv werden zu können.Die OSZE ist aufgrund ihrer Mitgliederstruktur geradezu dafürprädestiniert, für die Wiederaufnahme Serbien-Montenegros in dieStaatengemeinschaft zu sorgen. Präventivdiplomatie zum Schutzder Minderheiten ist innerhalb Restjugoslawiens (Kosovo, Wojwodinaund dem Sandschak) dringend vonnöten, betreibt doch Belgradin diesen Regionen eine massive Repressionspolitik gegenüberden nichtserbischen Minderheiten. 37 Schliesslich ist auch auf dieNotwendigkeit eines Rüstungskontrollregimes für den Balkanaufmerksam zu machen. Der Abbau der Rüstungspotentiale mussparallel zur politischen Stabilisierung der Region an die Hand gedienkonferenzvom 20. November 1995. Neue Zürcher Zeitung vom 21. November1995.Wie Bundesrat Flavio Cotti im Anschluss an ein Treffen mit dem amerikanischenAussenminister Warren Christopher am 9. November 1995 bekanntgab,wurde der Schweizer Brigadier Peter Arbenz, ehemaliger Generalinspektorder Uno-Truppen in Ex-Jugoslawien (Unpro<strong>for</strong>), zum Mitgliedder OSZE-Expertengruppe ernannt, welche die technischen Aspekte desOSZE-Mandates in Bosnien vorbereitet.37 Vgl. zur bisherigen schweizerischen Jugoslawienpolitik: Andreas Wenger,Jeronim Perovic. Das schweizerische Engagement im ehemaligen Jugoslawien:Über Grenzen und Möglichkeiten der Aussenpolitik eines neutralenKleinstaates. Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konflikt<strong>for</strong>schung36. <strong>Zürich</strong> 1995.


54 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiknommen werden. Hier sind Vorbereitungen für die spätere Einbindungin den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europazu treffen.Eine Verstärkung der Rolle der OSZE hinsichtlich des Konfliktesim ehemaligen Jugoslawien über die derzeitige Stabilisierung derumliegenden Gebiete hinaus bedingt sorgfältige Vorbereitungen fürdie Entsendung von Feldmissionen. Hier muss eine frühzeitigeKontaktaufnahme mit den Konfliktparteien erfolgen und muss amAufbau eines In<strong>for</strong>mations- und Kommunikationsnetzes vor Ortgearbeitet werden. Im Sinne einer optimalen Vorbereitung gilt esdaher zu überlegen, inwieweit die Kontakte zu den Konfliktparteienbereits heute auszubauen sind, um diese dann zu gegebenerZeit im Rahmen der OSZE erfolgreich zu aktivieren.6.2. Sicherheitsmodell und Menschliche DimensionDie Schweiz wird auch bei der Mitgestaltung des Sicherheitsmodellsfür Europa im 21. Jahrhundert ge<strong>for</strong>dert sein. Dabei ist denunterschiedlichen Vorstellungen der Grossmächte Russland, USAund EU bezüglich der Rolle der OSZE im Geflecht der sich gegenseitigverstärkenden Sicherheitsinstitutionen in Europa Rechnungzu tragen. Bei der Formulierung ihrer Position soll sich die Schweiznicht auf die politisch-militärischen Aspekte der Sicherheitbeschränken, sondern ihrer Tradition gemäss einen breiten sicherheitspolitischenAnsatz anstreben, der auch wirtschaftlicheZusammenarbeit, Fragen der Menschlichen Dimension, aber auchTeilthemen wie Umweltschutz umfasst. Als konkreten Beitrag zurDebatte um die Ausgestaltung des Sicherheitsmodells kann dieSchweiz auf die Notwendigkeit einer umfassenden Risikoanalysehinweisen, besitzt sie doch auf diesem Gebiet wissenschaftlicheExpertise.Mit der Übernahme des Präsidialmandates 1996 wird die Schweizfür die Weiterentwicklung des Sicherheitsmodells verantwortlichzeichnen. Im Beratungsprozess wird sie neben der Wahrung ihrereigenen nationalen Interessen und der Lancierung eigener Initiativenauch die Funktion eines Moderatoren auszufüllen haben.Dabei kann sie als "Drittpartei" in bewährter stiller DiplomatieVermittlungstätigkeiten zwischen den divergierenden Interessender Hauptakteure Russland, USA und EU wahrnehmen. Anlässlichdes Ende 1996 stattfindenden OSZE-Gipfeltreffens in Lissabon


Aktuelle Diskussion 55werden die erzielten Resultate durch die schweizerischen Vertreterschliesslich vorzulegen sein.Der stärkeren Integration und Implementierung der MenschlichenDimension in den politischen Alltag, wie sie im Geiste der Treffenvon Wien, Kopenhagen und Moskau im Sinne einer umfassendenVerpflichtung bei den Menschenrechten und den Minoritätenrechtendeklariert worden ist, wird unser Land ebenfalls hohe Prioritätbeizumessen haben. Für die Schweiz, die sich traditionellerweisefür die Kodifizierung der Menschlichen Dimension eingesetzt hat,wird die konkrete Durchsetzung dieser Standards zu einer besonderenHeraus<strong>for</strong>derung werden, steht zurzeit nämlich nicht dieWeiterentwicklung bestehender Normen und Mechanismen imVordergrund, sondern deren Anwendung und Durchsetzung.6.3. Aussenbeziehungen und interne Feinabstimmung derOSZEZum Aufgabenbereich des Amtierenden Vorsitzenden gehören dieAussenbeziehungen der OSZE zu anderen internationalen Akteurenund die Sicherstellung der inneren Funktionsfähigkeit der Organisation.Bezüglich beider Aufgaben bestehen konkrete Heraus<strong>for</strong>derungenfür die schweizerische Präsidentschaft.So ist insbesondere die Notwendigkeit einer verstärkten koordiniertenZusammenarbeit mit anderen internationalen Gremien zubetonen. Die regulären Treffen mit dem Europarat und die Beziehungenzur Nato (Beobachterstatus im NACC/PfP) entwickeln sichzwar befriedigend. Hingegen gestalten sich die Kontakte zur Unoals schwierig. Entsprechend ist die Zusammenarbeit mit der Unozu fördern. Ferner ist auf die Bedeutung der Sicherstellung guterKontakte zur GUS/Russland hinzuweisen. Dies drängt sich insbesondereangesichts der aktuellen Konflikte auf dem Gebiet derehemaligen UdSSR auf.Im Zusammenhang mit der Betonung der "grassroots function" derOSZE ist auch auf die Beziehungen mit nichtstaatlichen Organisationenaufmerksam zu machen. Die Koordination mit NGOs istentscheidend, da deren Aktionskreis oft in denselben Gebieten liegtwie derjenige der OSZE.Im Bereich der internen institutionellen Feinabstimmung derOSZE ist die Konsolidierung der bestehenden Institutionen undMechanismen vordringlich. Dabei stellen sich dem Amtierenden


56 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikVorsitzenden zwei grundsätzliche administrative Heraus<strong>for</strong>derungen.Wie können die bestehenden exekutiven Ressourcen genutztwerden, ohne die Kontrolle über die Gesamttätigkeiten der Organisationzu verlieren? Und wie soll das politische Management deranfallenden Aufgaben in zwei Zentren (Wien/Bern) koordiniertwerden?Ferner ist als Schlüsselfaktor zur Sicherstellung der innerenFunktionsfähigkeit der OSZE die enge Zusammenarbeit zwischendem Präsidialland und dem Generalsekretariat zu nennen. Hier istdie Idee prüfenswert, ob die Beziehungen zwischen dem AmtierendenVorsitzenden und dem Generalsekretär durch die Abordnungeines ständigen Vertreters des Generalsekretärs an das jeweiligeAussenministerium nicht verbessert werden könnten. 38Überdies ist ein enger Kontakt zu den anderen Mitgliedern derFührungstroika bei der Durchführung bestehender und der Planungallfälliger neuer Aktivitäten durch die Schweiz wichtig. Einvermehrter Rückgriff des Vorsitzenden auf die Führungstroika istüberlegenswert, um die Troikapartner noch enger in den Willensbildungsprozesseinzubinden und die Entscheidungen gegen aussenbesser abzustützen.Im weiteren wird die Konsolidierung der Zusammenarbeit mit demHochkommissariat für nationale Minderheiten in Den Haag wichtigsein, da im Bereich der Präventivdiplomatie eine enge Kooperationmit dem Hochkommissar unabdingbar ist.Bei den spezialisierten Organen ist auf die Notwendigkeit der institutionellenStärkung des Büros für Demokratische Institutionenund Menschenrechte in Warschau hinzuweisen. Ebenso drängt sicheine stärkere Berücksichtigung der Parlamentarischen Versammlungauf.Mit Blick auf weitere Aktivitäten im administrativen Bereich bleibtschliesslich festzuhalten, dass die alle zwei Jahre stattfindendeÜberprüfungskonferenz und das anschliessende Treffen der StaatsundRegierungschefs in das schweizerische Präsidialjahr fallen. DieVorbereitung des Lissabonner Gipfels 1996 wird einige38 Pále Dunay. "Zusammenarbeit in Konflikten: Der Amtierende Vorsitzendeund der Generalsekretär: Ein künftiges Problem?". In: OSZE-Jahrbuch1995, 399-410.


Aktuelle Diskussion 57administrative und organisatorische Kräfte binden, um eine sorgfältigeVorbereitung zu gewährleisten.Grundsätzlich muss aber bei aller Vorausschau betont werden,dass auch die schweizerische OSZE-Agenda wesentlich durch dieEreignisse bestimmt werden wird. Entsprechend bedingt dies einesorgfältige Vorbereitung der eigenen Organisation im Aussenministerium.Die strukturellen, personellen und auch materiellenVorkehrungen in EDA und EMD müssen den An<strong>for</strong>derungen bestehenderOSZE-Aktivitäten genügen und - wichtiger noch - Raumfür künftige Unwägbarkeiten lassen. Die Notwendigkeit flexiblerFührungsstrukturen gründet auf den gemachten Erfahrungen derbisherigen Troikamitglieder.7. SchlussfolgerungenDie Übernahme der OSZE-Präsidentschaft 1996 gibt der Schweizdie Chance, die Tätigkeiten im Rahmen dieser Organisation alsBrücke zur Mitgestaltung des europäischen Umfeldes zu nutzen.Das Mandat des Amtierenden Vorsitzenden ist für die schweizerischeAussenpolitik allein schon deshalb bedeutend, weil die Aktivitätenim Rahmen der OSZE für die Schweiz zur Zeit die alleinigeMöglichkeit darstellen, um sowohl eigene sicherheitspolitische Interessenwahrzunehmen als gleichzeitig auch einen sinnvollenBeitrag zur Stabilität in Europa zu leisten. Der Wert der positivenMitgestaltungsmöglichkeit ist gerade deshalb besonders hoch einzuschätzen,weil sich der aussenpolitische Aktionsradius des neutralenKleinstaates nach dem Ende des Kalten Krieges verkleinerthat. In einer zunehmend multipolaren und interdependenten Weltsteigt gerade für den Kleinstaat die Bedeutung von Handlungsfeldernim multilateralen Rahmen. Diesbezüglich bietet sich die Gestaltungs-und Kompetenzfülle des Mandates des AmtierendenVorsitzenden geradezu an, um mit Kreativität ausgefüllt zu werden.Die Gesamtverantwortung für die ausführenden Tätigkeitenerlaubt es der Schweiz, ihre traditionellen aussenpolitischen Aktionsfelderweiter zu verfolgen und sich gleichzeitig neue Handlungsspielräumezu schaffen. Bei der Formulierung eines schweizerischenAktionsprogrammes müssen allerdings auch eine ganzeReihe von einschränkenden Rahmenbedingungen berücksichtigtwerden.


58 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik7.1. Gestaltungs- und Kompetenzfülle versus HandlungseinschränkungenDas Mandat des Amtierenden Vorsitzenden eröffnet dem Präsidiallandmit der im Vergleich zum Vorsitz anderer internationalerOrganisationen einmaligen Kompetenz- und Gestaltungsfülle breitenRaum für politische Initiativen. Die neutrale Schweiz kannhier, bedingt durch ihre Unabhängigkeit und Ungebundenheit imUrteil und im Handeln, komparative Vorteile verzeichnen, indemsie ohne aufwendige Feinabstimmung mit Bündnispartnern derOSZE Vorschläge unterbreiten kann. Grundsätzlich besitzt derVorsitz jedoch letztlich nur so viel Gewicht, wie ihm das Land anBedeutung zuzumessen gewillt ist. Die Möglichkeiten des Präsidialmandatessind im einzelnen oben dargelegt worden; nachfolgendsei daher abschliessend auf einschränkende Faktoren hingewiesen.Bei der Annahme dieser Heraus<strong>for</strong>derung ist die Schweiz gebundenan aktuelle Konflikt- und Krisenfälle, an laufende und geplanteMissionen und an den bestehenden Gesamt-Acquis der OSZE(Verpflichtungen und Vereinbarungen; Strukturen und Institutionen;finanzielle und personelle Beschränkungen). DasPrinzip des Konsenses bildet die wichtigste De-facto-Beschränkungder exekutiven OSZE-Kompetenz. Es ist daher unerlässlich, dasssich die Schweiz bei ihren Vorstössen der Unterstützung derbestimmenden Akteure (USA; Russland; EU) versichert. Als weiteresErschwernis ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen,dass die Schweiz bei der In<strong>for</strong>mationsbeschaffung für Gebiete,in denen sie aufgrund fehlender nationaler Interessen und begrenzterRessourcen nur über ein grobmaschiges In<strong>for</strong>mationsnetzverfügt, auf die Mithilfe durch andere Mitgliedstaaten angewiesenist. Überdies könnten sich der Schweizer Diplomatie die negativenFolgen unseres Abseitsstehens in den sicherheitspolitisch entscheidendenOrganisationen (Uno; EU/WEU; Nato/NACC/PfP) ineinem Kommunikationsdefizit zeigen. Der schweizerische"Sonderfall" bringt mit sich, dass unser Land über wenig Erfahrungin multilateraler Diplomatie verfügt. Nicht zuletzt sei auch an diebeschränkten finanziellen und personellen Ressourcen in derschweizerischen Verwaltung erinnert, welche die Ausgestaltungder nötigen Führungsstrukturen erschweren.


Aktuelle Diskussion 59Als allgemeine Heraus<strong>for</strong>derung an die schweizerische Präsidentschaftist auf ein mögliches Dilemma zwischen der Verfolgung institutionellerund nationaler Interessen hinzuweisen. Für kleine,unabhängige Staaten kann es problematisch sein, Aktivitäten auchin solchen Fällen, in denen keine nationalen Interessen im Spielsind, zu ergreifen und dafür kritisiert zu werden. Trotzdem musssich der Amtierende Vorsitzende im Rahmen seiner Gesamtverantwortungfür die ausführenden Tätigkeiten auch in diesenSituationen um die politische Initiative bemühen. Bedingt durchdas zeitlich kurze Mandat ergibt sich damit verbunden ein weiteresgrundsätzliches Spannungsfeld. Die Schweiz ist ge<strong>for</strong>dert, ihreTätigkeiten sowohl auf die kurzfristige Perspektive der einjährigenPräsidentschaft als auch auf die für die Organisation notwendigelangfristige Perspektive auszurichten.7.2. Eine besondere Heraus<strong>for</strong>derung: KommunikationsstrategieDie OSZE ist als strategisches Instrument im modernen sicherheitspolitischenUmfeld unverzichtbar. Als Forum des Dialogs kannsie entscheidend zur Stabilität in Europa beitragen. Ihre Stärkenliegen bei Aktivitäten der stillen Diplomatie, die notwendigerweiseunspektakulär sind und entsprechend in der Öffentlichkeit nurungenügend wahrgenommen werden. Es ist daher unerlässlich,dass die Möglichkeiten der OSZE als Mittel einer nachhaltigpositiven Entwicklung, ihre Ziele und Arbeitsweisen einer breiterenÖffentlichkeit besser verständlich gemacht werden.Die Aufgabe, eine Kommunikationsstrategie für die OSZE zu <strong>for</strong>mulieren,ist Teil des Pflichtenheftes des Amtierenden Vorsitzenden.Bei der Entwicklung einer Handlungsstrategie für dieschweizerische OSZE-Präsidentschaft 1996 ist dem ElementKommunikation daher hohe Priorität beizumessen. 39 Diese Aufgabe39 Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten hat sichin diesem Zusammenhang dazu entschlossen, die Möglichkeiten der elektronischenKommunikation als zusätzliches Instrument zur Multiplikationvon In<strong>for</strong>mation zu nutzen. Es hat die Forschungsstelle fürSicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong> damitbeauftragt, eine Homepage "Die schweizerische OSZE-Präsidentschaft" aufdem Internet anzubieten (Adresse: http://www.fsk.ethz.ch/osze/).


60 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikwird allerdings dadurch erschwert, dass die Schweiz in ihrer Rolleals Präsidialland einerseits die OSZE-Aktivitäten gegenüber derinternationalen Gemeinschaft zu vertreten hat. Andererseitsmüssen die politischen Verantwortlichen aber auch die spezifischschweizerischen Kommunikationsbedürfnisse im Auge behalten.Diesbezüglich gilt es, neben der Verdeutlichung des Stellenwertesder OSZE für die Sicherheit Europas und insbesondere der positivenEinwirkungsmöglichkeiten für die Schweiz durch die Übernahmeder Präsidentschaft gleichzeitig darzulegen, dass dieschweizerischen Tätigkeiten im Rahmen der OSZE kein Ersatz fürdie Übernahme von Verantwortung in anderen multilateralenGremien sein kann.AuswahlbibliographieDokumentensammlungenFastenrath, Ulrich (Hg.). KSZE: Dokumente der Konferenz über Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa. Neuwied 1992. (Loseblattsammlung, <strong>for</strong>tlaufend).Jacobsen, Hans-Adolf, Wolfgang Mallmann, Christian Meier (Hg.). Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa (KSZE): Analyse und Dokumentation,Band I und II. Dokumente zur Aussenpolitik II und II/2. Köln 1973 und1978.Schramm, Friedrich-Karl, Wolfram-Georg Riggert, Alois Friedel (Hg.). Sicherheitskonferenzin Europa: Dokumentation 1954-1972: Die Bemühungen umEntspannung und Annäherung im politischen, militärischen, wirtschaftlichen,wissenschaftlich-technologischen und kulturellen Bereich. Frankfurtam Main 1972.BibliographienHoltermann, Henrik. CSCE: From Idea to Institution: A Bibliography. Kopenhagen1993.Schwarz, Günter, Dieter S. Lutz. Sicherheit und Zusammenarbeit: Eine Bibliographiezu MBFR, SALT und KSZE. Militär, Rüstung, Sicherheit 2. Baden-Baden1980.Vgl. auch den Artikel "Die Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution aufdie schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik: Offene Fragen und ersteLösungsansätze" im vorliegenden Bulletin zur schweizerischenSicherheitspolitik.


Aktuelle Diskussion 61LehrmittelOSZE - Sicherheit in Europa. Hg. Eidgenössisches Departement für auswärtigeAngelegenheiten. Bern 1995.Literatur zur "alten" KSZEAcimovic, Ljubivoje. Problems of <strong>Security</strong> and Cooperation in Europe. Alphenaan den Rijn 1981.Ghebali, Victor-Yves. La diplomatie de la détente: la CSCE d’Helsinki àVienne (1973-1989). Brüssel 1989.Neuhold, Hanspeter (Hg.). CSCE: N+N Perspectives: The Process of the Conferenceon <strong>Security</strong> and Cooperation in Europe from the Viewpoint of theNeutral and Non-Aligned Participating States. The Laxenburg Papers 8.Wien 1987.Volle, Herrmann, Wolfgang Wagner (Hg.). KSZE - Konferenz über Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa in Beiträgen und Dokumenten aus demEuropa-Archiv. Bonn 1976.Volle, Herrmann, Wolfgang Wagner (Hg.). Das Belgrader KSZE-Folgetreffen.Der Fortgang des Entspannungsprozesses in Europa in Beiträgen und Dokumentenaus dem Europa-Archiv. Bonn 1978.Volle, Herrmann, Wolfgang Wagner (Hg.). Das Madrider KSZE-Folgetreffen.Der Fortgang des KSZE-Prozesses in Europa in Beiträgen undDokumenten aus dem Europa-Archiv. Bonn 1984.von Bredow, Wilfried. Der KSZE-Prozess: Von der Zähmung zur Auflösungdes Ost-West-Konfliktes. Darmstadt 1992.Zielinski, Michael. Die neutralen und blockfreien Staaten und ihre Rolle imKSZE-Prozess. Nomos Universitätsschriften 13. Diss. Baden-Baden 1990.Literatur zur "neuen" KSZE/OSZECuthbertson, Ian M. (Hg.). Redefining the CSCE: Challenges and Opportunitiesin the New Europe. New York 1992.Heraclides, Alexis. Helsinki II and its Aftermath: The Making of the CSCEinto an International Organization. London-New York 1993.Lehne, Stefan. The CSCE in the 1990s: Common House or Potemkin Village.Wien 1991.Lucas, Michael (Hg.). The CSCE in the 1990s: Constructing European <strong>Security</strong>and Cooperation. Baden-Baden 1993.Lucas, Michael, Oliver Mietzsch. The OSCE and <strong>Security</strong> in Russia and theCIS: Decisions in Budapest and the Challenge of their Effective Implementation.Arbeitspapiere der Schweizerischen Friedensstiftung 23. Bern 1995.Mastny, Vojtech. The Helsinki Process and the Reintegration of Europe 1986-1991: Analysis and Documentation. London 1992.Meyer, Berthold, Bernhard Moltmann (Hg.). Konfliktsteuerung durch die VereintenNationen und die KSZE. Frankfurt am Main 1994.


62 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikOSZE-Jahrbuch 1995: Jahrbuch zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa (OSZE). Hg. Institut für Friedens<strong>for</strong>schung und Sicherheitspolitik,Universität Hamburg. Baden-Baden 1995.OSZE-Vademecum: Eine Einführung über die Organisation für Sicherheitund Zusammenarbeit in Europa. Hg. OSZE-Dienst des EidgenössischenDepartementes für auswärtige Angelegenheiten. Bern 1995.Schlotter, Peter, Norbert Ropers, Berthold Meyer. Die neue KSZE: Zukunftsperspektiveneiner regionalen Friedensstrategie. Analysen Politik, Gesellschaft,Wirtschaft 44. Opladen 1994.Staak, Michael (Hg.). Aufbruch nach Gesamteuropa: Die KSZE nach derWende im Osten. Forschungsberichte Internationale Politik 15. Münster1992.Von der KSZE zur OSZE: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa. Hg. IAP-Dienst Sicherheitspolitik, 5/1995. Bonn 1995.von Tscharner, Benedikt. "Chancen und Grenzen der KSZE". In: Neue ZürcherZeitung vom 9./10. April 1994.Literatur zur Schweiz und der KSZE/OSZEBrunner, Edouard. "La CSCE, Véhicule de Politique Etrangère pour laSuisse?". In: Emanuel Diez et al. (Hg.). Festschrift für Rudolf Bindschedler.Bern 1980. 611-616.Erzinger, Matthias et al. Menschenrechts-Vorbild Schweiz? Zum"humanitären" KSZE-Engagement der Schweiz. Hg. Schweizerischer Friedensrat.<strong>Zürich</strong> 1986.Hübscher, Werner. Die Schweiz und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa. SAD-Arbeitsheft W 9. <strong>Zürich</strong> 1973.Interview mit Flavio Cotti: "Es ist unsere ethische Pflicht, etwas für den Friedenin Europa zu tun". In: Tages-Anzeiger vom 21. November 1995.Interview mit Benedikt von Tscharner: "Konkrete Schritte statt Luftschlösser".In: Der Bund vom 3. November 1995.Interview mit Raymund Kunz: "Die gesamteuropäische sicherheitspolitischeKooperation vertiefen". In: Chance Schweiz 3 (1995): 3-8.Kunz, Raymund. "Die OSZE-Präsidentschaft: Aufgaben, Möglichkeiten undGrenzen". In: Info Gesamtverteidigung 16 (1995): 3f.Kunz, Raymund. "Mitwirkung in der KSZE". In: Info Gesamtverteidigung 13(1994): 2f.Renk, Hans-Jörg. "Vor 20 Jahren: Schlussakte von Helsinki: Die Rolle derSchweiz bei der Entstehung der KSZE". In: Neue Zürcher Zeitung vom 31.Juli 1995.Riklin, Alois et al. Die Schweiz und die KSZE: Stand 1977. SAD-ArbeitsheftW 12. <strong>Zürich</strong> 1977.Ruch, Jean-Daniel. "La CSCE et la Suisse". In: Bulletin zur schweizerischenSicherheitspolitik 2 (1992): 56-70.


Aktuelle Diskussion 63Schärli, Josef. "Zur OSZE-Präsidentschaft der Schweiz 1996". In: AllgemeineSchweizerische Militärzeitschrift 10 (1995): 12f.Stemmler, Urs. Die Konferenz über Vertrauens- und SicherheitsbildendeMassnahmen und Abrüstung in Europa als Mittel der schweizerischen Sicherheitspolitik.2 Bde. Diss. New York 1989.von Grünigen, Marianne, Josef Schärli. "Die Schweiz und der Prozess derKonferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)". In:Alois Riklin, Hans Haug, Raymond Probst (Hg.). Neues Handbuch derschweizerischen Aussenpolitik. Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaftfür Aussenpolitik 11. Bern-Stuttgart-Wien 1992. 569-588.von Grünigen, Marianne. "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit inEuropa (KSZE) und Neutralität". In: Bewaffnete Neutralität heute: Beilagezur Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift 1992. 47-56.von Tscharner, Benedikt. "Die Schweiz und die OSZE". In: René Rhinow(Hg.). Die schweizerische Sicherheitspolitik im internationalen Umfeld.Basel 1995. 73-86.von Tscharner, Benedikt. "Die OSZE als Heraus<strong>for</strong>derung für die Schweizund ihre Diplomatie". In: Neue Zürcher Zeitung vom 13. Februar 1995.


Die Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution aufdie schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik:Chancen und Risikenvon Andreas Wenger und Thomas Köppel1. EinleitungDie Auswirkungen der neuen Kommunikationstechnologien aufStaat, Gesellschaft und Wirtschaft werden im ausgehenden 20.Jahrhundert einer der bestimmenden Faktoren für den Wandelunseres Umfeldes sein. Die Beschleunigung der technologischenEntwicklungen in den vergangenen fünf Jahren hat diverse nationaleund multinationale politische Programme zum Aufbau einerglobalen In<strong>for</strong>mationsgesellschaft hervorgebracht. Wir befinden unsmitten in einer In<strong>for</strong>mationsrevolution.In<strong>for</strong>mation, soviel wird heute allgemein anerkannt, muss als eineneue Form von Macht bewertet werden. In<strong>for</strong>mation als strategischerMachtfaktor beeinflusst sowohl innerstaatliche wie zwischenstaatlichepolitische Prozesse. Zwei der führenden Wissenschafterauf diesem Gebiet haben dazu folgendes festgehalten:"The crucial point about a post-industrial society is that knowledge andin<strong>for</strong>mation become the strategic and trans<strong>for</strong>ming resources of thesociety, just as capital and labor have been the strategic and trans<strong>for</strong>mingresources of industrial society." (Bell 1979, S. 26)"We are witnessing a historic trans<strong>for</strong>mation of the traditional modes ofpower. Power today is becoming based less on physical and material parameters(territory, military <strong>for</strong>ces) and more on factors linked to thecapability of storing, managing, distributing, and creating in<strong>for</strong>mation."(Debray 1986, S. 18).In der Forschung besteht allerdings kein Konsens darüber, wie sichdie neuen Möglichkeiten der In<strong>for</strong>mationsvermittlung im einzelnenauf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auswirken. Istwirtschaftliches Denken und Handeln bereits stark von der In<strong>for</strong>mationsrevolutiongeprägt, werden im Gegensatz dazu die Auswirkungender neuen Technologien auf die Politik nur sehr zögernderkannt. Entsprechend fehlen Studien, die nach den politischenund sozialen Effekten der In<strong>for</strong>mationsrevolution fragen. Mit dem


Aktuelle Diskussion 65beschleunigten Aufbau einer globalen In<strong>for</strong>mationsinfrastruktur istheute der Zeitpunkt gegeben, um nach den gesellschaftlichenFolgen dieser Entwicklungen zu fragen. Ohne gezielte Förderungeiner diesbezüglichen Forschung besteht die Gefahr, dass sich diestaatlichen und nichtstaatlichen Programme zum Aufbau einerglobalen In<strong>for</strong>mationsinfrastruktur auf technische undwirtschaftliche Fragen beschränken und die sozialen und politischenAspekte weiterhin vernachlässigt werden.Besteht schon bei den allgemeinen Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionein Forschungsdefizit, so fehlen bezüglich der Auswirkungender neuen Technologien auf den in<strong>for</strong>mationssensitivenBereich der Aussen- und Sicherheitspolitik - und schon gar derschweizerischen - jegliche Grundlagenstudien. Die Forschungsstellefür Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse an der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>(FSK) hat sich zum Ziel gesetzt, diese Forschungslücke mit einemeigenen Projekt, das Theorie und Praxis verknüpft, zu füllen.Einerseits betreibt die FSK in Zusammenarbeit mit verschiedenenPartnern der Bundesverwaltung, mit schweizerischen Forschungsinstitutionenund einer ganzen Reihe von internationalen Partnernseit Anfang April 1995 das International <strong>Security</strong> Network (ISN).Auf der operationellen Ebene steht damit in der Schweiz allenaussen- und sicherheitspolitisch interessierten Kreisen ein Mittelzur Verfügung, um am "globalen elektronischen Dorf" teilzunehmenund einen raschen Zugang zur fachspezifischen Dokumentation zufinden. Anderseits hat die FSK damit begonnen, diewissenschaftlichen Erkenntnisse über die Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauf Politik, Wirtschaft und Gesellschaftsystematisch zu analysieren. Im Zentrum sollen dabei nicht technologischeAspekte, sondern die für den Bereich der schweizerischenAussen- und Sicherheitspolitik relevanten politischen,sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen stehen.Im folgenden geht es in erster Linie darum, offene Fragen und ersteLösungsansätze aufzuzeigen. Nach einem Überblick über denallgemeinen Stand der wissenschaftlichen Diskussion werden dieAuswirkungen der neuen Technologien auf die schweizerischeAussen- und Sicherheitspolitik konkretisiert. Im darauffolgendenAbschnitt soll das ISN als eine mögliche praktische Anwendung derneuen Technologien in einigen Teilaspekten vorgestellt werden.Dies nicht zuletzt in der Hoffnung, dass aus dem schweizerischen


66 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikKreise der aussen- und sicherheitspolitisch Interessiertenspezifische Bedürfnisse <strong>for</strong>muliert werden und in Form von Anregungenan die FSK zurückfliessen.2. Neue Möglichkeiten der In<strong>for</strong>mationstechnologien -Fluch oder Segen?Eine breitere politische Diskussion über die Anwendung der neuenIn<strong>for</strong>mationstechnologien sowie über deren Rückwirkungen auf dieinternationale Politik wurde erst kürzlich durch den amerikanischenVizepräsident Al Gore ausgelöst und gipfelte in der aufamerikanisches Insistieren abgehaltenen G7-Konferenz über In<strong>for</strong>mationstechnologienvom Februar 1995. In diesem Zusammenhangliegen mittlerweile von Regierungsseite eine ganze Reihe vonGrundlagendokumenten vor, die zum Aufbau der globalen In<strong>for</strong>mationsgesellschaftbeitragen sollen (siehe Bibliographie).Die In<strong>for</strong>mationsgesellschaft entsteht als gemeinsames Produktvon staatlichen und nichtstaatlichen Kräften. Der private Sektorliefert dabei in erster Linie die notwendigen Finanzen. Dem öffentlichenSektor fällt die Entwicklung von Regulativen zu, welche dieNutzbarkeit der neuen Technologien für alle sichern sollen. Nebender Suche nach neuen Anwendungsfeldern (teleworking; distancelearning; road traffic management, air traffic control, etc.) stehenauf staatlicher Seite Fragen in den Bereichen Datenschutz undDatensicherheit, Eigentumsrechte über die neuen Technologien,Schutz von Urheberrechten (geistiges Eigentum) und Wahrung derPrivatsphäre (Persönlichkeitsschutz) im Zentrum der Aufmerksamkeit(Bangemann 1994; US Department of Commerce 1993).Die Er<strong>for</strong>schung der gesellschaftlichen Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionkommt aber auch in den staatlichen Grundlagendokumentennur am Rande zur Sprache. Die In<strong>for</strong>mationsrevolutionhat erst begonnen, ihr Höhepunkt steht noch bevor, und ihrepositiven wie negativen Effekte auf Politik und Gesellschaft werdensich erst in Zukunft bemerkbar machen. Sproull und Kiesler weisenin diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Beobachter dazutendieren, in der Anfangsphase einer Revolution die Effizienzsteigerungseffekteder neuen Technologien überzubetonen undderen potentielle soziale Auswirkungen zu übersehen(Sproull/Kiesler 1991). Dieser Sachverhalt bringt mit sich, dass diestaatlichen Stellen neben der Entwicklung von Regulativen für die


Aktuelle Diskussion 67kommerzielle Nutzung der neuen Technologien auch bei der Er<strong>for</strong>schungder Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution auf Staat,Gesellschaft und Politik ge<strong>for</strong>dert sind.Von seiten der schweizerischen Regierung wurde im Unterschiedzu einer ständig wachsenden Anzahl anderer Staaten bis anhinnoch kein Grundlagenbericht zu den Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsgesellschaftvorgelegt. Im Zusammenhang mit der derzeit hängigenVernehmlassung für ein neues Fernmeldegesetz hat dasBundesamt für Kommunikation (Bakom) eine Studie in Auftraggegeben, 1 die sich primär mit den wirtschaftlichen Aspekten einermöglichen Liberalisierung des Fernmeldewesens beschäftigt. SozialeAspekte werden nur im Rahmen der zu garantierenden landesweitenGrundversorgung und ganz am Rande beim Umwelteinflussder In<strong>for</strong>mationstechnologien behandelt. Politische Aspektewerden gänzlich ausgeklammert. Es ist zu vermuten, dass sich diefür 1996 erwartete Botschaft für ein neues Fernmeldegesetz ebenfallsauf die genannten Aspekte beschränken wird. Damit ist auchin der Schweiz eine Aufarbeitung und Er<strong>for</strong>schung der verschiedenenAspekte der In<strong>for</strong>mationsrevolution notwendig.Einzelne Exponenten machten allerdings bereits vor einigen Jahrenauf die enormen politischen Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationstechnologieaufmerksam. Dazu gehörten der frühere französischePräsident François Mitterrand ebenso wie der ehemalige amerikanischeAussenminister George Shultz. Shultz wies bereits in denfrühen achtziger Jahren darauf hin, dass die Welt dank der In<strong>for</strong>mationstechnologiekleiner und vernetzter, aber auch turbulenterwürde (Shultz 1985; 1986a; 1986b). Nicht nur die Nationalökonomienwürden sich verändern, sondern auch die traditionellen Konzeptenationalstaatlicher Souveränität und die internationaleKräfteverteilung. Shultz sagte voraus, dass diese Veränderungenzum Vorteil des Westens ausfallen würden:1Analysis Ltd; Infras; Bundesamt für Kommunikation (Hg.): PerspektiveTelekom: Grundzüge für die Weiterentwicklung der schweizerischenFernmeldeordnung (Resultate der Grundlagenarbeit). Biel 1994. Siehedazu auch die Vernehmlassung zum neuen Telecomgesetz: Bundesamt fürKommunikation: Fernmeldegesetz (FMG): Vernehmlassungsentwurf vom30. August 1995, Gesetzesentwurf und Erläuternder Bericht. Biel 1995.


68 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikThe more they (communists) try to stifle these technologies, the morethey are likely to fall behind in this movement from the industrial to thein<strong>for</strong>mation age; but the more they permit these new technologies, themore they risk their monopoly of control over in<strong>for</strong>mation and communication.(Shultz 1986a)Das Ende des Kalten Krieges, der Zerfall der Sowjetunion und dieosteuropäischen Revolutionen schienen nur wenige Jahre später dieThese von Shultz zu bestätigen, dass sich die neuen Technologienzum Vorteil offener demokratischer Systeme auswirken.Wie sich In<strong>for</strong>mation als neuer strategischer Machtfaktor allerdingsim einzelnen auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auswirkt,darüber besteht in der vorhandenen Literatur kein Konsens.Während beispielsweise McLuhan die Vision eines vereinten undglücklichen globalen Dorfes skizziert, warnt Bell vor den politischenInstabilitäten, welche die neuen Technologien nach sichziehen können (McLuhan 1962, 1967; Bell 1967, 1977). Es herrschtauch Uneinigkeit darüber, wie sich die menschliche Wahrnehmungvon Zeit und Raum unter den neuen Bedingungen verändert. Wirdfür die einen die Welt kleiner, da der globale Austausch vonIn<strong>for</strong>mationen ohne Zeitverzug möglich ist, wird sie für andere imGegenteil grösser, da sie von weltweiten Entwicklungen unmittelbarbetroffen sind und sich Orientierungslosigkeit einstellt. Sinddie einen der Meinung, dass die neuen Technologien Grenzen undHindernisse abbauen, verweisen andere auf die zunehmendeFragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft. Postulierendie einen, dass dem Menschen mit den neuen Technologien einMittel zur Beherrschung der Zeit in die Hände gegeben wird, haltendem andere warnend entgegen, dass diese nur zur Verwirrungunseres zeitlichen Horizontes führen.Während sich heute ein Konsens abzeichnet, dass die In<strong>for</strong>mationsrevolutiontatsächlich begonnen hat und dass mit dem Internetzum ersten Mal breite Kreise von den neuen Kommunikationsmöglichkeitenprofitieren können, sind die Voraussagen über dasEntwicklungstempo dieser Revolution eher wieder vorsichtigergeworden. William Dutton, der Leiter des britischen Regierungsprogrammeszur Förderung der In<strong>for</strong>mations- und Kommunikationstechnologien(PICT), spricht - stellvertretend für andere - vonmehreren Gründen für die Verlangsamung der In<strong>for</strong>mationsrevolution(Dutton 1995): Entwickler hätten oft ein verzerrtes Bild vonihrem Zielpublikum und entwickelten nicht, was tatsächlich ge-


Aktuelle Diskussion 69braucht werde. Herkömmliche Grundmuster würden auch in Zukunftdie Nutzung der In<strong>for</strong>mationstechnologien prägen, das heisstMenschen neigen dazu, neue Technologien zu "domestizieren" undzum Beispiel PCs einfach als bessere Schreibmaschinen zubenützen. Für Menschen seien In<strong>for</strong>mationen ausserdem erst vonBedeutung, wenn sie kommuniziert, das heisst mit anderenMenschen ausgetauscht, würden. Bis einmal die kritische Masseerreicht und via die neuen Technologien genug andere Menschenerreicht werden könnten, würde das Interesse relativ klein bleiben.2.1. Wirtschaftliche AuswirkungenDurch den Vorsprung der Wirtschaft in der Anwendung neuerTechnologien sind die Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauf den wirtschaftlichen Bereich am besten dokumentiert. Dieneuen Technologien haben zu einer grundlegenden Veränderungprivatwirtschaftlicher Managementkonzepte geführt. Heute scheintallgemein anerkannt, dass die In<strong>for</strong>mationsrevolution eineVerflachung der Organisationen, einen Zerfall von Hierarchien,eine zunehmende Dezentralisierung und eine Reduktion des mittlerenManagements nach sich zieht. Erfolg im neuen Umfeld habenprojektbezogene, aus verschiedenen Hierarchiestufen zusammengesetzteTeams, die ein Projekt halbautonom bis zum Abschlussdurchführen (Toffler 1970, 1990; Drucker 1989). Es stelltsich allerdings die Frage, ob diese Phänomene nur Symptome einerPhase des Übergangs sind, bis sich nach der Integration der neuenTechnologien neue Hierarchien und eine neues mittleresManagement herausbilden werden. Die Bürokratie würde sichdamit - so diese These - im Endeffekt gegen die neuen Technologiendurchsetzen (Ronfeldt 1992).Die Natur der Märkte wandelt sich von örtlich begrenzten geographischenRäumen zu weltumspannenden Netzwerken. Entsprechendentwickeln sich multinationale Aktiengesellschaften zu globalenFirmen, welche - unabhängig von Staatsgrenzen - die ganzeWelt als Produktionsplatt<strong>for</strong>m und Marktplatz betrachten. GanzeProduktionsbereiche können an Orte mit tieferen Löhnen ausgelagertund trotzdem vom Firmenhauptsitz gesteuert und kontrolliertwerden (Bell 1987).In<strong>for</strong>mationen werden im Bereich der Wirtschaft zusehends alseine Form von Kapital wahrgenommen. Wriston folgert daraus,


70 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikdass der Goldstandard zunehmend durch einen In<strong>for</strong>mationsstandardersetzt wird. Die "Kapitalisierung" von In<strong>for</strong>mation führtseiner Meinung nach auch dazu, dass international anerkannteIndikatoren für den Vergleich von Volkswirtschaften (wie dasBruttosozialprodukt oder Handelsbilanzrechnungen) die Wirklichkeitimmer weniger gut beschreiben können, da reine In<strong>for</strong>mationstransfersvon solchen Instrumenten grösstenteils nicht gemessenwerden (Wriston 1992).2.2. Soziale AuswirkungenIndem In<strong>for</strong>mation zu einem organisierenden Prinzip der gesellschaftlichenOrdnung wird, verändert sich auch die Beziehung sowohlzwischen Staat und Gesellschaft als auch zwischen verschiedenenGesellschaftsgruppen.Erstens wird der Zugang zu In<strong>for</strong>mation zu einem wichtigen Faktordes sozialen Standes. Die Befürchtung, dass die In<strong>for</strong>mationsrevolutiondie Formierung neuer Eliten nach sich zieht und dassdiejenigen, die Zugang zur In<strong>for</strong>mation haben, zur allein bestimmendenSchicht aufsteigen könnten, ist allerdings nur teilweisegerechtfertigt. Elektronische In<strong>for</strong>mationen stehen aufgrund desoffenen Charakters der neuen Netzwerke verschiedenen Individuenund Gruppen mit verschiedenen Ideologien und Zielsetzungenoffen. Die Verfügung über In<strong>for</strong>mationen lässt sich nur bedingteinschränken. Allerdings dürften die Garantie eines freien oderzumindest gleichen Netzzugangs für alle und die Frage der AusundWeiterbildung auf diesem Gebiet zentral werden.Für staatliche Entscheidungsträger bedeuten die neuen Entwicklungenzweitens aber auch, dass sie Zugang zu einer grossen Mengevon In<strong>for</strong>mationen auf privaten Netzwerken erhalten. Dem stehtgegenüber, dass viele politische Aktivitäten, die bis anhin im engenKreis von Experten abliefen, zunehmend der Öffentlichkeitausgesetzt sind. Gerade Nichtregierungsorganisationen geben dieneuen Technologien Möglichkeiten und Mittel in die Hand, zunehmendim politischen Prozess mitzuwirken.Ein weiteres Merkmal der veränderten Beziehungen zwischen demprivaten und dem öffentlichen Sektor ist drittens, dass sich dieGrenzen zwischen den beiden Bereichen zunehmend verwischen.Deshalb können auch die Effekte der In<strong>for</strong>mationsrevolution für die


Aktuelle Diskussion 71Bereiche der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nur schwerauseinandergehalten werden.2.3. Politische AuswirkungenDie Auswirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution auf Regierung undPolitik haben sich im Gegensatz zur Wirtschaft verzögert. Entsprechendwenig wurde bisher über die politischen Auswirkungender neuen Technologien nachgedacht. Von verschiedener Seitewurde allerdings festgehalten, dass bestehende Konzepte vonMacht und staatlicher Souveränität sowie die Regierungsprozessevon den neuen Entwicklungen beeinflusst werden.Der amerikanische Politologe David Ronfeldt, der sich schon seiteinigen Jahren mit den politischen Konsequenzen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauseinandersetzt, sieht vier primäre politische Effekte(Ronfeldt 1992):Die In<strong>for</strong>mationsrevolution verändert die Kräfteverteilung im internationalenUmfeld. Immer mehr werden sich "in<strong>for</strong>mation haves"von "in<strong>for</strong>mation have-nots" absetzen. Einige Regierungenoder andere politische Akteure werden sich zu globalen In<strong>for</strong>mationsmächtenentwickeln. Andere - vor allem in der Dritten Welt -müssen "elektronische Kolonialisierung" und "In<strong>for</strong>mationsimperialismus"befürchten. Als Beispiel einer globalen In<strong>for</strong>mationsmachtkann Singapur dienen, das sich trotz beschränkter territorialerGrösse und beschränkter militärischer Machtmittel zu einemernstzunehmenden Machtfaktor des 21. Jahrhunderts entwickelt(National Computer Board 1991).Die nationale Souveränität wird durch transnationale In<strong>for</strong>mationsflüsseunterminiert. Der Fluss elektronischer In<strong>for</strong>mation istschlecht kontrollierbar; Finanzin<strong>for</strong>mation, Fernsehen oder elektronischePost halten sich nicht an politische Grenzen. Die Folgesind Steuerausfälle, Umgehungsgeschäfte und ein Verlust des In<strong>for</strong>mationsvorsprungsder Regierungen.In<strong>for</strong>mationstechnologie soll die Gesellschaft dem Staat gegenüberstärken und damit die Chancen für eine Demokratisierung innichtdemokratischen Staaten verbessern. Die revolutionären Ereignissevon 1989 in Osteuropa haben zumindest Indikatoren fürdiese Behauptung geliefert; der Einfluss der Massenmedien auf denAblauf der Ereignisse ist evident. Offene Gesellschaften sindgeschlossenen Gesellschaften nach dieser Theorie grundsätzlich


72 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiküberlegen und werden sich schlussendlich durchsetzen. DieserTrend hat allerdings auch eine Kehrseite: In den USA und anderenDemokratien beschleunigt In<strong>for</strong>mationstechnologie auch Individualisierungs-und Vereinzelungstendenzen. Einthemenpolitik,Reizüberflutung durch Massenmailings, "media bites" statt Hintergrundkommentarein den Medien sowie Furcht vor dem Überwachungsstaatsind nur einige Stichwörter (Ronfeldt 1992).3. Die Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution aufdie schweizerische Aussen- und SicherheitspolitikDie schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik wird von der In<strong>for</strong>mationsrevolutionund ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichenRückwirkungen in allen ihren Aspekten betroffen. MitBlick auf eine kurzfristig-praktische Ebene steht die Frage im Vordergrund,ob die neuen Technologien neue Möglichkeiten im Bereichder In<strong>for</strong>mationsbeschaffung respektive In<strong>for</strong>mationsverbreitungbieten. In bezug auf eine langfristig-politische Ebene ist vonebenso wichtiger Bedeutung, inwieweit die In<strong>for</strong>mationsrevolutiondie internationalen Beziehungen, innerhalb derer die schweizerischeAussenpolitik abläuft, sowie die innenpolitischen Rahmenbedingungender Aussenpolitik verändert. Schliesslich muss nach denRückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolution auf Mittel undInstrumente der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitikgefragt sowie aufgezeigt werden, ob die neuen Technologien Veränderungender Verwaltungsorganisation er<strong>for</strong>dern.3.1. Neue Instrumente der strategischen FrühwarnungElektronische Kommunikation ist rasch, interaktiv, interdisziplinär,dezentralisiert und ortsunabhängig. Zudem ist sie vergleichsweisebillig. All dies erklärt, wieso der potentielle Empfängerkreisdes Internets zur Zeit explosionsartig anwächst. Mitte1995 benutzten ca. 40 Millionen Individuen das Internet. Parallelzum Wachstum der Netze ist auch das In<strong>for</strong>mationsangebot imBereich Aussen- und Sicherheitspolitik massiv angestiegen. Heutebieten internationale Organisationen, zahlreiche Regierungsorganesowie eine Vielfalt von nichtstaatlichen Organisationen eine Füllevon aussen- und sicherheitspolitisch relevanten In<strong>for</strong>mationen an.Aus der Perspektive der für die schweizerische Aussen- und SicherheitspolitikVerantwortlichen stellt sich die Frage nach dem


Aktuelle Diskussion 73Nutzen des wachsenden In<strong>for</strong>mationsangebots insbesondere imRahmen einer umfassenden Risikoanalyse, der Früherkennung, derNachrichtenverarbeitung und der Lageanalyse. Die Bedeutung desInternets und der elektronisch zugänglichen In<strong>for</strong>mation als neuesInstrument der strategischen Frühwarnung muss ernsthaft geprüftwerden.Mit Blick auf eine kurzfristig-praktische Ebene steht dabei dieFrage im Zentrum, wie relevante In<strong>for</strong>mationen (Datensicherheit; -zuverlässigkeit) aus der In<strong>for</strong>mationsflut herausgefiltert werdenkönnen. Diesbezüglich gibt das ISN bereits heute jeder Bundesstelle,die sich mit aussen- und sicherheitspolitischen Fragenbeschäftigt, ein Arbeitsinstrument in die Hand, mit dem auf denimmer grösseren elektronischen In<strong>for</strong>mationsreichtum strukturiertzugegriffen werden kann. Insbesondere ermöglicht das sicherheitspolitischeNetzwerk, Quellen einzusehen, die ansonstenkaum zur Verfügung stehen würden (beispielsweise die vonNichtregierungsorganisationen). Dabei auftretende Schulungsbedürfnissekönnen im Rahmen des ISN befriedigt werden. Das Projektkann damit zu einem Bestandteil des Frühwarninstrumentariumsdes Bundes werden.3.2. Neue Instrumente der In<strong>for</strong>mationsverbreitungDoch nicht nur in bezug auf die In<strong>for</strong>mationsbeschaffung bietet sichdas Internet als neues Instrument an. Die Möglichkeiten derelektronischen Kommunikation müssen auch bei der Verbreitungvon In<strong>for</strong>mation berücksichtigt werden. Für die Bundesverwaltungvon Interesse ist dabei vor allem der potentiell sehr breite Adressatenkreisdes Internets, der andere nationale und internationaleRegierungsstellen, internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen,schweizerische und internationale Forschungsinstitutionen,die Medien (Zeitung, Radio, Fernsehen) unddie interessierte Öffentlichkeit umfasst.Aufgrund seiner Interaktivität bietet sich das Medium der elektronischenKommunikation speziell dazu an, den Austausch zwischenPraktikern und Forschern zu verbessern. Während die Wissenschaftereinen erleichterten Zugriff auf staatliche Grunddatenerhalten, können sich die Vertreter des Bundes einfacher undschneller einen Überblick über wissenschaftliche Forschungsergebnisseverschaffen.


74 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikNeben der In<strong>for</strong>mationsbeschaffung kann das ISN auch für einethemenspezifische Verbreitung von In<strong>for</strong>mationen auf dem Internetdienen. Die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalysebetreibt dazu seit Anfang Oktober die "Swiss Foreignand <strong>Security</strong> Policy Home Page" und die "sui-sec"-Diskussionsliste,die unten im Detail vorgestellt werden.3.3. Gute Dienste der Schweiz auf elektronischem Wege?Langfristig ebenso bedeutend ist die Frage, wie die neuen In<strong>for</strong>mationstechnologiendie internationalen Rahmenbedingungenverändern, innerhalb derer die Aussenpolitik unseres Landes <strong>for</strong>muliertund umgesetzt wird. Indem In<strong>for</strong>mation zur strategischenRessource wird, verändert sich der Charakter der internationalenBeziehungen. Es ergeben sich neue Möglichkeiten für den KleinstaatSchweiz, im bilateralen oder multilateralen Rahmen auf seinUmfeld einzuwirken.In diesem Zusammenhang muss geprüft werden, inwieweit dieneuen technischen Mittel im Sinne von "Guten Diensten auf elektronischemWeg" zur Überwindung der aussenpolitischen Isolationder Schweiz beitragen können. Gerade in den sehr in<strong>for</strong>mationssensitivenPolitikbereichen Aussen- und Sicherheitspolitik ist alsunabdingbare Voraussetzung zu nennen, dass die Schweiz den Anschlussan die globalen Entwicklungen nicht verliert.Die Schweiz als Partner für aussen- und sicherheitspolitisch relevantenDaten- und In<strong>for</strong>mationstransfer weist zwei Standortvorteileauf: Erstens verfügt unser Land in den Bereichen Bildung,Ausbildung und Schulung über eine bedeutende Erfahrung. Zweitenspräsentiert sich die Ausgangslage in bezug auf Infrastrukturund technisches Know-how im internationalen Vergleich als kom<strong>for</strong>tabel.Unser Land weist bereits heute eine dichte Vernetzungelektronischer Netzwerke auf.Hinsichtlich möglicher Partner sind im näheren Umfeld derSchweiz insbesondere in den Ländern Ost- und Südosteuropas umfassendeBedürfnisse auszumachen. Im Rahmen des ISN ist alsdiesbezügliches Pilotprojekt vorgesehen, Ausbildung im Bereich derneuen In<strong>for</strong>mationstechnologien am Genfer Zentrum fürSicherheitspolitik anzubieten. Weiter muss geklärt werden, ob einähnlicher Beitrag im Rahmen eines allfälligen Beitritts zum Partnership<strong>for</strong> Peace-Programm der Nato geleistet werden könnte.


Aktuelle Diskussion 753.4. Das Internet als Mittel zur innenpolitischen Abstützungder Aussenpolitik?Die In<strong>for</strong>mationsrevolution beeinflusst aber nicht nur die äusserenRahmenbedingungen der schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitik.Auch die innenpolitische Dimension der Aussenpolitikist von den beschriebenen Entwicklungen betroffen. Es gilt abzuklären,inwieweit die neuen Möglichkeiten der In<strong>for</strong>mationsverbreitungzur verbesserten Abstützung der Aussen- in der Innenpolitikbeitragen können.Die neuen In<strong>for</strong>mationstechnologien erlauben es, Verwaltungsin<strong>for</strong>mationeneinfach, anschaulich und vor allem kostengünstig einembreiten Adressatenkreis (Medien, Öffentlichkeit, Nichtregierungsorganisationen)zugänglich zu machen. Dies ermöglicht mehrTransparenz und - wenn auch vorläufig noch auf eine eng definierteBenutzergruppe beschränkt - mehr Bürgerkontakt. Als konkretesBeispiel kann hier auf die Home Page Die schweizerische OSZEPräsidentschaft verwiesen werden, welche die FSK inZusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtigeAngelegenheiten betreut und die unten detailliert vorgestelltwird.3.5. "Cyberwar" und neue Strategien der KonfliktlösungDie In<strong>for</strong>mationsrevolution wird sich neben den Rückwirkungender neuen Technologien auf die inneren wie äusseren Rahmenbedingungender schweizerischen Aussen- und Sicherheitspolitikauch mit Auswirkungen auf deren spezifische Konzepte und Mittelbemerkbar machen. In bezug auf die Armee muss festgehaltenwerden, dass die Ausgestaltung der Verteidigungspolitik unseresLandes nicht unwesentlich von den Entwicklungen im Bereich derIn<strong>for</strong>mationstechnologie mitbestimmt wird. Die neuen Technologienbeeinflussen insbesondere die Militärstrategie und -taktik ineinem nicht zu unterschätzenden Ausmass. Dies hat der zweiteGolfkrieg bereits deutlich werden lassen. Wortschöpfungen wie"Cyberwar" betonen die neue Relevanz der Netzwerke für Strategieund Taktik.Weiter ergeben sich Möglichkeiten bei der Formulierung und Umsetzungneuer Strategien in der Konfliktlösung. Bessere Kommunikationmit Nichtregierungsorganisationen und einer breiterenÖffentlichkeit verbessern die Aussichten auf eine erfolgreiche Zu-


76 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiksammenarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organen.Positive Effekte können sich dabei wohl in erster Linie im Rahmenvon präventivdiplomatischen Bemühungen bemerkbar machen, wieetwa beim Einsatz sogenannter "weicher" Instrumente wie GuteDienste, Wirtschaftskooperation und Hilfe beim Aufbau demokratischer,rechtlicher, marktwirtschaftlicher und sozialerStrukturen zur Stabilisierung des europäischen Umfeldes.3.6. Neue Organisations<strong>for</strong>men und veränderte Regierungsprozesse?Schliesslich verändert sich als Folge der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauch die Art und Weise der politischen Prozesse, durch dieAussenpolitik <strong>for</strong>muliert, umgesetzt und (gegen innen wie aussen)vermittelt wird. Es muss analysiert werden, welche Konsequenzendie neuen Mittel für den Bereich der Verwaltungsorganisation habenund wie das Entstehen neuer bürokratischer Rivalitäten vermiedenwerden kann.Im speziellen gilt es nach den An<strong>for</strong>derungen zu fragen, welche dieneuen Technologien an Organisation und Management staatlicherBehörden stellen. Unklar ist dabei, ob die Bundesverwaltung voneiner ähnlichen Veränderung ihrer Managementkonzepte(Verflachung der Organisation, Zerfall der Hierarchien, Reduktiondes mittleren Managements) betroffen ist wie die Privatwirtschaft.3.7. Elemente eines ForschungsplanesBei den <strong>for</strong>mulierten Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauf die schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitik handelt essich um erste Denkanstösse, die der Präzisierung bedürfen. Eslässt sich aber bereits jetzt ein Set von Forschungsfragen <strong>for</strong>mulieren,die einen möglichen Weg zu einer fundierteren Beschäftigungmit dieser Thematik aufzeigen. Die nachfolgenden Fragensind Elemente eines Forschungsplanes, mit dem die FSK einenBeitrag zur Weiterentwicklung der schweizerischen Aussen- undSicherheitspolitik leisten will:• Inwieweit verändert die In<strong>for</strong>mationsrevolution die internationalenRahmenbedingungen, innerhalb derer Aussen- und Sicherheitspolitik<strong>for</strong>muliert, umgesetzt und vermittelt wird?• Ergeben sich für die Schweiz Möglichkeiten, durch "Gute Diensteauf elektronischem Weg" auf ihr Umfeld einzuwirken und die


Aktuelle Diskussion 77zunehmende aussenpolitische Isolation unseres Landes zuüberwinden?• Wo sind diesbezügliche Bedürfnisse festzustellen, und inwieweitist die Schweiz der geeignete Partner für aussen- und sicherheitspolitischrelevanten In<strong>for</strong>mations- (und allenfalls auchTechnologie-) Transfer?• Inwieweit können die neuen Technologien zur innenpolitischenAbstützung der Aussenpolitik genutzt werden? Inwieweit erlaubensie Nichtregierungsorganisationen und Bürgern, direkter imaussenpolitischen Prozess mitzuwirken?• Welche praktischen Vorteile und Probleme ergeben sich für diebetroffenen Verwaltungsstellen aus der Integration der neuenTechnologien in den Arbeitsablauf bei der In<strong>for</strong>mationsbeschaffungeinerseits und bei der In<strong>for</strong>mationsverbreitung andererseits?Wird die strategische Frühwarnung erleichtert?• Inwieweit zieht die In<strong>for</strong>mationsrevolution eine Anpassung bürokratischerOrganisation an die neuen Begebenheiten nach sich?Welche personellen, strukturellen und finanziellen Konsequenzenergeben sich daraus?4. Praktische Anwendungen der neuen Technologien:Das International <strong>Security</strong> NetworkAls praktische Anwendung der neuen In<strong>for</strong>mationstechnologienbetreibt die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalysein Zusammenarbeit mit internationalen Partnern einsicherheitspolitisches Netzwerk auf dem Internet.Das International <strong>Security</strong> Network wurde im Frühling 1994 alsFolge der Zürcher Konferenz "Institutes and the <strong>Security</strong> Dialogue"gegründet (Spillmann, Köppel 1994). Hauptträger sind dieForschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong> sowie der Nato Integrated Data Service. Etwa 150 Institutionensind passiv, zirka 50 aktiv beteiligt, darunter praktischalle internationalen Organisationen.ISN ist eine internationale Netzwerkinitiative, die akademischeInstitutionen in den Gebieten Sicherheits- und Verteidigungspolitik,Friedens- und Konflikt<strong>for</strong>schung sowie internationale Beziehungenmit Regierungen, internationalen Organisationen, Nicht-


78 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikregierungsorganisationen und Medien verbindet. Zugang zu ISN istmöglich via World Wide Web (Internet) sowie über eineDiskussionsliste.Auf dem WWW-Server des International <strong>Security</strong> Networks werdenmomentan In<strong>for</strong>mationen über die folgenden Bereiche derAussen- und Sicherheitspolitik in Form einer elektronischen virtuellenBibliothek angeboten:1. General In<strong>for</strong>mation 2. Conflict <strong>Studies</strong> in General3. International Relations in General 4. Peace <strong>Studies</strong> in General5. Political Science in General 6. <strong>Security</strong> Policy in General7. Collective <strong>Security</strong> 8. Arms (Production, Trade, Disarmament,Conversion)9. Economics 10. Development Issues11. Geography / Maps 12. Environment13. Human Rights 14. Government / Law of Nations15. International Organizations 16. In<strong>for</strong>mation Revolution and InternationalRelations17. Minorities, Ethnicity, Migration 18. Military19. News / Journalism / Media 20. 'New' <strong>Security</strong> Threats21. SocietyDiese In<strong>for</strong>mationen reichen von Selbstdarstellungen von Forschungsinstitutionenüber Berichte im Volltext bis zu komplettenMaterialsammlungen von Regierungen und internationalen Organisationen:So sind zum Beispiel alle UN-Resolutionen seit 1974greifbar sowie die Grundlagenpapiere zu praktisch allen grossenKonferenzen der verschiedenen internationalen Organisationen.Aber auch einzelne Regierungen - unter anderem die schweizerische- stellen grössere Bestände ihrer In<strong>for</strong>mationen zur Verfügung.Neben der inhaltlichen Erschliessung wird aussen- und sicherheitspolitischrelevante In<strong>for</strong>mation auch nach Ländern sortiertangeboten. Zur Zeit sind In<strong>for</strong>mationen zu 66 Ländern greifbar.Diese virtuelle Bibliothek ersetzt damit bis zu einem gewissenGrad die klassische Bibliothek und verhilft gerade auch Forschernund anderen Interessierten, die selbst keinen (oder keine Zeit füreinen) Zugriff auf Fachbibliotheken haben, zu aktuellen In<strong>for</strong>mationen.


Aktuelle Diskussion 79Neben der Kooperation mit dem Nato Integrated Data Service undeinzelnen Institutionen wie dem Londoner International Institute<strong>for</strong> Strategic <strong>Studies</strong> (IISS) besteht eine weitere enge Zusammenarbeitmit der "Working Group on In<strong>for</strong>mation and Documentationin the Fields of International Relations and Area <strong>Studies</strong>", einemlosen Verbund von über 25 europäischen Fachdokumentationszentren,die 1992 übereingekommen sind, ihre Aktivitäten im elektronischenBereich zu koordinieren.Die intensive Koordination zwischen verschiedenen Instituten istzum einen sinnvoll, um doppelte Erfassungsarbeit zu verhindern.Zum anderen soll damit erreicht werden, dass die verschiedenenIn<strong>for</strong>mationsangebote einheitlich zur Verfügung gestellt werden.Durch die allgemeine Akzeptanz des Internet-Standards bestehtdie einmalige Chance, alle elektronischen Angebote auf dem Gebietder Aussen- und Sicherheitspolitik integral zu erfassen und deneinheitlichen Zugriff ohne die früheren Probleme der verschiedenenSysteme und Netzwerke zu ermöglichen.Wenn es auch schwierig ist, Benutzerzahlen eines Angebots im Internetseriös abzuschätzen (die Erfassungssysteme für Zugriffe sindweniger gut ausgebaut als in kommerziellen Datenbanken,sogenanntes "caching" ermöglicht einem Benutzer, mehrfach aufein Angebot zuzugreifen, ohne jedesmal erfasst zu werden), zeigtdoch der Trend für die Benutzung der virtuellen ISN-Bibliothekklar nach oben.


80 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikUsage International <strong>Security</strong> Network9000800070006000500040003000200010000Feb.95Mär.95Apr.95Mai.95Jun.95Jul.95Aug.95Sep.95Okt.95Abbildung 2: Benutzerzahlen von ISN (1995).Die Benutzer des Netzwerkes stammen aus den folgenden 29 Ländern(Stand 18.10.95): Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien,Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Grossbritannien,Irland, Israel, Italien, Kanada, Kroatien, Lettland, Litauen,Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, Slowenien,Schweden, Schweiz, Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn,USA, Ex-Jugoslawien. Der weit gefasste Benutzerkreis lässtdeutlich werden, dass das In<strong>for</strong>mationsnetzwerk auch internationaleinem Bedürfnis entspricht. Da gerade das Internet ein sehr jungesMedium ist und bis jetzt keine grossflächige PR gemacht werdenkonnte, sind die Wachstumsraten ermutigend.Neben dem weltweit ausgerichteten International <strong>Security</strong> Networkbetreibt die FSK als Teilprogramm zwei weitere In<strong>for</strong>mationsangebote,die primär auf die Schweiz ausgerichtet sind: dieSwiss Foreign and <strong>Security</strong> Policy Home Page sowie die Home Pageder schweizerischen OSZE-Präsidentschaft.Die Swiss Foreign and <strong>Security</strong> Policy Home Page strebt die Vereinigungaller elektronischen Ressourcen zum Thema schweizerischeAussen- und Sicherheitspolitik an einem Ort an. WichtigeGrundlagenberichte (Bericht 90, Aussenpolitischer Bericht 1993),In<strong>for</strong>mationen zu den Forschungsinstitutionen, Forschungsberichteim Volltext, aber auch eine monatlich aktualisierte Chronologie der


Aktuelle Diskussion 81schweizerischen Sicherheitspolitik sind dort abfragbar. Nebeneigenen Angeboten der FSK sind bereits Verbindungen zu allenschweizerischen Forschungsinstitutionen vorhanden, die auf demInternet präsent sind. Als Ergänzung zu dieser Home Page dienteine elektronische Diskussionsliste, die es Forschern undPraktikern ermöglichen soll, ihre Erfahrungen auszutauschen.Abbildung 3: Swiss Foreign and <strong>Security</strong> Policy Home Page (URL:http://www.fsk.ethz.ch/swiss/, Anmeldungen für die Diskussionslistekönnen an postmaster@sipo.reok.ethz.ch gerichtet werden).Aus aktuellem Anlass stellt die FSK in Zusammenarbeit mit demeidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten(EDA) ausserdem eine Home Page zur schweizerischen OSZE-Präsidentschaftzur Verfügung. Auf dieser Home Page werden offizielleAngebote des EDA (Pressemitteilungen, In<strong>for</strong>mationsmaterial,Vademecum etc.) zusammen mit Grundlagendokumenten derOSZE, Forschungsarbeiten und Literaturhinweisen präsentiert.Neben Forschern im In- und Ausland sind hier vor allem die Mediensowie eine breitere Öffentlichkeit - in der Schweiz bestehen


82 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikschon über 50'000 Internet-Anschlüsse - angesprochen, die sich aufdieser Home Page in leicht verständlicher Form über Sinn undZweck der OSZE in<strong>for</strong>mieren können.Abbildung 4: Home Page der Schweizerischen OSZE-Präsidentschaft(URL: http://www.fsk.ethz.ch/osze/).Durch diese verschiedenen In<strong>for</strong>mationsangebote hofft die FSK, dienationale wie internationale Forschungszusammenarbeit zustärken und insbesondere die Vernetzung von Forschung und Praxisim Gebiet der Aussen- und Sicherheitspolitik zu fördern. Durchden Betrieb des ISN sollen aber auch Erkenntnisse über die Auswirkungender modernen In<strong>for</strong>mationstechnologien auf die AussenundSicherheitspolitik gewonnen werden.


Aktuelle Diskussion 835. Schlussbetrachtungen: Wie weiter?Wir stehen heute mitten im Aufbau einer globalen Kommunikations-und In<strong>for</strong>mationsinfrastruktur. Die Aufgabe, auf der noch unsicherentheoretischen Basis spezifische Rückwirkungen der In<strong>for</strong>mationsrevolutionauf die schweizerische Aussen- und Sicherheitspolitikzu <strong>for</strong>mulieren, übersteigt die Möglichkeiten desEinzel<strong>for</strong>schenden - auch wenn er im elektronischen Raum derNetzwerke virtuell mit der ganzen Welt verbunden ist. Zu vielschichtigund komplex gestaltet sich dafür der Forschungsgegenstand;zu sehr im ständigen Wandel begriffen sind die Entwicklungenim Bereich der neuen In<strong>for</strong>mationstechnologien.Diesem Sachverhalt Rechnung tragend, strebt die FSK danach,einen möglichst grossen Kreis Interessierter in das Projekt einzubinden.Beim präsentierten Forschungsprojekt handelt es sich umeine Kombination theoretischer Forschung und praktischer Anwendung.Die Forschung soll richtungsweisend für die Anwendungenwirken, und die praktischen Erfahrungen sollen laufend in dietheoretische Arbeit zurückfliessen. Durch die thematische Fokussierungauf den in<strong>for</strong>mationssensitiven Bereich der schweizerischenAussen- und Sicherheitspolitik werden die theoretischenErkenntnisse bezüglich der gesellschaftlichen Auswirkungen derIn<strong>for</strong>mationsrevolution für einen spezifischen Politikbereich praxisbezogenumgesetzt. Mit der Anwendung der neuen Technologienim Bereich der In<strong>for</strong>mationsbeschaffung respektive In<strong>for</strong>mationsverbreitungerhalten die Praktiker der Aussenpolitik die Gelegenheit,Bedürfnisse und Anregungen zu <strong>for</strong>mulieren.Ein direkter Nutzen des Projektes sowohl für die Wissenschaft alsauch für die Bundesverwaltung ist in der Existenz des ISN zu sehen.Der Betrieb dieses Netzwerkes wird es Forschern und Praktikernin der Schweiz ermöglichen, einerseits die Datenbeschaffungauf neuen Wegen durchzuführen und andererseits ihre Forschungsergebnisseschnell und interaktiv der internationalenDiskussion auszusetzen. ISN vermeidet dabei als ein Subnetz vonInternet viele der Probleme des heutigen Internet (Redundanz derIn<strong>for</strong>mationen, mangelnde Authentizität, In<strong>for</strong>mation Overflow).Eine langfristige Weiterführung von ISN ist vorgesehen. ErsteDiskussionen um eine internationale Dauerfinanzierung sind bereitsangelaufen.


84 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikNeben dem Miteinbezug der Praktiker in das Projekt ist eine diewissenschaftlichen Fächer übergreifende Beschäftigung mit demThema anzustreben. Der Forschungsgegenstand kann nur interdisziplinärund durch Methodenvielfalt angegangen werden. Diezunehmende Fragmentierung der Gesellschaft wird reflektiert inder Verschiedenartigkeit der Fachgebiete, die sich mit den Rückwirkungender neuen Technologien beschäftigen: Journalisten,Lehrkräfte, In<strong>for</strong>matiker, Publizisten, Managementspezialisten,Zukunfts<strong>for</strong>scher, Sozialwissenschafter und Science-Fiction-Schriftsteller tragen aus ihrer jeweiligen Perspektive möglichewirtschaftliche, politische und soziale Effekte der In<strong>for</strong>mationsrevolutionzusammen. Vor diesem Hintergrund hat Norbert Wienerbereits in den fünfziger Jahren zur Schaffung einer eigenen akademischenDisziplin und eines neuen wissenschaftlichen Forschertypsaufgerufen (Wiener 1948, 1950). Ohne uns diesem Aufruf direktanschliessen zu wollen, möchten wir abschliessend auf das Interesseder FSK verweisen, mit möglichen Forschungspartnernanderer Fachrichtungen zusammenzuarbeiten.BibliographieOffizielle GrundlagendokumenteAustralien:Australian Science and Technology Council: The Networked Nation. Sydney1994. (http://astec.gov.au/astec/net_nation/contents.html)Europäische Union:Commission of the European Communities: White Paper on growth, competitiveness,and employment - The challenges and ways <strong>for</strong>ward into the 21stcentury. Brussels 1993.(http://www.ispo.cec.be/infosoc/backg/whitpaper/top.html)Bangemann, Martin; Kommission der Europäischen Union (Hg.): Recommendationto the European Council: Europe and the Global In<strong>for</strong>mation Society(26 May 1994). Brussels 1994.(http://www.ispo.cec.be/infosoc/backg/bangeman.html)Commission of the European Communities: Europe's way to the in<strong>for</strong>mationsociety: an action plan. Brussels 1994. (http://www.echo.lu/eudocs/en/comasc.html)Grossbritannien:Government Centre <strong>for</strong> In<strong>for</strong>mation Systems: In<strong>for</strong>mation Superhighways -Opportunities <strong>for</strong> public sector applications in the UK. London 1994.(ftp://ftp.demon.co.uk/pub/doc/ccta/Report1.txt)


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88 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikForschungsstelle für Sicherheitspolitik:http://www.fsk.ethz.ch/fsk/International <strong>Security</strong> Network:http://www.fsk.ethz.ch/isn/Swiss Foreign and <strong>Security</strong> Policy Home Page:http://www.fsk.ethz.ch/swiss/Home Page der schweizerischen OSZE-Präsidentschaft:http://www.fsk.ethz.ch/osze/


Umfassende Risikoanalyse Schweiz:Entwurf eines dynamischen System-Modellsvon Andrea Smutek-Riemer und Fritz Stäger1. Neue Diskontinuitäten <strong>for</strong>dern neue Instrumentezur Früherkennung"Selbst in der flachsten Ebene gibt es Landstriche, in denen die Strassezu einer Höhe ansteigt und anschliessend in ein neues Tal hinabführt.Solche Pässe sind meistens nur von topographischem Interesse, wobeizwischen den Tälern auf beiden Seiten oftmals wenig Unterschiede inKlima, Sprache oder Kultur bestehen. Einige Pässe aber sind anders. Siebilden tatsächliche Scheidelinien. Häufig sind die Berge, die dorthin führen,aber weder hoch noch spektakulär. .... Auch die Geschichte kenntsolche "Wasserscheiden". Auch sie sind meist unspektakulär und werdenhäufig zum eigentlichen Zeitpunkt kaum bemerkt. Sind diese Scheidewegeaber einmal überschritten, verändert sich die gesellschaftliche undpolitische Landschaft. Das gesellschaftliche und politische Klima ist anders,und dasselbe gilt für die gesellschaftlich und politisch übliche Sprache.Neue Realitäten sind entstanden." 1Die letzten elf Jahre des ausgehenden 20. Jahrhunderts werden alseine Periode von ganz besonderer Dynamik und Intensität in dieWeltgeschichte eingehen. 2 Alte Staatsgebilde haben sich aufgelöst,bisher funktionierende Militär- und Wirtschaftskooperationen habenihren Zweck überlebt. Die Weltordnung, die durch dieKlammer "Bipolarität und Kalter Krieg" zusammengehalten wurde,ist passé. Somit wurde eine Art "restaurative Stabilität", die defacto aber nur eine Fiktion war, durch ein Fliessgleichgewicht abgelöst,das in seiner Entwicklung intensivere und häufigere"Ausschläge" zeigt. 3123Drucker, Peter: Neue Realitäten: Wertewandel in Politik, Wirtschaft undGesellschaft, 2. Aufl., Düsseldorf, Wien, New York 1990, S. 19.Vgl. im folgenden: Smutek-Riemer, Andrea: Diskontinuitäten: Neue alteFacetten in globalen Systemen: Das System "Welt" im globalen Umbruch,in: Österr. Militär. Zeitschrift, Heft 4/1994, S. 367 - 374.Zum restaurativen Stabilitätsbegriff vgl. von Ranke, Leopold: Die grossenMächte. Politische Gespräche, Göttingen 1958, S. 41.


90 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikDie anfänglich euphorische Stimmung in den Staaten Ost- undWesteuropas nach dem Fall der Berliner Mauer, die erste Bewältigunggenereller sozialer Probleme und der "Einstieg" der mittelundosteuropäischen Staaten in die sogenannte westliche Staatengemeinschaft(die im Grunde in dieser Terminologie ja nicht mehrexistiert) hat sich in eine Abwartehaltung gewandelt. Eine neueWeltordnung ("New World Order" 4 ) ist bis dato nicht einmal inAnsätzen erkennbar. "Low-conflict/low-intensity-Situationen" 5 prägendie politische Tagesordnung. Die sogenannte Überraschung istfür viele politisch-ökonomisch Handelnde der tägliche Begleiter -und lähmt ihre Handlungsfähigkeit.Diskontinuitäten (auch: Trans<strong>for</strong>mationen, Krisen, Umbrüche, Zeitenwendenund so weiter). sind nichts Neues in der Geschichte. Esist offenbar, dass es Zeiten gibt, in denen sich aber dieser Wandel inOrganisationen und Systemen besonders rasch und tiefgreifendvollzieht. 6 Zeitenwenden gab es zum Beispiel im 13. Jahrhundert,456Zu Abstufungen von Gleichgewicht und Stabilität und der Entwicklungder praktischen Begriffsinhalte vgl. Nerlich, Uwe: Stabilität und Gleichgewichtals Kategorie, Rahmenbedingung, Zielsetzung und Planungsgrundlage,in: Heydrich, Wolfgang et al. (Hg.): Sicherheitspolitik Deutschlands:Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden 1992, S. 229 -238. Ferner: Rossbach, Stefan. Strukturwandel und Stabilität, in:Heydrich, Wolfgang et al. (Hg.): Sicherheitspolitik Deutschlands: NeueKonstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden 1992, S. 239 - 251.Vgl. Brzezinski, Zbigniev: Speaking Notes <strong>for</strong> the Symposium of ForeignMinisters and Ministers <strong>for</strong> Defense of Central and Eastern European States,Wien 1993. Der Begriff "New World Order" wurde vom ehemaligenUS-Präsidenten George Bush im Jahr 1991 erstmals neben jenem der"Grand Strategy" erwähnt, vgl. Bush, George: Report of the President onU.S. Strategy, August 1991.Vgl. weiter Henderson, Alan K.: Defining a New World Order, The FletcherSchool of Law and Diplomacy, Med<strong>for</strong>d, MA 1991.Vgl. beispielsweise Fasslabend, Werner: Österreichische Sicherheitspolitikin Europa, in: Truppendienst, Sonderheft 1/1993. Diese Erwartungshaltunghinsichtlich künftiger Konflikttypen wurde erstmals vom ehemaligenUS-Verteidigungsminister Frank Carlucci vor dem Senate Armed ForcesCommittee im Februar 1990 geäussert.Vgl. im folgenden Drucker, Peter: Die postkapitalistische Gesellschaft,Düsseldorf, Wien, New York, 1993, S. 9 - 14.


Aktuelle Diskussion 91als die europäischen Städte das Zentrum jeglicher Aktivitätwurden, der Handel auflebte, Universitäten entstanden und dieReligion zum Träger von Wissen, Lernen und Spiritualität wurde.Zwei Jahrhunderte später führte die Erfindung des Buchdruckesund somit ein Quantensprung in der "Kommunikationstechnologie"zu einer diskontinuierlichen Entwicklung. Der Bruch begann 1776im Jahr der amerikanischen Revolution. Die Erfindung derDampfmaschine führte zu einer deutlichen Steigerung derMobilitätsmöglichkeiten. Adam Smith brachte mit seinem Buch"The Wealth of Nations" eine völlig neue Richtung in die entstehendenvolkswirtschaftlichen Theorien. Cirka zwei Jahrhundertespäter sind wir wiederum mit einer diskontinuierlichenEntwicklung konfrontiert. Zum ersten Mal aber sprechen wir voneiner globalen, das heisst nicht auf die westliche Welt beschränktenDiskontinuität. Immaterielles dominiert die gesellschaftlicheEntwicklung - insbesondere Wissen ("Knowledge Society"). Analysiertman die Treiber des Falls des Kommunismus, so sind sie inder Intelligenzia des jeweiligen Landes zu finden."History usually makes a mockery of our hopes or our expectations. Theevents of 1989, perhaps more welcomed than those of any year since1945, were un<strong>for</strong>eseen. Much of what analysts anticipate <strong>for</strong> the 1990s isunpleasant. Nevertheless, it is clear that we are entering a new world,..."7Diskontinuitäten/Krisen "passieren nicht über Nacht". Sie kündigensich immer wieder durch mehr oder weniger starke Signale an.Wann und in welchem Ausmass diese Änderungen erfolgen beziehungsweiseerfolgen werden, lässt sich im vorhinein global (dasheisst in groben Zügen mit Angabe von Entwicklungsoptionen)prognostizieren. Detaillierte, seriös fundierte Angaben sind im Regelfallnicht möglich. 8 Dennoch ist es sinnvoll, das Risiko für das78Jervis, Robert: The Future of World Politics: Will It Resemble the Past? in:International <strong>Security</strong>, Winter 1991/92 (Vol. 16. No. 3), S. 39.Jervis nennt eine ganze Reihe von Gründen für die Problematik in derVorhersagbarkeit der globalen Situation im Detail in der internationalenPolitik wie zum Beispiel mehrere Beeinflussungsfaktoren im Verhalten derEntscheidungsträger, beschränkte In<strong>for</strong>mationen und "Gesetze" für dasSystemverhalten, grosse Entscheidungsspielräume, die nicht quantitativauslotbar und berechenbar sind, keine monokausalen Ursache-Wirkungsbeziehungenund so weiter. Siehe Jervis, Robert: The Future of World Poli-


92 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikEintreten bestimmter Konstellationen abzuschätzen und Entwicklungsoptionenaufzuzeichnen.Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Rahmenbedingungen,unter denen Risikoanalysen, Massnahmen zur Krisenfrüherkennungund Krisenprävention betrieben werden, haben sich grundlegendgeändert:• Hohe Umweltdynamik in offenen sozialen Systemen (das SystemGesellschaft trägt das Programm seiner Veränderung in sich undmuss - um überleben zu können - mit seiner Umwelt kommunizieren).Das System befindet sich in einem Fliessgleichgewicht undist in der Lage, sich bis zu einem gewissen Grad selbst zu steuernund auszubalancieren. 9• "Komplexität bezieht sich auf die Vielschichtigkeit, die Vernetzungund die Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes. Dabei bedeutetVielschichtigkeit den Grad der funktionalen Differenzierung einesSozialsystems und die Zahl der bedeutsamen Referenzen (das sindEbenen, die analytisch und empirisch unterschieden werden müssen– … – weil Aussagen im Kontext einer bestimmten Ebene nicht notwendigauch im Kontext einer anderen Ebene gelten); Vernetzungheisst Art und Grad wechselseitiger Abhängigkeit zwischen Teilen,sowie zwischen Teil und Ganzem …; Folgelastigkeit meint Zahl undGewicht der durch eine bestimmte Entscheidung in Gang gesetztenKausalketten und Folgeprozesse innerhalb des in Frage stehendenSozialsystems; und der Begriff Entscheidungsfeld weist darauf hin,dass es keine Komplexität an sich gibt, sondern nur in Hinsicht aufein bestimmtes Problem, welches für ein bestimmtes System in einerbestimmten Situation Selektionen er<strong>for</strong>dert." 109tics: Will It Resemble the Past? in: International <strong>Security</strong>, Winter 1991/92(Vol. 16. No. 3), S. 39 - 42.Mit der Frage der Selbststeuerung beziehungsweise Selbstreferentialitätoder Autopoiesis haben sich primär Naturwissenschafter wie beispielsweiseManturan und Varela befasst. In den Sozialwissenschaften hatNiklas Luhmann diese Konzeption als einer der ersten angewendet. Vgl.dazu Luhmann, Niklas: Soziale Systeme: Grundriss einer allgmeinenTheorie, 4. Aufl., Frankfurt/Main 1993, S. 593 ff.10 Vgl. Willke, Helmut: Systemtheorie, 3. Aufl., Stuttgart, New York 1991,S. 16.Zum Komplexitätsbegriff, seiner Messbarkeit und Beherrschbarkeit vgl.ferner: Von Hayek, Friedrich: Die Theorie komplexer Phänomene, WalterEucken-Institut, Vorträge und Aufsätze, Bd. 36, Tübingen 1972. Malik,


Aktuelle Diskussion 93• Nichtlinearität in den Beziehungen (zwischen den Teilnehmern inden einzelnen Systemen) - Strukturen und Entwicklungslinien sindmit dem klassischen Wahrnehmungsinstrumentarium nicht erkennbarund daher auch nicht in ihren Konsequenzen einschätzbar.Kleine Ursachen haben aufgrund der Sensitivität der Anfangsbedingungengrosse Wirkungen - oft mit einem zeitlichenVerzögerungseffekt ("Schmetterlingseffekte"). Eine Abschätzung derWirkungen ist nicht mit mathematischer Exaktheit möglich.Zusätzlich ergibt sich oft ein zeitlich sehr deutliches Auseinanderfallenvon Ursache und Wirkung (zum Beispiel bei Schädigungen derUmwelt).• Prozesse schaukeln sich positiv (das heisst gleichgerichtet) undnegativ (das heisst gegenläufig) auf ("Rückkoppelungen inSystementwicklungen"). Positive Rückkoppelungen bringen einSystem "zum Laufen", während negative Rückkoppelungen bremsendwirken und somit für das globale Gleichgewicht in einem Systemverantwortlich sind.Diese Trans<strong>for</strong>mationsphase innerhalb von geänderten Rahmenbedingungenhat eine Reihe von Prozessen sowohl in Europa alsauch in den für den Kontinent relevanten Bereichen in Gang gebracht- die Entwicklungspfade sind vielfältig und keineswegs stehtein Abschluss in naher Zukunft bevor. Um so wichtiger erscheintes, Forschungsdefizite, die es in Bereichen politische Risikoanalyse,Krisenfrüherkennung und Krisenprävention offensichtlich gibt,auszugleichen. Damit können entsprechend konkreteHandlungsanweisungen abgeleitet werden und so Konzepte undInstrumente zur Analyse von kritischen den Bereichen beziehungsweisepolitisch zu bewältigenden Risikofeldern, die quasi eineVorstufe zur Krisenprävention darstellt, erarbeitet werden. Einfrühzeitiges und zeitgerechtes Erkennen offeriert den er<strong>for</strong>derlichenzeitlichen Spielraum, um adäquate, eine Krise verhinderndeMassnahmen ergreifen zu können. Die aktuelle Krise imfrüheren Jugoslawien bestätigt, dass ein rechtzeitiges ErkennenFredmund: Strategie des Managements komplexer Systeme: Ein Beitragzur Management-Kybernetik evolutionärer Systeme, 3. Aufl. Bern, Stuttgart1989.


94 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikder sich abzeichnenden Situationsänderung grosse Chancen zurAbwendung der dann aufgebrochenen Krise geboten hätte. 111.1. Diskontinuitäten zwingen zum Überdenken der "altenSicherheitspolitik"1.1.1. Anlass und Grundaufgaben im Rahmen des Projektes"Umfassende Risikoanalyse Schweiz" 12Der Bericht 90 zur Sicherheitspolitik stand unter dem Motto"Sicherheitspolitik im Wandel". Alle oben genannten Veränderungenwurden in diesem Zusammenhang diskutiert, und es wurdebefunden, dass sich das Parlament mit der geänderten Problematikzu beschäftigen habe. Ferner wurde verlangt, dass der Bundesratim Sinne einer Frühwarnung alle existentiellen Bedrohungspotentialelaufend beobachten und analysieren solle ("Monitoring").Diese Dauerbeobachtung und die Analyseergebnisse sollten dieBasis für eine adaptiertes und effizientes Instrumentarium desBundesrates sein.Um eine fundierte Aufarbeitung der parlamentarischen Aufträgezu ermöglichen, wurde im Jahr 1992 eine interdepartementaleProjektgruppe unter Leitung der Zentralstelle für Gesamtverteidigungzur Erarbeitung von Grundlagen für eine "Umfassende RisikoanalyseSchweiz" ins Leben gerufen.11 Vetschera, Heinz/Smutek-Riemer, Andrea: Signale zur Früherkennungvon krisenhaften Entwicklungen am Beispiel der Entwicklung zur Jugoslawienkrise,in: Heydrich, Wolfgang et al (Hg.): SicherheitspolitikDeutschlands: Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden1992, S. 323: "Es hätte also für die Staatengemeinschaft (und hierinsbesondere für die westliche Seite) hinreichend Signale gegeben, derenWahrnehmung Möglichkeiten eröffnet hätte, die Entstehung einer Kriseabzuwehren und noch rechtzeitig eskalationsdämmende Positionen zuentwickeln. .... Statt dessen reagierte man vielfach offenkundig überraschtauf die Entwicklung, das heisst einerseits allem Anschein nach zu spät imKrisenverlauf und andererseits vielfach kontraproduktiv. ..."12 Vgl. Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.): Bericht zum Stand desProjektes "Umfassende Risikoanalyse Schweiz", S. 1, Bern 6.6.1994.


Aktuelle Diskussion 951.1.2. Zielsetzungen des Projektes "Umfassende RisikoanalyseSchweiz"Die wesentlichen Zielsetzungen des Projektes bezogen sich auf folgendeThemenbereiche: 13• Erstellung eines Katalogs an Kernchancen und -gefahren, die diekollektive Sicherheit im System Schweiz (Staat und Gesellschaft) imeuropäischen Umfeld beeinflussen können.• Abschätzung von Entwicklungstendenzen in den einzelnen Bereichen.• Erstellung einer Schwachstellenanalyse (Art und Intensität) derschweizerischen Dienstleistungs- und Industriegesellschaft.• Konfrontation der Chancen und Gefahren samt ihren Wechselwirkungenmit dem "System Schweiz" und daraus Ableitung dessicherheitspolitischen Handlungsbedarfs.• Aufbau eines sicherheitspolitischen Kommunikationsnetzes in derBundesverwaltung.1.1.3. Vorhandene Ergebnisse 14Die Arbeitsschritte wurden im wesentlichen auf zwei Schienen geführt.Eine Schiene bearbeitete die Entwicklung des Chancen- undRisikenkatalogs inklusive einer Systematisierung zu potentiellenSzenarien. Eine weitere Gruppe widmete sich der Entwicklung einesdynamischen Modells zur Risikoanalyse.Im Rahmen der Entwicklung des Chancen- und Risikenkatalogswurde die Szenariomethode eingesetzt. Mit Szenarien sollen künftigeEreignisse oder Prozesse beispielhaft dargestellt werden. Zusätzlichsollte die unendliche Menge an Auftretensmöglichkeitenauf eine endliche Menge eingeschränkt werden. Auf Basis dieserSzenarien werden Handlungsalternativen erarbeitet. In die Beurteilungeines Szenarios fliesst ferner die Zeitkomponente(Eintrittshäufigkeit) ein. Festzuhalten ist, dass es sich beim erarbeitetenRisikogruppen- beziehungsweise Szenarienkatalog um13 Vgl. Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.): Bericht zum Stand desProjektes "Umfassende Risikoanalyse Schweiz", Bern 6.6.1994, S. 1.14 RiA-Bericht Nr. 1/94 der Arbeitsgruppe Risikoanalyse, ZGV, Stand Mai1995.


96 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikeine Gruppierung von Risiken handelt. Chancenerfassungen unddie Evaluierung derselben wurden schlussendlich in der Arbeitausgespart. Der Szenarienkatalog ist offen und muss in periodischenZeitabständen beziehungsweise bei Bedarf analysiert undgegebenenfalls revidiert werden (das heisst ergänzt beziehungsweisegestrafft). In jedem Fall konnten:• die Risiken erfasst und Szenarien dazu geschaffen,• eine Beschreibung der Auswirkungen auf sicherheitpolititsche Zieleerarbeitet,• ein Risikoprofil erstellt und• ein Risikonetzwerk erarbeitet werden, in dem auch schleichendeEntwicklungen Berücksichtigung finden.Die Tabelle 15 zeigt die ermittelten neun Szenariengruppen mit jedrei Szenarien:1.1 Erdbeben1.2 Trockenheit/Hitze1.3 Hochwasser2.1 Chemieunfall2.2 KKW-Störfall2.3 Talsperrenbruch3.1 Zerstörung der Ozonschicht3.2 Verlust vonKulturland3.3 Treibhauseffekt4.1 VerknappungEnergie4.2 UnterversorgungNahrungsmittel4.3 VerknappungRohstoffe7.1 Verteilungskonflikteum knappe Güter7.2 Ost-West-Migration7.3 Süd-Nord-Migration5.1 VerlustKonkurrenzfähigkeit5.2 KriseFinanzsystem5.3 WeltweitewirtschaftlicheProbleme8.1 Extremismus8.2 Sabotage / Terrorismus/ Erpressung8.3 OrganisiertesVerbrechenTabelle 1: Die neun Szenariengruppen.6.1 Demographische Alterung6.2 Krankheiten / Epidemien6.3 Verlust der nationalenKohäsion9.1 Grenz- / Regional- /Nationalitätenkonflikte9.2 Rückfall in dieKonfrontation9.3 Nuklearer Schlagin Europa15 Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.): Bericht zum Stand des Projektes"Umfassende Risikoanalyse Schweiz", Bern 6.6.1994, S. 1.


Aktuelle Diskussion 97Zum vorliegenden Szenarienkatalog ist folgendes festzuhalten: 16 Esgibt noch keine Aussagen• zum Zeitverlauf von Risiken (impulsartiges, fluktuierendes oderschleichendes Verhalten),• zur zeitlichen Wirkung (kurz-, mittel- oder langfristig) und• zum geographischen Wirkungsbereich (nur auf die Schweiz bezogeneRisiken, europabezogene oder global bezogene Risiken).Ferner ist festzustellen, dass es sich um die erste umfassende Risikobeurteilungmit Ende des Jahres 1994 handelt.2. Dynamisches Modell im Rahmen der RisikoanalyseDie Arbeitsgruppe sollte auf der Basis von systemtheoretischenErkenntnissen ein Modell erarbeiten, das das gegebene Modell"Schweiz" repräsentiert und folgenden An<strong>for</strong>derungen nachkommt:• Modelleingaben (oder Einwirkungen - sie werden von den vorabausgearbeiteten Szenarien repräsentiert): Schätzung des Zustandseinzelner sicherheitspolitisch relevanter Güter 17 (korrespondiert mitder Zielsetzung einer Schwachstellenanalyse); Annahme einesEreignisses als Störgrösse (korrespondiert mit dem Szenarienkatalog).• Modellausgaben (oder Auswirkungen): Feststellung der Veränderungenin den Zuständen der einzelnen sicherheitspolitischrelevanten Güter - sie dienen als Basis zur Neueingabe in das Modell.Ferner wird eine summarische Gesamtbeurteilungshilfe erstellt.• Modellstruktur: Simulation der einzelnen schutzwürdigen Güter(=sicherheitspolitisch relevante Güter) als Modellteile. Ermittlungund Integration von Wechselwirkungen beziehungsweise Kausalkettenzwischen den Modellteilen (=sicherheitspolitisch relevante Güter).• Die Modellteile (=sicherheitspolitisch relevante Güter) und dasWechselwirkungsnetzwerk sollen die inneren Vernetzungen der16 RiA-Bericht Nr. 1/94 der Arbeitsgruppe Risikoanalyse, ZGV, Stand Mai1995, S. 4.17 Sicherheitspolitisch relevante Güter werden aufgrund eines Konsens festgelegtund können demnach von Land zu Land, aber auch zwischen Gesellschaftsgruppendifferieren.


98 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikSchweiz widerspiegeln. Damit soll eine Übertragbarkeit auf dieRealität oder mindestens Interpretierbarkeit ermöglicht werden.Dasselbe gilt auch umgekehrt.• Über Sensitivitätsanalysen des Modellverhaltens bei mehrerenSzenarien sollen Anhaltspunkte für kritische Modellteile und/oderWechselwirkungen gefunden werden. Daraus lassen sich dannHandlungsalternativen zur Entschärfung der Problematik finden.2.1. Auswahl einer dynamischen ModellstrukturFür diesen erstmaligen Versuch, das Verhalten einer Gesellschaftund ihrer Umwelt zu modellieren, wurde eine möglichst einfache,für den Betreiber transparente Modellstruktur gesucht.Für diesen Zweck eignet sich als Ausgangspunkt das diskrete, lineareZustandsmodell. Dieses basiert auf den folgenden mathematisch<strong>for</strong>mulierbaren Annahmen:• Linearität: Die Stärke der Wechselwirkung zwischen zwei Zustandsvariablenist proportional zur Differenz der Werte dieser zwei Variablen.• Zeitinvarianz: Die Proportionalitätskonstanten dieser Wechselwirkungenändern sich nicht in der Zeit.• Diskrete Zeitschritte: Das Modell berechnet für einen gegebenenZustand und eine gegebene Eingabe den Wert der Zustandsvariablennach Ablauf einer fixen Zeitspanne.• Zustandsdarstellung: Die gesamte In<strong>for</strong>mation über die Vergangenheitist in den Zustandvariablen enthalten.u(t)y(t) = g(x(t))x(t) = f(x(t-1), u(t))x(t)y(t)Abbildung 5: Struktur eines dynamischen Zustandsmodells. Die Funktioneng(x(t)) und f(x(t-1),(u(t)) sind Funktionen der Vektoren u(t) (die Werte aller äusserenEinflüsse zur Zeit t) und x(t-1) (die Werte der Zustandsvariablen, dieim vorhergehenden Schritt angenommen wurden)


Aktuelle Diskussion 992.2. Definition der Variablen• Zustandsvariable sind Werte, die innerhalb des Systems erhaltenbleiben. Sie stehen für die sicherheitsrelevanten Güter. Ihrangenommener Anfangswert ist 0. Eine Werterhöhung wird alspositiv für die Zustandsvariable interpretiert, eine Werterniedrigungals negativ.• Eingangsvariable sind einerseits Störgrössen aus dem Systemumfeld(nicht systemproduziert) und andererseits Regeleingriffe desSystembetreibers (das System selbst macht keinen Unterschied). Ihrangenommener Wert ist im Normalzustand 0 (das heisst kein Einfluss- es passiert nichts); im Rahmen der Simulationen werden ihreWerte durch das angelegte Szenario bestimmt.• Ausgangsvariable sind die Signale, die das System an die Umweltabgibt. Ihr Wert ist in einer ersten Näherung der Wert der Zustandsvariablen.Somit ist die Wirkungsvorstellung eines Szenarios vermittelbar.2.3. Auswahl der ZustandsvariablenAls Basis für die Erstellung eines Grundkatalogs an Zustandsvariablen,die die sicherheitsrelevanten Parameter abbilden, wurdendie Studie "Operationalisierung der sicherheitspolitischen Ziele undstrategischen Hauptaufgaben der Schweiz" von P. Gaupp (ZGV Nr.11, 1978), die Bundesverfassung und der Bericht 90 desBundesrates über die Sicherheitspolitik herangezogen. Ergänztwurde der Grundkatalog durch eigene Überlegungen im Rahmendes Forschungsteams.3. MethodeIm Rahmen der Projektarbeit wurde vor allem in der Phase derGenerierung der Zustandsvariablen, der Ausgestaltung derselben(das heisst die Zuschreibung von Attributen) und der Wechselwirkungendie Delphi-Methode verwendet.3.1. Beschreibung der Delphi-Methode generellDie Delphi-Methode ist eine von mehreren Arten von Expertenbefragungen."Hierbei legt jeder Experte dem Projektleiter eine Einzelschätzungvor, sowie eine Aufzählung der Annahmen, auf derdiese beruht. Der Projektleiter überprüft die Einzelbeiträge und


100 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikgibt Anregungen zur Veränderung. Es folgt eine zweite Runde derExpertenschätzungen, eine dritte usw." 18Die Delphi-Methode ist demnach ein iteratives Verfahren und wirdbesonders bei Fragestellungen mit einem hohen Innovationsgradverwendet. Ziel ist es, in einer möglichst offenen und freienDiskussionsatmosphäre Vorschläge zu Problemlösungen zu kreierenund vorerst nicht zu bewerten. Eine Evaluierung nimmt nurder Projektleiter vor. So soll eine umfassende Ideengewinnung zurProblemlösung ermöglicht werden.3.2. Verwendete Variante der Delphi-MethodeIm wesentlichen wurde die Delphi-Methode wie in der oben beschriebenenArt eingesetzt, wenngleich aufgrund der geringenGrösse der Gruppe (drei Teilnehmer) eine Evaluierung durch alleTeilnehmer erfolgte. Die Diskussion in Form von Runden und somiteine iterative Problemlösungsannäherung wurden beibehalten.Die Methode wurde vor allem bei der Findung und Strukturierungder Zustandsvariablen beziehungsweise im Rahmen ihrer Ausprägungeneingesetzt.Im folgenden soll eine beispielhafte Darstellung der Anwendunganhand von konkreten Arbeitsschritten (Konzipierung und Strukturierungder Zustandsvariablen, Wirkungsmatrix, Selbstbeeinflussungstabelle)gegeben werden.3.2.1. Strukturierung der Zustandsvariablen: 1. RundeDie folgende Tabelle zeigt den Erstentwurf der Variablenliste mitKurzbeschreibung und Angabe möglicher Indikatoren:Variable Beschreibung IndikatorenSicherheit vor Unfall Sicherheit der Einwohner - Unfallstatistikenvor Unfällen18 Kotler, Philip: Marketing-Management: Analyse, Planung und Kontrolle,4. Aufl., Stuttgart, 1989, S. 243. Vgl. weiter: Dalkey, Norman/Helmer,Olaf: An Experimental Application of the Delphi Method to the Use of Experts,in: Management Science, April 1963, S. 458 - 467. Best, Roger J.: AnExperiment in Delphi Estimation in Marketing Decision Making, in: Journalof Marketing Research, November 1974, S. 447 - 452.


Aktuelle Diskussion 101Variable Beschreibung IndikatorenSicherheit vor Sicherheit der Einwohner - Krankheitstage pro Jahr pro KopfKrankheitvor KrankheitSicherheit vor kriminellerGewaltSicherheit der Einwohnervor Kriminalität- Kriminalitätsstatistiken (nach Tatbeständen)PolitischeMitbestimmungZufriedenheit der Einwohnermit ihrer politischenMitbestimmung- "Polaritätenprofil"- allgemein zugängliche, aber nicht periodischeUmfragenSicherheit des Eigen-Sicherheit des persönlichen - ZinsstatistikentumsSicherheit desArbeitsplatzesFreizeitangebotEigentumsSicherheit desArbeitsplatzesFreizeit- und ErholungsmöglichkeitenderEinwohner- Inflationsraten- Konkursstatistiken- Arbeitslosenquoten- durchschnittliche BeschäftigungsdauerMobilität Mobilität der Einwohner - Pendlerstatistik- Kosten pro km (für vorhandeneVerkehrsmittel)- Grösse des Verkehrsnetzes- Erreichbarkeit Peripherien und ZentrenFamilienfreundlichkeitAusbildung undKnow-howAnsehenZukunftExportwirtschaftBinnenwirtschaftMöglichkeit zum FamilienundGeschlechtsleben derEinwohnerindividuelles Ausbildungsniveauder EinwohnerPersönliches Ansehen derEinwohnerVertrauen der Einwohner inihre persönliche ZukunftProsperität der Exportwirtschaft,internationaleKonkurrenzfähigkeitProsperität derBinnenwirtschaft- Job-sharing-Möglichkeiten / Nutzungen- Familienfreundlichkeit von Wohnungen /Gegenden- Verfügbarkeit von Tagesschulen, Kinderhorten- Abgängerstatistiken- Akademikerquoten- Maturandenquoten- Selbst- und Fremdeinschätzungen (vgl.Prof. Schweiger, WU Wien)- periodische Befragungen der Meinungs<strong>for</strong>scher(zum Beispiel OGM, Bachmaier)- Handelsbilanz- Währungsstabilität (zum Beispiel ausOECD Survey)- Wachstumsquoten- Eigenfinanzierungsgrade- LiquiditätsgradeLuftqualität Luftqualität - BUWAL-StatistikenBodenqualität Nutzbarkeit und Qualität - BUWAL-Statistikendes BodensWasserqualität Wasserqualität - BUWAL-StatistikenPflege von TraditionenErhaltung der schweizerischenTraditionen undBauwerke- Kreditvolumen Denkmalschutz- Vereinsregister: Alter, Art und Zahl derexistierenden Vereine


102 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikVariable Beschreibung IndikatorenKultur Kulturvielfalt - Zuschauerzahlen, Teilnehmerzahlen- Budget der kulturell aktivenKörperschaftenPolitischeHandlungsfähigkeitDemokratieInternationale MitspracheVersorgungssicherheitder RohstoffeIn<strong>for</strong>mationenVersorgungssicherheitder EnergieVerkehrsnetzGesundheitswesenAusbildungVerfügbarkeit desVerkehrsnetzesAuftragserfüllung derGesundheits-InfrastrukturAuftragserfüllung derAusbildungs- und Forschungs-InfrastrukturVorsorgeeinrichtungenJustizPolitische HandlungsfähigkeitderEntscheidungsträgerDemokratische BeschlussfassungInternationale MitspracheVerfügbarkeit von Rohstoffenund NahrungsmittelnVerfügbarkeit und Vielfaltder In<strong>for</strong>mation und derMedienVerfügbarkeit der EnergieAuftragserfüllung derVorsorge-InfrastrukturAuftragserfüllung vonPolizei und Justiz- Geschwindigkeit der Behandlung vonGeschäften in den Instanzen (Effizienz)- Effektivität des Handelns der politischenAkteure, gemessen als Anzahl Widersprücheund Ablehnungen in derLebensdauer des Geschäftes- Anzahl und Stärke schweizerischer Mitgliedschaftin internationalen Gremien- Stärke von Zwängen aus internationalenNormen ohne Beteiligung der Schweiz- Autarkiegrad- Grösse von strategischen Reserven(deren Kosten)- Stabilität der Erzeuger-Regionen vonausgewählten Haupt-Rohstoffen und -Halberzeugnissen- Auflagen von Zeitungen, AnzahlZeitungen- Anzahl TV-Kanäle, Zuschauerquoten- Autarkiegrad- Grösse der strategischen Reserven- Stabilität der Ölerzeuger-Regionen- Wartelisten, Fehlbelegungen- Verweilzeit von Patienten- Anzahl Eintritte in die diversen Schulen- Resultate von Aufnahmeprüfungen- Statistik von zuwandernden Studenten- Studiendauer- Verhältnis Abgänger zu Anfänger- Kennzahlen der Pensions- und Krankenkassen- Abdeckung der Bevölkerung mitPensions- und Vorsorgekassen- Prozesswartelisten- Häufigkeit von korrigierenden Berufungsurteilen- Aufklärungsquoten


Aktuelle Diskussion 103Variable Beschreibung IndikatorenAussenpolitik Auftragserfüllung derDiplomatie- Dringlichkeit von Verhandlungen- Kosten der Verhandlungen- Dauer/Anzahl/Personal derVerteidigungAuftragserfüllung derGesamtverteidigungs-InfrastrukturTabelle 2: Erstentwurf Zustandsvariablenliste.Verhandlungen- materielle Bereitschaftsgrade vonTruppen- ausbildungstechnische BereitschaftsgradeUm eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, wurde wiederum dieDelphi-Methode angewendet.Im vorliegenden Fall kam es in dieser Phase nur mehr zu marginalenÄnderungen im Katalog (der Bereich "Justiz" wurde in dieTeilbereiche "Strafjustiz" und "Zivilrechtssprechung" aufgegliedert;die Kategorie "Zukunft" wurde herausgenommen).3.2.2. Strukturierung der Zustandsvariablen: 2. RundeNun war es er<strong>for</strong>derlich, einen weiteren Strukturierungsschrittvorzunehmen. Als Orientierungshilfe wurde die Bedürfnispyramidevon A. H. Maslow herangezogen. 19 Die Bedürfnisebenen umfassen:• Selbstverwirklichung (zum Beispiel Entfaltung der Persönlichkeitund Kreativität)• Selbstachtung und Anerkennung (zum Beispiel Akzeptanz durch andere)• Soziale Bedürfnisse (zum Beispiel Pflege der Geselligkeit)• Sicherheitsbedürfnisse (zum Beispiel Erhaltung der Erwerbsfähigkeit)• Physiologische Bedürfnisse (zum Beispiel Nahrung , Schlaf, Gesundheitserhaltung)Zu lesen sind die Ebenen von unten nach oben. Die Befriedigungder niedrigeren Ebene ist die Prämisse für die Erfüllung dernächsthöheren Ebene. Da in der vorliegenden Problemstellung der19 Vgl. dazu als Originalquelle: Maslow, A. M.: A Theory of Human Motivation,in: Psychological Review 1943, S. 370 - 396.Im vorliegenden Fall wird auf Meffert, Herbert: Marketing: Einführung indie Absatzpolitik, 6. Aufl., Wiesbaden 1985, S. 120f Bezug genommen.


104 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikStaat das Beobachtungsobjekt ist, musste eine Revision in der Bezeichnungder einzelnen Ebenen vorgenommen werden.Die Zuordnung der einzelnen Zustandsvariablen erfolgte wiederumnach dem Verfahren der Delphi-Methode. Ferner wurden Zustandsvariablezum Bereich "Demographie" ergänzt. Demographische Zustandsvariablehaben eine Art Querschnittsfunktion für dieanderen fünf Variablenkategorien.3.2.3. Strukturierter Katalog der ZustandsvariablenI. Existentielle Ziele. Die Erreichung dieser Ziele ist Grundbedingungsowohl für das Individuum (primär a) als auch fürdie Gesellschaft (primär c); die Ziele unter b bedingen beideEbenen gleichermassen.II.A. Gesundheit• Sicherheit vor Unfall• Sicherheit vor Krankheit• Auftragserfüllung des Gesundheitswesens• Sicherheit vor krimineller Gewalt• Auftragserfüllung der Straf-Justiz (als Schutz vor obigem)B. Umwelt• Luft-Qualität• Boden-Qualität• Wasser-QualitätC. Ökonomische Funktionsfähigkeit• Export-Wirtschaft• Binnen-Wirtschaft• Geld-/Kapitalmarkt• Versorgungssicherheit mit Rohstoffen• Versorgungssicherheit mit EnergieSicherheitsziele. Die Garantie dieser Ziele bedingt dieDauerhaftigkeit und Konstanz derer unter Punkt 1.A. Eigentum• Sicherheit des Eigentums• Auftragserfüllung Zivilrechtssprechung


Aktuelle Diskussion 105III.IV.B. Erwerbsfähigkeit• Sicherheit des Arbeitsplatzes• Mobilität• Verfügbarkeit des Verkehrsnetzes• Verfügbarkeit/Vielfalt der In<strong>for</strong>mationC. Nationales Gestaltungspotential• Politische Handlungsfähigkeit• Auftragserfüllung der Vorsorgeeinrichtungen• Auftragserfüllung der GesamtverteidigungSoziale Ziele. Stützen des Zusammenlebens als KollektivA. innerhalb der Schweiz• Solidarität + Toleranz• Familienfreundlichkeit• FreizeitangebotB. in der Staatengemeinschaft• Auftragserfüllung der AussenpolitikAktivziele. Die Erreichung dieser Ziele ist Gradmesser fürdie Gestaltungsmöglichkeit des Umfeldes durch den Einzelnen,beziehungsweise der Welt durch die Schweiz.A. innerhalb der Schweiz• Politische Mitbestimmung• DemokratieB. in der Staatengemeinschaft• Internationale MitspracheV. Identitätsziele. Die geistigen Werte bedingen die Definitionder eigenen Identität bei Individuum und Staat.VI.• Ausbildungsstand und Know-how• Auftragserfüllung der Ausbildungsinfrastruktur• Pflege von Traditionen• KulturvielfaltDemographische Strukturvariablen• Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften• Beziehungen zwischen einheimischen Ethnien• Beziehungen zwischen zugewanderten Ethnien


106 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik• Beziehungen zu Randgruppen• Einkommensverteilung• Altersverteilung3.2.4. Erarbeitung der WirkungsmatrixDie Wirkung der Zustandsvariablen aufeinander kann in Form einerMatrix dargestellt werden. Jede Zeile der Matrix enthält Vorzeichenund Stärke der Beeinflussung dieser Variable durch alleanderen. Zusätzlich wurde für jedes Element der Matrix definiert,ob es sich um kurz-, mittel-, oder langfristige Wirkungen handelt.Jede Spalte enthält dementsprechend alle Wirkungen dieser Variableauf die anderen.Die Wirkungsmatrix wurde folgendermassen ermittelt:1. Jeder einzelne Workshopteilnehmer legte seine individuelleWirkungsmatrix fest.2. Mit Hilfe der Delphi-Methode wurde eine konsensuale Lösungerarbeitet. Sie war eine Teilbasis für die Modellkonzipierung.Die Matrix ist auf Seite 107 dargestellt.3.2.5. Erarbeitung der SelbstbeeinflussungsmatrixDa die Zustandsvariablen nicht nur aufeinander wirken, sondernauch eine Selbstbeeinflussung (auch Selbstregulierung, Selbstheilungskraft)haben, war ein zweiter Untersuchungsabschnitt er<strong>for</strong>derlich.Es musste die Selbstbeeinflussung der einzelnen Variablen(Geschwindigkeit, Intensität, Beinflussbarkeit durch den Staat unddurch das Individuum) festgestellt werden.Die Fragestellung lautete:Kann sich die Zustandsvariable, wenn sie aus einem Gleichgewichtgeraten ist, wieder selbst in einen neuen Gleichgewichtszustandbringen? Wenn ja, wie lange dauert dies, und welche Aufwendungen(durch den Staat über finanzielle Hilfe und andere regulierendeEingriffe oder durch das Individuum mittels persönlicherVerhaltensänderung) sind damit verbunden?


Aktuelle Diskussion 107x01 Sicherheit vor Unfallx02 Sicherheit vor Krankheitx03 Auftragserfuellung des Gesundheitswesensx04 Sicherheit vor krimineller Gewaltx05 Auftragserfuellung der Straf-Justizx06 Luft-Qualitaetx07 Boden-Qualitaetx08 Wasser-Qualitaetx09 Export-Wirtschaftx10 Binnen-Wirtschaftx11 Geld-/Kapitalmarktx12 Versorgungssicherheit mit Rohstoffenx13 Versorgungssicherheit mit Energiex14 Sicherheit des Eigentumsx15 Auftragserfuellung Zivilrechtssprechungx16 Sicherheit des Arbeitsplatzesx17 Mobilitaetx18 Verfuegbarkeit des Verkehrsnetzesx19 Verfuegbarkeit/Vielfalt der In<strong>for</strong>mationx20 Politische Handlungsfaehigkeitx21 Auftragserf. der Vorsorgeeinrichtungenx22 Auftragserf. der Gesamtverteidigungx23 Freizeitangebotx24 Auftragserfuellung der Aussenpolitikx25 Familienfreundlichkeitx26 Solidaritaet + Toleranzx27 Internationale Mitsprachex28 Politische Mitbestimmungx29 Demokratiex30 Ausbildungsstand und Know-Howx31 Auftragserf. der Ausb. Infrastrukturx32 Pflege von Traditionenx33 Kulturvielfaltx34 Beziehungen zw. Religionsgemeinschaftenx35 Beziehungen zw. Einheimischen Ethnienx36 Beziehungen zw. Zugewanderten Ethnienx37 Beziehungen zu Randgruppenx38 Einkommensverteilungx39 Altersverteilungx01 Sicherheit vor Unfall 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 -1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x02 Sicherheit vor Krankheit 1 0 3 0 0 2 1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x03 Auftragserfuellung des Gesundheitswesens 3 3 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 3x04 Sicherheit vor krimineller Gewalt 0 0 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 -1 2 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 2 2 0x05 Auftragserfuellung der Straf-Justiz 0 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0x06 Luft-Qualitaet 0 0 0 0 0 0 1 0 -1 -1 0 0 0 0 0 0 -2 -2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x07 Boden-Qualitaet 0 0 0 0 0 1 0 1 -1 -1 0 0 0 0 0 0 -2 -2 1 0 0 0 0 0 0 1 2 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x08 Wasser-Qualitaet 0 0 0 0 0 2 2 0 -1 -1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 2 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x09 Export-Wirtschaft 2 2 0 0 0 0 0 1 0 3 3 3 3 0 0 2 0 2 0 0 0 0 0 2 0 0 2 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 -2 0x10 Binnen-Wirtschaft 2 2 0 0 0 0 1 1 3 0 2 3 3 0 0 2 0 1 0 0 0 0 0 1 0 0 2 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 2 0x11 Geld-/Kapitalmarkt 2 0 0 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 3 0 0 0 0 2 0 0 2 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 -2 0x12 Versorgungssicherheit mit Rohstoffen 0 0 0 0 0 0 0 0 -1 1 2 0 3 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 2 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x13 Versorgungssicherheit mit Energie 0 0 0 0 0 0 0 0 -1 1 2 2 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 2 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x14 Sicherheit des Eigentums 0 0 0 2 2 0 0 0 2 2 2 0 0 0 1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0x15 Auftragserfuellung Zivilrechtssprechung 0 0 0 3 2 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0x16 Sicherheit des Arbeitsplatzes 2 1 0 0 0 0 0 0 3 3 0 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x17 Mobilitaet 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0x18 Verfuegbarkeit des Verkehrsnetzes 0 0 0 0 0 0 0 0 -2 -1 0 -2 2 0 0 0 -2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x19 Verfuegbarkeit/Vielfalt der In<strong>for</strong>mation 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 2 1 3 0 0 2 0 2 0 2 0 0x20 Politische Handlungsfaehigkeit 0 0 0 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 1 0 0 0 2 0 0 1 0 0 0 1 0 2 2 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0x21 Auftragserf. der Vorsorgeeinrichtungen 2 2 0 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 3x22 Auftragserf. der Gesamtverteidigung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 2 0 0 2 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x23 Freizeitangebot 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x24 Auftragserfuellung der Aussenpolitik 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 2 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x25 Familienfreundlichkeit 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0x26 Solidaritaet + Toleranz 0 -1 0 -1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 -1 0 0 0 2 0 0 0 0 1 0 2 1 1 1 1 1 0 2x27 Internationale Mitsprache 0 0 0 0 1 0 0 0 2 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 2 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0x28 Politische Mitbestimmung 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 3 2 -1 0 0 0 0 0 0 0 2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 2x29 Demokratie 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 3 0 1 2 1 0 1 1 1 0 1 0x30 Ausbildungsstand und Know-How 0 0 0 0 0 0 0 0 2 2 0 0 0 0 0 0 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 1 0x31 Auftragserf. der Ausb. Infrastruktur 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0x32 Pflege von Traditionen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 2 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 0 0 -1x33 Kulturvielfalt 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 2 2 1 0 2 0 1 1 1 0 0 1x34 Beziehungen zw. Religionsgemeinschaften 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 2 2 1 0 0 0 0 1 1 0 0 -1x35 Beziehungen zw. Einheimischen Ethnien 0 0 0 2 0 0 0 0 -1 -1 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 0 2 2 1 0 1 0 1 0 1 0 0 0x36 Beziehungen zw. Zugewanderten Ethnien 0 0 0 2 1 0 0 0 -1 -1 0 0 0 0 0 2 0 -2 0 0 0 0 0 0 1 1 0 2 2 1 0 -1 1 1 1 0 0 0 2x37 Beziehungen zu Randgruppen 1 0 2 2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 0 2 2 1 0 -2 0 2 1 1 0 1 0x38 Einkommensverteilung 0 0 0 0 0 0 0 0 -1 -1 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1x39 Altersverteilung 0 -3 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 -2 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0Abbildung 6: Wirkungsmatrix (ohne Fristigkeit); positive Zahlen bedeuten einepositive Wirkung, negative eine negative Beeinflussung.Die Methodik war jener im Rahmen der Erarbeitung der Wirkungsmatrixähnlich.Jedes Mitglied der Forschungsgruppe legte innerhalb einer kurzenZeitspanne seine individuelle Selbstwirkungskonstellation fest.Mit Hilfe der Delphi-Methode wurde eine konsensuale Lösung erarbeitet.Sie repräsentierte die zweite Teilbasis für Modellkonzipierung.


108 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikVariableSicherheit vor Unfall l 0 $ ppSicherheit vor Krankheit l 0 $$ pAuftragserfüllung des Gesundheitswesens l 0 $$ ppSicherheit vor krimineller Gewalt m 0 0 ppAuftragserfüllung der Straf-Justiz l 0 $$ 0Luft-Qualität l + $$ ppBoden-Qualität l + $$ ppWasser-Qualität l + $$ ppExport-Wirtschaft l 0 $$ 0Binnen-Wirtschaft l 0 $$ pGeld-/Kapitalmarkt l + $$ pVersorgungssicherheit mit Rohstoffen l 0 $$ pVersorgungssicherheit mit Energie l + $$ ppSicherheit des Eigentums l + $$ ppAuftragserfüllung Zivilrechtssprechung l 0 $$ 0Sicherheit des Arbeitsplatzes m + $$ ppMobilität l + $$ ppVerfügbarkeit des Verkehrsnetzes l + $$ 0Verfügbarkeit/Vielfalt der In<strong>for</strong>mation s + $ pPolitische Handlungsfähigkeit m + $$ ppAuftragserfüllung der Vorsorgeeinrichtungen l + $$ 0Auftragserfüllung der Gesamtverteidigung l 0 0 0Freizeitangebot m + $ ppAuftragserfüllung der Aussenpolitik l + $$ 0Familienfreundlichkeit l + $$ ppSolidarität + Toleranz l + $$ ppInternationale Mitsprache l + $$ 0Politische Mitbestimmung m + 0 ppDemokratie l + $$ ?Ausbildungsstand und Know-How l 0 0 0Auftragserfüllung der Ausbildungsinfrastruktur l + $$ ppPflege von Traditionen l ? $$ pKulturvielfalt m + $ ppBeziehungen zw. Religionsgemeinschaften l 0 0 0Beziehungen zw. einheimischen Ethnien l + $$ pBeziehungen zw. zugewanderten Ethnien l + $$ pBeziehungen zu Randgruppen l + $$ pEinkommensverteilung l 0 $$ 0Altersverteilung l + 0 0Tabelle 3: Selbstbeeinflussungsmatrix. Legende: Geschwindigkeit: l - langsam,m - mittel, s - schnell; Selbst-Regulierung: 0 - keine, + - selbstregulierend,Kosten für staatliche Einflussnahme: $ - niedrig; $$ - hoch, Persönlicher Anpassungsaufwand:p - klein, pp - grossGeschwindigkeitSelbst-Regulierg.Kosten f. staatl.EinflussnahmePersönl. Aufwand


Aktuelle Diskussion 1094. Implementierung und Resultatbeispiel4.1. RahmenDie erarbeiteten Zusammenhänge wurden als Computerapplikation20 programmiert. Für Ein- und Ausgabe wurde ein GrafischesUser-Interface entwickelt, basierend auf MATLAB.Der Benutzer kann Szenarien definieren, welche dann auf dasModell als Eingabe zur Zeit t=0..10 angewendet werden. Als Resultatwird eine Grafik des zeitlichen Verlaufs aller Zustandsvariablensowie der erwarteten Kostenpunkte für Staat und Aufwandspunktefür das Individuum berechnet und angezeigt.4.2. Probleme und Lösungen4.2.1. StabilitätDie Theorie der linearen Systeme 21 erlaubt es, aus einer gegebenenMatrix die Stabilität direkt zu berechnen. Eine solche Berechnungergibt für die ermittelte Wirkungsmatrix eine grundsätzlicheMöglichkeit zur Instabilität. Theoretisch können zusätzlich anhandder Eigenwerte und -vektoren der Systemmatrix Konstellationenermittelt werden, welche unweigerlich zur Instabilität führen(Pole).Dies entspricht einerseits den Erwartungen an ein Modell der Gesellschaft.Es soll ja in der Anwendung des Modells der Bedarf fürnoch nicht existente Regel- und Steuereingriffe erst erkannt werden.Ein solcher Bedarf äussert sich also in einer Instabilität.Andererseits wurde mit der Beschränkung auf eine lineare Darstellungein grundsätzlicher Nachteil miteingeführt: Die kleinsteVeränderung der Systemvariablen in bestimmte, instabile Richtungen(angegeben durch die Eigenvektoren der positiven Pole)führt unweigerlich zur "Explosion" der Werte von Zustandsvariablen.Dies ist für das untersuchte System nicht zutreffend. Es be-20 Als Basis diente das Mathematiksoftwaresystem MATLAB Version 4.2 aufeiner DEC 3000-400 AXP Workstation (64 MB RAM, 133 Mhz) mitOpenVMS 6.1.21 Vgl. beispielsweise Isermann, Rolf: Digitale Regelsysteme, Springer, Berlin1987.


110 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiksteht eine gewisse grundsätzliche Toleranz gegenüber kleinenSchwankungen.Diese Betrachtungen resultierten in einer Anpassung des mathematischenModells. Es wurde eine Schwellwertkonstante eingeführt,die bewirkt, dass kleinste Änderungen (im Vergleich zummomentanen Wert der Zustandsvariable) keinen Effekt haben.4.2.2. GewichtungDie Terme "kurz-, mittel- und langfristige Wirkung" wurden implementiert,indem von den jeweiligen Zustandsvariablen ein gewichteterMittelwert als Basis für die Berechnung der Wirkungengenommen wurde. 224.2.3. Zusätzliche ParameterUm die Flexibilität der Simulationen zu erhöhen und Tests undValidierung zu ermöglichen, wurden vom Benützer festzulegendeKonstanten definiert, welche vor der Simulation verändert werdenkönnen:• Länge des "langfristigen" Intervalls (normal 12)• Länge des "mittelfristigen" Intervalls (normal 6)• Länge des "kurzfristigen" Intervalls (normal 3)• Stärke der "langfristigen" Wirkungen (normal 1)• Stärke der "mittelfristigen" Wirkungen (normal 1)• Stärke der "kurzfristigen" Wirkungen (normal 1)• Stärke der Selbstregulierung (normal 1)• Stärke der Regulierung mit persönlicher Anpassung (normal 1)• Stärke der staatlichen Regulierung (normal 1)4.3. BeispielAls Beispiel wird das Szenario "Chemieunfall" aus dem vorliegendenSzenarienkatalog verwendet. Der Benutzer definiert die Wir-22 Eine "langfristige" Wirkung basiert so zum Beispiel auf dem Durchschnittaller Werte an den zurückliegenden 12 Zeitpunkten, gewichtet mit 12, 11,10 .. 1, und normiert.


Aktuelle Diskussion 111kung des Szenarios auf das System zum Zeitpunkt 0. In diesemFall wurden folgende direkte Beeinflussungen angenommen:VariableStärke derSchädigungBodenqualität 2Wasserqualität 1Sicherheit vor Unfall 0.1Sicherheit vor Krankheit 0.1Sicherheit vor0.1krimineller GewaltVerfügbarkeit Verkehrsnetz0.1Freizeit 0.1Tabelle 4: Szenario ChemieunfallEine Berechnung ergibt die folgende Grafik (aus Darstellungsgründenvereinfacht, andere Zustandsvariable bleiben praktischunbeeinflusst):Abbildung 7: Simulation des Szenarios Chemieunfall. Legende: (....) =Sicherheit vor Unfall, (+++) = Sicherheit vor Krankheit, ( ___ ) = Luftqualität,(- - -) = Bodenqualität, (-.-.) = Wasserqualität.


112 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikDiese Grafik kann wie folgt interpretiert werden:• Die Wasserqualität erholt sich innert cirka 30 Monaten.• Die Bodenqualität erholt sich innert cirka 50 Monaten.• Die Luftqualität, obwohl nicht ursprünglich als beeinträchtigt definiert,sinkt während cirka 25 Monaten ein wenig und erholt sichanschliessend ebenso langsam.• Die Krankheitsfälle zeigen sich erst nach etwa 10 Monaten, steigendann während etwa 15 Monaten und fallen dann langsam wieder ab.4.4. ModellvalidierungDie Validierung eines Modells kann im allgemeinen auf zwei Artenvorgenommen werden. Falls statistische Daten in genügenderMenge verfügbar sind, kann für die Identifikation, aber auch für dieValidierung darauf zugegriffen werden. In unserem Fall ist dies ausverschiedenen Gründen problematisch: 23• Es existiert nur eine reale Zeitreihe; den Wirkungen können keineUrsachen direkt zugeordnet werden.• Die Daten sind sehr inhomogen erfasst; vierjährliche, jährliche,monatliche und auch unperiodische Erhebungen existieren nebeneinander.• Für einige Systemvariablen existieren keine Erhebungen.Die Validierung bei schlechter Datenlage kann – wie schon dieModellidentifikation – durch Expertenbefragung vorgenommenwerden. Die Simulationsläufe werden gesichtet und ihre Plausibilitätbewertet (wie im obigen Beispiel). Diese Phase wurde nochnicht abgeschlossen.5. Perspektiven und mögliche WeiterentwicklungenEs bieten sich verschiedene Stossrichtungen für eine Weiterverfolgungder Thematik an:23 Bundesamt für Statistik (Hg.): STATINF: Statistische Datenbank derSchweiz, Module, Bern 1994, und Bundesamt für Statistik (Hg.): Katalogder Publikationen zur Bundesstatistik 1995, Bern 1994.


Aktuelle Diskussion 1135.1. Verbesserung des Modells von Regel- / SteuereingriffenEs besteht eine sehr einfache, summarische Darstellung der Regeleingriffeim bestehenden Modell. Eine Verbesserung müsste sichu. a. mit den folgenden Fragen befassen:• Was sind die eigentlichen Ausgangsvariablen?• Welche dieser beobachtbaren Ausgangsvariablen lösen Eingriffe aus?• Wer ist Beobachter?• Wer ist Akteur (staatliche Organe, Institutionen, Verbände, Medien,Individuen...)?• Wie wird geregelt (tangierte Zustandsvariablen, zeitlicher Verlauf...)?5.2. Verbesserung des ZustandsmodellsEs besteht nun eine beträchtliche Anzahl von Systemvariablen.Deren weitere Ergänzung würde sehr rasch ins Unübersichtlicheführen. Trotzdem erscheint es prüfenswert, ob Variablen aufgespaltetwerden müssen (zum Beispiel in regionale Abteilungen).BibliographieBest, Roger J.. An Experiment in Delphi Estimation in Marketing DecisionMaking, in: Journal of Marketing Research, November 1974, S. 447 - 452.Brzezinski, Zbigniev: Speaking Notes <strong>for</strong> the Symposium of Foreign Ministersand Ministers <strong>for</strong> Defense of Central and Eastern European States, Wien1993.Bundesamt für Statistik (Hg.): STATINF: Statistische Datenbank derSchweiz, Module, Bern 1994Bundesamt für Statistik (Hg.): Katalog der Publikationen zur Bundesstatistik1995, Bern 1994.Bush, George: Report of the President on U.S. Strategy, August 1991.Dalkey, Norman/Helmer, Olaf: An Experimental application of the DelphiMethod to the Use of Experts, in: Management Science, April 1963, S. 458- 467.Drucker, Peter: Die postkapitalistische Gesellschaft, Düsseldorf, Wien, NewYork, 1993.Drucker, Peter: Neue Realitäten: Wertewandel in Politik, Wirtschaft undGesellschaft, 2. Aufl., Düsseldorf, Wien, New York 1990.Fasslabend, Werner: Österreichische Sicherheitspolitik in Europa, in: Truppendienst,Sonderheft 1/1993.Henderson, Alan K.: Defining a New World Order, The Fletcher School of Lawand Diplomacy, Med<strong>for</strong>d, MA 1991.


114 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikIsermann, Rolf: Digitale Regelsysteme, Springer, Berlin 1987Jervis, Robert: The Future of World Politics: Will It Resemble the Past? in:International <strong>Security</strong>, Winter 1991/92 (Vol. 16. No. 3), S. 39 - 42.Kotler, Philip: Marketing-Management: Analyse, Planung und Kontrolle, 4.Aufl., Stuttgart, 1989.Luhmann, Niklas: Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie, 4.Aufl., Frankfurt/Main 1993.Malik, Fredmund: Strategie des Managements komplexer Systeme: Ein Beitragzur Management-Kybernetik evolutionärer Systeme, 3. Aufl. Bern,Stuttgart 1989 .Maslow, A. M.: A Theory of Human Motivation, in: Psychological Review1943, S. 370 - 396.Meffert, Herbert: Marketing: Einführung in die Absatzpolitik, 6. Aufl., Wiesbaden1985.Nerlich, Uwe: Stabilität und Gleichgewicht als Kategorie, Rahmenbedingung,Zielsetzung und Planungsgrundlage, in: Heydrich, Wolfgang et al. (Hg.):Sicherheitspolitik Deutschlands: Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente,Baden-Baden 1992, S. 229 - 238.Rossbach, Stefan. Strukturwandel und Stabilität, in: Heydrich, Wolfgang etal. (Hg.): Sicherheitspolitik Deutschlands: Neue Konstellationen, Risiken,Instrumente, Baden-Baden 1992, S. 239 - 251.Smutek-Riemer, Andrea: Diskontinuitäten: Neue alte Facetten in globalenSystemen: Das System "Welt" im globalen Umbruch, in: Österr. Militär.Zeitschrift, Heft 4/1994, S. 367 - 374.Vetschera, Heinz/Smutek-Riemer, Andrea: Signale zur Früherkennung vonkrisenhaften Entwicklungen am Beispiel der Entwicklung zur Jugoslawienkrise,in: Heydrich, W. et al (Hg.) Sicherheitspolitik Deutschlands:Neue Konstellationen, Risiken, Instrumente, Baden-Baden 1992.Von Hayek, Friedrich: Die Theorie komplexer Phänomene, Walter Eucken-Institut, Vorträge und Aufsätze, Bd. 36, Tübingen 1972.Von Ranke, Leopold: Die grossen Mächte. Politische Gespräche, Göttingen1958.Willke, Helmut: Systemtheorie, 3. Aufl., Stuttgart, New York 1991.Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.): Bericht zum Stand des Projektes"Umfassende Risikoanalyse Schweiz", S. 1, Bern 6.6.1994.Zentralstelle für Gesamtverteidigung (Hg.): RiA-Bericht Nr. 1/94 der ArbeitsgruppeRisikoanalyse, ZGV, Stand Mai 1995.


Kurzangaben über die AutorenChristoph Breitenmoser, cand. phil. I, ist wissenschaftlicherMitarbeiter an der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik undKonfliktanalyse der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>.Thomas Köppel, lic. phil. I, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter ander Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>.Prof. Dr. Kurt R. Spillmann ist Leiter der Forschungsstelle fürSicherheitspolitik und Konfliktanalyse der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>.Dr. Andrea Smutek-Riemer ist Sozialhistorikerin und arbeitetan der Erkennung und Erklärung von krisenhaften Phänomenen insozialen Systemen.Fritz Stäger, dipl. chem. ing. <strong>ETH</strong>, ist Assistent am Labor fürTechnische Chemie der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong> und wissenschaftlicher Mitarbeiterder Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyseder <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>.Dr. Andreas Wenger ist stellvertretender Leiter der Forschungsstellefür Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>.


Chronologie


Chronologie zur schweizerischen Sicherheitspolitikvon Dezember 1994 bis November 1995zusammengestellt von Christoph Breitenmoser und Claude Nicolet unterMitarbeit von Martin Arnet2. Dezember 1994Vor rund 2’000 hohen Offizieren und Gästen verabschiedet EMD-Chef Kaspar Villiger anlässlich des "grössten Rapports in der Geschichteder Schweizer Armee" in der Stadthalle Olten die aufgelöstengrossen Verbände der Armee 61 und gibt den Startschuss zurverkleinerten Armee 95.4. DezemberDie Schweizer Stimmberechtigten heissen Zwangsmassnahmen imAusländerrecht mit 72,8 (1’433’162) zu 27,2 Prozent (534’588Stimmen) gut.5. DezemberAnlässlich des zweitägigen Budapester Gipfeltreffens der Konferenzüber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) wirddie Schweiz in die Führungstroika (mit Italien und Ungarn) gewählt.Sie wird 1996 den Vorsitz übernehmen. Ab 1. Januar 1995nennt sich die KSZE neu Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeitin Europa (OSZE).5. DezemberIn Bern tritt erstmals die von vorab jungen rechtsbürgerlichen Europa-Gegnerngetragene "Junge Vereinigung Zukunft Schweiz"(JZS) an die Öffentlichkeit. Sie versteht sich als Gegenbewegungzum europabefürwortenden Komitee "Geboren am 7. Dezember1992".6. DezemberDie Bundesanwaltschaft durchsucht die Redaktionsräumlichkeitender "SonntagsZeitung". Das Blatt hat in seiner Ausgabe vom4. Dezember 1994 aus geheimen Akten betreffend die IslamischeHeilsfront (FIS) von algerischen Waffen-, Munitions- und Spreng-


120 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikstoffeinkäufen in der Schweiz berichtet. Bundesanwältin Carla DelPonte eröffnet gegen zwei Journalisten und den Chef des Rechtsdienstesder TA-Medien AG ein Strafverfahren wegen Begünstigungund Veröffentlichung amtlicher, geheimer Verhandlungen.12. DezemberEin Genfer Kantonspolizist wird unter dem Verdacht des politischenNachrichtendienstes und der Amtsgeheimnisverletzung verhaftet.Er soll den algerischen Behörden geheime Unterlagen überdie Aktivitäten der militanten Fundamentalisten-Organisation FISin der Schweiz zugeleitet haben. Sein algerischer Mittelsmann wirdebenfalls festgenommen.12. DezemberIn Brüssel werden die bilateralen sektoriellen Verhandlungen zwischender Schweiz und der Europäischen Union (EU) offiziell eröffnet.Folgende sieben Dossiers stehen zur Diskussion: Forschung,öffentliches Auftragswesen, Personenverkehr, Technische Handelshemmnisse,Landwirtschaft sowie Strassen- und Luftverkehr.14. DezemberIm Mordfall des iranischen Oppositionspolitikers Kazem Radjaviheisst der französische Staatsrat als oberstes Verwaltungsgerichtdes Landes die Klage der Schweiz gegen die von der französischenRegierung verweigerte Auslieferung der beiden mutmasslichenTäter gut.16. DezemberErstmals erhalten an der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong> 22 Absolventen der MilitärischenFührungsschule (MFS) nach dreijährigem Lehrgang ein eidgenössischesDiplom als Instruktionsoffizier der Schweizer Armeeausgehändigt.21. DezemberDer Bundesrat hebt das Kriegsmaterialembargo gegen Südafrikanach 31 Jahren auf. Er begründet den Entscheid mit der Demokratisierungin Südafrika. Ebenfalls wird das Waffenexportverbotgegen Simbabwe fallengelassen.


Chronologie 12122. DezemberFür friedenserhaltende Massnahmen wird die Schweiz im kommendenJahr 29,6 Millionen Franken einsetzen. Die Anstrengungensollen sich auf Europa, den Nahen Osten und Südafrika konzentrieren.Der Betrag ist primär dazu bestimmt, Aktionen imRahmen der Uno und der OSZE zu unterstützen.3. Januar 1995Die Zahl der Asylgesuche ist um 34,8 Prozent zurückgegangen. Wiedas Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) bekanntgibt, gingen im vergangenenJahr 16’134 Gesuche ein; die geringste Zahl seit 1987.Von den 25’121 insgesamt behandelten Anträgen wurden 2’937(11,7 Prozent) gutgeheissen. Am meisten Asylgesuche stammtenaus Rest-Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina.6. JanuarIn Luzern wird das "Sicherheitspolitische Forum Zentralschweiz"gegründet. Sein Zweck ist, eine "glaubwürdige Sicherheitspolitik"in der Bevölkerung zu verankern. Präsident der neuen Institutionwird der Luzerner CVP-Nationalrat Josef Leu.19. JanuarDie Sozialdemokratische Partei der Schweiz präsentiert in Bern dieExpertise "Die Landesverteidigung der Schweiz: ein praktischesModell für die Zukunft" des deutschen Autors Lutz Unterseher.Darin wird - ausgerichtet auf die Initiative "für weniger Militärausgabenund mehr Friedenspolitik" - eine Armee skizziert, die nurhalb soviel kosten soll wie die Armee 95. Im Vordergrund steht eineeinschneidende personelle Reduktion auf einen Sollbestand von150’000 Armeeangehörigen.23. JanuarExperten aus über 180 Staaten und von rund 50 intergouvernementalenund nichtstaatlichen Organisationen kommen auf Einladungder Schweiz zu einem fünftägigen Treffen in Genf zusammen,um Massnahmen zur besseren Beachtung des humanitärenVölkerrechts zu prüfen.


122 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik23. JanuarDie Zahl der verurteilten Dienstverweigerer sank 1994 mit 239 aufden tiefsten Stand seit 1970. Erstmals betrug der Anteil derDienstverweigerer aus Gewissensgründen mehr als zwei Drittel,wie das EMD mitteilt.23. JanuarWie die Oberzolldirektion meldet, führte die Schweiz 1994 Rüstungsgüterim Wert von 221 Millionen Franken aus. Gemessen anden gesamten Exporten machte die Kriegsmaterialausfuhr 0,23Prozent aus. Dies bedeutet den tiefsten je registrierten Wert.Saudi-Arabien war der grösste Erstabnehmer.25. JanuarMit 85 zu 68 Stimmen lehnt das nationalrätliche Plenum einenMinderheitsantrag der Finanzkommission ab, die Zentralstelle fürGesamtverteidigung (ZGV) bis Ende 1996 aufzuheben.27. JanuarEine griffigere Gesetzgebung im Kampf gegen Drogenkriminalitätund organisiertes Verbrechen sowie eine Beruhigung der öffentlichenDiskussion sind für den Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes,Bundesrat Arnold Koller, die Hauptergebnisse desAktionsprogrammes "Innere Sicherheit 1994", wie er anlässlich einerPressekonferenz in Bern bekanntgibt.30. JanuarLaut einer Mitteilung der Bundeskanzlei lehnt der Bundesrat dieLieferung von 48 Pilatus PC-9-Flugzeugen mit Flügel-Aufhängepunktenan die mexikanische Luftwaffe ab. Die Ausfuhr dieserFlugzeuge könne gegenwärtig nicht verantwortet werden. Die zwischen1979 und 1992 nach Mexiko gelieferten 88 Flugzeuge vomTyp PC-7 sollen vor einem Jahr zur Bekämpfung von aufständischenIndianern im Bundesstaat Chiapas eingesetzt worden sein.30. JanuarDer Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung (ZGV),Hansheiri Dahinden, berichtet anlässlich des Jahresrapports deroberen Zivilschutzkader der Stadt Bern über erste Resultate der


Chronologie 123verwaltungsinternen Studie "Risikoanalyse Schweiz". Darin werdenüber 200 Risiken aufgelistet, welche der Schweiz drohen könnten.Aufgrund einer vorläufigen Gewichtung des Risikopotentials (Multiplikationder Eintretenshäufigkeit mit dem mutmasslichen Schaden)wurden das Szenario eines Nuklearschlages in Europa und derVerlust des nationalen Zusammenhaltes in der Schweiz als grössteRisiken ermittelt.30. JanuarDie Verletzung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sinddas Arbeitsgebiet der aus 53 Staaten zusammengesetzten Uno-Menschenrechtskommission, die in Genf während der nächstensechs Wochen ihre diesjährigen Beratungen zusammen mit Beobachternaus 90 Staaten und 160 privaten Organisationen durchführt.1. FebruarAcht Wahlbeobachter reisen nach Kirgistan, wo sie auf Einladungder dortigen Regierung im Rahmen einer OSZE-Mission den Verlaufder Parlamentswahlen vom 5. Februar verfolgen werden.3. FebruarDie eidgenössischen Räte verabschieden in den Schlussabstimmungenihrer Sondersession mit grossem Mehr das neue Militärgesetzund die neue Armeeorganisation (Armee 95).3. FebruarDer ehemalige Bundesrat René Felber legt sein Mandat als Uno-Sonderberichterstatter für Israel und die palästinensischen Gebietenieder. An der Pressekonferenz in Genf meint er, nur ein Vorantreibendes Friedensprozesses, nicht aber das Verfassen von Berichten,könne zu einer Verbesserung der Lage führen.10. FebruarAls dritter neutraler Staat nach Finnland und Schweden und als25. Teilnehmer insgesamt tritt Österreich in Brüssel offiziell derNato-Partnerschaft für den Frieden bei. Das im einzelnen nochauszu<strong>for</strong>mulierende Zusammenarbeitsprogramm ist vorerst auf dieThemenbereiche friedenserhaltende Massnahmen, Katastrophen-


124 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikeinsätze und humanitäre Hilfsaktionen beschränkt. Ausdrücklichausgeschlossen wird eine Teilnahme an militärischen Manövernder Nato.13. FebruarDie zu einem internationalen Medienspektakel heraufstilisierteRäumung der offenen Drogenszene am Zürcher Letten verläuft ohneWiderstand.13. FebruarDas Schweizerische Katastrophenhilfekorps (SKH) leistete 1994eine Rekordzahl an Einsätzen: 265 Korpsangehörige waren in 42Ländern für gesamthaft 22’800 Einsatztage engagiert. Schwerpunktebildeten Ruanda und Ex-Jugoslawien. Durch eine spezielle"Task Force Flüchtlinge" will das SKH beim Entstehen von Flüchtlingsströmenseine Hilfe rascher und gezielter einsetzen, wie an derJahrespressekonferenz in Bern verlautete.15. FebruarIn seiner Botschaft beantragt der Bundesrat den eidgenössischenRäten, die Volksinitiative "für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr"Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zu unterbreiten.Gleichzeitig legt er dem Parlament im Sinne eines indirektenGegenvorschlages den Entwurf zu einer Totalrevision desKriegsmaterialgesetzes (KMG) vor.17. FebruarIn Bern beginnt die erste Session des Ständigen Tribunals derVölker zu Ex-Jugoslawien. Während vier Tagen werden Fachleuteund Betroffene den Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungenauf den Grund gehen. Das Tribunal ist als private Institution keinStrafgericht, es versteht sich als "Meinungsgericht".18. FebruarAuf Einladung des Eidgenössischen Departements des Innern findetim Bundeshaus in Bern zum ersten Mal seit 1991 eine nationaleDrogenkonferenz statt. Rund 180 Personen aus Behörden undInteressengruppen nehmen am Meinungsaustausch teil.


Chronologie 12520. FebruarFünf Europa-Organisationen ("Geboren am 7. Dezember 1992",Europäische Bewegung Schweiz - Europa-Union, RenaissanceSuisse Europe, Junge Europäische Föderalisten und Aktion Europa-Dialog)lancieren ihre Volksinitiative "Ja zu Europa", die verlangt,dass sich die Schweiz am europäischen Integrationsprozessbeteiligt und so<strong>for</strong>t mit der EU Beitrittsverhandlungen aufnimmt.Das bereits früher eingereichte Begehren "für unsere Zukunft imHerzen Europas", das den EWR-Beitritt <strong>for</strong>dert, wird nach Aussagender Initianten von "Geboren am 7. Dezember 1992" nicht zurückgezogen.22. FebruarDer Bundesrat verabschiedet das neue Güterkontrollgesetz. Diesesermächtigt die Regierung zu Exportkontrollen von Gütern, die zivilund militärisch verwendbar sind (Dual-Use-Güter) und zur verdecktenEntwicklung von Massenvernichtungswaffen missbrauchtwerden können. Neben der Bewilligungspflicht sieht das Gesetzauch eine Endverwendungskontrolle vor.22. FebruarUnter der Leitung des Schweizer Diplomaten Lorenzo Ambergführt eine fünfköpfige internationale Expertenmission im Auftragder OSZE Sondierungen zur Menschenrechtslage im KriegsgebietTschetschenien durch und klärt Möglichkeiten der humanitärenHilfe für die Bevölkerung ab.27. FebruarBei der Präsentation ihres Jahresberichtes äussern Vertreter desInternationalen Suchtstoffkontrollrates (INCB) in Wien Bedenkengegenüber dem Versuch der kontrollierten Heroinabgabe in derSchweiz.8. MärzVor dem Hintergrund des Krieges in Tschetschenien nimmt derNationalrat eine zusätzliche Bestimmung in die gesetzliche Grundlagefür die Zusammenarbeit mit Osteuropa auf: Der Bundesratwird befugt, im Falle von gravierenden Menschenrechtsverletzungenund Diskriminierungen von Minderheiten die Osthilfe teilweise


126 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikoder ganz zu unterbrechen. Der Ständerat folgt mit gleichlautendemBeschluss am 13. März.15. MärzDer Nationalrat behandelt als Erstrat das Zivildienstgesetz. Er beschliesstmit 87 zu 57 Stimmen, dass der Zivildienst 1,5mal solange wie der nicht geleistete Militärdienst dauern soll.15. MärzDie Schweiz ratifiziert als 27. Vertragspartner das Chemiewaffenübereinkommenaus dem Jahre 1993. Dieses besagt, dass Entwicklung,Herstellung, Lagerung und Einsatz chemischer Waffen verbotenwerden.16. MärzDer Ständerat erklärt die von den Schweizer Demokraten lancierteInitiative "für eine vernünftige Asylpolitik" mit 32 zu 2 Stimmen fürungültig, da sie grundlegendes Völkerrecht verletze.18. MärzNach der Räumung eines illegalen Kurdenlokals kommt es in Baselzu Krawallen, bei denen die Polizei mit Tränengas gegen rund 200Leute aus dem Umkreis der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vorgeht.20. MärzBundesrat Flavio Cotti nimmt als Vertreter der OSZE an der vonder Europäischen Union organisierten zweitägigen Schlusskonferenzdes Stabilitätspaktes in Paris teil. Die Vertreter der 52 OSZE-Staaten nehmen eine Grundsatzerklärung an, in der Garantien fürnationale Minderheiten und bestehende Grenzen abgegeben werden.21. MärzDer Nationalrat beschliesst mit 84 zu 64 Stimmen, dass Volksinitiativenkeine Rückwirkungsklauseln mehr enthalten dürfen.Anlass ist unter anderem die Initiative "für weniger Militärausgabenund mehr Friedenspolitik" der Sozialdemokratischen Partei derSchweiz (SPS).


Chronologie 12722. MärzDie kleine Kammer erklärt die Initiative der SozialdemokratischenPartei der Schweiz (SPS) "für weniger Militärausgaben und mehrFriedenspolitik" mit 37 zu 7 Stimmen für ungültig, weil das Volksbegehrendie von der Verfassung gebotene Einheit der Materie verletze.23. MärzBundespräsident Kaspar Villiger und Rüstungschef Toni Wicki in<strong>for</strong>mierenin Bern, dass das Eidgenössische Militärdepartement imZeitraum von 1996 bis zum Jahr 2000 rund 3’300 Stellen oder 23Prozent des EMD-Personalbestandes streichen wird.26. MärzFür die sieben EU-Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich,Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien tritt dasSchengener Abkommen in Kraft. Dieses sieht die völlige Abschaffungder Grenzkontrollen an den Innengrenzen der EU vor.27. MärzGemäss der diesjährigen Studie "Sophia" des Lausanner Markt<strong>for</strong>schungsinstitutsM.I.S. und des Westschweizer MedienkonzernsEdipresse beurteilen Führungskräfte der Schweiz die politischenInstitutionen in ihren Grundsätzen positiv. Sie sind jedoch der Ansicht,dass die Funktion der Institutionen zurzeit beeinträchtigtund das System deshalb re<strong>for</strong>mbedürftig ist.29. MärzDer Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates,Ernst Mühlemann, <strong>for</strong>dert, dass die Schweiz der türkischenOffensive gegen die Kurden im Rahmen der OSZE und des Europaratesentgegenwirke.29. MärzDer Bundesrat beschliesst, die Bewachung von ausländischen Botschaftenin der Schweiz vermehrt neuen Bedrohungslagen anzupassen,da das Risiko von Übergriffen grösser geworden sei. DieMassnahme ist in erster Linie eine Reaktion auf die vermehrtenAnschläge auf die türkische Botschaft in Bern und das türkische


128 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikKonsulat in <strong>Zürich</strong>. Die ersten rund 15 Festungswächter beginnenihren Einsatz bereits am 5. April.31. MärzDie Kriminalstatistik für das Jahr 1994 wird veröffentlicht: Mitinsgesamt 317’658 angezeigten Delikten ist die Zahl der Straftatenweiter rückläufig.10. AprilEine Analyse des Eidgenössischen Militärdepartementes kritisiertdie SPS-Studie des deutschen Soziologen Lutz Unterseher als "oberflächlich,bruchstückhaft und widersprüchlich." Die Studie soll aufzeigen,wie die Militärausgaben der Schweiz im Sinne der entsprechendenSPS-Initiative ohne Kampfkraftverlust halbiert werdenkönnten.18. AprilDas Bundesamt für Polizeiwesen stationiert den ersten von zehngeplanten Polizeiverbindungsbeamten im Ausland: Ein Spezialistfür Geldwäscherei und Drogenhandel wird nach Washington geschickt,um von dort aus die schweizerischen Strafverfolgungsbehördenzu unterstützen. Mit persönlichen Beziehungen undschnellerer In<strong>for</strong>mationsbeschaffung bei den ausländischen Behördensoll das organisierte Verbrechen besser bekämpft werden.18. AprilIn Winterthur findet erstmals ein Uno-Militärbeobachterkurs unterschweizerischem Kommando statt. 42 Berufs- und Milizoffiziereaus zehn Nationen, darunter auch 17 Schweizer, nehmen an diesemdreiwöchigen Lehrgang für angehende "Blaumützen" teil.20. AprilBundespräsident Kaspar Villiger weilt für einen zweitägigenFreundschaftsbesuch in Wien. Damit stattet erstmals ein SchweizerBundespräsident Österreich einen offiziellen Besuch ab. Als Gesprächsthemenwerden vor allem internationale Probleme erörtert.


Chronologie 12921. AprilDie FDP bezeichnet an ihrer Delegiertenversammlung in Interlakenüberraschend einen EU-Beitritt der Schweiz als "langfristigesZiel". Die Entscheidung erfolgt auf Druck der Parteibasis, währendParteileitung und Fraktion eine weniger verbindliche Formulierungvorgeschlagen hatten.23. - 28. AprilBundesrat Flavio Cotti besucht zusammen mit Vertretern vonSchweizer Firmen die Volksrepublik China. Bei den Gesprächenmit Kabinettsmitgliedern in Peking stehen Fragen der wirtschaftlichenZusammenarbeit im Vordergrund. Die Menschenrechte werdennicht erwähnt.7. MaiZum 50. Jahrestag des Kriegsendes äussert sich BundespräsidentKaspar Villiger an der Gedenkfeier der Vereinigten Bundesversammlungzur Politik des Bundesrates gegenüber den verfolgtenJuden während des Zweiten Weltkrieges. Mit der Einführung desJudenstempels habe die Schweiz 1938 im allzu eng verstandenenLandesinteresse eine falsche Wahl getroffen. Villiger wörtlich: "DerBundesrat bedauert das zutiefst, und er entschuldigt sich dafür, imWissen darum, dass solches Versagen letztlich unentschuldbar ist."8. MaiZwei Schweizer Mitarbeiter der Kulturbrücke Schweiz-Sarajevo,werden freigelassen, nachdem sie wegen "unerlaubtem Betretenvon fremdem Territorium" von serbischen Sicherheitskräften verhaftetund während 34 Tagen festgehalten worden waren. Nachihrer Freilassung werfen sie Uno-Mitarbeitern vor, diese hättensich von Serben bestechen lassen und sie ihnen ausgeliefert. DieseVorwürfe werden von der Uno bestritten.10. MaiEine schweizerische Delegation nimmt an der dreiwöchigen NewYorker Konferenz über die Überprüfung und Verlängerung desVertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen teil. Sieplädiert am 20. April für eine unbefristete Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages(NPT), was am 10. Mai auch beschlossenwird. Die schweizerische Delegation zeigt sich nach der Konferenz


130 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik"befriedigt, aber nicht begeistert": Die Beschlüsse enthielten keinewesentlichen Neuerungen und auferlegten den offiziellen Kernwaffenstaatenkeine verbindlichen Abrüstungspflichten.13. MaiDer Schweizer Chef der OSZE-Langzeitmission in der Ukraine, AndreasKohlschütter, und der Hochkommissar für nationale Minderheitender OSZE, Max van der Stoel, leiten in Locarno Gesprächezwischen Parlamentsvertretern und hohen Beamten aus der Ukraineund der Krim. Dabei wird nach Lösungsansätzen im Streit umden Status der mehrheitlich von Russen bewohnten und nach Autonomiestrebenden Halbinsel Krim gesucht.18. MaiDer von den USA und Russland präsidierte Lenkungsausschuss fürmultilaterale Nahostverhandlungen erteilt der Schweiz auf dereneigenen Vorschlag hin den Auftrag, mit den Präsidenten der Arbeitsgruppenüber Umwelt, Wasser, Flüchtlinge, Rüstungskontrolleund Wirtschaftsentwicklung zusammenzuarbeiten, und die beidenKopräsidenten des Lenkungsausschusses in Menschenrechtsfragenzu beraten.29. MaiDer neu eingerichtete Vergleichs- und Schiedsgerichtshof der OSZEnimmt seine Arbeit in Genf auf. Er wird vom Franzosen RobertBadinter und vom ehemaligen deutschen Aussenminister Hans-Dietrich Genscher präsidiert.30. MaiDie Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates lässt verlauten,dass sie eine schweizerische Beteiligung bei der "Partnerschaftfür den Frieden" nicht für dringlich halte. Damit widersprichtsie den Präsidenten der Sicherheitspolitischen Kommissionenbeider Räte, Nationalrat Anton Keller und Ständerat OswaldZiegler, die sich anlässlich ihres zweitägigen Besuchs in der Nato-Zentrale in Brüssel Ende Februar für eine entsprechende Beteiligungausgesprochen hatten.


Chronologie 1317. JuniBundespräsident Kaspar Villiger hält als erster Bundespräsidenteine Rede mit eingehender Lagebeurteilung der Nation im Ständerat.Er spricht sich darin "gegen professionell gehätschelten Pessimismus",für den "EU-Beitritt als strategisches Ziel" und für einegleichzeitige "Stärkung der Wohlfahrt und Wettbewerbsfähigkeit"der Schweiz aus.12. JuniDer Rat für Gesamtverteidigung legt dem Bundesrat einen Berichtvor, wonach ein Beitritt der Schweiz zur Partnerschaft für denFrieden im Interesse unseres Landes liege.13. JuniDer Ständerat spricht sich als Erstrat mit 30 zu 2 Stimmen gegendie Volksinitiative "S. o. S. - Schweiz ohne Schnüffelstaat" aus. Dasneue Staatsschutzgesetz wird hingegen mit 21 zu 1 Stimmen zurAnnahme empfohlen.20. JuniAls Zweitrat kommt auch der Nationalrat mit 100 zu 77 Stimmenzum Schluss, dass die Halbierungsinitiative der SozialdemokratischenPartei "für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik"für ungültig erklärt werden müsse, weil sie den Grundsatz derEinheit der Materie nicht erfülle. Nach einer entsprechendenEmpfehlung der staatspolitischen Kommission kam bereits im Maiauch die sicherheitspolitische Kommission zu derselben Schlussfolgerung.Damit kommt die Initiative definitiv nicht vor das Volk.21. JuniZwei Monate nach dem Nationalrat verabschiedet auch der Ständeratmit 31 zu 5 Stimmen das Zivildienstgesetz. Als letztes westeuropäischesLand erhält die Schweiz einen gesetzlich verankertenZivildienst.21. JuniBei der Debatte um die Regierungsre<strong>for</strong>m stimmt der Nationalratim zweiten Anlauf mit 99 zu 55 Stimmen der Einführung von bis zuzehn Staatssekretären zur Entlastung des Bundesrates zu. Nur


132 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikjene Staatssekretäre, die den Bundesrat vor der Bundesversammlungvertreten, sollen der parlamentarischen Bestätigung bedürfen.Politisch rechtsstehende Kreise drohen mit dem Referendum.22. JuniAn der Genfer Abrüstungskonferenz spricht sich der Vertreter derSchweiz im Namen des Bundesrates gegen Frankreichs geplanteWiederaufnahme der Nukleartests im Pazifik aus.22. JuniDie EMD-Geschäftsleitung nimmt eine "Blaumützen-Studie" desGeneralstabschefs zur Kenntnis, die nach dem Blauhelm-Nein undim Hinblick auf die Schweizer OSZE-Präsidentschaft von GeneralstabschefArthur Lienert in Auftrag gegeben worden war. Darinwird vorgeschlagen, dass künftig bei Blaumützeneinsätzen nebenden bewährten Sanitätstruppen auch Genie- und Transporttruppenzum Einsatz kommen sollen.23. JuniDas geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter, der DalaiLama, wird von Bundesrat Flavio Cotti trotz chinesischen diplomatischenWiderstands zu einem Höflichkeitsbesuch empfangen.26. JuniBundespräsident Kaspar Villiger und Justizminister Arnold Kollerstellen den Entwurf zur Totalrevision der Bundesverfassung vor.Die nun eingeleitete Volksdiskussion soll bis Februar 1996 abgeschlossenwerden. Damit sollte eine Volksabstimmung 1998 möglichsein.27. JuniDie Schweizer Armee und die Deutsche Bundesarmee führenerstmals eine gemeinsame Katastrophenhilfe-Übung durch. Insgesamtrund 600 Truppenangehörige beteiligen sich an einem Brükkenschlagüber den Rhein im Raum Zurzach - Rheinheim. DieÜbung steht vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung der Existenzsicherung,wie sie im Bericht 90 über die Sicherheitspolitikund im Armeeleitbild 95 dargestellt wird.


Chronologie 13330. JuniUno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali weilt zu einem offiziellenBesuch in Bern. Bundespräsident Kaspar Villiger betont beieiner gemeinsamen Pressekonferenz, der Bundesrat halte einenUno-Beitritt der Schweiz zwar für wünschenswert, im Augenblickhabe dieser aber keine Priorität, da die Europapolitik im Vordergrundstehe.1. JuliDie Schweiz tritt der neuen Welthandelsorganisation WTO bei,nachdem ein Referendum nicht zustande gekommen war und dieGegner beim Bundesgericht abgeblitzt sind.5. JuliIn Genf findet der offizielle Gedenkanlass zur Gründung der Unovor fünfzig Jahren statt. Dabei bekräftigt die Schweiz ihr Engagementfür friedensfördernde Massnahmen.5. - 7. JuliAn einer internationalen Konferenz über Minenräumung in Genfwird unter anderem über ein totales Verbot von Minen diskutiert.26 Länder - darunter die Schweiz - haben vorläufig zwar den Export,jedoch vielfach nicht die Produktion von Landminen gestoppt.28. JuliDie Parlamentarische OSZE-Gruppe <strong>for</strong>dert den Bundesrat in einemBrief auf, angesichts der Menschenrechtsverletzungen imBosnienkrieg unverzüglich die Initiative zu einer dringlichen ausserordentlichenOSZE-Konferenz zu ergreifen. Bundesrat FlavioCotti antwortet, er habe das EDA bereits beauftragt, abzuklären,wie die OSZE aktiv werden könne. Die notwendige Unterstützungder Schweizer Initiative von anderen Staaten sei im Moment jedochsehr gering.28. JuliDer Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft und ehemaligeChef des Bundesamtes für Flüchtlinge, Peter Arbenz, richtetein Protestschreiben an den Militärführer der bosnischen Serben,General Ratko Mladic. Darin verurteilt er die Verletzungen


134 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikder Menschenrechte durch Mladics Armee sowie die Missachtungder Regeln des humanitären Völkerrechts und des Kriegsrechts.3. AugustDer Bundesrat gibt bekannt, dass er Adolf Lacher, ausserordentlicherund bevollmächtigter Botschafter der Schweiz in der RepublikÖsterreich, in der gleichen Eigenschaft ebenfalls in der RepublikBosnien-Herzegowina, mit Sitz in Wien, ernannt hat.14. AugustDie Schweiz stellt der Unterstützungsmission der Vereinten Nationenin Ruanda (Unamir) drei Zivilpolizeibeobachter zur Verfügung.Die drei Polizisten werden während sechs Monaten im Einsatzstehen.15. AugustDer "Arbeitskreis Schweiz - Europa", welcher rund hundert eidgenössischeParlamentarier und Vertreter der Wirtschaft umfasst,empfiehlt, den Souverän über eine zeitlich befristete EWR-Mitgliedschaftvon fünf Jahren entscheiden zu lassen. Nach Ablauf dieserFrist könnte sich das Volk ein zweites Mal, und dann definitiv, zurOption EWR äussern.17. AugustEin Bündnis von über dreissig friedens- und entwicklungspolitischengagierten Organisationen, darunter die Sozialdemokratische Parteider Schweiz, beschliessen, zwei Volksinitiativen zu lancieren. AbEnde September sollen Unterschriften "für weniger Gesamtverteidigungsausgaben,mehr Frieden und mehr zukunftsgerichtete Arbeitsplätze"sowie "für mehr Rechte für das Volk dank dem Referendummit Gegenvorschlag" gesammelt werden. Der Parteivorstandder Sozialdemokratischen Partei verabschiedet am 26. August diezwei Initiativtexte.23. AugustDer Bundesrat setzt neu eine Eidgenössische Kommission gegenRassismus ein. Das Gremium soll sein Augenmerk vor allem aufdie Prävention legen und auch bei Konflikten unter Privaten vermitteln.


Chronologie 13528. AugustEin überparteiliches Komitee reicht bei der Bundeskanzlei dieVolksinitiative für eine Regelung der Zuwanderung ein. Haupt<strong>for</strong>derungist die Begrenzung des Ausländeranteils an der Wohnbevölkerungauf 18 Prozent. Unterstützende Parteien sind dieSchweizer Demokraten, die Eidgenössisch-Demokratische Unionund die Freiheits-Partei. Die Unterschriften stammen zu mehr als90 Prozent aus der Deutschschweiz.4. SeptemberDer Bericht Katastrophen- und Nothilfe in der Schweiz (Katanos)des Bundesamtes für Zivilschutz teilt Naturkatastrophen, die rund60 Prozent des Katastrophenrisikos ausmachen, den grössten Stellenwertvon Katastrophen und Notlagen in der Schweiz zu. Sie werdenvon gesellschaftlichen Notlagen und technischen Katastrophengefolgt. Bei den einzelnen Gefahren stehen Erdbeben mit einemAnteil von 30 Prozent Gesamtrisiko an der Spitze, gefolgt vonEpidemien und Hochwasser.5. SeptemberDie erste Kernexplosion der neuen Atomtestreihe Frankreichs aufdem Mururoa-Atoll löst auch in der Schweiz eine Protestwelle undverschiedene Kundgebungen aus. Das Eidgenössische Departementfür auswärtige Angelegenheiten (EDA) teilt mit, Bundesrat FlavioCotti habe die Schweizerische Botschaft in Paris beauftragt, imfranzösischen Aussenministerium die negative Haltung derSchweiz in dieser Frage zu bekräftigen.6. SeptemberDer deutsche Bundespräsident Roman Herzog trifft zu einem dreitägigenStaatsbesuch in Bern ein. Er äussert seinen Respekt für dieSkepsis der Schweizer gegenüber Europa, verhehlt aber nicht, dasser die Schweiz mit ihren demokratischen und multikulturellenErfahrungen gerne in der Europäischen Union sähe. Er versichertzudem, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Identität nicht verlierenwürden.7. SeptemberAn der vom 4. bis zum 15. September dauernden vierten Uno-Weltfrauenkonferenzin Peking hält Bundesrätin Ruth Dreifuss als Lei-


136 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikterin der Schweizer Delegation eine Rede. Darin verurteilt sie dieGewalt in allen Formen als ein Haupthindernis für die Gleichstellungvon Frau und Mann und <strong>for</strong>dert bessere Arbeitsbedingungenfür Nicht-Regierungsorganisationen.13. SeptemberAnlässlich eines Besuches des Präsidenten der aussenpolitischenKommission des Nationalrates Ernst Mühlemann und acht weiterenParlamentariern in Brüssel lässt die EU in einem veröffentlichtenCommuniqué verlauten, dass das Schweizer Angebot imBereich des freien Personenverkehrs "absolut unzureichend" sei.Der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Mario Monti teiltder Delegation mit, dass ein Erfolg der bilateralen Verhandlungenklar von einer Öffnung der Schweizer Grenzen für die EU-Bürgerabhänge.15. SeptemberBundesrat Arnold Koller zieht betreffend dem am 1. Februar inKraft getretenen neuen Ausländerrecht eine positive Zwischenbilanz:In den ersten sechs Monaten ist das neue Ausländerrecht in3’514 Fällen angewendet worden. Zwei Drittel aller Zwangsmassnahmenhat die Zürcher Fremdenpolizei angeordnet.18. SeptemberWie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten(EDA) mitteilt, hat der Bundesrat beschlossen, in Sarajevoeine ständige Vertretung mit einem Geschäftsträger ad interim zueröffnen. Es handelt sich dabei um Christian Hauswirth, dem zudiesem Zeitpunkt ständigen Geschäftsträger in Tirana (Albanien).Er wird seine Tätigkeit in der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinasim Oktober aufnehmen. Adolf Lacher bleibt Botschafter für Bosnien-Herzegowinamit Sitz in Wien.22. SeptemberAls erster ungarischer Regierungschef stattet MinisterpräsidentGyula Horn der Schweiz einen offiziellen Besuch ab. Bei seinemTreffen mit Bundespräsident Kaspar Villiger und den BundesrätenJean-Pascal Delamuraz und Flavio Cotti werden Fragen der Sicherheitund der Wirtschaft besprochen. Ferner wird das Themader ungarischen Erfahrungen mit dem OSZE-Präsidium erörtert.


Chronologie 13723. SeptemberIn <strong>Zürich</strong> nehmen Tausende von Demonstranten an zwei Europa-Kundgebungen teil: Am Morgen ruft SVP-Nationalrat und Chef derAktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns)Christoph Blocher auf dem Münsterhof gegen einen Anschluss desLandes an Europa auf, während am Nachmittag Bundesrat OttoStich und weitere Referenten anlässlich einer von der SP der Stadt<strong>Zürich</strong> organisierten Gegendemonstration ein Bekenntnis zu eineroffenen und toleranten Schweiz auf dem Platzspitz ablegen. Währendund nach den Kundgebungen kommt es in der Innenstadt zuStrassenschlachten zwischen Autonomen aus der linken Szene,Rechtsextremen und der Polizei. Am Wahlkongress der ChristlichdemokratischenVolkspartei (CVP) schiebt deren Präsident AntonCottier dem SVP-Nationalrat Christoph Blocher die Verantwortungfür die Gewalt zu.25. SeptemberDie "Schweizerische Kampagne gegen Personenminen" übergibt derBundeskanzlei in Bern eine von 40 Schweizer Hilfswerken lanciertePetition "gegen den verborgenen Tod". 147’806 Personen haben denAppell unterschrieben, der von den Bundesbehörden verlangt, dassdie Schweiz nach Belgien das zweite Land der Welt werde, dassämtliche Personenminen grundsätzlich ächte.26. SeptemberEin Tag nach dem Ständerat genehmigt auch der Nationalrat dieRe<strong>for</strong>m des Eidgenössischen Militärdepartements einstimmig: Die18 Bundesämter im EMD sollen auf 11 verringert und der Personalbestandum 5’000 auf 15’000 gesenkt werden.26. SeptemberDer Nationalrat heisst mit 112 zu 23 Stimmen das Rüstungsprogramm1995 im Gesamtbetrag von 1,342 Milliarden Franken gut.Eine links-grüne Opposition gegen die Beschaffung von Aufklärungsdrohnenblieb zuvor wirkungslos.27. - 29. SeptemberÜber 80 Wissenschafter und Politiker aus 25 Staaten diskutieren inBasel aus Anlass des 50-Jahre-Jubiläums der Uno und auf Einladungder Schweizerischen Friedensstiftung das Thema "Föderalis-


138 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikmus gegen Ethnizität?" Zum Abschluss wird die "Basler Charta"präsentiert, die auf Instrumente und Techniken des Föderalismushinweist, welche Minderheitenkonflikte ohne Gewalt bewältigenkönnen.29. SeptemberDer Zürcher Polizeivorstand Robert Neukomm nimmt anlässlicheiner Vereidigungsfeier für neue Stadtpolizei-Aspirantinnen und-Aspiranten zu den Vorwürfen aus den Medien Stellung, wonach diePolizei bei den Ausschreitungen vom 23. September nichts gegendie Neonazis unternommen und ihnen sogar Schutz geboten habe:Die Beamten hätten primär in jene Richtung wirken müssen, ausder sie selbst angegriffen worden seien, verteidigt Neukomm derenVerhalten. Dies habe die Rechtsextremen wohl ermutigt, aufschändlichste Weise gegen das Antirassismus-Gesetz zu verstossen.1. OktoberDer Bundesrat einigt sich auf eine neue Departementsverteilung,die am 1. November in Kraft treten wird: Der bisherige Chef desEidgenössischen Militärdepartementes, Bundespräsident KasparVilliger (FDP), tritt sein Departement an Adolf Ogi (SVP) ab undübernimmt das Finanzdepartement, das durch den Rücktritt vonOtto Stich (SPS) frei wird. Der am 27. September neu gewählteSPS-Bundesrat Moritz Leuenberger löst Ogi im Verkehrs- undEnergiewirtschaftsdepartement ab.3. OktoberUm eine Verärgerung Frankreichs zu vermeiden, lehnt es der Nationalratmit knappen 76 zu 71 Stimmen ab, eine von der Umweltkommissioneinstimmig vorgeschlagene Erklärung gegen die französischenund chinesischen Atomversuche zu diskutieren.4.-5. OktoberBundesrat Flavio Cotti weilt zu einem Arbeitsbesuch in Estland undLitauen. In seinen Gesprächen mit den Präsidenten und Aussenministernder beiden Länder steht die Sicherheit und Stabilitätim Baltikum im Mittelpunkt.


Chronologie 1396. OktoberDie Kantone wollen in<strong>for</strong>miert und angehört werden, wenn dieAussenpolitik kantonale Fragen berührt. Der abtretende und derneue Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen, EricHonegger und Hanswalter Schmid, stellen den Entwurf für einRahmengesetz vor, das Bund und Kantone gemeinsam erarbeitethaben. Die Kantone wirken demnach überall dort in der Aussenpolitikmit, wo ihre eigenen Aufgaben tangiert werden.6. OktoberDie eidgenössischen Räte verabschieden das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz(Regierungsre<strong>for</strong>m 1993) mit 91 zu 62und 40 zu 2 Stimmen. Ein am gleichen Tag gebildetes "Komitee gegeneine aufgeblähte Bundesverwaltung mit überflüssigen Staatssekretären"unter der Kopräsidentschaft von vier rechtsbürgerlichenNationalräten will dagegen das Referendum ergreifen.6. OktoberDas Parlament verabschiedet die neue Ämterstruktur im Zusammenhangmit der EMD-Re<strong>for</strong>m 1995 - mit 176 zu 0 und 44 zu0 Stimmen sowie das Zivildienstgesetz - mit 169 zu 10 und 40 zu0 Stimmen: Wer Zivildienst leisten will, muss seine Gewissensnotvor einer vom Bundesrat eingesetzten Kommission persönlichglaubhaft machen.9. OktoberDas französische und das türkische Generalkonsulat in <strong>Zürich</strong>werden bis Ende Jahr von Angehörigen des Festungswachtkorps(FWK) bewacht. Die Armeeangehörigen werden vom EidgenössischenMilitärdepartement der Stadtpolizei <strong>Zürich</strong> zur Verfügunggestellt. Der Entscheid beruht auf einer vom Bundesrat verabschiedetenWeisung, den Schutz der ausländischen diplomatischenVertretungen in der Schweiz zu verbessern. Die beiden Generalkonsulatesind in den letzten Monaten wiederholt bei Demonstrationenbedroht worden, vor allem wegen der türkischen Kurdenpolitikund der französischen Atombombentests.11. OktoberDer Schweizer Botschafter bei der Uno-Abrüstungskonferenz inGenf, Friedrich Moser, wird abgelöst. Moser hatte mit seiner Kritik


140 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikan der Wiederaufnahme der französischen Atomtests auf demMururoa-Atoll vor dem Uno-Gremium Ende Juni für Aufregunggesorgt. Die Schweizer Mission in Genf begründet die Ablösung mitRestrukturierungsmassnahmen.12. OktoberDie beiden Professoren Urs Altermatt und Hanspeter Kriesi veröffentlicheneine von Bundesrat Arnold Koller in Auftrag gegebeneStudie mit dem Titel "Rechtsextremismus in der Schweiz". Darinkommen sie zum Schluss, die rechtsextreme Szene sei in derSchweiz zahlenmässig klein und organisatorisch schwach. Die Autorenwarnen aber trotzdem davor, das Phänomen zu verharmlosen.Tags darauf kritisieren die drei bürgerlichen BundesratsparteienSVP, FDP und CVP den Bericht und verurteilen ihn als politischeStimmungsmache vor den Wahlen. Die drei Parteien störensich vor allem an der Aussage, die etablierte Rechte versuche mitder Annäherung ihrer eigenen Themen an diejenigen der emporstrebendenRivalen, das rechtsradikale Potential zurückzugewinnen.Die Freiheits-Partei der Schweiz (FPS) will gar rechtlicheSchritte gegen die Verfasser prüfen.13. OktoberIn Wien scheitert die Uno-Revisionskonferenz der 1980 abgefasstenKonvention über bestimmte konventionelle Waffen - darunter Personenminen.Den Vorschlag der westlichen Industriestaaten,Streuminen, die keinen Selbstzerstörungsmechanismus besitzen,zu verbieten, lehnt eine andere Staatengruppe - unter anderem mitRussland, China, Indien, Pakistan und Mexiko - ab.15. OktoberDie "SonntagsZeitung" berichtet von einem vertraulichen Expertenpapier,wonach der Rat für Gesamtverteidigung keine Umwandlungdes eidgenössischen Militärdepartements in ein Sicherheitsdepartementwünsche. Das einflussreiche Gremium <strong>for</strong>dert dafür einenStaatssekretär für Sicherheitspolitik, der aber nicht dem EMD,sondern Justizminister Arnold Koller unterstellt sein soll.18. OktoberIn einer Mitteilung wehrt sich die Ems-Chemie Holding AG vonSVP-Nationalrat Christoph Blocher gegen die Behauptung des US-


Chronologie 141Verteidigungsministeriums, zwei der drei in der Schweiz produziertenTypen von Personenminen würden von der zur EmserGruppe gehörenden Firma Patvag AG hergestellt. In der Mitteilungheisst es, die Firma behalte sich rechtliche Schritte vor, falls"Personenminen widerrechtlich den Beinamen Patvag führen, derzur Verwechslung mit der Firma Ems-Patvag AG Anlass gebenkann." Nach einem Gespräch zwischen Patvag-Vertretern und derUS-Botschaft in Bern Anfang November wird die Ems-Patvag AGvon den USA vom Vorwurf entlastet.19. OktoberNach Budapest und Wien findet das dritte diesjährige Treffen derOSZE-Troika in Genf statt. Der amtierende Vorsitzende, der ungarischeAussenminister Laszlo Kovacs, dessen Vorgänger, der italienischeVizeaussenminister Emanuele Scammacca del Murgo,sowie der künftige Vorsitzende, Bundesrat Flavio Cotti, besprechenunter anderem die Lage in Nagorno-Karabach und in Tschetscheniensowie die Rolle der OSZE in Ex-Jugoslawien.22. OktoberBei den eidgenössischen Parlamentswahlen kommt es bei einerkleineren Stimmbeteiligung als je zuvor (42,25%) zu einem für dieSchweiz ungewöhnlich deutlichen Sieg der SozialdemokratischenPartei der Schweiz. Die grossen Verlierer sind die Nicht-Bundesratsparteien.Die SPS wird mit 54 Sitzen (+12) stärkste Partei imNationalrat. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) gewinnt vierund die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) einen Sitz, währenddie Christlichdemokratische Volkspartei zwei Sitze verliert.Die Vertretung der vier Bundesratsparteien im Nationalrat steigtdamit auf 81%. Bei den Ständeratswahlen gibt es nur geringfügigeSitzverschiebungen.22. OktoberAn den Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Uno in New Yorklässt sich der Bundesrat durch Staatssekretär Jakob Kellenbergervom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten(EDA) vertreten. In seiner Rede betont der Vertreter der Schweizdie Bemühungen der Schweizer Regierung, den Uno-Beitritt zueinem Ziel ihrer Aussenpolitik zu machen.


142 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitik27. OktoberBundesrat Arnold Koller diskutiert in Paris anlässlich eines Arbeitstreffensmit Justizminister Jacques Toubon und InnenministerJean-Louis Debré über die Verbesserung der gegenseitigen Rechtshilfe,über die Auslieferungsprozeduren, die Folgen des SchengenerAbkommens für die Schweiz sowie über die polizeiliche Zusammenarbeitbei der Terrorismusbekämpfung. Das wichtigste Ergebnis istdabei eine Absichtserklärung, ein bilaterales Zusatzprotokoll zurEuropäischen Rechtshilfekonvention von 1967 auszuhandeln, umbisherigen Schwierigkeiten abzuhelfen und um das Rekursrecht zugarantieren.29. Oktober - 5. NovemberBundesrat Jean-Pascal Delamuraz weilt mit einer 39köpfigen, vorallem aus Wirtschaftsvertretern bestehenden Delegation in derVolksrepublik China. Er wird dabei unter anderem von StaatspräsidentJiang Zemin empfangen. Gespräche mit der AussenhandelsministerinWu Yi resultieren in einem Abkommen über einenMischkredit in Höhe von 60 Mio. Franken. Weiter sichert der chinesischeVizepremier Zhu Rongji der Swissair die permanenteLandeerlaubnis in Schanghai zu. Delamuraz ist nach Flavio Cottiund Ruth Dreifuss bereits der dritte Bundesrat, der in diesem JahrChina besucht.30. OktoberDer Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei, AntonCottier, wünscht sich einen Schulterschluss der CVP mit der Freisinnig-DemokratischenPartei (FDP). In einem an die FDP Schweizgerichteten Referat vor der Presse in Freiburg sagt Cottier, dasMitte-Rechts-Lager müsse nach dem nationalen Wahlsieg derLinks- und Rechtspole SPS und SVP diesen die politische Initiativeentreissen, die gegenseitige Blockierung von SPS und SVPüberwinden und die Führung übernehmen.2. - 3. NovemberDer neue Chef des Eidgenössischen Militärdepartementes, BundesratAdolf Ogi, weilt zu einem zweitägigen Besuch in England.Hauptpunkte bei Gesprächen mit dem britischen VerteidigungsministerMichael Portillo und weiteren Vertretern des Verteidigungsministeriumssind Menschenrechte, Krisenbewältigung,


Chronologie 143Sicherheitsmodelle der Zukunft sowie die Beziehungen zwischenUno und OSZE, aber auch Budgetkürzungen sowie der gegenseitigeAustausch von Offizieren und Piloten zu Trainings- und Ausbildungszwecken.Zudem versichert Ogi seinem Amtskollegen, dieSchweiz werde 1996 über eine Teilnahme am Nato-Angebot "Partnerschaftfür den Frieden" entscheiden.4. NovemberDer "Schweizerische Arbeitskreis Militär und Sozialwissenschaften"(SAMS) diskutiert an seiner Herbsttagung in Spiez den schweizerischenPlatz in der europäischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit.Dabei wird einstimmig ge<strong>for</strong>dert, der Bundesrat solle dasNato-Angebot einer "Partnerschaft für den Frieden" annehmen.Gleichzeitig soll er dem Volk den nach dem Ende des KaltenKrieges gesunkenen Stellenwert der Neutralität erläutern.8. NovemberDer Bundesrat leitet den Jahresbericht über die Zusammenarbeitmit Mittelosteuropa und den GUS-Ländern an das Parlament weiter.Die Mittel für technische Zusammenarbeit mit Osteuropa sollenkünftig zur Hälfte in den Balkan und zu 35 Prozent in Zentralasieneingesetzt werden. Den bisherigen Schwerpunktländern inMitteleuropa fliessen nur noch 10 Prozent zu.9. NovemberAussenminister Flavio Cotti weilt in Ottawa und Washington beiseinen Amtskollegen André Quellet und Warren Christopher zuGesprächen über den nächstjährigen Schweizer Vorsitz in der Organisationfür Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).Im Mittelpunkt steht die Rolle der OSZE im Friedensprozess inBosnien. In den USA gibt Bundesrat Flavio Cotti an einer Pressekonferenzbekannt, dass der Schweizer Brigadier Peter Arbenz zumMitglied einer OSZE-Expertengruppe ernannt wurde, welche dietechnischen Aspekte des OSZE-Mandats in Bosnien vorbereitensoll.9. NovemberDer Generalsekretär des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes(EJPD), Armin Walpen, Bundesanwältin Carla DelPonte und Bundespolizei-Chef Urs von Daeniken stellen an einer


144 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikPressekonferenz den Staatsschutzbericht 1993/94 vor. Der Berichtder Bundespolizei kommt zum Schluss, die Sicherheitslage derSchweiz sei insgesamt nicht alarmierend, die Bedrohung durchorganisiertes Verbrechen und Nuklearkriminalität, durch Ausländer-und Rechtsextremismus zeige aber eine steigende Tendenz.10. NovemberBundesrat Flavio Cotti trifft zu Gesprächen mit seinem AmtskollegenKlaus Kinkel in Bonn ein. Der deutsche Aussenminister sichertder Schweiz die Unterstützung Deutschlands für die bilateralenVerhandlungen mit der Europäischen Union zu und äussertseine Überzeugung, die Schweiz sollte möglichst bald Mitglied derEU werden.15. NovemberDas Eidgenössische Militärdepartement (EMD) teilt mit, dass derBundesrat im Rahmen der Verordnung über Aufgaben und Organisationdes Dienstes für Militärische Sicherheit neu die Polizeikräfteder Armee in einem 800 Mann starken Bataillon zusammenzieht.Die schnell mobilisierbare Einheit ist unter anderem fürden Schutz des Bundesrats in Krisensituationen, für den Schutzmilitärischer Einrichtungen vor Sabotageakten oder für den Schutzdiplomatischer Konferenzen in der Schweiz zuständig. DivisionärMartin von Orelli betont vor der Presse, das Militärpolizeibataillon,welches mit der Armee 95 das frühere Heerespolizeibataillon abgelösthat, sei keine verkappte Bundessicherheitspolizei.15. NovemberDer Bundesrat verschärft nach der Hinrichtung des MenschenrechtlersKen Saro-Wiwa und acht seiner Mitstreiter die Visumspraxisgegenüber Nigeria. Zudem will sich die Schweiz Weltbankkreditenfür das afrikanische Land widersetzen. Bereits am11. November hat das Eidgenössische Departement für auswärtigeAngelegenheiten (EDA) seinen Botschafter aus Nigeria zurückgerufen.Wie Vizekanzler Achille Casanova vor der Presse mitteilt,würden weitere Sanktionen gegen Nigeria in Abstimmung mit denAktivitäten anderer Staaten geprüft.


Chronologie 14518. NovemberZum Abschluss der vierten Eidgenössischen Jugendsession verabschiedendie rund 200 Jugendlichen im Bundeshaus sechs Petitionenund setzen sich unter anderem für einen raschen Beitritt derSchweiz zur Europäischen Union ein.21. NovemberIn Genf kommt es am Rande eines Defilees des Infanterieregimentes3 zu Zusammenstössen zwischen krawallierenden Demonstrantenund der Polizei, welche zum Schutz des Infanterieregimentesaufgeboten worden war. Trotz einer Resolution des Genfer Stadtparlamentsam 17. Oktober und einer Petition der Gruppe für eineSchweiz ohne Armee (GSoA), die beide vom Regierungsrat die Annullierungder Militärparade verlangt hatten, hatte die Kantonsregierungdie Durchführung erlaubt.24. NovemberDer Chef des Eidgenössischen Militärdepartementes (EMD), BundesratAdolf Ogi, erklärt für die Schweiz einen einseitigen Verzichtauf Besitz und Einsatz von Personenminen. Nach diesem Entscheidkann sich die Schweiz laut EMD stärker für ein internationalesPersonenminenverbot einsetzen.24. NovemberDie Schweiz setzt das 1992 verhängte Wirtschaftsembargo gegenSerbien und Montenegro ab 25. November - mit Ausnahme von Rüstungsexporten- aus. Damit reagiert der Bundesrat auf das Friedensabkommenvon Dayton vom 21. November und folgt der entsprechendenResolution des Uno-Sicherheitsrates vom 22. November.Gegenüber den serbisch besetzten Gebieten in Bosnien-Herzegowinableibt das Embargo vorderhand bestehen.27. NovemberDer deutsche Innenminister Manfred Kanther und der JustizministerArnold Koller unterzeichnen einen Vertrag über ein "kooperativesSicherheitssystem", welches gemeinsame Grenzkontrollen undLageanalysen, eine abgestimmte Einsatzplanung und gemischt besetzteKontrollstellen vorsieht. Damit reagiert die Schweiz auf dasSchengener Abkommen, das seit dem 26. März unter anderem dieverstärkte Zusammenarbeit von Justiz und Polizei an den gemein-


146 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiksamen Binnengrenzen der meisten umliegenden Staaten regelt,dem die Schweiz aber als Nicht-EU-Mitglied nicht beitreten kann.28. NovemberBundesrat Flavio Cotti weilt zu einem Arbeitsbesuch in Moskau, woer mit dem russischen Ministerpräsidenten Tschernomyrdin, AussenministerKosyrew und Präsident Jelzins Stabschef Filatowzusammentrifft. Im Vordergrund der Gespräche steht die SchweizerOSZE-Präsidentschaft im kommenden Jahr. Zudem wird einAbkommen über technische und finanzielle Zusammenarbeit zwischenden beiden Staaten unterzeichnet.28. NovemberDie Sicherheitskommission des Nationalrates schliesst die Vorberatungdes Kriegsmaterialgesetzes und des Gesetzes über die Güterkontrolleab, nachdem sie am 7. November den im Sommer fürPräzisierungen an den Bundesrat zurückgewiesenen Entwurf fürdas Gesetz mit 15 zu 8 Stimmen akzeptiert hat. Darin hat die Kommissiondurch die Verengung des Begriffs "Kriegsmaterial" den Exportvon Schiessimulatoren, Brückenmaterial, Ortungs- und Beobachtungsgeräten,Überwachungssystemen und ABC-Schutzausrüstungenvon der Bewilligungspflicht ausgenommen. Mit knappen11 zu 10 Stimmen und 2 Enthaltungen unterstellt die Kommissiondie Trainingsflugzeuge vom Typ PC-7 und PC-9 dem Kriegsmaterialgesetz,sofern sie mehr als zwei Haltepunkte unter den Flügelnaufweisen.29. NovemberDer Bundesrat stimmt der Gründung der Stiftung "Genfer Zentrumfür Sicherheitspolitik" (GZS) zu. Das Eidgenössische Militärdepartement(EMD) wird das in einem detaillierten Konzept vorliegendeProjekt in enger Kooperation mit dem Departement für auswärtigeAngelegenheiten (EDA) und weiteren in- und ausländischen Partnernrealisieren. In Anlehnung an den "Bericht 90" soll dieses neueZentrum einem wachsenden Bedürfnis nach praxisorientiertersicherheitspolitischer Aus- und Weiterbildung von Beamten, Diplomatenund Offizieren in Schlüsselfunktionen gerecht werden.


Forschungsprojekte


Sicherheitspolitische Forschung 1995Die folgende Liste von Forschungsprojekten umfasst Arbeiten aufdem Gebiet der Aussen- und Sicherheitspolitik, die an schweizerischenInstitutionen laufen oder kürzlich abgeschlossen wurden. DerRahmen wurde dabei bewusst weit gesteckt, um Vernetzungen mitverwandten Bereichen aufzeigen zu können. Die Projekte sind nachden Namen der beteiligten Forscher alphabetisch geordnet. DieListe beruht auf einer Umfrage, die der Schweizerische In<strong>for</strong>mations-und Daten-Archivdienst für die Sozialwissenschaften (Sidos),Neuchâtel, regelmässig durchführt. Die Forschungsstelle fürSicherheitspolitik und Konfliktanalyse konnte sich dieser Umfrageanschliessen und dankt Sidos für dieses Entgegenkommen.Diese Erhebung ist auch in elektronischer Form auf dem Internetverfügbar. Die Adresse für jeden WWW-Reader (zum Beispiel Mosaic,Netscape) lautet:http://www.fsk.ethz.ch/fsk/bulle_95/b95_<strong>for</strong>s.htmAutoren: Jean Batou (resp.), P. Bairoch, R. Boyer, M. Juillard,H. SzlajferTitel:Indicateurs de la vitalité des nations. L’Europe, lesÉtats-Unis et le Japon au XXe siècleKurzbeschrieb: Constitution d'une banque de données relative àl'évolution des "Indicateurs de Vitalité", sélectionnés(22 pays européens, Les États-Unis et le Japon).Rapport final avec les principaux résultats concernantchaque pays, groupe de pays et périodes historiquesconsidérées. Mise en évidence des facteurs(économiques, sociaux, politiques, culturels, etc.) entravantou stimulant le développement. Tenue d'uncolloque international visant à analyser et à discuterces résultats.Zeitraum: 1910-1990Art des Projekts: Recherche de(s) institution(s) précitée(s)Stand:En coursAbschlusstermin: 1996/07Kontaktadressen: Université de LausanneInstitut de recherches interdisciplinaires - IRI


Forschungsprojekte 151Publikationen:BFSH21015 LausanneUniversité de GenèveDépartement d'histoire économique et socialeBd Carl-Vogt 1021211 Genève 4Batou, Jean; David, Thomas; Monney, Daniel: Le développementde l'Europe dans l'entre-deux-guerres:des expériences économiques et sociales contrastées/European Development in the Interwar Period: ContrastingSocial and Economic Experiences. In: Monographiedu Centre d'Histoire Economique Internationale,N.8, Genève.Batou, Jean; David, Thomas: Nationalisme économiqueet industrialisation de la périphérie européenne,XIXe-XXe siécles. In: Perry Anderson, Paul Bairoch,Carlo Ginzburg et Eric J. Hobsbawn (sous la dir.):Histoire de l'Europe, vol. IV: XIXe et XXe siècles,Turin, Einaudi, 1996.Batou, Jean: Les deux Europes au vingt-deux visages,1937-1970. Contribution à l'étude du développementinégal. In: B. Etemad, J. Batou et T. David (sous ladir. de), Pour une histoire économique et socialeinternationale. Mélanges offerts à Paul Bairoch àl'occasion de son 65e anniversaire, Ed. Passé Présent,Genève, 1995.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Jean Batou (resp.) (a), Thomas David (a), DanielMonney (a), Luca Pellegrini (a), Magdalena Rosende(a)Le développement inégal de l’Europe au XXe siècleMise au point d'une méthode permettant s'isoler, demesurer, de comparer (dans l'espace et dans le temps)les différents attributs du développement économiqueet social. Mise en évidence des modalités et des rythmesdu développement des pays et régions d'Europeau XXe siècle, avec une attention particulière auxfacteurs extra-économiques, ainsi qu'au caractèreinégal et discontinu du processus dans le temps, dansl'espace et dans la profondeur du champs social.Meilleure compréhension des conditions et effets desmécanismes de la croissance et des crises, ainsi que


152 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikdes causalités pertinentes du développement inégaldans la longue durée.Zeitraum: 1910-1990Art des Projekts: Recherche subventionnée par le FNRSStand:En coursAbschlusstermin: 1998/03Kontaktadressen: Université de LausanneInstitut de recherches interdisciplinaires - IRIBFSH21015 Lausanne (a)Publikationen:Université de GenèveDépartement d'histoire économique et socialeBd Carl-Vogt 1021211 Genève 4 (b)Batou, Jean; David, Thomas; Monney, Daniel: Ledéveloppement de l'Europe dans l'entre-deux-guerres:des expériences économiques et sociales contrastées/European Development in the Interwar Period: ContrastingSocial and Economic Experiences. In: Monographiedu Centre d'Histoire Economique Internationale,N.8, Genève.Batou, Jean; David, Thomas: Nationalisme économiqueet industrialisation de la périphérie européenne,XIXe-XXe siécles. In: Perry Anderson, Paul Bairoch,Carlo Ginzburg et Eric J. Hobsbawn (sous la dir.):Histoire de l'Europe, vol. IV: XIXe et XXe siècles,Turin, Einaudi, 1996.Batou, Jean: Les deux Europes au vingt-deux visages,1937-1970. Contribution à l'étude du développementinégal. In: B. Etemad, J. Batou et T. David (sous ladir. de), Pour une histoire économique et socialeinternationale. Mélanges offerts à Paul Bairoch àl'occasion de son 65e anniversaire, Ed. Passé Présent,Genève, 1995.Autor:Titel:Kurzbeschrieb:Thomas BernauerUmweltschutzzusammenarbeit zwischen ungleichenStaaten: Strukturelle Asymmetrien und VerhandlungsstrategienDas Projekt untersucht die Möglichkeiten und Grenzender internationalen Zusammenarbeit von Staatenmit unterschiedlichen Interessen und unterschiedli-


Forschungsprojekte 153cher Macht. Es argumentiert, dass solche Asymmetrienim Umweltbereich durch vier VerhandlungsundLösungsstrategien bearbeitet werden:- Staaten schliessen Verträge ab, die dem kleinstengemeinsamen Nenner entsprechen.- Unterschiedliche Umweltschutzmassnahmen füreinzelne Staaten sowie Ausnahmeregelungen findenAnwendung.- Finanztransfers an weniger interessierte Staatenwerden durchgeführt.- Issue-linkages.Das Projekt entwirft eine Theorie, die erklärt, unterwelchen Umständen die eine oder andere dieserLösungs- und Verhandlungsstrategien zur Anwendungkommt, und mit welchem Resultat. Die theoretischenArgumente werden anhand von folgendenempirischen Fällen geprüft:- Zusammenarbeit der Rheinanliegerstaaten.- Zusammenarbeit im Bereich nukleare Sicherheit inEuropa.- Zusammenarbeit im Bereich Klimawechsel(climate change).- Zusammenarbeit im Bereich Luftverschmutzung inEuropa (acid rain).Art des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungStand:LaufendAbschlusstermin: 1995/12Kontaktadresse:Universität <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für politische WissenschaftAbteilung Internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Thomas Bernauer, Peter MoserReducing Pollution of the River Rhine: The Role ofTransboundary CooperationThe project evaluates whether and, if so, to whatextent transboundary cooperation between governments,municipalities, firms and other actors hascontributed to pollution reductions in the river Rhine.It is part of a larger project which compares theRhine basin with the Black-Triangle in EasternEurope.


154 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikArt des Projekts: Austria LaxenburgPartly funded by the International Institute ofApplied Systems Analysis (IIASA)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadresse:<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>Autoren: Thomas Bernauer, Dieter Ruloff, Jozef Goldblat, OlegStrekal, Amy SmithsonTitel:Positive Incentives in Arms ControlKurzbeschrieb: The project examines ways and means of coping withnuclear proliferation problems in the years to come.In particular, it focuses on the role of positive incentivesin reducing nuclear arsenals and preventing thefurther spread of nuclear weapons. For analyticalpurposes, positive incentives are conceptualized astransfers of money, technology or other resources.Other, arguably more vague types of positive incentivesin arms control, such as <strong>for</strong> example confidencebuilding measures, diplomatic recognition, or involvementin economic integration ef<strong>for</strong>ts, are consideredonly in passing because much has been written onthem already. The study explains when and how differenttypes of positive incentives are or might beemployed, and evaluates the effectiveness of thesemeasures. The analytical framework developed inthis chapter (Chapter One) serves as the basis <strong>for</strong> areview of positive incentives in a broader range armscontrol regimes (Chapter Two) and two in-depth casestudies of nuclear arms control in Ukraine andNorth-Korea (Chapters Three and Four).Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Partly funded by the Swiss GovernmentStand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadressen: <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>


Forschungsprojekte 155Universität <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für politische WissenschaftAbteilung Internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>Autoren: Thomas Bernauer (Leitung) (b), Dieter Ruloff(Leitung) (a), Patrick Schedler (a)Titel:International Trade and Environmental CooperationKurzbeschrieb: The project analyzes the interface between internationalregimes in the field of trade and regimes dealingwith the protection of the environment. It examineswhen, why and how conflicts between internationalregulatory goals in the two fields emerge andhow they have been or might be resolved. The theoreticalideas developed in the first part of the projectare empirically examined through case studies of theNorth American Free Trade Agreement (NAFTA), theEuropean Union, and the World Trade Organization(WTO)Art des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungStand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadressen: Universität <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für politische WissenschaftAbteilung Internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong> (a)<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong> (b)Autor:Titel:Kurzbeschrieb:Michele Coduri (Leitung)Les rapports entre la Suisse et la République Populairede Chine dans les années cinquanteAufgrund von Archivquellen und ausgewählterSekundärliteratur sollen die Beziehungen zwischender Volksrepublik China und der Schweiz analysiertwerden. In einer ersten Phase werden insbesonderedie Gründe und der Entscheidungsprozess unter-


156 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitiksucht, die zu einer raschen Anerkennung der Volksrepublikdurch die Schweiz führten. In einer zweitenPhase werden die Evolution der bilateralen Beziehungen,zuerst während des Koreakrieges und dannwährend der Tätigkeit der neutralen Missionen zurÜberwachung der Waffenstillstandsabkommen undzur Heimschaffung von Kriegsgefangenen, durchleuchtet.Zeitraum: 1949 - ca. 1957Art des Projekts: DissertationStand:LaufendAbschlusstermin: 1998/12Kontaktadresse:Publikation:Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenCoduri, Michele: I rapporti fra la Svizzera e laRepubblica Popolare Cinese 1950-1956. In: Studi efonti, Archivio Federale, Nr.21, 1995.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Barbara Düringer-Sulser, Dieter Ruloff (Leitung),Peter MoserUNIVOX 1993 und 1994: Thema Welt: Die Schweizund die WeltUNIVOX ist eine Sozial<strong>for</strong>schungs-Datenbank. Zusammenarbeitzwischen GfS-Forschungsinstitut undHochschulinstituten. Forschungsstelle für PolitischeWissenschaft, Abt. Internationale Beziehungen, bearbeitetden Bereich "Welt". Von Interesse ist dieMeinung und Befindlichkeit der Schweizer Bevölkerungbezüglich den internationalen Beziehungen.Themen der Erhebung 1993:- Internationale Zusammenarbeit: Erwünschte undunerwünschte Partnerländer, Grundmotive für internationaleZusammenarbeit, erwünschte und unerwünschteSachbereiche.- Selbstverständnis: Selbstverständnis, Präsentationnach aussen.Themen der Erhebung 1994:- Internationale Zusammenarbeit (wie 1993).- Abhängigkeit: Ursachen für Abhängigkeit nachSachbereichen, Zukunftserwartungen bezüglichAuslandabhängigkeit.


Forschungsprojekte 157- Aussenpolitik und Identität: Intensität nationalerMissionsvorstellungen, Zufriedenheit mit SchweizerAussenpolitik, Selbstverständnis.Zeitraum: Seit 1986 jährliche ErhebungArt des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungEigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:Kontaktadresse:LaufendUniversität <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für politische WissenschaftAbteilung Internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>Autor:Richard Friedli (resp.)Titel:Der Ruanda-Konflikt: multifaktorielle Analyse undsystemischer AnsatzKurzbeschrieb: historiques: les racines traditionnelles, la colonisation,l'indépendance, l'attaque du premier Facteursoctobre 1990 par le FPR, l'accord d'Arusha du 4 août1993, l'attentat du 6 avril 1994 à 20.30h, le génocide,l'opération turquoise (juillet-août 1994).- Facteurs économiques: l'évolution depuis l'indépendance.- Facteurs démographiques: l'explosion démographique,la population selon ethnies et régions, le phénomène"sida", la scolarisation.- Facteurs religieux: la religion traditionnelle et lechristianisme, l'imaginaire collectif.- Facteurs géopolitiques: le contexte international,l'approche régionale, les organisations internationales.- Les médias: la presse locale, les radios, les médiasinternationaux.- La psychologie de masse: la mémoire collective.- Les phases suivantes sont prévues pour l'année1996: les analyses pluri-facteurielles vont être reliéessystématiquement; le mot clé "anomie" va êtreflexibilisé selon des modèles d'escalations des conflits;des acteurs de médiation individuels et sociauxvont être nommés et rendus apte.Zeitraum: 1990-1994Stand:En coursAbschlusstermin: 1995/11


158 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikKontaktadresse:Université de FribourgScience des religionsRoute d'Englisberg 91763 Granges-PaccotAutoren: H.G. Graf (Leitung), H. Hauser, R. SütterlinTitel:Auswirkungen der Uruguay-Runde auf die Regionen:Berechnung aufgrund von Beschäftigtenanteilen undBranchenkennzahlenKurzbeschrieb: Die Studie ermittelt die Auswirkungen der Uruguay-Runde auf die Regionen der Schweiz. Ziel ist es, fürdie einzelnen Kantone und Regionen eine Sensitivitätzu berechnen, welche die erwarteten Auswirkungender neuen GATT-Abkommen aufzeigt. Die Studiemusste die folgenden Themen analysieren:- Bedeutung der neuen GATT-Abkommen für dieSchweiz.- Direkte Sensitivität der Kantone.- Die Sensitivität der MS-Regionen.- Indirekte Auswirkungen.Zeitraum: Die Wirkungen sind auf einen mittelfristigen Zeitraumvon 5 bis 10 Jahren abgestellt.Art des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungStand:AchevéAbschlusstermin: 1994/07Kontaktadresse: Hochschule St. GallenSt. Galler Zentrum für Zukunfts<strong>for</strong>schungDufourstrasse 309000 St. GallenPublikation: Graf, H.G.Hauser, H.Sütterlin, R.: Auswirkungen derUruguay-Runde auf die Regionen: Berechnung aufgrundvon Beschäftigtenanteilen und Branchenkenntnissen.St. Galler Zentrum für Zukunfts<strong>for</strong>schung(SGZZ) und Schweiz. Institut für Aussenwirtschafts-,Struktur- und Regional<strong>for</strong>schung (SIASR),St. Gallen, Juli 1994.Autoren:Titel:Karl W. Haltiner (Leitung), Luca BertossaSicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbildungim Trend


Forschungsprojekte 159Kurzbeschrieb: Die Studie thematisiert Trends und Tendenzen dersicherheitspolitischen Meinungsbildung. Es werdeninsbesondere folgende Sachverhalte behandelt: Zukunftseinschätzungund allgemeines Sicherheitsgefühl,sicherheitspolitische Aspekte der internationalenKooperation der Schweiz, Vertrauen in die wichtigstenInstitutionen der Schweiz, Legitimation undwahrgenommene Effektivität der Landesverteidigung,gesellschaftliche Bewertung des Militärs undsicherheitspolitischer In<strong>for</strong>mationsstand. Die Studieversteht sich als Trendreport.Zeitraum: 1. Semester 1996Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:GeplantAbschlusstermin: 1996/09Kontaktadresse:<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101b8804 Au/WädenswilAutoren: Karl W. Haltiner (Leitung), Ruth Meyer Schweizer,Luca BertossaTitel:Werte und Lebenschancen im WandelKurzbeschrieb: Erfassung grundlegender Wertvorstellungen zwanzigjährigerErwachsener in den LebensbereichenBeruf, Familie, Öffentlichkeit. Partielle Wiederholungder im Rahmen der Rekrutenprüfungen 1979durch das Institut für Soziologie der Universität Berndurchgeführten Jugendbefragung 1979. (Vgl. MeyerRuth u.a., Fragen an die Zukunft. Band 6 der wissenschaftlichenReihe der Pädagogischen Rekrutenprüfungen,Aarau 1982). Es wird dabei versucht, folgendeFragen zu beantworten: Unter welchen Bedingungenwuchsen die Zwanzigjährigen des Jahres1979 auf? Welche Schulen besuchten sie? WelcheProbleme stellten sich ihnen beim Eintritt ins Berufsleben?Welches sind ihre beruflichen Ziele und Wertvorstellungen?Wie weit glauben sie, diese verwirklichenzu können? Mit welchen Absichten und welchemInteresse gehen sie an politische Fragen heran? WelchesBild haben sie von der Zukunft, welche Chancenund welchen Sinn sehen sie in ihr?Zeitraum: 1994


160 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikArt des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungEigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadresse: <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101b8804 Au/WädenswilAutor:Julian Thomas Hottinger (resp.)Titel:Vergleichende Studie über das Verhalten der viergrössten politischen Parteien in den sechs französischsprachigenKantonen der Schweiz gegenüber dereuropäischen Integration (1972-92)Kurzbeschrieb: En guise de trame réflexive nous nous demandons si,par le biais de la déconstruction de la question d'intégrationeuropéenne en huit points bien spécifiques, ledébat européen se trouve considérablement enrichipar l'irruption des partis politiques, tout en sachantque les motifs qui l'animent sont d'apports internes.En effet, le champ symbolique sur lequel partis politiquess'appuient se présente largement comme larésultante d'un déplacement de projets et champspolitiques cantonaux ou nationaux. Les partis veulentanimer un débat européen en se transplantant surune scène européenne, dont ils ne sont pas issus. Abstractionfaite des enjeux de pouvoir - qui à ce niveausont encore bien minces -, il y a là une situation <strong>for</strong>tdifférente de celle que constituent les systèmes politiquesdes divers pays membres: la complexité et l'hétérogénéitédu système institutionnel suisse.Zeitraum: 1972-1992Art des Projekts: ThèseStand:En coursAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadresse: Université de LausanneInstitut d'Etudes politiques et internationalesBFSH21015 LausanneAutoren:Ueli Huber (Leitung), Bernhard Brunner (Leitung)


Forschungsprojekte 161Titel:BC-Waffen, Einwirkung und Schutz (technische Bedrohungsanalyse)Kurzbeschrieb: Laufende Beurteilung wissenschaftlich-technischerAspekte der Bedrohung durch aktuelle und potentiellechemische Kampfstoffe. Abschätzung der Bedeutungund Gefährdung durch BC-Waffen-Einsätze,Proliferation, Sabotage-, Terrorhandlungen und Erpressungsmöglichkeiten.Erarbeitung von Grundlagenfür Schutzmassnahmen, umfassend den Nachweis,den physikalischen und medikamentösenSchutz und die Entgiftung.Zeitraum: Aktuell bis in die Beginne der BC-Waffen zurückreichendArt des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendKontaktadresse: Gruppe für RüstungAC-LaboratoriumAC-Zentrum3700 SpiezPublikationen: Portmann, R.: Medical Treatment Research and Development.Paper CB MTS 1.Aue, W.P.Dutoit, J.-C.Niederhauser, A.Schweizer,W.: Evaluation of Transportable Analytical Instrumentation<strong>for</strong> Inspections unter the ChemicalWeapons Convention at Chemical Production Sites.Paper für Chemical Protection Symposium, Stockholm,Juni 1995.Portmann, R.Holzer, R.: A Semiautomatic AlternativeToxicity Assay. Paper für Chemical ProtectionSymposium, Stockholm, Juni 1995Fässler, M.: Study on the Assessment of Dual UseBiotechnological Production Plants. Paper für ChemicalProtection Symposium, Stockholm, Juni 1995.Portmann, R.Hirsch, A.Wellenreiter, A.: Mehrgefässanordnungzur Instrumental-Analyse.Portmann, R.Leumann, M.Thommen, S.: Verfahrenund Vorrichtung zur Bestimmung der Toxizität sowiederen Verwendung.Autoren:Titel:Gregor Husi (Leitung), Marcel Meier Kressig(Leitung)Freiheit, Gleichheit, Sicherheit - Zur Soziologie einerschwierigen Dreiheit


162 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikKurzbeschrieb: Freiheit, Gleichheit und Sicherheit sind spätestensseit der Französischen Revolution die zentralenWerte moderner Gesellschaften. Anhand ihrer hältsich die Moderne einen Spiegel vor, der sie die Kluftzwischen gesellschaftlichen Versprechen und sozialerWirklichkeit erkennen lässt. Beobachtet die Soziologiediesen Zusammenhang, so mag sie Modernisierungvornehmlich als Werteverwirklichung begreifen.Ihre bisherigen Ausführungen zur Realisierung vonFreiheit, Gleichheit und Sicherheit werden in einensystematischen Kontext gestellt, um einen theoretischenRahmen zu gewinnen, mittels dessen Defiziteder Werteverwirklichung aufgespürt werden können.Die Arbeit beinhaltet nach einführenden kurzenBegriffsgeschichten handlungs-, zeit- und gesellschaftstheoretischeErläuterungen, einen Exkursüber Modernisierung und die Moderne(n) sowie ausführlicheDarstellungen verschiedener soziologischerZugänge zur gewählten Begriffstriade. Das Konzeptder Lebenslagen und der Lebensverläufe als Abfolgevon Lebenslagen soll dabei den Blick für die mannigfaltigenFreiheiten und Unfreiheiten, Gleichheitenund Ungleichheiten, Sicherheiten und Unsicherheitenöffnen.Art des Projekts: DissertationStand:Kontaktadresse:LaufendUniversität <strong>Zürich</strong>Soziologisches InstitutRämistrasse 698001 <strong>Zürich</strong>Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Max Keller (Leitung), Bernhard Brunner (Leitung)A-Waffen, Einwirkung und Schutz (technische Bedrohungsanalyse)Bearbeitung wissenschaftlich-technischer Aspekteder nuklearen Bedrohung. Verfolgen der Entwicklungbei A-Abrüstung, A-Proliferationskontrolle undA-Verifikation. Abschätzung der Bedeutung undGefährdung durch nukleare Proliferation, Sabotage-,Terrorhandlungen und Erpressungsmöglichkeiten.Zur Hauptsache aber: Durchführung von Grundlagenarbeitenauf dem Gebiet der bei A-Explosionen/


Forschungsprojekte 163zivilen A-Katastrophen auftretenden Effekte und desSchutzes vor deren Auswirkungen.Zeitraum: Aktuell, bis in die Anfänge der A-Waffe zurückreichendArt des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendKontaktadresse: Gruppe für RüstungAC-LaboratoriumAC-Zentrum3700 SpiezPublikation: Anet, B.: Die Nukleare Bedrohung im Wandel.Schriftenreihe des AC-Laboratoriums Spiez: "Hintergrundin<strong>for</strong>mationzur ABC-Waffe", ACLS 9315.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:H.-U. Kneubühler, Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (Leitung), Kurt Imhof, Gaetano Romano, M.Eisenegger, H. Karl, Ph. Merkhofer, Ch. IseleFremdenfeindlichkeit und Fremdenangst: ZurSemantik des Fremden im öffentlichen DiskursEs interessieren die Konjunkturen der Problematisierungdes "Fremden" im öffentlichen Diskurs. Diesvor dem Hintergrund einer Theorie diskontinuierlichensozialen Wandels: soziale Krisenphasen sind –so die Annahme – zugleich Phasen erhöhter Virulenzfremdenfeindlicher Diskurse. Die Problematisierungdes Fremden in sozialen Krisenphasen lässt sich entsprechendals Indikator der krisenbedingt verunsichertensozialen Identitäten von Gesellschaften verstehen.Untersucht werden einerseits bereits verfügbareUnterlagen, die im Zusammenhang desNationalfondsprojekts "Krise und sozialer Wandel.Analyse von Medienereignissen in der Schweiz"(Forschungsstelle für Schweizerische Sozial- undWirtschaftsgeschichte, in Zusammenarbeit mit demSoziologischen Institut der Universität <strong>Zürich</strong>) erhobenworden sind: Diesbezüglich interessiert insbesonderedie Thematisierung der "Ausländerfrage" imRahmen der im Projekt "Krise und sozialer Wandel"analysierten Printmedien (Tages-Anzeiger; NeueZürcher Zeitung; Vaterland; Tagwacht; Blick).Darüber hinaus werden (deutschschweizerische) Organeder sich in den sechziger Jahren herauskristallisierendenÜberfremdungsparteien neu erhoben


164 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikbzw. analysiert. Ziel ist die – inhaltsanalytische –Rekonstruktion des massenmedialen Diskurses überdas Fremde im Zeitraum von 1960 bis in die unmittelbareGegenwart.Zeitraum: 1961-1994Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1996/04Kontaktadresse:Universität <strong>Zürich</strong>Soziologisches InstitutRämistrasse 698001 <strong>Zürich</strong>Autorin: Silvia Kobi (resp.)Titel:Unterschiede der Denkweise zwischen politischerKlasse und Bürger? Der Fall der eidgenössischenAbstimmungen in der Schweiz, 1979-1995Kurzbeschrieb: Thèse de doctorat comprenant une partie théorique(système politique suisse: entre ouverture et sélectivité;néo-corporatisme; populisme; crise de légitimitéou de représentation...) et une partie empirique(analyse de discours politiques, donc approche herméneutique,combinée avec analyse statistique dedonnées agrégées).Zeitraum: 1979-1995Art des Projekts: ThèseStand:En coursAbschlusstermin: 1996/06Kontaktadresse: Université de LausanneInstitut d'Etudes politiques et internationalesBFSH21015 LausannePublikationen: Kobi, Silvia: Les "Neinsager" dans le processus référendairesuisse: des variations sur un thème mythique.In: Travaux de Sciences Politique; Nouvellesérie, nº 3, Université de Lausanne, Lausanne, 1991.Kobi, Silvia: Entre pédagogie politique et démagogiepopuliste. In: Revue Mots, Nr. 43, 1995, p. 33-50.Kobi, Silvia: Le "peuple" dans le discours politiquesuisse: un acteur polyvalent. Communicationprésentée au Congrès annuel de l'ASSP, Balsthal,novembre 1992.


Forschungsprojekte 165Papadopoulos, Yannis; Kobi, Silvia: A propos dupopulisme: négation ou prolongement de la démocratie?En préparation.Autor:Blaise Lempen (resp.)Titel:In<strong>for</strong>matisierung der Gesellschaft. Politische undsoziale AspekteKurzbeschrieb: Problématique des conséquences politiques et socialesde l'in<strong>for</strong>matisation de la société: la révolution électroniqueprovoque-t-elle ou non un changement desociété? Si oui, lequel?Art des Projekts: Recherche personnelleStand:En coursKontaktadresse: Université de LausanneInstitut de science politiqueBFSH21015 LausannePublikationen: Lempen, Blaise: Les enjeux politiques et sociaux del'in<strong>for</strong>matique. Les éditions d'organisation, Paris1990.Lempen, Blaise: In<strong>for</strong>matique et démocratie. Payot,Lausanne. 1987.Lempen, Blaise: Révolution in<strong>for</strong>matique et changementsocial. Réalités sociales, Lausanne, 1995.Autor:Manfred Linke (Leitung)Titel:Schweizerische Aussenpolitik der NachkriegszeitKurzbeschrieb: Kommentierte Übersicht anhand der Ausführung desBundesrates zur Aussenpolitik und ausgewählter Sekundärliteratur.Zeitraum: 1945-1994Art des Projekts: DissertationStand:AbgeschlossenAbschlusstermin: 1995/04Kontaktadresse: Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenPublikation: Linke, Manfred: Schweizerische Aussenpolitik derNachkriegszeit. Verlag Rüegger, Chur/<strong>Zürich</strong>, 1995,708 S.


166 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAutor:Jan Metzger (Leitung)Titel:Die Milizidee im klassischen Republikanismus: IhrNiederschlag im kolonialen politischen Denken vorund während der Amerikanischen RevolutionKurzbeschrieb: Das mit der Amerikanischen Revolution verbundenepolitische Denken ist weniger Ausdruck eines neuen,modernen Politikverständnisses, als vielmehr gleichzeitigerEnd- und Höhepunkt eines im Florenz deritalienischen Renaissance geborenen, vornehmlichaus antiken Quellen schöpfenden klassischen Republikanismus.Das Ziel der Dissertation besteht darin, den Milizgedankenim klassisch republikanischen Paradigma erstensals konstitutives und zweitens als stetig wiederkehrendesElement darzustellen. Hierfür werdenim theoretischen Grundlagenteil primär ausgehendvon klassisch republikanischen Texten verschiedeneMilizmerkmale entwickelt, die es ermöglichen, dieMilizidee in der republikanischen Traditionslinie alsKontinuum aufzuzeigen.Zeitraum: 15. Jahrhundert bis 18. Jahrhundert, Ende 18. Jahrhundert(Schwerpunkt)Art des Projekts: DissertationStand:LaufendAbschlusstermin: 1998/01Kontaktadresse: Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenPublikationen: Metzger, Jan: Amerikas "Milizen" und die Verfassung- Ideengeschichtliche Hintergründe paramilitärischerGruppen. In: Neue Zürcher Zeitung, Montag, 15. Mai1995, S. 3.Metzger, Jan: Das Spannungsverhältnis Berufsarmee-Milizarmeeaus ideengeschichtlicher Perspektive.Hochschule St. Gallen, Diplomarbeit, 1994.Autor:Titel:Kurzbeschrieb:Silvano Möckli (Leitung)Internationale Supervision von nationalen WahlenGegenstand dieses Projektes ist die Supervision undBeurteilung von nationalen Wahlen und Abstimmun-


Forschungsprojekte 167gen durch Repräsentanten ausländischer Staatenoder internationaler Organisationen anhand allgemeinanerkannter Kriterien für freie und faire Wahlen.In einem theoretischen Teil sollen zunächst diedemokratietheoretischen und völkerrechtlichen An<strong>for</strong>derungenan freie und faire Wahlen <strong>for</strong>muliert undanschliessend Motive, Ablauf, Trägerschaft, Typenund Funktionen der Supervision erörtert werden. Derempirische Teil untersucht anhand konkreter FälleArt, Umfang und Wirksamkeit internationaler Supervisionim Vorfeld und während der Wahlen sowiedie Wahlentscheidung und die Akzeptierung des Ergebnisses.Den Schlussteil bildet eine Beurteilungder Möglichkeiten und Grenzen internationaler Supervisionvon Wahlen. Die Hauptfragestellungen lauten:- Welches sind die Kriterien für freie und faireWahlen?- Was leistet internationale Wahlbeobachtung?- Sollen nationale Wahlen obligatorisch einem ähnlicheninternationalen Kontrollmechanismus unterworfenwerden wie die Menschenrechte?Zeitraum: 1985 - 1995Art des Projekts: Eigenprojekt des Forschers(in)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1997/12Kontaktadresse:Publikationen:Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenMöckli, Silvano: Wahlhilfe durch die UN. Am BeispielNamibia 1989 und Südafrika 1994. In: ÖsterreichischeZeitschrift für Politikwissenschaft, 3/1995.Möckli, Silvano: Internationale Unterstützung beinationalen Wahlen. Oktober 1995.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Zoltán Tibor Pállinger (Leitung), Jürg Martin GabrielDie politische Elite Ungarns im SystemwandelDarstellung des Systemwandels in Ungarn. Dabeiwird die Rolle der politischen Elite untersucht underklärt. Die Entwicklungen in den achtziger Jahrenführten zu einem Patt zwischen den Machthabernund der Opposition. Dieses Problem konnte durch


168 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikVerhandlungen gelöst werden. Es wird aufgezeigt,wie die besondere Interessenlage der Akteure im Zusammenspielmit strukturellen Veränderungen denfriedlichen Systemwandel ermöglicht haben. Fernerwerden die Probleme, die sich aus diesem Prozess ergaben,skizziert.Zeitraum: 1985-1994Art des Projekts: DissertationStand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadresse:Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenAutor:Tomas Ries (resp.)Titel:The Russian Federation: The centre and the regionsKurzbeschrieb: Présentation des conditions politiques, économiques,démographiques, sociales. etc. dans les régions de laFédération Russe. Histoire des régions depuis 1989 àprésent. Analyse des relations politiques des régionsavec le centre.Zeitraum: 1989-1995Art des Projekts: Recherche mandatéeStand:En coursAbschlusstermin: 1995/12Kontaktadresse: Université de GenèveInstitut universitaire de hautes études internationales- IUHEICP/PF Case 36Rue de Lausanne 1321211 Genève 21Publikation: Ries, Tomas: The Republic of Karelia. Rapport fraPlanleggings-og, utredningsavdelingen, Utenriksdepartementet,Oslo, Avril 1994, p. 86.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Peter Roder (Leitung), Bernhard Brunner (Leitung)Chemieereignis-Datenbank PC-FACTSAuf Grund eines durch eine breit abgestützte Umfragezusammengetragenen An<strong>for</strong>derungsprofils wurdeder Entscheid getroffen, eine Zusammenarbeit mitdem Dept. of Industrial Safety der TNO in Apeldoorn,


Forschungsprojekte 169NL vertraglich zu regeln und deren bestehende DatenbankFACTS für eine gesamtschweizerische Nutzungeinzusetzen. Die Datenbank ist im AC-Laboratoriumin Spiez installiert und steht seit dem 1.1.94den interessierten Kreisen von Seite Behörden, Industrie,Ingenieurbüros und Hochschulen für Recherchengegen Entgelt zur Verfügung. In der Datenbankzusammengestellt werden In<strong>for</strong>mationen über kleinereUnfälle bis hin zu Störfällen bei Produktion, Lagerung,Transport, Anwendung und Entsorgung vongefährlichen Chemikalien; zusammen mit den beimUnfall getroffenen Massnahmen und den Auswirkungenauf Mensch und Umwelt.Zeitraum: Aktuell, bis in die siebziger Jahre zurückreichend;einzelne Unfälle von früher sind ebenfalls berücksichtigtworden.Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1999/12Kontaktadresse:Gruppe für RüstungAC-LaboratoriumAC-Zentrum3700 SpiezAutoren: Dieter Ruloff (Leitung), Constantin VagenasTitel:Europe in a Changing International <strong>Security</strong> EnvironmentKurzbeschrieb: Ausgangspunkt ist der fundamentale strukturelleWandel in Europa nach dem Ende des Kalten Krieges.Das Wiederaufflammen regionaler Konflikt<strong>for</strong>menim Osten und Süden des früheren Westeuropasstellt die Frage nach den Möglichkeiten und FähigkeitenWesteuropas, sich der anstehenden sicherheitspolitischenProbleme anzunehmen.Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1993/12Kontaktadresse: Universität <strong>Zürich</strong>Forschungsstelle für politische WissenschaftAbteilung Internationale BeziehungenWiesenstrasse 98008 <strong>Zürich</strong>


170 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAutorin: Ariane Sabet-Sobhani (Leitung)Titel:Die Friedenskonzeption der Bahá’í-ReligionKurzbeschrieb: Die Friedenskonzeption der jüngsten Weltreligionentstand Mitte des 19. Jahrhunderts. Ziel der Dissertationist es, in einem ersten Teil die Bahá'í-Friedenskonzeptionanhand von Quellentexten und Sekundärliteraturdarzustellen, zu analysieren und aufihre Aktualität hin zu prüfen. In einem zweiten Teilwird das in den Bahá'í-Schriften angestrebte Weltordnungsmodellauf seine praktische Umsetzungdurch die Bahá'í-Weltgemeinde untersucht.Zeitraum: 1844-heuteArt des Projekts: DissertationStand:LaufendKontaktadresse: Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. GallenAutor:Gérald Schneider (resp.)Titel:Politik der regionalen IntegrationKurzbeschrieb: Evaluation des théories sur l'intégration régionale.Développement des modèles <strong>for</strong>mels pour la négociationinternationale et domestique. Analyses statistiqueset qualitatives des modèles.Art des Projekts: Recherche personnelleStand:AchevéAbschlusstermin: 1995/10Kontaktadresse: Universität BernInstitut für PolitikwissenschaftUnitoblerLerchenweg 363000 Bern 9Publikation: Schneider, Gérald: Strategic Integration: DomesticPolitics and Regional Cooperation in Europe. Universityof Michigan Press, 1996.Autor:Titel:Markus R. Seiler (Leitung) (a)Kleinstaaten im Europarat - Fallstudien zu Island,Liechtenstein, Luxemburg, Malta, San Marino


Forschungsprojekte 171Kurzbeschrieb: Ziele, Grenzen, Chancen, Möglichkeiten, Strategienvon Island, Liechtenstein, Luxemburg, San Marinound Malta in ihrer Politik am Europarat.Zeitraum: 1992-1994Art des Projekts: DissertationStand:AbgeschlossenAbschlusstermin: 1994/04Kontaktadressen: Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. Gallen (a)Publikationen:EuroparatAv. de L'Europe67000 Strasbourg (b)Seiler, Markus R.: Die besonderen Beziehungen derSchweiz zu Lichtenstein. In: LJZ LiechtensteinischeJuristen-Zeitung, 3/1991, S. 101 ff.Seiler, Markus R.: Der Beitritt Liechtensteins zumEuroparat. In: LJZ, Liechtensteinische Juristen-Zeitung,1/1994, S. 116 ff.Seiler, Markus R.: Kleinstaatenim Europarat. Dissertation, St. Gallen, 1995,(erhältlich beim Autor).Autor:Marek Skreta (Leitung)Titel:Die politischen Auswirkungen der internationalenFinanzströme: Untersuchung mit besonderer Berücksichtigungvon Ost-MitteleuropaKurzbeschrieb: Untersuchung der politischen Wirkungen, die sichaufgrund der Globalisierung der Finanzmärkte unddem Anwachsen der internationalen Finanztransaktionenergeben.Zeitraum: 1980 - 1995Art des Projekts: DissertationStand:LaufendAbschlusstermin: 1997/12Kontaktadresse: Hochschule St. GallenInstitut für PolitikwissenschaftDufourstrasse 459000 St. Gallen


172 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAutoren: Kurt R. Spillmann (Leitung) (a), Günther Bächler(Leitung) (b), Stefan Bellwald (a), Stephan Libiszewski(a), Naigzy Gebremedhin (a), MohamedSuliman (a)Titel:Management von Umweltkonflikten in und zwischenEntwicklungsländern. Erarbeiten von Methoden undAufbau eines internationalen Netzwerkes - ECOMANKurzbeschrieb: Das Projekt ECOMAN zielt darauf ab, innovativeMethoden des Umweltkonfliktmanagements inEntwicklungsländern zu entwickeln und Kooperationim Bereich Ressourcenmanagement zu fördern.Sowohl nationale als auch internationale Umweltkonfliktesind Gegenstand der Forschung. Die Forschungsarbeitkonzentriert sich auf das Horn vonAfrika. Die Zielsetzung des Projektes kann folgendermassenzusammengefasst werden:- Intensivierung der Forschung im Bereich Umweltkonfliktmanagementin Entwicklungsländern.- Etablierung und Institutionalisierung eines internationalenNetzwerks von Partnern in der RegionHorn von Afrika.- Applikation der erarbeiteten theoretischen Ansätzein aktuellen, umweltbedingten KonfliktsituationenDas Netzwerk von Südpartnern ist aufgeteilt in sechsForschungsgruppen, die sich auf die Länder derRegion verteilen (Sudan, Eritrea, Äthiopien, Djibouti,Somalia). In halbjährlichen Workshops wird der Forschungsstandder einzelnen Gruppen verarbeitet unddas weitere Vorgehen diskutiert. Um die Kommunikationzu erleichtern, wurde in Asmara, Eritrea, einStützpunkt in Form des Advisor and Regional CoordinationOffice errichtet. Aufgabe der Forschungsgruppenist es, Feldstudien durchzuführen, konkreteUmweltkonflikte in ihren Ländern zu studieren, Kontaktezu den betroffenen Parteien und staatlichenBehörden aufzunehmen und gegebenenfalls Interventionendurchzuführen.Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Vom SNF subventionierte ForschungStand:GeplantAbschlusstermin: 1999/12Kontaktadressen: Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse


Forschungsprojekte 173<strong>ETH</strong>Z SEU8092 <strong>Zürich</strong> (a)Schweizerische Friedensstiftung - SFSPostfach 75Wasserwerkgasse 73000 Bern 13 (b)Autoren: Kurt R. Spillmann (Leitung), Günther Bächler(Leitung), Volker Böge, Stefan Klötzli, Peter B. Okoh,Stephan Libiszewski, Abdul M. Hafiz, ChristophLang, Mohamed SulimanTitel:Environment and Conflict Project (ENCOP), Internationaland internal conflicts caused by environmentaltrans<strong>for</strong>mationKurzbeschrieb: Zielsetzung: Das Ziel des beantragten Projekts ist dieEr<strong>for</strong>schung der Beziehungen von Umweltbelastungbzw. -zerstörung einerseits und politischen Spannungenund militärischen Konflikten andererseits. UnserInteresse gilt der Ausleuchtung der Kausalzusammenhängezwischen (anthropogenen) ökologischenProblemfeldern und vorhandenen oder erwartbarengewaltsamen Konflikten. Da ökologische Problemenicht an staatlichen Grenzen haltmachen, gilt es,sowohl inner- als auch zwischenstaatliche Konflikteund ihre Interdependenzen zu analysieren.Ökologische Probleme lassen sich nicht mit militärischenMitteln lösen. Gleichwohl besteht die Gefahr,dass Staaten auf militärische Gewaltanwendungzurückgreifen, wenn durch ökologische Bedrohungen(mit-)verursachte Konflikte räumlich und in ihrerIntensität eskalieren. Um dies zu verhindern, bedarfes unter anderem einer genauen Kenntnis der vorhandenenoder potentiellen ökologischen Konfliktursachenund ihres Zusammenhangs mit anderenkonfliktdeterminierenden und -beeinflussenden Faktoren.Erst aus dieser Kenntnis heraus lassen sichStrategien der nichtgewaltförmigen Konfliktprävention,-bearbeitung und -lösung ableiten.Art des Projekts: Auftrags<strong>for</strong>schungEigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1995/12


174 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikKontaktadressen: Schweizerische Friedensstiftung - SFSPostfach 75Wasserwerkgasse 73000 Bern 13Publikationen:Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse<strong>ETH</strong>Z SEU8092 <strong>Zürich</strong>Bächler, Günther; Böge, Volker; Klötzli, Stefan;Libiszewski, Stephan: Umweltzerstörung: Krieg oderKooperation? Ökologische Konflikte im internationalenSystem und Möglichkeiten der friedlichen Bearbeitung.Agenda-Verlag, Münster, 1993.Klötzli, Stefan: Der slowakisch-ungarische Konfliktum das Staustufenprojekt Gabcikovo. ENCOP OccasionalPapers nº 7, Bern / <strong>Zürich</strong> June 1993.Böge, Volker: Das Sardar-Sarovar-Projekt an derNarmada in Indien - Gegenstand ökologischen Konflikts.ENCOP Occasional Papers nº 8, Bern / <strong>Zürich</strong>June 1993.Bächler, Günther: Conflicts and Cooperation in theLight of Human-Ecological Trans<strong>for</strong>mation. In:ENCOP Occasional Papers nº 9, Bern / <strong>Zürich</strong> October1993.Bächler, Günther: Desertification and Conflict. TheMarginalization of Poverty and of EnvironmentalConflicts. ENCOP Occasional Papers nº 10, Bern /<strong>Zürich</strong> March 1994.Klötzli, Stefan: The Water and Soil Crisis in CentralAsia - a Source <strong>for</strong> Future Conflicts? June 1994.ENCOP Occasional Papers nº 11, Bern / <strong>Zürich</strong> June1994.Lang, Christoph: Environmental Degradation inKenya as a Cause of Political Conflict, Social Stressand Ethnic Tensions. ENCOP Occasional Papers nº12, Bern / <strong>Zürich</strong> January 1995.Libiszewski, Stephan: Water Disputes in the JordanBasin Region and Their Role in the Resolution of theArab-Israeli Conflict. ENCOP Occasional Papers nº13, Bern / <strong>Zürich</strong> August 1995.Spillmann, Kurt R.Bächler, Günther (eds.): EnvironmentalCrisis: Regional Conflicts and Ways of Cooperation.Report of the International Conference atMonte Verità, Ascona, Switzerland, 3-7 October 1994.


Forschungsprojekte 175ENCOP Occasional Papers nº 14, Bern / <strong>Zürich</strong> September1995.Autoren: Kurt R. Spillmann, Karl W. Haltiner (Leitung), LucaBertossaTitel:Internationale Kooperationsbereitschaft und Neutralität- Meinungstrends 1995 (Sicherheit 1995)Kurzbeschrieb: Ziel des Projekts ist die Untersuchung von Trends inder sicherheitspolitischen Meinungsbildung.Zeitraum: 1995/03-1995/05Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1995/12Kontaktadresse: <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101b8804 Au/WädenswilAutor:Titel:Albert A. Stahel (Leitung)Empirische Untersuchung des Luftkrieges in verschiedenenKriegenZeitraum: 1940-1993Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Persönliche ForschungStand:LaufendAbschlusstermin: 1996/12Kontaktadresse:<strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101b8804 Au/WädenswilAutoren: Albert A. Stahel (Leitung), Marius SkujensTitel:Strategische Zukunft des BaltikumsArt des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Persönliche ForschungStand:LaufendAbschlusstermin: 1997/12Kontaktadresse: <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101b8804 Au/Wädenswil


176 Bulletin 1995 zur schweizerischen SicherheitspolitikAutor:Albert A. Stahel (Leitung)Titel:Krieg in Jugoslawien (im ehemaligen)Kurzbeschrieb: Verlauf und Ergebnisse des Krieges (der Kriege) inJugoslawien (im ehemaligen).Art des Projekts: Persönliche ForschungStand:AbgeschlossenKontaktadresse: <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>Militärische Führungsschule - MFSSteinacherstrasse 101 b8804 Au/WädenswilPublikationen: Stahel, Albert A.: Proceedings of 2nd Beijing InternationalConference on System Simulation and ScientificComputing. In: Vol. 1, Beijing, 1992, S. 156-169.Stahel, Albert A.: The war in <strong>for</strong>mer Yugoslavia. Amacro-simulation. In: APORS 94, Fukuoka, Japan.Autoren: Heiner Staub (Leitung), Bernhard BrunnerTitel:Bearbeitung von Problemen der Verifikation im Zusammenhangmit dem ChemiewaffenübereinkommenKurzbeschrieb: Bearbeiten verschiedener Teilaspekte (vor allem für"Dual-Use-Chemikalien") wie Verifikationsprozedere,An<strong>for</strong>derungsprofile für Inspektoren und derenAusbildung, Verifikationsanalytik und Implementierungdes CW-Übereinkommens in der Schweiz.Zeitraum: Aktuell; zurückreichend bis 1900.Art des Projekts: Eigenprojekt der genannten Institution(en)Stand:LaufendAbschlusstermin: 1997/12Kontaktadresse: Gruppe für RüstungAC-LaboratoriumAC-Zentrum3700 SpiezAutoren:Titel:Kurzbeschrieb:Sören Z. Von Dosenrode, Ulrich Klöti (Leitung)Anpassung von Kleinstaatexekutiven an die europäischeIntegrationDer schnell voranschreitende europäische Integrationsprozess(EEA, Maastricht) beeinflusst sowohl dieBeziehungen zwischen den Staaten als auch ihreBinnenstrukturen. Das Projekt deckt die Anpassun-


Forschungsprojekte 177gen auf, die innerhalb und ausserhalb der EG alsFolge der Integration vorgenommen worden sind.Welche konkreten Auswirkungen hat der Integrationsprozessgehabt? Sind die Verwaltungen "europäisiert"worden, und wenn ja, mit welchen Folgen?Das Projekt hat seinen Ausgangspunkt in Verwaltungstheorienund der Kleinstaattheorie. Praktischmuss das Projekt als Beitrag zur Diskussion über dieschweizerische Regierungsre<strong>for</strong>m gesehen werden.Welche Erfahrungen haben andere Kleinstaatenbezüglich Europa gemacht, und was kann dieSchweiz von ihnen lernen?Art des Projekts: Persönliche ForschungStand:AbgeschlossenAbschlusstermin: 1994/06Kontaktadresse:Publikationen:Universität <strong>Zürich</strong>Institut für Politische WissenschaftAbt. Innenpolitik / Vergleichende PolitikKarl Schmid-Strasse 48006 <strong>Zürich</strong>Von Dosenrode, Sören Z.: Den optimale MinimallösningDanmarks administrative tilpasning til EF. In:Nordisk Administrativt Tidsskrift 4/1993, S. 454-465.Klöti, U.Von Dosenrode, S.: Adaptation to EuropeanIntegration: Changes in the Administration of FourSmall States. In: Australian Journal of Public Administration,Vol. 54, 1995, S. 273-280.Autoren:Titel:Kurzbeschrieb:Urs Wiesmann, Beat Sottas, Manuel Flury, CorneliaEggmann, Erwin Küenzi, G.K. (DURP) King’oriah,E.N.D. (DURP) Ndegwa, Francisca (DURP) Maina,Seraphin (DURP) NjagiActors' strategies and perceptions in resource managementand planning (ASP)The present research, labeled "Actors' strategies andperceptions in resource management and planning"(ASP) consists of a pluri-disciplinary, collaborativeprogram between partners of the universities of Bernand Nairobi. ASP addresses crucial environmentaland societal problems in a rural area in Africa,threatened by environmental degradation, land usetrans<strong>for</strong>mation and social conflicts. In order to obtaina comprehensive understanding of the complex


178 Bulletin 1995 zur schweizerischen Sicherheitspolitikproblem, ASP focuses on the articulation of localusers, planning procedures and the influence of decidingactors.Zeitraum: 1980-1995Art des Projekts: Vom SNF subventionierte ForschungStand:LaufendAbschlusstermin: 1999/12Kontaktadressen: Universität BernInstitut für SoziologieLerchenweg 363000 Bern 9Publikationen:Universität BernGeographisches InstitutGruppe für Entwicklung und UmweltHallerstrasse 123012 BernUniversität BernInterfakultäre Koordinationsstelle für AllgemeineÖkologie - IKAÖFalkenstrasse 163012 BernSottas, Beat: Problems and perspectives of scientificcollaboration between Europe and Africa. In: Bearth,T.Möhlig, W.Sottas, B.Suter, E. (Hg.): Perspektivenafrikanistischer Forschung / Perspectives des recherchesafricanistes. Zum X. Afrikanistentag in <strong>Zürich</strong>.Seminar für allgemeine Sprachwissenschaft der Universität<strong>Zürich</strong>, Schweizerische Afrika Gesellschaft,Köppe Verlag, Köln, Bern, 1994, S. 379-401.Wiesmann, Urs: Existenzsicherung versus nachhaltigeRessourcennutzung. In: unipress, Nr. 81, Pressestelleder Universität Bern, 1994, S. 20-23.Flury, Manuel: Ökologie und Überleben im ländlichenAfrika. Ökologisch ausgerichtete Entwicklungim Sahel: endogene Strategien und externe Intervention.In: Sottas, B.Roost Vischer, L. (Hg.):L'Afrique part tous les matins / Überleben im afrikanischenAlltag. 1995.Ndegwa, E.N.D.: Grassroots participation in developmentplanning in Kenya: Empowering local communities.In: Sottas, B.Roost Vischer, L. (ed.): L'Afriquepart tous les matins / Überleben im afrikanischenAlltag. 1995.


Forschungsprojekte 179Sottas, Beat: Deciding Actors and their Relevance inResource Management in the Upper Ewaso Ng'iroBasin. Working Paper; Preliminary Synthesis III ofActors' strategies and perceptions - ASP, Institute ofSociology, University of Bern, 1995.Wiesmann, Urs; Flury, Manuel: Local Actors andtheir Relevance in Resource Management in theUpper Ewaso Ng'iro Basin. Working Paper; PreliminarySynthesis I of Actors' strategies and perceptions- ASP, Institute of Geography, General Ecology, Universityof Bern, 1995.


Forschungsstelle für Sicherheitspolitik, <strong>Zürich</strong> 1995.Bulletin 1995zur schweizerischen Sicherheitspolitikedited byKurt R. SpillmannOnline version provided by theInternational Relations and <strong>Security</strong> NetworkA public service run by the<strong>Center</strong> <strong>for</strong> <strong>Security</strong> <strong>Studies</strong> at the <strong>ETH</strong> Zurich© 1996-2004

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